Der Sommer der Maya - A.M. Hannemann - E-Book

Der Sommer der Maya E-Book

A.M. Hannemann

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Professor ist verschwunden.

Der Urwald Mexikos hat im verschlungen, wie ein grüner Riesenfrosch einen Moskito.

Die Restauratorin Judith macht sich auf, ihn zu suchen.

Ob der charmante Carlos - eher eine Zufallsbekanntschaft - ihr dabei helfen kann?

Oder verfolgt er eigene Ziele?

Aber Judith braucht Hilfe. Denn der Dschungel birgt nicht nur Geheimnisse sondern auch Gefahren.....

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


A.M. Hannemann

Der Sommer der Maya

Für meine geduldige fleißige Chrisha.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Zu diesem Buch

 

 

Plötzlich war er fort.

Wie vom Erdboden verschluckt. Der Urwald Mexikos hatte Professor Auerbach und seinen Assistenten verschlungen. Nachdem er monatelang kistenweise die wunderbarsten Fundstücke an das Museum geschickt hatte, kam nun nichts mehr. Seit Wochen weder Kisten noch Briefe noch Anrufe.

Die Restauratorin Judith Bensberg macht sich auf, ihn zu suchen.

Sie reist nach Cancun, von wo aus sie den letzten Lebenszeichen des Professors nachgehen will.

Hilfe erhält sie dabei von Carlos. Dem Carlos, den sie im vergangenen Advent in der Fußgängerzone ihrer Stadt kennen gelernt hat und von dem sie glaubte, er sei vielleicht ein Inka aus Peru oder Chile. Aber Carlos - der fasziniert ist von der hilfsbereiten, deutschen jungen Frau - ist Nachkomme der einst mächtigen Maya.

Gemeinsam ziehen sie in den Dschungel. Nach etlichen Tagen fruchtlosen Suchens stoßen sie endlich auf die Ruinen, die der Professor entdeckt hat. Aber die Grabungsstätte ist verlassen. Und von den Menschen in der Umgebung schlägt Judith nur Abweisung entgegen. Jeder rät ihr dringend die Gegend zu verlassen, es sei ohnehin ein Irrtum ihrerseits; niemand sei im Dschungel, der etwas suche. Judith wird dadurch nur misstrauischer und sie beginnt erst recht, noch intensiver den Urwald zu durchforsten.

Aber der Urwald ist nicht nur geheimnisvoll, er verbirgt auch uralte, gut gehütete Geheimnisse.

Und Gefahren………………..

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

Urwälder.

Geheimnisvoll und dunkel. Rufe von unsichtbaren Lebewesen. Affen und tropische Vögel turnen durch die Baumwipfel.

Der schmale Pfad ist kaum erkennbar.

Dann öffnet sich plötzlich die grüne Wand aus Blättern und Lianen und eine Lichtung breitet sich vor den Augen der Wanderer aus.

Behauener Stein, Teile von Mauern, Bruchstücke von Gesichtern, Köpfen, Fabelwesen. Überzogen mit Moos, Flechten, Wurzeln.

Der erste der Männer bleibt stehen, schwer atmend, schwitzend, staunend. Mit einem Ärmel wischt er sich den Schweiß von der Stirn, dann lächelt er.

„Endlich.“

Er wendet sich an seine Begleiter. Ein junger Mann, blond, groß, wie der ältere in Tropenkleidung gekleidet. Außerdem eine Gruppe Indianer, die überwiegend als Gepäckträger fungieren; einige Landvermesser aus Mexiko.

„Sehen Sie sich das an, mein lieber Markus. Wir haben es gefunden! Die Pyramide, die ich von oben aus dem Flugzeug gesehen habe. Ich habe mich also nicht getäuscht! Und rund herum muss es ein Dorf geben! Wir werden alles frei legen und dann akribisch restaurieren und in Karteien festhalten. Großartig! Kommen Sie, kommen Sie….“

Der Ältere wandert weiter, die Augen staunend und bewundernd aufgerissen. In der Mitte des Platzes schlagen sie ihr Lager auf.

Mit der Dunkelheit kommen wieder Stimmen aus dem nächtlichen Dschungel. Die Rufe der nachtaktiven Tiere des Waldes.

Dann der Schrei eines - Gott sei Dank - weit entfernten Jaguars, der alle anderen verstummen lässt.

Der ältere der weißen Männer ist Professor Julius Auerbach, Anthropologe mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet der indianischen Völker in Mittel- und Südamerika. Er arbeitet als Dozent an der Uni in Berlin und außerdem für verschiedene Museen in ganz Deutschland. Sein jüngerer Begleiter ist sein Assistent, Markus Stern. Er studiert im dritten Semester Völkerkunde und alte Sprachen und hat begeistert zu gesagt, als der Professor ihm anbot, ihn zu begleiten.

Jetzt sitzen die Beiden nach dem einfachen Abendessen an ihrem Feuer und der Ältere erklärt dem Jüngeren seine Pläne zur Vorgehensweise.

Dass schon in der Ferne jemand ein wachsames Auge auf sie geworfen hat, wissen beide nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Die traurige Flöte

 

Das Licht der Neonröhren flackerte unruhig und Judith seufzte. Das alterschwache Kabelnetz in dem ebenso altersschwachen Museumsbau sollte dringend aus getauscht werden, aber wie immer war kein Geld für die notwendigen Reparaturen vorhanden.

Judith saß an ihrem Arbeitstisch in der kleinen Museumswerkstatt und sortierte und katalogisierte die Fundstücke aus den Transportkisten, die nebenan in dem großen Lagerraum kreuz und quer herum standen, einige geöffnet, andere noch verschlossen. Auf dem abgetretenen Holzboden lag überall in Büscheln Holzwolle herum. Judith legte die Fundstücke, die noch vorsichtig bearbeitet werden mussten − wie etwa von Erde befreit oder Scherben zusammen gesetzt − auf einen zweiten Tisch. Alle anderen Sachen wurden einzeln in identische Kartons gepackt und beschriftet. Seit etwa vier Monaten schickte der Professor in unregelmäßigen Abständen Kisten mit Fundstücken von seiner aktuellen Ausgrabungsstätte. Wunderschöne Stücke, Figuren, Vasen, Schalen; seltener Schmuckstücke. Und dann ganze Zeichnungen von Fragmenten der zerfallenen Mauern. Die Wände des alten Tempels waren überzogen mit den Symbolen der alten Mayaschrift. Judith betrachtete sie einen Augenblick in dem unsteten Licht ihrer Tischlampe und seufzte noch einmal. Sie beneidete insgeheim Markus Stern, weil der Professor ihn gefragt hatte und nicht sie. Zu gerne wäre sie mit ihm nach Mexiko gereist und hätte die Fundstätten erforscht. Aber der Professor hatte gemeint, das wäre doch keine Arbeit für eine junge Frau sondern eher ein Auftrag für einen Mann. Judith hatte missmutig schnaubend das Gesicht verzogen. Ihrer − natürlich völlig vorurteilsfreien − Meinung nach eignete sich Kollege Stern auch nicht besser zum Assistenten als jeder andere hier. Wie sie selbst zum Beispiel.

Das Läuten der Kirchturmuhr in der Nähe riss sie aus ihren trüben Gedanken. Schon zwei? Wo wieder die Zeit geblieben war…………… Judith ordnete ihre Papiere auf dem Tisch, packte die letzten Stücke für diesen Tag in die Kartons und verließ dann die Werkstatt. Der Pförtner beim Hauptausgang schüttelte freundlich mahnend sein graues Haupt.

„Sagen `se mal, Fräuleinchen, ham’se eijentlich keen jemütliches Zuhause? So `ne hübsche Dame muss doch nich immer Sonntags arbeiten.“

„Ach, Herr Husse, Sie wissen doch, meine Arbeit ist auch mein Hobby. Und zu Hause wartet nur mein Kater Flocke. Außerdem, was soll man bei dem Wetter schon machen?“

„Waren Sie eigentlich schon mal auf’m Weihnachtsmarkt? Gibt ein paar ganz schöne, am Gendarmenmarkt und im Hof vom Schloss.“

Weihnachtsmarkt? Ach ja, richtig. Es war ja Dezember. Advent. Judith überlegte während sie sich den dicken Schal um den Hals wickelte und die Handschuhe überzog. Weihnachtsmarkt; Bratäpfel und geröstete Maronen, Glühwein, Duftkerzen, heiße Waffeln mit Kirschen………….

„Vielleicht gehe ich heute mal hin…..Also bis Morgen, Herr Husse. Und einen schönen Sonntag noch!“

„Für Sie auch, Fräulein, für Sie auch!“

Sie wollte spontan zur U-Bahn abbiegen, die zu ihrem Zuhause führte, besann sich aber und wanderte in die Stadt. Am ersten Weihnachtsmarkt verlangsamte sie ihre Schritte und ließ sich mit der Menge der Besucher an den Buden vorbei über den Platz treiben. Sie kaufte sich eine Tüte mit Maronen und einen Kakao mit Schuss, dann wanderte sie weiter durch die Reihen der identischen Häuschen. Judiths Blick wanderte über Hand gegossene Kerzen und Figuren aus dem Erzgebirge, Handgestricktes und Gewebtes, Glasschleifer und Lebkuchen in den wundersamsten Formen. Dann sickerten vertraute Klänge in ihr Ohr und sie hob lauschend den Kopf und versuchte, über die Geräuschkulisse den Standort zu lokalisieren. Langsam folgte sie den traurigen Tönen und kam zu einer Wegkreuzung in der Fußgängerzone.

