Atlas – Die Stunde der Entscheidung - Wilbur Smith - E-Book

Atlas – Die Stunde der Entscheidung E-Book

Wilbur Smith

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Beschreibung

Ein internationaler Action-Thriller, der einem den Atem raubt … 10.000 Meter über der Erde wird ein Passagierflugzeug mit prominenten Ärzten und Wissenschaftlern an Bord von einer Terroristengruppe entführt. Ihre einzige Hoffnung: Peter Stride, Leiter des Anti-Terror-Sonderkommandos »Thor«. Während sein Team aus Sondereinsatzkräften fieberhaft daran arbeitet, die Situation zu entschärfen, erhält Stride Hinweise darauf, dass der Terrorakt nur ein kleines Puzzleteil in einem viel größeren Plan sein könnte. Wer ist die schattenhafte Gestalt, die unter dem Namen »Kalif« bekannt ist, und deren Existenz selbst in den allerhöchsten Regierungskreisen nur ein Mythos ist? Für Stride beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem das Schicksal der gesamten freien Welt auf dem Spiel steht … »Bei Wilbur Smith wartet die Action auf jeder Seite!« The Independent Der packende Verschwörungs-Thriller »Atlas – Die Stunde der Entscheidung« von Bestseller-Autor Wilbur Smith wird alle Fans von Tom Clancy, Andrew Watts und Clive Cussler begeistern!

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Seitenzahl: 797

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

10.000 Meter über der Erde wird ein Passagierflugzeug mit prominenten Ärzten und Wissenschaftlern an Bord von einer Terroristengruppe entführt. Ihre einzige Hoffnung: Peter Stride, Leiter des Anti-Terror-Sonderkommandos »Thor«. Während sein Team aus Sondereinsatzkräften fieberhaft daran arbeitet, die Situation zu entschärfen, erhält Stride Hinweise darauf, dass der Terrorakt nur ein kleines Puzzleteil in einem viel größeren Plan sein könnte. Wer ist die schattenhafte Gestalt, die unter dem Namen »Kalif« bekannt ist, und deren Existenz selbst in den allerhöchsten Regierungskreisen nur ein Mythos ist? Für Stride beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem das Schicksal der gesamten freien Welt auf dem Spiel steht …

Über den Autor:

Wilbur Smith (1933–2021) wurde in Zentralafrika geboren und gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart. Der Debütroman seiner Jahrhunderte umspannenden Südafrika-Saga um die Familie Courtney, begründete seinen Welterfolg als Schriftsteller. Seitdem hat er über 50 Romane geschrieben, die allesamt Bestseller wurden, und in denen er seine Erfahrungen aus verschiedenen Expeditionen in die ganze Welt verarbeitete. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt. Wilbur Smith starb 2021 in Kapstadt im Kreise seiner Familie.

Die Website des Autors: www.wilbursmithbooks.com/

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/WilburSmith/

Der Autor auf Instagram: www.instagram.com/thewilbursmith/

Die große Courtney-Saga des Autors um die gleichnamige südafrikanische Familie erscheint bei dotbooks im eBook. Der Reihenauftakt »Das Brüllen des Löwen« ist auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich.

Die große Ägypten-Saga über den Eunuchen Taita ist bei dotbooks als eBook erhältlich. Der Reihenauftakt »Die Tage des Pharao« ist auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich.

Außerdem bei dotbooks erschienen der Abenteuerroman »Der Sonnenvogel« sowie die Action-Thriller »Greed – Der Ruf des Goldes«, »Blood Diamond – Tödliche Jagd«, »Black Sun – Die Kongo-Operation«, »Das Elfenbein-Kartell« und »Atlas – Die Stunde der Entscheidung«. Weitere Bände in Vorbereitung.

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eBook-Neuausgabe Juni 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1979 unter dem Originaltitel »Wild Justice« bei William Heinemann Ltd., London.

First published in 1979 by William Heinemann Ltd

Copyright © Wilbur Smith 1979

Copyright © der deutschen Erstausgabe by Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft m.b.H., Wien/Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Joyce

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ma)

ISBN 978-3-98952-751-5

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wilbur Smith

Atlas – Die Stunde der Entscheidung

Thriller

Aus dem Englischen von Stefanie Schaffer

dotbooks.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Lesetipps

Kapitel 1

Auf dem Flughafen Victoria auf Mahé, in der Inselrepublik der Seychellen, warteten nur fünfzehn Anschlußpassagiere auf ihre Abfertigung für den Flug der British Airways.

Zwei Mädchen und zwei Männer bildeten eine geschlossene Gruppe in der Reihe der Wartenden. Alle vier waren jung, braungebrannt und offensichtlich noch in unbeschwerter und gelöster Stimmung von ihrem Urlaub in diesem Inselparadies. Eines der beiden Mädchen aber war so bildhübsch und attraktiv, daß es die restlichen in den Schatten stellte.

Sie war hochgewachsen und langbeinig, ihr Kopf saß auf einem stolzen, edel geformten Hals. Ihr dichtes goldblondes Haar war zu einem Zopf geflochten und auf dem Scheitel zu einem Knoten gewunden. Die Sonne hatte ihre Haut mit einem goldbraunen Schimmer übergossen, der ihre gesunde Jugendfrische noch stärker zur Geltung brachte.

Ihre nackten Füße steckten in offenen Sandalen, und wenn sie sich mit der geschmeidigen Grazie einer Raubkatze bewegte, wippten ihre vollen, spitzen Brüste unter dem dünnen Baumwoll-T-Shirt, und der verblichene Denim ihrer abgeschnittenen Jeans spannte sich über die festen, runden Hinterbacken.

Auf ihrem T-Shirt prangte die anzügliche Zeichnung einer Coco-de-mer, und quer darüber die Aufschrift „I AM A LOVE NUT“. Strahlend lächelte sie dem dunkelhäutigen Grenzbeamten zu, als sie ihm ihren grünen US-Paß mit dem goldenen Adler zuschob, doch als sie sich an ihren männlichen Begleiter wandte, sprach sie in raschem, fließendem Deutsch. Nachdem sie den Paß wieder an sich genommen hatte, ging sie den anderen voran zur Sicherheitskontrolle.

Auch den beiden eingeborenen Polizisten, denen die Sicherheitskontrolle oblag, schenkte sie ihr Lächeln, während sie die geflochtene Tragtasche von der Schulter schwang.

»Wollen Sie das da auch überprüfen?«, fragte sie, und alle drei lachten. In dem Schulternetz befanden sich zwei riesige Cocos-de-mer. Die grotesken Früchte, jede doppelt so groß wie ein Menschenkopf, waren die beliebtesten Souveniers von der Insel. Auch die drei anderen hatten solche Trophäen in ihren Schulternetzen. Der Polizist, für den das ein alltäglicher Anblick war, kümmerte sich nicht weiter darum, sondern ließ seinen Metalldetektor mit routinierter Gleichgültigkeit über die Flugtaschen aus Segeltuch gleiten, die alle vier jungen Leute als Handgepäck bei sich trugen. Als das Gerät bei einer der Taschen einen schrillen Summton von sich gab, zog der Burche, dem die Tasche gehörte, verlegen eine kleine Nikkormat-Kamera daraus hervor. Wieder lachten alle, und dann winkte der Polizist die ganze Gruppe durch die Kontrolle durch, hinein in die Abflughalle.

Sie war bereits vollgestopft mit Transit-Passagieren, die auf Mauritius an Bord gegangen waren. Durch die Fenster der Halle sah man den riesigen Boeing-747-Jumbo auf dem Vorfeld stehen, grell von Flutlichtern angestrahlt und von Männern umschwirrt, die dabei waren, die Maschine aufzutanken.

In der ganzen Halle war kein einziger Sitzplatz frei, und die vier jungen Leute stellten sich unter einen der großen rotierenden Deckenventilatoren, denn die Nacht war drückend schwül und feucht – und die Menschenmasse in dem abgeschlossenen Raum verpestete die Luft noch zusätzlich mit Tabaksqualm und Schweißgeruch.

Das blonde Mädchen, das seine beiden männlichen Begleiter um einige Zentimeter und das andere Mädchen um einen ganzen Kopf überragte, gab in dem fröhlichen Geplauder und Gelächter den Ton an, und bald stand die Gruppe im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Seit die vier die Abflughalle betreten hatten, hatte sich ihr Verhalten ein wenig verändert; sie wirkten erleichtert, als hätten sie ein schwieriges Hindernis überwunden, und eine fast fiebrige Erregung schwang in ihrem Gelächter. Sie verhielten sich keine Sekunde lang still, traten ruhelos von einem Bein aufs andere und strichen mit den Händen über ihre Haare und über ihre Kleidung.

Obwohl sie eine eindeutig geschlossene, durch einen beinahe verschwörerischen Hauch von Kameraderie von den anderen Passagieren isolierte Gruppe bildeten, erhob sich einer der Transitpassagiere von dem Platz neben seiner Frau am anderen Ende der Halle und steuerte auf sie zu.

»Sagen Sie – sprechen Sie Englisch?« fragte er, als er sich der Gruppe näherte.

Er war ein beleibter Mann, Mitte der Fünfzig, mit einem dichten Schopf stahlgrauen Haares, dunkler Hornbrille und mit dem ungezwungenen und selbstsicheren Benehmen der Erfolgreichen und Wohlhabenden.

Widerstrebend gewährte ihm die Gruppe Zutritt, und das große blonde Mädchen antwortete ihm, als käme ihr ganz selbstverständlich die Rolle der Wortführerin zu.

»Natürlich, ich bin auch Amerikanerin.«

»Ehrlich?« fragte der Mann kichernd. »Na ja, man kann nie wissen.« Und er musterte sie mit unverhohlener Bewunderung. »Ich wollte nur wissen, was das hier für Dinger sind.« Er deutete auf das Netz mit den Nüssen, das zu ihren Füßen lag.

