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Die Geschichte um die Familie von Jake und Sara Wolf geht weiter. Die kleine Familie lebt glücklich in ihrem Inselhaus und dem Hotel im Reservat. Jake ebenso wie die großen Jungs beschwert sich manchmal über eintönige Alltagslangeweile. Er weiß nicht, dass sich die nächsten Abenteuer schon nähern. Wie dunkle Wolken die ein starkes Gewitter bringen....
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Veröffentlichungsjahr: 2013
Jake ‘Singing Wolf’ und Sara ‘Morning Star’
Das so ungleiche Paar lebt immer noch glücklich in British Columbia in Kanada, mit ihren Kindern und den Freunden.
Die älteren Kinder besuchen die höhere Schule in Prince Rupert, Patty geht in die Reservatsschule für die ersten Jahre.
Fünf Jahre sind vergangen, seit sie sich kennen gelernt haben und ein Paar wurden. Das Familienleben beim Hotel und auch auf ihrer Insel hat sich eingependelt. Die Jüngste in der Familie Wolf ist jetzt Julia, nach Jeremy ihr zweites gemeinsames Kind.
Auch Jemmy - wie ihn alle nennen - wird im nächsten Jahr zur Schule gehen.
Judy und Ben haben geheiratet.
Ihr Söhnchen Spencer ‚Ravenchild’ ist ein halbes Jahr alt und schon der Liebling aller.
Die Tage laufen im Gleichmass dahin, Touristen für das ‚Free Wind House’ kommen und gehen, davon gut die Hälfte aus Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern.
Innerhalb der Reservatsgrenzen ist ein Krankenhaus gebaut worden. Junge, engagierte Ärzte aller Hautfarben arbeiten dort mit viel Enthusiasmus.
Jake - und manchmal auch die größeren Jungs Jason und Nick - beschwert sich gelegentlich über die eintönige Langeweile und flüchtet dann für ein paar Tage in die Wälder um wieder den Kopf „vom Zivilisationsmüll zu entstauben“, wie er das nennt.
Dabei ahnt er noch nicht, dass die beschauliche Ruhe bald vorbei sein wird. Erste Vorboten von Aufregung und gefährlichen Abenteuern sind schon unterwegs ……..
Überraschender Besuch
Schrill tönte das Läuten des Bürotelefons über den Hof beim Hotel. Jay hastete aus dem Stall und sprintete zum Büroeingang, stolperte über die Stufe zur Veranda und ruderte mit dem Armen um nicht ins Haus hinein zu fallen. In dem Moment, als er schon die Hand über dem Apparat hatte stellte der das Klingeln ein.
„Scheiße!“
Keuchend ließ er sich auf den Bürosessel fallen. Seine Eltern waren am Morgen mit Judy und Ben in die Stadt gefahren, für ein paar wichtige Anschaffungen. Und Sara wollte auf dem Rückweg außerdem die Neuankömmlinge fürs Hotel einsammeln.
Jason war also die Oberaufsicht fürs Büro übertragen worden. Er war jetzt zwanzig Jahre alt, hatte die Schule mit Auszeichnung abgeschlossen und danach ein Jahr lang in Vancouver einen besonderen Kurs in einer Hotelfachschule besucht. Er tippte auf dem Telefon zwei Tasten und besah sich die Nummer. Ein Anschluss in Vancouver, unbekannter Name. Ärgerlich runzelte er die Stirn. Scheißtelefon. Er würde Ma überreden, ein Schnurloses anzuschaffen. Dann konnte er es mit hinaus nehmen und musste nicht immer sinnlos über das Gelände hetzen.
Rasch notierte er die angezeigte Nummer und die Uhrzeit des Anrufes, dann tippte er die Zahlenreihe in den Apparat. Es läutete wohl, aber niemand hob ab. Jay zuckte mit den Schultern. Dann eben nicht. Als er wieder nach draußen trat, kam Nick aus der kleinen Hotelwerkstatt und wischte sich die Öl verschmierten Finger an einem Lappen sauber.
„Wer war das?“
„Keine Ahnung. Aufgelegt, bevor ich ran gehen konnte. Jemand aus Vancouver, aber bei uns ist die Nummer nicht gespeichert. Also wohl keiner den wir kennen. Ich hab’ die Nummer aufgeschrieben, Ma kann heute Abend zurück rufen.“
Sein Bruder nickte zustimmend. Nicolas würde nur noch für die Sommerferien zu Hause sein, dann wollte er nach Alberta gehen um seine Rangerausbildung zu beginnen. Sara war Anfangs nicht begeistert gewesen davon, das er so weit weg gehen wollte. Jake überzeugte sie schließlich davon, das Alberta ja sozusagen nur „um die Ecke“ lag. Alberta war die Nachbarprovinz gleich neben B.C. Mit dem Auto würde er für die Strecke einen halben Tag brauchen, geradezu ein Klacks für kanadische Verhältnisse. Sara hatte also zugestimmt. Hätte sie allerdings gewusst, dass zu der Ausbildung auch Fallschirmspringen gehörte, wäre ihre Entscheidung wohl anders ausgefallen. Die Springerschule hatte Nick vorsichtshalber unter den Tisch fallen lassen. Es war immerhin freiwillig und man brauchte den Springerschein eigentlich nur wenn man sich für die Feuerbekämpfung melden wollte. Aber man konnte nie wissen wofür so eine Ausbildung mal gut war und Nick würde sie auf jeden Fall mit durch ziehen.
Nick hatte seit dem Frühstück in der Werkstatt gearbeitet, ein paar Möbel repariert und neue gebaut. Dann hatte er den Motor des Rasenmähers auseinander genommen und komplett überholt. Jetzt lief er wieder gleichmäßig und schnurrend. Mit weitem Schwung warf er den Putzlappen zurück in die Werkstatt und sah dann auf die Uhr.
„Es ist fast Mittag.“ Er grinste breit. „Mein Magen sagt mir, dass gleich geläutet wird.“
Als hätte sie es gehört, kam in diesem Augenblick eine der Küchenfrauen heraus und schlug zweimal gegen die Glocke, was soviel hieß wie ‚Essen in zehn Minuten’.
„Das Glöckchen ruft das hungrige Kind“, zitierte Nick, wieder grinsend. „Ich gehe schnell Hände waschen. Hunger!“
Jay schüttelte lachend den Kopf und folgte ihm ins Wohnhaus. „Wo sind die Mädchen hin? Hast du eine Ahnung?“
„Nee. Das heißt doch. Wollten mit den Kleinen runter zum Riverbeach. Zumindest hat Janet so was angedeutet.“
Riverbeach - so hatten sie das Stück am Flussufer getauft, das mit viel Sand und einer Absperrkette für Einheimische und Gäste als Badezone eingerichtet worden war.
Jay nickte zufrieden. „Na, sie werden die Glocke ja hören. Es sei denn, sie haben sich ein Picknick mit genommen. Und Julie kann ihr Mittagsschläfchen auch draußen auf einer Decke machen, wenn die Größeren aufpassen. Was meinst du, soll ich schnell runter laufen und nach ihnen sehen?“
Nick zog eine viel sagende Grimasse. „Wenn du unbedingt willst, das Janie dir ins Gesicht springt…..“ Ihre Schwester Janet mit ihren jetzt fünfzehn Jahren konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihre Brüder meinten, den Wachhund spielen zu müssen. Janet legte großen Wert auf ihre Selbstständigkeit und Sara ließ sie nach Möglichkeit gewähren.
Dieses Mal grinste Jay. „Hast Recht, ich hab’ keine Lust auf einen Streit mit der Wildkatze. Lassen wir sie also, wo sie sind.“
Bis zum Abendessen waren auch die Eltern wieder da.
Sara und Jake hatten die neuen Gäste im Gepäck. Ein junges Paar aus London. Sara hatte nur einen Blick auf die Beiden werfen müssen um fest zu stellen, dass sie zwei schwierige Kandidaten ins Haus bekamen. Die Frau knickte beim Aussteigen aus dem Hotelvan mit ihren Highheels um. Der junge Mann sah sich sichtlich entnervt um und verzog missmutig das Gesicht. Seine finstere Miene sprach Bände, als er sich zu der jungen Frau umwandte.
„Audrey, das ist nicht dein Ernst, oder? Du willst nicht wirklich hier Urlaub machen, nicht wahr?“
Aber Audrey schien begeistert zu sein. „Aber sicher, Darling! Ist doch toll hier, so urwüchsig und naturell! Und wir tun was Gutes für die Ureinwohner. Sieh dich doch erstmal um!“
„Das tue ich gerade. Und ich werde morgen wieder abreisen. Hier bleibe ich nicht. Zwei Wochen im Urwald? Ich bin doch nicht Bigfoot!“ Er hatte laut genug gesprochen, es schien ihn nicht zu interessieren dass jeder in der Nähe ihn hören konnte. Jake drehte sich rasch zu Sara um, verdrehte die Augen und raunte ihr ins Ohr: „Himmel, ein Stadtfrack und eine Weltverbesserin. Herr, schenke mir Geduld.“
Sara lachte leise. „Ich werde versuchen, sie dir vom Leib zu halten. Du bringst es fertig und erwürgst sie nach einer Woche weil sie dir auf die Nerven gehen. Ich denke mal, dass ich mich persönlich um die beiden kümmern muss.“
„Oh, ja, bitte! Ich wäre dir zutiefst dankbar. Für solche Irren habe ich einfach nicht das dicke Fell. Du bist eindeutig besser in Diplomatie, Morgenstern.“
Sara strich ihm kurz über die Wange, dann atmete sie einmal tief durch und wandte sich an die neuen Gäste. Mit der Rechten deutete sie auf den Hoteleingang.
