Der Sieger bleibt allein - Paulo Coelho - E-Book + Hörbuch

Der Sieger bleibt allein E-Book

Paulo Coelho

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Beschreibung

In Der Sieger bleibt allein nimmt Paulo Coelho das Thema seines Weltbestsellers Elf Minuten wieder auf: die Liebe, die uns ebenso oft zerstört, wie sie uns erlöst. Ein spannender Roman über die dunkle Seite der Liebe. An der französischen Côte dAzur kommen die Reichen und Berühmten zusammen, diejenigen, die es bis ganz nach oben geschafft haben. Auch Igor, der aus Russland anreist, ist besessen von Luxus und Erfolg und ebenso von der Liebe oder was er dafür hält.

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Seitenzahl: 564

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Paulo Coelho

Der Sieger

bleibt allein

Roman

Aus dem Brasilianischen von

Maralde Meyer-Minnemann

Titel der bei

Agir, Rio de Janeiro, erschienenen Originalausgabe:

›O vencedor está só‹

Copyright © 2008 by Paulo Coelho

Mit freundlicher Genehmigung

von Sant Jordi Asociados, Barcelona, Spanien

Alle Rechte vorbehalten

Paulo Coelho: www.paulocoelho.com

Die deutsche Erstausgabe

erschien 2009 im Diogenes Verlag

Abdruck des Gedichts Der nicht genommene Weg

von Robert Frost in der Übertragung von Lars Vollert

Copyright © 2002 Langewiesche-Brandt KG,

Ebenhausen bei München,

mit freundlicher Genehmigung

Coverfoto: Copyright © plainpicture/jocl

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2016

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24080 1 (6.Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60263 0

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Maria, ohne Sünde empfangen,

bete für uns, die wir uns an dich wenden. Amen.

[6] Für N.P.D., die zur Welt kam,

um uns den Guten Kampf zu lehren.

[7] Er sprach aber zu seinen Jüngern: Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen sollt.

Denn das Leben ist mehr denn die Nahrung, und der Leib mehr denn die Kleidung.

Sehet die Raben an: die säen nicht, sie ernten auch nicht, sie haben auch keinen Keller und keine Scheune; und Gott ernährt sie doch. Wie viel besser seid ihr als die Vögel!

Wer ist unter euch, der, wie sehr er sich auch darum sorgt, seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte?

Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermögt, warum sorgt ihr euch um das andere?

Seht die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen: sie spinnen nicht, sie weben nicht. Ich sage euch aber, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.

Lukas 12:22–

[9] Wer du auch seist, der mich jetzt in Händen hält,

Ohne eins wird alles vergeblich sein,

Ich warne dich ehrlich, eh du es ferner mit mir versuchst,

Ich bin nicht, was du vermutet hast, sondern ganz etwas andres.

Wer ist es, der mir folgen will?

Wer will sich Bewerber um meine Liebe nennen?

Der Weg ist verdächtig, das Ziel ungewiss, vielleicht verderblich,

Du würdest alles andre lassen müssen, ich allein würde verlangen, der Einzige zu sein, nach dem du dich ausschließlich richtest,

Selbst dann würde deine Probezeit lang und ermüdend sein,

All deine vorige Anschauung vom Leben und alle Anpassung an die Leben um dich her würdest du aufgeben müssen,

Deshalb lass von mir, eh du dich weiter bemühst, nimm deine Hand von meiner Schulter,

Lege mich weg, und geh deines Weges.

[11] Das Porträt

In meinen Büchern spreche ich immer wieder darüber, dass wir für die Verwirklichung unserer Träume einen Preis zahlen müssen. Doch inwieweit sind unsere Träume manipulierbar? Seit ein paar Jahrzehnten sind in der Kultur, in der wir leben, Berühmtheit, Geld und Macht noch wichtiger als je zuvor. Viele von uns hat das glauben lassen, dies seien die einzigen wirklich wichtigen Werte, und wir haben dabei die anonymen Manipulatoren hinter den Kulissen übersehen. Diese Manipulatoren wissen, dass die wirksamste Macht die ist, die niemand bemerkt – bis es zu spät ist und wir in der Falle sitzen. Der Sieger bleibt allein handelt von dieser Falle.

In meinem Roman lassen drei der vier Hauptfiguren zu, dass ihre Träume manipuliert werden:

Igor, ein russischer Millionär, der glaubt, Töten sei zulässig, wenn es zu einem guten Zweck geschieht, wie beispielsweise, um das Leiden eines Menschen zu beenden, oder um die Frau, die er liebt, zurückzugewinnen.

Hamid, ein Modezar, der mit den besten Absichten begann und am Ende in die Falle des Systems ging, das er zu benutzen versuchte.

Gabriela, die wie die meisten Menschen heutzutage überzeugt ist, dass Ruhm ein Ziel an sich ist, und die [12] Berühmtheit für das Höchste hält, was ein Mensch erreichen kann.

Dieses Buch ist kein Thriller, sondern ein ungeschöntes Abbild unserer heutigen Welt.  

[13] 3Uhr17

Die kompakte Beretta PX4 ist etwas größer als ein Handy, wiegt etwa 700Gramm und hat zehn Schuss. Klein und leicht, wie sie ist, zeichnet sich die Waffe unter der Kleidung nicht ab; daneben hat sie einen weiteren großen Vorzug: Das Projektil durchschlägt den Körper des Opfers zwar nicht, zerstört aber alles auf seinem Weg.

Die Chancen, einen Schuss mit diesem Kaliber zu überleben, sind relativ hoch. Es gibt Tausende von Fällen, in denen keine lebenswichtige Arterie durchtrennt wurde und das Opfer genügend Zeit hatte, zu reagieren und den Angreifer zu entwaffnen. Ein erfahrener Schütze kann jedoch zwischen einem schnellen Tod für sein Opfer – indem er zwischen die Augen oder auf das Herz zielt – und einem langsamen Tod wählen, indem er den Lauf der Waffe in einem bestimmten Winkel bei den Rippen ansetzt und abdrückt. Das Opfer wird nicht gleich merken, dass es tödlich getroffen wurde – und versuchen, sich zu verteidigen, zu fliehen, um Hilfe zu rufen. Das Opfer hat noch Zeit, seinen Mörder zu erkennen, während seine Kräfte langsam schwinden und es, ohne dass es recht weiß, wie ihm geschieht, ohne größere sichtbare Blutungen zu Boden sinkt.

Die Beretta PX4 ist keine Waffe für Profis. Oder vielmehr, wie jemand vom britischen Geheimdienst im ersten James-[14] Bond-Film anmerkt, während er dem Titelhelden seine alte Pistole abnimmt und eine neue übergibt: »Sie ist eher etwas für Frauen als für Spione.« Aber Igor ist kein Profi, und für das, was er vorhat, gibt es nichts Besseres.

Er hat seine Beretta auf dem Schwarzmarkt gekauft, die Waffe würde daher nicht identifizierbar sein. Im Magazin sind fünf Patronen, obwohl er nur eine einzige abschießen will, deren Spitze er vorher mit einer Nagelfeile kreuzweise eingekerbt hat. Sie würde, sobald sie auf etwas Festes traf, in vier Teile zerbersten.

Er wird die Beretta aber nur benutzen, wenn er keine andere Wahl hat. Er kennt andere Methoden, eine Welt auszulöschen, ein Universum zu zerstören, und sie würde die Botschaft ganz sicher verstehen, wenn er sein erstes Opfer getötet hatte. Sie würde wissen, dass er dies aus Liebe tat, keinerlei Groll hegte, sie zurücknehmen und ihr keine Fragen zu den vergangenen zwei Jahren stellen würde.

Er hofft, dass sechs Monate sorgfältiger Planung Erfolg bringen werden, ganz sicher aber kann er sich erst morgen sein. Er will die Erinnyen, die antiken Rachegöttinnen und Wächterinnen der sittlichen Ordnung mit ihren schwarzen Schwingen, über diese weiß-blaue Welt kommen lassen, in der Diamanten, Botox und schnelle Wagen tonangebend sind. Diese Träume von Macht, Erfolg, Ruhm und Geld – all das kann er von einem Augenblick zum nächsten zunichtemachen.

Er hätte längst auf sein Zimmer gehen können, denn das Ereignis, auf das er gewartet hatte, ist schon um 23Uhr11 über die Bühne gegangen. Ein Mann war in Begleitung [15] einer schönen Frau hereingekommen, beide in Abendgarderobe für eine weitere dieser Galas, die jeden Abend im Anschluss an die offiziellen Dinners veranstaltet werden und besser besucht sind als irgendeine der vielen Filmpremieren hier beim Festival in Cannes.

Igor hatte die Frau keines Blickes gewürdigt und sein Gesicht hinter einer französischen Zeitung versteckt (eine russische hätte Verdacht erweckt). Letztlich war diese Vorsichtsmaßnahme überflüssig gewesen, denn Frauen wie sie, die sich für die Königinnen der Welt halten, nehmen ihre Umgebung kaum wahr, sondern sind nur darauf aus, zu glänzen; sie blenden die anderen Frauen bewusst aus – weil deren möglicherweise wertvollerer Schmuck oder exklusivere Kleidung bei ihnen sonst Depressionen, schlechte Laune und Minderwertigkeitskomplexe auslösen.

