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Die Entdeckung des Jahrhunderts hat einen hohen Preis … Der Archäologe Dr. Ben Kazin hat sein Leben der Suche nach der verschollenen Stadt Ophir gewidmet – jenem legendären Ort, dem König Salomon seine unermesslichen Goldschätze verdankte. Eine Luftaufnahme bringt den lang ersehnten Durchbruch: Sie zeigt die Fundamente einer riesigen Stadt, die vom Sand der Kalahari-Wüste verschluckt wurde. Für Ben und sein Team aus unerschrockenen Forschern beginnt eine abenteuerliche Reise voller Gefahren ins Herz von Afrika. Hier müssen sie sich nicht nur gegen einheimische Barbarenstämme verteidigen, sondern auch den tückischen Fallen einer uralten Zivilisation entkommen. Und schon bald muss Ben erkennen, dass sein Schicksal eng mit den Geschehnissen verwoben ist, die vor tausenden von Jahren zum Untergang von Ophir geführt haben … »Keiner schreibt so gute Abenteuerromane wie Wilbur Smith.« Daily Mirror Der opulente Afrika-Roman »Der Sonnenvogel« von Bestseller-Autor Wilbur Smith: Großer Abenteuerroman trifft auf Historisches Epos in diesem hochkarätigen Lesevergnügen für die Fans von Dan Brown und Daphne Niko. Was Sie in »Der Sonnenvogel« erwartet:
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 641
Veröffentlichungsjahr: 2025
Über dieses Buch:
Der Archäologe Dr. Ben Kazin hat sein Leben der Suche nach der verschollenen Stadt Ophir gewidmet – jenem legendären Ort, dem König Salomon seine unermesslichen Goldschätze verdankte. Eine Luftaufnahme bringt den lang ersehnten Durchbruch: Sie zeigt die Fundamente einer riesigen Stadt, die vom Sand der Kalahari-Wüste verschluckt wurde. Für Ben und sein Team aus unerschrockenen Forschern beginnt eine abenteuerliche Reise voller Gefahren ins Herz von Afrika. Hier müssen sie sich nicht nur gegen einheimische Barbarenstämme verteidigen, sondern auch den tückischen Fallen einer uralten Zivilisation entkommen. Und schon bald muss Ben erkennen, dass sein Schicksal eng mit den Geschehnissen verwoben ist, die vor tausenden von Jahren zum Untergang von Ophir geführt haben …
Über den Autor:
Wilbur Smith (1933–2021) wurde in Zentralafrika geboren und gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart. Der Debütroman seiner Jahrhunderte umspannenden Südafrika-Saga um die Familie Courtney, begründete seinen Welterfolg als Schriftsteller. Seitdem hat er über 50 Romane geschrieben, die allesamt Bestseller wurden, und in denen er seine Erfahrungen aus verschiedenen Expeditionen in die ganze Welt verarbeitete. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt. Wilbur Smith starb 2021 in Kapstadt im Kreise seiner Familie.
Die Website des Autors: www.wilbursmithbooks.com/
Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/WilburSmith/
Der Autor auf Instagram: www.instagram.com/thewilbursmith/
Die große Courtney-Saga des Autors um die gleichnamige südafrikanische Familie erscheint bei dotbooks im eBook. Der Reihenauftakt »Das Brüllen des Löwen« ist auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich.
Die große Ägypten-Saga über den Eunuchen Taita ist bei dotbooks als eBook erhältlich. Der Reihenauftakt »Die Tage des Pharao« ist auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich.
Außerdem bei dotbooks erschienen der Abenteuerroman »Der Sonnenvogel« sowie die Action-Thriller »Greed – Der Ruf des Goldes«, »Blood Diamond – Tödliche Jagd«, »Black Sun – Die Kongo-Operation«, »Das Elfenbein-Kartell« und »Atlas – Die Stunde der Entscheidung«. Weitere Bände in Vorbereitung.
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eBook-Neuausgabe Januar 2025
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1972 unter dem Originaltitel »The Sunbird« bei Heinemann.
First published in 1972 by William Heinemann Ltd.
Copyright © Wilbur Smith 1972
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1974 by Marion von Schröder Verlag GmbH, Düsseldorf
Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/gg-foto und AdobeStock/Kaleb
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)
ISBN 978-3-98952-599-3
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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].
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Wilbur Smith
Der Sonnenvogel
Roman
Aus dem Englischen von Alfred Starkmann
dotbooks.
Für meine Frau Danielle
Es schnitt durch den verdunkelten Projektionsraum und explodierte lautlos gegen die Leinwand – und ich erkannte es nicht. Ich hatte fünfzehn Jahre darauf gewartet, und als es kam, erkannte ich es nicht. Das Bild war wirbelig und undeutlich; ich hatte die Fotografie irgendeines kleinen Objekts erwartet, eines Schädels etwa, einer Tonscherbe, oder auch ein Werkzeug, eine Goldarbeit, Perlen – aber ganz gewiß nicht dieses surrealistische Muster aus Grau, Weiß und Schwarz.
Louren gab mir mit erregter Stimme den entscheidenden Hinweis. »Aufgenommen in zehntausend Meter Höhe, um 6 Uhr 47 am vierten September«, das war vor acht Tagen, »mit einer 35-mm-Leica.«
Eine Luftaufnahme also. Und fast sofort spürte ich den ersten Kitzel meiner eigenen Erregung, während Louren im gleichen knappen Ton fortfuhr.
»Eine Charterfirma macht für mich einen Luftüberblick all meiner Konzessionsgebiete. So lassen sich die Schichten und der Verlauf der geographischen Formationen am besten erkennen. Diese Fotografie hier ist nur eine von 200 000 von diesem Gebiet – der Navigator wußte nicht einmal, was er fotografierte. Wie auch immer, die Leute bei der Analyse entdeckten es und schickten es mir zu.«
Er blickte mich an. Sein Gesicht wirkte im Blendlicht des Projektors blaß und feierlich.
»Du kannst es erkennen, Ben? Gleich neben der Mitte. Oberes rechtes Viertel.«
Ich wollte antworten, doch mir versagte die Stimme. Überrascht stellte ich fest, daß ich zitterte.
»Geradezu klassisch! Akropolis, doppelte Einzäunung und die ›phallischen Türme‹.« Er übertrieb – es waren nur unklare Umrisse, manchmal überhaupt nicht auszumachen, aber generell waren Form und Zuordnung richtig.
»Norden«, stieß ich hervor. »Wo ist Norden?«
»Oben im Bild – liegt richtig, Ben. Nach Norden hin. Könnten die Türme sonnenorientiert sein?«
Ich kombinierte jetzt blitzschnell. Ich war zu oft enttäuscht worden. Ich suchte nach den Haken.
»Lagerungen«, sagte ich. »Vielleicht Kalkstein verbunden mit dem Landgranit. Aufgeworfene Oberflächenmuster.«
»Ach Quatsch!« unterbrach Louren. Die Erregung blubberte immer noch in seiner Kehle. Er sprang auf, lief zur Leinwand hinüber und zeigte mit dem Stab auf die zellenartigen Tupfen am Umriß, den er unzweifelhaft für die Haupteinzäunung hielt. »Sag mir, wo du je solche geologischen Muster gesehen hast.«
Ich wollte es nicht akzeptieren. Ich wollte mich nicht ein weiteres Mal durch eine voreilige Hoffnung irreführen lassen.
»Vielleicht«, sagte ich.
»Geh mir doch weg.« Er lachte jetzt, und der Klang tat gut; in letzter Zeit hatte er nicht oft gelacht. »Ich hätte wissen müssen, daß du dich wehrst. Du bist der erbärmlichste Pessimist in ganz Afrika.«
»Es könnte schließlich alles Mögliche sein, Lo«, protestierte ich. »Eine Täuschung des Lichts, der Form, des Schattens. Und selbst angenommen, daß es von Menschenhand stammt – es könnten Gärten jüngeren Datums oder Äcker sein –«
»Hundert Meilen vom nächsten Wasserspiegel entfernt? Unsinn, Ben! Du weißt so gut wie ich, dies ist –«
»Sag es nicht«, ich schrie fast, war mit einem Satz aus dem gepolsterten Ledersessel quer durch den Projektionsraum und packte seinen Arm.
»Sag es nicht«, wiederholte ich. »Es bedeutet – es bedeutet Unglück.« Ich stottere immer, wenn ich erregt bin. Aber das ist nur die geringste meiner physischen Unzulänglichkeiten, und ich kümmere mich schon lange nicht mehr darum.
Louren lachte erneut, jedoch mit einem leichten Unbehagen wie jedesmal, wenn ich mich schnell bewege oder meine kräftigen Arme einsetze. Er beugte sich jetzt über mich und lockerte den Griff meiner Finger, die sich in seinen Unterarm gebohrt hatten.
Ich schaute zu ihm auf, beschämt wegen meiner Heftigkeit gerade eben, aber immer noch erregt. Er hatte den Projektor ausgeschaltet und das Licht wieder angeknipst.
»Wo ist es, Lo? Wo hast du es gefunden?«
»Erst will ich, daß du es zugibst. Ich will, daß du dich einmal in deinem Leben hervorwagst – bevor ich dir mehr erzähle«, frotzelte er.
»All right.« Ich schaute weg und überlegte meine Worte. »Es sieht, auf den ersten Blick, ganz interessant aus.«
Er warf seinen Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus.
»Da mußt du schon was Besseres bieten. Versuchen wir’s noch einmal.«
Sein Lachen ist unwiderstehlich, und ich lachte sofort mit, obwohl ich wußte, wie vogelhaft es gegen seines klang.