»Cocos-de-mer«, antwortete die Blonde.

»Ach ja, ich hab’ davon gehört.«

»Man nennt sie auch ,Liebesnüsse‘«, fuhr das Mädchen fort und beugte sich hinunter, um das schwere Netz zu ihren Füßen zu öffnen. »Wollen Sie sehen, warum?« Sie hielt ihm eine Nuß hin. Die beiden Hälften der Nuß waren das exakte Ebenbild eines menschlichen Gesäßes.

»Kehrseite.« – Sie lächelte und zeigte ihre Zähne, die so weiß waren wie feines, durchscheinendes Porzellan.

»Vorderseite.« Sie drehte die Nuß um und ließ ihn den perfekten Venushügel mit einem Spalt und einem Tuff krauser Locken begutachten, und nun war es offensichtlich, daß sie mit ihm kokettierte und ihn hänselte. Sie änderte die Haltung, schob die Hüften ein wenig nach vor, und der Mann warf unwillkürlich einen Blick hinunter auf das langgezogene Dreieck ihres Schamhügels, der sich unter dem engen blauen Denim wölbte und durch die Stoffnaht, die sich ein wenig hochgeschoben hatte und in die Scheide preßte, in zwei Teile geschnitten wurde.

Er wurde ein wenig rot, seine Lippen öffneten sich, und er schnappte unwillkürlich nach Luft.

»Der männliche Baum hat ein Staubgefäß – so dick und so lang wie Ihr Arm.« Sie sah ihn aus weit geöffneten Augen an, die groß und dunkel wurden wie blaue Stiefmütterchen, und seine Frau erhob sich von ihrem Platz auf der anderen Seite der Halle und kam, von irgendeinem weiblichen Instinkt gewarnt, auf die Gruppe zu. Sie war viel jünger als ihr Mann, hochschwanger, und ihr schwerer Leib machte sie plump und unbeholfen.

»Die Bewohner der Seychellen sagen, daß der männliche Baum bei Vollmond seine Wurzeln aus der Erde zieht und herumgeht, um sich mit den weiblichen Bäumen zu paaren ...«

»So lang und so dick wie Ihr Arm ...«, wiederholte lächelnd das hübsche, kleine, dunkelhaarige Mädchen neben ihr. »... Wumm!« Auch sie neckte ihn nun, und beide Mädchen ließen ostentativ ihre Blicke über die Vorderfront seines Körpers gleiten. Er wand sich geniert, und die beiden jungen Männer links und rechts von ihm grinsten über sein Unbehagen.

Seine Frau war nun neben ihm und zupfte ihn am Arm. Auf ihrem Hals zeigten sich hektische rote Zornflecken, und auf der Oberlippe glitzerten kleine Schweißperlen wie durchsichtige Bläschen. »Harry, mir ist nicht gut«, jammerte sie leise.

»Ich muß jetzt gehen«, murmelte er. Seine Gelassenheit und sein Selbstvertrauen waren erschüttert, und erleichtert nahm er seine Frau beim Arm und zog sie weg.

»Hast du ihn erkannt?« fragte das dunkelhaarige Mädchen fast flüsternd auf deutsch und immer noch lächelnd.

»Harold McKevitt«, antwortete die Blonde leise in derselben Sprache. »Neurochirurg aus Fort Worth. Er hat Samstag vormittag den Schlußvortrag gehalten«, erklärte sie. »Großer Fisch – sehr großer Fisch.« Und wie eine Katze fuhr sie sich mit ihrer rosa Zungenspitze über die Lippen.

Dreihundertsechzig von den vierhundertundein Passagieren, die sich an jenem Montag abend in der Abflughalle befanden, waren Chirurgen oder deren Frauen. Die Chirurgen, darunter einige der Prominentesten aus aller Welt, waren vom europäischen Kontinent, aus England, aus den Vereinigten Staaten, aus Japan, Südamerika und Asien zu der Tagung gekommen, die vor vierundzwanzig Stunden auf der Insel Mauritius, rund achthundert Kilometer südlich von Mahé, zu Ende gegangen war. Der Flug der British Airways war einer der ersten, die seither die Insel verließen, und war seit Festsetzung des Tagungstermines ausgebucht gewesen.

»British Airways gibt den Abflug ihres Fluges BA 070 nach Nairobi und London bekannt. Transitpassagiere werden gebeten, sich zum Hauptausgang zu begeben.« Die Durchsage aus den Lautsprechern ertönte mit dem weichen singenden Akzent der Kreolen und die Menschenmassen strömten dem Ausgang zu.

»Victoria Control, hier Speedbird Null Sieben Null. Erbitten Freigabe zum Anlassen der Triebwerke.«

»Null Sieben Null, Sie sind freigegeben zum Anlassen der Triebwerke. Rollen Sie bis zum Haltepunkt für Piste 01.«

»Bitte schreiben Sie die Berichtigung unseres Flugplanes für Nairobi mit: Wir haben 401 Passagiere an Bord – full house.«

»Verstanden, Speedbird, Ihr Flugplan ist berichtigt.«

Die Schnauze des riesigen Flugzeugs, das sich immer noch im Steigflug befand, war steil nach oben gerichtet, und die Aufforderung »Bitte anschnallen und das Rauchen einstellen« leuchtete hell an den Wänden der Kabine erster Klasse. Das blonde Mädchen und sein Begleiter saßen Seite an Seite in den geräumigen Sitzen 1a und 1b direkt hinter dem Rumpfspant, das die Kabine von der Flugkanzel und der Bordküche erster Klasse trennte. Die Plätze für das junge Paar waren Monate im voraus gebucht worden.

Die Blonde nickte ihrem Begleiter zu, und er beugte sich vor, um sie vor den Blicken der jenseits des Ganges sitzenden Passagiere abzuschirmen, während sie eine der großen Nüsse aus dem Netz nahm und sich auf den Schoß legte.

Die Nuß war entlang ihrer natürlichen Trennlinie sorgfältig in zwei Hälften gesägt und nach dem Entfernen der Milch und des weißen Fleiches ebenso vorsichtig wieder zusammengeklebt worden. Die Klebestelle war nur zu erkennen, wenn man ganz genau hinsah.

Das Mädchen zwängte einen kleinen Gegenstand aus Metall in die Fuge, drehte ihn mit einem kurzen, heftigen Ruck, und mit leisem Knacken fielen die beiden Hälften auseinander wie ein Osterei aus Schokolade. In den mit Schaumgummi ausgepolsterten Mulden der beiden Schalenhälften lagen zwei glatte, graue, eiförmige Gegenstände – jeder so groß wie ein Baseball. Es waren Handgranaten ostdeutschen Fabrikats mit der Signatur MK IV (C) vom Oberkommando des Warschauer Paktes. Die Mäntel der beiden Granaten waren aus Panzerplastik, dem Material, das auch für Landminen verwendet wird, um eine Entdeckung durch elektronische Minensuchgeräte zu verhindern. An dem gelben Streifen um die Granaten konnte man erkennen, daß es sich nicht um gewöhnliche Splittergranaten, sondern um Spezialgranaten mit besonders hoher Sprengwirkung handelte. Das blonde Mädchen öffnete den Sicherheitsgurt, nahm eine Granate in die Hand und erhob sich ruhig von seinem Platz. Die anderen Passagiere blickten nur mit flüchtigem Interesse auf, als sie den Vorhang zur Seite schob und in die Bordküche hineinschlüpfte. Doch der Steward und die beiden Stewardessen, die immer noch angegurtet auf ihren Klappsitzen saßen, hoben ruckartig die Köpfe, als sie den Serviceraum betrat.

»Tut mir leid, Madam, aber ich muß Sie bitten, zu Ihrem Platz zurückzukehren, bis der Kapitän die Leuchtanzeigen ausschaltet.« Das blonde Mädchen hob die linke Hand und zeigte dem Steward das glänzende graue Ei.

»Das ist eine Spezialgranate, mit der man die ganze Besatzung eines Panzers töten kann«, sagte sie ruhig. »Sie könnte den Rumpf dieses Flugzeugs wie einen Papiersack zerreißen, und die Druckwelle würde jedes Lebewesen im Umkreis von fünfundvierzig Metern töten.«

Sie beobachtete die Gesichter ihrer Gegenüber und sah die Furcht wie eine böse Blume darin aufblühen.

»Die Zündung ist so eingestellt, daß die Granate drei Sekunden, nachdem ich sie aus der Hand lasse, explodiert.« Sie machte eine kurze Pause und ihre Augen glitzerten vor Aufregung, ihr Atem ging rasch und flach.

»Sie bringen mich zum Flugdeck«, sagte sie, indem sie auf den Steward wies. »Und Sie beide bleiben, wo Sie sind. Tun Sie nichts, und sagen Sie nichts.«

Als sie den Kopf einzog, um das winzige Cockpit zu betreten, in dem die Instrumentenpanele und Elektronikkonsolen so viel Platz einnahmen, daß kaum noch genügend Raum für die Besatzung blieb, wandten alle drei Männer überrascht die Köpfe. Und sie hob die Hand und zeigte ihnen, was sie bei sich trug.

Sie verstanden sofort.

»Ich übernehme das Kommando an Bord dieser Maschine«, sagte sie und fügte dann, an den Bordingenieur gewandt, hinzu: »Schalten Sie die Funksprechgeräte ab.«

Der Bordingenieur warf dem Kapitän einen raschen Blick zu, und als dieser kurz nickte, begann er folgsam, seine Funkgeräte abzuschalten. Zuerst die VHF-Geräte, dann die Hochfrequenzgeräte und schließlich die Ultrahochfrequenzgeräte.