Ihr elegant gekleideter Begleiter mit den ergrauten Schläfen war an die Bar gegangen und hatte einen Champagner bestellt, der angesagte Drink für eine Nacht, die viele Kontakte, gute Musik und einen wunderbaren Blick aufs Meer und auf die im Hafen ankernden Jachten versprach.

Igor bemerkte, wie respektvoll der Mann sich benahm und dass er sich bei der Bedienung bedankte, als er die Gläser in Empfang nahm, und ein gutes Trinkgeld zurückließ.

Die drei kannten sich. Igor verspürte eine ungeheure Freude, als das Adrenalin in sein Blut schoss. Am nächsten Tag würde er dafür sorgen, dass die Frau von seiner Anwesenheit erfuhr. Irgendwann würden sie einander wieder begegnen.

Und Gott allein wusste, wie diese Begegnung ausgehen würde. In einer Moskauer Kirche war eine Woche lang eine [16] Reliquie der heiligen Magdalena gezeigt worden. Als orthodoxer Christ hatte Igor fünf Stunden lang Schlange gestanden, nur um, als er endlich vor der Reliquie stand, an ihrer Echtheit zu zweifeln. Dennoch hatte er dort vorn ein Gelübde abgelegt und einen Schwur getan. Und jetzt wollte er nicht wortbrüchig werden.

Er hatte zu der Heiligen gebetet, damit sie ihn beschütze und ihm helfe, sein Ziel ohne allzu viele Opfer zu erreichen. Und er hatte gelobt, bei einem bekannten Maler, der in einem Kloster in Nowosibirsk lebte, eine goldene Ikone in Auftrag zu geben, sobald alles vorüber und er wieder in seiner Heimat wäre.

Es ist drei Uhr morgens, und in der Bar des Hotels Martinez riecht es nach Zigaretten und Schweiß. Obwohl Jimmy, der an jedem Fuß einen andersfarbigen Schuh trägt, schon nicht mehr Klavier spielt und die Kellnerin todmüde ist, wollen die Gäste noch immer nicht gehen. Eine Stunde wollen sie unbedingt noch ausharren, denn vielleicht (hoffentlich) passiert ja endlich etwas.

Das Filmfestival von Cannes hat vor vier Tagen begonnen, und noch immer ist nichts passiert. An den verschiedenen Tischen der Bar hoffen alle das Gleiche: irgendeinem der Mächtigen dieser Welt zu begegnen. Die schönen Frauen warten auf einen Produzenten, der sich in sie verliebt und ihnen eine wichtige Rolle in seinem nächsten Film gibt. Ein paar Schauspieler unterhalten sich lachend und tun so, als ginge sie das alles nichts an, haben dabei aber immer den Eingang im Blick.

Jemand wird kommen. Jemand muss kommen. Die [17] jungen Regisseure – den Kopf voller Ideen, ihre Lebensläufe, Seminararbeiten und an der Universität gedrehten Videos in der Tasche – warten auf einen Glücksfall: jemanden, der nach der Rückkehr von einem Fest einen leeren Tisch sucht, einen Kaffee bestellt, eine Zigarette anzündet und gerade offen für ein neues Abenteuer ist.

Wie naiv!

Selbst wenn so einer noch auf einen Nightcap hereinschauen würde, wäre das Letzte, was er hören wollte: »Ich habe hier ein neues Projekt, das noch niemand gemacht hat.« Doch die Verzweiflung täuscht den Verzweifelten. Hin und wieder betreten einige dieser Mächtigen die Bar, werfen einen Blick in die Runde und gehen dann hinauf auf ihre Zimmer. Sie machen sich keine Gedanken. Sie wissen, dass sie nichts zu befürchten haben. Die Mächtigen, die zur Superklasse gehören, sind nachtragend und kennen ihre Grenzen. Man gelangt nicht in ihre Welt, indem man andere austrickst – auch wenn das so kolportiert wird. Sollte es aber tatsächlich etwas Neues, Unerwartetes geben, das zu entdecken lohnt – sei es in der Welt des Films, der Musik, oder der Mode –, dann wird es durch Marktforschung ermittelt und nicht per Zufall in Hotelbars gefunden.

Die Angehörigen der Superklasse, die Reichen und Mächtigen, sind jetzt mit den Mädchen im Bett, die sie bei einer Party aufgetan haben und die alles mitmachen. Oder sie lesen online in den letzten Nachrichten nach, was darin über die Presseerklärung steht, die sie während des Tages abgegeben haben. Sie nehmen die unvermeidliche Schlaftablette und trinken Tee, der Abnehmen ohne Mühen verspricht. Sie füllen die Liste für das Frühstück auf dem [18] Zimmer am nächsten Morgen aus und hängen sie dann über das »Nicht stören«-Schild am Türknauf. Die Angehörigen der Superklasse schließen die Augen und denken dabei: Hoffentlich kann ich schnell einschlafen, morgen habe ich um zehn Uhr einen Termin.

In der Hotelbar wissen alle, dass die Mächtigen im Hotel sind. Und wenn sie dort sind, haben sie selber eine Chance.

Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass die Mächtigen nur mit anderen Mächtigen reden: Sie müssen sich hin und wieder treffen, zusammen essen und trinken, Festivals Glanz verleihen, der Illusion Nahrung geben, dass die Welt des Luxus und des Glamours für alle erreichbar ist, die genügend Mut haben, beharrlich eine Idee zu verfolgen. Sie müssen Kriege verhindern, wenn sie nicht lukrativ sind, und die Aggressivität zwischen Ländern oder Unternehmen anheizen, wenn sie spüren, dass ihnen das mehr Macht und mehr Geld bringen könnte. Sie müssen so tun, als seien sie glücklich, obwohl sie Sklaven ihres eigenen Erfolges geworden sind. Sie müssen darum kämpfen, ihren Reichtum und ihren Einfluss zu mehren, auch wenn sie schon viel von beidem haben. Denn aus Eitelkeit stehen die Angehörigen der Superklasse ständig in Konkurrenz miteinander und schauen immer auf den, der gerade ganz oben steht.

In der Welt der Träume würden die Mächtigen jetzt noch auf ein Glas in der Bar bleiben und mit den Schauspielern, den Regisseuren, Stylisten und Schriftstellern reden, die dort mit vor Müdigkeit geröteten Augen herumsitzen und sich gleichzeitig fieberhaft überlegen, wie sie wieder in ihre gemieteten Zimmer in entlegenen Orten der Umgebung [19] zurückkommen, von denen aus sie am nächsten Morgen erneut zu dem Marathon der Bittstellerei, der Jagd nach Chancen auf ein Treffen und Entgegenkommen aufbrechen.

In der wirklichen Welt aber sind die Mächtigen gerade dabei, ihre E-Mails zu checken, sich darüber zu beklagen, dass die Partys hier in Cannes alle immer gleich sind, dass die Freundin ihres Konkurrenten kostbareren Schmuck getragen hat als ihre eigene und dass dessen Jacht viel prächtiger ist als ihre, und sie fragen sich, wie das nur möglich ist.

Igor hat niemanden, mit dem er sich unterhalten kann, aber er hat auch kein Interesse daran. Der Sieger bleibt allein.

Igor ist der erfolgreiche Besitzer und Geschäftsführer einer Telefongesellschaft in Russland. Er hat schon vor einem Jahr die beste Suite im Martinez reserviert (Mindestreservierungsdauer ist zwölf Tage, unabhängig davon, wie lange man tatsächlich bleibt). Er ist am Nachmittag mit dem Privatjet gelandet, hat ein Bad genommen und ist anschließend hinunter in die Bar gegangen, um die beiden anderen zu sehen.

Eine Zeitlang wurde er von Schauspielerinnen, Schauspielern und Regisseuren gestört, doch er hat sich elegant aus der Affäre gezogen, indem er sagte:

»Don’t speak English, sorry. Polish.«

Oder:

»Don’t speak French, sorry Mexican.«

Jemand hatte versucht, ein paar Worte Spanisch zu sprechen, aber Igor hatte zu einer weiteren List Zuflucht genommen. Er trug Zahlen in ein Heft ein, um weder für einen Journalisten gehalten zu werden (die interessieren alle) [20] noch für einen Menschen, der etwas mit dem Filmbusiness zu tun hat. Neben ihm lag eine russische Wirtschaftszeitung mit einem uninteressanten Manager auf dem Titelblatt.

Die Stammkunden der Bar, die sich etwas auf ihre Menschenkenntnis einbilden, halten Igor für einen dieser Millionäre, die nach Cannes fahren, um sich eine Geliebte zu angeln, und lassen ihn in Frieden. Spätestens nachdem sich der Fünfte unter dem Vorwand an seinen Tisch gesetzt hat, es sei kein anderer Stuhl mehr frei, ist allen klar, dass der einsame Mann nicht ins Film- oder Modebusiness gehört und allerhöchstens als »Parfüm« tauglich ist.

»Parfüm« ist ein Codewort unter Schauspielerinnen und Starlets für hilfreiche Begleiter: »Parfüms« kann man leicht wechseln, und es gibt welche, die sich als wahre Schätze erweisen. »Parfüms« werden von den Schauspielerinnen erst in den letzten Tagen des Festivals angesprochen, wenn sie es aus eigener Kraft nicht geschafft haben, etwas Interessantes oder jemand Interessanten im Filmbusiness aufzutun. Also kann dieser merkwürdige, reich wirkende Mann noch warten. Alle wissen, dass man besser die Bar mit einem Mann verlässt, der sich als Filmproduzent erweisen könnte, als allein zum nächsten Event zu gehen und das immer gleiche Ritual zu wiederholen: trinken, lächeln (vor allem lächeln), so zu tun, als würde man niemanden ansehen, während das Herz schneller schlägt und die Zeit vergeht. Und es bleiben immer noch ein paar Abende mit besonderen Galas, zu denen sie nicht eingeladen wurden, die »Parfüms« aber schon.

