Der siebente Mann - Max Brand - E-Book

Der siebente Mann E-Book

Max Brand

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Beschreibung

Auf einer Verfolgungsjagd wird ein Pferd so angeschossen, dass der Reiter es von seinen Leiden erlösen muss. Dadurch wird er wütend und erschiesst einen der sieben Verfolger. - Nach einer weiteren Auseinandersetzung ist ihm klar, dass alle aus der Verfolgergruppe sterben müssen.

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Max Brand

 

Der siebente Mann

Roman

 

 

Aus dem Amerikanischen übertragen vonHellmuth Wetzel

 

 

 

Basel, 2018

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Title Page

1. Frühling

2. Grey Molly

3. Streit

4. König Alkohol

5. Die Flucht

6. Gewehrschüsse

7. Joan ist ungehorsam

8. Disziplin

9. Der lange Arm des Gesetzes

10. Eine Fährte endet

11. Eine neue Fährte beginnt

12. Die Krisis

13. Gleich um gleich

14. Bange Erwartung

15. Sieben für einen

16. Menschenjagd

17. Der zweite Mann

18. Ob Frauen stark sind?

19. Joans Abenteuer

20. Tischsitten

21. Eine Scheidewasserprobe

22. Der fünfte Mann

23. Schlimme Nachrichten

24. Das Lied der Wildnis

25. Der Kampf

26. Die Probe

27. Der sechste Mann

28. Des Vaters Blut

29. Billy, der Schreiber

30. In den Morgan-Bergen

31. Die Falle

32. Ablösung

33. Der Sprung

34. Die Warnung

35. Der Asper

36. Die leere Höhle

37. Ben Swann

38. Das neue Bündnis

39. Sieg!

40. Ein Schuß der nicht fällt

41. Die Wildgänse

[email protected]

1. Frühling

Ein Mann unter Dreißig braucht Verkehr. Es tut nicht gut, wenn das lebendige Strömen seines Lebens von einem langen Stillschweigen aufgestaut wird wie von einem Damm – es kommt der Tag, wo der Strom entweder den Damm durchbricht oder ihn überflutet, und je stärker das Hindernis war, desto verhängnisvoller und zerstörender ist schließlich der Augenblick, in dem die gestauten Wasser sich ihre Freiheit erkämpfen. Vic Gregg war noch auf der gefährlichen Seite der Dreißig und diesen ganzen Winter über hatte er allein oben in den Bergen leben müssen. Er wollte Betty Neal heiraten, aber zum Heiraten braucht man Geld und deshalb hatte Vic sich den Duncans als Goldgräber verdingt. Sie zahlten ihm fünfzehnhundert Dollar dafür. Aber anstatt sich einen Partner zu nehmen, wollte er das ganze Geld allein verdienen. Es muß schon ein Kerl von besonderem Schrot und Korn sein, der in ein paar Monaten für fünfzehnhundert Dollar Minenarbeit tut, ohne eine Hilfe zu haben, aber Gregg bildete tatsächlich eine von jenen Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Er erledigte die Probebohrungen an vierzehn Plätzen, wo die Duncans Schürfrechte erworben hatten, und war jetzt mit dem fünfzehnten »Claim« auch beinahe zu Ende. Aber er zahlte auch dafür. Die Einsamkeit fraß sich in ihn wie eine Säure. Gewiß war ihm von klein auf das tiefe Schweigen der Einöde, die Stille inmitten der ragenden Gipfel vertraut, die nur manchmal von einem feierlich dahinrollenden Echo unterbrochen wird, aber trotzdem lastete gegen Ende dieser langen Einsiedlerzeit jeden Abend, wenn er von der Arbeit heimkehrte, das Gefühl der Beklemmung schwerer und schwerer auf ihm. Noch ein paar Tage und er war so weit, daß er anfing, mit sich selbst zu sprechen. Es ging ein Wandel mit ihm vor, aber so langsam und unmerklich, daß er sich selbst der Gefahr nicht bewußt wurde. Hätte er einen Spiegel besessen, so hätte er es an diesem Morgen sehen können. Er stand an der Tür seines selbst gezimmerten Unterschlupfs. Es war noch beinah Nacht, der Wind zerrte an dem Hemd, das faltig um seinen von der Arbeit ausgedörrten Körper hing. Seine Stirn war gerunzelt. Auch dieses angestrengte Zusammenziehen der Augenbrauen war ihm allmählich zur Gewohnheit geworden. Ein hageres Gesicht, Augen, die dicht beieinander saßen und eine zurückweichende Stirn, die davon sprach, daß man es mit einer einschichtigen Natur zu tun hatte, einem Mann, der immer nur einen einzigen Zweck im Leben kennt und der über hundertundachtzig Pfund eiserner Muskeln und stählerner Sehnen verfügt, die seinen Wünschen Nachdruck verleihen. So sah Vic Gregg aus, als er vor der Tür stand und wartete, bis der starke Kaffee, den er eben getrunken hatte, die letzten Spinnweben des Schlafs aus seinem Gehirn verjagt hatte.

