Der Stein des Anstoßes - Jochen Krohn - E-Book

Der Stein des Anstoßes E-Book

Jochen Krohn

0,0

Beschreibung

Niemand ist jeden Tag gleich gut aufgelegt und manches Mal neigt man vielleicht dazu, Regentropfen zu zählen. Bei anderen Gelegenheiten setzt sich der Frohsinn durch und man könnte Bäume ausreißen … vor Übermut. Für alle Varianten des Lebens gibt es sowohl passende Musik als auch die richtige Lektüre. Ein Querschnitt durch die Tage eines Jahres. Was tut man zum Beispiel, wenn man aus dem Fenster schaut und sieht, auf der Terrasse oder auf dem Balkon liegt ein Stein – des Anstoßes (!) – der dort nicht hinge-hört. Natürlich entfernt man ihn. Tut man das nicht, kann das fatale Folgen haben … Ein bisschen Humor, ein wenig Krimi und ganz viel Lese-futter zum Schmunzeln und Nachdenken. Lehnen Sie sich zurück, genießen Sie die Lektüre und … sich selbst.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 196

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jochen Krohn *1938 in Dresden, verbrachte seine Kindheit in Potsdam.1953 Übersiedlung nach Köln Seine Liebe fürs Schreiben entdeckte Jochen Krohn erst verhältnismäßig spät; wobei kritische, romantische, aber auch humorvolle Gedichte, Erzählungen und Kurzgeschichten, in denen sich sowohl irreale als auch unabänderliche Gegebenheiten widerspiegeln, den Vorrang haben. Dabei wird sowohl offene als auch verdeckte Kritik an unserer Gesellschaft deutlich.

Der Autor lebt mit seiner Frau in Leverkusen.

Dieses Buch enthält Geschichten und Gedichte, die von mir frei erfunden wurden. Auch die Personen sind Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Jochen Krohn ©2019

Inhaltsverzeichnis

Jugendliebe

Freundschaft

Ein sturer Esel

Moral – im weitesten Sinne

Keine Zeit

Erinnerungen

Nach einem ganzen Leben

Der Wolf im Schafspelz

Sommerferien

Moritz

Warten auf Post

Hänschen

Der verirrte Wohnwagen

Große Ferien

Ein einmaliger (!) Tag … hoffentlich!

Das Internet

Zerbrochen

Ist so das Leben? So ist das Leben!

Sechzigster Geburtstag

Der Wetterbericht

Grau wie ein Elefant

Ein paar Gedanken zum derzeitigen Wetter

Mach das Beste draus

Frühlingserwachen

Ein Tag im Mai

Ein Mittwoch im Juni ...

Ein schöner Tag

Ein Sommertag im August

Ein weiterer Sommertag

Der Anruf

Ampelmännchen

Wassermangel

Kleine Fische leben länger

Nachbarn

Opas Ohrensessel

Der Stein des Anstoßes

Wo ist Kurt Maser

Der Parfüm – Freak

Der Überfall

Der ungewöhnliche Heimweg

Ausflug aufs Land

In Bayern unterwegs

Hühnergespräch

Vier Tage Brackenheim … und wie es dazu kam

Hätten wir doch gleich ein Taxi genommen...

Einmal Heide und zurück

Ein Wochenende in Bad Münstereifel

Geburtstagsgedicht für runde

Die kleine Träumerin

Auf Titelsuche

Der Nudelauflauf

Symbole

Die Sprühdose

Ein Getränk bitte!

Arztbesuch

Der Lohn der guten Tat

Nicht, dass wir dahin wollten …

Mitmenschen

Das leere Haus

Der schwarze Hund

Gut getroffen

Im Treppenhaus

Mitten im Wald

Radfahrer

Die gute Tat

Der Reiher im Baum

Der Schrebergarten

Die kleine Waldmaus

Elstern im Baum

Die Fichte

Blumenkinder

Der Ahorn

Winterspaziergang

Er hat’s nicht leicht…!

Jahres(-Zeiten)wechsel

Der Kalender

Eine Hausfrau zum Jahreswechsel

Jugendliebe

Sie kannten sich bereits aus der Schulzeit, getrennt nur durch eine Klasse. Als Klaus die sechste Klasse beendete, wechselte er auf eine weiterführende Schule im Nachbarort. Seine Freundin Beate zog es nach Frankreich – sie wollte die Sprache vervollständigen und fand bei einer Familie mit zwei Kindern Unterkunft für ein Jahr. Der Technik sei Dank, verloren sich Beate und Klaus nicht aus den Augen. Wofür gab es Smartphon oder Skype. Wenn es bei den Jugendlichen auch nicht mehr so angesagt war, griffen beide manchmal noch zu Kugelschreiber und Briefpapier.