»Es scheint so«, flötete ich, »als hättest du etwas gefunden.«
»Du Prachtjunge!« schrie er. »Du kleiner Prachtjunge.«
Seit Jahren hatte ich ihn nicht so erlebt. Die feierliche Bankiersmaske abgelegt, vergessen die Sorgen des Sturvesant-Finanzimperiums, er war wie ausgewechselt in diesem Augenblick der verheißungsvollen Erwartung.
»Sag mir’s endlich«, flehte ich. »Wo hast du es gefunden?«
»Komm«, sagte er, nun wieder ernsthaft. Wir gingen zu dem langen Wandtisch. Auf seinem grünen Überzug war eine Karte ausgebreitet und mit Nadeln festgesteckt. Der Tisch war hoch. Ich kletterte schnell auf einen Stuhl und lehnte mich darüber, so daß ich fast auf gleicher Höhe war mit Louren, der neben mir stand. Wir vertieften uns in die Karte.
»Aeronautische Serie A. Südliches Afrika. Karte 5. Botswana und Westrhodesien.«
Ich forschte nach einem Anhaltspunkt – einem Kreuz oder Bleistiftzeichen vielleicht.
»Wo?« sagte ich. »Wo?«
»Du weißt, daß ich 25 000 Quadratmeilen Mineralkonzessionen habe, hier unten, südlich von Maun –«
»Jetzt komm schon, Lo. Verkauf mir hier nicht Aktien von Sturvesant-Erzen. Wo zum Teufel ist es?«
»Wir haben hier eine Landebahn angelegt, lang genug für den Lear-Jet. Ist gerade fertig geworden.«
»Es kann nicht weit südlich von der Goldzone sein.«
»Ist es auch nicht«, versicherte mir Louren. »Reg dich ab, du zerreißt sonst noch was.« Es bereitete ihm offensichtlich Vergnügen, mich zu quälen.
Sein Finger glitt über die Karte und hielt plötzlich an – mein Herz schien gleichzeitig stillzustehen. Es sah nur zu gut aus. Der Breitengrad stimmte genau – all die Hinweise, die ich jahrelang so gewissenhaft gesammelt hatte, deuteten auf diese Gegend hin.
»Hier«, sagte er. »Zweihundertzwölf Meilen südöstlich von Maun, sechsundfünfzig Meilen vom südwestlichen Leuchtturm des Wankie-Wildparks, unter einer Kette niedriger Hügel, verloren in einer Wildnis aus Felsen und trockenem Buschwerk.«
»Wann können wir abfahren?« fragte ich.
»Oha!« Louren schüttelte den Kopf. »Du glaubst es also. Du glaubst es wirklich!«
»Jemand anders könnte darüber stolpern.«
»Es hat tausend Jahre dagelegen – eine Woche wird –«
»Eine Woche!« rief ich gequält.
»Ben, ich kann vorher nicht weg. Ich habe am Freitag die jährliche Generalversammlung von Anglo-Sturvesant, und am Samstag bin ich geschäftlich in Zürich – aber das werde ich abkürzen, deinetwegen.«
»Sag ganz ab«, bettelte ich. »Schick einen von deinen begabten Nachwuchsleuten.«
»Wenn dir jemand fünfundzwanzig Millionen leiht, ist es nicht mehr als höflich, den Scheck selbst abzuholen.«
»Himmel, Lo. Es ist doch bloß Geld – und dies hier ist wirklich wichtig.«
Einen Augenblick starrte Louren mich an.
»Fünfundzwanzig Millionen sind nur Geld?« Er schüttelte erst zögernd, dann entschieden den Kopf. »Du hast sicher recht.« Er lächelte, sanft jetzt, das Lächeln für einen guten Freund. »Tut mir leid, Ben. Dienstag. Wir fliegen im Morgengrauen, ich verspreche es dir. Wir werden von der Luft aus erkunden. Dann landen wir in Maun. Peter Larkin – du kennst ihn?«
»Ja, sehr gut.« Peter hatte ein großes Safari-Unternehmen außerhalb von Maun. Ich hatte ihn auf meinen Kalahari-Expeditionen schon zweimal in Anspruch genommen.
»Gut. Ich habe schon mit ihm gesprochen. Er wird die Expedition ausrüsten. Wir werden schnell und ohne viel Gepäck reisen – ein Landrover und zwei Unimog-Dreitonner. Ich kann nur fünf Tage erübrigen – und das mal gerade –, aber ich werde einen Hubschrauber chartern und mich abholen lassen, du kannst dann weiter herumschürfen –« Unterdessen geleitete mich Louren aus dem Projektionsraum in die lange Galerie.
Sonnenlicht flutete durch die hohen Fenster und ließ die Bilder und Skulpturen in der Galerie aufleuchten. Louren Sturvesant und seine Vorfahren hatten ihr Geld klug angelegt. Selbst in der gegenwärtigen Spannung wurden meine Augen durch das weiche, glühende Inkarnat eines Renoir-Aktes abgelenkt. Louren schritt leichtfüßig über die weichen Orientteppiche.
»Wenn du entdeckst, was wir beide erhoffen, kannst du voll einsteigen. Ein ständiges Lager, Flugplatz, Assistenten nach Wahl, eine komplette Mannschaft und sämtliche Geräte, die du willst.«
»Lieber Gott, laß es eintreffen«, sagte ich leise. Oben an der Treppe blieben wir stehen. Louren und ich grinsten uns an wie Verschwörer.
»Du weißt, was es kosten könnte?« fragte ich. »Wir müssen vielleicht fünf oder sechs Jahre graben.«
»Hoffentlich«, stimmte er zu.
»Es könnte – auf zweihunderttausend kommen.«
»Es ist ja bloß Geld, wie dieser Mensch sagte!« Wir gingen, laut lachend der eine, kichernd der andere, die Treppe hinunter zur Eingangshalle.
»Ich werde Montagabend um 7 Uhr 30 zurück sein. Kannst du mich am Flughafen treffen, Alitalia-Flug 310 von Zürich? Sieh zu, daß du inzwischen alle deine Sachen erledigst.«
»Ich brauche einen Abzug des Fotos.«
»Ich habe schon eine Vergrößerung durch Boten zum Institut bringen lassen.« Er schaute auf die goldene Piaget an seinem Handgelenk. »Verdammt. Ich habe mich verspätet.«
Er wandte sich gerade zur Tür, als Hilary Sturvesant im kurzen weißen Tenniskleid vom Innenhof hereinkam – ein großes Mädchen mit goldbraunem Haar, das glänzend und sanft auf ihre Schultern fiel.
»Liebling, du gehst doch nicht?«
»Tut mir leid, Hil. Ich kann nicht zum Mittagessen bleiben. Aber Ben braucht jemanden, der ihn festhält.«
»Du hast es ihm gezeigt?« Sie wandte sich um und kam zu mir, beugte sich nieder, um mir leicht und wie selbstverständlich einen Kuß zu geben, ohne das geringste Anzeichen von Widerwillen, dann trat sie zurück und lachte mich hinreißend an. »Was hältst du davon, Ben? Ist es möglich?«
Louren hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt. »Er dreht durch. Er will sofort in die Wüste rasen, noch in dieser Minute.« Dann zog er Hilary an sich und küßte sie. Eine ganze Minute vergaßen sie bei ihrer Umarmung meine Anwesenheit. Sie sind für mich der Inbegriff von Schönheit und Männlichkeit. Hilary ist zwölf Jahre jünger als er, seine vierte Frau und die Mutter nur des jüngsten seiner sieben Kinder. Erst Mitte Zwanzig, hat sie die Reife und Sicherheit einer wesentlich älteren Frau. »Gib Ben was zu essen, Liebling. Ich komme spät nach Hause.« Louren löste sich aus der Umarmung.
»Du wirst mir fehlen«, sagte Hilary.
»Und du mir. Wir sehen uns Montag, Ben. Schick Larkin ein Telegramm, wenn dir irgendwas Wichtiges einfällt, was wir brauchen. Bis dahin, Partner.« Und fort war er.
Hilary nahm meine Hand und führte mich in den weiten beflaggten Innenhof. Zehntausend Quadratmeter gepflegter Rasen und herrliche Blumenbeete fielen sanft ab zu dem Fluß und dem künstlichen See. Beide Tennisplätze waren besetzt, und ein schreiender Haufen kleiner, fast nackter Körper schlug das Wasser im Schwimmbecken zu einem sonnenfunkelnden Weiß. Zwei Diener in Livree breiteten ein kaltes Buffet auf dem langen, aufgebockten Tisch aus, und mit einem leichten Anflug von Angst erblickte ich ein halbes Dutzend junger Frauen in Tenniskleidern, hingestreckt in die Klubsessel neben der Bar.
»Komm«, sagte Hilary und führte mich zu ihnen. Ich straffte mich in der Hoffnung, neben der strahlenden, hochgewachsenen Frau drei Zentimeter Größe zu gewinnen.
»Mädchen – hier bekommen wir Gesellschaft. Darf ich Herrn Dr. Benjamin Kazin vorstellen. Herr Dr. Kazin ist Direktor des Instituts für Afrikanische Anthropologie und Vorgeschichte. Ben, das ist Marjorie Phelps.«
Ich wandte mich jeder einzelnen zu und erwiderte die leicht überschwenglichen Begrüßungsworte, wobei ich allen eine Probe meiner Vorzüge gab – das sind meine Augen und meine Stimme. Es war für die anderen genauso schwierig wie für mich. Man erwartet nicht von seinem Gastgeber, daß er bei den Drinks vor dem Mittagessen einen Buckligen präsentiert.