»Und das Satellitenrelais«, befahl das Mädchen. Er hob den Kopf, erstaunt darüber, daß sie so gut Bescheid wußte.

»Und rühren Sie die Nottaste nicht an!« Nun blinzelte er vor Überraschung. Niemand, aber auch wirklich niemand außerhalb der Fluggesellschaft konnte normalerweise von diesem Spezialrelais wissen, das nach einem Druck auf den Knopf neben seinem rechten Knie sofort ein Notsignal an den Kontrollturm von Heathrow weiterleiten und diesem die Überwachung aller im Cockpit geführten Gespräche ermöglichen würde. Er zog die Hand zurück.

»Drehen Sie die Sicherung für die Nottaste heraus.« Sie deutete auf den richtigen Kasten über seinem Kopf, und wieder warf er dem Kapitän einen kurzen Blick zu, doch der Klang ihrer Stimme war scharf wie der Stachel eines Skorpions.

Sorgfältig schraubte er die Sicherung heraus, und sie entspannte sich ein wenig.

»Wiederholen Sie Ihre Abflugfreigabe! – Wörtlich!«, befahl sie. »Wir sind freigegeben zum radarüberwachten Abflug mit Kurs auf Nairobi und können ohne Beschränkung auf eine Reiseflughöhe von 39.000 Fuß steigen.«

»Wann ist Ihre nächste Pflichtmeldung fällig?«

Die Pflichtmeldung war eine Routinedurchsage an den Kontrollturm von Nairobi, daß der Flug planmäßig verlief.

»In elf Minuten und fünfunddreißig Sekunden.« Der Bordingenieur, ein dunkelhaariger, recht gut aussehender junger Mann mit hoher Stirn und blasser Haut, war es gewohnt, rasch und effizient zu reagieren.

Das Mädchen wandte sich an den Kapitän der Boeing, und sie maßen einander mit starrem, abschätzendem Blick. Das kurzgestutzte Haar auf dem großen runden Schädel des Kapitäns war mehr grau als schwarz, er hatte einen kräftigen Stiernacken und das fleischigrote Gesicht eines Bauern oder eines Metzgers. Sein Blick war ruhig und fest, sein Verhalten gelassen und unerschütterlich. Die junge Frau erkannte sofort, daß man vor diesem Mann auf der Hut sein mußte.

»Ich hoffe, es ist Ihnen klar, daß ich mich voll und ganz für diese Operation einsetze«, sagte sie, »und daß ich mit Freuden bereit wäre, meiner Sache auch mein Leben zu opfern.« Ihre dunklen Augen hielten seinem Blick ohne Furcht stand, und sie erkannte darin das erste Aufkeimen von Respekt. Das war gut – es gehörte zu ihrem sorgfältig durchdachten Plan.

»Davon bin ich überzeugt«, sagte der Pilot und nickte kurz.

»Sie sind für die vierhundertsiebzehn Menschen an Bord dieser Maschine verantwortlich«, fuhr sie fort. Darauf brauchte er nicht zu antworten. »Es wird ihnen nichts geschehen, solange Sie meine Befehle exakt ausführen. Das verspreche ich Ihnen.«

»Gut.«

»Hier ist unser neues Ziel.« Sie reichte ihm ein kleines, weißes, maschinenbeschriebenes Kärtchen. »Berechnen Sie den neuen Kurs unter Berücksichtigung der Windvorhersagen und teilen Sie mir dann die Ankunftszeit mit. Und nehmen Sie sofort nach der nächsten Pflichtmeldung Kurs auf das neue Ziel, also in ...« Sie warf dem Flugingenieur nochmals einen kurzen Blick zu, um die genaue Zeit zu erfahren.

»Neun Minuten, achtundfünfzig Sekunden«, antwortete er prompt.

»... Und wenden Sie sehr sachte und behutsam. Wir wollen doch nicht, daß die Passagiere ihren Champagner verschütten, nicht wahr?«

In den wenigen Minuten, die seit ihrem Erscheinen im Cockpit vergangen waren, hatte sie bereits eine merkwürdig bizarre Beziehung zwischen sich und dem Kapitän hergestellt: eine Mischung aus widerwilligem Respekt, offener Feindseligkeit und unterschwellig knisternder Erotik. Sie hatte sich mit Absicht so gekleidet, daß ihre Formen nicht zu übersehen waren, und ihre in der Aufregung hart und dunkel gewordenen Brustwarzen stachen deutlich unter dem dünnen Baumwolleibchen mit seiner anzüglichen Aufschrift hervor, und der durch ihre Erregung noch verstärkte intensiv weibliche Geruch ihres Körpers erfüllte den kleinen geschlossenen Raum.

Mehrere Minuten lang sprach keiner von ihnen, dann brach der Bordingenieur das Schweigen.

»Noch dreißig Sekunden bis zur Pflichtmeldung.«

»Schön, schalten sie die Hochfrequenzanlage ein und machen Sie Ihre Meldung.«

»Nairobi Anflugkontrolle, hier Speedbird Null Sieben Null.«

»Speedbird Null Sieben Null bitte kommen.«

»Betrieb normal«, sprach der Ingenieur ins Mikrophon seines Kopfhörers.

»Verstanden, Null Sieben Null. Melden Sie sich wieder in vierzig Minuten.«

»Verstanden. Ende.«

Das blonde Mädchen atmete erleichtert auf. »Gut, schalten Sie das Gerät wieder aus.« Und dann, an den Kapitän gewandt: »Stellen Sie den Autopiloten ab und wenden Sie von Hand. Zeigen Sie uns, wie behutsam Sie sein können.«

Die Schleife war ein Musterbeispiel fliegerischen Könnens, zwei Minuten für eine Richtungsänderung von 76°, und die Nadeln des Wendezeigers schwankten nicht einmal um Haaresbreite. Als sie die Schleife gezogen hatten, lächelte das Mädchen zum ersten Mal – ein strahlend sonniges Lächeln, das ihre blendend weißen Zähne aufblitzen ließ.

»Gut«, sagte sie und lächelte dem Kapitän direkt ins Gesicht. »Wie heißen Sie?«

»Cyril«, antwortete er nach kurzem Zögern.

»Sie dürfen mich Ingrid nennen«, antwortete sie einladend.

Der Tagesablauf im neuen Kommandobereich von Peter Stride unterlag keiner strengen Regelung, mit Ausnahme der täglichen Übungsstunde auf dem Schießplatz, in der mit Pistolen und Automatikwaffen trainiert wurde. Keinem einzigen Mitglied des Thor-Kommandos – nicht einmal den Technikern – blieben diese täglichen Schießübungen erspart.

Aber auch den Rest des Tages war Peter unermüdlich aktiv gewesen. Der halbe Vormittag war für eine Einsatzbesprechung zur Erläuterung des neuen elektronischen Funksystems aufgegangen, das erst kürzlich in seinem Kommandoflugzeug installiert worden war. Danach war er gerade noch rechtzeitig in der Hauptkabine des Hercules-Transporters eingetroffen, um mit den Männern seiner Sondereinheit am täglichen Manöver teilzunehmen.

Er sprang mit der ersten Gruppe von zehn Mann. Sie sprangen aus einer Höhe von hundertfünfzig Metern, und es sah so aus, als würden sich die Fallschirme erst wenige Sekunden vor der Landung öffnen. Doch der Seitenwind war stark genug gewesen, um sie auch bei dieser geringen Höhe ein wenig auseinanderzutreiben. Die erste Landung war Peter nicht exakt genug gewesen. Sie hatten vom Absprung bis zum Eindringen in das verlassene Verwaltungsgebäude, das einsam in einer der Militärzonen auf der Ebene von Salisbury stand, zwei Minuten und achtundfünfzig Sekunden gebraucht.

»Wenn die da drinnen Geiseln gehabt hätten, wären wir gerade zurecht gekommen, um mit dem Blutaufwischen zu beginnen«, sagte Peter düster zu seinen Männern.

»Versuchen wir es noch einmal!«

Beim zweiten Mal waren sie um eine Minute und fünfzig Sekunden schneller und landeten in dichter Formation rund um das Gebäude – und schlugen Colin Nobles Truppe um zehn Sekunden. Um diesen kleinen Triumph zu feiern, hatte Peter auf den Rücktransport mit Militärfahrzeugen verzichtet, und sie waren die acht Kilometer bis zur Flugpiste in voller Kampfausrüstung und mit ihren riesigen Fallschirmbündeln unter dem Arm zu Fuß zurückgelaufen.

Die Hercules hatte bereits gewartet, um sie zum Stützpunkt zurückzufliegen, doch als sie schließlich landeten und in das abgesicherte Gelände des Thor-Kommandos am Ende der Hauptlandebahn rollten, war es bereits dunkel.

Peter hatte große Lust verspürt, Colin Noble die Manöverbesprechung zu überlassen. Sein Chauffeur hatte Melissa-Jane sicherlich schon vom Bahnhof in East Croydon abgeholt, und sie würde allein in dem neuen Landhaus, kaum einen Kilometer vom Stützpunkt entfernt, auf ihn warten.

Peter hatte sie seit sechs Wochen – seit er den Oberbefehl über das Thor-Kommando übernommen hatte – nicht gesehen, denn er hatte sich in dieser ganzen Zeit keinen einzigen Ruhetag gegönnt. Er empfand ein kurz aufflackerndes Schuldgefühl, weil er so nahe daran gewesen war, einer Schwäche nachzugeben, und blieb nach der Besprechung noch einige Minuten da, um Colin Noble den Oberbefehl zu übertragen.

»Was machst du am Wochenende?« fragte Colin.

»Morgen abend will sie mit mir in ein Pop-Konzert gehen – keine Geringeren als die Living Dead«, grinste Peter. »Offenbar muß man erst die ,Toten’ gehört haben, um zu den Lebenden gezählt zu werden.«

»Schöne Grüße und einen Kuß für Melissa-Jane«, trug Colin ihm auf.