Die Schauspielerinnen und Starlets wissen genau, was die »Parfüms« zu ihnen sagen werden, denn sie sagen immer das Gleiche:

[21] a) »Ich kann dein Leben verändern.«

b) »Viele Frauen würden gern an deiner Stelle sein.«

c) »Noch bist du jung, aber denk daran, was in ein paar Jahren sein wird. Jetzt ist der Augenblick, um in die Zukunft zu investieren.«

d) »Ich bin verheiratet, aber meine Frau…« (dieser Satz kann unterschiedlich enden: »ist krank«, »hat gedroht, sich umzubringen, wenn ich sie verlasse« usw.)

e) »Du bist eine Prinzessin und verdienst es, als solche behandelt zu werden. Ich wusste es nicht, aber jetzt wird mir klar, dass ich immer auf dich gewartet habe. Ich glaube nicht an Zufälle, darum sollten wir unserer Beziehung eine Chance geben.«

Das Spiel ist immer das gleiche. Es gilt, ein Maximum an Geschenken aus den »Parfüms« herauszuholen (nach Möglichkeit Schmuck, der verkauft werden kann), Einladungen zu möglichst vielen Partys auf möglichst vielen Jachten (auf denen es möglichst viele Visitenkarten zu ergattern gilt) oder zu den begehrten Formel-1-Rennen, wo wiederum die Mächtigen erscheinen und wo dann vielleicht die große Chance wartet. Der Preis dafür ist, dass man sich unzählige Male die gleiche plumpe Anmache gefallen lassen muss.

»Parfüms« nennen die jungen Schauspieler auch die älteren Millionärinnen mit ihren Schönheitsoperationen und ihrem Botox. Immerhin sind die Millionärinnen intelligenter als die Millionäre, denn sie vertun keine Zeit: Sie treffen erst in den letzten Tagen des Festivals ein und wissen, dass die Macht ihrer Verführung einzig im Geld liegt.

Sie haben nicht die Illusionen der männlichen »Parfüms«, die sich vormachen, dass sie die langbeinigen Mädchen mit [22] den jungen Gesichtern verführen und sie dann nach Gutdünken manipulieren können. Die weiblichen »Parfüms« vertrauen auf die Macht ihrer Brillanten, und nur darauf.

Igor weiß das alles nicht. Er ist zum ersten Mal zum Festival nach Cannes gekommen. Und hat gerade zu seiner Verblüffung festgestellt, dass niemand besonders an Filmen interessiert ist – außer den Leuten in dieser Bar. Er blättert in ein paar Zeitschriften, öffnet einen Briefumschlag und sieht nach, zu welchen Partys ihm seine Firma Einladungen beschafft hat. Vor seiner Abreise nach Frankreich hatte er versucht, Näheres über die Filme zu erfahren, die dort im Wettbewerb gezeigt wurden, und sich gewundert, dass es nur wenige Informationen darüber gab. Bis ein Freund zu ihm gemeint hatte:

»Vergiss die Filme! Cannes ist eine Modenschau.«

Die Mode. Viele Menschen glauben, dass Mode etwas ist, was mit jeder Jahreszeit wechselt. Dass die Festivalbesucher aus allen Ecken der Welt nur hergekommen sind, um ihre Kleider, ihre Juwelen, ihre Schuhsammlungen zu zeigen. Sie haben ja keine Ahnung. Die Mode ist nur eine Art zu sagen: Ich bin Teil deiner Welt. Ich trage die Uniform deiner Armee, schieß nicht in meine Richtung.

Seit Menschen zum ersten Mal in Gruppen in Höhlen zusammenlebten, ist die Mode eine Sprache, die alle verstehen, auch wenn sie einander nicht kennen: Wir ziehen uns auf die gleiche Art an und signalisieren so, dass wir zum selben Stamm gehören. Als Angehörige eines Stammes kämpfen wir gegen andere Stämme, und so überleben wir.

[23] Heute glauben manche, die Mode sei alles. Alle sechs Monate geben sie ein Vermögen aus, um ein winziges Detail an ihrem Kleidungsstil zu ändern und so weiterhin zum exklusiven Stamm der Reichen zu gehören. Bei einem Besuch im Silicon Valley, wo die Milliardäre der Informationsindustrie Plastikuhren und abgewetzte Hosen tragen, würden sie eine ganz andere Welt kennenlernen. Dort scheinen alle derselben Gesellschaftsschicht anzugehören, keiner interessiert sich für Diamanten, Krawattenmarken, Aktenkoffermodelle. Krawatten und Aktenkoffer gibt es im Übrigen in jener Welt überhaupt nicht, obwohl sie nicht weit von Hollywood liegt, dieser mächtigen Bilderfabrik, die es immer noch schafft, naive Menschen glauben zu lassen, dass Haute-Couture-Kleider, Diamantcolliers, riesige Limousinen wichtig seien. Und wer hätte, wo die Klatschblätter voll davon sind, ein Interesse daran, dieser milliardenschweren Industrie den Garaus zu machen, die immer neue unnötige Trends lanciert und immer gleiche Cremes nur mit anderen Etiketts versieht.

Lächerliche Kreaturen. Igor kann seinen Abscheu nicht verhehlen, den er denjenigen gegenüber empfindet, die Millionen von arbeitsamen, ehrlichen Männern und Frauen ständig neue unnötige Produkte andrehen wollen: Menschen, die einfach nur ihren Alltag meistern wollen.

Perverse Kreaturen. Überall auf der Welt versammeln sich Familien um den Abendbrottisch, alles scheint in Ordnung zu sein. Aber dann tritt per Fernsehen die Superklasse in ihr Leben und will ihnen unrealistische Träume von Luxus, Schönheit und Macht verkaufen. Und bedroht damit die Familie.

[24] Väter verbringen dann schlaflose Nächte mit Überstunden, um dem Sohn das neue Turnschuhmodell kaufen zu können, weil dieser sonst in der Schule zum Außenseiter gestempelt wird. Ehefrauen sind frustriert, weil andere Frauen Markenklamotten tragen, die sie sich selbst nicht leisten können. Jugendliche kennen die wahren Werte von Glauben und Hoffnung nicht mehr und wollen Superstar werden. Die jungen Mädchen vom Land wollen wie die Stars leben und in die große Stadt gehen, wo sie alles, wirklich alles tun, um ein Stückchen Luxus zu ergattern. Eine Welt, die sich um Gerechtigkeit kümmern sollte, kreist um etwas Materielles, das schon in einem halben Jahr nicht mehr angesagt ist und durch etwas anderes ersetzt werden muss, und so kann sich der Zirkus jener verachtenswerten Kreaturen, die sich jetzt in Cannes tummeln, weiterhin an der Spitze der Welt halten.

Igor lässt sich selbstverständlich nicht von dieser zerstörerischen Macht beeinflussen. Er hat immer noch eine Arbeit, um die er zu beneiden ist. Er verdient immer noch mehr Geld am Tag, als er in einem Jahr ausgeben kann, auch wenn er sich vornehmen würde, sich alle nur erdenklichen legalen und illegalen Genüsse zu erlauben. Er hat keine Schwierigkeiten, eine Frau zu verführen, noch bevor sie weiß, ob er ein reicher Mann ist oder nicht – das hat er schon viele Male ausprobiert, und es hat immer geklappt. Er ist gerade 40 geworden, ist gesundheitlich fit. Bei seinem jährlichen Check-up ist wieder mal nichts gefunden worden. Er hat keine Schulden. Er hat es nicht nötig, bestimmte Designerlabels zu tragen oder in angesagten Restaurants zu verkehren, die Ferien an dem Strand zu verbringen, »an den alle [25] fahren«, und er muss auch nicht ein bestimmtes Uhrenmodell kaufen, nur weil ein erfolgreicher Sportler dazu rät. Er kann wichtige Verträge mit einem Kugelschreiber unterschreiben, der nur wenige Cent gekostet hat, bequeme Jacketts tragen, die in einem kleinen Laden neben seinem Büro ohne irgendein sichtbares Etikett mit der Hand angefertigt werden.

Vielleicht liegt gerade darin das Problem: Seine Arbeit begeistert ihn. Und er glaubt zu wissen, dass aus ebendiesem Grund die Frau, die vor ein paar Stunden in die Bar gekommen war, nicht an seinem Tisch sitzt.

Er hängt weiter seinen Gedanken nach. Bestellt bei Kristelle noch einen Whisky – er kennt den Namen der Kellnerin, weil sie vor einer Stunde, als noch nicht so viel los war (weil die meisten anderen Gäste noch anderswo beim Dinner saßen) und er seinen ersten Whisky bestellte, zu ihm gesagt hatte, er wirke traurig, ob er nicht zur Aufmunterung etwas essen wolle. Er hatte sich für ihre Fürsorglichkeit bedankt und sich darüber gefreut, dass jemandem sein Wohlergehen am Herzen lag.