Die Kinder waren meine Rettung. Bobby sah mich und kam mit dem Schrei »Onkel Ben! Onkel Ben!« angerannt. Sie schlang ihre kalten, nassen Arme um meinen Hals und drückte ihr triefendes Badekostüm gegen meinen neuen Anzug, bevor sie mich fortzog, damit der Rest der Sturvesant-Sippe und die Horden ihrer kleinen Freunde über mich herfallen konnten. Bei Kindern macht es mir nichts aus, sie bemerken es entweder nicht oder fragen geradeheraus: »Warum gehst du so vornübergebeugt?«
Besonders unterhaltsam war ich diesmal nicht. Ich war innerlich zu erregt, um mich ihnen ganz widmen zu können, und bald zogen sie ab – alle außer Bobby, die immer zu mir hält. Hilary übernahm mich von ihrer Stieftochter und brachte mich zu der Gruppe junger Mütter zurück, wo ich einen besseren Eindruck machte. Wenn die anfängliche Unsicherheit erst einmal vorüber ist, kann ich hübschen Frauen nicht widerstehen. Es war bereits drei Uhr, als ich in bester Laune zum Institut fuhr.
Ein Umschlag lag auf meinem Tisch mit dem Vermerk »Privat und vertraulich«, an eine Ecke war ein Zettel geheftet: »Das ist um Mittag für Sie angekommen. Sieht aufregend aus! Sal.«
Mit einem Stich der Eifersucht prüfte ich das Siegel des Umschlags. Es war unversehrt. Es mußte Sallys ganze Selbstbeherrschung gekostet haben; ihre Neugier ist schier unbezwinglich. Sie nennt das wissenschaftlichen Forschertrieb.
Vermutlich würde sie in den nächsten fünf Minuten auftauchen; deshalb nahm ich das Päckchen Pfefferminz aus meiner obersten Schublade und steckte ein Bonbon in den Mund, um den Whisky-Geruch zu bekämpfen. Ich öffnete den Umschlag und zog die glänzende Vergrößerung heraus, knipste die Schreibtischlampe an und richtete sie und die Tischlupe auf den Abzug. Dann schaute ich auf die Zeugnisse der Vergangenheit ringsum. Alle vier Wände des großen Raums sind mit Regalen bestellt, die vom Boden bis in Schulterhöhe – meine Schulterhöhe – voll sind mit Büchern. Tausenden von Bänden. Auf den Regalen über den Büchern stehen Gipsnachbildungen – Kopf und Schultern – all der Kreaturen, die dem Menschen in seiner Entwicklung vorausgingen. Australopithecus, Proconsul, Robusta, der Rhodesische Mensch, Peking – alle bis zum Neanderthaler und schließlich dem Cro-Magnon selbst – homo sapiens in seiner ganzen Herrlichkeit und Niedertracht. Die Regale rechts von meinem Schreibtisch sind mit Gipsbüsten aller ethnischen Typen Afrikas beladen, Hamiten, Araber, Pygmäen, der Negroiden, Boskops, Buschneger, Griqua, Hottentotten und all der anderen.
»Gentlemen«, sagte ich, »ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.« Ich rede nur laut mit ihnen, wenn ich erregt oder betrunken bin. Diesmal war ich beides und zwar ziemlich stark.
»Mit wem sprechen Sie?« fragte Sally an der Tür, was mich vom Stuhl hochschnellen ließ. Sie wußte verdammt genau, mit wem ich sprach! Sie lehnte am Türpfosten, die Hände tief in die Taschen ihres weißen Kittels vergraben. Dunkles Haar, mit einem Band aus der tiefen vorspringenden Stirn gehalten, große grüne Augen, schön weit auseinanderliegend über der kecken Nase. Hohe Backenknochen, ein breiter, sinnlich lächelnder Mund. Ein großes Mädchen mit langen muskulösen Beinen in den engen Blue Jeans. Warum gefallen mir bloß die Großen immer am besten?
»Gutes Mittagessen?« fragte sie, wobei sie sich langsam seitwärts meinem Schreibtisch näherte, um eine Position zu erreichen, von der aus sie die Dinge leicht übersehen konnte. Sie kann, wie ich zu meinem Entsetzen feststellen mußte, Dokumente verkehrt herum lesen.
»Großartig«, antwortete ich, absichtlich die Fotografie mit dem Umschlag bedeckend. »Kalter Truthahn, Hummersalat, geräucherte Forelle und eine fabelhafte Ente mit Trüffeln in Aspik.«
»Gemeiner Hund«, flüsterte sie leise. Sie liebte gutes Essen und hatte mein Spiel mit dem Umschlag außerdem bemerkt.
Zwei Meter von mir entfernt schnüffelte sie. »Und Malzwhisky mit Pfefferminzgeschmack! Prima!«
Ich errötete. Auch so etwas, das ich nicht abstellen kann – wie mein Stottern. Sie setzte sich lauthals lachend auf die Kante meines Schreibtischs.
»Kommen Sie schon, Ben.« Sie blickte unverhohlen auf den Umschlag. »Ich bin fast geplatzt vor Neugierde, seit er eingetroffen ist. Ich hätte ihn ja über Dampf geöffnet, aber der elektrische Kessel ist kaputt.«
Dr. Sally Benator ist seit zwei Jahren meine Assistentin. Genauso lange bin ich nebenbei in sie verliebt.
Ich rückte zur Seite, um ihr hinter dem Schreibtisch Platz zu machen, und deckte den Umschlag auf. »All right«, stimmte ich zu, »sehen wir, was Sie davon halten.«
Sie trat dicht an mich heran, ihr Oberarm berührte meine Schulter – ein Kontakt, der meinen ganzen Körper wie ein elektrischer Schlag durchfuhr. Innerhalb von zwei Jahren war es bei ihr wie bei den Kindern geworden – sie schien meinen Buckel nicht wahrzunehmen. Sie benahm sich ungezwungen und natürlich – und nach dem Zeitplan, den ich ausgearbeitet hatte, würde unsere Beziehung in zwei weiteren Jahren gereift sein. Ich mußte langsam vorgehen, sehr langsam, um sie nicht zu verschrecken, aber dann würde sie sich wohl an die Vorstellung von mir als ihrem Liebhaber und Ehemann gewöhnt haben. Waren die vergangenen zwei Jahre schon furchtbar lang gewesen – den Gedanken an die nächsten zwei Jahre haßte ich geradezu. Sie beugte sich über den Schreibtisch, um durch die Vergrößerungslinse zu schauen und verharrte reglos und still. Lichtreflexe fielen in ihr Gesicht. Als sie schließlich aufblickte, hatte sie einen begeisterten Gesichtsausdruck, ihre grünen Augen funkelten.
»Ben«, sagte sie, »oh Ben – ich freue mich so für Sie!« Irgendwie ärgerte mich ihre Leichtgläubigkeit.
»Sie sind voreilig«, krittelte ich. »Es könnte ein Dutzend natürliche Erklärungen geben.«
»Nein«, sie schüttelte den Kopf, »Wehren Sie sich nicht dagegen. Sie haben so lange gearbeitet und so lange daran geglaubt, seien Sie jetzt nicht ängstlich. Akzeptieren Sie es.«
Sie schritt quer durch den Raum zu dem Buchregal mit dem Buchstaben »K«. Unter den zwölf Bänden mit dem Autorennamen »Benjamin Kazin« nahm sie einen heraus.
»Ophir«, las sie, »von Dr. Benjamin Kazin. Eine persönliche Studie zur prähistorischen goldverarbeitenden Zivilisation von Zentralafrika, unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Zimbabwe, der Legende der Alten und der versunkenen Stadt der Kalahari.«
»Haben Sie es gelesen?« fragte sie. »Es ist ganz unterhaltsam.«
»Die Möglichkeit besteht, Sal. Das gebe ich zu. Nur eine Chance, aber –«
»Wo liegt es?« unterbrach sie. »In der Mineralschicht, wie Sie vorausgesagt haben?«
Ich nickte. »Ja, es ist im Goldgürtel. Aber es könnte, vielleicht, viel mehr erbringen als Langebeli und Ruwane.«
Sie grinste triumphierend und beugte sich wieder über die Linse. Mit dem Finger berührte sie den Tuschepfeil in der Ecke des Fotos, der nach Norden zeigte.
»Die ganze Stadt –«
»Falls es eine Stadt ist«, unterbrach ich.
»Die ganze Stadt«, wiederholte sie mit Emphase, »liegt nach Norden hin. Zur Sonne. Mit der Akropolis dahinter – Sonne und Mond, die beiden Götter. Die phallischen Türme – da sind vier, fünf, sechs. Vielleicht sieben.«
»Sal, das sind keine Türme, nur dunkle Flecken auf einer Fotografie aus 10 000 Meter Höhe.«
»Zehntausend!« Sals Kopf ruckte nach oben. »Dann ist es riesig! Man könnte Zimbabwe ein halb dutzendmal in das Hauptgehege stecken.«
»Langsam, Mädchen. Um Himmels willen!«
»Und die Unterstadt außerhalb der Mauern. Es zieht sich meilenweit hin. Es ist enorm, Ben – aber warum ist es so halbmondförmig?« Sie richtete sich auf, und zum ersten Male – zum ersten wundervollen Male – warf sie spontan die Arme um meinen Hals und drückte mich an sich. »Oh, ich könnte sterben vor Aufregung. Wann fahren wir?«
Ich antwortete nicht, hörte kaum die Frage, stand nur da und genoß das Gefühl ihrer weichen, an mich gepreßten Brüste.
»Wann?« fragte sie wieder, indem sie sich zurücklehnte und mir ins Gesicht blickte.