„Darf ich Sie dann zur Anmeldung bitten? Ihr Gepäck wird von einem Angestellten hinein gebracht, Sie brauchen sich um nichts weiter zu kümmern.“
Audrey trippelte begeistert auf ihren Stöckelschuhen neben ihr her, während ihr Freund Wayne mit säuerlichem Gesicht hinterher zuckelte. Auf dem Anmeldetresen standen schon kalte Getränke bereit und Judy hinter dem Pult, frisch wie der junge Morgen, obwohl sie doch ebenfalls erst vor einer halben Stunde aus der Stadt zurück gekommen war. Da die Beiden kein Ehepaar waren, hatte sie vorsichtshalber zwei Anmeldeformulare herausgelegt.
„Willkommen im Free Wind House, Miss Bartlett und Mister Coleman. Wenn Sie so freundlich wären, sich hier einzutragen….“
Da Wayne Coleman sich strickt weigerte, seine ablehnende Haltung aufzugeben, füllte seine Freundin beide Blätter aus. Judy bedankte sich und überflog kurz die beiden Formulare. Eine Webdesignerin und ein Börsenmakler. Die passten in etwa so gut hier her wie zwei Marsmenschen. Insgeheim bewunderte Judy ihre Freundin Sara für ihre Geduld und war ebenso wie Jake dankbar, das Sara sich um die besonders schwierigen Gäste immer selbst kümmerte. Die nervenstarke Freundin deutete wieder mit der Hand in eine Richtung. „Wenn Sie mir noch einmal folgen möchten…“
Sara zeigte ihnen den Salon mit der Bar und den Speiseraum. Außerdem den Zugang zum Büro. „Bitte sprechen Sie mich jederzeit an wenn Sie eine Frage haben. Mein Büro ist täglich ab sieben Uhr morgens geöffnet. Darf ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen?“
Audrey nickte begeistert, Wayne verzog weiterhin keine Miene. Sara führte sie nach oben zu dem gebuchten Doppelzimmer. Und Audrey war wieder entzückt.
„Liebling, sieh doch nur mal, dieses riesige Bett! Und die Möbel! Und alles aus Holz, kein Kunststoff!“
Liebling zog ein schiefes Gesicht. „Was du nicht sagst….“
Sara biss sich auf die Zunge um nicht laut heraus zu lachen. „Nun, Kunststoffmöbel würden nicht in unser Konzept passen. Wir bemühen uns, alles so natürlich wie möglich zu gestalten. Das Baumaterial kommt weitgehend aus den stammeseigenen Wäldern. Ich werde Sie jetzt verlassen und Sie können sich frisch machen. Im Bad nebenan liegt alles bereit. Abendessen gibt es in einer Stunde. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“
Sie zog die Türe hinter sich zu und atmete einmal tief durch, dann ging sie langsam nach unten. Na, Mahlzeit! Das würden wieder zwei anstrengende Wochen werden. In ihrem eigenen Haus hatte Jake schon alle Einkäufe verstaut, jedes einzelne Kind begrüßt und die kleine Julia frisch gewaschen, die trotz aller Mühen der Größeren immer aussah wie ein Maulwurf. Der Wolf hatte sich mit den Jahren geradezu zu einem Vorzeigevater entwickelt und hatte bei seiner Rasselbande auch eine Engelsgeduld, wogegen er bei den Besuchern eher schnell in die Luft ging, wenn die sich mal daneben benahmen.
Die Glocke am Hotel läutete zweimal und Sara wandte sich zur Tür ihres Schlafzimmers.
„Ich gehe mich schnell waschen und umziehen. Geh’ mit den Kleinen schon rüber, Jake.“
Er nickte. „In Ordnung. Bis gleich.“
Von oben kamen Jay und Nick herunter und grinsten. „Was habt ihr denn da für komische Vögel angeschleppt?“, wollte Nick wissen.
„Nicolas!“ Jake zog tadelnd die Augenbrauen hoch, musste sich aber selbst ein Grinsen verbeißen.
„Na, ist doch wahr! Guck dir die doch mal genauer an. Die passen doch eher in einen Luxusschuppen in die Karibik.“
„Behalte deine Meinung bloß für dich, Jay! Ma beißt dir den Kopf ab, wenn die Gäste sich beschweren. Reißt euch ja zusammen, hört ihr? Der Gast ist König!“
„Blah, blah, blah“, machte Jay. Das tiefe Knurren aus der Kehle seines Vaters ließ ihn kurz zusammen zucken. „Schon gut, Pa, ich bin ja still. So wie die aussehen, werden sie eh nicht lange bleiben. Ich wette, die sind nach einer Woche wieder weg. Höchstens.“
Der Wolf zog ein schiefes Gesicht. „Wette mal lieber nicht. Ma wird sich persönlich um die Beiden kümmern. Und du weißt, sie hat eine Menge an Überzeugungskraft.“
Das wusste Jake aus eigener Erfahrung. Sara war vor gut fünf Jahren in sein Leben gestürmt, hatte seine Schutzburg einfach überrannt und aus dem verbitterten Einsiedler wieder einen glücklichen Menschen und stolzen Krieger gemacht. Mit ihrer frischen, zielstrebigen Art hatte sie sein Leben unendlich bereichert. Und die beiden eigenen Kinder hatten dem Glück noch das Sahnehäubchen aufgesetzt. Singing Wolf liebte seine Familie über alles und würde jeden, der es wagte sie anzufassen, ohne zu zögern ins Jenseits befördern. Und dabei machte er keinen Unterschied zwischen leiblichen und adoptierten Kindern.
Sie saßen schon alle am Tisch, als die Neuen aus dem Hotel kamen. Audrey stöckelte immer noch auf ihren hohen Schuhen herum und Sara nahm sich vor, sie nach dem Essen darauf anzusprechen.
„Wir wollen einen Zweiertisch“, forderte Wayne. Er hatte sich offensichtlich nicht umgezogen und bemühte sich immer noch um seine Leidensbittermiene.
„Tut mir leid“, entschuldigte Judy, „hier draußen gibt es nur die Gemeinschaftstische, wie Sie sehen, aber es steht Ihnen natürlich frei, drinnen im Speiseraum zu essen.“
Er nickte finster, nahm sich eine Kleinigkeit vom Buffet und wollte wieder nach drinnen, aber Audrey hatte schon Platz genommen an einem der langen Tische und sah sich wieder strahlend um. „Kommst du, Schatz?“
Nur sehr widerstrebend setzte sich der junge Mann neben seine Freundin auf die Holzbank. Audrey hatte sich schon mit den anderen Gästen am Tisch bekannt gemacht und plapperte fröhlich drauf los, offenbar ohne Punkt und Komma. Und ohne Luft zu holen.
Sara registrierte aus dem Augenwinkel mit Genugtuung, das Wayne nach einer Weile aufstand, sich ein zweites Mal zum Buffet begab und dieses mal den Teller ordentlich voll packte. Die gesunde Luft schien seinen Appetit anzuregen und Sara schmunzelte in sich hinein. Bisher hatten sie noch jeden widerspenstigen, hochnäsigen Besucher geknackt und vom Gegenteil überzeugt. Bei dem hier würde es nicht anders sein. Wie immer saßen die Gäste bei schönem Wetter auch nach dem Essen noch lange draußen. Dolly aus der Küche hatte sich ein Tablett und einen Block geschnappt, wanderte jetzt herum und fragte die Gäste nach ihren Getränkewünschen. Coleman bestellte mit einem selbstgefälligen Grinsen eine ‚bloody Mary’ und sah dann ziemlich verdattert auf seinen Drink, den Dolly ihm ein paar Minuten später hinstellte. Ben, der mit großem Geschick die Drinks für die Gäste zusammen mischte, streckte unbemerkt von den Gästen einen Daumen in die Höhe und grinste in Saras Richtung. Die nickte ihm lächelnd zu. ‚Gut gemacht, Ben.’
Wayne Coleman versuchte angestrengt, sich aus den Gesprächen heraus zu halten und ein gelangweiltes Gesicht aufzusetzen. Aber es fiel ihm zusehends immer schwerer.
Später in ihrem Bett sprach Sara noch einmal das aktuelle Gästeproblem an.
„Der wird eine harte Nuss werden. Die junge Lady ist kein Problem, die braucht nur eine Kleiderempfehlung. Nur dieser Wayne…..“
Jake lachte leise und rückte dabei ein Stückchen näher. „Ich bin sicher, du wirst ihn knacken. Schließlich hast du ja auch mich geknackt.“ Sara spürte in der Dunkelheit seinen Atem, ganz nahe an ihrem Gesicht. „Und dafür danke ich dir, Morning Star. Bei dir werde ich zu Wachs.“
Er fasste sie um die Taille, rollte sich wieder auf den Rücken und zog Sara mit sich.
„Ich liebe deine Hände, Sara. Sie haben mich verändert und geformt.“ Er schob seine Finger in ihr Haar und küsste sie sehnsüchtig.