Vielleicht ist er ja der Einzige, der weiß, wie die Bedienung heißt. Die anderen Gäste interessieren sich bestimmt nur für die Namen und die berufliche Stellung der Gäste an den Tischen oder in den Lehnsesseln.

Inzwischen ist es schon nach drei Uhr morgens – und die schöne Frau und der höfliche Mann, der ihm im Übrigen sehr ähnlich sieht, sind nicht wieder aufgetaucht. Sie sind vermutlich direkt aufs Zimmer gegangen und lieben sich jetzt, vielleicht trinken sie aber auch noch Champagner auf [26] einer der Jachten, auf denen die Partys erst losgehen, wenn sie überall sonst zu Ende gegangen sind. Vielleicht aber liegen die beiden auch nur Seite an Seite im Bett, lesen Zeitschriften und schauen einander nicht an.

Das ist unwichtig. Igor ist allein, müde, er muss schlafen.

[27] 7Uhr22

Igor wacht um 7Uhr22 auf. Er hätte gern länger geschlafen, aber sein Körper hatte noch nicht genug Zeit, sich an den Zeitunterschied zwischen Moskau und Paris zu gewöhnen. Zu Hause in Moskau hätte er jetzt bereits zwei oder drei Besprechungen mit seinen Mitarbeitern hinter sich und würde gerade aufbrechen, um einen weiteren Kunden zum Arbeitsfrühstück zu treffen.

Doch hier in Cannes erwartet ihn eine andere Aufgabe: Er muss einen Menschen finden, den er im Namen der Liebe opfern kann. Er braucht ein Opfer. Ewa soll noch an diesem Vormittag seine Botschaft erhalten.

Er nimmt ein Bad, geht hinunter, frühstückt in einem fast leeren Restaurant und macht dann einen Spaziergang auf der Croisette, der Uferstraße, an der die Luxushotels liegen. Es herrscht kein Verkehr – eine Fahrspur ist gesperrt, und nur Wagen mit offizieller Genehmigung dürfen sie befahren. Die andere Fahrspur ist leer, weil die Einheimischen noch nicht zur Arbeit aufgebrochen sind.

Er fühlt keinen Groll – die schwierigste Phase, in der er vor lauter Schmerz und Hass nicht schlafen konnte, ist bereits überwunden. Heute kann er Ewa verstehen: Letztlich ist Monogamie ein Mythos, der dem Menschen von jeher eingetrichtert worden ist. Er hat viel darüber gelesen: Die [28] Neigung zum Seitensprung hat nichts mit Hormonüberschuss oder Eitelkeit zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine genetische Veranlagung, wie sie praktisch bei jedem Tier zu finden ist. Die Studien irren nicht: Wissenschaftler haben bei Vaterschaftstests an Vögeln, Affen, Füchsen herausgefunden, dass diese Tierarten soziale Verbindungen entwickelt haben, die der menschlichen Ehe sehr ähnlich sind, was allerdings nicht bedeutet, dass die jeweiligen Partner einander treu sind. In siebzig Prozent der Fälle sind die Nachkommen Bastarde. Igor erinnert sich an die Studie eines Professors für Psychologie an der University of Washington in Seattle, David Barash. Darin heißt es in etwa: Es wird immer behauptet, dass nur die Schwäne treu sind, aber sogar das ist eine Lüge. Die einzige vollkommen monogame Spezies ist eine Amöbe, das Diplozoon paradoxum. Männchen und Weibchen begegnen einander im Jugendalter und ihre Körper vereinigen sich zu einem einzigen Organismus. Alle anderen Gattungen können ihren Partner betrügen.

Daher kann er Ewa keine Vorwürfe machen – sie hat nur dem Trieb nachgegeben. Da sie aber nach gesellschaftlichen Konventionen erzogen worden ist, die natürliche Regungen verdammen, wird sie sich in diesem Augenblick schuldig fühlen und denken, dass er sie nicht mehr liebt, ihr nie verzeihen wird.

Ganz im Gegenteil: Er ist zu allem bereit, sogar dazu, ihr Botschaften zu schicken, selbst wenn diese Botschaften die Nachricht von der Zerstörung einer Welt, vom Tode anderer Menschen sind, nur damit sie versteht, dass er sie nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern dass er auch die Vergangenheit begraben und ihr nie Fragen stellen wird.

[29] Er trifft auf eine junge Frau, die ihre Waren vor sich auf dem Bürgersteig ausgebreitet hat. Kunsthandwerk von zweifelhaftem Geschmack.

Die Nachricht von ihrem Tod wird die Botschaft sein, die er Ewa schicken muss und die diese ganz bestimmt verstehen wird. Bevor er näher tritt, betrachtet er die junge Frau zärtlich. Sie weiß nicht, dass ihre Seele bald schon im Himmel sein wird und sie, wenn alles gutgeht, für immer von dieser idiotischen Arbeit befreit sein wird, die ihr niemals erlauben würde, dorthin zu gelangen, wohin sie in ihren Träumen möchte.

»Wie viel kostet das?«, fragt er in fließendem Französisch.

»Was hätten Sie gern?«

»Alles.«

Die junge Frau, die kaum älter wirkt als zwanzig, lächelt.

»Den Vorschlag höre ich nicht zum ersten Mal. Der nächste Schritt wird sein: ›Wollen Sie mit mir spazieren gehen? Sie sind zu hübsch, um hier Kunsthandwerk zu verkaufen. Ich bin –‹«

»Nein, so bin ich nicht. Ich arbeite nicht in der Filmbranche. Ich will aus Ihnen keine Schauspielerin machen und auch nicht Ihr Leben verändern. Auch die Waren, die Sie verkaufen, interessieren mich nicht. Ich möchte mich nur unterhalten, und das können wir an Ort und Stelle tun.«

Die junge Frau wendet den Kopf ab.

»Meine Eltern stellen diese Dinge her, und ich bin stolz auf ihre Arbeit. Eines Tages wird jemand vorbeikommen und deren Wert erkennen. Gehen Sie einfach weiter, es kann doch nicht so schwer sein, jemand anderen zu finden, der Ihnen zuhört.«

[30] Igor zieht ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und legt sie freundlich neben sie.

»Verzeihen Sie mir, wenn ich unhöflich war. Ich habe das nur gesagt, um den Preis herunterzuhandeln. Freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Igor Dalev. Ich bin gestern aus Moskau angekommen und wegen des Jetlags noch etwas durcheinander.«

»Ich heiße Olivia«, sagt die junge Frau und tut so, als würde sie die Lüge glauben.

Ohne um Erlaubnis zu bitten, setzt er sich neben sie auf die Parkbank. Sie rückt etwas zur Seite.

»Worüber wollen Sie denn reden?«

»Nehmen Sie erst mal das Geld!«

Olivia zögert, blickt um sich und sieht, dass es keinen Grund gibt, sich zu fürchten. Auf der freigegebenen Fahrspur herrscht jetzt reger Verkehr, junge Leute sind auf dem Weg zum Strand. Auf der Uferpromenade nähert sich ein altes Ehepaar. Olivia steckt das Geld, ohne es zu zählen, in ihre Tasche.

»Danke, dass Sie mein Angebot angenommen haben«, sagt der Russe. »Worüber ich reden möchte? Ehrlich gesagt, über nichts Besonderes.«

»Sie werden vermutlich einen Grund haben, zur Festivalzeit hier zu sein. Dann ist Cannes für die Einheimischen und auch für die normalen Touristen nämlich ziemlich unerträglich.«

Igor blickt aufs Meer und zündet sich eine Zigarette an.

»Rauchen ist gefährlich.«

Er überhört den Kommentar.

»Worin besteht für Sie der Sinn des Lebens?«, fragt er.

[31] »Darin zu lieben.«

Olivia lächelt. Das war eine großartige Art und Weise, den Tag zu beginnen – über etwas Tiefsinnigeres als über den Preis von Kunsthandwerk zu sprechen.

»Und worin besteht für Sie der Sinn des Lebens?«

»Nun, ebenfalls darin, zu lieben. Als ich so alt war wie Sie, war es mir auch wichtig, Geld zu verdienen, um meinen Eltern zu zeigen, dass ich Erfolg haben konnte. Ich habe es geschafft, und heute sind sie stolz auf mich. Ich habe die vollkommene Frau gefunden und geheiratet, hätte gern Kinder mit ihr, möchte ein gottesfürchtiges Leben führen.«

Olivia fand es zu heikel, zu fragen, warum er noch keine Kinder habe.

»Wir haben mit dem Gedanken gespielt, ein Kind zu adoptieren. Zwei oder drei Jahre haben wir darüber nachgedacht. Aber dann wurde unser Leben sehr umtriebig – Reisen, Partys, geschäftliche Meetings.«

»Als Sie sich vorhin neben mich auf die Bank gesetzt haben, dachte ich, Sie seien einer dieser exzentrischen Millionäre auf der Suche nach einem Abenteuer. Aber es ist nett, sich mit Ihnen zu unterhalten.«

»Denken Sie an Ihre Zukunft?«

»Wenn ich es recht bedenke, sind meine Träume ganz ähnlich wie Ihre. Ich möchte natürlich auch Kinder haben.«

Sie macht eine Pause. Sie will ihren unverhofften Gesprächspartner nicht verletzen.

»…ich meine, wenn möglich. Manchmal hat Gott ja andere Pläne.«

Er scheint ihre Antwort nicht gehört zu haben.