»Was?« fragte ich. »Was sagten Sie?« Ich errötete, stotterte – und sie lachte.
»Wann fahren wir ab, Ben? Wann gehen wir auf die Suche nach Ihrer versunkenen Stadt?«
»Nun«, ich überlegte, wie ich es vorsichtig ausdrücken sollte, »Louren Sturvesant und ich gehen zuerst. Wir fahren am Dienstag ab. Louren hat nichts von einem Assistenten gesagt – ich glaube also nicht, daß Sie zur Erkundung mitkommen.«
Sally trat zurück und stemmte ihre Fäuste in die Hüften; sie sah mich böse an und fragte mit trügerischer Sanftheit: »Wollen wir wetten?«
Ich lasse es beim Wetten nicht gern darauf ankommen, also sagte ich Sally, sie solle packen. Sie ist ein Profi und reist mit wenig Gepäck. Ihre persönlichen Sachen füllen einen kleinen Handkoffer und eine Schultertasche. Ihre Skizzenblocks und Farben waren sperriger, aber wir legten unsere Bücher zusammen, um keines doppelt mitzunehmen. Meine Fotoausrüstung war ein weiterer großer Posten, und die Probensäcke und -kisten ergaben zusammen mit meiner eigenen Leinwand in der Ecke meines Büros einen gewaltigen Stapel. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden waren wir fertig, und während der nächsten sechs Tage töteten wir die Zeit mit quälenden Streitgesprächen über das Foto, das allmählich an Glanz verlor. Wenn die Spannung unerträglich wurde, verriegelte sich Sally in ihrem Büro und versuchte, an der Übersetzung der Felsgravuren von Drie Koppen zu arbeiten oder der gemalten Symbole vom Witte-Berg. Felsgemälde, Gravuren und die Übersetzung der alten Schriften sind ihre Spezialität.
Ich wanderte mürrisch durch die öffentlichen Räume, suchte nach Staub auf den Ausstellungsstücken, dachte mir irgendeine neue Anordnung der Kostbarkeiten aus, die unser Lager und die Vorratsräume oben füllten, zählte die Namen im Besucherbuch, spielte den Führer für Schulkindergruppen – ich tat alles außer arbeiten. Schließlich ging ich nach oben und klopfte an Sallys Tür. Manchmal hieß es: »Kommen Sie rein, Ben«. Ein andermal: »Ich habe zu tun. Was wollen Sie?« Dann schlenderte ich in die Abteilung afrikanische Sprachen, um eine Stunde bei meinem verdrießlichen Riesen, Timothy Mageba, zuzubringen.
Timothy hatte vor zwölf Jahren als Besenkehrer und Reiniger im Institut angefangen. Erst nach sechs Monaten entdeckte ich, daß er außer seinem eigenen südlichen Sotho noch sechzehn andere Dialekte sprach. Ich brachte ihm in achtzehn Monaten fließendes Englisch bei; zwei Jahre später konnte er es auch schreiben. Er immatrikulierte sich zwei Jahre danach, legte nach weiteren drei Jahren das erste Staatsexamen ab, das zweite nach wiederum zwei Jahren – und jetzt arbeitete er an seiner Dissertation über afrikanische Sprachen. Ich kenne außer ihm und mir keinen Menschen, der die Dialekte der nördlichen und der Kalahari-Buschmänner spricht. Für einen Linguisten ist er ein selten schweigsamer Mensch. Wenn er redet, dann mit einem »basso profundo«, der gut zu seiner stattlichen Figur paßt. Er ist zwei Meter groß; seine Muskeln gleichen denen eines professionellen Ringkämpfers. Dennoch bewegt er sich mit der Grazie eines Tänzers. Er fasziniert – und ängstigt mich zugleich ein wenig. Sein Kopf ist völlig kahl, der runde Schädel rasiert und geölt, so daß er wie eine mitternachtsschwarze Kanonenkugel glänzt. Die Nase breit und flach mit weiten Nüstern, die Lippen von tiefem purpurnem Schwarz, und dahinter starke weiße Zähne. Hinter seiner stoischen Maske lauert eine gefesselte tierische Wildheit, die zuweilen in den Augenwinkeln aufzuckt. Es ist etwas von satanischer Präsenz an ihm, trotz seines weißen Hemdes und dunklen Business-Anzugs, und obwohl ich zwölf Jahre lang viel Zeit in seiner Gegenwart verbrachte, habe ich nie die dunklen Tiefen unter diesen dunklen Augen und der noch dunkleren Haut ausgelotet.
Unter meiner lockeren Aufsicht leitet er im Institut die Abteilung afrikanische Sprachen. Fünf jüngere Afrikaner, vier Männer und ein Mädchen, arbeiten unter ihm; sie haben bisher Standardlexika der sieben afrikanischen Hauptsprachen ediert, die im südlichen Afrika gesprochen werden. Sie haben außerdem so viel schriftliches Material und Tonbandaufnahmen gesammelt, daß sie für die nächsten sieben Jahre beschäftigt sind.
Aus eigener Initiative hat er zwei Bände über afrikanische Geschichte veröffentlicht, die einen Sturm geradezu hysterischer Beschimpfungen von weißen Historikern, Archäologen und Kritikern hervorgerufen haben.
Als Kind war Timothy Lehrling seines Großvaters, des Medizinmannes und Geschichtshüters in seinem Stamm. Bei Timothys Initiation in die Geheimnisse versetzte der Großvater ihn in Hypnose und prägte ihm die gesamte Stammesgeschichte ein. Selbst heute, nach dreißig Jahren, kann Timothy sich in Trance versenken und die vollständige Erinnerung an diese Fülle von Legende, Folklore, ungeschriebener Geschichte und Zauberdoktrinen heraufbeschwören. Timothys Großvater wurde, ein Jahr bevor Timothy seine Ausbildung beendet hatte und in den Priesterstand trat, von einem bornierten weißen Richter wegen Teilnahme an einer Serie ritueller Morde zum Tode verurteilt und gehängt. Jedoch seine Hinterlassenschaft an Timothy ist ein ungeheurer Fundus an Material – vieles sicher unecht, ein Großteil nicht verwertbar, aber der Rest faszinierend, rätselhaft oder einfach beängstigend.
Vieles von Timothys unveröffentlichtem Material habe ich für mein Buch Ophir benutzt – besonders für jene unwissenschaftlichen und »populären« Abschnitte, welche die Legende der Alten behandeln, einer Rasse hellhäutiger, goldhaariger Krieger jenseits des Meeres, die Gold schürften, die einheimischen Stämme versklavten, mauerbefestigte Städte bauten und jahrhundertelang in Wohlstand und Sicherheit lebten, bevor sie fast spurlos verschwanden.
Ich weiß, daß Timothy die Informationen frisiert, die er mir gibt – einiges daran ist zu geheim, die Tabus zu mächtig, um es einem nicht in die Mysterien Eingeweihten zu enthüllen.
Ich bin mir sicher, daß vieles dieser zurückgehaltenen Informationen mit der Legende der Alten zu tun hat. Ich gebe jedoch meine Versuche, sie ihm zu entlocken, niemals auf.
Am Montagmorgen, als Louren aus der Schweiz zurückkehren sollte, war Sallys Nervosität kaum noch auszuhalten, so sehr fürchtete sie, Louren könnte ihre Teilnahme an der Vorexpedition ablehnen. Um ihrer Gesellschaft zu entrinnen und die letzten langen Wartestunden herumzubringen, ging ich hinunter zu Timothy. Er arbeitet in einem winzigen Zimmer – wir haben im Institut nicht viel Platz –, das mit säuberlich gestapelten Pamphleten, Büchern, Aktenordnern und Haufen loser Blätter fast bis zur Decke vollgestopft ist. Trotzdem bleibt für meinen Stuhl immer genug Raum. Der sieht mit seinen langen Beinen eher wie ein Barhocker aus; während nämlich meine Arme und Beine Normalmaße haben, oder mehr, ist mein Rumpf zusammengedrückt und höckerig, so daß ich von dem Sitz eines gewöhnlichen Stuhls aus nur mit Mühe über die Fläche eines Schreibtisches gucken kann.
»Machane! Gesegneter!« Timothy stand bei meinem Eintreten mit seiner üblichen Begrüßung auf. Nach der Bantu-Sage sind die Klumpfüßigen, die Albinos, die Schielenden und Buckligen von den Geistern gesegnet und mit heilenden Kräften ausgestattet. Ich schwang mich auf meinen Sitz und begann eine zwanglose Unterhaltung, die von einem Thema zum anderen sprang und von einer Sprache zur anderen. Timothy und ich sind stolz auf unsere Fähigkeiten – und geben damit wohl auch ein wenig an. Keiner könnte unserer Unterhaltung von Anfang bis Ende folgen.
»Es wird seltsam sein«, sagte ich schließlich, ich weiß nicht mehr in welcher Sprache, »ohne Sie zu reisen. Zum erstenmal in zehn Jahren, Timothy.«
Er wurde sofort mißtrauisch. Er wußte, daß ich wieder von der versunkenen Stadt anfangen würde. Ich hatte ihm vor fünf Tagen die Fotografie gezeigt und ihn seitdem ständig zu irgendeinem aufschlußreichen Kommentar gedrängt. Ich wechselte ins Englische.
»Wie auch immer, Sie werden wahrscheinlich nichts verpassen. Wieder einmal ein Schattensuchen. Davon haben wir weiß Gott schon viele hinter uns. Wenn ich nur wüßte, wonach ich ausschauen soll.«
Ich brach ab und gefror vor Erwartung. Timothys Augen hatten einen glasigen Ausdruck, bei dem eine opake bläuliche Trübung seine Augäpfel zu bedecken scheint. Sein Kopf sinkt auf die dicke, sehnige Säule des Halses hinunter, seine Lippen zucken.