Die Zeit ging dahin; Beate war zurück in der Heimat und bekam eine Anstellung in einem großen Unternehmen, in dem auch ihre Sprachkenntnisse gefragt waren. Sie wohnte wieder im Elternhaus, in ihrem alten Kinderzimmer, das jetzt, ein bisschen umgemodelt, zum Jugendzimmer avanciert war. Dank ihres Einkommens war es kein Problem, sich an den monatlichen Kosten zu beteiligen. Nun sahen die Beiden sich wieder öfter und bemerkten, dass die räumliche Entfernung ihnen nicht geschadet hatte. Klaus stieg im Nachbarort ins elterliche Buch- und Pressegeschäft ein. Auch er hauste wieder als Junggeselle in seinem Zimmer unterm Dach im elterlichen Haus.

Die Jahre gingen ins Land; Klaus und Beate hatten zueinander gefunden, so dass sie ihre Liebe mit einem Trauschein besiegelten. Vorher stellte sich die Frage: „Wo wohnen wir?“

Sie diskutierten mit beiden Elternteilen und einigten sich. Auf dem Grundstück von Beates Eltern war noch ausreichend Platz, dort wollten sie anbauen. Die Eltern schlugen einen Flachbau vor; Wohn- und Schlafzimmer, sowie Bad. Zur Küche sollte ein Durchbruch gemacht werden, so dass sie diese gemeinsam nutzen könnten. „Wenn alles fertig ist, dient dieser Teil als Alterssitz und Ihr könntet später noch das Haus nach Eurem Gusto umbauen“, meinten die Eltern.

„Keine schlechte Idee“, sagte Beate, nachdem Klaus ebenfalls einverstanden war.

„Sein Elternhaus könne man, nachdem die Eltern nicht mehr wären, vermieten“, bemerkte Klaus.

*

Beide bekamen kaum mit, wie die Zeit verging. Seine Eltern lebten inzwischen in einer Senioreneinrichtung, da sie sich nicht mehr selbst versorgen konnten und Klaus ließ, wie viele Jahre zuvor besprochen, das Haus renovieren. Dazu gehörte auch die Erneuerung der sanitären Einrichtungen. Nach Fertigstellung vermietete er es an ein junges Ehepaar zu einem günstigen Preis. Er wusste aus Erfahrung, wie schwierig es in der heutigen Zeit geworden war, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Beates Vater hatte vor einigen Monaten das Zeitliche gesegnet und die Mutter lebte in dem Anbau allein. Mit ihrer Rente unterstützte sie ihre Tochter und den Schwiegersohn, da die beiden inzwischen zwei Kinder hatten und Beate nicht mehr arbeiten konnte. Seitdem der Opa verstorben war, sah man die Oma oft im Wohnzimmer am Fenster zur Straße in einem bequemen Sessel sitzen und dem Leben auf der Straße zuschauen.

*

An einem Abend im November, Beates Mutter war versorgt und die Kinder hielten sich nach dem Abendessen in ihren Zimmern auf, als Beate und Klaus im Wohnzimmer saßen und bei einer guten Flasche Rotwein dem Don Kosaken Chor zuhörten. Der letzte Ton war verklungen und beide dachten das Gleiche… sie erinnerten sich an die erste Reise nach Moskau und alles stand gleich wieder bildlich vor ihnen. Klaus schmunzelte versonnen und Beate fragte: „Ist dein Lächeln eingefroren?“

Er zuckte fast ein wenig zusammen. „Nein, ich dachte gerade darüber nach, dass wir im kommenden Monat die letzte Rate bezahlen werden, dank der Beiträge deiner Mutter.“

Als Beate am nächsten Morgen zu ihrer Mutter hinüber ging, blieb sie erstaunt an der Wohnzimmertür stehen. Die Mutter saß in ihrem Ohrensessel am Fenster und schlief.