[32] »Kommen nur Millionäre zum Festival?«, fragt er.

»Millionäre, viele Leute, die so tun, als wären sie’s, oder solche, die’s werden wollen. In diesen Tagen gleicht Cannes einem Irrenhaus, alle tun sich wichtig – außer den wirklich wichtigen Leuten, die sind freundlicher, die müssen niemandem etwas beweisen. Sie kaufen mir nicht immer etwas ab, aber sie lächeln wenigstens, sagen ein paar freundliche Worte und behandeln mich respektvoll. – Und was führt Sie hierher?«

»Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen. Was aber ist die Welt? Sie ist das, was Sie und ich sehen. Jedes Mal, wenn ein Mensch stirbt, stirbt auch ein Teil des Universums. Alles, was dieser Mensch gefühlt, erfahren, betrachtet hat, verschwindet mit ihm, genauso wie Tränen im Regen.«

»›Wie Tränen im Regen‹, ja, ich habe einmal einen Film gesehen, in dem dieser Satz vorkam. Ich weiß aber nicht mehr, wie der Film hieß.«

»Ich bin nicht zum Weinen hergekommen. Ich bin gekommen, um der Frau, die ich liebe, Botschaften zu schicken. Und dazu muss ich ein paar Welten zerstören.«

Anstatt über diese Bemerkung zu erschrecken, lacht Olivia. Dieser gutaussehende, gut gekleidete, fließend Französisch sprechende, etwa 40-jährige Mann wirkt keineswegs verrückt. Sie hat es satt, immer dieselben Sätze zu hören: Du bist sehr hübsch, du könntest ein besseres Leben haben, was kostet dies, was kostet das, das ist wahnsinnig teuer, ich drehe noch eine Runde und komme dann wieder (was natürlich nie passierte), und so weiter und so fort. Dieser Russe hat wenigstens Humor.

»Und weshalb eine Welt zerstören?«

[33] »Um meine aufzubauen.«

Olivia könnte jetzt versuchen, den Mann zu trösten. Aber sie hat Angst, den berühmten Satz zu hören: ›Ich möchte, dass du meinem Leben einen Sinn gibst.‹ Dann würde sie das Gespräch sofort abbrechen, denn ihre Zukunftspläne sehen anders aus. Außerdem wäre es völlig idiotisch, zu versuchen, einem älteren, erfolgreichen Mann Tipps zu geben, wie er seine Probleme lösen soll.

Sie muss mehr über sein Leben erfahren. Schließlich hat er – und wahrlich gut – für ihre Zeit bezahlt.

»Und wie wollen Sie das machen?«

»Was wissen Sie über Frösche?«

»Frösche?«

Er fährt fort:

»Verschiedene biologische Untersuchungen zeigen, dass ein Frosch, den man in einen Behälter tut, in dem sich Wasser aus seinem Habitat befindet, während der ganzen Zeit, in der wir selbiges Wasser erhitzen, hochzufrieden ist. Der Frosch reagiert nicht auf das allmähliche Ansteigen der Temperatur, die Veränderungen seines Umfeldes, und stirbt, aufgebläht und glücklich, wenn das Wasser kocht.

Dagegen springt ein Frosch, der ins kochende Wasser geworfen wird, angeblich sofort wieder heraus. Halb verbrüht – aber lebendig!«

Olivia versteht nicht recht, was dies mit der Zerstörung der Welt zu tun haben soll. Igor fährt fort:

»Ich habe mich genau wie so ein Frosch aufgeführt, der allmählich verkocht. Ich dachte, alles sei in Ordnung, das, was nicht gut war, würde schon vorbeigehen, es wäre nur eine Frage der Zeit. Ich war bereit zu sterben, weil ich das [34] Wichtigste in meinem Leben verloren hatte, und anstatt zu reagieren, trieb ich apathisch im Wasser, das mit jeder Minute heißer wurde.«

Olivia fasst sich ein Herz und fragt:

»Was haben Sie verloren?«

»Eigentlich habe ich gar nichts verloren. Es gibt Augenblicke, in denen das Leben Menschen trennt, damit sie begreifen, wie wichtig sie füreinander sind. Gestern habe ich meine Frau mit einem anderen Mann gesehen. Ich weiß, dass sie mich noch liebt, dass sie zurückkommen möchte und nur nicht den Mut dazu hat. Es gibt verkochte Frösche, die immer noch glauben, nicht Kompetenz sei das Wichtigste, sondern Gehorsam. Nach dem Motto: Wer kann, befiehlt, und wer vernünftig ist, gehorcht. Und wo bleibt bei alldem das wahre Leben? Es ist besser, halb verbrüht aus einer Situation herauszuspringen, aber dafür lebendig zu sein, bereit zu neuen Taten.

Und ich bin sicher, dass Sie mir bei dieser Aufgabe helfen können.«

Olivia versucht sich vorzustellen, was im Kopf des Mannes vor sich geht. Wie konnte jemand einen Menschen verlassen, der so interessant wirkte, Sachen erzählte, von denen sie noch nie gehört hatte? Nun, in der Liebe gibt es keine Logik – das wusste sie trotz ihrer Jugend. Ihr Freund beispielsweise mochte brutal sein, sie hin und wieder grundlos schlagen, und dennoch konnte sie keinen Tag lang ohne ihn sein.

Worüber hatten sie gerade noch gesprochen? Ach ja, über Frösche. Und darüber, dass sie ihm helfen könnte. Das kann [35] sie selbstverständlich nicht, daher ist es besser, das Thema zu wechseln.

»Und wie wollen Sie die Welt zerstören?«

Igor zeigt auf die freie Fahrspur auf der Croisette.

»Nehmen wir einmal an, ich möchte nicht, dass Sie zu einer Party fahren, kann das aber nicht offen ansprechen. Wenn ich im Stau feststecke und meinen Wagen mitten auf der Fahrbahn stehen lasse, bringe ich den ganzen Verkehr auf der Croisette binnen zehn Minuten zum Erliegen. Die anderen Fahrer denken dann vermutlich: ›Es wird einen Unfall gegeben haben‹ und werden ungeduldig. Und eine Viertelstunde später rückt die Polizei mit einem Abschleppwagen an.«

»Das ist schon Hunderte von Malen passiert«, gibt sie lächelnd zurück.

»Aber ich wäre ausgestiegen und hätte Nägel vor dem Wagen verteilt. In dem Augenblick, in dem der Abschleppwagen heranfährt, sind seine Reifen platt. Jetzt haben wir zwei Probleme, und der Stau breitet sich allmählich bis in die Vorstädte aus, wo Sie vermutlich wohnen.«

»Eine sehr kreative Idee. Aber damit würden Sie nur erreichen, dass ich mich um eine Stunde verspäte.«

Nun ist Igor mit Lächeln dran.

»Ich könnte stundenlang darüber reden, wie man das Problem noch ausweiten könnte – wenn sich beispielsweise Leute zusammentun würden, um zu helfen, könnte ich eine kleine Rauchbombe unter den Abschleppwagen werfen, und alle würden vor Schreck davonrennen. Ich würde mit entsetztem Gesichtsausdruck in meinen Wagen springen und so tun, als ließe ich den Motor an, doch gleichzeitig [36] würde ich Feuerzeugbenzin auf die Fußmatte im Wagen schütten und es anzünden. Ich hätte genug Zeit, aus dem Wagen zu springen und mir aus sicherer Distanz anzusehen, was passiert: wie sich das Feuer im Wagen ausbreitet, den Tank erreicht, der daraufhin explodiert, wie die Explosion den dahinterstehenden Wagen erfasst – und die darauffolgende Kettenreaktion. Alles, indem ich nur einen Wagen, ein paar Nägel und eine Rauchbombe benutze, deren Bestandteile man in jedem Laden kaufen kann, und eine kleine Dose Feuerzeugbenzin…«

Igor zieht ein Reagenzglas mit etwas Flüssigkeit darin aus der Tasche.

»…die etwa so groß ist wie das hier. Das hätte ich tun sollen, als ich merkte, dass Ewa fortgehen würde. Ich hätte sie dazu bringen müssen, ihren Entschluss aufzuschieben und die Folgen zu überdenken. Wenn Menschen eine Entscheidung überdenken, überlegen sie es sich meistens anders – denn um Entscheidungen in die Tat umzusetzen, braucht es viel Mut.

Aber ich war stolz – und felsenfest davon überzeugt, dass sie es sich anders überlegen würde. Wie gesagt, ich bin mir sicher, dass sie ihre Entscheidung inzwischen bereut und zurückkommen möchte. Aber dazu wird es notwendig sein, dass ich ein paar Welten zerstöre.«

Sein Gesichtsausdruck hat sich verändert, und Olivia findet die Geschichte jetzt überhaupt nicht mehr lustig. Sie steht auf.

»So – ich muss jetzt wieder an die Arbeit.«

»Aber ich habe Sie bezahlt, damit Sie mir zuhören. Ich habe genug für einen ganzen Arbeitstag bezahlt.«

[37] Sie steckt die Hand in die Tasche, um das Geld, das er ihr gegeben hat, herauszuholen, und als sie den Blick hebt, sieht sie die auf ihr Gesicht gerichtete Pistole.

»Los, hinsetzen!«

Ihr erster Gedanke ist wegzulaufen. Ein altes Ehepaar kommt langsam näher.