Sooft ich es auch schon gesehen hatte, kann ich doch nie den geheimen Schauder abschütteln, wenn Timothy in Trance versinkt. Manchmal geschieht es unwillkürlich – ein Wort, ein Gedanke löst es aus, und der Reflex folgt beinahe blitzartig. Es kann aber auch ein bewußter Akt der Selbsthypnose sein, der Vorbereitung und rituelle Einstimmung erfordert.
Es kam spontan. Ich wartete begierig, falls es sich um Tabu-Material handelte, würde Timothy mit einer bewußten Willensanstrengung nach wenigen Sekunden nur den Zauber brechen.
»Unheil –«, er sprach mit der zittrigen, hohen Stimme eines alten Mannes, der Stimme seines Großvaters, Speicheltropfen netzten seine dicken purpurnen Lippen, »– ein Unheil, das von der Erde und aus dem Gedächtnis der Menschen getilgt werden muß, für immer.«
Sein Kopf zuckte, das Bewußtsein regte sich, seine Lippen arbeiteten unkontrolliert. Der kurze innere Kampf – und plötzlich klärten sich seine Augen. Er blickte mich an und erkannte mich.
»Tut mir leid«, murmelte er auf Englisch und wandte seine Augen ab, verlegen wegen der ungewollten Schaustellung und der Notwendigkeit, mich auszuschließen. »Möchten Sie einen Kaffee, Doktor? Der Kessel ist endlich repariert.«
Ich seufzte. Timothy hatte abgeschaltet.
»Nein, danke, Timothy.« Ich schaute auf meine Uhr und glitt vom Stuhl. »Muß noch ein paar Dinge erledigen.«
»Geh in Frieden, Machane, die Geister mögen deinen Schritt leiten.« Wir schüttelten uns die Hände.
»Bleibe in Frieden, Timothy, und wenn die Geister freundlich gesonnen sind, werde ich nach dir schicken.«
Von der Theke der Kaffee-Bar in der Haupthalle des Jan-Smuts-Flughafens konnte ich den Eingang zum internationalen Terminal gut überblicken.
»Verdammt«, fluchte ich.
»Was ist los?« fragte Sally besorgt.
»K.J.M. – ein ganzes Aufgebot.«
»K.J.M.?«
»Kluge Junge Männer. Leitende Angestellte von Sturvesant. Da, sehen Sie die vier neben dem Bankschalter?«
»Woher wissen Sie, daß es Sturvesant-Leute sind?« fragte sie.
»Haarschnitt, hinten und an den Seiten kurz. Uniformen: dunkle Kaschmir-Anzüge und einfarbige Schlipse. Gesichtsausdruck angespannt und von Magengeschwüren gezeichnet, aber aufblühend getrimmt, wie der große Mann selbst.« Und dann fügte ich in einem ungewohnten Anfall von Ehrlichkeit hinzu: »Außerdem kenne ich zwei von ihnen. Buchhalter. Freunde von mir – muß jedesmal Geld aus ihnen rauspressen, wenn ich eine Rolle Toilettenpapier fürs Institut haben will.«
»Ist er das?« fragte Sally und deutete mit dem Finger.
»Ja«, sagte ich. »Das ist er.«
Louren Sturvesant kam durch die Tür des internationalen Terminal, als erster Passagier der Zürich-Maschine durch Zoll- und Paßkontrolle, neben ihm, Schritt haltend, der Public-Relations-Beamte des Flughafens. Zwei andere K.J.M. einen Schritt dahinter zu beiden Seiten. Ein dritter kümmerte sich wahrscheinlich um sein Gepäck. Die vier wartenden Männer brachen in ein Lächeln aus, das die Halle zu erhellen schien, eilten, nach Rang gestaffelt, zu einem kurzen Händedruck vor und nahmen ihren Platz in Lourens Gefolge ein. Zwei von ihnen bahnten vorn einen Weg, die anderen schützten beide Flanken. Der Public-Relations-Beamte fiel verwirrt ans Ende des Feldes zurück, und Anglo-Sturvesant zog durch den überfüllten Raum wie eine heranrückende Panzerdivision. Aus ihrer Mitte ragte Lourens goldgelockter Kopf hervor. Wir fingen Anglo-Sturvesant an der gläsernen Eingangstür ab, und ich ließ Sallys Hand los, um den inneren Kreis zu sprengen. Beim ersten Versuch brach ich durch, Louren stolperte fast über mich.
»Ben.« Ich merkte sofort, wie müde er war. Blaß unter der goldenen Haut, rote Schmierflecken unter den Augen – aber ein warmes Lächeln vertrieb für einen Augenblick die Erschöpfung. »Entschuldige. Ich hätte dich warnen sollen. Es ist etwas Wichtiges dazwischengekommen. Ich bin auf dem Weg zu einer Konferenz.« Er sah den Ausdruck auf meinem Gesicht und er griff mich schnell bei der Schulter.
»Nein. Zieh keine falschen Schlüsse. Wir machen weiter. Komm morgen früh um fünf zum Flughafen. Ich treffe dich dort. Ich muß jetzt gehen. Tut mir leid.«
Wir schüttelten uns kurz die Hände.
»Bis zum bitteren Ende, Partner?« fragte er.
»Bis zum bitteren Ende«, pflichtete ich bei, über die Schuljungen-Albernheit grinsend, und dann rauschten sie vorbei und verschwanden durch die Glastür.
Wir hatten den Rückweg nach Johannesburg schon halb hinter uns, als Sally anfing: »Haben Sie ihn wegen mir gefragt? Ist das geregelt?«
»Es war keine Zeit, Sal. Sie haben ja gesehen. Er war in solcher Eile.«
Wir redeten beide nicht mehr, bis ich in das Gelände des Instituts einbog und den Mercedes neben ihrem kleinen roten Alfa parkte.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?« fragte ich.
»Es ist schon spät.«
»Sie würden heute nacht sowieso nicht schlafen. Wir könnten eine Partie Schach spielen.«
»All right.«
Ich öffnete die Vordertür, und wir näherten uns durch die öffentlichen Räumen mit ihren Glasvitrinen und Wachsfiguren der privaten Treppe zu meinem Büro und meiner Wohnung. Sal zündete das Feuer an und stellte die Schachfiguren auf, während ich Kaffee kochte. Als ich aus der Küche zurückkam, saß sie mit gekreuzten Beinen auf einem handgearbeiteten Lederpuff, über dem Schachbrett aus Elfenbein und Ebenholz brütend in einem gemusterten Poncho der gleichen leuchtenden Farben wie die Orientteppiche auf dem Fußboden; das sanfte Wandlicht glühte auf dem zarten sonnengetränkten Olivgrün ihrer Haut. Bei ihrem Anblick meinte ich, das Herz müßte mir zerspringen.
Sie blickte mit ihren großen sanften Augen auf. »Kommen Sie«, sagte sie. »Spielen wir.«
Wenn ich den Ansturm ihrer ersten blitzartigen Attacken überstehe, kann ich sie einfangen und durch Bauernspiel und überlegene Entwicklung ermüden. Sie nennt das den schleichenden Tod. Schließlich warf sie ihre Dame mit einem leichten Stöhnen der Verzweiflung um und begann, ruhelos durch das Zimmer zu wandern, die Arme unter dem bunten Poncho um ihre Schultern geschlungen. Ich schlürfte Kaffee und betrachtete sie mit unverhohlenem Vergnügen, bis sie plötzlich herumwirbelte und mich ansah – die langen Beine leicht gespreizt, die Fäuste in die Hüften gestützt.
»Ich hasse diesen Kerl«, sagte sie mit schmaler, gepreßter Stimme. »Ein großer, arroganter Gottmensch. Ich habe seinen Typ sofort erkannt. Warum, zum Teufel, muß der mitkommen? Wenn wir irgendeine bedeutende Entdeckung machen, können Sie sich ja vorstellen, wer den ganzen Ruhm einheimst.«
Ich wußte sofort, daß sie Louren meinte – und ich war erschreckt über die gallige Schärfe ihres Tons. Später sollte ich mich daran erinnern und den Grund erkennen. Aber jetzt war ich bestürzt und auch ärgerlich.
»Wovon in aller Welt reden Sie eigentlich?« verlangte ich.
»Das Gesicht, der Gang, die Herde der Verehrer, die herablassende Art, mit der er seine Gunst verteilt, die ungeheure, bezwingende Selbstgefälligkeit dieses Mannes –«
»Sally!«
»Seine nachlässige, gedankenlose Grausamkeit –«
»Hören Sie auf, Sally.« Ich war aufgesprungen.
»Haben Sie seine armen kleinen Männer gesehen – sie zitterten vor Angst!«
»Sally, ich lasse nicht zu, daß Sie so über ihn reden – nicht in meinem Beisein.«
»Haben Sie sich selbst gesehen? Einer der sanftesten, freundlichsten, anständigsten Männer, die ich kenne. Einer der klügsten Köpfe, mit denen ich je die Ehre hatte zusammenzuarbeiten. Haben Sie sich selbst gesehen, wie Sie umhergesaust sind und mit dem Schwanz gewedelt haben – Ihren Bauch zum Kitzeln dargeboten haben –« Sie war jetzt fast hysterisch. Sie weinte. Tränen der Wut liefen ihr übers Gesicht. Sie bebte. »Ich habe Sie gehaßt – und ihn! Ich habe Sie beide gehaßt. Er hat Sie gedemütigt, erniedrigt und, und –«
Ich konnte nicht antworten. Ich stand da, betroffen, und reglos. Ihre Stimme wechselte. Sie hob die Hand und preßte sie gegen den Mund. Wir starrten einander an.