 

 

Eine Menschenmenge hatte sich schon angesammelt. Judith schlängelte sich zwischen den dick vermummten Zuschauern hindurch bis nach vorne und fand ihre Vermutung bestätigt. Eine Gruppe von Indios hatte am Rand der Kreuzung Aufstellung genommen und spielte auf den charakteristischen Rohrflöten bekannte Melodien. Wie ‚El Condor pasa’ - der Flug des Condors. Bei der weltweit bekannten Melodie fühlte Judith leichte Wehmut und so etwas wie Fernweh. Leise summte sie die Töne mit, die sie im Schlaf singen konnte. Es begann zu nieseln, die Zuschauer verzogen sich, warfen im Vorbeigehen ein paar Münzen in den Hut der Indios und die jungen Männer verzogen sich unter das Vordach des Mc. Donald Restaurants. Alle Fünf sahen ziemlich durch gefroren aus.

‚Kein Wunder’, dachte Judith für sich. ‚Bei denen zu Hause ist es wahrscheinlich wärmer.’

Die Männer zitterten, traten von einem Fuß auf den anderen und hauchten in die Hände, um sie wenigstens etwas anzuwärmen. Einer spontanen Eingebung folgend, betrat Judith den Mc. Donalds, bestellte sechs große Kaffee und trat dann mit dem Tablett nach draußen zu den fröstelnden Gästen aus dem fernen Land. Die sahen sie allesamt leicht misstrauisch an beim näher kommen. Aber Judith hielt ihnen nickend und lächelnd das Tablett hin.

„Kaffee? Nehmen Sie, er ist heiß.“

Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann nahm der Erste mit klammen Fingern und einem gemurmelten ‚Gracias’ einen Becher vom Tablett und schnupperte neugierig und leicht misstrauisch an dem Getränk. „Kaffee“, bestätigte Judith noch einmal nickend, während sie das Tablett den anderen frierenden Gestalten hinhielt. Das war doch wohl ein Begriff, den jeder kannte. Beim letzten der Musiker sah sie vom Tablett auf….. und hätte es beinahe fallen lassen. Mit offenem Mund starrte sie für eine Minute in sein Gesicht und musste sich zusammen reißen um nicht zurück zu zucken. Dieser junge Mann hatte doch tatsächlich ein braunes und ein blaues Auge! Judith blinzelte irritiert und sah rasch weg, aber dann hörte sie ein leises Lachen und drehte sich wieder um.

„Señora? Das…“, er deutete auf das blaue Auge, „….von Vater von Mutter. Alles gut. Nicht schlimm…“Er suchte offensichtlich nach den richtigen Worten und sie half ihm aus der Verlegenheit und versuchte, ihn nicht ständig anzustarren.

„Sie meinen Großvater? Also vererbt?“

Er nickte, immer noch lächelnd. „Si, vererbt. Señora muss nicht Angst haben….“ Jetzt lachte Judith mit ihm. Auch seine Kameraden kicherten leise, offenbar kannten sie schon die Wirkung dieses leuchtend blauen Auges auf die Zuschauer.

„Nein, ich hab keine Angst. Aber so etwas hab ich noch nie bei einem Menschen gesehen! Wirklich ungewöhnlich.“

Sie betrachtete sich den Besitzer des ungewöhnlichen Auges genauer. Er schien ihr ein bisschen größer als seine Kameraden, auch die Gesichtskonturen waren ein klein wenig anders. Aber das konnte an dem weißen Erbteil liegen…. Von Vater von Mutter. Das typische Milchkaffeebraun der Hautfarbe erschien ihr ein wenig grau, was aber wohl an der ungewohnten Kälte liegen mochte. Er hatte eine ausgeprägte Adlernase, dichte, dunkle Wimpern, eine kantige, ausgeprägte Kinnlinie und geschwungene, volle Lippen hinter denen jetzt zwei Reihen ebenmäßiger weißer Zähne hervor blitzten.

„Wie heißen Sie?“, wollte Judith wissen. Er verstand nicht und Sie deutete auf sich selbst.

„Judith. Und Sie?“ Mit einem behandschuhten Finger tippte sie leicht auf seinen leuchtend bunten Poncho.

„Ah“, jetzt nickte er. „Carlos. Carlos Martinéz“, stellte er sich vor mit einer leichten Verbeugung. Judith erwiderte die Verbeugung lachend. „Judith Bensberg. Angenehm.“

Sie unterhielten sich eine Weile mit Händen und Füßen, dann deutete Judith auf ihre Armbanduhr.

 

 

 

„Tut mir wirklich leid, aber ich muss wirklich gehen. Es war sehr nett, mit Ihnen zu plaudern. Vielleicht sehen wir uns ja noch mal hier?“

„Ja, vielleicht. Sie gehen allein, Señora? Nicht gut, ist dunkel. Gibt böse Menschen überall.“

Judith lächelte über seine Besorgnis. „Oh, ich hab keine Angst, außerdem wohne ich nicht allzu weit von hier. Adios, Señores!“ Sie winkten zum Abschied. Am Eingang zur U-Bahn sah sie sich noch einmal um.

Die zweifarbigen Augen blickten ihr nachdenklich hinterher.

Sie sah Carlos eine Woche später wieder. Unter denkbar schlechten Umständen. Judith war wieder auf dem Heimweg, als sie in einer Seitenstrasse, etwas abseits vom Trubel des Weihnachtsmarktes, Geräusche von Schlägen und dumpfe Schreie hörte. Judith, immer bereit für Schwächere Partei zu ergreifen, stürmte vorwärts. Da lag ein Mann am Boden und zwei Andere traten nach ihm.

Judith rannte los. “Hey! Aufhören! Sofort! Polizei! Hilfe, Polizei!“ Der erste ließ von seinem Opfer ab und wandte sich um. Judith schlug ihm ihren Stockschirm um die Ohren, der Kerl brüllte und rannte mit blutender Nase davon. Dem zweiten rammte sie das spitze Ende des Schirms in die empfindlichste Körperstelle und der brüllte genauso wie sein Kumpan und flüchtete humpelnd um die nächste Hausecke.

„Feige Bande, verdammte!“, brüllte Judith hinter ihnen her. Das leise Stöhnen hinter ihr ließ sie herum fahren. Der Überfallene versuchte sich langsam aufzurichten. Sie packte vorsichtig seinen Jackenärmel und zog ihn daran hoch. Dann traf ihr Blick auf das leuchtend blaue Auge, das jetzt auch außen herum blau anlief. Ach du lieber Himmel!

„Carlos?“

Er war es tatsächlich, wischte sich mit einem Jackenärmel das Blut von der Nase und stand in verkrümmter Haltung ihr gegenüber. Die Fingerknöchel an beiden Händen waren aufgeschürft. Er hatte sich gewehrt, aber wohl nicht energisch genug.

„Señora Judith?“

„Können Sie gehen? Dann kommen Sie.“

Er stützte sich auf ihren Arm und sie schob ihn wieder zu dem Mc. Donalds hin und dieses mal hinein in das angenehm warme Restaurant. Vor der Herrentoilette blieb sie stehen.

„Machen Sie sich ein bisschen sauber. Ich warte hier auf Sie.“

Das braune unversehrte Auge sah sie immer noch leicht ungläubig an, dann nickte er vorsichtig und schlurfte durch die Pendeltür in den Waschraum. Judith blickte sich unterdes im Lokal um. Keine weiteren Schläger zu sehen, nur ein paar Pärchen und eine Mutter mit Kindern an einem Fenstertisch. Carlos kam aus dem Waschraum und sie schob ihn zu einem Tisch in einer Ecke. „Schön sitzen bleiben! Ich hole einen Kaffee. Wollen Sie auch was essen?“

Aber er hatte Magenschmerzen von den üblen Schlägen und schüttelte langsam den Kopf.

„Ich habe aber kein Geld…..Banditos…“

Judith wischte seine Bedenken bei Seite. „Egal. Sie sind mein Gast. Bleiben Sie sitzen.“

Sie rannte zum Bestelltresen, orderte zwei Kaffee und zwei warme Apfeltaschen und steuerte rasch wieder zurück zum Tisch. Carlos saß in sich gekehrt in seiner Ecke und tastete vorsichtig mit zitternden Fingern über sein blaues Auge.

„Oh, Madre….“ Mit der anderen Hand nahm er den heißen Kaffeebecher und schlürfte langsam den heißen Kaffee.

„Ich kann sie gleich nach Hause begleiten, Carlos. Wenn Sie mir verraten, in welchem Hotel Sie wohnen.“

„Nein, kein Hotel. Ich wohne in…in…“ Er suchte wieder nach dem richtigen Wort. „Haus….für Kinder?“ Sein Schulterzucken deutete leichte Hilflosigkeit an. Judith dachte angestrengt nach. Wo konnte wohl jemand wohnen, er nicht viel Geld zur Verfügung hatte?

 

 

 

Haus für Kinder ………. Dann dämmerte es ihr langsam. „Ah, Moment. Jugendherberge? Ist es das? Sie wohnen in einer Jugendherberge?“

Er nickte, sichtbar erleichtert. „Si. Jugendherberge. Aber jetzt ich muss gehen dort. Kann nicht bezahlen…..“ Er sah wieder sehr bekümmert aus und Judith überlegte nicht lange.