»Laufen Sie nicht weg!«, sagt er, als könnte er ihre Gedanken lesen. »Ich habe nicht vor zu schießen, wenn Sie sich wieder setzen und mich zu Ende anhören. Wenn Sie tun, was ich sage, werde ich nicht schießen, das schwöre ich.«

Olivia gehen rasend schnell verschiedene Fluchtmöglichkeiten durch den Kopf: Im Zickzack wegrennen, das ist ihr erster Gedanke, doch sie hat ganz weiche Knie.

»Hinsetzen!«, wiederholt der Mann. »Wenn Sie tun, was ich sage, schieße ich nicht, versprochen!«

Es wäre allerdings auch blanker Wahnsinn, hier an diesem sonnigen Morgen mit einer Pistole herumzuschießen, während der Verkehr, der sich an ihnen vorbeischiebt, immer dichter wird, während immer mehr Leute an ihrer Parkbank vorbei zum Strand gehen und andere auf der Uferpromenade auf und ab flanieren. Da tut sie besser, was der Mann sagt – einfach, weil ihr gar nichts anderes übrigbleibt. Sie hat das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.

Sie gehorcht. Nun muss sie den Mann davon überzeugen, dass sie keine Bedrohung darstellt, sich die Klagen eines verlassenen Ehemanns weiter anhören, ihm versprechen, dass sie niemandem verraten wird, dass er eine Pistole hat, und sobald ein Streifenpolizist auf seiner üblichen Runde auftaucht, um Hilfe rufen.

»Ich weiß genau, was Sie fühlen«, versucht die Stimme [38] des Mannes sie zu beruhigen. »Die Symptome der Angst sind von jeher dieselben. Sie waren schon so, als die Menschen sich wilden Tieren stellen mussten, und sie sind es bis heute geblieben: Der Mensch erblasst, das Blut weicht aus der Haut, was den Körper schützt, weil so Blutungen vermieden werden. Die Eingeweide entleeren sich, was verhindert, dass giftige Stoffe in den Blutkreislauf gelangen. Der Körper ist wie gelähmt und bewegt sich nicht, um das wilde Tier nicht zu reizen und zu verhindern, dass es ihn bei der kleinsten verdächtigen Bewegung anfällt.«

›Ich träume das alles nur‹, denkt Olivia. An diesem Morgen wären eigentlich ihre Eltern mit Verkaufen dran gewesen, doch sie hatten die ganze Nacht Schmuckstücke hergestellt, weil der nächste Tag viel Kundschaft versprach, und da war Olivia eingesprungen. Vor ein paar Stunden hatte sie noch mit ihrem Freund geschlafen, den sie für den Mann ihres Lebens hielt, obwohl er sie hin und wieder misshandelte. Beide hatten gleichzeitig ihren Orgasmus gehabt, was schon lange nicht mehr vorgekommen war. Nach dem Frühstück war sie in ihre Kleider geschlüpft und hatte sich frei gefühlt, voller Energie und glücklich.

›Nein, nein, ich bilde mir das alles nur ein. Am besten tue ich so, als wäre ich ganz ruhig.‹

»Lassen Sie uns reden! Sie haben die ganze Ware gekauft, also unterhalten wir uns. Ich wollte doch gar nicht weggehen.«

Er drückt der jungen Frau diskret den Lauf der Waffe in die Rippen. Das alte Ehepaar hat inzwischen die Parkbank erreicht, schaut die beiden an, bemerkt nichts. Da sitzt die Tochter des Portugiesen und versucht wieder mal, die [39] Männer mit ihren dichten Augenbrauen und ihrem kindlichen Lächeln zu beeindrucken, denken sie vermutlich. Ein reicher Tourist, der Kleidung nach zu urteilen.

Olivia starrt die beiden Alten an, als wollte sie ihnen mit ihren Blicken etwas sagen. Der Mann, der neben ihr auf der Parkbank sitzt, sagt ihnen fröhlich guten Tag.

Aber das Ehepaar geht wortlos weiter – sie sprechen nicht mit Fremden oder Straßenhändlerinnen.

»Ja, lassen Sie uns reden«, bricht der Russe das Schweigen. »Diese Geschichte mit dem Verkehr werde ich selbstverständlich nicht in die Tat umsetzen, das war nur ein Beispiel. Meine Frau wird erfahren, dass ich hier bin, wenn sie die ersten Botschaften erhält. Ich werde nicht das Nächstliegende tun, nämlich zu ihr gehen – sie soll zu mir kommen.«

Das könnte ein Ausweg sein, denkt Olivia.

»Ich könnte die Botschaften überbringen, wenn Sie wollen. Sie brauchen mir nur zu sagen, in welchem Hotel sie abgestiegen ist.«

Der Mann lacht.

»Sie machen den gleichen Fehler wie viele in Ihrem Alter: Sie halten sich für schlauer als alle anderen. Kaum wären Sie hier weg, würden Sie doch sofort zur Polizei gehen!«

Ihr gefriert das Blut in den Adern. Würden sie etwa den ganzen Tag auf dieser Bank sitzen? Würde er nicht so oder so schießen, weil sie ja jetzt sein Gesicht kannte?

»Sie haben gesagt, dass Sie nicht schießen werden.«

»Ich habe versprochen, es nicht zu tun, wenn Sie sich wie ein erwachsener Mensch benehmen, der mich nicht für dumm verkauft.«

Okay. Sie wird sich wie ein erwachsener Mensch [40] benehmen, etwas von sich erzählen und damit an sein Mitgefühl appellieren, denn selbst ein Verrückter ist davon nicht ganz frei. Sie wird ihm erklären, dass sie in einer ähnlichen Lage ist wie er, obwohl das nicht stimmt.

Ein Junge rennt vorbei, die Hörer seines iPods im Ohr. Er würdigt die beiden keines Blicks.

»Ich lebe mit einem Mann zusammen, der mir das Leben zur Hölle macht, und dennoch kann ich mich nicht von ihm lösen.«

Igors Blick verändert sich.

Olivia glaubt, einen Ausweg gefunden zu haben. ›Jetzt muss ich klug agieren, darf ihn nicht merken lassen, wie ausgeliefert ich mich fühle. Wahrhaftig sein.‹

»Er hält mich von meinen Freunden fern. Er ist ständig eifersüchtig, obwohl er selbst fremdgeht. Er kritisiert alles, was ich tue, wirft mir vor, ich hätte überhaupt keinen Ehrgeiz. Das wenige Geld, das ich als Kommission für den Verkauf des Schmucks verdiene, kassiert er.«

Der Russe blickt schweigend aufs Meer. Die Strandpromenade füllt sich mit Menschen. Was würde geschehen, wenn sie jetzt einfach aufstehen und wegrennen würde? Würde er tatsächlich schießen? War es eine echte Waffe?

Sie ist sich sicher, ein Thema angesprochen zu haben, das seine Anspannung ein wenig lösen kann. Jetzt bloß nichts Verrücktes tun und damit alles aufs Spiel setzen – den Blick und die Stimme von vor ein paar Minuten hat sie nicht vergessen.

»Dennoch schaffe ich es nicht, ihn zu verlassen. Auch wenn der beste, reichste, großzügigste Mann der Welt auftauchen würde, meinen Freund würde ich gegen niemanden [41] eintauschen. Ich bin keine Masochistin, ich genieße es nicht, ständig erniedrigt zu werden – aber ich liebe ihn.«

Sie spürt erneut den Druck der Waffe an ihren Rippen. Sie hat das Falsche gesagt.

»Ich bin nicht wie dieser Mistkerl von Ihrem Freund!« In seiner Stimme schwingt blanker Hass mit. »Ich habe hart gearbeitet, um mir meine jetzige Existenz aufzubauen. Ich habe viele Rückschläge einstecken müssen. Ich habe ehrlich gekämpft, obwohl ich manchmal hart und unbarmherzig sein musste.

Außerdem war ich immer ein guter Christ. Habe einflussreiche Freunde und war niemals undankbar. Kurz und gut, ich habe alles richtig gemacht.

Ich bin nicht über Leichen gegangen. Habe meine Frau immer darin unterstützt, das zu tun, was sie wollte. Und was habe ich jetzt davon? Ich bin allein. Na ja! Ich habe in einem idiotischen Krieg Menschen getötet, aber nie das Gefühl für die Realität verloren. Ich bin kein traumatisierter Kriegsveteran, der ein Restaurant betritt und mit seiner Maschinenpistole wild um sich schießt. Ich bin kein Terrorist. Ich könnte denken, das Leben sei mir gegenüber ungerecht gewesen, weil es mir das Allerwichtigste genommen hat: die Liebe. Aber es gibt andere Frauen, und Liebesschmerz geht immer vorüber. Ich muss handeln, ich habe es satt, ein Frosch in einem Topf mit Wasser zu sein, das sich ganz allmählich erhitzt.«

»Wenn Sie wissen, dass es andere Frauen gibt, wenn Sie wissen, dass der Schmerz vorübergeht, warum leiden Sie dann so?«

Ja, sie benahm sich wie eine Erwachsene – und war selbst [42] überrascht, mit welcher Gelassenheit sie versuchte, den Verrückten neben sich in Schach zu halten.

Er scheint zu zögern.