„Forme mich, Sara. Ich will deine Hände fühlen. Forme mich.“
Sara küsste ihn zurück, dann ließ sie ihre Finger federleicht über seinen Körper wandern und der Wolf begann zu keuchen. „Oh, Gott, Sara, du bringst mich um.“ Er zuckte unkontrolliert und stöhnte laut, packte sie dann und rollte sich mit ihr herum. Er brannte schon lichterloh und sein Feuer sprang über auf seine Frau.
Es war etwa eine Woche später, als ein klappriger Dodge den Zufahrtsweg zum Hotel entlang rumpelte. Darinnen zwei jüngere Männer und eine ältere Frau. Jay, der mit einer Gruppe Touristen von einem Ausritt zurück kam, sah den Wagen von weitem und fragte sich Stirn runzelnd, wer das wohl sein mochte. Er wusste, dass keine neuen Gäste angemeldet waren. Judy saß im Büro, als das Auto in einer Staubwolke auf dem Hof anhielt. Erstaunt und neugierig lief sie nach draußen und riss dann die Augen weit auf, als der Fahrer als Erstes ausstieg.
„Gabriel! Das glaub ich ja jetzt nicht!“
Tatsächlich! Er war - zugegebenermaßen - ziemlich eingestaubt von der langen Fahrt, hatte sich aber ansonsten kaum verändert. Jetzt kam er lachend auf sie zu.
„Glaub’ es. Hallo, Judy! Schön, dich zu sehen. Wir haben versucht, anzurufen, aber es war niemand da. Also sind wir auf Verdacht los gefahren.“
Aus dem Auto stiegen jetzt auch Ricky und eine kleine grauhaarige Frau, die sich neugierig und skeptisch zugleich umsah. Ricky lächelte sie liebevoll an und nahm sie an die Hand. Zusammen mit ihr kam er herüber. „Mama, das ist Judy. Ihr gehört das Hotel. Na ja, zumindest zum Teil.“ Judy nahm die Hand der kleinen Frau und drückte sie vorsichtig.
„Ich freue mich, Mrs. Fishman. Herzlich willkommen bei uns.“
Die alte Lady lächelte zögernd. „Sind Sie die sagenhafte Morning Star?“
„Nein, Mama“, antwortete ihr Gabriel an Judys Stelle. „Morning Star heißt Sara und ist doch eine Deutsche, wie ich dir erzählt habe.“
„Ach, Junge, woher soll ich denn wissen, wie deutsche Frauen aussehen!“
„Wo sind denn Alle?“, wollte Gabriel jetzt wissen. Judy gab bereitwillig Auskunft.
„Sara und Jake sind mit Touristen unterwegs, die größeren Jungs ebenfalls. Die Mädchen sind zu Besuch bei Mary und Joe und die Kleinen sind mit ihrem Kindermädchen auf dem Spielplatz. Na, die werden Augen machen! Aber kommt doch endlich mit zum Haus und setzt euch. Und trinkt etwas. Ricky, stell den Wagen da rüber auf den Parkplatz in den Schatten. Jemand wird sich später um euer Gepäck kümmern.“
Jay kam mit seiner Gruppe auf den Hof, sah das fremde Auto und die Besucher auf der Veranda im Schatten sitzen. Am Stall ließ er die Gäste absitzen und versorgte erst mit einem Helfer die Pferde, dann kam er herüber. Zuerst erkannte er die beiden Männer nicht, die da neben Judy auf der Bank saßen, dann stockte er.
„Gabriel? Und Ricky? Kann das sein?“
Ricky war aufgesprungen und kam lachend auf ihn zu. „Es kann sein, jawohl! Und du bist
dann wohl Jason? Hast dich ganz schön verändert, Mann!“ Kameradschaftlich boxte er ihm vor die Schulter.
„Warum habt ihr nicht angerufen, Ricky?“
„Haben wir versucht, war aber keiner da bei euch.“ Jay beschlich ein ungutes Gefühl.
„Moment mal, war das vor etwa einer Woche?“ Und als Ricky bestätigend nickte, hob er entschuldigend die Hände. „Ihr habt nicht lange genug geklingelt. Ich habe versucht, zurück zu rufen. Habe aber keinen erreicht. Und dann hab ich’s wohl vergessen. Tut mir Leid. Schade, das Pa nicht da ist. Und Ma. Auf die Gesichter bin ich gespannt!“ Jetzt begrüßte er auch die Mutter der Brüder und entschuldigte sich dann, um sich zu duschen und umzuziehen.
Sara war unterwegs mit dem störrischen jungen Mann und seiner überschwänglichen Freundin. Sie hatte absichtlich keine weiteren Gäste mit genommen um ungestört reden zu können. Wayne Coleman war entgegen seiner Ankündigung nicht am zweiten Tag wieder abgereist. Zwar war er immer noch verschlossen und eher abweisend, schien aber langsam aufzutauen.
An diesem Tag war er wieder mal besonders grantig. Das Pferd war ihm zu klein, der Sattel zu groß, die Sonne zu heiß, das mit geführte Essen zu kalt. Als er sich jetzt beschwerte, dass das Gras auf der Lichtung zu nass sei um sich auf den Boden zu setzen, platzte auch der geduldigen Sara der Kragen.
„Jetzt halten Sie mal für fünf Minuten den Mund, Wayne! Sie sind eine verdammte Nervensäge! Warum müssen Sie unbedingt ihrer Freundin den Urlaub verderben und ständig maulen? Machen Sie das aus Überzeugung oder aus Versehen? Bleiben Sie im Hotel, wenn Sie mit uns nichts zu tun haben wollen. Oder noch besser: Fliegen Sie nach Hause. Wir bemühen uns hier alle, aber anscheinend kann es Ihnen niemand recht machen. Verschwinden Sie einfach, hier stören Sie nur! Und jetzt essen Sie und halten ansonsten die Klappe! Audrey möchte die Natur ungestört genießen.“
Dem sonst so sehr von sich überzeugten Wayne stand der Mund offen. Seit seiner Kindheit hatte niemand mehr gewagt, ihm derart die Meinung zu sagen. Er wollte etwas erwidern, aber Saras strenger Blick ließ ihn verstummen. Audrey war während Saras Zurechtweisung feuerrot angelaufen. Sie schämte sich für ihren hochnäsigen Freund, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Auf Saras Anraten hin hatte sie die Stöckelschuhe gleich am zweiten Tag gegen bequemes Schuhwerk zum laufen und Cowboystiefel zum reiten getauscht. Sie schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen und litt unter der ständigen Unzufriedenheit von Wayne.
Jetzt saß sie mit Sara ein Stück entfernt von dem jungen Mann im Sonnenschein im Gras.
Skeptisch sah sie zu Wayne hinüber, der noch immer ziemlich sprachlos auf einer Stelle stand und wohl nicht recht wusste, wie er reagieren sollte. Sara hatte den Blick bemerkt und zwinkerte ihr jetzt aufmunternd zu.
„Wir knacken ihn. Nur Geduld, Audrey. Mir entwischt keiner. Er wäre der Erste. Fragen Sie meinen Mann.“ Audrey lachte erleichtert. Sara hatte ihr in groben Zügen ihre und Jakes Geschichte erzählt und sie hatte nur gestaunt. Herzhaft bis sie in ihr Schinkensandwich.
„Sie sind wohl geübt im Überzeugen?“
„Und wie!“, lachte Sara. „Wenn man so eine Familie hat wie ich, muss man das. Wenn Sie den Knaben behalten wollen, müssen Sie das auch noch lernen. Lassen Sie sich nicht alles gefallen, das haben Sie doch nicht nötig.“ Audrey wiegte abwägend den Kopf hin und her.
„Meinen Sie, ich sollte ihn abschießen? Obwohl…“
„Ich hoffe, das meinen Sie nicht wörtlich!“, lachte Sara.
„Was? Ach so. Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht kann ich von Ihnen lernen, Sara. Wie man gekonnt überzeugt.“
Sara lachte wieder leise, erhob sich dann und sah nach ihren Pferden, die unter einem Baum angebunden standen. Dem aufmüpfigen Wayne war irgendwie der Appetit vergangen. Er hatte sein Pausenpaket nicht angerührt. Sara warf nur einen kurzen Blick zu ihm hinüber und legte sich dann lang ins Gras. „Noch eine halbe Stunde, Herrschaften, dann geht’s weiter.“
Jake kam am späten Nachmittag früher als seine Frau zurück. Er war mit seiner Truppe zu Fuß unterwegs gewesen. Genau wie Jay wunderte er sich über das fremde Auto auf dem Parkplatz, ging aber erstmal ins Privathaus zum duschen und umziehen. Dann sah er ins Büro, aber Judy war nicht da. Auch nicht in der Küche. Durch den Küchenausgang ging er nach draußen.
„Keine Bewegung, Mann.“
Die fremde Stimme ließ ihn reflexartig herum wirbeln, er packte den vermeintlichen Angreifer, riss ihn herum und verdrehte ihm den Arm nach oben. Mit der Linken packte er ihn im Nacken und schmetterte ihn krachend gegen die Hauswand. Erst jetzt besah er sich seinen Gegner genauer und stieß einen erschrockenen Ruf aus.