„Wir gehen zusammen hin. Ich borge Ihnen das Geld für die Herberge. Sie holen Ihre Sachen. Sind ihre Papiere noch dort? Passport?“

„Ja“, bestätigte er. „In einem Büro im Tresor.“

„Wir holen alles und dann ziehen Sie so lange in mein Gästezimmer. Bis Sie abreisen. Sagen Sie nicht Nein, es würde ohnehin nichts nutzen.“

Da er das Gesicht verzog, lachte sie ihn aufmunternd an. Sie tranken den Kaffee und er probierte eine von den Apfeltaschen. Die zweite steckte Judith in ihre große Umhängetasche, dann verließen sie das Lokal. „Also, wo liegt denn nun Ihre Jugendherberge?“

Er deutete in eine Richtung. „Wir müssen fahren mit …. unter Erde.“

„Mit der U- Bahn? Gut. Dann kommen Sie.“

Sie wanderten langsam die Straße entlang, stiegen dann die Treppe hinunter zum U-Bahn Netz und er zeigte ihr auf dem Plan, in welche Richtung sie mussten. Sie fuhren etwa eine halbe Stunde bis zur Jugendherberge. Carlos holte sein Zeug aus dem Zimmer und der Herbergswirt sah leicht irritiert auf die junge Frau, die so selbstverständlich die Rechnung bezahlte. Weil er auch misstrauisch auf Carlos’ blau angelaufenes Auge starrte, fühlte sich Judith genötigt eine kurze Erklärung abzugeben.

„Der Herr wurde überfallen, am hellen Tag und mitten in der Stadt. Wir gehen jetzt zur Polizei und erstatten Anzeige.“

„Soso“, machte der Wirt, der ihr offenbar nicht so ganz glaubte. „Was wurde denn geklaut?“

„Mein Geld. Alles was ich verdient habe hier ist weg. Mein Passport, bitte.“

Carlos’ Papiere hatte der Herr schon aus dem Büro geholt. Carlos schob sie sorgfältig in die Innentasche seiner Jacke. Judith bedankte sich und sie verließen das Haus. Sie fuhren noch ein weiteres Mal mit der U- Bahn und mussten dann noch zehn Minuten zu Fuß gehen bis zu dem Mietshaus, in dem Judith in der vierten Etage unter dem Dach wohnte. Es war ein altes Haus ohne Aufzug und mit knarzenden, hölzernen Treppenstufen, aber die Wohnung war günstig für Berliner Verhältnisse und Judith mochte den alten Charme des Hauses.

Carlos sah an der Hausfassade hoch. „Was soll sagen Ihr Mann, wenn kommt Fremder in das Haus?“

„Oh“, schmunzelte Judith, „der Mann, der bei mir wohnt wird wohl nichts dagegen haben, solange Sie ihm seinen Schlafplatz nicht streitig machen.“ Kater ‚Flocke’, der im Gegensatz zu seinem Namen so schwarz war wie ein Stück Kohle, schlief in Judiths Bett am Fußende.

Judith war das Treppensteigen gewohnt, der leicht angeschlagene Carlos kam nur langsam hinterher. Sie öffnete die Wohnungstüre und ließ ihn eintreten. Er stellte seine Tasche im Flur ab und sah sich neugierig um. Er war gespannt, wie eine deutsche Señora wohl eingerichtet sein mochte. Judith hängte Mantel und Schal an den Garderobenhaken. „Flocke? Ich bin zu Hause! Wo bist du? Komm raus aus deinem Versteck, ich hab einen Gast mit gebracht.“

In Erwartung eines Mannes richtete sich Carlos zu seiner ganzen Größe auf und fuhr sich mit den Fingern kurz durch die Haare. Ein kurzer Blick in den Garderobenspiegel zeigte ihm, dass es mit seinem Aussehen wohl nicht allzu weit her war.

Er riss erstaunt die Augen auf, als um eine angelehnte Zimmertür eine große schwarze Katze bog, ihn aus intensiv grünen Augen musterte und dann ein dunkles Maunzen von sich gab.

Judith lachte herzlich über Carlos’ sprachlosen Gesichtsausdruck. „Das ist der einzige Mann, der bei mir wohnt. Mein Kater Flocke.“

Carlos schien ehrlich entsetzt zu sein und hob in abwehrender Geste die Hände.

 

 

 

„Sie wohnen allein? Nein Señora - Señorita - da kann ich nicht bleiben. Das ist nicht gut. Was sollen Leute sagen?“

Judith zog die Nase kraus. „Ist mir wurscht, was die Leute sagen. Außerdem sind Sie doch ein Ehrenmann, oder etwa nicht?“

Er hatte nicht alles verstanden, nickte aber.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Zimmer.“ Judith ging den Flur entlang bis zum Ende und öffnete die Tür, die genau gegenüber dem Wohnungseingang lag. „Bitteschön, das ist Ihr Reich. Ich hoffe, es genügt.“

Carlos sah sich kurz um. Ein zweitüriger Kleiderschrank, eine Kommode und darauf ein Fernseher. Ein bequem aussehendes Bett, ein Nachtschränkchen daneben mit einer kleinen Lampe, die zur Großen unter der Zimmerdecke passte. Das Zimmer war mit Teppichboden ausgelegt und vor dem Bett lag noch ein weiches langhaariges Fell. Ein paar Landschaftsbilder an der Wand und ein Blumentopf auf der Fensterbank.

„Es ist sehr gut. Groß.“

„Also wenn Sie das schon als groß bezeichnen…..Ziehen Sie sich um, dann stecke ich Ihre Sachen in die Waschmaschine. Die Jacke und der Pulli sind voller Blutflecken. Ich hoffe, das es raus geht….“ Sie wandte sich wieder zur Tür. „Und dann kommen Sie in die Küche, ich mache was zu essen.“

Die gemütliche Küche lag gleich als erstes neben dem Eingang rechts. Es roch schon appetitlich, als Carlos aus dem Zimmer kam. Sein Magen begann zu knurren. In der Küchentüre blieb er stehen und sah ihr eine Weile zu. Sie war nicht besonders groß, eins sechzig, vielleicht eins fünfundsechzig. Eine sportliche Figur, die aber an den richtigen Stellen weiche Rundungen hatte, langes rehbraunes Haar, das mit einer Spange zu einem Pferdeschwanz zusammengehalten wurde. Ihre Augenfarbe war ein dunkles blau, fast schon lila. Eine lange gerade Nase saß über einem Mund mit vollen roten Lippen, der nach ihrer eigenen Meinung einen Tick zu breit war. Er fand sie ausgesprochen hübsch und fragte sich unwillkürlich, warum so ein hübsches Mädchen alleine lebte. Hatten die deutschen Männer keine Augen im Kopf? Sie hatte den kleinen Esstisch in der Küche gedeckt, mit schönem Porzellan und guten Gläsern. Der Kater hatte unter dem Fenster seinen Napf geleert, sah jetzt zu dem Besucher hin und kam langsam heran. Carlos hockte sich nieder und hielt ihm eine Hand entgegen. Er schnupperte an seinen Fingern, dann schnurrte er laut wie eine Nähmaschine und strich ihm um die Beine. Judith drehte sich lachend um.

„Das macht er sonst nie. Darauf können Sie sich was einbilden. Eigentlich kann er Männer nicht leiden. Setzen Sie sich an den Tisch. Das Essen ist gleich fertig.“

Er ließ sich auf einem der Polsterstühle nieder und strich vorsichtig über seine wund geschlagenen Fingerknöchel.

„Warten Sie, ich hab da was.“ Judith verschwand aus der Küche und holte aus dem gut gefüllten Badezimmerschränkchen eine Salbe, eine Desinfektionslösung, ein paar Wattebäusche und einen kleinen Verband. „Zeigen Sie mal her.“ Vorsichtig tupfte sie mit einem Wattebausch und der Lösung über die Knöchel. Es brannte ein bisschen und er zog zischend die Luft durch die Zähne.

„Entschuldigung. Gleich fertig.“ Etwas Salbe auf die aufgeschlagenen Stellen und den Verband darüber. Fertig.

„Danke.“ Carlos bewegte vorsichtig die Finger.

„Oh, bitte, gern geschehen. Und jetzt essen wir. Ich hoffe, Sie mögen Gulasch.“

Er probierte und fand es ausgesprochen gut.

„Wo sind eigentlich Ihre Kollegen abgeblieben?“, wollte Judith wissen. Diese Frage hatte sie schon die ganze Zeit im Hinterkopf gehabt.

„Schon weg. Nach Hause.“

„Und Sie nicht?“

 

 

 

„Nein. Ich wohne nicht in derselben Stadt. Mein…. Flug? ......geht erst am …..äh….“ Er sah suchend auf den Kalender, der über dem Tisch an der Wand hing. „Dann. An diesem Tag.“

Montag. Also in vier Tagen. Judith überlegte.

„Und was hätten Sie gemacht, die ganze Zeit bis dahin?“

„Ich wollte mir die Stadt ansehen. Aber jetzt….“ Seine Miene wurde nachdenklich.

„Señorita, warum tun Sie das?“

„Was denn?“

„Sie haben gegeben Kaffee für uns. Und sie haben geholfen mir. Sie lassen mich wohnen hier ohne Geld. Sie nicht haben Angst, ich kann sein Bandito?“

Judith musste lächeln über seine komische Ausdrucksweise. „Nein, Carlos, Sie sind kein typischer Bandito. Außerdem gibt es bei mir nichts zu holen. Ich bin nur eine kleine Angestellte und besitze keine Reichtümer.“

„Und Sie nicht haben Angst, ich könnte Sie ………..“ Allein der Gedanke ließ ihn feuerrot anlaufen und Judith sah ihm ernst ins glühende Gesicht und legte ein wenig den Kopf schief.