»Ich muß verrückt sein«, flüsterte sie. »Warum habe ich das gesagt? Ben, oh Ben. Es tut mir furchtbar leid.«
Sie kam und kniete vor mir nieder, ihre Arme umschlangen mich und zogen mich zu ihr. Ich stand wie eine Statue. Mir war kalt aus Angst vor dem Kommenden. Denn obwohl ich lange darum gebetet hatte, war es so plötzlich gekommen ...
Sally hob den Kopf, mich immer noch umklammernd, und blickte mir ins Gesicht.
»Verzeih mir, bitte.«
Ich küßte sie. Ihre Lippen waren warm und salzig vor Tränen. Als sich ihre Lippen unter meinen öffneten, war meine Furcht verschwunden.
»Liebe mich, Ben – bitte.« Sie spürte instinktiv, daß sie mich führen mußte. Sie nahm mich zur Couch.
»Die Lampen«, flüsterte ich rauh, »schalte die Lampen aus.«
»Wenn du willst.«
»Bitte, Sally.«
»Gut«, sagte sie, »ich verstehe, mein Liebling.« Und sie schaltete die Lampen aus.
Zweimal schrie sie in der Dunkelheit auf. »Oh bitte, Ben – du bist so stark. Du bringst mich um. Deine Arme sind – deine Arme!«
Nicht lange danach stieß sie einen wirren Schrei aus, und mein eigener heiserer Schrei mischte sich mit ihrem. Dann war nichts mehr als das schartige Geräusch unseres Atems in der Dunkelheit.
Ich glaube, mein Geist habe sich vom Körper befreit und schwebte in Wärme und Dunkelheit. Zum ersten Male in meinem Leben war ich vollkommen ruhig, ausgeglichen und sicher. Als Sally schließlich sprach, kam ihre Stimme wie ein leichter Schock.
»Würdest du für mich singen?« Und sie schaltete die Lampe auf dem Tisch neben der Couch ein. Wir blinzelten einander in dem gedämpften Schimmer an.
»Ja«, sagte ich. »Ich möchte singen.« Ich ging in mein Ankleidezimmer und nahm die Gitarre aus dem Schrank; während ich die Tür schloß, erblickte ich mein Bild in dem langen Spiegel – ein Fremder stand vor mir. Grobes schwarzes Haar umrahmte ein eckiges Gesicht mit dunklen Augen und mädchenhaft langen Wimpern, ein breites, affenartiges Kinn und eine hohe blasse Stirn. Der Fremde lächelte mir zu, halb scheu – halb stolz.
Ich blickte auf den seltsam verkürzten Körper, der mir von Kindheit an Qualen bereitet hatte. Die Beine und Arme waren überentwickelt, dick und knotig vor Muskelschwellungen, die Glieder eines Riesen. Instinktiv blickte ich auf die Body-Builder-Gewichte in der Ecke des Zimmers – und dann zurück in den Spiegel. Ich war perfekt an den Seiten – aber in der Mitte war dieser gedrungene, bucklige, krötenartige Rumpf, bedeckt von einem zotteligen Pelz krauser schwarzer Haare. Ich betrachtete diesen merkwürdigen Körper und haßte – zum ersten Male in meinem Leben haßte ich ihn nicht.
Sally lag noch immer auf dem weichen Fell der Couch. Ich hockte mich mit gekreuzten Beinen neben sie, die Gitarre im Schoß.
»Sing etwas Trauriges – bitte, Ben«, flüsterte sie.
»Aber ich bin glücklich, Sal.«
»Sing ein trauriges Lied – eins von deinen eigenen«, beharrte sie, und als ich die ersten Noten spielte, schloß sie die Augen. Ich beugte mich vor, und während ich die klingenden Saiten berührte, streichelten meine Blicke ihren langen, ebenmäßigen Wuchs, die blassen Ebenen, Rundungen und geheimen Schatten. Wie ich diesen Körper liebte! Ich sang.
Eine Träne quoll nach einer Weile durch ihre geschlossenen Lider; meine Stimme hat eine Magie, die Tränen oder Lachen hervorrufen kann. Ich sang, bis meine Kehle rauh wurde und mein Daumen schmerzte. Dann legte ich die Gitarre beiseite und schaute Sally weiter an. Ohne die Augen zu öffnen, wandte sie mir leicht ihren Kopf zu.
»Erzähl mir von dir und Louren Sturvesant«, sagte sie. »Ich möchte das verstehen.«
Die Frage überraschte mich, ich schwieg einen Augenblick. Sie schaute auf.
»Es tut mir leid, Ben. Du brauchst nicht –«
»Nein«, antwortete ich schnell. »Ich möchte darüber sprechen. Weißt du, ich glaube, du schätzt ihn falsch ein. Ich glaube, man kann keine normalen Maßstäbe an sie legen, diese Sturvesants. An Louren und seinen Vater, als er noch lebte. Mein eigener Vater hat für sie gearbeitet. Er starb ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter, sozusagen an gebrochenem Herzen. Mr. Sturvesant hatte von meinen Lernerfolgen gehört, und mein Vater war ein sehr treuer Angestellter gewesen. Es gibt einige von uns, den Sturvesant-Waisen. Wir bekommen nur das Beste. Ich besuchte Michaelhouse, die gleiche Schule wie Louren. Ein Jude in einer kirchlichen Schule, und noch dazu ein Krüppel – du kannst dir vorstellen, was das hieß. Kleine Jungen sind absolut gnadenlose Wesen. Louren hat mich aus der Toilette geschleift, wo mich vier von ihnen ertränken wollten. Er hat sie furchtbar verprügelt, und danach war ich sein Schützling. Bis auf den heutigen Tag. Er finanziert dieses Institut, jeden Pfennig. Zunächst war es nur für mich gedacht, aber nach und nach engagierte er sich selbst immer mehr. Es ist sein Hobby und mein Leben – du wirst überrascht sein, wie viel er weiß. Er liebt dieses Land, genau wie wir, und er ist von seiner Geschichte und Zukunft mehr gefesselt, als wir es je sein werden.« Ich brach ab, denn sie starrte mich an.
»Du liebst ihn, Ben, nicht wahr?«
Ich errötete und schlug die Augen nieder.
»Er war für mich Vater, Beschützer, Wohltäter und Freund. Der einzige Freund, den ich je hatte.«
Sie berührte meine Wange.
»Ich werde versuchen, ihn zu mögen. Deinetwegen.«
Es war noch dunkel, als wir durch die Tore des Grand-Central-Flughafens fuhren. Sal kauerte in ihrem Mantel, schweigend und in sich gekehrt. Ich fühlte mich benommen und schwach nach dieser schlaflosen Nacht der Liebe und des Redens. Als wir uns der Startbahn näherten, sah ich Lourens Ferrari auf seinem reservierten Parkplatz, daneben schimmerten ein halbes Dutzend andere neue Limousinen.
»Oh Gott«, stöhnte ich, »er hat die ganze Mannschaft bei sich.«
Ich parkte neben dem Ferrari, und Sal und ich begannen, unsere Geräte aus dem Kofferraum zu holen. Sie hob ihre Staffelei auf, warf sie sich über die Schulter; dann duckte sie sich mit einer großen Mappe voll Pergamentpapier in der einen Hand und einer Farbenkiste in der anderen durch das Türchen in den Hangar. Ich hätte natürlich mit ihr gehen sollen, aber ich war so sehr in das Überprüfen meines Gepäcks vertieft, daß ich erst drei oder vier Minuten später folgen konnte. Da war es schon zu spät.
Als ich durch die niedrige Öffnung in den hellerleuchteten Hangar trat, sackte mir vor Schreck der Magen. Die glänzende, haifischartige Silhouette des Lear-Jets bildete den Hintergrund einer spannungsgeladenen Szene.
Louren Sturvesant verliert selten die Beherrschung. Sally Benator hatte in weniger als zwei Minuten geschafft, was vielen Profis vor ihr nie gelungen war. Louren bebte schmallippig in einem solch fürchterlichen Zorn, daß seine sieben K.J.M. in ihrer vorschriftsmäßig lässigen Tracht – gutgeschnittene Safari-Anzüge und fellgefütterte Automäntel – eingeschüchtert Abstand hielten.
Sally hatte ihre Last auf den Betonboden fallen lassen, stand da, die Fäuste in den Hüften, brennende Farbexplosionen auf den Wangen, und erwiderte die zornigen Blicke Lourens.
»Herr Dr. Kazin hat mir gesagt, ich kann mitkommen.«
»Selbst wenn, verdammt noch eins, der König von England Ihnen erzählt hätte, daß Sie mitkommen können: Ich sage, das Flugzeug ist voll – und ich habe auch nicht im Mindesten die Absicht, bei meinem ersten Urlaub seit sechs Monaten eine Frau mitzuschleppen.«
»Ich wußte nicht, daß es ein Vergnügungsflug ist –«
»Würde jemand bitte dieses Weibsbild hier rauswerfen!« rief Louren. Die K.J.M. erhoben sich und kamen vorsichtig näher. Sally hob die schwere Holzstaffelei hoch und hielt sie in beiden Händen. Der Vorstoß blieb stecken. Ich rannte in die Lücke und ergriff Lourens Arm.
»Bitte, Lo. Können wir reden?« Ich schleppte ihn beinahe ins Flugbüro.