In diesem Augenblick hörte er einen Adler schreien.

Der Ton schnitt wie ein Messer durch die Nacht der Schlucht. Vic fuhr zusammen und warf einen Blick hinter sich. Infolge der vielfältigen Echos hatte es geklungen, als schreie es dicht an seiner Seite. Dann aber blickte er auf und sah, wie dort oben, im ersten Morgenlicht, zwei Adler miteinander im Kampfe lagen. Er wußte, was es bedeutete. Die Paarungszeit begann und die Schlacht der beiden dort oben galt einer besonderen Beute. Sie schossen davon, sie stürmten gegeneinander mit gezückten Krallen und grimmig geöffneten Schnäbeln, sie stürzten in einem wilden Getümmel schlagender Flügel erdwärts, schwangen sich wieder zur Höhe und stießen oben erneut zusammen, bis einer plötzlich die Schwingen einzog und, wie ein Stein fallend, aus dem Morgenlicht dort oben in die Nacht hinunterschoß.

Der Sieger krächzte eine lange Beschimpfung ins Dunkel der Schlucht hinunter. Eine Weile noch kreiste er hoch oben, den kahlen Kopf auf die Seite gelegt, als erwarte er Beifall von dem einsamen Zuschauer dort unten, dann segelte er, ohne einen Flügelschlag, über die Gipfel davon. Eine Feder tanzte langsam durch die Luft und sank dicht vor Vic zu Boden.

Er starrte hin und rieb sich den steifen, schmerzenden Nacken. Er dehnte die Arme. Die von harter Arbeit verkrampften Muskeln lockerten sich. Das Blut floß wieder rasch und warm durch die Adern. Genießerisch schloß er die Augen und tat einen langen wollüstigen Atemzug. Er trat ins Freie hinaus. Jetzt trug er den Kopf höher, sein Herz schien leichter, und als sein schwer genagelter Schuh klirrend auf den Hammer traf, der dort im Grase lag, gab er dem altvertrauten Werkzeug einen Tritt, daß es trotz seines Gewichts sich überschlagend davonflog. Darüber lächelte er still vor sich hin. Er schlenderte an den Rand des kleinen Plateaus und blickte in die tiefeingerissene Schlucht hinab, in der der Asper floß.

In der gähnenden Tiefe fluteten noch blauschwarze Schatten wie ein Meer, obwohl um Vic herum bereits alles im Morgenlicht erglänzte. Zweitausend Fuß tief blickte man hinab, wo in dem Blockhaus eines Trappers ein einsames Licht durch die Nacht blinkte. Aber rasch hielt jetzt die Morgendämmerung auch dort unten ihren Einzug. Noch während Gregg hinunter starrte, verfärbte sich das Blauschwarz, wurde dünner, violett und purpurn. Gregg sah scharfe, schwarze Spitzen daraus auftauchen und er wußte, daß es die Wipfel der Fichten waren. Schließlich sah er auch noch einen Streifen Grasland im Morgenlicht erglänzen.

