Wie Sand in einer Uhr - A.M. Hannemann - E-Book

Wie Sand in einer Uhr E-Book

A.M. Hannemann

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Beschreibung

Wie reist man am einfachsten kostenlos durch die Weltgeschichte?

Wie schafft man es den größten archäologischen Fund seines Lebens zu machen?

Und wie findet man dabei - ganz ungewollt natürlich - den Mann für's Leben?

Indem man sich auf einem Flughafen auf die Hilfe eines Fremden einlässt...

Liliane macht genau das.

Und findet sich in einem Atem raubenden Strudel wieder von Abenteuern, Reisen, Mönchen, gespenstischen Ereignissen und ... einer verlockenden Versuchung...

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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A.M. Hannemann

Wie Sand in einer Uhr

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Prolog

Sandkörner.

Winzig klein. Kaum einzeln erkennbar. Und verschwindend gering. In einer großen Menge jedoch...

Machtvoll, Ehrfurcht gebietend, tödlich. Sandstürme haben schon ganze Städte für immer unter sich begraben.

Gegen rieselnden Sand anzukämpfen, das schafft selbst der stärkste Titan nicht.

Im Treibsand versinken... wer einmal drin steckt kann sich aus eigener Kraft kaum befreien.

Auch der Sand in einer Uhr ist eigentlich nur Sand. Und doch zeigt er den Menschen seit undenklichen Zeiten, wie ihr Leben verrinnt.

Langsam nur, Körnchen für Körnchen, doch unaufhaltsam. Wir können nichts dagegen tun.

Aber manche Menschen verbringen die Zeit mit etwas Sinnvollem, statt nur in das Glas zu starren und dem Sand beim durchrinnen zuzusehen. 

Liliane Burger ist so ein Mensch. Sie ist eine von denen die ihre Zeit damit verbringen in eben diesem Sand zu buddeln. Als frisch promovierte Archäologin sucht sie mit untrüglichem Gespür und unendlicher Geduld gepaart mit Hartnäckigkeit nach alten Schätzen, nach Spuren der Menschlichen Vergangenheit. Und als begeisterte Asien Reisende hat es ihr ein Grab besonders angetan...

 

Eines Tages stolpert sie über einen Abenteurer, welcher sie vor Verfolgern rettet und zunächst Mal ganz hilfreich seine Dienste anbietet. Obwohl sie ihn gar nicht kennt. Aber ist er wirklich so selbstlos wie er vorgibt?

Auf jeden Fall ist er eins ganz sicher. Unbestreitbar männlich. Und obwohl sie ihn und sein Machogehabe nicht ausstehen kann, kommt  Liliane doch leicht ins Schleudern bei ihrem Grundsatz, keine Männer mehr in ihr Leben zu lassen...

1. Sand im Getriebe?

 Was packt man ein wenn man nach Asien reist?

Liliane trabte mit ihre Packliste durch ihre Hamburger Wohnung, griff hier in einen Schrank und dort in eine Schublade. Mit einem erleichterten Seufzer machte sie schließlich einen letzten Haken auf der Liste, ließ sich im Wohnzimmer aufs Sofa fallen und legte  die Füße auf den Tisch. In Gedanken versunken starrte sie auf ihre sonnengelb gestrichene Wohnzimmerwand und die tanzenden Kringel darauf welche die schräg durch die Balkontür fallende Sonne darauf malte. Umrisse der großen Kastanie welche im Garten hinter dem Haus stand zeichneten sich als schwankender Schattenriss auf Wänden und Boden ab.

Mit einem weiteren Seufzer schraubte sie sich wieder vom Sofa hoch. Morgen noch mal ins Museum, Absprache mit Professor  Gräberlein. Lilly hatte sich das Grinsen verkneifen müssen als sie sich zum ersten Mal bei dem gelehrten Herrn vorgestellt hatte.

Der Name passte wie die Faust aufs Auge zu einem, der nach verschollenen Schätzen grub. Und irgendwie sah er auch aus wie eine menschliche Wühlmaus. Immer ein wenig zerknittert, eine leichte Staubschicht auf den Kleidern - was wohl auch vom  ständigen Herumkriechen in den Ausstellungsvitrinen her rühren mochte -, die mausgrauen Haare die in ihrer Konsistenz an einen Rauhaardackel erinnerten nach allen Seiten abstehend. Trotz des leichten Bauchansatzes konnte er sich unglaublich schnell bewegen  und in die engsten Löcher kriechen wenn es sein musste. Sein Motto lautete: "Wo der Kopf durchpasst, da kommt auch der Rest hinterher!" Auch das hatte er mit einem Dackel gemeinsam. 

Schluss mit den krausen Gedanken!

Es war inzwischen dunkel geworden. Ein Blick auf die Uhr. Was denn, schon Elf? Lilly stellte sich unter die Dusche, putzte nach dem Duschbad die Zähne und legte sich dann ins Bett. Schlafen konnte sie allerdings nicht.

Seit drei Jahren begleitete sie nun den Profos auf seinen Forschungsreisen. Manchmal reiste sie auch nur in dessen Auftrag, zum Beispiel wenn es etwas abzuholen oder auszuliefern galt. Zuerst war sie nur für den Papierkram zuständig gewesen, den sie zähneknirschend und ohne Widerspruch erledigt hatte. Viel lieber hätte sie sofort mitgebuddelt, aber schließlich wollte sie ja eine länger andauernde Stellung beim Professor ergattern. Und das schaffte sie dann auch.

 

Mit der S-Bahn fuhr sie am anderen Morgen zum Museum. Zwar hatte sie auch ein kleines Auto aber im morgendlichen Berufsgewimmel kam man mit der Bahn immer noch am schnellsten von A nach B. Mit einmal Umsteigen tuckerte sie von ihrem Wohnort in der Altstsdt von Altona bis zum Museum in der Rothenbaum Chaussee, kaufte sich unterwegs eine Tüte mit Donuts und einen Becher mit Kaffee von einem Shop an der Strasse und sprintete dann durch einen der Personaleingänge ins diffuse Zwielicht des alterwürdigen Gebäudes. Lilly fand, dass es in Museen wie diesem immer irgendwie.. alt roch. Der Staub der Jahrhunderte, sozusagen. Sie hätte es nicht näher devinieren können. Aber es war wohl in etwa das Gleiche wie  in alten Bibliotheken. Da roch es auch nach alten Büchern. So ganz typisch eben.

Durch den Flur schob sich noch eine der Putzkolonnen. Fast stolperte sie über einen Wischmopp, der im schrägen Winkel an einer Vitrine lehnte. Mit einem Kopfschütteln ob so viel Missachtung von Geschichte und wertvollem Museumsgut stellte sie den Wischer ordentlich in eine Nische neben einem verschlossenen Schrank wo er keinen Schaden anrichten konnte. Am Ende des Flurs führte eine Treppe nach unten. Der Professor hatte seine heiligen Hallen im kühlen Keller. Er hätte ohne Weiteres auch ein Büro in der oberen Etage haben können, aber das hatte er bisher immer abgelehnt. Lilly mutmaßte mal, dass er so nah wie möglich bei seinen eingelagerten Schätzen sein wollte. Sie hätte ihm durchaus auch zugetraut, in den Regalen   im untersten Keller in einem Karton oder einer Kiste zu nächtigen falls nötig. Hier unten war der Steinboden von unzähligen Füßen blank gelaufen. Seit seiner Gründung 1879 hatte das altehrwürdige Gebäude mit dem Säuleneingang und der breiten Fensterfront schon die unterschiedlichsten Dinge und Funde gesehen. Inzwischen waren Ausstellungen aus China und Ägypten genauso zu sehen wie Artefakte aus dem Inka Reich oder anderen Teilen Süd - und Nordamerikas. 

Die strengen nüchternen Deckenleuchten summten leise, während Lilly an den unterschiedlichen Türen vorbei lief.

Die Vorletzte rechts stand einen Spalt weit offen. Gräberleins Bürotür.

"Professor?" lilly schob die Tür vorsichtig weiter auf. "Guten Morgen! Sind Sie da?"

Sie nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher und verbrannte sich prompt die Zunge. Sie unterdrückte einen Fluch, stellte  Kaffee und Gebäcktüte auf dem zerschrammten Schreibtisch ab und drang weiter ins Refugium des Professors vor. Hinter dem Büro, hinter einer weiteren Tür, schloss sich der Lagerraum an in dem Gräberlein seine Funde hortete, wie derZwergenkönig Alberich seinen Nibelungenschatz. Leicht zuckte sie zusammen als es rechts von ihr zwischen den Regalen raschelte. Verblüfft starrte sie auf kleine Häufchen aus Papierschnipseln und Holzwolle auf dem Boden, dann rieselte direkt vor ihrem Gesicht etwas nach unten. Weiteres Papier. Lilly ließ ihren Blick am Regal nach oben wandern und versteckte ihr Lachen rasch hinter einem Räuspern. In der obersten Reihe lugte zwischen säuberlich beschrifteten weißen Kartons das rote Gesicht des Professors hervor. Seine Brille hing wie üblich so gerade noch auf der vordersten Nasenspitze. Wie immer übersät mit  Fingerabdrücken. Jeder Kriminalist hätte seine helle Freude gehabt.

"Guten Morgen, meine Liebe", grüßte er nichtsdestotrotz würdevoll. "Wären Sie so nett meine Leiter wieder aufzurichten? Hinter mir, im nächsten Gang", setzte er rasch hinzu als Lilly sich suchend umsah. Ich habe aus Versehen dagegen gestoßen, ein kleines Missgeschick."