Peter legte großen Wert auf seine Privatsphäre, die etwas ganz Neues für ihn war. Seit er erwachsen war, hatte er die meiste Zeit seines Lebens in Kasernen und Offizierskasinos zugebracht und war ständig von anderen Menschen umgeben gewesen. Doch sein neuer Befehlsbereich hatte es ihm ermöglicht, dem zu entkommen. Das Landhaus war mit dem Auto vom Stützpunkt aus in viereinhalb Minuten zu erreichen und lag doch so abgeschieden, als stünde es auf einer Insel. Er hatte es möbliert und zu einem erstaunlich günstigen Preis gemietet. Es lag an einer ruhigen kleinen Straße, hinter einer hohen Wildrosenhecke, inmitten eines üppig wuchernden, naturbelassenen Gartens, und war in wenigen Wochen ein echtes Heim für ihn geworden. Er war sogar endlich dazugekommen, seine Bücher auszupacken. Bücher, die er im Laufe von mehr als zwanzig Jahren zusammengetragen und für eine solche Gelegenheit aufbewahrt hatte. Er genoß den Anblick der Bücherstapel rund um seinen Schreibtisch in dem kleinen Vorderzimmer und auf den Tischen neben seinem Bett, obwohl er bisher kaum Gelegenheit gehabt hatte, viel darin zu lesen. Seine neue Aufgabe nahm ihn sehr in Anspruch.

Melissa-Jane mußte das Knirschen des Kieses unter den Reifen des Rovers gehört haben; sicherlich hatte sie schon darauf gewartet. Sie kam durch die vordere Eingangstür auf die Zufahrt hinausgerannt, direkt in den Strahl der Scheinwerfer, und Peter hatte vergessen, wie hübsch sie war. Er fühlte, wie sich sein Herz zusammenkrampfte.

Als er aus dem Wagen stieg, flog sie auf ihn zu und umschlang ihn mit beiden Armen. Er hielt sie so lange fest, und keiner von beiden brachte ein Wort hervor. Sie war so schlank und warm, ihr Körper schien vor Leben und Vitalität zu beben.

Schließlich hob er ihr Kinn und betrachtete ihr Gesicht. Die großen veilchenblauen Augen schwammen in Glückstränen, und sie schnüffelte laut. Schon jetzt besaß sie die altmodisch-englische porzellanene Schönheit. Die Pubertät würde für Melissa-Jane ohne Kümmernisse und Pickel vorübergehen.

Peter küßte sie feierlich auf die Stirn. »Du wirst dir den Tod holen«, schimpfte er liebevoll.

»O Daddy, du bist wie eine besorgte alte Gluckhenne.« Sie lächelte unter Tränen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn mitten auf den Mund.

Sie aßen Lasagne und Cassata in einem italienischen Restaurant in Croydon, und Melissa-Jane schwatzte drauf los. Peter betrachtete sie, hörte ihr zu und ergötzte sich an ihrer Jugend und Frische. Es war kaum zu glauben, daß sie noch nicht vierzehn war; ihr Körper war fast voll entwickelt, die Brüste unter ihrem weißen, hochgeschlossenen Pullover schon über das Stadium zarter Knospen hinaus. Und sie benahm sich auch, als wäre sie zehn Jahre älter, und verriet sich nur gelegentlich durch ein ausgelassenes Kichern oder die Verwendung irgendeines gräßlichen Ausdrucks aus dem Schülerjargon. „Logo“ zum Beispiel war eines dieser Lieblingswörter.

Als sie wieder daheim waren, machte sie für jeden eine Tasse Ovomaltine, und sie setzten sich an den Kamin, tranken und schmiedeten Pläne für jede Minute des bevorstehenden Wochenendes, wobei sie vorsichtig allen Fallen und ungeschriebenen Tabus, die hauptsächlich das Thema „Mutter“ betrafen, auswichen.

Als es Zeit zum Schlafengehen wurde, setzte sie sich auf seine Knie und zeichnete mit den Fingerspitzen die Linien seines Gesichtes nach.

»Weißt du, an wen du mich erinnerst?«

»An wen denn?«, erkundigte er sich.

»An Gary Cooper – nur daß du natürlich viel jünger bist«, fügte sie rasch hinzu.

»Natürlich«, grinste Peter. »Aber woher kennst du überhaupt Gary Cooper?«

»Vorigen Sonntag gab’s High Noon im Fernsehen.«

Sie küßte ihn, und ihre Lippen schmeckten nach Zucker und Ovomaltine, und ihr Haar roch frisch und sauber.

»Wie alt bist du überhaupt, Daddy?«

»Neununddreißig.«

»Das ist eigentlich gar nicht so schrecklich alt«, tröstete sie ihn unsicher.

»Manchmal komme ich mir so alt vor wie ein Dinosaurier ...« In diesem Augenblick gab das Taschenfunkgerät neben Peters leerer Tasse sein schrilles, nerventötendes elektronisches Piepsen von sich, und Peter fühlte, wie sich sein Magen ahnungsvoll zusammenkrampfte.

»Nicht jetzt«, dachte er. »Nicht gerade heute, nachdem ich sie so lange nicht gesehen habe.«

Das Gerät war so klein wie eine Zigarettenpackung, und das rote Leuchten seines einzigen Auges war ebenso beharrlich und unausweichlich wie das akustische Signal. Widerwillig nahm Peter das Gerät zur Hand, schaltete es ein und drückte auf den Sendeknopf, während Melissa-Jane immer noch auf seinen Knien saß. »Thor Eins«, sagte er.

Die Antwort klang blechern und verzerrt, denn das Gerät hatte keine sehr große Reichweite, und er befand sich an deren äußerster Grenze.

»General Stride, Atlas hat Condition Alpha angeordnet.«

Wieder ein falscher Alarm, dachte Peter bitter. Im letzten Monat hatte es etwa ein Dutzend Alphas gegeben. Aber warum gerade heute nacht? Alpha war die erste Alarmstufe und bedeutete Truppenverladung und Bereitmachen für Condition Bravo, das Signal zum Start.

»Sagen Sie Atlas, daß wir in sieben Minuten für Bravo bereit sind.« Viereinhalb Minuten davon würde er für die Fahrt zum Stützpunkt brauchen, und plötzlich erwies sich sein Entschluß, dieses Landhaus zu mieten, als eine gefährliche und eigensüchtige Schwäche. In viereinhalb Minuten konnten unschuldige Menschen ums Leben kommen.

»Liebling, es tut mir leid.« Er drückte Sally an sich.

»Schon gut.« Es klang förmlich und vorwurfsvoll.

»Wir werden es bald nachholen, ich versprech’ es dir.«

»Das versprichst du mir immer«, flüsterte sie und begriff, daß er gar nicht mehr zuhörte. Er schob sie von sich und stand auf, die Zähne fest zusammengepreßt, so daß seine kräftigen Kinnbacken sich spannten. Die dichten dunklen Brauen über der schmalen, geraden, aristokratischen Nase berührten einander fast.

»Sperr die Tür zu, wenn ich weg bin, Liebling. Ich schick’ dir den Chauffeur, wenn es sich wirklich um Bravo handelt. Er wird dich nach Cambridge zurückbringen, und ich werde deine Mutter verständigen.«

Noch während er in den Mantel schlüpfte, trat er hinaus in die Nacht. Sie hörte, wie er den Wagen startete, lauschte auf das Knirschen der Reifen auf dem Kies und das immer schwächer werdende Summen des Motors.

Als die Pflichtmeldung des Fluges der British Airways von den Seychellen nicht zur festgesetzten Zeit erfolgte, wartete man im Kontrollturm von Nairobi noch fünfzehn Sekunden. Danach versuchte der Fluglotse einmal, zweimal, dreimal eine Funkverbindung herzustellen, aber er erhielt keine Antwort. Er schaltete auf Kanäle um, die für den Informationsdienst, die Anflugleitung und den Tower reserviert waren, und schließlich auf die Notfrequenz. Zumindest auf einer dieser Frequenzen hätte 070 erreichbar sein müssen. Aber es kam immer noch keine Antwort.

Speedbird 070 hatte die Zeit für die Pflichtmeldung um fünfundvierzig Sekunden überschritten, als der Fluglotse den gelben Kontrollstreifen aus seinem Pult für die Anflugkontrolle nahm und in das Notfallfach für verlorenen Funkkontakt legte. Damit wurden automatisch sämtliche Such- und Rettungsmaßnahmen in die Wege geleitet.

Speedbird 070 hatte die Zeit für die Pflichtmeldung um zwei Minuten und dreizehn Sekunden überschritten, als das Telex auf dem Pult der British Airways im Kontrollturm von Herthrow landete, sechzehn Sekunden später war Atlas informiert und hatte beim Thor-Kommando Alarmstufe Alpha ausgelöst.

Kapitel 2

Der Mond würde in drei Tagen voll sein, sein oberer Rand hatte nur noch eine winzige Delle vom Schatten der Erde. In dieser Höhe jedoch sah er beinahe so groß aus wie die Sonne, und sein goldenes Licht war zweifellos schöner.

Große silbrige Wolkenbänke türmten sich auf dem Himmel der Tropensommernacht und ballten sich zu majestätischen Gewitterwolken zusammen, über die der Mond sein schimmerndes Licht goß.

Wie eine riesige schwarze Fledermaus mit angelegten Flügeln bohrte sich das Flugzeug durch die Wolkenbänke und schoß westwärts.

Unter dem Backbord-Flügel öffnete sich plötzlich eine Lücke in der Wolkenschicht, finster wie der Eingang zur Hölle, und tief im Innern dieses Abgrunds blinzelte ein fahles Licht, weit weg und schwach wie das Licht eines sterbenden Sterns.