Auf ihm lag die Stille wie ein dickes Tuch; das Schweigen der Nacht reichte noch weit hinein in den jungen Tag. Trotzdem warf er plötzlich einen Blick über die Schulter, als höre er einen Schritt, auf den er schon lang gewartet hatte. Doch die Resignation kam fast zugleich mit der Erwartung. Es war nichts als sein Heimweh, oder er wußte nicht Bescheid mit sich.

»Ach, der Teufel«, sagte Vic Gregg. »Es ist Frühling!«

Das Echo gab ihm die Worte in dröhnendem Baß zurück und rollte dann dreimal widerhallend die Wände der Schlucht entlang.

»Frühling!« wiederholte Gregg, diesmal leiser, als fürchte er das Echo noch einmal zu wecken. »Verdammt will ich sein, wenn's nicht Frühling ist!«

Seine Gedanken und Wünsche waren in diesem Augenblick anderswo. Sie galoppierten auf Grey Mollys Rücken an den grasigen Ufern des Asper hinunter. Es kostete ihn bitteren Zwang, sich wieder in die Stimmung des geduldigen Goldschürfers zurückzufinden. Er blickte in die Hütte. Da lagen noch seine Decken, zerwühlt, braun von Schmutz. Ihn schauderte, als sein Blick darauf fiel; die Nacht war bitter kalt gewesen. Ehe er einschlief, hatte er das Magazin, in dem er las, in eine Ecke geschleudert. Jetzt spielte der Wind mit den zerfetzten, vergilbten Blättern, und ihr Flüstern sprach zu Gregg von den zehnmal gelesenen Abenteurergeschichten, die sie enthielten. Er sah die Spielhöllen vor sich, in denen der Rauch in dicken Schwaden hing, er hörte den Singsang des Croupiers hinter der Roulette, tiefe Männerstimmen, das Lachen hübscher Mädchen, den Trommelwirbel galoppierender Hufe, Gebrüll, wie es nur der brennende Whisky des Westens auslösen kann. Er schnüffelte, die Luft in seinem Verschlag war nur vom Geruch verbrannten Specks und eben gebrauten Kaffees erfüllt. Er blickte rechts hinüber und sah seine außer Dienst gestellten ausgefransten Arbeitshosen mit den Löchern an den Knien. Er blickte nach links und starrte seinem verrosteten alten Wecker ins Gesicht. Das rasche, leise Ticken verursachte ihm ein plötzliches Gefühl des Überdrusses und der Müdigkeit, das ihm wie ein Schmerz durch die Glieder schoß.

»Was ist bloß mit mir los?« murmelte er. Selbst diese leisen Worte dröhnten gespenstisch laut durch die Hütte und ein neuer Schauer überlief ihn. »Ich glaube, bei mir geht bald 'ne Schraube los.«

Als müsse er seinen eigenen Gedanken entrinnen, trat er wieder in die Sonne hinaus. Das warme Licht war nach der eisigen Dunkelheit der Baracke so wohltuend, daß er lächelnd zum Himmel hinaufblickte. Ein Westwind wehte und trieb geschäftig eine zersprengte Herde dicker weißer Wolken über die Gipfel herein, geballte Kissen, deren Ränder wie durchsichtiges Silber leuchteten und hinter denen lange, weiße Dunstschleier den Weg bezeichneten, den sie gekommen waren. So tauchten sie weißschimmernd tief unten am blauen Himmel auf und zogen in lockerer Formation ins Tal des Asper hinunter, wo ein Teil von ihnen liegenblieb, wie mächtige Eisgipfel emporragend, während andere Wolken sich wie Vorberge um ihren Fuß gruppierten. Die Hauptmasse des Wolkengebirges aber wich dem Tale aus und entschwand langsam seinem Blick, ostwärts, wo – wie er wußte – das Städtchen Alder lag.