Lilly umrundete schmunzelnd die Regalwand, entdeckte die lange Rollenleiter am Boden liegend, richtete sie wieder auf und hängte sie ordentlich in die Laufschiene ein. "Was suchen Sie denn eigentlich? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen!"

Leicht ächzend schob sich der ältere Herr rückwärts aus dem Regal, tastete mit einem Fuß nach der Leiter, stellte dann mit einem erleichterten Seufzer den Fuß auf die oberste Sprosse und kletterte langsam nach unten. Lilly hielt vorsichtshalber die Leiter fest bevor er noch ganz ohne Absicht mit Schwung durch die Reihen rollen und an eine Wand donnern konnte.

Sie hatte sich schon öfter gefragt wie er es schaffte in alte Gräber zu steigen ohne irgendwelche raffinierten Fallen auszulösen.

Er war der personifizierte Tollpatsch.

Unten angekommen klopfte er sich den Staub und ein paar Spinnweben von den Kleidern, versuchte dann seine Assistentin  durch die Brille anzusehen und schüttelte leicht irritiert den Kopf. Dann nahm er die Brille von der Nase, putzte sie umständlich mit einem übergroßen Taschentuch und schob sie zurück auf die lange Nase.

"Ah! Viel besser! Nein..." meinte er dann als Antwort auf ihre Frage und wanderte nach vorne in Richtung zu seinem Büro hin,

"ich denke das können Sie nicht."

Liliane wollte schon eine patzige Antwort geben aber er fuhr schon fort bevor sie den Mund öffnen konnte. 

"Mir ist eingefallen, dass das besagte Stück gar nicht mehr hier ist sondern ausgeliehen nach Stuttgart. Ins dortige Museum für eine Sonderausstellung. Wenn Sie so nett wären, dort hin zu fahren und es wieder abzuholen?"

Das sagte er in einem Tonfall als hätte er sie darum gebeten, mal eben von oben aus dem Sekretäriat ein paar Aktenordner  runter zu holen. Lillys Gesichtsausdruck war entsprechend.

"Sagten Sie Stuttgart? Das ist aber nicht mal so eben um die Ecke! Und wollten wir nicht ins Ausland?"

Jetzt wirkte der Professor leicht irritiert. "Ach... ist das ein Problem? Und wieso wollten Sie ins Ausland?"

Zerstreuter Professor...

"Nicht ich, Professor, wir! Schon vergessen? Wir wollten nach Bangkok. Morgen." Der alte Herr kratzte sich kurz am Kopf, dann nickte er bedächtig. "Ah ja, richtig... Nein, das machen wir nicht. Es hat sich da was Anderes für mich ergeben. Ich muss zu einer Vortragsreihe nach München. Einmalige Gelegenheit. Viele Kollegen!"

Er murmelte noch so Einiges vor sich hin wärend er vor sie her in sein dämmeriges Büro stapfte und sich hinter dem Schreibtisch in den durchgesessenen Drehstuhl fallen ließ. 

"Fliegen Sie morgen erst Mal nach Stuttgart. Oder nehmen Sie von mir aus den Zug. Holen Sie das betreffende Stück ab.

Ich gebe Ihnen eine Vollmacht mit. Oder noch besser; das Museum soll es als versicherte Sendung per Kurier  schicken. Dann müssen Sie es nicht mit herumschleppen und es kann auch unterwegs nicht verloren gehen."

Lilly kniff den Mund zu einem schmalen Strich zusammen. "Professor, Sie wissen genau, dass ich noch nie etwas Wertvolles verloren habe!"

Aber er winkte nur ab und war offenbar in Gedanken schon wieder viel weiter. "Ja ja, schon gut, machen Sie es einfach so."

"Wäre es zuviel verlangt zu erfahren worum es sich handelt?"

Er betrachtete sie mit zusammen gekniffenen Augen, so als sähe er sie zum ersten Mal und müsste erst ihre Kompetenz

prüfen. "Ein Stück aus der Asien Sammlung. Ein Dolch. Die Kollegen sollten ihn auch untersuchen, sie haben bessere technische Möglichkeiten das Alter zu bestimmen. Ich habe da so einen Verdacht..."

Er verriet nicht welcher Art der verdacht war und Liliane verkniff es sich weiter nachzubohren. Ein ganz anderer Gedanke kam ihr in den Sinn. "Was passiert denn nun mit unseren Flugtickets?"

"Tickets?", machte er lahm so als hätte er dieses Wort noch nie gehört. Dann zuckte er mit den schmalen Schultern.

"Gehen Sie ins Sekretäriat und tauschen Sie sie um. Gegen eine Bahnfahrkarte oder ein anderes Flugticket, wenn Sie wollen."

Lilly verkniff sich jede weitere Bemerkung und nickte also.

"Gut. Ich gehe also hinauf ins Büro, lasse die Flüge stornieren und stattdessen einen nach Stuttgart buchen. Hin und Rück, richtig?

In Stuttagrt gehe ich mit Ihrer Vollmacht im Museum zum Direktor und lasse mir bestätigen, dass Ihr besagtes Fundstück mit Kurier geschickt wird? Oder soll ich nicht doch lieber..."

Gräberlein wühlte schon wieder in einem Haufen von amtlich aussehenden  Unterlagen auf seinem Schreibtisch herum, nachdem er mit einem missbilligenden Ausdruck Lillys Kaffeebecher und die Donuttüte zur Seite geschoben hatte. 

"Machen Sie es so wie ich gesagt habe." Er reichte ihr ein leicht vergilbtes Stück Papier hin auf das er etwas gekritzelt hatte  während er sprach. Liliane griff danach mit spitzen Fingern, überflog es kurz und faltete es dann einmal in der Mitte zusammen.

Die persönliche Vollmacht.

Akkurat wurde sie ins Seitenfach der Handtasche geschoben. Einen Moment blieb sie noch abwartend stehen aber der  Professor schien nichts mehr hinzufügen zu wollen.

"Also gut, ich melde mich dann, wenn ich... zurück bin."

"Wie? Ach so... ja, ja. Gut, gut."

Er wedelte verabschiedend mit einer Hand und Lilly verließ mit einem Seufzer sein Büro.

 

Zu Hause wechselte sie einen Teil ihrer gepackten Sachen in eine Reisetasche.

Für einen so kurzen Tripp würde sie nicht annähernd so viel brauchen.

Am Flughafen herrschte reges Gedränge. Lilly schlängelte sich um Koffer, Kinderwagen und abgestellte verschnürte Kartons herum bis zum Schalter der Innlandsfluggesellschaft.

Wer reiste eigentlich mit Pappkartons?

Missmutig blickte sie auf die langen Warteschlangen überall. Es würde voll sein im Flieger aber wenigstens dauerte der Flug nicht lange, kaum eine Stunde. Trotz ihrer miesen Erwartung ging das einschecken rasch vonstatten.

 

Es war schon dunkel als sie in Stuttgart ankam.

Bis zu der kleinen Pension in der sie sich telefonisch ein Zimmer gebucht hatte gönnte sie sich ein Taxi. Heute würde es nichts mehr werden mit Museum. Also konnte sie getrost in Ruhe zu Abend essen und sich dann ins Bett legen.

 

 

Das altehrwürdige Museum, welches sich selbst ein wenig damit rühmte vom alten Kaiser Wilhelm dem Zweiten gefördert worden zu sein leuchtete am anderen Morgen im frühen Sonnenlicht. Auf dem Platz vor dem Eingang stand schon eine Gruppe Englisch schnatternder Besucher, die auf ihre Führung warteten. Sie huschte an ihnen vorbei bis zur Pförtnerloge und fragte nach dem zuständigen Menschen für Asien. 

Einer der älteren freundlichen Pförtner schickte sie zu einer Frau Doktor Specht.

"Sie ist oben in der Ausstellung! Im zweiten Stock rechts rein und dann immer durch gehen. Da wird gerade was umgeräumt!"

Lilly dankte und stieg über die breite Treppe nach oben. Auf dem Weg sah sie sich mit leuchtenden Augen um. 

Was für herrliche Schätze! Nichts sehnlicher wünschte sie sich, als auch mal eine Aufsehen erregende Enteckung zu machen.

Den eigene Namen auf einem Schild zu sehen. ..

Eine energische Stimme riss sie aus ihren selbstverliebten Träumereien. "Hallo! Sie da! Die Asien Abteilung ist für Besucher

geschlossen! Haben Sie das Schild nicht gesehen?"

Liliane starrte verständnislos auf die lebensechte große Puppe in traditioneller chinesischer Kleidung, die rechts von ihr in einem schön ausgestatteten Schaukasten neben vielen anderen Ausstellungsstücken zu sehen war. Seit wann konnten Schaufensterpuppen sprechen? Oder war sie schon so überarbeitet, dass sie Stimmen hörte wo keine waren?

Der Professor war kein einfacher Arbeitgeber; Feierabend und Wochenenden waren für ihn kein Grund angefangene Arbeiten  liegenzulassen. Sie antwortete ganz automatisch.

"Doch, aber..."

"Dann gehen Sie wieder!" 

Lilly atmete heimlich erleichtert auf als hinter der chinesisch gekleideten Puppe eine durchaus lebendige Gestalt aus der Kulisse  kletterte. Spontan hätte Lilly gewettet, dass sie die Doktorin vor sich hatte. Diese hagere Frau hatte so ungeheuer viel von einem Specht, dass der Name einfach passte. Das schmale Gesicht wurde beherrscht von einer immensen, leicht gekrümmten Nase.

Grüne Augen saßen weit auseinander. Das kurz geschnittene Haar war rundum schwarz, oben auf dem Kopf dagegen als Kontrast leuchtend rot gefärbt. Bekleidet war die Frau mit einem schwarzen Hosenanzug, zu welchem sie eine schwarz weiß gemusterte Bluse trug. 