„Mich verletzen? Oder vergewaltigen? Nein, das glaube ich nicht. Sie sind ein guter Mensch, Carlos. Trauen Sie mir ein bisschen Menschenkenntnis zu. Außerdem kann ich mich gut wehren. Das haben Sie doch gesehen, oder?“

Er lachte erleichtert und sein Gesicht nahm wieder eine normale Farbe an. „Ja. Sie sind sehr…. mutig? Mutig.“

Aber Judith winkte ab. „Ach wo. Ich kann es nur nicht leiden, wenn jemand grundlos überfallen und niedergeschlagen wird, nur weil irgendwelche Vögel ihren Frust ablassen müssen.“

Nach dem Essen setzten sie sich ins Wohnzimmer auf das riesige, orientalisch anmutende Sofa. Judith hatte es bei Ebay ersteigert und die Transporteure hatten fast einen Infarkt bekommen, als ihnen klar wurde, dass sie das Ding bis in die vierte Etage schleppen mussten.

Sie schaltete den Fernseher ein und nahm eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank.

„Ich weiß gar nicht, ob Sie Wein trinken“.

„Nicht sehr oft. Aber vielen Dank.“ Er erbot sich, die Flasche zu öffnen und Judith gab ihm den Flaschenöffner.

Im gesamten Haus war Kabelfernsehen installiert und Judith zappte eine Weile durch die Kanäle bis sie eine spanische Sendung fand. Das war ihm aber nicht recht.

„Nein, bitte, suchen Sie doch Deutsch TV. So ich lerne noch besser. Bitte.“

Sie tat ihm also den Gefallen.

Es war schon gegen elf, als sie sich erhob.

„Ich muss morgen arbeiten, Carlos. Sie können ausschlafen. Und dann ein wenig in der Stadt herum laufen. Verirren Sie sich aber nicht.“

Sie zeigte ihm noch das Bad.

„Gute Nacht, Carlos. Schlafen Sie gut.“

„Buenas Noches, Señorita. Und noch mal vielen Dank.“

„Und lassen Sie das alberne Señorita. Sagen Sie Judith, bitte. Bis morgen.“ Sie verschwand in ihrem Schlafzimmer und Carlos begab sich in sein eigenes Reich.

Es war schon hell draußen als er erwachte. Er blinzelte ein paar mal und musste erst überlegen, wo er sich befand. Dann schob er die Füße aus dem Bett und tappte zur Tür. Ein vorsichtiger Blick in den Flur. Alles ruhig.

„Señorita? Judith?“

Keine Antwort. Alles still. Dann öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer einen Spalt weit und Flocke kam heraus und gähnte. Er strich ihm wieder um die Beine und maunzte.

Carlos bückte sich lächelnd und strich dem Kater über den Kopf.

„ Dein Frauchen ist wohl schon zur Arbeit, was?“ Er nahm eine angenehm heiße Dusche, kleidete sich an und trat dann wieder in die Küche. Sein Platz vom Vorabend war fürs Frühstück gedeckt.

 

Eine Thermoskanne mit Kaffee stand dabei, ebenso ein paar Brötchen in einem Korb. Auf der Arbeitsplatte der Küche lag ein Zettel neben einem Schlüsselbund und einem Zwanzigeuroschein. Judith hatte in holperigem spanisch eine Nachricht hinterlassen.

 

Guten, Morgen!

Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.

Der große Schlüssel passt in die Haustür

und der kleinere in die Wohnungstür.

Nehmen Sie das Geld mit für unterwegs.

Ich bin um halb Fünf zurück.

Judith

 

Carlos stöhnte leise. Es war ihm unangenehm, dass sie jetzt auch noch ein Taschengeld für ihn zurecht legte. ‚Judith, warum machst du das? Du bist zu leichtsinnig.’

Er schob Schlüssel und Geld in die Hosentasche, dann setzte er sich ans Frühstück.

Judith kam wie versprochen um halb fünf zurück. Der Geruch von leckerem Essen war ihr schon im Treppenhaus entgegen gekommen. Jetzt stand sie mit offenem Mund in der Küchentüre. Carlos zündete soeben die Kerzen auf dem Tisch an und lächelte ihr entgegen. Er hatte tatsächlich gekocht! Judith war baff.

„Buenos Dias, Sen…Judith! Haben Sie Hunger? Essen Sie, bitte. Versuchen, bitte. Es ist gut.“

Judith hängte ihren Mantel auf und ließ sich dann auf ihren Stuhl fallen.

„Ich glaub’s ja nicht! Wenn Sie versprechen, jeden Tag zu kochen, dürfen Sie so lange bleiben, wie Sie wollen!“

Es goss dunklen Rotwein in die Gläser und füllte zuvorkommend die Teller. Judith kostete vorsichtig und schloss genießerisch die Augen.

„Hmmmh, das ist ja himmlisch! Was ist das?“

Carlos zuckte bedauernd mit den Schultern. „Ich weiß nicht, kann nicht sagen auf deutsch. Ist aber Huhn drinnen. Rezept von meiner Madre.“

Es war so eine Art Geschnetzeltes, dick eingekocht in einer hellen Soße, mit unterschiedlichem Gemüse darinnen. Als Beilage hatte er einen großen Topf Reis gekocht.

Judith futterte begeistert. „Carlos, ich liebe Sie! Ihre Madre ist ein Genie! Das können Sie ihr von mir bestellen.“

Er lachte über ihr Kompliment und freute sich. „Ist nur Dank. Sie haben gemacht so viel für mich.“

„Jawohl!“, bestätigte sie Augen zwinkernd. „Und das mache ich nicht für jeden!“

Er lachte wieder, leicht verlegen. ‚Gott, wie süß ist das denn’, dachte Judith und zuckte gleich darauf leicht zusammen. ‚Haltung, Bensberg. Du bist hier der Gastgeber. Was soll dein Gast von dir denken?’

„Und was haben Sie heute so gemacht?“

Er erzählte von seinem Tag, dann wollte er wissen, was sie denn so arbeite.

„Raten Sie doch mal. Was denken Sie denn?“

Er kniff die Augen zusammen, die Judith immer noch irritierten und legte den Kopf schief.

„Vielleicht…Sie verkaufen etwas? Nein? Sie sind eine Lehrerin? Nein? Ich weiß nicht! Sie sagen, bitte.“

„Ich arbeite in einem Museum.“

„Oh, wirklich? Was dort?“

Sie erzählte von ihrer Tätigkeit in der Werkstatt des Museums, von der oft öden Puzzlearbeit an Scherben und anderen Teilen, wenn man einen Haufen Tonkrümel wieder zu einem Gefäß zusammensetzen sollte. Oft saß sie tagelang über einem Stück Scherbe und grübelte und probierte so lange, bis es endlich passte. Judith bemerkte so etwas wie Bewunderung in seinem Blick.

 

 

„Sie haben studiert, Judith?“

„Nein. Den Job beim Professor habe ich eher durch einen Zufall bekommen, als sie Aushilfen gesucht haben. Und ich interessiere mich halt für andere Kulturen. Das ist alles.“

„Ich habe Ihre Bücher gesehen. Sie lesen sehr viel. Wissen ganz sicher auch sehr viel.“

Jetzt war es Judith, die rot wurde. „Ach, na ja, es geht so. Ich lerne halt gerne Neues.“

Sie verschlang Berichte über Expeditionen und Ausgrabungen wie andere Leute Kriminalromane. Kaum eine Dokumentation zu dem Thema, die sie nicht sah.

„Ich finde es einfach spannend! Das ist unsere Geschichte, Carlos! Die Geschichte der Menschheit! Und man könnte so vieles lernen von den Alten!“

Carlos sah in ihr Gesicht und war fasziniert von ihrem Wesen. Die deutschen Männer waren wirklich blind und dumm. Sie wechselten wieder ins Wohnzimmer nach dem Essen und diskutierten noch eine Zeitlang über das interessante Thema. Judith öffnete am anderen Morgen

sehr leise die Tür zum Gästezimmer. Sie war schon draußen gewesen und hatte frische Brötchen geholt und wieder den Tisch gedeckt. Die bunten Vorhänge waren zu gezogen, es war dämmrig im Raum.

„Carlos? Aufwachen, Frühstück ist fertig.“

Einen Moment tat sich nichts, dann tauchte ein Wuschelkopf unter der Decke hervor. Er murmelte etwas in Spanisch und nickte dann. „Gut. Ich komme gleich.“

Judith nickte lachend. Kurz darauf hörte sie das Duschwasser laufen. Er kam nach fünfzehn Minuten fix und fertig in die Küche.

„Was machen wir heute, Carlos?“

„Sie nicht arbeiten?“

„Nein, es ist Wochenende.“ Sie verriet ihm nicht, dass sie sonst fast jedes Wochenende arbeitete. Judith schlug vor, ihm die Stadt zu zeigen und er willigte ein.

Sie hatten viel Spaß an den beiden Wochenendtagen, machten eine Fahrt auf dem Fluss mit der weißen Flotte, wanderten über verschiedene Weihnachtsmärkte und durch beleuchtete Einkaufszonen. Carlos trank zum ersten mal Glühwein und musste husten bei dem ungewohnten Alkoholgehalt. Er probierte auch die Maronen, aber am besten schmeckten ihm die gebrannten Mandeln. Judith kaufte heimlich eine große Tüte für ihn, als er mal nicht hin sah und ließ sie in ihrer Riesentasche verschwinden. Sie würde sie in seine Reisetasche schmuggeln, kurz bevor er abreiste.