Für Vic Gregg war Alder Athen und Rom zugleich, das Schulhaus war seine Akropolis und Captain Lorrimers Kneipe sein Forum. Mochten andere Leute von größeren Städten zu erzählen haben, Alder genügte, um Vics Phantasie zu beflügeln; außerdem war Grey Molly jetzt dort unten beim Grobschmied auf der Weide, und Betty Neal gab Unterricht in der Schule. Sein Blick folgte den Gebirgszügen, die dort hinüberliefen, folgte den Wolken, die nach Alder hintrieben. Und die lang angestaute Flut in ihm rüttelte am Damm, sprengte ihn in Stücke und brauste in die Freiheit hinaus. Er mußte ganz einfach nach Alder hinunter, endlich einmal einen Schluck trinken, einem Freund die Hand schütteln, Betty Neal küssen! Dann konnte er wieder zurückkommen! Zwei Tage hinunter, zwei Tage herauf und drei Tage, um sich auszutoben – es kostete ihn schließlich nur eine einzige Woche.

Nicht zwei Stunden vergingen, da hatte Vic Gregg seine gewichtigeren Ausrüstungsgegenstände sorgfältig versteckt, das Allernotwendigste auf einen Esel geladen und war unterwegs.

Um Mittag war er bereits unterhalb der Schneelinie und in den Randbergen. Hinter ihm stiegen die Gipfel fast bis zum Firmament, in kaltes, winterliches Weiß gekleidet, aber hier unten war es nicht mehr zu bezweifeln, daß der Frühling gekommen war. Hier und da mußte er über geschwätzige kleine Wasserläufe, die den größten Teil des Jahres über trocken lagen, jetzt aber von der Schneeschmelze gespeist wurden. Wo das Wasser kleine ruhige Kessel bildete oder wo eine flachere Stelle war, streckte frischgrüne Wasserkresse lange Zungen bis in die Strömung vor, und manchmal entdeckte Vic auf dem feuchten Grund, unter einer schützenden Erdwelle, Rasenflecke, die dick mit Veilchen übersät waren.

»Voran, Mame,« rief er, »'s ist höchste Zeit, daß wir nach Alder kommen.« Er packte seinen Knüttel und versetzte dem Esel in überströmender guter Laune ein paar Klapse. Mame, der Esel, bewegte unwillig den Schwanz und legte eins seiner langen Ohren zurück, um zu hören, was sein Herr ihm zu sagen hatte, aber er beschleunigte sein Tempo nicht. Er hatte von je nur eine einzige Gangart gekannt, und wenn Vic ihm Püffe versetzte, so war es mehr, um eine Art gemeinsamer Unterhaltung zustande zu bringen, als in der Erwartung, die Reise zu beschleunigen.

2. Grey Molly

Wenn Mame, der Esel, irgendwie für Enthusiasmus empfänglich gewesen wäre, hätte er die Reise pünktlich und fahrplanmäßig zurücklegen können, aber Mame war eben nur ein Esel und höchstens dazu fähig, einen Packen zu schleppen, der gut halb so schwer war wie er selbst, von einer Handvoll Futter zu leben, bei dem selbst eine Geiß verhungert wäre, und in Zeiten der Dürre auf fünfzehn Meilen Entfernung Wasser zu wittern. Eile dagegen war ein Wort, das er nicht kannte, und infolgedessen war es nicht Morgen, sondern bereits Spätnachmittag, als Gregg mit ihm Murphys Pass passierte und hoch über Alder aus den Gebirgen herauskam. Wie auf Verabredung machten sie beide halt, und Mame klappte eins seiner langen Ohren vorwärts, als lausche er dem Rauschen des Doaneflusses. Zu ihren Füßen beschrieb das schäumende braune Wasser einen weiten Bogen, und an dieser Stelle, planlos hingestreut, hier ein riesiger Felsblock, dort zur Abwechslung ein Haus, lag das Städtchen Alder. Es bestand aus erstaunlich gebrechlichen Gebäuden. Man wunderte sich, daß sie nicht unter den Schneelasten des Winters zusammengebrochen waren, daß der Doanefluß nicht eine lange gierige Zunge ausgestreckt und das ganze Nest krachend in die Strömung hinabgefegt hatte. Ein Haus glich dem andern wie ein Ei, aber Vics Blick drang durch die altvertrauten Dächer. Er sah in Witwe Sullivans wacklige Hütte, in Hezekiah Whittlebys in feierliches Schweigen gehüllte »Gute Stube« hinein, er sah sogar den ewig feuchten, schmutzigen Fußboden in Captain Lorrimers Kneipe, aber sein erster und letzter Blick galt der kleinen Flagge, die in leuchtenden Farben über dem Dach des Schulhauses knatterte; die bedeutete etwas für Vic. Sie sprach: »Dies ist deine Heimat!«