Wahrhaftig! Ein Mensch gewordener Specht!

Lilly nahm einen zweiten Anlauf. "Guten Tag, Frau Doktor Specht!" Die Frau kniff die Augen zusammen und neigte den Kopf zur Seite. Liliane musste sich das Grinsen verkneifen und schluckte ihre naseweisen Gedanken rasch hinunter. 

"Kenne ich Sie? Ganz ohne Zweifel kennen Sie ja mich!", sagte die Vogelfrau und Lilly trat sich selbst in Gedanken ins Hinterteil.

"Äh... ja, das heißt nein. Ich habe geraten. Beim Pförtner habe ich nach Ihnen gefragt und wurde hierher verwiesen. Ich bin Liliane Burger."

Gut gerettet. Sie streckte ein Hand aus zur Begrüßung aber das schien nun wieder falsch zu sein. Frau Doktor blickte leicht stirnrunzelnd auf ihre Hand, besann sich wohl und schüttelte sie kräftig. Dann drehte sie sich wieder weg und wischte in Gedanken verloren ihre Hand an der staubigen Hose ab. Liliane war versucht, sie an den Federn - pardon, den Haaren zu ziehen. Frechheit! Das machte ja den Eindruck als ob sie zu ekelig wäre um angefasst zu werden! Dabei war die Frau selbst von oben bis unten mit einer  feinen Staubschicht überzogen. Von den Schultern des Jackets hingen ein paar Spinnweben herab.

"Was wollen Sie also von mir? Ich bin beschäftigt."

'Blöde Ziege!'

Liliane fingerte das Schreiben ihres Professors aus der Handtasche. "Ich komme aus Hamburg, im Auftrag von Professor Gräberlein.

Er schickt mich wegen des untersuchten Stückes aus unserer Asien Sammlung."

Jetzt huschte ein Hauch von Interesse über das Vogelgesicht und der schmallippige Mund verzog sich zu etwas, das man mit etwas gutem Willen als ein angedeutetes Lächeln ansehen konnte.

"Ah! Wie geht's dem alten Habicht?" 

Lilly hüstelte kleicht. Nichts hätte sie weniger an einen Habicht erinnert als ihr alter tollpatschiger Professor.  Aber vielleicht war er in jungen Jahren ja anders gewesen... 

"Danke. Ich würde sagen es geht ihm gut. Zumindest war das gestern noch der Fall."

"So so..."

Frau Doktor hatte sich in der Zwischenzeit etwas vom Staub abgeklopft. Was dem Anzug zu einem zeitlosen schicken schwarzgrauen Fleckenmuster verholfen hatte. Lilly verkniff es sich sie darauf hinzuweisen. Die Ältere verschloss gewissenhaft die Vitrine und schob den Schlüsselbund in eine Jackentasche, die von dem Gewicht ein ganzes Stück nach unten gezogen wurde.

"Na, dann kommen Sie mal mit. Ich habe Ihr gutes Stück hinten in meinem Büro. Sie sind eine Mitarbeiterin von Professor Gräberlein?"

"Ja. Erste Assistentin. Vor kurzem abgeschlossenes Studium in Geschichte, Sprachen und Archäologie."

"Aha." Mäßiges Interesse.

'Soll ich ihr ins Gesicht sagen, dass sie eine blöde Kuh ist?'

Nein, wohl besser nicht. Ganz hinten, am Ende des Ausstellungssaales war eine versteckte Tür in eine Wand eingebaut die man erst beim zweiten Hinsehen als Solche erkannte. Frau Doktor öffnete die Tür mit einem ihrer unzähligen Schlüssel. Der Durchzug von dem einzigen Fenster welches einen Spalt weit offen stand fegte ein paar Papiere vom Tisch. Nicht, dass es sonderlich aufgefallen wäre. Jede freie Fläche in dem kleinen Raum schien mit Papier belegt zu sein. Wie konnte man in so einem Durcheinander irgendetwas wiederfinden, geschweige denn arbeiten?

"Setzen Sie sich."

'Fragt sich nur wohin...' 

Doktor Specht nahm ein paar Aktenordner von einem Stuhl, stapelte sie auf einen anderen Aktenberg nahe beim Fenster und  deutete mit einem spitzen Finger auf den frei gewordenen Sitzplatz. Liliane betrachtete das Möbelstück misstrauisch. Sie war weiß Gott kein Schwergewicht - im Gegenteil - trotzdem knackte der Stuhl in seinen dünnen Beinchen beim draufsetzen ganz gefährlich und sie beschloss vorsichtshalber sich nicht viel zu bewegen. Frau Doktor zog wieder ihren Schlüsselbund hervor und öffnete einen kleinen Tresor, der in ihrem Schreibtisch eingebaut war. Von dort holte sie eine hölzerne Schachtel aus der Versenkung, legte  sie auf die Schreibtischplatte und Lilly hielt den Atem an. Man hörte einen dezenten Klick, als die Schachtel geöffnet wurde. Innen war es mit blauem Samt ausgeschlagen. In weiches Tuch war ein länglicher Gegenstand eingewickelt. Vorsichtig hob ihn die Frau heraus und wickelte das Tuch ab. Automatisch hoben sich Lillys Hände, dann stockte sie.

"Darf ich?"

"Nur zu. Aber ziehen Sie die hier über."

Ein paar weiche dünne Baumwollhandschuhe wurden ihr gereicht. Lilly streifte sie über ihre zitternden Finger, dann nahm sie vorsichtig und ehrfürchtig den Dolch aus dem Kästchen. Die Messerscheide, aus Leder gefertigt, war mit Edelsteinen besetzt. Rubine, Smaragde, blaue Saphire, auch Achate und den dunkelblauen Lapislazuli erkannte sie in den Blumenmustern. Der Messergriff war mit Gold überzogen. Symbole waren in das Gold eingraviert. Mit Bedacht zog sie den Dolch aus der Scheide. Auch die Klinge war allerbeste Arbeit. Vielfach gefältelter Stahl, bläulich schimmernd. Es stand außer zweifel, dass diese Klinge tödlich scharf war. Auch in die Klinge waren Symbole eingeätzt worden. Vermutlich Segenssprüche oder der Name des Besitzers.

"Wunderschön...", mit einem Zeigefinger strich sie über die Klinge, dann schob sie mit einem kleinen Seufzer die Waffe zurück in die kunstvolle Scheide. 

"Haben Sie etwas Näheres heraus gefunden?"

"Ja", antwortete der menschliche Specht nickend und wirkte wieder frappierend dem Vogel ähnlich. "Ich habe einen Bericht angefertigt. Sie werden ihn mitbekommen für meinen Kollegen. Ganz sicher ist das Stück sehr wertvoll."

'Was du nicht sagst... das sehe ich selbst...'     

"Höchstwahrscheinlich für einen König angefertigt. Oder einen höheren Edelmann. Wir ordnen ihn dem dritten Jahrhundert

vor Christus zu. Die Klinge ist gefertigt nach Art der Damaszener. Es gibt aber auch bestimmte Spuren die darauf hindeuten, dass Klinge und Griff nicht zur selben Zeit entstanden sind und erst später zusammengefügt wurden. Die Symbole auf Griff und Klinge sind in der altinischen Brahmi Schrift geschrieben. Leider konnte ich sie noch nicht endgültig schlüssig übersetzen. Der Kollege schreibt, Sie sind beauftragt sich um das Artefakt zu kümmern?"

Lillys Augen klebten an dem Dolch, während die Worte ohne Zuhilfenahme des Gehirns aus ihr heraus sprudelten.

"Ja. Ich soll es abholen und persönlich zurück bringen."

"So so. Nun gut. Wenn Professor Gräberlein Ihnen vertraut wird das schon seine Richtigkeit haben."

Lilly zuckte aus ihrer Versunkenheit hoch. Hatte sie abholen gesagt? Upps... 

Aber jetzt war es zu spät um einen Rückzieher zu machen.

"Ich würde Sie allerdings bitten mir zu unterschreiben, dass Sie das Stück ordnungsgemäß von mir in Empfang genommen haben. Sie sind dann ab jetzt dafür verantwortlich."

Lilly musste plötzlich einen dicken Kloss im Hals hinunter schlucken. Einen winzigen Moment war sie tatsächlich unsicher. 

So viel Verantwortung... Aber dann wurde ihr Blick wieder angezogen von dem wunderschönen Stück; sie atmete einmal durch, straffte die Schultern und unterschrieb schwungvoll auf dem Formular, welches Doktor Specht ihr hingeschoben hatte. Dann wickelte sie den Dolch wieder in das Tuch, legte ihn ordentlich in das Kästchen zurück und schloss den Deckel.

"In Ordnung." Sie klang weitaus selbstbewusster als sie sich fühlte. "Wenn soweit alles klar ist kann ich wieder gehen?"

"Ja. Nein, zu unsicher", entschied Doktor Specht als Lilly nach dem Kistchen greifen wollte. "Kommen Sie morgen rein auf dem Weg zum Flughafen. Dann können Sie das Stück abholen. Ich sage dem Pförtner bescheid, er wird alles unten im Tresor bis morgen einschließen."

Lilly wollte knurren, überlegte sich dann aber auch dass es wohl tatsächlich sicherer war. Schließlich war ja bekannt, dass in Hotels ständig geklaut wurde. Beim Erheben nickte sie der Doktorin zu. "Also dann... war nett Sie kennenzulenen, Frau Doktor. Wir sehen uns dann morgen."