Mit einem „Guten Morgen Mutti“ begrüßte Beate sie munter … Keine Reaktion. Sie näherte sich dem Sessel und fasste sie an der Schulter. Da rutschte ihre Mutter zur Seite. Beates Schrei hörte man im ganzen Haus. Sie hastete zum Telefon, um den Arzt zu rufen. Der kam umgehend, konnte aber nur noch den Tod der alten Dame feststellen. Als nächstes rief sie Klaus an, der sich bereits an seinem Arbeitsplatz befand. Von Schluchzern unterbrochen berichtete Beate, was passiert war; Klaus reagierte prompt: „Ich komme sofort.“

Daheim angekommen versuchte er, so gut es ging, seine Frau zu trösten. Die nächsten Tage wurden turbulent; zuerst Info an das Beerdigungsinstitut vor Ort. Verwandte und Freunde benachrichtigen und so weiter.

Als sie wieder zur Ruhe kamen und bei einem Glas Wein im Wohnzimmer saßen, fragte Klaus: „Erinnerst du dich an einen Artikel in der Zeitung vor einiger Zeit? Da hatte doch tatsächlich ein Ehepaar die verstorbene Mutter im Sessel am Fenster sitzen lassen bis die nächste Rente fällig war.“

Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Freundschaft

Ulrich freute sich; der letzte Schultag vor den langen Sommerferien. Seine Eltern würden nicht meckern können, das Zeugnis zeigte zufrieden stellende Noten. Er ging demzufolge ganz entspannt nach Hause und freute sich, in wenigen Tagen wieder zu Tante Emilie und Onkel Willi nach Schenkenberg fahren zu können.

Onkel Willi nannte sich Großonkel; er war bereits der Onkel seines Vaters. Wie er sich nannte, war Ulrich egal, Hauptsache er durfte wieder nach Schenkenberg.

In den nächsten Tagen packte man den kleinen Koffer, die Fahrkarte für die Bahnfahrt hatte seine Mutter schon besorgt. Für ein solches Unterfangen reichte das Taschengeld nicht aus.

Große Verabschiedung auf dem Bahnsteig. Ermahnungen, die an Ulrich vorbei liefen, weil er sie ohnehin immer mit auf den Weg bekam. Dann winkten die Eltern noch, als der Zug bereits aus dem Bahnhof fuhr. Allzu weit war es nicht und nach ruhiger Fahrt erreichte er nach etwas über zwei Stunden sein Ziel – den Bahnhof Götz. Der Onkel stand schon auf dem Bahnsteig, um ihn in Empfang zu nehmen. Mit Pferd und Wagen ging es dann ganz gemächlich noch mal eine Stunde weiter bis zum Hof in Schenkenberg in die Gartenstraße. Tante Emilie und die beiden Töchter Elisabeth und Waltraud begrüßten ihn herzlich. Auch Ulrich freute sich auf die Zeit auf dem Hof, doch erst einmal bezog er sein kleines Zimmer im ersten Stock und verstaute die Sachen. Dann stand das Abendessen an. Das dauerte etwas länger, denn es gab viel zu erzählen.

*

Der Tag hatte es in sich – all die vertrauten und doch neuen Eindrücke forderten ihren Tribut. Ulrich schlief unter einem dicken Plumeau wie ein Murmeltier. Den Wecker, der ihn aus den schönsten Träumen riss, hätte er fast überhört. Und zu spät zum Frühstück kommen, das ging gar nicht. Danach zog er sich die mitgebrachten Gummistiefel an und der Onkel zeigte ihm, was es Neues auf dem Hof und in den Ställen gab. Zwei Kühe hatten Kälbchen bekommen; die Gänse hatten sich vermehrt und die Hühner legten immer noch die Eier in die Scheune, bis auf eine Henne. Onkel Willli erzählte, dass dieses Huhn sich eine besondere Stelle ausgesucht hatte… Dieses dumme Vieh verschwand zum Eier legen in der Hundehütte des Hofhundes. „Pfiffi“! „Die Beiden haben regelrecht Freundschaft geschlossen“, meinte Onkel Willi „und wir müssen mit Pfiffi in den Garten gehen, wenn wir an das Ei kommen wollen! Der passt auf und lässt niemanden in die Hütte, wenn das Huhn drin ist.“

In den nächsten Tagen war Ulrich beschäftigt. Er half beim Füttern, Stall ausmisten und neu einstreuen. Nicht, wie heute üblich, wo die armen Tiere auf Brettern oder oft auf einem Boden aus Beton liegen und stehen.