Mame ließ sich zu einem ganz ordentlichen Zuckeltrab herbei, als es den letzten Abhang hinunterging. Im Zuckeltrab und mit einem protestierenden Schnaufen bei jedem Schritt ging es durch die einzige lange, gewundene Straße des Orts. Pfeifend kam Vic hinterher. Wenn er in der Stadt war, wohnte er bei seinem Freund Dug Pym, der eine Bodenkammer für ihn reserviert hielt. Und so ging's jetzt geradeswegs nach Dug Pyms Haus.

Der alte Garrigan war in seinem Gemüsegarten und gackerte hinter ihm her, doch Vic begnügte sich damit, ihm zuzuwinken und eilte weiter. Vorbei auch an Gertie Vincent, die ihm sehnsüchtig nachrief (Gertie Vincent war »sein Mädel« gewesen, ehe Betty Neal nach Alder gekommen war); vorbei auch mit heldischer Entschlossenheit an der Veranda von Captain Lorrimers Kneipe, obwohl Lorrimer selbst einen Gruß herunterbrüllte und »Chick« Stewart vielsagend über die Schulter hinweg mit dem Daumen nach der offenen Kneipentür deutete. Er machte erst halt, als er die Schmiede erreicht hatte und sah zu Dug hinein, der sich gerade abmühte, Simpsons unruhigem Rotschimmel ein rotglühendes Eisen anzupassen.

»He, Dug!«

Pym hob die berußte, schweißbedeckte Stirn.

»Du bist's? Still, verdammtes Biest! Hallo, Vic!« Er stemmte den Hinterhuf des unruhigen Tieres gegen seinen Schenkel und streckte Vic die Hand entgegen.

»Laß dich nicht stören, Dug, ich kann jetzt doch nicht bleiben; 's einzige, was ich will, ist ein Lasso. Ich will Grey Molly einfangen.«

»Verdammter roter Teufel!« – dies galt dem Pferd – »Da drüben hängt ein Lasso, Vic. Du wirst nicht viel Arbeit haben, um Molly einzufangen. Die ist jetzt zahm wie ein Lamm. Steh' doch still, verdammtes Vieh! Der ist von 'ner Rasse, die keine Spur von Verstand im Kopf hat! – Wohin so eilig, Vic? Zur Schule hinauf?«

Mit einem Grinsen auf dem schweißbedeckten Gesicht blickte er Vic nach, der mit dem Lasso auf der Schulter die Schmiede verließ. Als Vic nach dem Wohnhaus hinüberkam, drückte ihn Nelly Pym liebevoll an ihren umfangreichen Busen; bei ihrem Fett und ihren vierzig Jahren durfte sie sich dergleichen schon herausnehmen. Sie blieb auch unten an der Treppe stehen und unterrichtete ihn, nach der Dachkammer hinaufbrüllend, wo er sich in fieberhafter Hast rasierte und in seine besten Kleider zwängte, über alles, was man sich im Städtchen erzählte. Er antwortete höchst einsilbig und beinahe ohne hinzuhören.

»Bist du mit deiner Arbeit fertig, Vic?«

»Keine Spur.«

»Richtig dünn geworden bist du von der vielen Arbeit. Ich hoff nur, dein Leichnam ist damit einverstanden.« Sie kicherte. »Krank bist du nicht gewesen, was?«

»Keine Spur.«

»Weißt du schon, wen wir jetzt hier haben? Sheriff Glass!«

Er zerrte gerade wütend an einem Stiefel, der ihm gut anderthalb Nummern zu klein war, aber trotzdem war das eine Nachricht, die auch sein inneres Ohr erreichte.