»Das wird Madagaskar sein«, sagte der Flugkapitän, und seine Stimme schnitt überlaut in das Schweigen im Cockpit. »Wir sind auf Kurs.« Hinter seinem Rücken bewegte sich das Mädchen und nahm vorsichtig die Granate in die andere Hand, bevor sie, zum ersten Mal seit einer halben Stunde, wieder zu sprechen begann. »Einige unserer Passagiere könnten noch wach sein und es bemerken.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Es wird Zeit, auch die anderen aufzuwecken, um ihnen die gute Nachricht mitzuteilen.« Sie wandte sich wieder an den Bordingenieur. »Bitte schalten Sie die Kabinenbeleuchtung und die Leuchtanzeigen ein und geben Sie mir das Mikrophon.«

Und abermals erkannte Cyril Watkins, der Kapitän, wie sorgfältig diese Aktion geplant worden war. Das Mädchen hatte den Zeitpunkt des geringsten Widerstandes für seine Mitteilung an die Passagiere abgewartet; um zwei Uhr morgens, herausgerissen aus dem unruhigen Schlummer eines Interkontinentalfluges, würden sie sich zunächst höchstwahrscheinlich ergeben in ihr Schicksal fügen.

»Kabinenbeleuchtung und Leuchtanzeigen eingeschaltet«, meldete der Bordingenieur und reichte ihr das Mikrophon.

»Guten Morgen, meine Damen und Herren.« Ihre Stimme klang warm, klar und frisch. »Ich bedaure es, Sie zu dieser frühen Stunde wecken zu müssen, aber ich habe eine sehr wichtige Mitteilung für Sie und bitte Sie alle um äußerste Aufmerksamkeit.« Sie machte eine kurze Pause. Die Passagiere begannen sich zu regen, hoben die zerzausten Köpfe, blickten verschlafen und unsicher blinzelnd um sich und rieben sich die Müdigkeit aus den Augen. »Wie Sie sehen, sind die Leuchtanzeigen eingeschaltet. Bitte stellen Sie fest, ob ihr jeweiliger Nachbar ganz wach ist und sich angeschnallt hat. Ich bitte auch das Bordpersonal, dies zu überprüfen.«

Wieder machte sie eine kurze Pause. Die Sicherheitsgurte würden jede plötzliche Bewegung, jede spontane Reaktion im ersten Schock verhindern. Ingrid schaute auf den Sekundenzeiger ihrer Armbanduhr und ließ sechzig Sekunden verstreichen, bevor sie weitersprach.

»Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen zuerst vorstelle. Ich heiße Ingrid. Ich bin die Rangälteste im Aktionskommando für Menschenrechte ...« Kapitän Watkins kräuselte zynisch die Lippen beim pompösen Klang dieses selbstherrlichen Namens, aber er schwieg und starrte hinaus in die sternenfunkelnde, vom Mondlicht erhellte Tiefe des Raumes. »Dieses Flugzeug steht unter meinem Befehl. Keiner von Ihnen wird seinen Platz ohne die ausdrückliche Genehmigung eines Kommandomitgliedes verlassen – unter keinen, wie auch immer gearteten Umständen. Eine Mißachtung dieses Befehls würde unmittelbar zur Zerstörung dieses Flugzeuges und zur Vernichtung aller an Bord befindlichen Menschen durch eine Sprengung führen.«

Sie wiederholte diese Mitteilung in fließendem Deutsch und danach in weniger fließendem, aber gut verständlichem Französisch, ehe sie auf englisch weitersprach.

»Die Mitglieder des Aktionskommandos werden rote Hemden tragen, damit sie jeder erkennen kann. Außerdem sind sie bewaffnet.«

Während sie sprach, entfernten ihre drei Kollegen im vorderen Teil der Kabine erster Klasse die Doppelböden ihrer Flugtaschen. Der Raum darunter war nur fünf Zentimeter tief und fünfunddreißig mal zwanzig Zentimeter weit, aber das genügte für die zerlegten zwölfkalibrigen Schußwaffen und die zehn mit grobem Schrot gefüllten Patronen. Die Läufe waren fünfunddreißig Zentimeter lang, glatt und aus Panzerplastik. Dieses Material hätte dem Durchgang von Vollmantelgeschossen, wie sie bei Läufen mit Zugkonstruktion verwendet werden, oder einem der neueren Explosivgeschosse nicht standgehalten, sondern war für die Verwendung von Korditgeschossen mit geringerem Druck und geringerer Mündungsgeschwindigkeit bestimmt. Auch das Verschlußstück und die Doppelgriffe waren aus Hartplastik und ließen sich rasch und mühelos einsetzen. Der Schlagbolzen und die Bolzenfeder, beide aus hochwertigem Stahl, waren die einzigen Metallteile an der ganzen Waffe. Sie waren nicht größer als die Metallbeschläge auf den Flugtaschen, weshalb sie auch bei der Sicherheitskontrolle auf dem Flughafen von Mahé keinen Alarm ausgelöst hatten. Auch die zehn Patronen in jeder Tasche hatten Kunststoffmäntel und Kunststoffböden, nur die Zündhütchen waren aus Aluminiumfolie, die ein elektrisches Feld nicht stört. Die Patronen steckten in den Schlaufen von Patronengürteln, die sich um die Taille schlingen ließen.

Die Waffen waren kurz, schwarz und häßlich, mußten wie herkömmliche Schrotflinten nachgeladen werden, die leeren Patronenhülsen wurden nicht automatisch ausgeworfen, und der Rückstoß war so heftig, daß es einem Schützen, der die Griffe nicht mit aller Kraft nach unten drückte, die Handgelenke brechen konnte. Doch aus einer Entfernung bis zu rund neun Metern war die Wirkung furchtbar; aus einer Entfernung von etwa vier Metern konnte man mit dieser Waffe einem Menschen die Eingeweide aus dem Leib schießen, aus rund zwei Metern ihm den Kopf vom Leib trennen. Aber dennoch besaß die Waffe nicht die nötige Durchschlagskraft, um den Rumpf eines Interkontinentalflugzeuges zu durchlöchern.

Es waren perfekte Waffen für den Zweck, dem sie dienen sollten. Innerhalb weniger Sekunden waren drei davon zusammengebaut und geladen, die beiden Männer hatten leuchtend rote Hemden über ihre T-Shirts gestreift und Stellung bezogen – einer im hinteren Teil der Kabine erster Klasse, der zweite hinten in der Touristenkabine. Da standen sie nun und hielten ihre grotesken Waffen großspurig im Anschlag.

Das deutsche Mädchen mit den dunklen Haaren und der grazilen Figur blieb noch eine Weile auf seinem Platz. Rasch und sauber öffnete sie die restlichen Cocos-de-mer und verteilte den Inhalt in zwei Schulternetze. Diese Granaten unterschieden sich von jener, die Ingrid bei sich trug, nur durch eine um die Mitte verlaufende rote Doppellinie, das Kennzeichen dafür, daß sie elektronisch gezündet werden konnten.

Ingrids klare junge Stimme erklang nun wieder über den Kabinenlautsprecher, und die langen Reihen der Passagiere – die nun allesamt wach waren – saßen steif und in gespannter Aufmerksamkeit da. In fast allen Gesichtern spiegelte sich das gleiche Entsetzen und die gleiche Furcht.

»Das Mitglied des Aktionskommandos, das nun den Gang entlangkommt, wird hochexplosive Sprengkörper über ihren Köpfen deponieren.« Das dunkelhaarige Mädchen begann, den Gang entlangzugehen, öffnete das Gepäckabteil über jeder fünfzehnten Reihe, legte eine Granate hinein, verriegelte das Abteil wieder und ging weiter. Langsam wandten die Passagiere die Köpfe und beobachteten sie gebannt aus weit geöffneten Augen, in denen Grauen und Entsetzen lag. »Jede einzelne dieser Granaten hat eine ausreichende Sprengkraft, um diese Maschine zu zerstören – sie wurden dazu geschaffen, die gesamte Besatzung eines Kampfwagens mit einer 15-cm-Panzerung durch den Explosionsdruck zu töten ... Das Kommandomitglied wird vierzehn solcher Bomben auf die Gesamtlänge der Maschine verteilen. Sie können mittels eines elektronischen Auslösers, der meiner Kontrolle untersteht, simultan gezündet werden ...« Ein boshafter Unterton schwang nun in ihrer Stimme, beinahe ein verhaltenes Lachen »... und wenn das geschehen sollte, könnte man den Knall bis zum Nordpol hören!«

Die Passagiere begannen auf ihren Plätzen hin und her zu wetzen wie vom Wind gezauste Blätter eines Baumes. Irgendwo begann eine Frau zu weinen. Es war ein erstickter, apathischer Klagelaut, und niemand wandte auch nur den Kopf in ihre Richtung.

»Aber machen Sie sich keine Sorgen. das wird nicht geschehen. Denn jeder wird genau das tun, was ihm gesagt wird, und wenn alles vorüber ist, werden Sie stolz auf die Rolle sein, die Sie bei dieser Operation gespielt haben. Wir sind alle Partner in einer edlen und glorreichen Mission, wir sind alle Kämpfer für die Freiheit und für die Würde des Menschen. Heute tun wir einen großen Schritt auf eine neue Welt zu – auf eine von Ungerechtigkeit und Tyrannei geläuterte und gesäuberte Welt, dem Wohl aller Völker geweiht, die auf ihr leben.«

Die Frau weinte noch immer, und nun stimmte ein Kind mit höheren und schrilleren Lauten in ihr Weinen ein.