Er suchte auch die Scheune täglich nach Eiern ab, sogar mit Pfiffi schloss er, nach anfänglichen Befürchtungen, Freundschaft. Er durfte, oh Wunder, das Ei aus der Hütte holen, ohne dass Pfiffi auf ihn losging.

*

Die Wochen flogen dahin; ausgefüllte Tage mit Futter besorgen, die fünf Gänse auf dem Platz hinter dem Haus hüten. Und vieles andere mehr. Sogar bei der Tabakernte leistete er dem Onkel hilfreiche Dienste. Die unteren Blätter wurden abgemacht, auf einem Draht aufgespießt und zum Trocknen im Schuppen aufgehängt.

Der Kirschbaum im Garten am Haus trug so viele Früchte, dass sich die Äste unter der Last bogen. In den oberen Ästen durfte Ulrich, mittels einer langen Leiter, beim Pflücken helfen. Ab und an verschwand eine besonders reife Frucht in seinem Mund.

Lecker!

Dann war es schon wieder soweit, der Abschied von Tante, Onkel und den Cousinen nahte. Vier schöne, erlebnisreiche Wochen gingen zu Ende. Ulrich verabschiedete sich von den, ihm lieb gewordenen, Tieren auf dem Hof mit einem Rundgang. Am längsten verweilte er bei Pfiffi, der sich genauso wie Ulrich freute, wenn sie sich sahen. Der sonst so unzugängliche Hund, hatte den kleinen Urlaubsgast fest in sein Herz geschlossen.

Onkel Willi brachte Uli wieder zum Bahnhof und der freute sich, ein letztes Mal mit Pferd und Wagen unterwegs zu sein. Daheim gab es wieder nur stinkende Autos.

Auch der Onkel hatte mit Rührung zu kämpfen. Er winkte noch, als der Zug fast nicht mehr zu sehen war, hatte er doch seine Freude daran, diesen lieben Kerl ein paar Wochen um sich zu haben. Am meisten beeindruckte ihn, wie fürsorglich Ulrich mit den Tieren umging.

*

Im Zug ergatterte Ulrich einen Fensterplatz, so sah er die Landschaft noch einmal an sich vorbei ziehen. Nach knapp zwei Stunden fuhr der Zug in seinen Heimatbahnhof ein; er sah seine Eltern schon und sie winkten sich zu. Nach der herzlichen Begrüßung, freuten sie sich, ihren Sohn wieder in die Arme zu schließen und Ulrich begann gleich zu erzählen. Von seinen Freunden, den Tieren, von dem Hund, der ein Huhn zum Freund hat und von all dem, was er in den vier Wochen erlebte. Ulrich schaute seine Eltern an: „In den nächsten Ferien fahre ich da wieder hin. Freunde muss man doch ab und zu besuchen, nicht wahr?“ Dabei sah er seine Eltern fragend an.

Ein sturer Esel

Im Hochhaus wohnt seit Jahr und Tag

eine Familie, die Vieles nicht mag.

Fenster, die man nicht öffnen kann

Tag und Nacht wummert die Klimaanlage dann

Eines Tages spricht der Familienrat:

Wir bauen ein Haus, weit vor der Stadt.

Auf einem Grund mit viel Grün und Wiese,

die Kinder haben Platz zum Spielen.

Nachdem ein Grundstück nun gefunden,

ging man zur Bank als guter Kunde,

um nach einem Kredit zu fragen

und diesen über Jahre abzutragen.

Das Haus ist alsdann fertig gebaut,

das Grundstück gesichert mit einem Zaun,

eine Holzbrücke gibt es als Zugang zur Straße

über einen Bach, der nennt sich Hase.

Doch die Kinder brauchten Spielgefährten;

da kam den Eltern eine tolle Idee:

Wir schaffen einen Esel an!

Die Kinder sind entzückt,

zum Einkaufen und zur Schule nehmen wir ihn mit…

Doch, oh weh, vor der Brücke macht der Esel stopp,

übers Wasser gehen … nix da, auch wenn man ihn schob!

Tja, und nun war der Esel allein am Tag,

und grämte sich, weil er das nun gar nicht mag.

Eines Tages war es dann soweit…

Der Esel hatte sich allein befreit,

mit Anlauf sprang er übern Zaun

und ist dem einsamen Leben einfach abgehau’n!

Nun, was lernen wir …

Der Esel ist ein Herdentier,

vor allem hat er seinen eigenen Kopf,

wenn’s ihm nicht passt, dann ist er fort.