Am Montag, auf dem Weg zum Flughafen - im Taxi - herrschte dann eher eine bedrückte Stimmung. Carlos fühlte leichte Trauer. Er hatte sich bei Judith sehr wohl gefühlt. Sie war ein wunderbarer Mensch, offenherzig und freundlich. Ohne Vorbehalte gegenüber anderen Völkern. Und hübsch war sie, sehr hübsch. Er bedauerte, schon abreisen zu müssen. Er riss sich los von seinen trüben Gedanken als das Taxi bremste, stieg rasch aus und öffnete ihr die Wagentür. Die Tasche hängte er sich über die Schulter, dann nahm er wie selbstverständlich Judiths Hand und wanderte suchend durch die Schalterhalle. Das Gepäck war rasch aufgegeben. Jetzt musste er sich endgültig von seiner Gastgeberin verabschieden. Vor dem Gate blieben sie stehen und er wandte sich zu ihr hin und fuhr mit einem Zeigefinger über ihre Wange. Judith hatte die Luft angehalten und starrte in die so ungleichen Augen. Das braune leuchtete warm, das blaue glitzerte.

„Danke, Judith. Für alles. Ich möchte…..“

In Worten konnte er es nicht ausdrücken; er beugte sich leicht vor und küsste sie zum Abschied. Judith hatte die Augen geschlossen, spürte seine Lippen auf ihren eigenen, ganz leicht und warm. Ihr Herz schlug plötzlich bis in die Ohren hinauf.

Eine einzelne Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und er wischte sie mit dem Daumen weg. „Nicht weinen, bitte. Jetzt hast du nicht mehr Arbeit mit fremdem Gast. Und Kater ist wieder einziger Mann in Haus.“

 

 

 

„Ach, du………..Knallkopf!“

Judith hatte einen Kloß im Hals. Wieso stellte sie sich nur so blöd an? Sie kannte diesen Carlos doch gar nicht, war praktisch über ihn gestolpert und hatte sich seiner angenommen, weil es sonst niemand tat. Aber das war wahrscheinlich der springende Punkt. Es war angenehm in eine beleuchtete Wohnung nach Hause zu kommen, fertiges Essen auf dem Tisch zu haben, jemanden, mit dem sie ihre Tageserlebnisse teilen konnte. Einen anderen Menschen. Und dieser andere Mensch musste jetzt abreisen. Weil er auf einem anderen Teil der Erdkugel lebte. Und dort sicher jemand auf ihn wartete.

Judith schluckte den dummen Kloß im Hals hinunter.

„Danke für deinen Besuch, Carlos. Es war nett, dich kennen zu lernen. Und vielleicht kommst du ja mal wieder her ……..“

„Ja, vielleicht…“ Er fasste in die Jackentasche und zog ein Goldkettchen heraus, mit einem kleinen Anhänger, das einen Mayagott darstellte. Es war seine eigene, Judith hatte sie an seinem Hals hängen sehen. „Für dich.“

„Nimm es“, bat er. „So du hast…ein…. Gedanken an mich?“

„Es heißt ein Andenken an mich.“

Judith schüttelte den Kopf. Die Rührung wollte sie wieder überkommen und sie tarnte es hinter einem brummigen Knurren. „Dummer Kerl! Ich werde auch so an dich denken! Musste mich ja schließlich mit zwei Gaunern schlagen.“

Er lachte leise. „Ja. Mutige Judith. Ich muss gehen.“

„Guten Flug. Und vielleicht schreibst du ja mal. Ich werde es schon irgendwie lesen können.“

Sie umarmte ihn fest, dann wandte sie sich rasch ab und rannte fast zum Ausgang. Von der Türe her winkte sie noch einmal, dann war sie draußen.

Im Flugzeug sah Carlos aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen.

‚Adios, tapfere Judith.’

Er würde sie nicht vergessen.

 

 

 

 

 

2. Unruhe – und Carlos

 

 

Judiths Hände waren wieder mit den Artefakten beschäftigt. Aber ihre Gedanken waren wo anders. Sie säuberte eine kleine Figur von Erdresten, hatte schon ein paar mal mit einem weichen Pinsel darüber gewischt, spülte sie jetzt mit warmem Wasser ab und stellte sie zur Seite zum trocknen. Judiths Gedanken wanderten wieder zum Professor hin. Er hatte sich seit einigen Wochen nicht mehr gemeldet, auch weitere Kisten mit Fundstücken waren keine gekommen. Kein Anruf, keine Briefe, nichts. Als hätte die Erde ihn verschluckt. Ob ihm etwas zugestoßen war? Im Urwald konnte alles Mögliche passieren. Er war zwar öfter mal ziemlich vergesslich, aber bei seiner Arbeit war er eigentlich immer als pingelig und akribisch genau bekannt. Hatte er vielleicht Ärger mit den Behörden? Professor Auerbach war ein entschiedener Gegner von Bestechungsgeldern, trotzdem ging es manchmal einfach nicht ohne. Wer gut schmiert, der gut fährt. So ist das nun mal auf der Welt. Judith legte Pinsel und Handschuhe zur Seite und rief noch einmal bei der Poststelle des Museums an. Nutzte aber nichts. Immer noch nichts Neues vom Prof. Langsam machte sich Unruhe in Judiths Hinterkopf breit. Ob sie wohl mal selbst rüber fliegen sollte? Sie wusste, dass der Professor und sein Assistent nach Mexiko City geflogen waren und von dort aus nach Cancun. Und von da aus waren sie mit ein paar LKWs und dann mit Mauleseln weiter in den Dschungel gezogen.

„Wenn ich hin fliege und es ist nichts, reißt mir der Prof den Kopf ab. Aber wenn ich nicht fahre kann ich auch nicht in Ruhe arbeiten. Außerdem ist hier eigentlich nichts mehr zu tun. Die geschickten Fundstücke sind alle sauber verpackt und katalogisiert. Ich werde mal bei der Direktion fragen wegen einem Urlaub.’

Der Direktor war nicht sehr begeistert, genehmigte aber schließlich den Urlaub. Sie hatte noch Resturlaub vom alten Jahr und den ganzen neuen zur Verfügung, den sie jetzt hintereinander reihte. So kamen acht Wochen zusammen, in denen es doch möglich sein musste, den Professor auf zustöbern. Sie buchte sich einen Flug nach Cancun und besorgte sich das nötige Visum in der mexikanischen Botschaft. Der Kater wurde der Fürsorge ihrer Nachbarin anvertraut und Judith packte ihren Wanderrucksack für die Reise. Als sie aus ihrem Nachtschränkchen das Nageletui heraus nahm, blieb etwas daran hängen und fiel klimpernd zu Boden. Judith hob den glänzenden Gegenstand auf.

Das Kettchen von Carlos.

Sie hatte es nie getragen, aus Angst, es zu verlieren. Wie es ihm wohl ging, da drüben in seiner fernen Heimat? Ein paar Sekunden drehte sie das Schmuckstück in der Hand hin und her, dann hängte sie sich die Kette kurz entschlossen um.

„Noch Kaffee, Señora?“

Judith nickte. „Ja, danke.“ Sie saß auf der weitläufigen Terrasse ihres riesigen Hotels und hatte soeben ihr Frühstück beendet. Der freundliche Kellner goss den Kaffee ein und wanderte wieder davon. Judith studierte eine englischsprachige Zeitung, konnte sich aber nicht wirklich darauf konzentrieren. Zum Wiederholten mal zog sie den Umschlag aus der Hosentasche. Es war der einzige Brief, den sie persönlich vom Professor erhalten hatte. Er war in einem kleinen Örtchen namens Santo Domingo abgestempelt worden. Judith seufzte wieder vernehmlich. Santo Domingo - von Orten oder Dörfern dieses Namens musste es unzählige geben. Aber vielleicht konnte man aus dem Inhalt des Briefes nähere Angaben entnehmen. Wieder las sie den Brief, den sie eigentlich schon auswendig aufsagen konnte. Er berichtete begeistert von seiner Arbeit, den Funden, die immer wieder zu Tage kamen. Sie konnte ihn förmlich vor sich sehen, mit der Lupe bewaffnet, den Pinsel in der Hand, über ein Fundstück gebeugt. „Großartig, großartig“, würde er murmeln, das Teil in einen weichen Lumpen wickeln und persönlich verpacken. Judith faltete die Zeitung zusammen, trank den letzten Schluck Kaffee und erhob sich. Sie wollte heute in die Altstadt von Cancun und sehen, ob sie eine Straßenkarte oder ähnliches erstehen konnte. Und dann würde sie sich überlegen, wie sie weiter vorgehen sollte um den alten Herrn auf zu stöbern.

 

 

Das war sie!

Ganz sicher! Das braune lange Haar, die Gestalt, der typische Gang….. Carlos ließ den Karren stehen wo er war und rannte ihr hinterher. „Señora! Señora! Judith! Bleib doch stehen, bitte!“

Die schlanke Frau drehte sich um, das lange Haar flog um ihre Schultern. Stirn runzelnd sah sie auf den Mann, der winkend auf sie zu lief. Wer kannte sie hier mit Vornamen? Er kam keuchend näher, blieb schwer atmend vor ihr stehen und sie starrte ihn überrascht an. Ein braunes und ein blaues Auge! Konnte das sein?

„Judith! Ich bin es, Carlos! Kennst du mich etwa nicht mehr? Du…bist doch Judith, oder? Señora? Sie sind doch Judith Bensberg?“

Er war plötzlich unsicher, weil sie nichts sagte.