„Gabriel Fishman!“
Jake hatte ihn wieder los gelassen und Gabriel drehte sich jetzt um und verzog schmerzvoll das Gesicht. „Oh, Mann, Jake! Ist das deine Art, alte Freunde zu begrüßen? Au!!“
Er bewegte vorsichtig den verdrehten Arm hin und her. Jake starrte ihn immer noch ungläubig an. „Gab! Was…wie…ach, verdammt!“
Er umarmte seinen Retter aus vergangenen Tagen und drückte ihn so fest an sich, das dem die Rippen knackten. „Menschenskind, Gabriel, ich kann’s gar nicht glauben! Seit wann bist du denn hier? Und wie geht es euch überhaupt? Und was macht Ricky eigentlich?“
Gabriel hatte sich aus der Umklammerung befreit und lachte jetzt.
„Frage ihn selbst. Er ist mit gekommen. Komm mit nach vorne. Wir haben dich kommen sehen und uns erst mal versteckt. Sollte doch eine Überraschung sein.“
Jake sauste gespannt um die Ecke und da saßen sie wieder, die lachende Judy, Ricky und eine grauhaarige Lady, die er nicht kannte. Auch Ricky wurde erst mal gedrückt, das ihm zischend die Luft entwich. Dann ergriff Jake galant die Hand der Dame und verneigte sich.
„Und Sie sind vermutlich Mrs. Fishman? Wie kann eine so jugendliche Lady schon so alte Söhne haben? Die beiden können sich glücklich schätzen. Es ist mir ein besonderes Vergnügen. Willkommen beim ‚Free Wind House’, Madam.“ Madam erhielt einen Handkuss und war erst mal sprachlos über soviel ungewohnten Charme. ‚Alter Angeber’, dachte Judy und schüttelte amüsiert den Kopf. Der Angeber schaute jetzt fragend in ihre Richtung.
„Ist Sara schon zurück?“
„Noch nicht. Bis jetzt ist nur Jay da. Er müsste beim Stall sein oder auf der Koppel.“
„Die Kleinen?“
„Beim Spielplatz, Wolf. Ich kann sie holen.“
„Nein, lass nur, das mache ich selbst.“ Um seine Familie wollte er sich persönlich kümmern.
Der Spielplatz für die kleineren Kinder war hinter der Scheune angelegt worden und er hörte schon von Weitem die hellen Stimmen seiner Sprösslinge aus den anderen Tönen heraus.
Vorsichtig näherte er sich um die Gebäudeecke und beobachtete seine Ableger erst eine Weile beim Spiel. Die kleine Julia war jetzt vier, ihr Brüderchen Jeremy etwas über fünf Jahre alt. Der Große war gerade dabei, seiner Schwester wortreich zu erklären, wie man eine Sandburg so baute, dass sie nicht einstürzte. Aber die junge Dame hatte so ihren eigenen Kopf. Jemmy seufzte ungeduldig, dabei ging sein Blick an seiner Schwester vorbei und er bemerkte die Gestalt, die lächelnd an der Scheunenwand lehnte. Julie folgte seinem Blick und sprang mit einem Jauchzer hoch.
„Daddy, Daddy!“ Die Schippe flog in den Sand und die Burg war zerstört und vergessen. Mit Gejohle stürzte sich der kleine Wirbelwind auf den Papa. Der fing sie lachend auf und wirbelte sie ein paar Mal durch die Luft. „Hallo, mein Schatz! Was habt ihr gemacht den ganzen Tag? Wahrt ihr auch brav?“ Die Kleine nickte mit gewichtigem Ausdruck und dann berichtete sie haarklein von ihren Tagesabenteuern, während sie zu dritt zum Wohnhaus wanderten.
Die Fishmans sahen sie kommen und Gabriel lachte herzlich.
„Ich muss schon sagen, du machst dich gut als Papa.“
„Nicht wahr?“, grinste Jake. „Eine meiner Lieblingsrollen, gleich hinter der als Ehemann und Liebhaber.“
Julie an seiner rechten Hand sah ernst und fragend zu ihm hoch. „Was ist denn ein Liebhaber, Daddy?“
Jake überlegte nur kurz. „Na, das bin ich um Beispiel, weil ich deine Mami ganz doll lieb habe.“ Julie war zufrieden und der Papa heimlich erleichtert. Er vergaß diese kleine Episode schnell wieder. Nicht so jedoch Julie.
Kurz vor dem Abendessen waren auch Sara, Nick und der Rest der Gäste zurück. Die gute Sara war aus allen Wolken gefallen, als sie sah wer da angekommen war. Im Gegensatz zu Jake hatte sie Mrs. Fishman schon einmal kennen gelernt. Das hatte die ältere Dame jedoch schon wieder vergessen. Es war ja nur eine sehr kurze Begegnung gewesen und außerdem schon Jahre her. Dazu noch die Aufregung wegen ihrer Söhne…
Jetzt saßen alle zusammen draußen am Familientisch und genossen das Abendessen. Sara hatte den Gästen soeben erklärt, welche Kinder am Tisch noch fehlten. Janet und Patty waren noch nicht zurück von ihrem Besuch bei Joe und Mary.
Klein Julie war während des Essens verdächtig still gewesen. Und als dann mal bei den Erwachsenen eine Gesprächspause eintrat, passierte es.
Julie sah sich Achtung heischend in der Runde um. Dann platzte sie heraus:
„Mein Daddy ist ein Liebhaber.“
Für zwei Sekunden saßen die Großen mit offenen Mündern da. Dann verschluckte sich Jake an seinem Bier und hustete, Sara spuckte sprühend Salatsoße über den Tisch und alle anderen in der Runde brüllten vor Lachen. Jake war vom Husten gleichermaßen wie aus Verlegenheit hochrot angelaufen und dem Erstickungstod nahe. Jay klopfte ihm hilfreich auf den Rücken.
„Also, wenn das keine Auszeichnung ist… Aber eigentlich ist Julie ja noch ein bisschen zu klein um das zu wissen, oder?“ Jake schnappte keuchend nach Luft und knurrte ihn böse an.
„Allerdings“, antwortete Sara an seiner Stelle. „Wo hat sie das denn wieder her?“
„Von Daddy. Wundert euch also über nichts.“ Gabriel berichtete von dem kurzen Wortwechsel zwischen Papa und Töchterchen, den Jake schon wieder vergessen hatte. Gabriel liefen noch immer die Lachtränen übers Gesicht. „Du solltest zukünftig aufpassen, was du sagst, wenn die Kleine in der Nähe ist. Daddy!“
„Kinder in dem Alter sind wie Papageien“, fügte seine Mutter noch an. „Die plappern alles nach, was ihnen vor die Ohren kommt.“
Julia, die über ihren Erfolg sehr begeistert war, lachte glucksend und klatschte vergnügt in die Händchen. Jake brachte seine Jüngste bald ins Bett, bevor noch weitere Aussprüche ans Tageslicht kamen.
Später saßen sie mit ihren Überraschungsgästen in ihrem Haus zusammen und Gabriel berichtete von ihren Aktivitäten. Die Brüder hatten einen Gemischtwarenladen gepachtet und arbeiteten fleißig, doch der Erfolg war eher dürftig. Die Pachtkosten und das alltägliche Leben in der Großstadt fraßen die Einkünfte fast komplett wieder auf. Ihre Mutter wusch auch weiterhin die Wäsche anderer Leute und das wollten ihre Söhne nicht mehr hinnehmen.
„Wir wollen raus aus der Großstadt“, erklärte Gabriel jetzt. „Mutter soll nicht mehr arbeiten, sie hat genug getan in ihrem Leben. Wir haben uns gedacht, das ihr vielleicht eine Idee hättet oder wüsstet ob es nicht hier oben in Prince Rupert oder der Umgebung etwas für uns gäbe.“
Er hatte es nicht laut ausgesprochen, aber Sara wusste auch so, was er eigentlich hatte fragen wollen, aber sich nicht traute.
‚Habt ihr nicht Arbeit und Unterkunft für uns?’
Ein kurzer Blickwechsel mit dem Wolf sagte ihr, dass er das Gleiche dachte. Jake, der neben ihr auf einem der Sofas Platz genommen hatte, nahm ihre Hand und strich leicht abwesend mit seinen warmen Fingern darüber.
„Na, mal sehen. So auf Anhieb weis ich natürlich nichts, aber wisst ihr was? Ihr seid erstmal herzlich eingeladen, ein paar Wochen zur Erholung bei uns zu bleiben. In der Zwischenzeit, denke ich, wird sich eine Lösung gefunden haben. Und außerdem müssen wir doch noch eine Menge Neuigkeiten austauschen, oder? Und Sie werden sich mal so richtig verwöhnen lassen, Mrs. Fishman.“ Letzteres war an die Mutter gerichtet, die verlegen lächelte und zart errötete.
„Das bin ich aber gar nicht gewohnt, Mister Wolf.“
„Dann werden Sie sich jetzt daran gewöhnen“, antwortete er lachend.
„Und nennen Sie mich nicht Mister, sonst komme ich mir so alt vor. Sagen Sie Jake und Sara, bitte. Ich verdanke Gabriel, das ich noch lebe. Und diese Schuld werde ich niemals begleichen können. Natürlich werden wir alle Hebel in Bewegung setzen, um euch zu helfen.“
Er gähnte hinter vorgehaltener Hand, blinzelte kurz auf seine Uhr und erhob sich.