»Das Ganze tut mir furchtbar leid, Lo. Ich hatte keine Gelegenheit zu erklären –«
Fünf Minuten später schritt Louren aus dem Büro, und ohne einen Blick auf Sal oder die erstarrte K.J.M.-Gruppe zu werfen, stieg er in die Düsenmaschine. Einen Augenblick später erschien sein Kopf neben dem Piloten im Fenster des Cockpit, wo er seine Kopfhörer anlegte.
Ich ging zu dem jüngsten K.J.M. und teilte ihm den Spruch des Gesetzes mit.
»Mr. Sturvesant läßt Ihnen ausrichten, Sie sollten für sich selbst einen Charterflug nach Gaberones buchen.« Dann wandte ich mich an die anderen. »Könnten Sie uns bitte mit dem Gepäck helfen?«
Während eine Schar der höchstbezahlten Stauer Afrikas das Gepäck von Sally trug, strahlte sie in unverschämtem Triumph. Ich flüsterte ihr eine scharfe Warnung zu.
»Rücksitz«, zischte ich. »Und versuch dich unsichtbar zu machen. Du wirst nie begreifen, wie gefährlich das war. Du hättest dir um ein Haar nicht nur den Trip vermasselt, sondern fast deinen Job eingebüßt.«
Wir waren vielleicht zehn Minuten in der Luft, als der Pilot durch den Gang nach hinten kam. Er blieb neben uns stehen und sah Sally bewundernd an.
»Alle Achtung, gnädige Frau.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte ein Monatsgehalt gegeben, um das nicht zu versäumen. Sie waren großartig.«
Sally, die sich seit meiner Warnung gehörig zurückgehalten hatte, lebte sofort auf.
»Bei Jungs dieser Größenordnung spucke ich nicht einmal die Knochen aus«, erklärte sie. Zwei der K.J.M. schauten erschreckt auf.
Der Pilot lachte und wandte sich mir zu. »Er will mit Ihnen sprechen, Doktor. Ich tausche den Platz mit Ihnen.«
Louren sprach über Funk mit der Flugkontrolle, aber er winkte mich auf den Sitz des Kopiloten. Ich zwängte mich hinter das Rad und wartete. Louren beendete seine Übertragung und drehte sich zu mir.
»Frühstück?«
»Danke, ich habe gegessen.«
Er ignorierte das und reichte mir einen Truthahnschenkel aus dem Eßkorb neben sich.
»Kaffee in der Thermosflasche. Gieß dir selbst ein.«
»Hast du die 25 Millionen Pfund Anleihe bekommen?« fragte ich mit vollem Mund.
»Ja – trotz einer Panik in letzter Minute.«
»Ich dachte nicht, daß du borgen mußt. Geht es dir schlecht?«
»Ölsuche.« Er lachte über meine Frage. »Risikogeld. Ich spiele lieber mit dem Geld anderer Leute und setze selbst auf die sicheren Gewinner.« Er wechselte geschickt das Thema. »Entschuldige den Umweg. Ich setze die Jungs in Gaberones ab. Sie haben eine Konferenzserie mit der Regierung von Botswana. Reiner Routinekram, um die Einzelheiten der Konzession zu regeln. Es liegt sowieso nicht weit ab von unserem Kurs. Dann können wir allein weiterfliegen.«
Er stopfte sich Truthahn in den Mund. »Der Wetterbericht ist lausig, Ben. Das kommt in der Wüste einmal in drei Jahren vor – und ausgerechnet heute. Trotzdem, wir machen uns dran, die Hügel und die Ruinen aufzuspüren. Auch kein Beinbruch, wenn wir’s nicht schaffen.« Er war entspannt und gelockert, keine Spur seines früheren Zorns; er konnte es ganz nach Belieben an- und abschalten, und so redeten und lachten wir miteinander. Ich kannte seine Stimmung: es waren Ferien, zudem eine Befreiung. Versunkene Stadt oder keine versunkene Stadt, es war ein Grund, in das wilde Land zu fahren, das er liebte.
»Es ist wie in den alten Zeiten. Gott, Ben, wie lange ist es her, seit wir zusammen fort waren? Muß fast zehn Jahre sein. Erinnerst du dich an die Kanufahrt den Oranje Fluß hinunter – wann war das? 1956 oder 57? Und die Suchexpedition nach den wilden Buschmännern?«
»Wir müssen es öfter machen, Lo.«
»Ja«, sagte er – als ob er die Wahl hätte. »Wir müssen, aber die Zeit verrinnt so schnell – ich werde nächstes Jahr vierzig.« Und seine Stimme klang nachdenklich. »Gott, wenn man Zeit nur mit Geld kaufen könnte!«
»Wir haben fünf Tage«, sagte ich, das Gespräch wieder aus der Sackgasse führend: er nahm es eifrig auf. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bevor er Sally erwähnte.
»Diese Assistentin von dir, die Preiskämpferin. Wie heißt sie?« Ich sagte es ihm.
»Treibst du’s mit ihr?« fragte er. Es klang so natürlich, so leicht hingeworfen, daß ich einen Augenblick lang nicht begriff, was er da gesagt hatte. Dann fühlte ich Zorn aufsteigen, fühlte das Blut an den Schläfen pochen und meine Kehle trocken werden. Ich hätte ihn erwürgen können, aber statt dessen log ich mit gepreßter zitternder Stimme.
»Nein«, sagte ich.
»Um so besser«, brummte er. »Die hat’s in sich. Na, solange sie uns den Trip nicht verdirbt.« Hätte ich es ihm erzählen sollen? Aber es war zu persönlich – zu kostbar und zerbrechlich, um es durch Worte zu zerstören. Dann war dieser schreckliche Augenblick vorüber, und er plauderte weiter über die fünf Tage vor uns.
Während des Fluges verdichteten sich die Wolken unter uns zu einer schmutzig-grauen Decke. Wir überquerten die Grenze zwischen Südafrika und dem unabhängigen afrikanischen Staat Botswana. In Gaberones reichte die Wolkendecke bis dreihundert Meter hinunter, als wir landeten. Louren versicherte, daß wir schnell weiterfliegen würden, doch eine Abordnung leitender Regierungsbeamter wartete auf uns – eine Einladung zum Dinner im privaten Restaurant des Flughafens. Heißes, klebriges Wetter, gespannte weiße Gesichter, die auf glänzende schwarze Gesichter einredeten. Drei Stunden vergingen, bevor der Lear-Jet mit uns vier an Bord wieder in die Wolkendecke eintauchte, dann hindurchstieß in den hellen Sonnenschein darüber.
»Pah!« sagte Louren. »Eine teure kleine Party. Dieser schwarze Bastard Ngelane hat eben den Preis seiner Ehre um weitere 20 000 erhöht. Ich muß natürlich zahlen. Er könnte den ganzen Vertrag abwürgen. Er geht durch sein Ministerium.«
Louren flog nordwärts, mit der Karte auf dem Schoß und einer Stoppuhr in der Hand. Seine Augen glitten vom Kompaß zum Geschwindigkeitsmesser und zurück auf die Uhr.
»Okay, Ben. Roger übernimmt jetzt besser die Kontrollsteuerung. Wir gehen runter in den Brei und gucken uns um.«
Louren und der Pilot, Roger van Deventer, saßen an den Steuergeräten. Sal und ich hielten uns dahinter am Türrahmen des Cockpits fest, als der Jet schräg auf den Boden der schmutzigen Wolken hinuntersank. Ein paar Fetzen von diesem Zeugs zuckten vorbei, dann war plötzlich die Sonne verschwunden, und wir waren von dunklem, grauem Nebel eingehüllt.
Roger flog, gespannt auf die Instrumententafel schauend. Als die Nadel des Höhenmessers langsam fiel, sah ich, wie seine Hände sich am Rad verkrampften. Wir sanken beständig tiefer durch den grauen Nebel. Roger zog die Klappen und die Luftbremse und nahm das Gas zurück. Wir drei starrten nach vorn und nach unten, um einen Blick auf die Erde zu erhaschen. Tiefer ging es, noch tiefer. Die Spannung des Piloten ging über in handfeste Furcht. Ich konnte sie riechen, ihren ranzigen, öligen Geschmack. Es war ansteckend. Wenn er, der abgebrühte Flugvogel, Angst hatte, dann durfte ich schreckensstarr sein. Ich wußte, daß er uns eher direkt in den Grund fliegen würde, als Lourens Zorn riskieren. Ich beschloß einzuschreiten und wollte gerade ansetzen, als Louren brummte: »Zu weit geflogen«, er prüfte die Stoppuhr, »entspann dich, Roger.«
»Tut mir leid, Mr. Sturvesant, dieses Zeug hat keinen Boden.«
Roger stieß es aus wie einen Seufzer und hob die Nase der Lear. Er gab Gas und löste die Luftbremse.
»Kein Glück!« murmelte ich erleichtert. »Vergiß es, Lo. Fliegen wir weiter nach Maun.«
Louren drehte sich nach mir um und schaute statt dessen in Sallys Gesicht. Sie stand hinter seiner Schulter. Ich konnte ihren Ausdruck nicht sehen, aber ich konnte ihn mir gut vorstellen nach dem Ton, in dem sie sanft fragte: »Angst?«
Louren starrte sie noch einen Moment an, dann grinste er. Ich hätte Sally übers Knie legen und ihren köstlichen Hintern windelweich schlagen können. Die warme, kindliche Furcht, die ich eine Minute zuvor gespürt hatte, wandelte sich jetzt in eiskalte Angst, denn ich hatte Louren schon früher so grinsen gesehen.