Aber jetzt ging ein Leuchten über ihr Gesicht. „Carlos? Carlos Martinéz! Das glaube ich ja nicht!“ Sie fiel ihm lachend um den Hals, obwohl er staubig und verschwitzt war. Erschrocken schob er sie wieder von sich.

„Nein, Judith! Wenn das jemand sieht, ich habe großen Ärger. Arbeiter im Hotel dürfen nicht mit Touristen zusammen…ich meine, nicht so…“ Er verhaspelte sich und sie lachte.

„Aber was machst du denn in Mexiko? Ich dachte, du lebst in Peru oder allenfalls noch in Chile! Dann bist du gar kein Inka?“

„Nein“. Er schüttelte den Kopf. „Wir sind Maya, meine Familie sehr alt, mächtig früher. Jetzt nicht mehr.“ Er sah aus, als ob es ihm leid täte, dass seine Familie ihre mächtige Stellung verloren hatte.

„Und du arbeitest hier im Hotel?“

„Manchmal. Mein Vater hat…wie sagt man…..wo wachsen Blumen….“

„Gärtnerei? Deine Familie betreibt eine Gärtnerei?“

„Si. Gärtnerei. Ich bringe Blumen in Hotel, wenn bestellen.“ Dann zuckte er zusammen. „Oh, Blumen! Ich habe draußen, fast vergessen…“ Er lief durch den Haupteingang hinaus und kam mit seinem Karren wieder hinein. Der zweirädrige Karren war schreiend bunt bemalt, mit den unterschiedlichsten Blumenmustern, und voll beladen mit Blumen aller Art. Er tauschte in allen Vasen in der Lobby die neuen Blumen gegen die alten aus und steuerte dann seinen Wagen wieder nach draußen. Judith folgte ihm langsam. Die verblühten Blumen brachte er zu einer Kompostanlage hinter dem Hotel.

„So, jetzt ich kann nehmen Pause.“ Von einem Stand am Weg holte er zwei Flaschen Wasser und hielt ihr eine hin. Er öffnete seine eigene, nahm ein paar lange Züge und goss sich den Rest über den Kopf.

„Hey!“ Judith sprang lachend zurück.

„Perdón. Aber ist gut! Kalt!“ Er wischte sich das Wasser mit dem Ärmel vom Gesicht. Dann wanderten die irritierenden Augen wieder zu Judiths Gesicht.

„Du machen Urlaub in Mexiko? Nicht arbeiten?“

„Nein, nicht arbeiten“, erwiderte sie lachend. „Das heißt, mehr oder weniger.“ Sie erzählte ihm von ihrer Sorge bezüglich des Professors und er verzog missbilligend das Gesicht.

„Und du gehst suchen ihn? Allein? Nicht gut, Señorita! Böse Menschen überall.“

Er wedelte mit einem Zeigefinger vor ihrer Nase herum und tippte sie dann auf die Nasenspitze. Judith schob unwillig seine Hand weg.

„Ich kann mich wehren, das müsstet du doch noch wissen, oder?“

Oh, ja, er wusste es noch! Er hatte ein paar Mal von ihr geträumt, sehr intensiv geträumt. Die Erinnerung an seine Träume ließ ihn wieder rot werden und er zwang sich, an etwas anderes zu denken.

„Ich muss gehen zurück. Vater wartet, hat noch mehr Arbeit für mich. Oh, meine Madre wird sein….. übergeistert?“

„Ich denke mal, du meinst überrascht beziehungsweise begeistert. Hast du etwa von mir erzählt? Dann ist sie ganz sicher überrascht. Ob begeistert, das bleibt ab zu warten.“

Er schob den Karren die Straße entlang und sie wanderte langsam neben ihm her.

„Judith, du musst kommen zu uns. Heute Abend, bitte. Essen mit Familie. Nicht sagen nein, bitte. Ich lange fort von Deutschland…“

Er sagte ihr nicht, dass er sie anfangs sehr vermisst hatte, dass er noch immer im Traum den Kuss vom Flughafen spüren konnte, sich erinnerte wie ihr Haar duftete. Ob sie inzwischen einen Freund hatte? Sie trug keinen Ring am Finger, aber das musste nichts heißen. Er zeigte ihr, wo sie eine Straßenkarte kaufen konnte. Dann verabschiedete er sich.

„Du kommst, ja? Ich hole dich ab am Abend. Um acht Uhr. Am Hotel.“ Er fuhr - wie schon einmal - sacht mit einem Zeigefinger über ihre Wange. „Adios, Judith.“

Dann drehte er sich um und verschwand mit seinem Karren pfeifend in der Menschenmenge.

Judith stand wie angenagelt auf der Stelle. Der Zauber war wieder da.

 

Am Abend stand sie zehn Minuten vor acht vor dem Hotel, wanderte nervös hin und her und fragte sich ernsthaft, was sie eigentlich da gerade im Begriff war zu tun. Sie würde eine wildfremde Familie besuchen, die sie nicht kannte und die sie nicht kannten. Nur wegen der irritierenden Augen eines jungen Mannes. Den sie im Grunde auch nicht kannte. In Deutschland war er nett gewesen, zurückhaltend, höflich. Hier war er in seinem eigenen Revier. Wie würde er hier sein? Judith wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sich eine dunkelrote Rose vor ihr Gesicht schob. „Buenas tardes, Señorita. Du siehst sehr hübsch aus.“

Sie zuckte zusammen, wirbelte herum und riss die Augen auf. Er hatte sich ordentlich heraus geputzt. Weißes Rüschenhemd, eine weinrote Halsbinde und einen schwarzen, klassischen Anzug, der an Jacke und Hose verschwenderisch mit Silberschnallen verziert war. Judith hatte lange überlegt, was sie wohl anziehen sollte. Hosen schienen ihr unpassend, wohl möglich war die Mutter von der traditionellen Sorte. Also den wadenlangen Stufenrock mit den bunten Bändern, der beim Gehen um ihre Beine schwang. Dazu die weiße Bluse mit dem Carmenausschnitt und die Ballerinas aus schwarzem Lackleder. Noch die Stola mit den Fransen und etwas Parfüm, das leichte mit dem Blumenduft. Winzige Ohrstecker in Gold. Und das Kettchen von Carlos.

Er hatte es gleich gesehen und freute sich. Er fuhr mit einem Finger darüber und Judith hatte das Gefühl, an der Stelle sei ihre Haut verbrannt. „Du hast es noch? Ich freue mich. Fertig? Dann komm.“

Er hatte - Überraschung! - ein kleines Auto an der Straße geparkt, ein Golf Cabrio.

„Ein deutsches Auto?“

„Si.“ Er grinste. „Warum nicht? Was aus Deutschland kommt, ist immer gut. Meistens.“

Er hielt ihr galant die Tür auf und sie ließ sich in den Sitz fallen. Ihr Magen flatterte nervös und sie hielt während der Fahrt ihre Haare fest, die der Fahrtwind in alle Richtungen blasen wollte. Die Gewächshäuser der Familie Martinez befanden sich ein Stück außerhalb der Stadt. Judith hatte keine Ahnung von Gewächshäusern, doch schien ihr das alles kein kleiner Betrieb zu sein. Außer den Gewächshäusern gab es auch angelegte Felder, wo Bäume und Büsche gezogen wurden. Das eigentliche Wohnhaus war dann eine Überraschung. Es war nicht so groß wie sie es sich vorgestellt hatte. Zweistöckig mit dem typischen, roten Ziegeldach. Balkone an den oberen Zimmern, hölzerne Läden. Eine breite Veranda führte zu der großen Eingangstür aus - vermutlich - Eiche. Eine Menge Autos standen vor dem Haus geparkt und Judith beschlichen leise Zweifel. „Sagtest du nicht etwas von einem Abendessen mit der Familie?“

„Ein paar Freunde und Geschäftspartner meines Vaters sind gekommen. Das ist nicht schlimm.“ Er hielt ihr die Hand entgegen. „Hab keine Angst. Ich dich….bewahre? Bewache? Nein, das ist auch falsch. Wie sagt man?“

„Beschütze?“ Judith legte vertrauensvoll ihre Hand in seine und versuchte ein Lächeln.

„Si. Beschütze. Komm. Meine Madre freut sich.“

‚Na, hoffentlich. Oh Gott, hoffentlich mache ich alles richtig.’

Wie auf Kommando öffnete sich die schwere Tür, eine Art von Butler bat sie mit einer Verbeugung herein. Sara hatte als Gastgeschenk eine Packung teurer Pralinen für die Mutter gekauft. An der hielt sie sich jetzt fest und sah sich um. Das alte Haus hatte einen großen Patio, einen Innenhof, der jetzt am Abend mit jeder Menge Lampions beleuchtet wurde.

Gruppen und Grüppchen von Menschen - Männern und Frauen - standen in diesem Innenhof und schienen angeregt zu plaudern. Der Boden war mit kunstvoll gemalten und gebrannten Tonfliesen ausgelegt. In der Mitte erhob sich ein Brunnen, der fröhlich vor sich hin sprudelte und angenehme Kühle verbreitete. In großen Tonkübeln standen Büsche und Palmen geschickt im ganzen Hof verteilt. Kletterrosen rankten an einer Hauswand empor, die betäubend dufteten.

Carlos schob Judith durch die Gästegruppen hindurch bis zu einer Sitzgruppe aus großen Korbmöbeln. Eine Frau mit rabenschwarzem Haar erhob sich aus einem der ausladenden Sessel und sah ihnen lächelnd entgegen. ‚Kein blaues Auge’, schoss es Judith durch den Kopf.