„Und jetzt bitte ich euch, mich zu entschuldigen. Es war ein langer Tag und ich muss morgen wieder früh aus den Federn. Sara, begleitest du unsere Gäste noch hinüber?“
Jason sprang vom Boden hoch.
„Das mache ich! Geht nur schlafen, ich kümmere mich um alles.“ Er grinste breit. „Schließlich hab ich ja auch das mit dem Anruf verbummelt. Na, dann kommt mal mit mir zum Hotel rüber.“
„Gute Nacht zusammen“, verabschiedete sich Sara. „Wir sehen uns beim Frühstück.“
„Es gefällt mir schon jetzt hier“, lächelte Mrs. Fishman. „Gute Nacht allerseits.“
„Natürlich werden wir ihnen helfen“. Sara hatte sich in ihrem Bett fest in Jakes Arme gekuschelt. „Ich war sehr froh über deine Antwort.“
„Ja, ich weiß“, seufzte er müde, aber zufrieden. „Wir denken immer das Gleiche und das gibt mir Sicherheit.“ Er lachte leicht und küsste seine Frau auf die Stirn. „Du bist nun mal mein Stern, der mich überall hin leitet. Ohne dich würde ich mich im Dunklen verlaufen.“
Turbulenzen
„Bist du sicher, Ma, dass ich den Nörgelheini mit nehmen soll?“
Sara saß mit Jason im Büro und arbeitete die Trekkingpläne für die nächsten Tage aus.
„Ja, Jay, das musst du, bitte! Ich komme einfach nicht weg hier und für die nächsten Tage haben sich weitere deutschsprachige Gäste angekündigt, um die ich mich ebenfalls kümmern muss. Ich denke, du kommst von allen mit diesem Wayne noch am Besten klar. Du kannst dich mit ihm über intellektuelle Themen unterhalten, und du hast genügend Autorität, ihn falls nötig in seine Schranken zu weisen. Und du kannst dich unterwegs um Miss Audrey kümmern.“
Dazu grinste er jetzt breit. „Na, das mache ich doch gern.“
Sara hob mahnend einen Zeigefinger. „Du weißt wie ich das meine. Keine Flirts oder Annäherungsversuche.“
„Keine Sorge, Ma, ich bin ja nicht bescheuert“, beruhigte er sie. Nur all zu gut hatte er noch die hässlichen Erlebnisse im Gedächtnis mit dem Internatsdirektor und dessen Tochter. Es hatte ihn fast die Freiheit gekostet, aber dann unerwartet eine neue Familie beschert, zu der nach ihm auch seine drei Geschwister gekommen waren. Jake und Sara behandelten alle adoptierten Kinder wie ihre eigenen, es gab keine Unterschiede. Und alle liebten ihre Adoptiveltern über alles.
Jason war gelegentlich mit Mädchen aus der Schule ausgegangen - indianischen Mädchen - ins Kino oder mal zu Mc Donalds. Aber irgendetwas Festeres hatte sich bisher noch nicht ergeben. Im großen Ganzen war er mit seinem Leben, so wie es jetzt lief, zufrieden.
„Also gut, ich denke ich komme klar. Es sind ja wohl zwei Pärchen, oder?“
„Ja“, nickte Sara. „Ich werde noch selbst mit den kritischen Kandidaten sprechen. Bei Audrey musst du nur aufpassen, dass sie nicht jedes wilde Tier mit nimmt. Sie glaubt offenbar, die ganze Welt wäre ein Streichelzoo. Und Wayne ist ein Stinkstiefel, der wahrscheinlich lieber in Hawaii am Strand liegen würde. Aber er sieht wohl auch nicht ein, seine Liebste hier allein zu lassen, deshalb läuft er jetzt mit Leidensmiene herum. Wenn er Streit anfängt, darfst du dich ganz offiziell einmischen.“ Jay nickte, sie teilten auch die Führer für die Fußmärsche ein und ebenso die Gruppe, die zu Petes Dorf hinauf paddeln sollte. Mit ihnen würden dann auch die Mädchen zurück kommen.
Eigentlich hätte Sara das bevor stehende Problem schon am Abend erkennen müssen. Da sie aber den Kopf voll hatte, fiel ihr Waynes extrem gereizte Stimmung nicht weiter auf. Sie hatte mit Jay zusammen die beiden aufgesucht und erklärt, das statt ihrer Selbst am nächsten Tag Jay die Gruppe führen würde. Wayne reagierte wie erwartet säuerlich.
„Wir haben ein Anrecht auf einen erwachsenen Führer, keine Halbstarken. Warum gehen Sie nicht selbst? Oder sind Sie nicht mehr geeignet für diese Aufgaben?“
Jason musste sich sehr zusammen nehmen, dem Kerl nicht einfach eine aufs Maul zu hauen.
Sara legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. „Ich weiß ja nicht, was Sie unter halbstark verstehen, Wayne, aber mein Sohn ist mit seinen zwanzig Jahren durchaus im Stande, für die Sicherheit unserer Gäste zu sorgen. Es macht keinen Unterschied, ob mein Mann und ich oder einer unserer Söhne die Gruppe führt. Es bleibt Ihnen natürlich überlassen, Ihre Teilnahme abzusagen.“
Er nickte entschlossen. „Wir sagen natürlich ab. Audrey und ich….“
„Hey, Moment mal!“ Offenbar war seine Freundin dieses Mal nicht gewillt, sich von ihm bevormunden zu lassen. „Ich hab’ mich schon die ganze Zeit darauf gefreut, mit Camping im Freien und so! Das lass ich mir doch nicht mies machen Ich bleibe auf keinen Fall hier!“
Sie stand auf, trat auf Jason zu und reichte ihm die Hand hin.
„Du bist also Jason? Dann freue ich mich auf den Ausflug.“
Der lächelte sein charmantestes Lächeln und erwiderte den Händedruck. „Ganz meinerseits, Audrey. Ich denke, wir werden uns alle gut vertragen.“ Im Stillen feixte er über Audreys kleinen Triumph. Das boshafte Glitzern in Waynes Augen sah er nicht.
Sara hatte am Morgen die deutschen Gäste vom Bus abgeholt. Jetzt wanderte sie mit Elena Fishman über das Hotelgelände und zeigte ihr alle Einrichtungen, die Hotelküche ebenso wie Empfang, Büro und andere Arbeitsräume, die Wirtschaftsgebäude und Ställe, sogar den Spielplatz für die Kleinkinder. Und die ältere Dame schüttelte immer wieder staunend den Kopf. „Einfach großartig! Ich kann jetzt verstehen, warum meine Söhne so von Ihnen und Ihrem Mann schwärmen. Mein guter Tony und ich wurden immer ein wenig schief angesehen. Er war ja auch Indianer und ich bin eine geborene Mexikanerin. Irgendwie hatten wir immer das Gefühl, zweitklassig zu sein. Geht es Ihnen nicht ebenso? Ich meine, weil Sie doch weiß sind? Oh, verstehen Sie das nicht falsch…“
Sara lachte leise. „Oh, natürlich, ungläubige Gesichter habe ich auch schon genug angetroffen. Eine Weiße, die eine Rothaut heiratet? Aber ich habe sie alle schnell eines Besseren belehrt. Außerdem, ich bin ja so eine Verrückte aus Deutschland. Man geht wohl einfach davon aus, das wir Deutschen es nach dem zweiten Weltkrieg irgendwie schick finden, uns mit anderen Völkern zu schmücken. Als ob das wichtig wäre! Ich hätte meinen Mann auf jeden Fall geheiratet. Er hätte genauso gut vom Mars kommen können oder einfach nur aus dem Haus nebenan. Das ist alles so uninteressant! Aber manche Leute brauchen eben etwas, worüber sie sich die Mäuler zerreißen können.“ Mrs. Fishman lauschte ihren Geschichten und staunte. Jason seufzte aus tiefstem Herzen.
Er bereute schon, dass er sich freiwillig für diese fürchterliche Gruppe als Führer angeboten hatte. Das deutsche Paar - besonders die junge Frau - schien seiner Mutter nacheifern zu wollen. Ihr Freund verglich wohl alles, was er sah, mit Bildern die er aus Büchern kannte oder dem Fernsehen.
Die gute Audrey stieß immer wieder unterwegs entzückte Schreie aus, sobald sie ein Tier oder eine besonders interessante Pflanze sah. Und dieses ständige Quieken scheuerte empfindlich an Jays Geduldsnerv.