»Pete Glass!« wiederholte er. Dann: »Hinter wem ist er her?«

»Keine Ahnung. Vic, er sieht gar nicht so bösartig aus, wie man sich vorstellt.«

»Er ist bösartig genug«, versicherte Gregg von oben. »Ah–h–h!«

Er hatte den Fuß glücklich in den Stiefel hineingezwängt, aber seine Zehen standen Folterqualen aus.

»Well«, rumpelte es von unten, – Mrs. Pym schien in philosophische Überlegungen vertieft –: »Denke, just die Burschen, die so ruhig aussehen, sind von der gefährlichen Sorte. Aber wenn du dir Glass ansiehst, würdest du dir's nie träumen lassen, daß er so vielen das Lebenslicht ausgeblasen haben soll. Weißt du schon von dem Ball?«

»Keine Spur.«

»Drunten bei Singer wird heute getanzt. Geht Betty mit dir?«

Er riß die Tür ganz auf und bellte zu ihr hinunter: »Mit wem soll sie sonst gehen?«

»Immer sachte mit die jungen Pferde«, sagte Mrs. Pym. »Ich weiß wirklich nicht, mit wem sie sonst gehen sollte. Tiptop siehst du aus mit dem roten Hemd, Vic!«

Er grinste halb besänftigt und halb beschämt und verschwand wieder in seiner Kammer. Gleich darauf humpelte er unbeholfen die Treppe hinunter. Seine Stirn war gerunzelt, er fragte sich, ob es ihm gelingen werde, in solchen Stiefeln zu tanzen.

»Ich fühl' mich so komisch in den ungewohnten Kleidern. Wie seh' ich aus, Nelly?« Er stand jetzt unten im Flur und drehte sich langsam um seine Achse, um sich bewundern zu lassen.

»Wie ein junger Prinz. Da kannst du Gift drauf nehmen.« Und als er durch die Haustür hinausschoß, brüllte sie ihm noch nach: »Gib ihr noch einen Kuß auf meine Rechnung, Vic.«

Vic stand schon im Mittelpunkt der kleinen Pferdekoppel und legte die Schlinge seines Lassos zurecht. Die drei Pferde, die hier gegrast hatten, fegten in federndem Galopp rundum, den Zaun entlang, als suchten sie nach einem Weg zur Flucht. Das ganze Doanetal hinauf und das Aspertal hinunter gab's kein Tier, das Grey Molly einholen konnte, wenn sie loslief wie jetzt. Vics Augen strahlten vor Stolz, als er ihr zusah. Er ließ den Lasso über dem Kopf kreisen, und während die anderen beiden Pferde weiter galoppierten und stumpfsinnig in die Gefahrzone hineinliefen, wirbelte Grey Molly herum, wie ein Fuchs, der einen Haken schlägt, und war mit einem Sprung außer Reichweite.

»Braves Tier!« rief Vic unwillkürlich. Er rannte ein paar Schritte. Wieder schoß der Lasso in die Luft, die Schlinge öffnete sich zu einem unregelmäßigen Kreis und schwirrte herab. Der Graue sah die Gefahr, aber es war schon zu spät. Noch ehe er kehrtmachte, glitt die Schlinge ihm über den Kopf. Das Pferd spreizte schleunigst alle Viere, stemmte die Hufe ins Gras und kam nach kurzem Gleiten schnaubend zum Halten. Das erste, was ein Pferd auf der Ranch draußen lernt, ist, daß man besser tut, einen Lasso nicht stramm zu ziehen, wenn die Schlinge um den Hals liegt.