Señora Martinéz war durch und durch eine Dame. Obwohl sie doch einen großen Sohn hatte − wie alt war Carlos eigentlich? − schien sie selbst noch jung. Das Seidenkleid in königsblau trug sie mit unvergleichlicher Grazie und königlicher Haltung. Um die Handgelenke bauschten sich üppige, schwarze Rüschen, die Knöpfe am Oberteil waren vermutlich aus Gold.

Carlos stellte sie vor. „Mama, das ist Judith Bensberg aus Deutschland. Ich habe dir von ihr erzählt. Und das, Judith, ist meine Madre.“ Stolz und Liebe klangen in seiner Stimme mit und Judith sah die zweifarbigen Augen aufleuchten. Judith hatte keinerlei Erfahrung im Umgang mit der feinen Gesellschaft. Die Señora reichte ihr die Hand zum Gruß.

„Guten Abend, Miss Bensberg“, wurde Judith in einwandfreiem englisch begrüßt. „Willkommen bei uns. Ich hoffe, Sie sprechen englisch?“

„Aber ja“, antwortete Judith erleichtert. „Guten Abend, Señora Martinez. Ich bemühe mich, Ihre Sprache zu lernen. Leider bin ich noch nicht sehr gut. Carlos spricht sehr viel besser deutsch als ich spanisch.“

Carlos’ Mutter freute sich ganz offensichtlich über dieses Kompliment. „Bitte, setzen Sie sich doch zu mir.“ ‚Jetzt kommt die mündliche Prüfung’, dachte Judith und bemühte sich, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Etwas knisterte an ihrem Arm und sie wurde sich wieder der Pralinenschachtel bewusst. Die Dame des Hauses nahm sie huldvoll entgegen.

„Nur eine Kleinigkeit“, meinte Judith bescheiden. „Ich kenne leider Ihren Geschmack nicht…“

Die Señora winkte lachend ab. „Es ist wunderbar, Judith. Ich darf doch Judith sagen?“

„Natürlich.“ Judith nippte vorsichtig an dem Rotwein, den Carlos heran geholt hatte.

„Sie arbeiten also für ein Museum? Wie interessant! Erzählen Sie doch ein wenig…“

Judith berichtete also über ihre Arbeit und die Gastgeberin lauschte andächtig, stellte gelegentlich eine Frage und kam dann wohl endlich auf den Punkt.

„Mein Sohn erzählte mir von Ihrer großzügigen Hilfe, die Sie ihm haben zukommen lassen, während er in Ihrem Land war. Natürlich werden wir Ihnen die entstandenen Kosten ersetzen.“

Ruckartig richtete Judith sich auf. „Das kommt nicht in Frage! Ich habe nur getan, was getan werden musste! Außerdem war es nicht der Rede wert! Das hätte ich für jeden getan, der Hilfe braucht!“ Sie hatte sich erhoben, die Wangen zornesrot. „Bitte entschuldigen Sie, Señora, aber unter diesen Umständen kann ich nicht bleiben…“

Carlos hatte beruhigend eine Hand auf ihren Arm gelegt und die Señora legte jetzt ihre zierliche Hand auf ihren anderen Arm. „Bitte beruhigen Sie sich und nehmen Sie wieder Platz. Ich hätte wissen müssen, dass Sie nicht zu der Sorte Mensch gehören, die sich für ihre Hilfe bezahlen lässt. Carlos hatte in allem Recht….“

Judiths Blick huschte überrascht zu Carlos hin. Er nickte und lächelte.

Nach dem Essen wanderten sie über den Innenhof und hinaus in den weitläufigen Garten. Hier gab es keine Laternen mehr, nur der Mond schien auf den gepflegten Rasen und die weiß leuchtenden Wege, die sich wie Adern über den Rasen schlängelten.

„Was hast du deiner Mutter eigentlich alles erzählt?“

„Alles“, lächelte er. „Das du mutig bist. Und mir geholfen hast. Und dass nur ein Kater bei dir wohnt, weil die deutschen Männer alle blind und dumm sind.“

Er war stehen geblieben und strich wieder mit dem Finger über ihr Gesicht. Judiths Lachen fiel etwas zittrig aus. „Das hast du nicht erzählt!“

„Nein.“ Er war plötzlich ganz nah. „Und das auch nicht…“

Sein Geruch stieg ihr in die Nase. Sie schloss die Augen und spürte seine Lippen auf ihren und seine warme Hand an ihrem Gesicht. Ihr wurde schwindelig und sie fasste nach seiner Jacke. Carlos schlang beide Arme um sie und hielt sie fest. Sein Kuss wurde intensiver, aber er bedrängte sie nicht. Eine Weile standen sie so, ganz versunken. Dann näherten sich Stimmen und Schritte auf den Kieswegen und Carlos zog sie mit sich zu einem Pavillon im hinteren Gartenbereich. Dort setzte er sich auf die steinerne Bank und zog sie neben sich.

„Judith, mi amor…“ Aber sie legte ihm rasch eine Hand auf die Lippen. „Nein, sag nichts, bitte. Das muss ich erst mal verdauen. Ich hab ein Gefühl als hätte mich eine Lawine überrollt.“

„Verzeih, bitte, ich habe dich ……übergangen.“

„Du meinst überfahren? Nein, nicht wirklich. Ich bin nur überrascht, das ist wohl alles. Ich bin nicht der Typ, von dem die Männer träumen.“

„Für mich schon.“

„Lass mich ausreden, bitte. Bisher sind die Männer immer geflüchtet. Ich bin zu eigenständig, zu unabhängig, zu wehrhaft und ich hasse dieses Zickengetue, das manche Weiber so an sich haben. Und dieses blöde Getue, nur um alle Blicke und das Interesse auf sich zu ziehen.“

Carlos hatte nicht die Hälfte von ihrem Redeschwall verstanden.

„Zicken….was?“

Sie machte ihm vor, was sie meinte und er lachte.

„Oh, das musst du auch gar nicht. Du bist schön, gebildet und mutig. Einfach perfekt.“

Er wollte sich wieder zu ihr hinüber beugen, aber Judith bremste ihn.

„Carlos, bitte, das geht mir alles ein bisschen zu schnell.“

„Tut mir leid, chica. Ich habe von dir geträumt, die ganzen Monate…“

Judith hüpfte von der Bank und stemmte die Hände in die Seiten. „So, und jetzt gehen wir zurück, bevor deine Mutter uns vermisst. Ich möchte nicht, dass sie denkt ich wäre eine Schlampe, die sich an ihren Sohn ran macht.“

„Das denkt sie nicht. Aber gehen wir.“

Judith zog die Stola fester um sich und er legte einem Arm um ihre Schultern. Am Tor zum Innenhof ließ er sie voraus gehen.

 

Der große Platz hatte sich geleert, etliche der Gäste waren schon gegangen.

Die Familie saß in einer Ecke des Hofes, wo eine weitere Sitzgruppe aufgebaut war, mit kleinen Tischchen dazu.

Jetzt saß auch Carlos Vater dabei, ein imposanter Mann, der sein indianisches Erbe mit Stolz trug. Er trug einen ganz ähnlichen Anzug wie Carlos, nur in einem taubengrauen Farbton.

Außer der Mutter saß noch eine jüngere Frau dabei, Carlos Schwester Carmelita. Sie sah ihnen gespannt und offensichtlich neugierig entgegen. Der Blick der Mutter wanderte abschätzend zwischen ihrem Sohn und dem Gast hin und her. „Ihr wart im Garten?“

„Ja, Señora. Ihr Haus und der Garten sind wunderschön, selbst im Mondlicht.“

„Was habt ihr denn so lange im Garten gemacht?“, wollte Carmelita wissen und ihre dunklen Augen funkelten.

„Das geht dich nichts an, Schwesterchen“, wurde sie von Carlos zurecht gewiesen, aber Judith antwortete freiwillig.

„Wir sind herum spaziert und dann haben wir eine Weile auf der Bank im Pavillon gesessen. Ich habe auf die Tiere der Nacht gelauscht und mich vom Blumenduft berauschen lassen.“

„Aber Carlos…“ Der strenge Blick der Mutter ließ Carmelita verstummen.

„Sie müssen noch einmal bei Tageslicht her kommen, meine Liebe. Dann zeige ich Ihnen meinen Garten und die besonderen Rosen, die ich züchte.“

„Sehr gerne. Ich danke. Und jetzt ist es wohl Zeit für mich, zu gehen. Nochmals herzlichen Dank für die Einladung. Es war wunderschön bei Ihnen.“

Judith hatte sich wieder erhoben und verabschiedete sich. Bei einem ersten Besuch sollte man nie zu lange bleiben, so viel wusste sie immerhin.

Carlos fasste nach ihrem Arm. „Mama, ich bringe den Gast nach Hause, zum Hotel.“

„Aber ich kann auch ein Taxi nehmen, du musst nicht meinetwegen noch mal aus dem Haus.“

„Wir lassen eine hübsche Dame niemals allein nach Hause gehen.“

Das war der tiefe Bariton des Vaters, wie Judith überrascht fest stellte. „Mein Sohn hat Sie abgeholt und bringt Sie selbstverständlich auch zurück. Buenas noches, Señorita.“

Und dann saßen sie wieder in dem Cabrio und rauschten durch die samtig warme Nacht. Carlos fuhr wesentlich langsamer als auf dem Hinweg, zum einen wegen der Dunkelheit und außerdem wollte er ihr Zusammensein so lange wie möglich ausdehnen.

Beim Hotel ließ er den Wagen auf einem freien Platz ausrollen. Wortlos begleitete er sie bis zur Tür. Dort hielt er sie noch einmal auf.