Gegen Abend steuerte er dann eine Waldlichtung an, an deren Rand sich eine ihrer Hütten befand. „Wir werden hier übernachten, Herrschaften. Wartet bitte hier, bis ich die Hütte kontrolliert habe. Ich rufe, wenn alles frei ist.“ Wayne schob sich an den anderen vorbei und wollte auch Jason umrunden, aber der stellte sich ihm in den Weg. „Hast du nicht zu gehört? Ich sagte…“
„Ich weiß, was du gesagt hast! Und ich muss mich nicht bevormunden lassen. Was soll schon großartig sein?“
Jay packte ihn vorne an der Jacke und stoppte ihn. „Tut mir leid, aber ich bin für eure Sicherheit verantwortlich.“ Auch, wenn ich es schon bereue. „Was würdest du denn tun, wenn du die Tür öffnest und ein Puma springt dir ins Gesicht? Oder eine Giftschlange?“
Jason zwang sich zur Ruhe. „Aber bitte, wenn du unbedingt willst, geh. Wir warten dann solange hier. Du wirst ja laut genug brüllen, wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist.“
Wayne zögerte merklich und Audrey nahm allen ihren Mut zusammen und mischte sich jetzt ein. „Hör’ auf damit, Wayne! Warum musst du immer Streit anfangen? Kannst du nicht einfach mal zugeben, dass du von irgendwas keine Ahnung hast? Sei endlich friedlich!“
Ungläubig sah der auf seine Freundin hinunter. „Bist du etwa auf seiner Seite?“
Bevor die aufgeheizte Stimmung endgültig explodieren konnte, sah sich der andere junge Mann - Martin aus Deutschland - genötigt, ebenfalls einzuschreiten.
„Na komm schon, Wayne. Wir setzen uns hier gemütlich hin und lassen dem Führer das Vergnügen, sich mit irgendwelchen Viechern rum zu ärgern. Vielleicht ist ja auch ein Stinktier drinnen!“ Dabei grinste er breit und versuchte, die Situation zu entkrampfen. Seine Freundin Sabine zog jetzt Audrey an der Hand zu einem umgefallenen Baum, setzte sich mit ihr dort hin und begann ein lockeres Gespräch. Jay seufzte noch einmal, verdrehte die Augen und ging einfach los, ohne sich noch mal umzudrehen.
Die Hütte schien in Ordnung zu sein. Türe und Fenster waren intakt, soweit man von außen erkennen konnte. Jay umrundete einmal die Hütte komplett, holte dann den Schlüssel aus dem Versteck und öffnete vorsichtig die Tür. Sie schwang auf den gut geölten Angeln lautlos nach innen und Jay trat langsam ein und sah sich aufmerksam um. Alles in Ordnung. Er legte Rucksack und Gewehr auf einem Bett ab, ging dann wieder nach draußen und pfiff einmal laut auf den Fingern. Vom Waldrand kamen seine Schützlinge heran getrottet, mehr oder weniger neugierig. Die Mädchen sahen sich in der Hütte um und belegten zwei der Betten mit ihren Sachen. Wayne ließ sein Gepäck achtlos zu Boden fallen. „Hier ist ein Bett zu wenig! Gibt’s keine größeren Hütten?“
„Nein“, erklärte Jay möglichst ruhig. „Außerdem: Vier Gäste, vier Betten, das reicht doch, oder?“
„Und wo schläfst du?“, wollte Audrey wissen.
„Draußen. Das ist so üblich, wenn wir mit einer Gruppe gehen.“
„Aber wenn irgendwelche Tiere….“
„Lass gut sein, Audrey! Du hast es doch gehört“, knurrte Wayne. „Das Personal schläft vor der Tür.“
Jay wandte sich rasch ab und knirschte mit den Zähnen. Personal… Du kannst froh sein, das du Hotelgast bist, Wayne Coleman. Andernfalls…
„Ich hole Feuerholz rein. Rollt die Matratzen aus und packt die Schlafsäcke auf die Betten. Da in den großen Behältern ist Trinkwasser. Vielleicht können die Mädchen einen Kaffee kochen? Was ihr sonst noch so braucht, findet ihr da im Schrank.“
„Klar, machen wir“, nickte Sabine. Jason brachte einen Arm voll großer Scheite vor das Haus, baute einen Teil davon in der offenen Feuerstelle auf und zerkleinerte den Rest mit dem Handbeil für den Ofen in der Hütte. Martin schaffte es tatsächlich, in dem Kanonenofen das Feuer in Gang zu bringen und die Mädchen kochten den Kaffee. Jay brannte das Feuer draußen an und erhitzte dann den mit genommenen Eintopf, schob die Fleischstücke auf grüne Äste und steckte sie so neben dem Feuer in den Boden, das sie schräg darüber hingen und langsam brieten, aber nicht anbrennen konnten. Es dauerte nur Minuten, dann roch es appetitlich und der Duft zog in die Hütte und ließ den Wanderern das Wasser im Mund zusammen laufen. Jay rief sie alle nach draußen zum essen. Sabine - bemüht, sich als Hausfrau zu präsentieren - verteilte Eintopf und Brot in die Aluschüsseln und reichte sie an die anderen weiter. Sie aßen hungrig und schweigend, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Jay hatte seinen Schlafsack ein Stück entfernt unter einen Baum gepackt. Aus dem Augenwinkel beobachtete er Wayne, der unruhig umher wanderte und auch immer wieder an Jays Lager vorbei ging.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“
Wayne zuckte zusammen. „Nein. Gibt’s hier so was wie ein Klo?“ Es war offensichtlich das er wieder auf dem besten Wege war, Ärger zu machen. Jay deutete mit einer Hand ins Grüne.
„Such’ dir was aus. Büsche gibt’s genug.“ Er hatte die Winchester neben sich beim Feuer liegen gehabt, immer griffbereit. Sein Instinkt schien ihn nicht getrogen zu haben; Waynes Blick zuckte kurz zu der Waffe in Jays Hand und prüfend zurück zu dem dunklen Gesicht mit den wachsamen Augen. Er verschwand im Gebüsch und Jason wanderte langsam zum Feuer zurück. Bei den anderen Dreien war die Stimmung eher verkrampft, obwohl sich Sabine um eine lockere Unterhaltung bemühte. Wayne kam zurück aus den Büschen und die Unterhaltung stockte für einen Moment. Er fasste nach dem Arm seiner Freundin und wollte sie hoch ziehen. „Kommst du? Ich will schlafen gehen.“
„Noch nicht, danke. Ich bin noch gar nicht müde. Geh ruhig schon.“
„Was soll das? Du kommst jetzt mit mir. Basta.“
„Sie hat ‚Nein’ gesagt.“ Das war Jason so ganz automatisch raus gerutscht. Aber allmählich reichte es ihm. Jetzt erschrak er über Waynes hassvollen Blick und versuchte rasch, die Situation zu entschärfen. „Wir sitzen ja alle noch draußen. Audrey wird nichts passieren und ihr geht ja nachher alle gemeinsam hinein, oder?“ Sabine und Martin bestätigten schnell seine Worte. Wayne richtete sich zögernd auf, warf noch einen Blick auf seine Freundin und ging dann wortlos hinein. Jay seufzte - wie schon so oft bei diesem Ausflug - unhörbar. Jetzt hatte er sich ganz offensichtlich einen Feind geschaffen. Er musste auf der Hut sein.
Audrey sah kurz unsicher in die Runde, kam dann herüber und setzte sich neben Jay auf den breiten Holzklotz. Ihr weißer Blondschopf mit dem zipfeligen Haarschnitt leuchtete im Feuerschein. „Tut mir leid. Ich bitte euch alle um Entschuldigung. Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist. Eigentlich ist er sonst nicht so.“
Jay wollte abwiegeln. „Schon in Ordnung, Audrey. Und du musst dich nicht für Wayne entschuldigen. Du leidest doch wohl am meisten unter seiner herrischen Art, oder?“
Dazu konnte sie nichts sagen, ohne Wayne zu beschuldigen und Jay Recht zu geben. So zuckte sie nur mit den Schultern. Jason starrte einen Moment ins Feuer, dann wechselte er geschickt das Thema.
„Morgen werden wir durch ein wildreiches Gebiet kommen. Und da gibt es einiges, was ihr wissen solltet. Ganz wichtig: Absolute Ruhe, wenn ihr was sehen wollt! Ich zeige euch rechtzeitig an, wenn etwas Sehenswertes auftaucht. Und Audrey, bitte keine lauten Begeisterungsausbrüche mehr, ja?“ Er grinste breit. „Damit verscheuchst du alle Tiere und es schadet meinem empfindlichen Gehör.“ Audrey lief puterrot an. „Oh, Gott, war ich so schrecklich? Entschuldigt bitte, Leute, ich muss wohl noch 'ne Menge lernen.“ Ihre Reisebegleiter lachten leise und Jay meinte trocken: „Wenn nur alle Leute so einsichtig wären wie du …“ Er erhob sich, streckte sich kurz und nickte abschließend. „In Ordnung, Leute. Ich denke es ist Zeit, schlafen zu gehen. Ich werde mich hinlegen. Ihr könnt natürlich machen was ihr wollt, aber ich werde euch bei Tagesanbruch wecken. Gute Nacht.“
Die Gruppe war am anderen Tag noch sehr verschlafen. Jay hatte wie versprochen beim ersten Tageslicht laut an die Tür geklopft. „Guten Morgen. Aufstehen, es gibt gleich Kaffee!
Aufbruch in einer Stunde.“ Er lauschte einen Augenblick, bis von drinnen erste Geräusche zu hören waren. Dann öffnete Martin mit kleinen Augen und wuscheligem Haarschopf die Türe.
„In Ordnung. Wir sind wach. Bis gleich.“ Jason lachte bei diesem Anblick. „Gib mir den Kaffee raus, bitte. Wenn ihr alle draußen seid, hole ich mir die Bratpfanne fürs Rührei.“
Er setzte die Kaffeekanne mit Wasser zum kochen auf einen flachen Stein, dann packte er seinen eigenen Rucksack zusammen. Nacheinander kamen seine Schützlinge aus der Hütte. Alle waren müde, die frühe Uhrzeit zum Aufstehen war eindeutig nicht ihr Ding.