»Darauf weiß ich keine Antwort. Vielleicht, weil ich schon viele Male verlassen worden bin. Vielleicht, weil ich mir selber beweisen muss, dass ich es kann. Vielleicht, weil ich gelogen habe und es für mich keine andere Frau gibt, sondern nur die eine. Außerdem – ich habe einen Plan.«

»Was für einen Plan?«

»Das sagte ich Ihnen bereits. Ich werde ein paar Welten zerstören, bis Ewa endlich merkt, wie wichtig sie für mich ist. Dass ich jedes Risiko eingehen werde, um sie zurückzubekommen.«

Die Polizei!

Beide bemerken einen sich nähernden Polizeiwagen.

»Verzeihung«, sagt der Mann. »Ich hatte eigentlich vor, mich noch etwas länger mit Ihnen zu unterhalten. Auch zu Ihnen ist das Leben nicht gerecht.«

Olivia begreift, dass dies das Todesurteil ist. Und da sie nun nichts mehr zu verlieren hat, macht sie Anstalten, aufzustehen. Aber der Fremde legt ihr sanft den Arm um die Schulter.

Samozashchita Bez Orujiy oder unter Russen besser als Sambo bekannt, ist die Kunst, schnell mit den Händen zu töten, ohne dass das Opfer merkt, was passiert. Sambo wurde über Jahrhunderte von Völkern und Stämmen entwickelt, die sich ohne Waffen gegen Invasoren wehren mussten. Der Sowjetapparat hat es in großem Stil eingesetzt, um Menschen zu eliminieren, ohne Spuren zu hinterlassen. 1980 wurde versucht, Sambo als Kampfsportart bei der [43] Olympiade in Moskau einzuführen, doch trotz aller Bemühungen der Kommunisten, eine Sportart ins olympische Programm aufzunehmen, die nur sie selbst beherrschten, scheiterte der Versuch, weil Sambo als zu gefährlich eingeschätzt wurde.

Umso besser, denn dadurch waren die Griffe in Westeuropa fast unbekannt.

Igors Daumen der rechten Hand drückt auf Olivias Halsschlagader, was die Blutzufuhr zum Hirn unterbricht. Gleichzeitig presst er mit der anderen Hand einen bestimmten Punkt in der Nähe der Achseln, was eine Lähmung der Muskulatur hervorruft. Es gibt keine Kontraktionen. Jetzt muss er nur noch zwei Minuten warten.

Für ein unbeteiligtes Auge muss es so aussehen, als wäre Olivia in Igors Armen eingeschlafen. Der Polizeiwagen fährt hinter ihnen auf der für den Verkehr gesperrten Fahrspur vorbei. Die Beamten beachten das eng umschlungen dasitzende Paar nicht. Sie haben gerade eine Funkmeldung erhalten. Offenbar war drei Kilometer weiter ein betrunkener Millionär mit seiner Limousine irgendwo aufgefahren.

Igor versichert sich, dass niemand in der Nähe ist, dann legt er Olivias reglosen Körper behutsam auf die Bank. Die junge Frau sieht aus, als schliefe sie und träumte – einen Traum oder einen Alptraum, von einem schönen Tag oder von ihrem gewalttätigen Freund.

Nur das alte Ehepaar hat Igor und Olivia zusammen gesehen. Und wenn herauskommen sollte, dass es sich um ein Verbrechen handelte – was Igor für unwahrscheinlich hält, weil es keine sichtbaren Spuren gibt –, wären die beiden Alten kaum imstande, ihn der Polizei näher zu beschreiben und sich darauf zu einigen, ob er nun blond oder [44] schwarzhaarig, jung oder schon älter gewesen war. Im Übrigen besteht ohnehin kein Grund zur Sorge, denn die meisten achten nicht auf das, was um sie herum geschieht.

Bevor Igor davongeht, küsst er die schöne Schlafende und murmelt:

»Sehen Sie, ich habe mein Versprechen gehalten. Ich habe nicht geschossen.«

Nach ein paar Schritten überfallen ihn rasende Kopfschmerzen. Das ist ganz normal: Das Blut überschwemmt das Hirn, was bei jemandem, der sich gerade von einer ungeheuren Anspannung befreit hat, durchaus nichts Außergewöhnliches ist.

Trotz der Kopfschmerzen ist er glücklich. Ja, er hat es geschafft, und er ist umso glücklicher, als er zudem noch diese Seele von dem schwachen Körper befreit hat, der sich gegen die Misshandlungen eines Feiglings nicht wehren konnte. Hätte diese krankhafte Beziehung fortbestanden, wäre die junge Frau bald darauf in Depressionen und Angstzustände gefallen, hätte ihr Selbstwertgefühl verloren und wäre immer abhängiger von ihrem Freund geworden.

Bei Ewa verhielt es sich vollkommen anders. Sie hatte immer alle Entscheidungen selber treffen und auf Igors moralische und finanzielle Unterstützung zählen können, auch als sie ihr Haute-Couture-Geschäft aufmachen wollte; sie war frei gewesen, zu reisen, wann und wohin sie wollte. Er war ihr ein vorbildlicher Ehemann gewesen. Und dennoch hatte sie einen Fehler begangen – sie hatte weder seine Fähigkeit, zu lieben, noch seine Fähigkeit, zu vergeben, schätzen gelernt. Aber er hoffte, sie würde die Botschaften [45] erhalten – denn an dem Tag, an dem sie weggegangen war, hatte er sie gewarnt, er werde eine Welt zerstören, um sie zurückzubekommen.

Igor zieht sein am Tag zuvor auf dem Flughafen gekauftes Kartenhandy hervor, auf das er so wenig Guthaben wie möglich geladen hat. Er tippt eine SMS ein.

[46] 11Uhr00

Alles hat angeblich 1953 mit einer damals völlig unbekannten neunzehnjährigen Französin begonnen, die während des Filmfestivals von Cannes im Bikini am Strand für die Fotografen posierte. Kurz darauf war sie ein Star, und ihr Name wurde zu einer Legende: Brigitte Bardot. Seither dachten alle, das könnten sie auch. Schauspielerisches Talent war nicht mehr gefragt. Nur Schönheit zählte noch.

Und deshalb reisten langbeinige falsche Blondinen Tausende von Kilometern nach Cannes, wo sie den ganzen Tag am Strand verbrachten in der Hoffnung, gesehen, fotografiert und entdeckt zu werden. Denn es graute sie vor einem Dasein als Hausfrau und Mutter, das darin bestand, jeden Morgen die Kinder in die Schule zu bringen, jeden Nachmittag mit ihren Freundinnen über die Nachbarn zu tratschen und jeden Abend dem Ehemann ein warmes Essen zu kochen. Sie wollten Ruhm, Luxus, Glamour. Sie wollten von den Gleichaltrigen zu Hause beneidet werden, die sie immer als hässliches Entlein behandelt und nicht geahnt hatten, dass aus ihnen einmal ein von allen begehrter Schwan werden könnte. Eine Karriere in der Welt der Träume – nur das war wichtig, und dafür wurde bedenkenlos in aufreizende Kleidung und in Brustvergrößerungen Geld investiert, das sie sich erst von überall leihen mussten. [47] Schauspielunterricht? Nicht nötig. Schönheit und die richtigen Kontakte reichten. Beim Film war alles möglich. Sofern es einem gelang, erst einmal einen Fuß in die Filmwelt zu setzen.

Diese Frauen taten alles, um dem Leben in einem Provinznest und dem ewig gleichen Trott zu entkommen. Sollten die anderen doch da versauern. Wer nach Cannes zum Festival kam, der musste die Angst zu Hause lassen und zu allem bereit sein: lügen, was das Zeug hielt, sich für jünger ausgeben, als man tatsächlich war, Leuten, die man nicht ausstehen konnte, schöne Augen machen und Interesse vortäuschen, wenn man sich zutiefst langweilte, »ich liebe dich« sagen, ohne zu bedenken, was das auslösen könnte, und auch nicht davor zurückschrecken, der besten und treuesten Freundin, weil sie zur unerwünschten Konkurrentin geworden war, in den Rücken zu fallen. Ohne schlechtes Gewissen oder Scham immer weiterzugehen. Der Zweck heiligt die Mittel.

Ruhm, Luxus und Glamour.

Gabriela ärgert sich über diese Gedanken: Einen neuen Tag sollte man nicht so beginnen. Außerdem hat sie einen Kater.

Aber einen Trost gibt es wenigstens: Sie ist nicht in einem 5-Sterne-Hotel neben einem Mann aufgewacht, der sie bald wegschicken wird, weil er nach dem Aufstehen Wichtigeres zu erledigen hat: Filme zu kaufen oder von ihm produzierte Filme zu verkaufen.

Sie setzt sich auf und sieht nach, ob ihre Freundinnen noch da sind. Doch die sind natürlich bereits zur Croisette mit ihren Swimmingpools, Hotelbars, Jachten, Essenseinladungen und Strandbegegnungen aufgebrochen. Fünf [48] Matratzen sind auf dem Boden des kleinen, völlig überteuerten 1-Zimmer-Apartments verteilt, das sie und ihre Freundinnen gemeinsam für eine Saison gemietet haben. Um die Matratzen herum liegen wahllos verstreut Kleider, Schuhe und Kleiderbügel.

›Hier nehmen Kleider mehr Raum ein als Menschen‹, denkt Gabriela.