Das dunkelhaarige Mädchen kehrte an seinen Platz zurück und holte die Kamera, die am Flughafen von Mahé das Alarmsignal des Prüfgerätes ausgelöst hatte. Sie hängte sich den Apparat um den Hals und bückte sich nochmals, um die übrigen beiden Schußwaffen und die Patronengurte an sich zu nehmen, dann eilte sie nach vorne, wo die große Blonde sie entzückt und ohne jede Scham auf die Lippen küßte.

»Karen, Liebling, du warst wunderbar.« Sie nahm ihr die Kamera ab und hängte sie sich selbst um den Hals.

»Das ...«, erklärte sie dem Kapitän, »ist nicht, was es zu sein scheint. Es ist die elektronische Fernzündung für die Granaten im Flugzeugrumpf.«

Er nickte schweigend, und mit offensichtlicher Erleichterung entschärfte Ingrid die Granate, die sie so lange in der Hand gehalten hatte, indem sie den Sicherungssplint wieder einsetzte. Dann überreichte sie die Granate dem anderen Mädchen.

»Wie weit ist es noch bis zur Küste?« fragte sie, während sie sich den Patronengurt umschnallte.

»Zweiunddreißig Minuten«, antwortete der Bordingenieur prompt, und Ingrid öffnete den Verschluß der Pistole, überprüfte die Ladung und ließ den Verschluß dann wieder zuschnappen.

»Ihr könnt nun Pause machen, du und Henri«, sagte sie zu Karen. »Versucht zu schlafen.«

Die Operation konnte noch viele Tage dauern, und die Erschöpfung würde sich als ihr gefährlichster Feind erweisen. Das war der einzige Grund, weshalb sie die Sache so groß angelegt hatten. Von nun an würden sich, wenn alles wie geplant verlaufen sollte, jeweils zwei von ihnen ausruhen, während die beiden anderen Dienst machten.

»Sie alle haben wie Profis agiert«, sagte der Pilot Cyril Watkins, »... bisher.«

»Danke.« Ingrid lachte und legte ihm kameradschaftlich von hinten die Hand auf die Schulter. »Wir haben uns sehr genau auf diesen Tag vorbereitet.«

Peter Stride blinkte dreimal, als er, ohne die Geschwindigkeit des Rovers zu verlangsamen, die lange schmale Gasse zum Einfahrtstor des Stützpunktes hinunterraste, und der Wachposten schwang das Tor gerade noch rechtzeitig zur Seite, um ihn hindurchbrausen zu lassen.

Keine Scheinwerfer, keine hektische Aktivität – nur die beiden Flugzeuge, die in der widerhallenden Höhle des Hangers nebeneinanderstanden.

Die Lockheed Hercules schien das ganze Gebäude, das für die kleineren Bomber des Zweiten Weltkrieges gebaut worden war, auszufüllen. Die riesige Seitenflosse des Höhenleitwerks reichte fast bis zu den Tragbalken des Daches hinauf.

Die Hawker Siddeley Hs 125 nahm sich daneben wie ein zierliches Spielzeug aus. Die unterschiedliche Herkunft der beiden Maschinen wies darauf hin, daß diese Einheit ein kooperatives Unternehmen zweier Nationen war.

Diese Tatsache wurde dadurch unterstrichen, daß Colin Noble auf den Rover zugerannt kam, gerade als Peter den Motor abstellte und die Scheinwerfer ausschaltete.

»Eine tolle Nacht für so eine Sache, was, Peter?« Der schleppende Akzent des Amerikaners aus dem mittleren Westen war nicht zu überhören, obwohl Colin nicht gerade wie ein Colonel der US-Marines, sondern eher wie ein erfolgreicher Gebrauchtwagenhändler aussah. Zu Beginn hatte Peter geglaubt, daß die strikte Aufteilung von Material und Personal auf die beiden Nationen die Durchschlagskraft von Atlas schwächen konnte. Doch nun hatte er keine derartigen Bedenken mehr.

Colin trug einen unauffälligen Overall und eine Stoffkappe, beide mit der Inschrift THOR COMMUNICATIONS, und sah darin eher wie ein Techniker als ein Soldat aus, was durchaus beabsichtigt war.

Colin war Peters Stellvertreter. Sie kannten einander erst seit sechs Wochen, seit Peter das Kommando von Thor übernommen hatte – doch nach einer kurzen Periode vorsichtigen Abtastens hatte sich zwischen den beiden Männern eine jener spontanen Freundschaften entwickelt, die auf gegenseitiger Sympathie und Achtung beruhen.

Colin war mittelgroß, aber dennoch ein stattlicher Mann. Auf den ersten Blick hätte man ihn für dick halten können, denn sein Körper wirkte irgendwie plump und gedrungen, wie der Leib einer Kröte. Aber es war kein Gramm Fett an ihm, sein Körper bestand nur aus Muskeln und Knochen. Er hatte in Priceton und bei den Marines in der Schwergewichtsklasse geboxt, und seine Nase, die ihm einer genau unter dem Nasenrücken gebrochen hatte, saß ein wenig schief und krumm über dem breiten, lachenden Mund.

Colin gab sich gerne mit dem polternden, großspurigen Gehaben des Berufssportlers, doch aus seinen wachsamen, karamelbraunen Augen, denen nichts entging, blitzte Intelligenz. Er war zäh und gerissen wie eine alte Straßenkatze. Es war nicht leicht, den Respekt von Peter Stride zu gewinnen. Colin war es in weniger als sechs Wochen gelungen.

Er stand nun zwischen den beiden Flugzeugen, während seine Männer sich rasch, umsichtig und ohne viel Aufhebens auf ihren Einsatz vorbereiteten.

Beide Maschinen waren in den für Verkehrsflugzeuge üblichen Farben gestrichen – blau, weiß und gold, mit einer stilisierten Darstellung des hammerbewehrten Donnergottes auf dem Leitwerk und der Aufschrift THOR COMMUNICATIONS auf der Unterseite des Rumpfes. Sie konnten auf jedem Flughafen der Welt landen, ohne unnötiges Aufsehen zu erregen.

»Was soll der Lärm, Colin?« fragte Peter Stride, als er die Tür des Rovers zuschlug und auf den Amerikaner zueilte. Es hatte ihn einige Zeit und Mühe gekostet, seine Ausdrucksweise und die ihm geläufige Art der Anrede dem legeren Stil seines neuen Stellvertreters anzupassen. Aber er hatte sich bald damit abgefunden, daß er nicht erwarten durfte, von Colin Noble jedesmal mit „Sir“ angeredet zu werden, wenn dieser das Wort an ihn richtete, nur weil Peter der jüngste Generalmajor der britischen Armee war.

»Ein Flugzeug ist abgängig.« Warum hatten sie sich gerade ein Flugzeug ausgesucht? Warum nicht einen Zug, eine Botschaft oder gar einen Überseedampfer, dachte Peter. »Von den British Airways. Gehen wir doch ins Warme, um Christi willen.« Der Wind zerrte an den Hosenbeinen und Ärmeln von Colins Overall. »Wo?«

»Im Indischen Ozean.«

»Sind wir für Bravo bereit?« fragte Peter, als sie ins Kommandoflugzeug krochen.

»Alles bereit.«

Das Innere der Hawker war zu einem kompletten Hauptquartier und Nachrichtenzentrum auf kleinstem Raum umgestaltet worden.

Direkt hinter der Flugkanzel befand sich ein Raum, der vier Offizieren bequem Platz bot. Die beiden Elektronikingenieure waren mitsamt ihren Geräten in einem separaten Abteil im hinteren Teil der Maschine untergebracht, hinter dem sich nur noch die kleine Toilette und die Bordküche befanden.

Einer der Techniker warf einen Blick durch die Verbindungstür, als Peter in die Kabine schlüpfte. »Guten Abend, General Stride – wir haben eine Direktverbindung zu Atlas hergestellt.«

»Geben Sie ihn mir auf den Bildschirm«, befahl Peter, als er sich in den gepolsterten Lederstuhl hinter dem kleinen Schreibtisch sinken ließ.

In das Paneel, dem Peter nun gegenübersaß, war ein Fernsehschirm mit einem Durchmesser von 35 cm eingebaut; darüber befanden sich vier kleinere Konferenz-Bildschirme mit je 15 cm Durchmesser. Die große Fläche begann zu flimmern, dann wurden die Umrisse des mächtigen, edel geformten Kopfes, der an das majestätische Haupt eines Löwen erinnerte, schärfer.

»Guten Tag, Peter.« Sein Lächeln war warm, charismatisch und bezwingend.

»Guten Abend, Sir.«

Dr. Kingston Parker neigte leicht den Kopf, um anzudeuten, daß ihm der Hinweis auf den Zeitunterschied zwischen Washington und England nicht entgangen war.

»Im Augenblick tappen wir noch völlig im dunkeln. Wir wissen weiter nichts, als daß von der Maschine BA 070 mit vierhundertein Passagieren und einer sechszehnköpfigen Besatzung an Bord, die sich auf dem Flug von Mahé nach Nairobi befindet, seit zweiunddreißig Minuten keine Meldung mehr vorliegt.«

Parker war unter anderem Vorsitzender des Intelligence Oversight Board und unterstand in dieser Eigenschaft direkt dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er war der vertraute Freund des Präsidenten. Sie hatten in Annapolis dieselbe Klasse besucht, waren beide unter den zwanzig Besten vom College gegangen, doch Parker war, zum Unterschied vom Präsidenten, sofort danach in den Staatsdienst eingetreten.

Parker war ein Künstler, ein begabter Musiker, Verfasser von vier gelehrten Werken über Philosophie und Politik und außerdem ein Meister im Schachspiel. Er war eine überwältigende Persönlichkeit, außerordentlich menschlich und von überragender Intelligenz. Er war aber auch sehr verschlossen, scheute das grelle Scheinwerferlicht der Medien und verbarg sorgsam seine Ambitionen, falls er überhaupt welche hatte – obwohl es für einen solchen Mann kein unmöglicher Traum gewesen wäre, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Und er nahm jede Last, die man ihm aufbürdete, mit außergewöhnlichem Geschick und ungewöhnlicher Energie auf sich.