Die Specht erwiderte jedoch kopfschüttelnd: "Wohl eher nicht. Ich habe ein wichtiges Treffen morgen mit anderen Doktoren. Gute Reise."

'Das soll wohl  heißen ich bin eine unwichtige Null... grrrr...' 

Lilly schluckte ihre Widerworte tapfer hinunter und verließ nach einem letzten Nicken das staubige Büro.

 

 

"Ja, Sir, sie kommt gerade raus... Nein, sieht nicht so aus... Ja, gut, wir bleiben dran... vermutlich ist das gesuchte Objekt noch im Museum... Alles klar. Melden uns morgen wieder." Aufmerksam blickten die beiden in dunkle Anzüge gekleideten Männer der jungen Frau nach, die jetzt vor dem Museum in ein Taxi stieg. Der gemietete Wagen folgte dem Taxi bis zu dem kleinen Hotel.  

     

 

Lilly war zu aufgeregt um wirklich tief zu schlafen. Schon um sechs war sie aus dem Bett gehüpft. Ein Blick auf die Uhr und ein abgrundtiefer Seufzer. Noch drei Stunden bis das Museum öffnete. Eine bis zum Frühstück.

'Als ob ich jetzt was essen könnte...'   

Sie ging trotzdem runter in den Frühstücksraum; einen Kaffee gab es sicher schon.

Als sie wieder nach oben kam sah sie schon von Weitem ihre Zimmertür eine Spalt weit offenstehen. War das Zimmermädchen schon da? Mit einem Lächeln schob sie die Tür weiter auf und trat ein.

"Guten Morgen! Sie brauchen nicht zu..." Der Rest blieb ihr im Hals stecken. Das war eindeutig nicht das Zimmermädchen welches da in ihrer Tasche kramte. Zimmermädchen trugen in der Regel schwarze Kleider, weiße Schürzen und ein Häubchen auf dem Kopf. Definitiv keine gedeckten Anzüge, Igelhaarschnitt und Schulterhalfter unter den Jackets.

"Hey! Was..."

Der ungebetene  Besucher war bei ihrem Eintreten herumgefahren. Ließ jetzt fallen was er in der Hand hatte, fluchte und fasste  unter seine Jacke. Dann schien er es sich zu überlegen, machte zwei große Schritte zum offenen Fenster hin... und sprang nach draußen! Lilly entschlüpfte ein erschrockener Schrei, dann hastete sie zu dem Fenster hin. Das waren doch mindestens drei Meter - wahrscheinlich mehr - bis nach unten! Vorsichtig schob sie den Kopf nach draußen. Schließlich war der Kerl ja bewaffnet gewesen... 

Obwohl sie es fast erwartet hatte lag niemand auf dem Hof mit gebrochenen Gliedern. Wo war der Kerl hin? Eine Bewegung am Rande ihres Blickfeldes ließ sie in die richtige Richtung sehen. Da humpelte der Typ zur Hausecke hin, schwang sich in einen heran rauschenden  Wagen und das Fahrzeug preschte mit ihm davon.

Lilly zog sich ins Zimmer zurück, knallte das Fenster zu und ließ sich auf den Teppich sinken. Was war das denn gewesen?

Bei ihr gab es ganz sicher nichts zu klauen was wertvoll genug war und den ganzen Aufwand hätte rechtfertigen können. 

Es sei denn...

Sie rappelte sich wieder auf, warf alles aufs Bett was noch in ihrer Reisetasche verblieben war und packte dann sorgfältig ein Stück nach dem anderen wieder ein. Natürlich fehlte nichts, wie erwartet. Nachdenklich ließ sie sich aufs Bett sinken. Dieser Typ konnte nur eins gesucht haben. Den Dolch vom Museum. Verdammt! Plötzlich schien ihr der Gedanke, dass gute Stück sebst zu transportieren nicht mehr ganz so verlockend.

Wer wusste überhaupt, dass sie hier war?

Wer wusste von dem Teil?

Geschweige denn davon dass sie ihn zurück nach Hamburg bringen sollte?

Was nun? Sollte sie die Polizei rufen? Aber von ihren eigenen Sachen fehlte nichts und es würde ewig dauern, mit der Polizei fertig zu werden. Eine Aussage zu Protokoll geben, Beamte im Zimmer, Leute von der Spurensicherung.

'Halten Sie sich bis auf Weiteres zur Verfügung.'

Nein, danke.

Sie hatte ihr Ticket in der Tasche, würde den Dolch jetzt gleich abholen und so fix wie möglich zurück fliegen. Unnötig, dass irgendjemand davon erfuhr. Sie packte auch den Rest ihrer Sachen ordentlich ein, sah sich noch einmal im Zimmer um  und verließ schließlich das Hotel, nachdem sie ihre Rechnung beglichen hatte.

 

 

Ari Bertram war ein Lebenskünstler.

Manche bezeichneten ihn als Schatzsucher, Schatzjäger oder auch Glücksritter. Die weniger Netten unter ihnen Abenteurer, Rumtreiber oder Taugenichts. Die ganz Unfreundlichen als gemeinen Dieb.

Er selbst sah sich natürlich nicht so. Er war ein Schöngeist. Ein Sammler und Beschaffer von schönen und nützlichen Dingen.

Schön, das waren antike Kunstgegenstände. Alte Ming Vasen aus China zum Beispiel, goldene Statuen aus Südamerika, alte Papyrusrollen aus Ägypten. Nützlich war für ihn vor allem Bares. Viel davon, wenn möglich; weniger falls nicht anders machbar. 

Ari war in gewisssen Kreisen dafür bekannt, dass er beinahe alles beschaffen konnte was das gelangweilte Millionärsherz begehrte.

Natürlich gegen entsprechende Gegenleistung. Man musste ja schließlich sehen wo man blieb.

An diesem Morgen saß er im Stuttgarter Flughafen nachdem er bei einem Millionär am Stadtrand eine wertvolle russische Ikone aus dem sechsten Jahrhundert nach Christus abgeliefert hatte. Zufrieden tastete er nach der Geldrolle in der Innentasche seiner Jacke. Geld stinkt nicht...

Eine angenehme Stimme riss ihn aus seinen Tagträumen. "Entschuldigung, ist hier noch frei?"

Sein Kopf ruckte herum. Am Nebentisch ließ sich ein umwerfendes Wesen nieder. Beine bis zum Kinn. Schlank und doch alles dran was ein Mann so mochte. Soweit er erkennen konnte. Die enge Hüftjeans spannte sich um einen göttlichen Hintern als sich die junge Frau bückte um ihre Tasche abzustellen. Der Hemdkragen wurde ihm eng. Und auch an anderen Körperstellen regte es sich. Sowas konnte passieren wenn man länger keine Frau gehabt hatte. Nicht, dass es ihm an Gelegenheiten gemangelt hätte.

Aber bisher hatten immer alle Frauen spätestens nach dem dritten Date mit dem Ehering gewunken und er hatte stets schnell die Flucht ergriffen. Bei dem Leben welches er führte war eine Ehe nicht das was er sich so vorstellte. Ehe war was für... na, ja, für Verheiratete halt. Guter Sex hingegen war in Ordnung. Das himmlische Wesen am Nebentisch sah so aus, als ob es mit ihr Spaß machen könnte. Aus dem rehbraunen Pferdeschwanz hatten sich ein paar widerborstige Locken gelöst und hüpften fröhlich auf den Schultern hin und her. Sie schob sie hinters Ohr und winkte dann nach der Bedienung. Ari entschlüpfte ein Seufzer.

Warum setzten sich solche Frauen eigentlich nie an seinen Tisch?

Probeweise lächelte er sie blitzend an als ihr Blick über ihn hinweg huschte. Sie musste es bemerkt haben denn eine Augenbraue huschte nach oben auf der ebenmäßigen Stirn. In einem Engelsgesicht mit leuchtend blauen Augen und geschwungenen vollen Lippen.

Unwillkürlich stellte er sich vor wie es wäre wenn diese Lippen... Aber sie sah großzügig über ihn hinweg. Mist! Außerdem schien sie leicht angespannt. Die schmalen Hände zitterten leicht als sie den Zucker aus dem Tütchen in ihren Kaffee latte streute und dabei die Hälfte daneben ging. Während sie in dem Glas rührte wanderte ihr Blick unablässig hin und her. 

Wartete sie auf jemanden? Einen Freund vielleicht? Einen Liebhaber oder Ehemann?

Doch nein; auf ihn wirkte sie eher ängstlich. Fast hätte er sich hinüber gebeugt und ihr zugeraunt: "Hallo, ich bin der heilige Georg. 

Wo ist der Drache den ich für dich töten soll?"

Was war denn das für ein Schwachsinn? Er schüttelte den Kopf. Spontan hatte er die Stimme seiner Mutter im Kopf.

'Reiß dich zusammen, Aristoteles! Wann wirst du endlich erwachsen?'

Ari verzog schmerzvoll das Gesicht. Er würde nie verstehen wie seine Mutter auf die Idee gekommen war ihm so einen

Namen zu verpassen. Aristoteles! Sah er vielleicht aus wie ein alter schussseliger Philosoph? Oh, nein! Er wusste wie er aussah!

Deutscher Vater, griechische Mutter. Eine Großmutter aus Thailand, eine andere aus Indien. Ein Maori Großvater mütterlicherseits.

Diese exotische Mischung zeigte sich bei ihm durch deutsche Größe - einen Meter und sechsundneunzig - und hellblaue leuchtende Augen. Gleichzeitig die goldene Hauttönung von der thailändischen und indischen Seite. Schwarzes kräftiges Haar das ihm in Wellen bis fast auf die Schultern fiel. Die trainierte Figur mit dem Waschbrettbauch und keinem Gramm zu viel war allerdings nur teilweise den Maori Vorfahren zu verdanken.  Ein guter Teil war hartes Kampftraining und entsprechende gesunde Lebensweise. Na ja, mehr oder weniger. Das Leben welches er führte erforderte nun mal hin und wieder, schnell zu rennen.