»Okay, Roger«, sagte er, wobei er Karte und Stoppuhr in die Tasche neben seinen Sitz steckte. »Ich habe sie.« Und die Lear hing an einem Flügel, als er sie in der steilsten Schräge herumzog. Es war so perfekt gemacht, daß Sally und ich lediglich ein wenig in den Knien einknickten, als die Schwerkraft uns erfaßte.
Er ging in die Gerade und flog drei Minuten in ebener Lage, zurück auf unseren Kurs. Ich warf einen kurzen Blick auf Sallys Gesicht. Es war helläugig und vor Erregung gerötet – sie starrte nach vorn in die undurchdringliche Düsternis.
Wieder legte Louren das Flugzeug in eine steile Kurve; er kam aus ihr in entgegengesetzter Richtung zu unserem vorigen Kurs heraus und senkte die Nase nach unten. Diesmal war es kein vorsichtiges Taster mit Klappen und Drosselung. Louren flog uns kühn und schnell hinein. Sallys Hand suchte nach meiner und drückte sie. Ich hatte Angst und ärgerte mich über die beiden; ich war zu alt für solche Kinderspiele, aber ich erwiderte ihren Druck. Zu ihrer und meiner Beruhigung.
»Du lieber Himmel, Lo«, stieß ich hervor. »Halt dich zurück, ja!« Aber niemand nahm die geringste Notiz von mir, Roger war auf seinem Sitz wie erstarrt, die Hände um die Armlehnen geklammert und nach vorn starrend. Louren wirkte verdächtig entspannt hinter den Steuergeräten, während er uns in Todesgefahr stürzte – und Sally grinste, hielt sich aber an meiner Hand fest wie ein Kind auf der Achterbahn.
Plötzlich gerieten wir in Regen. Perlenschnüren und Schlangen gleich zischte er nach hinten über die gerundete Perspex-Windschutzscheibe. Ich wollte erneut protestieren, aber die Stimme blieb mir irgendwo in der ausgedörrten Kehle stecken. Draußen war Wind aufgekommen. Er schüttelte den schlanken, glänzenden Rumpf der Lear, daß die Tragflächen schwankten. Mir war zum Heulen zumute. Ich wollte jetzt nicht sterben. Gestern hätte es mir nichts ausgemacht, aber nach der vergangenen Nacht ...
Ehe meine eigenen Reflexe es registrierten, hatte Louren den Boden gesehen und den Sturzflug der Maschine abgefangen. Mit einem leichten Beben, das Sally und mich weich gegeneinander warf, brachte er uns wieder in die Gerade.
Das war noch fürchterlicher als der blinde Fall durch den Raum. Die dunklen, nebelhaften Umrisse der niedrigen struppigen Baumwipfel zuckten greifbar nahe an unseren Flügelspitzen vorbei, während überraschend vor uns aus dem Regenschleier ein großer Affenbrotbaum ragte und Louren den Jet über seine gierig ausgreifenden Arme hob. Sekunden verstrichen, die endlos zu sein schienen; dann riß der schmutzige Vorhang aus Regen und Wolken plötzlich auf, und wir schossen in ein merkwürdiges Wetterloch. Vor uns, direkt auf unserem Kurs und von wässerigem Sonnenlicht übergossen, stand ein Wall aus roten Felsenklippen. Wir hatten nur eine winzig kurze, flüchtige Sicht auf den uns entgegenrasenden roten Fels, dann hatte Louren den Jet auf den Schwanz gestellt. Der Fels schien fast unseren Bauch zu kratzen, als wir über den Gipfel nach oben in die Luft schossen.
Niemand sprach, bis wir in das Sonnenlicht hoch oben tauchten. Sally löste ihre Hand sanft aus meiner, als Louren sich zu uns umdrehte. Ich bemerkte mit grimmiger Genugtuung, daß er und Sally leicht grünlich aussahen. Einen Augenblick starrten sie einander an. Dann schnaubte Louren vor Lachen.
»Gucken Sie sich Bens Gesicht an!« brüllte er, und Sally fand das sehr lustig. Als sie aufhörten zu lachen, fragte Sally eifrig: »Hat jemand die Ruinen gesehen? Ich konnte nur einen kurzen Blick auf die Hügel werfen. Aber hat jemand die Ruinen gesehen?«
»Ich habe nichts gesehen, mir ging der Hintern mit Grundeis«, murmelte Roger. Und ich wußte, wie er sich fühlte.
Die Wolkendecke lockerte auf, als wir Maun erreichten. Roger flog uns durch eine Lücke und landete glatt. Peter Larkin erwartete uns schon.
Männer wie Peter Larkin gibt es kaum noch. Er ist ein Anachronismus, mit dicken Patronen vorn auf seinem Buschjackett und die Hosen in Moskitostiefel gestopft, einem großen, fleischigen Gesicht und riesigen Händen, der rechte Zeigefinger genarbt vom Rückstoß schwerer Gewehre. Gefühle scheint er nicht zu kennen, die Intelligenz ist unterentwickelt. Angst ihm unbekannt. Sein ganzes Leben hat er in Afrika verbracht, aber sich nie die Mühe gemacht, eine einheimische Sprache zu erlernen. Er benutzt die südafrikanische Lingua franca, das Bastard-Fanagalo, und unterstreicht seine Absichten mit Stiefel oder Faust. Seine Kenntnis der Tiere, die er jagt, beschränkt sich darauf, wo sie zu finden und wie sie umzulegen sind. Trotzdem ist an seiner elefantenhaft-einfältigen Art irgend etwas Reizvolles.
Während seine Bande von Treibern unsere Ausrüstung in den Lastwagen verstaute, rief er Louren und mir freundliche Albernheiten zu.
»Wollte, ich käme mit euch. Aber hab morgen diesen Haufen von Yankees – mit einem großen Sack voll grüner Dollars. Sie haben mir nicht viel Zeit gelassen, Mr. Sturvesant. Aber ich geb’ Ihnen meine besten Jungs. Guter Regen im Süden, wird ’ne Menge Wild in der Gegend sein. Sollten Gemsantilopen um diese Jahreszeit finden. Und Jumbos natürlich. Wäre gar nicht überrascht, wenn Sie ein, zwei Simbas kriegten –«
Das verächtliche Anwenden von Kosenamen auf Freiwild bringt mich in Rage, besonders wenn man es mit einem Schnellfeuergewehr erschießen will. Ich ging zu Sally, die das Verladen unserer Ausrüstung überwachte.
»Es ist schon nach ein Uhr«, maulte sie. »Wann legen wir los?«
»Wir werden wahrscheinlich Abend bis zum oberen Ende der Makarikari-Mulde vorstoßen. Das sind etwa 200 Meilen auf anständiger Straße. Morgen gehts dann richtig in den Busch.«
»Kommt Ernest Hemingway mit uns?« fragte sie, wobei sie Peter Larkin abfällig musterte.
»Leider nicht«, versicherte ich ihr. Ich versuchte mir ein Bild zu machen von den Leuten, die uns begleiteten. Zwei Fahrer, deren gehobener Status sich in weißen Hemden, langen grauen Hosen und richtigen Schuhen dokumentierte; sie trugen sogar schottengemusterte Schals um den Hals geknotet. Je einer für die Drei-Tonnen-Laster. Dann der Koch, der vom vielen Abschmecken eine Menge Gewicht mit sich rumschleppte, die Haut glänzend vor guter Kost. Zwei knorrige, grauhaarige Gewehrträger, die eifersüchtig Lourens Jagdgewehre aus dem übrigen Gepäck gezogen, sie aus den Reisehüllen gepackt hatten und sie jetzt liebevoll hätschelten und streichelten. Das war die Elite. Sie beteiligte sich nicht am aufgeregten Treiben der Camp-Boys, die unsere Ausrüstung verstauten, Bamangwatos die meisten, deren Geschnatter ich kurz zuhörte. Die Gewehrträger waren Matabele, wie erwartet, die Fahrer Shangaans. Gut – ich würde auf dieser Expedition jedes Wort verstehen können.
»Nebenbei, Sal«, sagte ich ihr leise, »sag nicht, daß ich die Sprache verstehe.«
»Warum?« Sie war beunruhigt.
»Ich möchte die Vorgänge verfolgen. Wenn sie aber wissen, daß ich verstehe, halten sie den Mund.«
»Svengali!« Sie schnitt mir eine Fratze. Ich hätte wohl kaum gelacht, wenn mich jemand anders so genannt hätte. Es ging mir doch etwas an die Nieren. Wir verabschiedeten uns von Roger.
»Erschrecken Sie mir die Löwen nicht«, sagte Roger zu Sally.
Sie hatte offensichtlich wieder eine Eroberung gemacht. Er kletterte in den Jet, während wir in einer Gruppe herumstanden und beobachteten, wie er zum Ende der Startbahn rollte, dann abhob und fort nach Süden flog.
»Worauf warten wir noch?« fragte Louren.
»Ja, worauf?« stimmte ich zu.
Louren setzte sich ans Steuer des Landrovers, und ich kletterte neben ihn. Sally hockte sich auf den Rücksitz, die Gewehrträger auf die Sitzbänke.
»Bei euch beiden – fühle ich mich auf dem Erdboden verdammt viel sicherer«, sagte ich.
Die Straße verlief durch offenes Buschgebiet und eine Affenbrotbaumgegend. Trocken und sonnenverbrannt. Der Landrover wirbelte einen Wall wehenden Staubes auf. Die beiden Lastwagen folgten in so großem Abstand, daß er sich erst setzen konnte. Gelegentlich mußten wir eine Steigung, oder felsübersäte, ausgetrocknete Flußbetten überwinden, und hin und wieder kamen wir durch Dörfer mit strohgedeckten Lehmhütten, wo kleine, dickbäuchige Negerkinder die Straßenränder säumten.