Wenige Minuten später war Grey Molly dabei, sich nach Herzenslust auszubocken. Das muß jedes Cowboypferd, das etwas auf sich hält, wenn es lange Zeit auf der Weide war, ohne arbeiten zu müssen. Es gibt eine hohe Schule des Bockens, und Grey Molly wußte darin Bescheid. Mrs. Pym stand, mit einem breiten Schmunzeln der Bewunderung auf ihrem roten Gesicht, unter der Tür und sah zu. Sie wußte, was ein guter Reiter war, wenn sie ihn sah. Mit einemmal hörte das Toben auf und das Tier stand wie ein Standbild mit stolz erhobenem Kopf, bebend vor Energie, mit gespitzten Ohren. Gregg warf seinem Liebling mit halblauter Stimme ein paar zärtliche Flüche an den Kopf. Er verstand das Tier, er kannte es von den Fesseln bis zu den Zähnen.

Draußen kamen schrille Kinderstimmen die Straße herunter. Die Schule war aus. Vic mußte sich beeilen, wenn er mit Betty nach Hause reiten wollte. Er winkte Mrs. Pym einen letzten Gruß zu und trabte davon. Seit zwei Tagen hatte er sich fieberhaft auf das Zusammentreffen mit Betty gefreut, den ganzen Winter über hatte er sich nach ihr gesehnt. Jetzt, wo der Augenblick näher und näher kam, wurde er schwach. Das war immer so, wenn er dem Mädchen in die Nähe kam. Nicht etwa, daß ihre Schönheit ihn überwältigt hätte, wenn sie auch mit ihrer strotzenden Gesundheit und ihrem netten, sommersprossigen Gesicht hübsch genug war. Aber er hatte Betty gewählt, wie ein Indianer sich einen Feuerstein zu seinem Stahl sucht. Aus Betty Neal ließen sich Funken schlagen. Wenn er weit von ihr entfernt war, liebte er sie, ohne zu zweifeln und ohne an ihr irre zu werden. Sein Vertrauen strömte zu ihr hin wie ein Fluß, der seinen Weg zum Weltmeer sucht. Er wußte, ihr Herz schlug so stark und treu für ihn wie das Herz keines anderen Wesens auf der Welt, Grey Molly ausgenommen. Aber in ihrem Benehmen war sie wetterwendisch, und wenn er ihr nahe kam, wurden Unbehagen und Mißtrauen immer wieder in ihm wach.

3. Streit

Auf dem Weg zur Schule begegnete er Miss Brewster – denn die Schule in Alder konnte sich zweier Lehrkräfte rühmen –, und ihr freundliches, ein wenig altjüngferliches Lächeln löste in ihm ein beinah überwältigendes Bedürfnis aus, abzusteigen und sie ins Vertrauen zu ziehen, sie zu fragen, was Betty Neal die langen Wintermonate über getrieben habe. Statt es zu tun, gab er jedoch Grey Molly die Sporen. Das Tier schoß dahin wie ein Pfeil, der von der Sehne geschnellt wird. Als Vic so dahingaloppierte und den Wind um seine Schläfen sausen spürte, besserte sich seine Laune wieder, ja sogar so weit, daß er ein Liedchen vor sich hinträllerte, und als er vor der Schule aus dem Sattel schnellte, rief er ein fröhliches »Holla, Betty!« zu den Fenstern hinauf.

Mit einem Satz hatte er die Stufen der Treppe genommen, die in einem scharfen Knick nach oben führte, und war an der Tür: »Holla, Betty!«

Seine Stimme dröhnte durch das Zimmer und löste ein dumpfes, verdrossenes Echo aus. Da saß Betty an ihrem Katheder und starrte ihn entgeistert an. Neben ihr stand Blondy Hansen, großmächtig und schmuck wie immer und beinahe ebenso fassungslos wie Betty. Vic Gregg blickte schnell von den beiden weg. Er fürchtete den nächsten Augenblick. Er sah lieber nach dem kleinen Tommy Aiken hin, der vor der Schultafel stand und eine Rechenaufgabe hinkritzelte – anscheinend mußte er nachsitzen, weil er während des Unterrichts mit seinem Nachbarn geflüstert oder sonst ein tödliches Verbrechen begangen hatte. Tommys Mundwinkel waren bedenklich nach unten gezogen, denn er hörte von draußen die fröhlichen Stimmen der Klassenkameraden, die auf dem Heimweg waren.

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