Moral – im weitesten Sinne

Was ist Moral?

Im Lexikon liest Emil dazu: (lat. mos. „Sitte“) Sittlichkeit, Sitte, sittlicher Geist, Sittenlehre (als solche gleichbedeutend mit Ethik).

Sie, das sind die Klassenkameraden und Emil, sechste Klasse der Grundschule Bornim. Soeben kamen sie aus der großen Pause und noch außer Atem vom Ballspielen; warteten sie auf ihren Deutschlehrer. Als der eintrat, wurde er manierlich begrüßt und er eröffnete seinen Schülern: „Wir schreiben heute einen Aufsatz zum Thema Moral.“

Es dauerte sicherlich ungefähr fünf Minuten, bis sie begriffen hatten: der meint das wirklich ernst!

Hans, der Klassensprecher, meldet sich und als ihm das Wort erteilt wurde, stand er auf: „Bitteschön Herr Schmitt, wie sollen wir einen Aufsatz über die Moral schreiben? Soviel ich mich erinnere“, fragend dreht er sich zur Klasse um: „Nicht wahr Kameraden“ – hatten wir das Thema noch gar nicht behandelt?“

„Natürlich haben wir das“, entgegnet Herr Schmitt, „aber so ist das mit Euch! Nur Fußball und junge Mädchen im Kopf ... ist das vielleicht moralisch? Also gut, schreiben wir heute ein Diktat und zuhause wird der Aufsatz nachgeholt. Dann könnt Ihr gleich Eure Eltern zu Rate ziehen!“ Letzteres kam fast ein wenig ironisch.

So gegen vierzehn Uhr wurden sie dann aus dem Unterricht entlassen und Emil stand vor dem Problem, seine Eltern fragen zu wollen, aber nicht zu können. Beide gingen arbeiten und kamen erst ungefähr gegen siebzehn Uhr nach Hause. Emil überlegte und entschloss sich, alle anderen Aufgaben vorzuziehen und dieses komische Thema erst zum Schluss anzupacken.

Nach etwa eineinhalb Stunden war alles erledigt und Emil machte sich an den Aufsatz. Wie war das doch gleich? Moral gleich Sitte! Hm, Sitte...? Das ist doch alles das, was unsere Eltern und Großeltern überliefert haben. Oder ist das Brauchtum? Er erinnerte sich, seine Eltern sagten bei Tisch immer: Ellbogen vom Tisch beim Essen; setz dich gesittet hin!“ Oder waren das Manieren? Woher soll ein Zwölfjähriger wissen, was ist Moral und was ist Ethik? Ist das nur was für Erwachsene? Oder sollte Emil etwas falsch verstanden haben? Wie dem auch sei, wozu sind Eltern schließlich da ... Emil entschloss sich, jetzt erst einmal etwas spielen zu gehen und dann würde man weitersehen. Oder, überlegte er, hat das vielleicht mit Moral zu tun, wenn ich jetzt spielen gehe und meinen Eltern die Arbeit für meinen Aufsatz überlasse?

Ach was! Es wird sich alles aufklären.

Nachdem die Eltern geschafft von der Arbeit nach Hause kamen, gönnte Emil Ihnen eine kurze Auszeit und wartete mit seinem Anliegen bis nach dem Abendessen. Diese Zeit war die beschaulichste. Alle waren mit Kauen und Schlucken beschäftigt, keiner tadelte oder rief ihn zur Ordnung.

Haben diese Gedanken schon mit meinem Thema zu tun? fragte er sich. Man würde sehen.

Nach dem Essen, die Küche war wieder blank, Mutter nahm sich seiner defekten Strümpfe an, Vater stopfte sich die Pfeife, da kam auch schon die obligatorische Frage: “… wie war es denn heute in der Schule? Zeige uns mal die Hausaufgaben!“

Emil legte die Hefte vor und erklärte: „Es ist alles soweit erledigt, bis ...nun ja, bis auf einen Aufsatz.“

Vater fuhr sofort auf: „Und warum ist der noch nicht fertig?“

Er rückte mit seinem Problem heraus: „Ich soll einen Aufsatz über Moral schreiben“.