Auch Wayne Coleman war wortlos aus der Hütte gekommen und Jay versuchte einzuschätzen, wie dessen Stimmung wohl heute Morgen sein mochte. Wohl nicht besser als gestern, aber wenigstens auch nicht schlechter. Jay versuchte es einfach mit einer Tasse Kaffee. „Guten Morgen. Frühstück?“ Coleman sah zu ihm hoch und nahm die Tasse. „Danke. Kein Frühstück.“ An seiner Miene war nicht zu erkennen was er dachte. Immerhin war er friedlich. Für den Moment.
Die Sonne stieg eben über den Horizont, als Jay die Hütte abschloss und sich wieder an die Spitze der Gruppe setzte. Audrey hielt sich an ihr Versprechen und jauchzte nicht mehr bei allem, was ihr in den Weg lief. Sie waren vielleicht zwei Stunden unterwegs, als Jay anhielt und die Hand hob. Langsam wandte er sich um und hob einen Finger an die Lippen.
„Kein Wort jetzt“, raunte er sehr leise. „Duckt euch ganz langsam und seht über mich weg. Eine Elchkuh mit Jungen steht da hinten an dem kleinen Bach zum trinken.“ Er deutete in die entsprechende Richtung und alle Köpfe folgten seiner Hand. Die ungeübten Touristen brauchten eine Weile, bis sie die Tiere zwischen Büschen und Bäumen entdeckt hatten.
Jay vergaß für einen Augenblick seine Gruppe, bis eine Hand ihn am Arm packte.
„Gib mir das Gewehr“, zischte es in sein Ohr. Coleman! Jay glaubte sich verhört zu haben.
„Was?“
„Das Gewehr, na los! So einen Braten kriegen wir nie wieder!“ Wayne hatte schon nach der Waffe gegriffen, die über Jays Schulter und Rücken hing und Jay zuckte zurück.
„Lass das! Spinnst du?“, zischte Jay durch die Zähne. Audreys empörter Aufschrei ließ die Elchkuh alarmiert aufsehen, sie drehte ihren Kopf in ihre Richtung und witterte, dann trabte sie eilig mit ihren Jungen davon. Audrey hatte sich wütend aufgerichtet.
„Wayne! Ich fasse es ja nicht! Wolltest du wirklich das arme Tier erschießen? Wie kannst du nur! Und was würde dann aus den Kleinen?“
Jay schob sich zwischen die beiden Streitenden und sah auffordernd in Waynes verzerrtes Gesicht. „Also? Was sollte das? Hast du sie noch alle? Du weißt genau, dass ich die Waffe niemals - niemals - aus der Hand geben darf! Ganz abgesehen davon, dass das hier kein Jagdausflug ist! Noch so eine Aktion und du gehst nie wieder mit raus!“
„Und was willst du jetzt machen?“ Wayne verzog verächtlich das Gesicht. „Mir den Hintern versohlen? Da hab ich aber Angst!“
Oh, ja, dazu hätte Jason nicht übel Lust gehabt, aber er riss sich zusammen. Wie schaffte Ma das nur, immer so ruhig zu bleiben? Er wandte sich wieder um, ohne Wayne weiter zu beachten. „Kommt weiter, bis zum nächsten Rastplatz ist es noch ein gutes Stück.“
Audrey war bei Wayne stehen geblieben. „Was ist nur los mit dir?“, zischte sie leise. „Ich erkenne dich gar nicht wieder! Musst du dich denn unbedingt unmöglich machen?“
Er wollte aufbrausen. „Und du scheinst wohl einen Narren an diesem Kerl gefressen zu haben! Der ist viel zu jung für dich, Audrey. Und ich warne dich…“
Audreys Augen waren während seiner Worte groß und rund geworden. „Was soll denn das heißen? Willst du mir etwa drohen? Jay hat recht, du hast sie ja nicht mehr alle!“
Wütend schnaubend drehte sie auf dem Absatz um und folgte der Gruppe, die sich inzwischen schon ein gutes Stück entfernt hatte. Wayne sah einen Augenblick schwer atmend hinterher und überlegte kurz, ob er einfach umdrehen sollte. Aber dann verwarf er diese Idee wieder. Er kannte sich hier nicht aus, würde sich hoffnungslos verlaufen und dann müssten ihn die anderen noch suchen. Nicht auszudenken, wenn ihn dieser Indianer in so einer Situation finden würde. Dadurch würde er nur steigen in Audreys Achtung. Weiber!
Den großen Knall gab es dann am nächsten Tag.
Natürlich konnte Audrey ihre Finger auf Dauer nicht bei sich lassen. Als sie an einem Busch vorbei gingen, in dem sich ein paar junge Stachelschweine tummelten, streckte sie eine Hand aus. „Nein, wie süß! Seht doch mal!“
Jay war beim ersten Ton herum gefahren. „Nein, Audrey! Nicht anfa….!“
Aber zu spät! Die Tierchen liefen nicht weg, aber eines schoss von seinem Schwanz ein paar der unangenehmen Stacheln in Audrey Arm. Sie zuckte mit einem Schmerzenslaut zusammen, wich erschrocken zurück und sackte zu Boden. Handgelenk und Unterarm waren gespickt mit den feinen Stacheln, die sich mit kleinen Widerhaken fest unter die Haut bohrten. Blut lief in dünnen Rinnsalen den Arm hinunter und tropfte auf ihre Jeans. Jay war mit einem Satz heran. Vorsichtig drehte er den Arm in verschiedene Richtungen. Dann winkte er Sabine herbei, die genau wie die beiden Männer vor Schreck wie auf den Platz gebannt gestanden hatte. Sabine hatte in ihrem Rucksack den Verbandskasten.
„Mach’ den Kasten auf, Sabine“, bat Jay. Er ließ sie das Desinfektionsmittel heraus suchen.
Dann sah er prüfend in Audreys blasses Gesicht. „Die Stacheln müssen heraus, und zwar komplett, sonst entzünden sie sich. Es wird etwas weh tun. Hältst du das aus?“
Audrey hatte die blutleeren Lippen fest zusammen gekniffen und nickte wortlos. Jay zog sein Bowiemesser aus dem Gürtel und Audrey wurde noch eine Nuance blasser, falls das überhaupt möglich war. Langsam ließ Jay einen dünnen Strahl von der Desinfektionsflüssigkeit über die Klinge laufen.
„Was soll das werden?“, wollte Wayne misstrauisch wissen.
„Die kleineren Stacheln kann man mit etwas Glück so heraus ziehen, mit einer leichten Drehung, aber die größeren muss ich mit dem Messer raushebeln.“
Audrey war zurück gezuckt, hatte jetzt die Augen geschlossen und schluckte. „Also gut. Mach schon, ich werde auch nicht schreien.“ Sie lehnte sich an Sabine, die sich hinter sie gesetzt hatte und den Arm so hielt, wie Jay es ihr zeigte. „Halte sie gut fest, sie darf den Arm nicht bewegen.“ Aus einer kleinen Dose sprühte er noch etwas Vereisungsmittel auf den Arm zur Betäubung, dann pulte er sorgfältig und so rasch wie möglich Stachel für Stachel aus Audreys Arm. Es dauerte fast eine halbe Stunde, dann war es geschafft. Das Mädchen zitterte und Jay hatte kleine Schweißperlen auf der Stirn. Aus einer Plastikdose strich er eine Heilsalbe auf den Arm. Dann noch einen festen Verband darüber und eine Tetanusspritze in den Oberarm.
Audrey hatte während der ganzen Aktion keinen Laut von sich gegeben und Jay lächelte sie jetzt aufmunternd an. „Tapferes Mädchen. Wir gehen heute nicht mehr weiter. Der Platz hier ist genauso gut wie jeder andere und Audrey kann sich etwas ausruhen. Morgen müssen wir zurück.“ Aber Audrey wollte nicht. „Morgen ist es sicher schon viel besser. Dann können wir weiter gehen.“ Jay war es nicht nach Diskussionen zumute und er nickte daher.
„Wir werden sehen.“
Audrey fühlte sich leicht schwindelig und Jay empfahl ihr, sich hinzulegen. Sabine breitete ihren Schlafsack aus und half ihr, hinein zu schlüpfen. Das wäre eigentlich Waynes Aufgabe gewesen, aber Jay sagte nichts dazu sondern hielt sich zurück. Die Lage war schwierig genug. Er hatte einen Streithammel am Hals und eine Verletzte. Weiteren Ärger konnte er nicht gebrauchen.
Nach dem einfachen Mittagessen sah Jay nach dem verletzten Mädchen, da Wayne auch weiterhin keinerlei Anstalten in dieser Richtung machte. Jay hatte ihn darauf angesprochen. „Willst du nicht mal nach deiner Freundin sehen?“
„Wozu? Die ist doch gut versorgt.“ Wayne zuckte uninteressiert mit den Schultern.
Mit einer Tasse Tee kniete sich Jay neben Audrey, prüfte den Verband und legte kurz eine Hand auf ihre Stirn. Fieber hatte sie wohl keins, also mit etwas Glück auch keine Infektion.