Entweder irgendwo hin oder - und das war die Mehrheit der Fälle - von irgendwo weg. Wieder wurde er aus seinen Gedanken gerissen als die junge Frau vom Nebentisch sich erhob, den Tragriemen ihrer Reisetasche über die Schulter hängte und im Begriff war zu gehen. Er blickte ihr hinterher, stutzte dann als sie ruckartig stehen blieb und sich dann hastig in die entgegen gesetzte Richtung wandte. 

Roch das etwa nach Ärger?

Es schien ganz so, denn als er in ihre ursprünglich geplante Richtung blickte fielen ihm die beiden Männer ins Auge welche aus der Richtung kamen und eindeutig in ihre Richtung sahen. Oder bildete er sich das nur ein weil er unbedingt den heiligen Georg machen wollte? Aber nein; die dunkel gekleideten Männer schienen sie jetzt entdeckt zu haben. Sie berieten sich wohl, einer sprach in ein Mobiltelefon, dann folgten sie der Frau.

Ari zögerte nur eine Sekunde. Das roch wirklich nach Ärger und den konnte er eigentlich nicht gebrauchen. Seine Devise war: Halte dich aus allem raus was dich nichts angeht. Dadurch lebst du länger.

Aber die Brünette war es eindeutig wert... Also auf ins Getümmel.

Er warf einen Geldschein auf den Tisch, erhob sich ebenfalls und schob sich möglichst unauffällig zwischen den anderen Passanten in  die entsprehende Richtung, bestrebt an den Gaunern und der Frau vorbeizukommen. Dabei überlegte er sich rasch eine passende Strategie. Er hatte erfolgreich alle Drei umrundet und überholt als einer der Verfolger unter seine Jacke fasste.

Zeit zu handeln!

Er wirbelte herum und stürzte mit strahlendem gesicht und ausgebreiteten Armen auf die junge Frau zu.

"Da bist du ja, Schatz! Ich dachte schon ich hätte dich verpasst!" 

Schatz kam ruckartig zum stehen. Er schlang beide Arme um sie und zog sie fest an sich. Die Verfolger waren unsicher stehen geblieben. 

"Was..." Bevor sie irgendetwas Dummes von sich geben konnte küsste er sie auf den leicht geöffneten Mund. So etwas wie ein leichter Stromschlag zuckte durch seinen Körper. Sie fühlte sich genauso an wie er sich das vorgestellt hatte. Aber jetzt fing sie an zu strampeln und versuchte ihn wegzuschieben. Lilly hatte überrumpelt die Augen aufgerissen und trotz des Kusses  bemerkt, dass er über sie hinweg geschielt hatte. Auf irgendwen oder irgendetwas hinter ihr. Sein Mund löste sich von ihrem, dann huschten seine Lippen über ihre Wangen bis hin zu ihrem Ohr.

"Nicht umdrehen. Machen Sie einfach mit. Die beiden finsteren Figuren hinter Ihnen gehören doch nicht zu Ihrem Gefolge, oder?

Das dachte ich mir", meinte er grimmig als er spürte wie sie wieder zusammenzuckte und sich trotz seiner Worte umdrehen wollte.

"Kommen Sie."

Er fasste nach ihrem Ellbogen und schob sie in Richtung der Toiletten.

"Gehen Sie rein. Kommen Sie nicht wieder raus, bis ich Sie abhole." Er tippte sie auf die Nasenspitze wie es vielleicht ein liebevoller Gatte tun würde. "Ich warte hier draußen auf dich, Schatz! Mach nicht so lange!"

Er wartete bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, dann besah er sich die Passanten in der Nähe. Ein gut gekleidetes Paar mittleren Alters in der unmittelbaren Umgebung schien ihm als Spender gerade passend. Unauffällig schob er sich in ihre Richtung, stolperte dann ungeschickt und rempelte den Mann an, der vor Schreck seinen Koffer davon rollen ließ und sich  beinahe auf den Hosenboden setzte.

"Ach, du lieber Gott! Entschuldigen Sie bitte, ich bin ein Tollpatsch! Warten Sie, lassen Sie mich helfen!" Er klopfte dem Mann den nicht vorhandenen  Staub von den Kleidern und hob den Koffer auf. Dann drückte er ihm einen Geldschein in die Hand und achtete dabei darauf, dass der Herr die beachtliche Geldrolle auch zur Kenntnis nahm. 

"Nehmen Sie das bitte! Eine kleine Entschädigung. Trinken Sie einen Schnaps auf den Schreck!" Der völlig überrumpelte Mann würde sich später sehr deutlich an den spanischen Akzent des Herrn erinnern der ihn erst umgerannt, dann wieder so freundlich aufgeholfen... und ihm dabei unbemerkt in die Innentasche gegriffen hatte.

Ari folgte dem Paar mit den Augen. Dann öffnete er die Tür zur Damentoilette.

"Schatz? Kommst du?"

 

Lilly hatte sich geradezu in die Toilette geflüchtet. War in eine leere Kabine gestürzt, hatte die Tür hinter sich zu geknallt und sich auf den Toilettendeckel fallen lassen. Sie zitterte am ganzen Körper. Das Adrenalin im Blut sprang wie ein Pingpong Ball durch ihre Adern. Sie hatte sehr wohl die beiden Männer bemerkt. Und der eine davon war der Einbrecher aus dem Hotel gewesen.

Und jetzt dieser Typ vom Nebentisch! Er hatte sie augenscheinlich vor den anderen gerettet aber mit welchen Methoden denn, bitte schön? Frechheit! Und wer sagte ihr denn dass er nicht dazu gehörte? Veflixt nochmal! Wie kam sie da wieder raus?

Die Toilettenräume hatten keine Fenster. Also nichts mit rausklettern. Eine andere Person kam herein. Dünne Absätze klapperten auf den Fliesen. Dann wusch sich die Frau die Hände und öffnete wieder die Tür zur Halle. Von dort hörte sie die Stimme ihres Retters.

"Schatz? Kommst du?"

Lilly verzog das Gesicht. Von wegen Schatz! Dafür würde sie ihm noch eine verpassen. Obwohl... küssen konnte er eindeutig gut. Ein angenehmes Kribbeln war ihr über die Haut gefahren. Die vernachlässigten Hormone hatten schon ein kleines Fest gefeiert.

Sie hatte wohl eindeutig zu lange keinen mehr geküsst. Nicht zu glauben, dass man mit achtundzwanzig schon von den Männern derartig die Nase voll hatte... Trotzdem hatte sie offenbar Entzugserscheinungen.

Nicht gut. Gar nicht gut. Einmal tief durch geatmet. Sie fasste den Griff ihrer Tasche fester, öffnete die Kabinentür und wandte sich dem Ausgang zu, in dem jetzt wieder der Fremde stand. Mit einem Lächeln in dem gebräunten Gesicht. Versuchte er, sowas wie Vertrauen auszustrahlen? Ein Stück von ihnen entfernt lungerten noch immer die beiden Ganoven herum. Sie tarnten sich nur unvollkommen mit Prospekten und taten so als würden sie sich für das Last - Minute - Angebot einer  Reisegesellschaft interessieren. Lillys Blick huschte wieder zu dem lächelnden Mann neben ihr. Na ja, viele Möglichkeiten hatte sie wohl im Augenblick nicht. Er war wohl die einzige Option. Sie schoß einen sprechenden Blick zu ihm hoch. Er war wirklich groß. Sie hängte sich also mit einem - wie sie hoffte - umwerfenden Lächeln an seinen Arm.

"Entschuldige, Liebling, dass es so lange gedauert hat. Können wir?"

Bei dem Liebling und diesem Blick aus tiefblauen Augen - wie brennendes Eis - hatte Ari einen Stich im Herzen verspürt. Er musste  erst ein paarmal schlucken bevor er antworten konnte. 

"Natürlich", raunte er leise. "Und Sie sollten sich dazu durchringen, mich ebenfalls Schatz zu nennen. Oder wenigstens Ari.

Das ist übrigens mein Name. Zumindest bis Sie in Sicherheit sind."

"Aha", machte sie etwas lahm. Sie gingen zusammen durch die Halle und durch eine Kontrolle hin zu den Abflugschaltern.

Zielsicher steuerte er auf einen Ausgang zu, gab - tatsächlich! - zwei Tickets ab und erhielt die Bordkarten. Lilly stand der Mund offen.

Wo hatte er die her? Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu! 

Ari ließ ihr keinen Zeit zum nachdenken. Die Stewardess im Flieger wies sie in die Richtung zur ersten Klasse und er bedankte sich in Gedanken bei dem freundlichen, wenn auch unfreiwilligen Spender. Zuvorkommend ließ er ihr den Vortritt.

"Willst du am Fenster sitzen, Schatz?" Ihr giftiger Blick ließ ihn unwillkürlich grinsen. Temperament hatte sie also auch. Dann verzog sich seine Miene schmerzvoll, als sie ihm mit voller Absicht beim durchschlängeln in die Sitzreihe auf den Fuß trat. Mit einem Plumps ließ sie sich in den Sitz fallen, schnallte sich an und sah angelegentlich aus dem Fenster.

Die Maschine war nicht ausgebucht, sie hatten die Dreierreihe für sich. Ari hatte den Platz neben ihr in der Mitte belegt. Als er die Armlehne zwischen Ihnen nach oben schieben wollte knallte sie die mit versteinerter Miene wieder nach unten.