„Wann sehe ich dich wieder? Morgen?“

Judith nagte an ihrer Unterlippe. „Ich weiß nicht. Ich kann nicht lange herum trödeln. Ich muss endlich anfangen den Professor zu suchen.“

Offenbar hatte er einen Entschluss gefasst. „Ich komme morgen hierher, nicht zum arbeiten aber zum…desayuno….“

„Frühstück.“

„Ja, Frühstück. Und wir beschließen, wie wir deinen Professor finden. Du kannst nicht allein gehen, das werde ich nicht zulassen. Ich werde mit dir gehen und suchen.“

„Aber du musst doch arbeiten…“

Aber er ließ ihren Einwand nicht gelten. „Ich rede mit meinem Padre. Er wird verstehen. Einer Señorita in Not muss man helfen.“

Judith war erleichtert, aber auch ein wenig wütend, weil er einfach so über ihren Kopf hinweg entschieden hatte. Aber die Erleichterung überwog schließlich. Der Gedanke, so allein durch dieses Land zu reisen, mit ungenügenden Sprachkenntnissen, hatte ihr schon einige Magenbeschwerden bereitet. Sie gab nach.

„Also gut. Ausnahmsweise. Um acht auf der Terrasse?“

„Si. Acht Uhr also. Ich freue mich.“ Er fuhr noch einmal mit den Fingern über das Kettchen und erzeugte bei Judith eine Gänsehaut. „Gute Nacht, mi corazón…“ Er sah sich kurz um, ein rascher, federleichter Kuss zum Abschied, dann war er verschwunden.

In ihrem Zimmer kramte sie ihr Lexikon aus dem Rucksack und suchte nach dem Wort.

Da war es! corazón - Herz. Mi corazón, mein Herz…..

Selbiges begann, in Judiths Brust ganz unvernünftig herum zu hüpfen. Mal rauf in den Hals, mal hinunter in die Füße. Ihre Finger tasteten nach dem Kettchen und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Mi corazón….

 

Judith war schon früh aufgewacht. Es war noch dämmrig. Sie öffnete die Balkontür und trat hinaus. Rufe von frühen Vögeln hallten durch den Park. Tau lag auf Büschen und Blüten, an einem der üppigen Blumenkästen des Balkons glitzerten die Tautropfen in einem Spinnennetz, wie auf Schnüre gezogene Diamanten. Das leise Zischen der Beregnungsanlage drang zu ihr herauf. Über die Terrasse und die gepflasterten Gehwege liefen schon Gärtner und befreiten Wege und Plätze von Laub und Unrat. Eine junge Frau wischte die Tische auf der Terrasse sauber.

Ein Blick auf ihre Uhr sagte Judith, dass es gerade mal Fünf am Morgen war. Aber der Tag schien wieder heiß zu werden und sie beschloss spontan, einen Spaziergang durch den Garten zu machen.

So früh am Morgen leuchteten alle Farben in einem anderen Licht. Judith wanderte durch grüne Spalierwege, berankt mit den prachtvollen Passionsblumen, mit Gold - und Blauregen.

Sie erkannte die Stauden von Strelizien und Aronsstab und die fleischigen, stacheligen Agaven. Orchideen rankten aus aufgehängten Blumenampeln. Kolibris schwirrten wie lebende Edelsteine zwischen den Blüten umher, schoben ihre schmalen Schnäbel in die Blüten und saugten den süßen Nektar. Eidechsen huschten über die Wege, eine junge Katze spielte mit einem Kieselstein. Judith wanderte weiter, hinunter bis zum Strand und setzte sich auf eine der hölzernen Liegestühle des Hotels. Das Meer begann zu glühen, ein Streifen wie poliertes Gold schob sich vom Horizont über den Rand. Judith schloss geblendet die Augen und spürte, wie die über dem Meer aufgehende Sonne ihr Gesicht wärmte.

Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie so gesessen hatte, angenehm gewärmt von der noch nicht zu heißen Sonne und beinahe eingeschläfert vom stetigen Klang der Wellen, die im immer gleichen Rhythmus an den Strand rollten. Dann spürte sie dass jemand sie beobachtete. Sie öffnete die Augen, richtete sich auf und sah sich blinzelnd um. Carlos stand ein paar Meter entfernt an eine Palme gelehnt und lächelte.

„Hey, wie lange stehst du schon da?“

Er schob die Hände in die Taschen der ausgefransten Jeans und kam herüber geschlendert.

Das knallbunte Hawaiihemd stand weit offen, seine braune Brust war zu sehen und Judith spürte den - völlig unvernünftigen - Drang, mit den Fingern darüber zu streichen. Sie fühlte, wie ihr die Röte den Hals hinauf stieg und blickte rasch in die andere Richtung.

„Óla! Guten Morgen. Ich wollte nicht stören. Du hast so verzaubert ausgesehen….“ Er setzte sich zu ihr auf die Liege. Er machte keinen Versuch, sie zu küssen - oder etwas in der Art - und Judith war zunächst irritiert. Aber dann erinnerte sie sich daran, was sie am Vorabend zu ihm gesagt hatte.

„Es war so schön draußen, da konnte ich nicht mehr im Bett liegen. Und ich brauchte etwas Zeit zum Nachdenken.“

„Und? Hast du?“

„Was?“

„Denken? Ein Ergebnis?“

Sie seufzte. „Nein. Nicht wirklich.“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Wie spät ist es eigentlich?“

„Sieben.“ Carlos hatte auf keine Uhr gesehen, nur kurz zur Sonne hin geblinzelt und Judith staunte ein weiteres mal. Er lachte, erhob sich und hielt ihr die Hand hin.

„Gehen wir frühstücken.“

Die Tische auf der Terrasse waren frisch eingedeckt, das Frühstücksbufét lockte wie jeden Tag mit überreichem Angebot.

Während sie Müsli, Obst und Kaffee mit weichen Brötchen aß, erzählte Judith von ihren Plänen. „Ich hab nur diesen einen Brief vom Professor. Er ist abgestempelt in Santo Domingo, aber ich habe keine Ahnung, wo das sein könnte. Die Frachtkisten mit den Fundstücken, die das Museum bekommen hat, sind immer von Palenque abgeschickt worden. Es gibt in der Nähe von Palenque einen Ort namens Santo Domingo, aber ob das der richtige ist, kann ich nicht sagen. Seit Februar haben wir nichts mehr gehört und jetzt ist es Ende Mai. Unser Prof mag ja alles Mögliche sein, aber er war niemals unkorrekt. Es ist ganz untypisch für ihn, sich nicht zu melden.“

Carlos hatte zugehört ohne sie zu unterbrechen. „Und jetzt willst du nach Palenque?“

„Und in dieses Santo Domingo. Bestimmt hat jemand ihn gesehen, es muss ja auffallen, wenn ein Europäer große Kisten mit der Bahn verschickt. Und seine Ausgrabungen sind sicher nicht unbemerkt geblieben. Es muss irgendeine Spur geben von ihm.“

Carlos hatte noch am Abend ein Gespräch mit seinem Vater geführt. Der hatte sehr wohl die Blicke bemerkt, mit denen sein Sohn die hübsche Alemán angesehen hatte.

„Carlos, du bist ein Mann von Ehre, das weiß ich. Überlege also gut, was du tust.“

„Sie ist nett, Papa. Ich mag sie, ihre kluge, natürliche Art. Und sie sieht nicht auf andere herab, wie so viele Europäer oder Weiße überhaupt.“

Der Vater hatte in sich hinein gelächelt. „Nett? Soso. Dass sie auch ausnehmend hübsch ist, hast du nicht bemerkt?“ Er hatte herzlich gelacht als sein Sohn rote Ohren bekam.

„Doch, Papa.“

„Und sie ist keine Maya.“

„Nein, Papa. Aber das war Großvater auch nicht. Er hat viel für die Familie getan. Und von ihm habe ich das hier.“ Er hatte auf sein blaues Auge gedeutet. Sein Vater hatte ihn einen Moment ernst angesehen und dann genickt. „Ich vertraue dir. Du wirst nichts tun, was dem Ruf der Familie schaden könnte. Gehe mit ihr. Achte auf die Señorita und hilf ihr bei ihrer Suche. Ich wünsche ihr Glück.“

Glück, ja, das würden sie brauchen.

„Kannst du morgen abreisen?“, und als sie nickte, „dann ich komme morgen ganz früh. Wir fahren mit Bus bis nach Palenque. Es dauert ein Weile und ist nicht sehr …cómodo…“

„Bequem.“

„Ja. Nicht bequem. Nicht so wie in Deutschland.“

Judith winkte ab. „Ich bin kein Weichei. So leicht bin ich nicht zu schocken. Also mit dem Bus. Wo kriegen wir die Fahrkarten?“

„Ich kümmere mich um alles und hole dich morgen hier beim Hotel ab. Wenn du Zimmer nicht bis zu dein Wiederkommen reservieren kannst, wohnst du bei uns. Nein, sage nichts“, er hob abwehrend eine Hand, als sie den Mund aufmachte um zu widersprechen, „meine Madre besteht darauf. Und ich auch. Genug davon. Was machen wir heute? Ich nicht muss arbeiten.“

„Ich will noch mal meine Reiseapotheke durchsehen. Das ist wichtig für unterwegs. Und dann würde ich gerne mal nach Tulum fahren. Geht das?“

„Sicher.“ Er nickte. „Du willst es ansehen?“

„Und ein bisschen fotografieren, wenn das erlaubt ist. Für meine private Sammlung.“