Peter war ihm, seit er zu Thor abkommandiert worden war, etwa ein halbes dutzendmal begegnet. Er hatte ein Wochenende in Parkers Haus in New York verbracht, und seine Achtung vor diesem Mann war ins Grenzenlose gestiegen. Peter war überzeugt, daß es für die Leitung einer derart komplexen Institution wie Atlas keinen besseren Mann geben konnte als Parker. Es bedurfte des mäßigenden Einflusses eines Philosophen auf Berufssoldaten, des Taktgefühls und des Charismas eines Diplomaten, um mit den Regierungschefs zweier Staaten direkt zu verhandeln, und es bedurfte dieses stählernen Intellekts, um die letzten Entscheidungen in Situationen zu treffen, bei denen unter Umständen das Leben Hunderter unschuldiger Menschen auf dem Spiel stand und die besorgniserregende politische Folgen nach sich ziehen konnten.

Rasch und in klaren, knappen Worten berichtete er Peter das wenige, das sie von Flug 070 wußten, und teilte ihm mit, welche Such- und Rettungsmaßnahmen bereits in die Wege geleitet worden waren, bevor er fortfuhr: »Ich will nicht den Unheilspropheten spielen, aber das Ganze sieht nach einer perfekt angelegten Operation aus. In dem Flugzeug sitzen fast alle führenden Chirurgen der Welt; und die Tagung wurde schon achtzehn Monate vorher öffentlich angekündigt. Ärzte haben das nötige Image, um die Gefühle der Öffentlichkeit anzusprechen, und ihre Nationalitäten sind gut gemischt – Amerikaner, Briten, Franzosen, Skandinavier, Deutsche, Italiener ... Drei dieser Länder haben eine bekannt nachgiebige Einstellung zu militanten Gruppen. Das Flugzeug ist eine britische Maschine, und das Landeziel wurde wahrscheinlich so gewählt, daß die ganze Angelegenheit noch komplizierter und jede Gegenaktion unmöglich gemacht wird.«

Parker schwieg, und für einen Augenblick zeigte sich eine kleine Sorgenfalte auf seiner breiten, glatten Stirn.

»Ich habe auch Mercury das Kommando für Condition Alpha gegeben – wenn es sich wirklich um eine militante Aktion handelt, könnte das Landeziel ebensogut östlich der zuletzt angegebenen Position des Flugzeugs liegen.«

Die Offensivtruppen von Atlas umfaßten drei gleichwertige Einheiten. Thor war für den Einsatz in Europa und Afrika vorgesehen. Mercury hatte seine Basis auf dem amerikanischen Marinestützpunkt in Indonesien und war für Asien und Australien zuständig, während der Stützpunkt der Einheit Diana, die für Konterattacken auf den beiden amerikanischen Kontinenten eingesetzt wurde, in Washington selbst lag.

»Ich habe Tanner von Mercury am anderen Kanal. Ich melde mich in wenigen Sekunden wieder, Peter.«

»Sehr wohl, Sir.«

Das Bild verschwand, und Colin Noble, der in dem Stuhl neben Peter saß, zündete sich eine seiner teuren holländischen Zigarren an und kreuzte die auf dem Schreibtisch ruhenden Beine.

»Es sieht so aus, als wäre der große Gott Thor zu einem kleinen Techtelmechtel auf die Erde herabgestiegen. Und als er sein Schäferstündchen mit einer von Freias Jungfrauen beendet hatte, hielt er es für angebracht, die Hüterin goldener Äpfel auf die Ehre hinzuweisen, die ihr erwiesen worden war. ,I am Thor‘, sagte er zu ihr. ,Ich bin Thor.‘ Doch die Kleine, die ein wenig Schwierigkeiten mit der Aussprache hatte, verstand ganz was anderes, nämlich ,I am sore, ich bin ganz erledigt‘, und antwortete lispelnd: ,Tho am I – ich auch. Aber es hat trotzdem Spaß gemacht’.«

Peter schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Soll das witzig sein?« fragte er. »Es reicht, um sich die Zeit zu vertreiben.« Colin warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wenn das wieder ein falscher Alarm ist, macht das insgesamt genau dreizehn.« Er gähnte. Es gab nichts zu tun. Alles, was getan werden konnte, war bereits geschehen, alles bis ins letzte Detail vorbereitet. In dem riesigen Hercules-Transporter war jedes einzelne Stück des komplexen Arsenals an Apparaturen zum sofortigen Einsatz bereit. Die dreißig speziell geschulten Soldaten waren an Bord, die fliegende Besatzung beider Maschinen war im Kommandostand, die Nachrichtentechniker hatten ihre über Satelliten geführten Funkverbindungen zu den entsprechenden Computern in Washington und London hergestellt. Es blieb nichts weiter übrig, als zu warten – der Großteil eines Soldatenlebens besteht im Warten, aber Peter hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt. Die Gesellschaft Colin Nobles war ihm nun eine große Hilfe.

Wenn man sein Leben meistens in der Gesellschaft von Männern verbringt, ist es schwierig, enge Beziehungen herzustellen. Hier, in dem verhältnismäßig kleinen, beinahe familiären Stab von Thor, war ihnen das im Bemühen um ein gemeinsames Ziel gelungen, und sie waren Freunde geworden. Sie unterhielten sich gelöst und ungezwungen über dies und jenes, doch nie ohne die unterschwellige Wachsamkeit, die beiden Männern zur zweiten Natur geworden war.

Nach einer Weile erschien Kingston Parker wieder auf dem Bildschirm, um ihnen mitzuteilen, daß die Such- und Rettungsmaschine an der zuletzt angegebenen Position von 070 nicht den geringsten Hinweis auf den Verbleib der Maschine gefunden habe, daß über den „Big Bird“-Aufklärungssatelliten Aufnahmen des gesamten Gebiets gemacht worden seien, der Film aber erst in etwa vierzehn Stunden ausgewertet werden könne. Speedbird 070 hatte die Zeit für die Pflichtmeldung nun um eine Stunde und sechs Minuten überschritten, und plötzlich dachte Peter an Melissa-Jane. Er ließ sich von der Telefonzentrale eine freie Leitung geben und wählte die Nummer seines Landhauses. Es meldete sich niemand, also hatte der Chauffeur sie schon abgeholt. Er hängte ein und rief Cynthia in Cambridge an.

»Verdammt, Peter. Das ist wirklich sehr rücksichtslos von dir.« Er hatte sie aus dem Schlaf gerissen, ihre Stimme klang gereizt und weckte sofort Abneigung und Widerwillen in ihm. »Melissa hat sich so darauf gefreut ...«

»Ja, ich weiß. Ich habe mich auch gefreut.«

»... und George und ich hatten geplant ...« George, ihr zweiter Mann, war Universitätsprofessor für Politologie. Gegen seinen Willen konnte Peter den Mann recht gut leiden. Er war gut zu Melissa-Jane gewesen.

»So ist es eben im Militärdienst«, warf Peter leichhin ein.

Ihre Stimme wurde bitter: »Wie oft habe ich mir das anhören müssen – ich hatte gehofft, es nie wieder zu hören.« Sie waren wieder in der sinnlosen, alten Tretmühle endloser Auseinandersetzungen, und er mußte dem ein Ende machen.

»Schau, Cynthia, Melissa ist unterwegs ...«

Der große Bildschirm vor ihm wurde plötzlich hell, und Kingston Parkers Augen waren so dunkel vor Bedauern, als trauere er um die gesamte Menschheit.

»Ich muß Schluß machen«, sagte Peter zu der Frau, die er einst geliebt hatte, unterbrach die Verbindung und neigte sich aufmerksam dem Bild auf dem Fernsehschirm zu.

»Die südafrikanische Radarverteidigung hat ein unidentifiziertes Objekt erfaßt, das sich ihrem Luftraum nähert«, teilte ihm Kingston Parker mit. »Nach Geschwindigkeit und Position könnte es sich um die BA 070 handeln. Man hat einen Mirage-Abfangjäger gestartet – aber ich bin mittlerweile zu der Ansicht gelangt, daß es sich um eine militante Aktion handelt und möchte Sie bitten, sofort auf Condition Bravo zu gehen, Peter.«

»Wir machen uns sofort auf den Weg, Sir.«

Neben ihm nahm Colin Noble die Füße vom Tisch und sprang auf. Die Zigarre steckte noch immer zwischen seinen Zähnen.

Das Ziel war nun live in Sicht, und der Pilot der Mirage F1, die eine Jagdstaffel anführte, hatte seinen Flugcomputer auf „Angriff“ geschaltet und sein gesamtes Waffenarsenal – Raketen und Kanonen – schußbereit gemacht. Der Computer gab ihm dreiunddreißig Sekunden Zeit für das Abfangmanöver, und die Magnetnadel zeigte einen konstanten Steuerkurs des Objektes von 210° Mißweisung und eine Fluggeschwindigkeit von 483 Knoten an.

Vor ihm brach mit theatralischem Prunk die Morgendämmerung an. Silbrige und rosarote Wolken türmten sich in einem Himmel, über den die immer noch unter dem Horizont stehende Sonne lange Speere goldenen Lichtes warf. Der Pilot beugte sich in seinen Schultergurten nach vorne und schob den Blendschutz seines Helmes mit der behandschuhten Hand hoch, um einen ersten Blick auf das Objekt zu erhaschen.

Sein geschultes Schützenauge erspähte den dunklen Fleck, der sich nur undeutlich von dem sonnenüberfluteten Wolkenhintergrund abhob, und er änderte fast unmerklich den Kurs, um eine Frontalannäherung an das Ziel zu vermeiden.