Selbstverständlich kann sich keine von ihnen auch nur im Traum Sachen von Elie Saab, Karl Lagerfeld, Versace oder Galliano leisten, sie haben nur die notwendige, immer funktionierende Grundausstattung, die allerdings das ganze Apartment belegt: Bikinis, Miniröcke, T-Shirts, Schuhe mit Plateausohlen und unglaublich viel Kosmetika.

›Eines Tages werde ich tragen, was ich will. Jetzt geht es nur darum, eine Chance zu bekommen.‹

Warum glaubt sie, dass ausgerechnet sie eine Chance verdient?

Ganz einfach, weil sie weiß, dass sie die Beste von allen ist, auch wenn es da Erfahrungen in der Schule gab, Enttäuschungen, die sie ihren Eltern bereitet, Frustrationen und Niederlagen, die sie immer wieder erlitten hat.

›Und wenn ich meinen Traum erfüllt habe, dann werde ich mich, das weiß ich heute schon, fragen: Werde ich um meiner selbst willen geliebt und bewundert oder nur, weil ich berühmt bin?‹

Sie kennt Leute, die es geschafft haben, die Bühnenstars geworden sind. Doch entgegen ihren Erwartungen haben sie keinen inneren Frieden gefunden. Wenn sie nicht auf der Bühne stehen, sind sie unsicher, voller Zweifel, unglücklich. Sie wollten Schauspieler werden, damit sie nicht sich selber [49] spielen mussten, und hatten ständig Angst, einen falschen Schritt zu tun, der ihrer Karriere ein Ende bereiten könnte.

›Ich bin anders. Ich bin immer ich selber gewesen.‹

Stimmt das wirklich? Oder glauben das alle, die sich in ihrer Lage befinden?

Sie steht auf, kocht sich einen Kaffee. Die Küche ist nicht aufgeräumt, weil keine ihrer Freundinnen es für nötig befunden hat, das Geschirr abzuwaschen. Sie weiß nicht, warum sie so schlecht gelaunt und voller Zweifel aufgewacht ist. Sie kennt sich in ihrem Beruf aus, hat sich ihm mit Leib und Seele verschrieben. Dennoch scheint niemand ihr Talent zu erkennen. Sie besitzt auch Menschenkenntnis – vor allem die Männer kennt sie, zukünftige Verbündete in einer Schlacht, die sie recht bald gewinnen muss, denn sie ist schon fünfundzwanzig und daher schon sehr bald zu alt für die Traumindustrie. Sie weiß, dass:

a) Männer weniger tückisch sind als Frauen,

b) Männer niemals darauf achten, was Frauen anhaben, weil sie sie mit den Blicken ausziehen,

c) wenn Brüste, Schenkel, Hintern, Bauch stimmen, die Welt schon so gut wie erobert ist.

Wegen dieser drei Punkte und weil sie weiß, dass alle anderen Frauen, die mit ihr konkurrieren, ihre positiven Eigenschaften übertrieben herausstreichen, kümmert sie sich nur um Punkt c. Sie macht Gymnastik, um sich in Form zu halten, macht keine Diäten und kleidet sich anders, als es erwartet wird, nämlich zurückhaltend, und bis heute hat das gut funktioniert. Sie sieht jünger aus, als sie ist. Sie hofft, dass auch das in Cannes zum Erfolg beitragen wird.

[50] Brüste, Hintern, Schenkel – sollten die Männer doch einstweilen darauf achten, wenn sie nicht anders konnten. Der Tag wird kommen, an dem sie sehen, was Gabriela alles kann.

Sie trinkt ihren Kaffee, und ihr wird plötzlich klar, was ihr so schlechte Laune gemacht hat. Sie ist von den schönsten Frauen der Welt umgeben! Auch wenn sie sich selber nicht für hässlich hält, konkurrieren kann sie nicht mit ihnen. Die Entscheidung, diese Reise zu unternehmen, ist ihr nicht leichtgefallen, denn sie hat nicht viel Geld. Und es wird allmählich knapp. Sie hat nicht mehr viel Zeit, einen Vertrag zu ergattern. An den ersten beiden Tagen des Festivals hat sie an verschiedenen Stellen ihren Lebenslauf und ihre Fotos verteilt, aber nur eine Einladung zu der Party am Vortag ergattert – in ein fünftklassiges Restaurant, mit brüllend lauter Musik, in dem niemand aus der Superklasse erschienen war. Sie hatte getrunken, um ihre Schüchternheit zu überwinden, hatte mehr getrunken, als sie vertrug, und am Ende nicht mehr gewusst, wo sie war und was sie da machte. Alles war ihr seltsam vorgekommen – Europa, die Art, wie sich die Leute kleideten, die anderen Sprachen, die geheuchelte Fröhlichkeit aller Anwesenden, die lieber zu einem wichtigeren Event eingeladen gewesen wären und dennoch an diesem ganz und gar unwichtigen Ort ausharrten, sich schreiend über die laute Musik hinweg über das Leben der anderen und die Ungerechtigkeit der Mächtigen unterhielten.

Gabriela hat es satt, sich über die Ungerechtigkeit der Mächtigen aufzuregen. Sie sind nun einmal so, wie sie sind, und niemandem eine Erklärung schuldig. Gabriela muss [51] entscheiden, was sie als Nächstes tun will, und das will gut überlegt sein. Viele andere Mädchen, die den gleichen Traum (wenn auch selbstverständlich weniger Talent) haben, verteilen wahrscheinlich jetzt gerade ihre Lebensläufe und Fotos. Produzenten, die zum Festival gekommen sind, werden mit Dossiers, DVDs und Visitenkarten überschwemmt.

Was wird am Ende den Ausschlag geben?

Eine Chance wie diese wird ihr nie wieder geboten werden. Schließlich hat sie all ihre Ersparnisse in diese Reise zum Festival in Cannes investiert.

Während sie ihren Kaffee trinkt, schaut sie aus dem kleinen, auf eine Sackgasse hinausgehenden Fenster, aus dem sie nur einen Tabakladen und ein Schokolade essendes Mädchen sehen kann. Ja, ihre letzte Gelegenheit. Sie hofft, dass sie anders ausgehen wird als ihre erste.

In Gedanken kehrt sie in die Vergangenheit zurück, in die Zeit, als sie elf Jahre alt war, zu der ersten Theateraufführung in ihrer Schule in Chicago, einer der teuersten in weitem Umkreis. Grund für ihren jetzigen Wunsch, es als Schauspielerin zu schaffen, war nicht der ungeteilte Beifall der damals anwesenden Eltern, Verwandten und Lehrer gewesen.

Ganz im Gegenteil: In einer Bühnenadaption von Alice im Wunderland hatte sie den verrückten Hutmacher gespielt, war unter vielen anderen Jungen und Mädchen für diese wichtige Rolle ausgewählt worden. Ihr erster Satz hatte gelautet: »Du musst dir das Haar schneiden lassen.«

Darauf hatte die Alice im Stück geantwortet: »Solche Bemerkungen solltest du dir abgewöhnen, sie sind unschicklich.«

[52] Als der langersehnte Augenblick mit dem Text gekommen war, den sie unzählige Male geübt hatte, war sie so aufgeregt gewesen, dass sie sich versprochen und stattdessen gesagt hatte: »Du musst dir das Haar wachsen lassen.« Das Mädchen, das Alice spielte, war nicht aus der Rolle gefallen und hatte brav ihren vorgesehenen Satz gesagt, und keinem der Zuschauer war etwas aufgefallen. Gabriela aber, die sich in Grund und Boden schämte, hatte es die Sprache verschlagen.

Da die Kinder noch nicht gelernt hatten, auf der Bühne zu improvisieren (obwohl sie es im wirklichen Leben durchaus taten), der Hutmacher aber in der Szene eine zentrale Rolle spielte, wusste keins, was zu machen war – bis nach endlosen Minuten die Lehrerin in die Hände geklatscht und ›Pause‹ gerufen hatte, worauf alle von der Bühne abgehen konnten.

Gabriela verließ, in Tränen aufgelöst, nicht nur die Bühne, sondern auch das Schulgebäude. Am nächsten Tag erfuhr sie, dass die Folgeszene mit dem verrückten Hutmacher übersprungen worden und direkt mit der Krocketpartie mit der Königin weitergemacht worden war. Die Lehrerin hatte zwar gesagt, die Geschichte von Alice im Wunderland sei ohnehin eine Geschichte ohne Hand und Fuß, darum sei Gabrielas Patzer überhaupt niemandem aufgefallen. Trotzdem hatten sich die anderen Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtspause auf Gabriela gestürzt und sie verprügelt.

Es war nicht das erste Mal gewesen, dass Gabriela von den anderen verhauen worden war, und sie hatte durchaus schon gelernt, sich zu wehren, und ihrerseits schon öfter [53] schwächere Kinder verhauen. Doch diesmal ließ sie die Prügel wortlos und ohne eine Träne zu vergießen, über sich ergehen, was zur Folge hatte, dass die anderen schnell von ihr abließen – sie hatten gehofft, Gabriela würde heulen und schreien, aber ihr schien das alles überhaupt nichts auszumachen. Da verloren sie das Interesse.

Damals als Kind hatte sie bei jedem Schlag, den sie einstecken musste, gedacht:

›Ich werde einmal eine große Schauspielerin sein, und dann wird es den andern schon noch leidtun, dass sie mich verhauen haben.‹

Wer sagt denn, dass Kinder nicht entscheiden können, was sie vom Leben wollen?

Die Erwachsenen.