Lilly hatte einen kalten Klumpen im Magen. Die Türen wurden geschlossen, der Verbindungsschlauch zum Einsteigen löste sich vom Flugzeug. Die Maschinen begannen zu dröhnen und der Vogel rollte rückwärts aus seiner Parkposition. Im gleichen Mass wie die Turbinen beschleunigten, begann auch Lillys Magen sich zu drehen. Mit geschlossenen Augen versuchte sie, mit ein paar Atemübungen ihre widerborstigen Innereien zu beruhigen. Sie schrak zusammen als sie jemand am Arm berührte.

Auf dem Tablett vor ihr stand ein Becher mit einer prickelnden klaren Flüssigkeit. Ari's prüfender - und mitfühlender? - Blick lag auf ihrem Gesicht. "Sie sind ganz weiß im Gesicht."

'Ach was...'

"Trinken Sie das."

Misstrauisch spähte Lilly in den Becher. "Was ist das?"

Ari verdrehte übertrieben die Augen. "Wasser. Was dachten Sie denn? Was hätte ich davon wenn ich Sie vergifte oder so was?

Geht es Ihnen nicht gut? Haben Sie Flugprobleme?"

"Nein", zischte sie böse während sie langsam und vorsichtig an dem Wasser nippte. "So sehe ich immer aus wenn ich von  Verbrechern verfolgt und von einem Irren in ein Flugzeug verschleppt werde."

"Verschleppt, ja? Sie könnten wenigstens ein bisschen dankbar sein. Die Gauner hätten Sie ganz sicher ohne Weiteres umgebracht.

Was ist denn eigentlich so wertvoll an Ihnen, dass Sie jemand umbringen will?"

"Wer sagt denn, dass man mich umbringen will?"

Ari schnaubte geringschätzig; sein sprechender Blick sagte eindeutig: ' Stell dich nicht dümmer als du bist.' 

Da Lilly darauf keine passende Antwort hatte hielt sie sich wortlos an das kalte Wasser im Becher. Sie konnte ihm nicht vertrauen.

Nichts von dem Dolch erzählen der unten im Frachtraum in ihrer Reisetasche schlummerte. Für den Zoll und die Flughafenpolizei hatte sie Formulare bekommen, die ihr das Mitführen dieses Gegenstandes gestatteten. 

"Eins sagen ich Ihnen. Ich bin nicht undankbar. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen. Aber wenn wir in Hamburg gelandet sind trennen sich unsere Wege."

Er hatte seine Jacke ausgezogen und sie in dem Fach über sen Sitzen verstaut. Hatte sich bequem zurück gelehnt und die Augen geschlossen. "Wir fliegen nicht nach Hamburg."

"Nein? Wohin wohl sonst?" Der Gedanke, nach dem Ziel zu fragen - geschweige denn auch mal auf das Flugzeug zusehen - war ihr noch gar nicht gekommen.

Er hielt die Augen geschlossen als er einem unmerklichen Zögern antwortete.

"Kairo." 

2. Allah ist groß...

 Lilly glaubte erst, sich verhört zu haben. "Was?!"

Dann wollte sie vom Sitz hochschießen aber seine Hand schoss vor, legte sich auf ihren Oberschenkel und drückte sie nach unten.

"Ganz ruhig! Bleiben Sie sitzen. Wollen Sie unterwegs abspringen? Außerdem sind die Gangster auch im Flieger."

"Was? Wo?" Wieder wollte sie vom Sitz hoch aber die Hand hielt sie noch immer fest. Eine unbestreitbar kräftige Hand.

"Bleib sitzen, hab ich gesagt. Sie sind hinten, im Touristenbereich. Economyclass. Harten Tag im Büro gehabt, Schatz?"

Er grinste wieder mit geschlossenen Augen, seine Finger begannen beruhigend über ihr Bein zu streicheln. Was allerdings eher das Gegenteil bewirkte. Seine angenehm warmen Finger schienen sich heiß durch den Stoff ihrer Jeans zu brennen.

"Nehmen Sie Ihre Finger da weg!"

Er grinste immer noch, nahm aber immerhin sein Hand weg.

"Entspann dich, Menschenskind. Mach das Beste aus der Situation. Es dauert ein paar Stunden bis wir ankommen. Versuche zu schlafen. Ich wecke dich wenn das Essen kommt."

Schlafen? Wie zum Teufel sollte man in einer solchen Situation auch nur an schlafen denken?

Für ihn schien das alles nicht neu zu sein. Er schien ganz entspannt in seinem Sitz zu hängen und den Flug zu genießen. Lilly starrte aus dem Fenser auf die Wolkendecke ohne wirklich etwas zu sehen.

Schlafen. Also gut, schlafen wir. Sie konnte weiter nachdenken wenn sie angekommen war.

 

Sie hatte so schön geträumt.

Der Professor überreichte ihr gerade eine Medaille für besondere Verdienste am Museum. Die Zuschauer applaudierten.

Und dann küsste der Professor sie aufs Haar und flüsterte ihr ins Ohr: "Aufwachen, Schatz. Das Essen ist da."

Lilly blinzelte wie eine Eule, die aus Versehen am Tag geweckt worden ist und mit der Helligkeit nichts anfangen kann.

Wieso nannte der Professor sie Schatz?

Aber dann wurde sie sich ihre Umgebung wieder bewusst und heiße Verlegenheitsröte schoss ihr bis in die Haarspitzen. Sie hatte sich im Schlaf ganz dicht an ihren Reisebegleiter gekuschelt, wohl ebenfalls im Schlaf die Armlehne hochgeklappt, einen Arm um ihn geschlungen und ganz friedlich an seiner Schulter geschlafen. Im Gegenzug hatte er einen Arm um ihre Schultern gelegt und sie festgehalten, damit sie nicht wegrutschte. Hatte sie wirklich einen Kuss auf ihrem Haar gespürt oder nur nett geträumt?

Ari lächelte leicht vor sich hin. Sie hatte in seinem Arm geschlafen. Ganz vertrauensvoll. Er hatte es genossen; seine Wange auf ihren Kopf gelegt und den Duft ihrer Haare eingeatmet. So hatten sie ein paar Stunden geschlummert wie ein altes Ehepaar.

Deutlich verlegen rückte Lilly ein Stück von ihm ab, schob ihre Jacke zurecht und setzte sich aufrecht hin zum essen.

"Gut geschlafen?", wollte er wissen.

"Angesichts der Situation? Ja. Kaum zu glauben, aber danke der Nachfrage."

"Dann essen Sie was. Es gibt Hühnchen mit Erbsen."

Bei der Erwähnung von Essen begann Lillys Magen zu knurren. Seit dem Frühstück war schon einige Zeit vergangen und der Körper verlangte sein Recht obwohl sie nicht glaubte etwas hinunter zu bringen. Immerhin roch es verlockend, als sie den Deckel vom Tablett hob. Aus dem Augenwinkel schielte sie zu dem Mann im Nebensitz hin, der schon mit Messer und Gabel das Hühnerfleisch zerteilte und mit geschlossenen Augen ein Stück genießeisch in den Mund schob. 

"Ich heiße übrigens Liliane. Sie können sich also das verlogene 'Schatz' sparen."

"Wer sagt denn, dass es verlogen ist? Liane also?"

"Nein. Liliane."

"Sag ich doch. Liane."

"Nein! Das ist verkehrt! Zweimal 'Li'! Li - li - ane!"

"Hm?", fragte er kauend. Sie winkte ab.

"Egal. Sagen Sie Lilly wenn Sie wollen. Oder Frau Burger. Alles, bloß nicht 'Schatz'."

"Schwierig", entgegnete er und schaffte es, nicht wieder zu grinsen. "Wir haben nun mal damit angefangen. Wenn die

Gauner hören sollten, dass wir wieder plötzlich beim 'Sie' sind..."

Mist. Er hatte Recht. Das würde einen komischen Eindruck machen. Ari schien ihr Nachgeben zu spüren und grinste wieder breit. 

Lilly war kurz versucht ihm den heißen Kaffee auf die Hose zu kippen. An eine unangenehme Stelle. Und den Obstsalat ins Gesicht.

Tatsächlich jedoch war sie ein Ausbund an Beherrschung und Coolness. Während sie ihren Kaffee trank kam ihr etwas ganz anderes in den Sinn. "Wie kommen wir in Kairo an den Passkontrollen vorbei und aus dem Flughafen? Und müssen wir das überhaupt?"

"Das lass mal meine Sorge sein."

"Könnten wir nicht einfach mit der nächsten passenden Maschine wieder zurück fliegen?"

"Nein. Das Rückflugsdatum ist erst in zwei Wochen, nach den Angaben auf den Tickets. Und wenn wir es umbuchen wollten müssten wir die passenden Reisepässe haben."

Punkt für ihn.

"Ich hab in Kairo einen Freund der uns weiterhelfen kann. Wir fahren erstmal dort hin. Notfalls kann er uns auch Pässe besorgen."

"Was bist du? So eine Art 'Indiana Jones'?"

Der Vergleich schien ihm zu gefallen. "Vielleicht. So ähnlich. Nur mit mehr Niveau."

"Darüber lässt sich streiten."

Jetzt lachte er wirklich. Lillys Herz hatte ein paar Aussetzer. Auf seine ganz eigene Art sah er wirklich gut aus. Die Haare rutschten ihm ins Gesicht und sie unterdrückte den dummen Drang, sie ihm hinters Ohr zu streichen. So was Blödes. Lilly verschränkte die verräterischen Finger ineinander. 