Der Fleck wurde beunruhigend rasch größer, als die Abfangjäger mit einer Geschwindigkeit von nahezu fünfzehnhundert Meilen pro Stunde auf das Objekt zuschossen, und sobald sich der Staffelkapitän von der Richtigkeit seiner Beobachtung überzeugt hatte, riß er seine Maschine senkrecht hoch. Die anderen folgten ihm, immer noch in dichter „Fünf-Finger-Formation“, dann brausten sie mit einer Höhendifferenz von fünftausend Fuß über das Zielobjekt hinweg, gingen auf denselben Kurs und reduzierten sofort die Leistung, um sich der Geschwindigkeit des tief unter ihnen liegenden Flugzeugs anzupassen.

»Cheetah, hier Diamond Eins – wir haben Sichtkontakt. Das Zielobjekt ist eine Boeing 747 mit den Kennzeichen der British Airways.«

»Diamond Eins, hier Cheetah. Passen Sie sich dem Kurs und der Geschwindigkeit des Objekts an, halten Sie eine Distanz von fünftausend Fuß und unterlassen Sie vorläufig jedes Einschüchterungsmanöver. Melden Sie sich wieder in sechzig Sekunden.«

Der Executive-Jet von Generalmajor Peter Stride schoß wie ein Pfeil in Richtung Süden und ließ die riesige Transportmaschine, die schwerfällig in seinem Sog dahinrumpelte, immer weiter hinter sich. Die Distanz zwischen den beiden Maschinen wurde mit jeder Minute größer, und die Hawker würde das endgültige Ziel – wo immer das auch sein mochte – wahrscheinlich mit einem Vorsprung von tausend Meilen oder mehr erreichen. Doch die geringe Geschwindigkeit der Hercules erwies sich stets als Vorzug, wenn es darauf ankam, das ganze Team mitsamt der schweren Ausrüstung in die unwahrscheinlichsten Winkel der Welt zu bringen und auf kurzen, ungepflasterten Pisten zu landen – manchmal unter höchst turbulenten Bedingungen, wie jeder Pilot sie fürchtet.

Es war die Aufgabe der Hawker, Peter Stride so rasch wie möglich an den Schauplatz terroristischer Aktivitäten zu bringen. Sobald der General dort angelangt war, bestand sein Auftrag darin, die Terroristen hinzuhalten, mit ihnen zu verhandeln und die ganze Sache so lange hinauszuzögern, bis Colin Nobles Stoßtrupp eintraf.

Noch hatten die beiden Männer Kontakt miteinander, und der mittlere der kleinen Bildschirme vor Peter gewährte ihm einen ständigen Blick in die Hauptkabine der Hercules. Als Peter Stride von der Arbeit aufblickte, sah er seine Leute in den bequemen Thor-Overalls in zwangloser und entspannter Haltung im Mittelgang der Hercules herumlümmeln. Auch sie waren Veteranen in dem harten Wartespiel. Im Vordergrund saß Colin Noble an seinem kleinen Arbeitstisch und ging die umfangreichen Checklisten für Condition Charlie durch, die Alarmstufe, die in Kraft trat, sobald terroristische Aktivitäten eindeutig erwiesen waren.

Während er Colin Noble bei der Arbeit zusah, fand Peter Stride einen Augenblick lang Zeit, wieder einmal über die enormen, größtenteils aus dem Budget des US-Geheimdienstes bestrittenen Kosten nachzudenken, die der Unterhalt einer Einheit wie Atlas verschlang, und über die Hindernisse und Widerstände, die überwunden worden waren, um das Projekt auf die Beine stellen zu können. Erst der Erfolg der Israelis in Entebbe und der Deutschen in Mogadischu hatte dies überhaupt möglich gemacht. Doch in beiden an Atlas beteiligten Ländern gab es immer noch heftige Widerstände gegen die Erhaltung dieser binationalen Antiterroreinheit.

Mit einem leisen Klicken und Summen begann der Hauptbildschirm auf Peters Instrumentenpaneel zu flimmern, und Dr. Parker setzte zum Reden an, noch bevor sein Bild richtig scharf geworden war.

»Ich fürchte, es wird Condition Charlie werden, Peter«, sagte er leise, und Peter fühlte das Blut durch seine Adern rauschen. Es war nur natürlich für einen Soldaten, der sein Leben lang für einen besonderen Augenblick trainiert hatte, diesen Augenblick willkommen zu heißen – und doch verachtete sich Peter seiner Empfindung wegen; kein vernünftiger Mensch konnte die Aussicht auf Gewalt und Tod und das ganze damit verbundene Leid willkommen heißen.

»... Die Südafrikaner haben die BA 070 abgefangen und identifiziert. Die Maschine hat vor fünfundvierzig Sekunden ihren Luftraum betreten.«

»Funkkontakt?« fragte Peter.

»Nein.« Parker schüttelte seinen mächtigen Kopf. »Sie verweigern jede Funkverbindung, und wir müssen annehmen, daß die Maschine unter der Kontrolle einer militanten Gruppe steht – ich werde also diesen Schreibtisch nicht verlassen, bis die Sache erledigt ist.« Kingston Parker bediente sich nie des emotionsgeladenen Wortes „Terrorist“ und wollte es auch von seinen Untergebenen nicht hören.

»Man soll seinen Gegner niemals blindlings hassen«, hatte er einmal zu Peter gesagt. »Man muß versuchen, seine Motive zu verstehen, seine Stärke zu erkennen und zu respektieren – dann ist man besser dafür gewappnet, ihm entgegenzutreten.«

»Mit wessen Kooperation können wir rechnen?« fragte Peter.

»Alle afrikanischen Staaten, mit denen wir bisher Verbindung aufnehmen konnten, haben ihre volle Unterstützung zugesagt und haben uns die Erlaubnis zum Überfliegen ihres Hoheitsgebietes sowie zum Landen und Auftanken gegeben. – Und auch die Südafrikaner verhalten sich sehr kooperativ. Ich habe mit dem südafrikanischen Verteidigungsminister gesprochen, und er hat uns jede mögliche Hilfe angeboten. Südafrika wird der Maschine selbstverständlich keine Landeerlaubnis erteilen, und ich rechne damit, daß sie zu einem der schwarzen Staaten weiter oben im Norden fliegen muß, was wahrscheinlich ohnehin der Absicht der militanten Gruppe entspricht. Ich nehme an, Sie kennen meine Ansichten über Südafrika – doch in diesem Fall muß ich zugeben, daß sie sich sehr anständig verhalten.«

Eine schwarze Bruyère-Pfeife mit einem großen runden Pfeifenkopf kam ins Bild, und Parker begann Tabak ins Pfeifenloch zu stopfen. Seine Hände waren groß, ebenso wie sein ganzer Körper, aber die Finger waren lang und gelenkig wie die Finger eines Pianisten – und natürlich war er auch einer. Peter erinnerte sich an den würzigen Geruch des Tabaks, den Parker rauchte. Obwohl Peter Nichtraucher war, hatte ihn dieser Geruch nie gestört. Beide Männer schwiegen nun, tief in Gedanken versunken, und Parker runzelte ein wenig die Stirn, während er sich auf seine Pfeife zu konzentrieren schien. Dann seufzte er und blickte wieder auf.

»Na schön, Peter. Lassen Sie hören, was Sie zu berichten haben.« Peter blätterte in den Notizen, die er sich gemacht hatte. »Ich habe die möglichen Reaktionen auf vier hypothetische Situationen ausgearbeitet, Sir. Die wichtigste Frage ist, ob es sich um eine Operation à l’allemande oder à l’italienne handelt ...«

Parker nickte und hörte zu; obwohl sie dieses Thema schon oft und oft besprochen hatten, mußten sie die Sache nochmals durchgehen. Eine Operation auf italienische Art war leichter zu handhaben, denn dabei handelte es sich um eine klare, unumwundene Geldforderung. Bei einer Operation nach deutschem Muster ging es um die Freilassung Gefangener, um soziale und politische Forderungen, die nationale Grenzen überschritten. Sie arbeiteten etwa eine Stunde, bevor sie abermals unterbrochen wurden.

»Guter Gott!« An der Verwendung eines derart emotionalen Ausdrucks ließ sich Kongston Parkers Überraschung ermessen. »Es ist etwas Neues eingetreten ...«

Erst als die BA 070 in die östliche Luftstraße einflog und zum Instrumentalanflug ansetzte, ohne überhaupt die Freigabe der Flugverkehrsleitung einzuholen, wurde dem südafrikanischen Luftwaffenkommando klar, was bevorstand.

Sofort wurde auf allen Luftfahrtfrequenzen der Befehl zur Funkstille ausgegeben, und die anfliegende Maschine wurde mit dringlichen Befehlen bombardiert, den Luftraum des Landes sofort zu verlassen. Es kam keinerlei Antwort. Die Boeing, die nur noch hundertfünfzig Seemeilen vom internationalen Flughafen Jan Smuts entfernt war, reduzierte ihre Geschwindigkeit und begann ruhig und langsam niederzugehen, um in den kontrollierten Luftraum einzufliegen.

»British Airways 070, hier ist die Leitstelle Jan Smuts. Es wird Ihnen ausdrücklich untersagt, in die Platzrunde einzufliegen. Verstehen Sie mich, 070?«

»British Airways 070, hier spricht das Luftwaffenkommando. Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß Sie den nationalen Luftraum verletzen. Sie werden aufgefordert, sofort auf dreißigtausend Fuß zu steigen und Kurs auf Nairobi zu nehmen.«

Die Boeing war nur noch hundert Seemeilen vom Flughafen entfernt und ging soeben auf eine Flughöhe von 15.000 Fuß herunter. »Diamond Eins, hier Cheetah. Zwingen Sie das Zielobjekt zum Abdrehen.«