„Magst du einen Tee?“
Audrey richtete sich ein Stück auf und nahm den Becher in die gesunde Hand. „Oh, ja, danke. Meine Zunge fühlt sich so an, als hätte ich irgendwas mit Fell gegessen.“
Jay musste lachen über ihr komisches Gesicht. „Das wird schon wieder.“ Kurz strich er ihr mit einer Hand über die Wange. Ein wütender Laut ließ ihn herum fahren, eine Hand riss ihn zurück und eine geballte Faust traf ihn ins Gesicht. „Lass die Finger von meinem Mädchen, Rothaut!“ Wayne! Mit wutverzerrtem Gesicht und geballten Fäusten stand er über ihm und wollte wieder ausholen. Das war aber nun endgültig genug! Jay rollte sich geschickt über eine Schulter nach hinten ab und rappelte sich auf. „Was soll das, Coleman? Drehst du jetzt völlig durch?“ Der schien aber für kein vernünftiges Argument mehr zu haben zu sein. Er wollte wieder auf Jay los, der ihm jetzt entgegen sprang, sich unter Waynes Fäusten hinweg duckte, den Angreifer mit der Schulter rammte und ihn von den Beinen riss. Audrey hatte sich entsetzt aufgerichtet. „Martin, tu doch irgendwas!“ Aber Martin war klüger. Er schüttelte den Kopf. „Nein, Audrey, nicht einmischen! Lass sie es ausfechten. Das muss endlich entschieden werden.“ Wayne war ein flinker Gegner, aber Jay hatte von Jake gelernt, sich zu verteidigen. Von einem asiatischen Mitschüler hatte Jay zudem ein paar Tricks gelernt, die Wayne nicht kannte. Zu guter Letzt schickte Jay seinen Kontrahenten mit einem gut gezielten Handkantenschlag endgültig ins Traumland. Einen Moment stand er schwankend und schwer atmend auf der Stelle, dann wandte er sich ab und stolperte zu seinem Rucksack hin, ließ sich daneben fallen und zog ein Handtuch heraus. Eine Wange war aufgeschürft und aus der Nase lief ein dünner Blutfaden. Mit dem Handtuch versuchte er vorsichtig das Blut weg zu wischen. Langsam sah er auf, als eine kleine Hand ihm das Tuch aus den zitternden Fingern nahm, mit Wasser aus der Flasche anfeuchtete und vorsichtig das Blut von der Wange tupfte.
Audrey. Er wollte sie weg schieben. „Nicht….er wird nur noch wütender, wenn er jetzt aufwacht.“ Audrey verzog geringschätzig das Gesicht. „Mir egal. Das ist doch wohl das Mindeste was ich tun kann. Für so etwas gibt es keine Entschuldigung. Wie kommt er dazu, auf dich los zu gehen?“ Jay wollte grinsen und verzog schmerzvoll das Gesicht. Die aufgeschrammte Haut brannte. Prüfend fuhr er mit der Zunge über seine Schneidezähne, ob vielleicht einer locker wäre. Das war aber wohl nicht der Fall. Er sah kurz zu Coleman hin, der aber noch immer betäubt auf derselben Stelle lag.
„Das ist doch wohl offensichtlich, oder? Er ist eifersüchtig.“
„Nein, er ist ein Idiot! Zu so was hat er doch wohl keinen Grund!“
Jason hielt ihre Hand fest und sah ihr ins Gesicht. „Hat er nicht?“
„Ich werde mir das nicht mehr gefallen lassen. Seine ständige Bevormundung geht mir auf die Nerven.“
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“
Plötzlich unsicher geworden, wich Audrey seinem Blick aus und erhob sich. „Ich hole mal das Desinfektionszeug.“
Jason sah ihr nach und lächelte leise in sich hinein. Dann zuckte sein Blick wieder zu Coleman hin, der sich jetzt stöhnend bewegte. Martin hatte sich zur Vorsicht neben ihm auf gebaut, aber dem streitsüchtigen Wayne schien die Angriffslust endlich vergangen zu sein. Er wälzte sich herum auf den Rücken und schien erst überlegen zu müssen, wieso er denn am hellen Tag auf der Erde lag. Dann richtete er sich vorsichtig auf und blickte suchend um sich. Jay stellte mit Genugtuung fest, dass sein Gegner weitaus schlimmer aussah als er selbst. Ein Auge lief blau an und auch unterm Kinn bildete sich eine lila - blaue Mondlandschaft. Außerdem schien er ein paar Rippen geprellt zu haben. Audrey wollte auch ihn verarzten, aber er schob sie knurrend weg. Einen Augenblick sah sie wortlos auf ihn hinunter, dann zuckte sie mit den Schultern und wandte sich ab.
Jason würde nicht daran vorbei kommen, doch noch einmal ein ernstes Wörtchen mit Wayne zu reden, also konnte er das auch genauso gut direkt tun. Wayne Coleman saß zusammen gesunken auf einem großen flachen Stein. Seine grünen Augen flackerten, als Jay näher kam.
Jay blieb abwartend in der Nähe stehen, aber Coleman rührte sich nicht.
„Alles klar bei dir?“, wollte Jay wissen.
Ein stummes Nicken war die Antwort. Jason wagte es sich neben ihn auf den Stein zu setzen.
„Das solltest du dir abgewöhnen, diese ständige Gereiztheit. Könnte dich mal in größere Schwierigkeiten bringen, wenn du nicht aufpasst.“ Er achtete sorgfältig auf Colemans Reaktionen bevor er fortfuhr. „Und was die andere Geschichte betrifft: Das ist Audreys Angelegenheit, denke ich. Ich gebe dir wenigstens keinen Grund zur Eifersucht. Aber ich bin für die Sicherheit meiner Gruppe verantwortlich und auch für die Notfallversorgung. Wenn du dich nicht um deine Freundin kümmerst, muss ich es tun. So einfach ist das.“ Er erhob sich wieder. „Wir werden hier übernachten und morgen zurück gehen. Ich empfehle, früh zu schlafen. Der Weg zurück ist nicht ganz einfach.“ Jason nickte den anderen zu und wanderte zu seinem Schlafplatz hinüber.
Ein Zweig knackte unter einem Fuß und Jason war von eine Sekunde zur anderen wach. Mit geschlossenen Augen lauschte er angestrengt. Jemand - oder etwas - schlich durch das Lager und bewegte sich jetzt um die Feuerstelle herum von ihm weg. Er öffnete die Augen einen Spalt weit und sah eine gebeugte Gestalt bei den Rucksäcken der Wanderer hocken. Da wollte sich offenbar jemand an ihrem Proviant bedienen. Lautlos schälte er sich aus seiner Decke, nahm das Gewehr und verschwand geräuschlos zwischen den Büschen. Jason umrundete den Lagerplatz bis er nahe bei dem Dieb heraustreten konnte. Durch das dichte Blattwerk versuchte er etwas zu erkennen. Coleman! Hastig stopfte er Proviant aus den Rucksäcken der anderen in seinen eigenen und wollte sich offenbar allein davon machen. Jason schlich sich noch zwei Schritte näher heran und richtete sich dann auf.
„Das ist keine gute Idee, Coleman.“
Der Angesprochene zuckte zusammen und ließ fallen, was er in der Hand hatte.
„Du schon wieder! Musst du mir dauernd in die Quere kommen?“
„Muss ich“, nickte Jay. „Schon vergessen? Ich bin für eure Sicherheit unterwegs verantwortlich. Du würdest alleine nicht weit kommen und wir haben keine Zeit, dich zu suchen. Geh’ zurück zu deinem Schlafplatz. Ich bringe das hier in Ordnung.“
Misstrauisch rückwärts gehend wie ein Krebs, schlich Wayne wieder zurück zu seinem Schlafplatz. Jason sah ihm nach, dann packte er die Rucksäcke wieder ordentlich ein. Ein prüfender Blick zum Himmel zeigte ihm, dass es kurz vor dem Morgengrauen war und er fachte die Glut in der Feuerstelle an. Mit dem Gewehr auf den Knien setzte er sich ans Feuer und starrte in die Flammen. Dem unbewegten Gesicht war nicht anzusehen, was ihm durch den Kopf ging.
Audrey hatte - bedingt durch den verletzten Arm - nur unruhig geschlafen. Die wispernden Stimmen auf der anderen Seite des Lagers hatten sie endgültig geweckt. Jason und Wayne. Leise stöhnend richtete sie sich auf. Nicht schon wieder! Aber dann sah sie mit Erstaunen, das Wayne sich zurück zog. Keine Reibereien. Lange beobachtete sie den jetzt am Feuer sitzenden jungen Mann. Hatte er Recht? Hatte Wayne Grund zur Eifersucht? Jason war aufgeschlossen und höflich, aber nie in irgendeiner Weise unverschämt oder gar anzüglich. Er war einfach nett und sie mochte seine ruhige Art, sonst nichts. Oder? ‚Quatsch’, schalt sie sich selbst. ‚Du hast zu viele Kitschromane gelesen.’ Waynes unbeherrschte Art ging ihr schon lange gegen den Strich, aber erst jetzt in diesem ersten gemeinsamen Urlaub wurde ihr so richtig klar, das er immer den Herren spielen und sie in seiner Nähe nie würde frei atmen können. Er war ein Kontrollfreak, Audrey liebte die Unabhängigkeit und irgendwann wäre ihre Beziehung ohnehin schief gelaufen.