"Wie auch immer. Jedenfalls muss ich schnellstmöglich nach Hamburg zurück!"

"Warum denn? Sieh es doch einfach als ungeplanten Urlaub an."

"Urlaub? Witzbold! Womit sollte ich wohl einen Urlaub bezahlen? Und meinen Job bin ich auch garantiert los, wenn ich zurück bin."

"Warum genießt du dann den Tripp nicht? Sei doch nicht so verkrampft! Und ums Geld mach dir mal keine Sorgen."

Lilly runzelte die Stirn als er eine Geldrolle aus der Hosentasche zog und sie ihr unter die Nase hielt.

"Keine Sorge, Schatz, es wird ein angenehmer Urlaub werden. Vertrau mir."

"Sagte der Fuchs zum Hasen", fauchte Lilly und er lachte wieder, fasste nach ihrer Hand, hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken und tauchte seinen Blick in ihre Augen.

"Frag nicht. Tue es einfach."

Lilly lief ein angenehmer Schauer den Rücken runter. Dabei fühlte sie sich wie ein hypnotisiertes Kaninchen. Nein, sie durfte

ihm nicht trauen. Trotzdem konnte sie den Blick nicht abwenden. Nervös fuhr ihre Zungenspitze über die leicht geöffneten Lippen. 

In Ari's Augen flackerte etwas auf und er beugte sich noch ein Stückchen in ihre Richtung, legte eine Hand an ihren Hinterkopf und küsste sie wieder, wie am Flughafen. Nein, nicht ganz so. Diesesmal schob sich seine Zunge zwischen ihre Lippen. Reizte ihre eigene, spielte ein bisschen herum bis sie von sich aus ihre Zunge um seine schlang, sie in ihren Mund saugte.

'Liliane was machst du da eigentlich? Hast du sie noch alle?'    

Sie bog den Kopf zurück und funkelte ihn an. "Was soll das, verdammt?" 

Sein Atem ging deutlich schwerer, trotzdem grinste er wieder. "Wieso? Hats dir gefallen?"

'Jaaa.' "Nein!"

Ari legte ihr wieder einen Arm um die Schultern und zog sie an sich, obwohl sie sich zuerst sträubte.

"Schlaf noch ein bisschen."

Sie gab schließlich nach. Bevor ihr die Augen zu vielen fragte er noch einmal. "Hat es dir wirklich nicht gefallen?"

"Nein..."

Lilly konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. "Lügnerin."

 

 

Sie wollte nach der imaginären Mücke schlagen, die sie an der Nase kitzelte. Und sie war ruckartig wach als ganz dicht

an ihrem Ohr leises Lachen aufklang. "Nicht um dich schlagen, Schatz, wir sind gleich da. Aufwachen."

Lilly blinzelte, richtete sich in ihrem Sitz auf und schlagartig hatte sie das gefühl, als fiele ihr der Magen bis hinab in die Füße.

Irgendwann - bestimmt! - würde sie ihm für seine Unverschämtheit eine knallen. Aber noch war sie wohl auf seine Hilfe angewiesen.

verdammter Schlamassel!

In diesem Moment setzte das Flugzeug zur Landung an und Lillys Magen verknotete sich unangenehm. Ein Seitenblick zu Ari hin, aber der schien ganz locker. Er hatte sich ein Stück über sie weg gebeugt, spähte aus dem Fenster auf die Stadt unter der Dunstglocke hinunter und sie konnte sein Aftershave riechen. Sandelholz, Tabakgeruch, Moos und Moschusduft. Er roch... irgendwie lecker. Sie riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. 'Lilly, du hast sie nicht mehr alle.'

"Was?" Ari richtete sich wieder auf und sah ihr prüfend ins Gesicht. 

"Nichts. Ich muss nur wach werden. Ich darf gar nicht dran denken wie es jetzt weitergehen soll. Ägyptische Gefängnisse sind nicht gerade berühmt für ihren Zimmerservice."

"Weiß ich, denk mal. Ich war mal in einem drin."

"Was hast du angestellt?" 'Einen ganzen Harem verführt? Die Tochter eines Scheichs gekidnappt?'

"Ich hab ein Brot geklaut." Er war schlagartig ernst geworden. "Ich hatte Hunger."

Lilly starrte ihn betroffen an. Das hatte sie nicht erwartet.

Es ruckelte etwas als die Maschine aufsetzte. Sie verließen als beinahe Letzte den Flieger. In den Hallen herrschte ein unglaubliches Gedränge. Babylonisches Stimmengewirr schlug auf sie ein. Lilly zitterte dermaßen vor Aufregung, dass sie kaum laufen konnte. Ari packte sie am Ellbogen, schob sie zielstrebig zu einem Seitenausgang , sah sich rasch um und verschwand dann mit ihr hinter einer massiv aussehenden Tür mit arabischer Aufschrift. Ein langer Flur tat sich auf, mit identischen Türen zu beiden Seiten. Steriles Weiß herrschte vor an den Wänden, unter der grauen Zimmerdecke waren Leuchtstoff Röhren montiert. 

"Was..."

"Still! Ich rede und du hältst den Mund."

Da ihnen in diesem Moment zwei Männer entgegen kamen presste Lilly die Lippen fest zusammen. Ohnehin war ihr die Kehle wie zugeschnürt. Ari ratterte etwas auf arabisch herunter und wieder einmal konnte sie nur staunen. Die beiden Männer blickten sie nachsichtig an. Einer grinste breit, dann deutete er auf ein Tür weiter hinten rechts und sagte wieder etwas, dass Lilly nicht verstand. Ari antwortete mit einem breiten Grinsen, dann schob er sie weiter.

"Was hat er gesagt?"

"Das musst du nicht wissen. Der Zweck heiligt die Mittel, oder?"

Vor der besagten Tür blickte er sich nochmal rasch um, dann öffnete er sie entschlossen und schob Lilly hinein. Er schloss die Tür sorgfältig hinter sich und Lilly registrierte mit Unbehagen, dass er den Schlüssel im Schloss rumdrehte. Sie wappnete sich gegen das was jetzt wohl kommen würde und staunte - schon wieder - als er einige der weiß lackierten Schränke öffnete, kurz in sie hinein sah und eine handvoll Kleidungsstücke heraus nahm. Zwei Teile warf er ihr zu und sie fing sie ganz automatisch auf.

Schwarze Uniformteile. Lange Hosen und kurzärmelige Hemden mit Abzeichen auf der linken Brusttasche. Weil Lilly fragend die  Augenbrauen hob, seufzte er ungeduldig. 

"Zieh das hier über. Das ist unsere Tarnung. Und dann holen wir als ordentliche Zollbeamte deine Tasche von Band. In der Toilette ziehen wir das Zeug wieder aus. Was ist? Mach schon!"

Er hatte schon begonnen die Jacke abzulegen und sein Hemd aufzuknöpfen. Lilly fühlte es heiß bis zum Hals hochsteigen.

"Ich soll mich hier umziehen? Dann dreh dich gefälligst um!"

Er grinste wieder während er den Gürtel seiner Hose öffnete und den Reißverschluss nach unten zog.

"Bist du etwa prüde? Das können wir uns leider nicht leisten."

Lilly sah sich den fensterlosen Raum genauer an, aber es gab außer den Schränken an einer Längsseite nur noch den Tisch in der Mitte und die handvoll Stühle, die unordentlich darum verteilt standen. Keine Umkleideräume. Sie wandte sich rasch ab als seine Hose anstalten machte nach unten zu rutschen. Ziemlich erfolglos versuchte sie seine Anwesenheit zu ignorieren, knöpfte  ihre Bluse auf und streifte sie von den Schultern. Das Hemd war ein Männerhemd und viel zu groß; in ihrer Aufregung knöpfte sie es erst einmal falsch zu. Es reichte ihr fast bis zu den Knien. Die Hose reichte zwar auch fast bis zum Boden würde aber gehen.

Das Hemd schob sie in den Hosenbund, zog sie so hoch wie es ging und schnürte den Gürtel bis ins letzte Loch.

Ihre flachen Cowboystiefel sahen etwas merkwürdig dazu aus aber sie hoffte, dass niemand auf ihre Füße achtete. Lilly wandte sich wieder um als sie das 'Ssssipp' von seiem Hosenreißverschluss hörte.

Schon wieder Mist! Er hatte sie ausgetrickst. Mit nacktem Oberkörper, die Hände in die Seiten gestützt, stand er da und grinste breit und unverschämt. Lillys Blick klebte an seiner Brust und dem flachen Bauch. Gleichmäßig verteilte Muskeln, goldene Haut, alles schön glatt und glänzend. Das heißt... halt! Direkt unter seinem linken Schlüsselbein zog sich ein dünner weißer Strich entlang, eine feine Narbe. Viel zu spät merkte sie, dass ihr der Mund unschön offen stand. Sie klappte ihn zu mit einem hörbaren klacken der Zähne. 'Lieber Gott, fehlt nur noch dass ich anfange zu sabbern! Mistkerl!'

"Guck nur, ich bin's gewohnt dass mich die Frauen anstarren."

"Ich starre nicht! Arschloch! Außerdem habe ich schon Besseres gesehen." 

"Ja, klar." Der gönnerhafte Ton schürte in Lilly das dringende Bedürfnis ihn zu erwürgen. Dummerweise kollidierte das mit dem Wunsch, mit den Fingerspitzen über diesen Traumkörper zu fahren, das Muskelspiel unter der Haut zu fühlen... Grrrr! Sie stieß ein paar nicht jugendfreie Flüche aus, die ihn wieder nur grinsen ließen.

"Fertig?, Dann sollten wir gehen. Und du wirst brav den Mund halten während ich rede."

"Wieso kannst du arabisch?"

Er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. "Hat sich mal so ergeben." Er schob das Hemd in die Hose. "Ich kann ungefähr acht Sprachen akzentfrei, dazu noch ein paar andere halbwegs verständlich. Ist ganz praktisch in meinem Job. 

Außerdem ist das Leben der beste Lehrer."

Was sich nicht bestreiten ließ. Bei seiner Antwort fiel ihr auch wieder ein, was sie ihn schon eine Weile hatte fragen wollen.

"Was kannst du denn sonst noch? Und was ist denn dein Job eigentlich?"

Ein heißer Schlafzimmerblick aus blauen Augen. "Finde es doch heraus..."

Er fing ihre Faust einen Zentimeter vor seinem Gesicht ab. "Das solltest du lassen. Wenn wir da raus gehen sind wir Kollegen im Dienst. Und die schlagen sich nicht."

"Dein Glück", grollte sie böse, riss sich aber zusammen. Sie schlang ihre Haare zu einem Knoten zusammen, befestigte alles mit dem Gummiband vom Pferdeschwanz und sah gleich ganz anders aus. "Fertig."  

Wie machte man ein professionelles Zollbeamtengesicht? Immerhin schien es zu gelingen denn niemand hielt sie auf als sie wieder nach vorn gingen, zurück zur Halle mit den Gepäckbändern. Am Band fünf kamen soeben ihre Sachen aus dem Flieger angefahren. Lilly erkannte ihre leuchtend grüne Tasche schon von Weitem. Sie hob sie vom Band, Ari blätterte mit wichtiger Miene in dem Notizbüchlein welches er in der Hemdtasche gefunden hatte. Nickte dann, so als habe er etwas ungeheuer Wichtiges und höchst Verbotenes gefunden. Mit dem Kopf deutete er in eine Richtung, schnarrte wieder was arabisches und Lilly blieb nichts übrig als zustimmend zu nicken. Zielstrebig wanderte der Mann durch diverse Ausgänge und Schleusen, scherzte sogar noch mit einer Beamtin von der Zollkontrolle - wobei Lilly fast das Herz stehen blieb - und dann waren sie wieder in den Vorhallen. Ari steuerte ein weiteres Mal die Toiletten an, schickte Lilly hinein um sich umzuziehen - sie fragte sich was er wohl anziehen würde; ihre anderen Sachen hatten sie im Flughafen liegen gelassen - und tauchte dann tatsächlich im Blauzeug

eines Arbeiters wieder auf. Der Mann war so wandelbar wie ein Chamäleon. Er winkte ihr unauffällig mit einer Hand, ihm nach draußen zu folgen ohne sie dabei eines Blickes zu würdigen und Lilly war einen Moment leicht angesäuert. Letztendlich war ihr dann aber doch der Gedanke gekommen, dass es wohlmöglich etwas sonderbar wirken könnte wenn eine europäische Touristin einem einheimischen Handwerker nachlief. Undenkbar. Draußen schob er sie rasch in ein Taxi, ließ einmal den Blick prüfend in die Runde schweifen und schwang sich dann neben sie auf den freien Sitz im Fond des abenteuerlich wirkenden Vehikels. Zum wiederholten Male schnatterte er etwas auf arabisch und das Taxi brauste los.

"Wohin fahren wir?"

Ari nahm die Kappe vom Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Dann warf er einen Blick durch die Heckscheibe.

"Zu einem Freund. Da fällt mir ein..." Aus der Brusttasche des Overalls zog er ein zerknautschtes Zigarettenpäckchen, schob sich eine davon zwischen die Lippen steckte sie mit einem der Streichhölzer in Brand die dabei gewesen waren und nahm einen

genießerischen Zug.

"Du müsstest ab sofort als Ehefrau oder Schwester durchgehen. Ich nehme nicht an, dass du irgenwie als Geliebte... nein, das dachte ich mir", meinte er beschwichtigend als ihn Lillys flammender Blick traf, zusammen mit ihrem empörten Ausruf. Er schnippte die Asche aus dem geöffneten Fenster. "Allerdings, als Ehefrau musst du wohl auch im selben Zimmer schlafen."

Lilly kochte innerlich. Und wohl noch in seinem Bett? Das hätte er wohl gern!

Wann war sie eigentlich zum viel zu vertrauten 'Du' übergegangen? Egal.

"Dann bin ich also deine Schwester. Allerdings wüsste ich dann gerne wie ich eigentlich heiße."

"Hm?"

"Mit Familiennamen, du Knalltüte! Ich kann wohl schwerlich deine Schwester sein wenn ich nicht mal unseren Familiennamen kenne."

"Ach so, ja..." Er schnalzte abwägend mit der Zunge wärend er immer wieder prüfend aus dem Rückfenster sah.

"Bertram. Meine Familie heißt Betram. Mein Vater ist tot, meine Mutter wohnt in München. Kleines Häuschen in Riem, schön im Grünen. Du hast einfach den gleichen Vater aber eine andere Mutter. Die Eltern könnten ja geschieden sein oder so... Und was mich betrifft... du hast keine Ahnung was ich so mache da ich den größten Teil des Jahres ohnehin durch die Welt jette."

Das war ihr ganz recht. Und sie fühlte sich plötzlich gedrängt zu erklären, was ihr Beruf - oder besser - ihre Berufung war. 

"Ich heiße Liliane, wie schon erwähnt. Weil du dir das nicht merken kannst, einfach Lilly. Ich habe Anthropologie, Archäologie

und Sprachen studiert und bin noch dabei, meine Abschlussarbeit zu schreiben damit ich meinen Doktor vor den Namen setzen kann. Ich arbeite im Museum für Völkerkunde in Hamburg. Sonst noch was?"

Jetzt wurde es eher privat und eigentlich widerstrebte es ihr, so Persönliches preiszugeben. Aber wenn's denn sein musste...

"Ich bin achtundzwanzig. Geburtstag am fünften August. Als Kind mochte ich meinen Kater Merlin, habe furchtbar geheult als er gestorben ist und wollte danach nie wieder eine Katze haben. Einmal habe ich eine furchtbare Abreibung gekriegt weil ich mit Vaters  antiken Marionetten gespielt und sie mangels Puppen an den Kaffeetisch gesetzt habe. Eine der Puppen hatte von da an einen Milchkaffeefleck auf dem Kleid."

Ari bemerkte den Anflug von Traurigkeit auf ihrem Gesicht und sah sich genötigt etwas netter zu sein.

"Deine Eltern..." Er fasste nach ihrer Hand und drückte sie leicht.

"Sind lange tot, alle Beide. Keine Geschwister, keine Großeltern. Ich bin allein."

Sie hatte dem ersten Impuls, ihre Hand wegzureißen, nicht nachgegeben. Seine warmen Finger waren irgendwie auch tröstlich. Lilly schreckte aus ihren Gedanken hoch als das Taxi mit quietschend en Reifen in eine schmale Seitenstraße bog und sie gegen ihren Reisebegleiter geschleudert wurde. "Was..."

Sie kam nicht dazu sich weiter zu beschweren. Ari hatte ein weiteres Mal hinten durchs Fenster gesehen. Just in dem

Moment als der Wagen direkt hinter ihnen ausscherte und an ihnen vorbeiziehen wollte. Zunächst hatte er sich noch nichts dabei gedacht. Der Verkehr in Kairo war schlicht chaotisch. Die Fahrzeuge spotteten jeder Beschreibung.

Schon nach kürzester Zeit hatten die Wagen Beulen, fuhren nur mit einem oder auch einfach gar keinem Licht in der Dunkelheit. Ampeln sah man eher als hübsche bunte Verzierungen der Straßen an. Dreißig Zentimeter hohe Bordsteinkanten dienten ausschließlich der Sicherheit der Fußgänger weil die Autofahrer nicht etwa anhielten sondern nur lautstark hupten... und dann die Passanten ohne Weiteres über den Haufen fuhren wenn der sich nicht schnell genug in Sicherheit brachte. Die hohen Bordsteine brachen ihnen die Achsen und rissen Unterböden und Ölwannen auf und nur das war der Grund, dass sie nicht drauf fuhren. Als der andere Wagen neben ihnen auf gleicher Höhe blieb klingelten bei Ari die Alarmglocken. Ein schwarzes Fahrzeug mit verdunkelten Scheiben.

Die Alarmglocken schrillten hell, als eine der hinteren Scheiben herunter gelassen wurde und sich eine Hand mit einer Pistole auf sie richtete. Er brüllte etwas nach vorne, packte Lilly an den Schultern und riss sie vom Sitz, drückte sie in den Fußraum hinunter und beugte sich schützend über sie. Er hörte den erschrockenen Aufschrei ihres Fahrers und empört kreischende Bremsen, als der Fahrer das Lenkrad herumriss. Bellende Schüsse, splitterndes Glas, das Sirren der Kugeln die über seinen Kopf hinweg zischten und auch die andere Seitenscheibe zertrümmerten, teilweise im Wagenhimmel und der Tür stecken blieben. 

"Bleib unten!", befahl er Lilly die sich wieder hochschieben wollte. Und zum Fahrer brüllte er nach vorne: "Hängen Sie ihn ab! Ich zahle den doppelten Fahrpreis wenn wir heil am Ziel ankommen!" 

Lillys Magen schlingerte im gleichen Mass wie das Auto. Sie hatte Ari's Hosenbeine vor der Nase, roch den Schweiß durchtränkten Stoff, das Leder seiner Stiefel und den strengen Gummigeruch der Fußmatten im Taxi. '

Gleich kotze ich ihm auf die Stiefel.'