„Ja und?“, fragte der Vater zurück, „weißt du nicht, was Moral ist? Ich gebe dir ein Beispiel: Wenn Mutter in der Küche kocht oder spült und du sitzt daneben und guckst zu, das wäre unmoralisch. Anstandshalber müsstest du ihr helfen.“

Emil fragte: „Was hat das alles mit Moral zu tun, wenn ich anstandshalber helfen soll?“

„Gut“, sagte sein Vater, „ein anderes Beispiel: „Wir gehen alle gemeinsam im Park spazieren. Da kommt uns jemand entgegen, der beginnt, deine Mutter zu beschimpfen. Die Moral gebietet, dass wir zusammen halten und deine Mutter beschützen. Denn, wir sind eine Familie und es ist Sitte, dass die zusammen hält!“

„Moral – Sitte....“, sagte er, „muss man nicht erst einmal fragen, warum ein Mensch, wie du sagst, gegen diesen Grundsatz vestößt? Übrigens, wer hat eigentlich festgelegt, was Moral ist? Wenn ich schon nicht begreife, was es ist und ich nehme an auch noch Tausende meiner Mitmenschen, sollte man erst einmal diese Tatsache klären. Und warum wurden die Begriffe, Moral, Sitte, Ethik festgelegt? Wieso verlangt Lehrer Schmitt von uns, über dieses Thema einen Aufsatz zu schreiben, ohne uns zunächst das Warum zu erklären?“

In der Zwischenzeit war Vaters Pfeife ausgegangen; er riss sich ein Zündholz an und beschäftigte sich intensiv mit dem erneuten Anzünden. Oder war es Verlegenheit? Wusste auch Vater nicht zu erklären, was mit dem Begriff Moral gemeint ist? Seine Mutter stopfte immer noch Strümpfe und hielt sich zurück. Meistens teilte sie Vaters Meinung, wie Emil immer fand. So machte er erst gar keinen Anlauf, seine Mutter in das Gespräch einzubeziehen. Als die Pfeife wieder qualmte, versuchte sein Vater am Beispiel unserer Politiker noch einmal, die Moral zu erklären.

„Sieh mal, mein Junge“, hub er an, „das Volk – also wir – wählen alle vier Jahre ein neues Parlament. Die Minister, die aus den gewählten Parteien kommen, sollen uns regieren und in aller Welt vertreten. Damit sie dies tun können, werden sie durch Steuern von uns bezahlt. Wenn diese Leute ihre Position missbrauchen, also sagen wir, sich selber Vorteile verschaffen statt ausschließlich zum Wohle des Volkes zu arbeiten, ist das unmoralisch!“

„Vater“, sagte Emil, „als Beispiel: wenn du acht Stunden in der Firma arbeitest und dann, wenn du nach Hause kommst, noch mal zwei Stunden privat Autos reparierst, dafür bezahlt wirst und dadurch anderen die Arbeit wegnimmst, ist das unmoralisch?“

Überrascht schaute Emils Vater hoch, nahm seine Pfeife aus dem Mund, sie war inzwischen sowieso schon wieder aus, und sagte: „Ich glaube, du könntest beginnen den Aufsatz schreiben.“

Emil überlegte kurz: ist es Sitte, wenn man nicht mehr weiter weiß, ohne erklärenden Kommentar ein Gespräch zu beenden? Vater versuchte, ihm Beispiele zu nennen, aber es lief immer wieder auf die Frage hinaus – ist das unmoralisch?

Wenn man also das Gegenteil von dem tun würde, wäre man dann ein Moralapostel?

Schon wieder eine Frage zu diesem so schwierigen Thema.

Emil setzte sich hin, verarbeitete alle Fragen und Beispiele nach bestem Wissen in seinem Aufsatz und hoffte, die Schulnote würde nicht ganz so schlecht ausfallen.

Keine Zeit

Ilona und Horst galten als das, was man ein erfolgreiches Ehepaar nennt. Sie, Filialleiterin in einem großen Kaufhaus, er, Meister in einem Kfz-Betrieb. Die Finanzen erlaubten ihnen, vor der Stadt ein eigenes Haus zu bauen, umrundet von einer immergrünen Hecke. Das einzige Schlupfloch war der Hauseingang und die Einfahrt zur Garage.

Wochenende! Beide genossen es, einmal gründlich abzuschalten. Ilona werkelte am Abend noch in der Küche, während Horst den Tisch deckte und eine gute Flasche Rotwein öffnete. Ilona kam aus der Küche, um das Abendessen aufzutragen, sah die Flasche Wein auf dem Tisch und fragte Horst: „Gibt es etwas zu feiern?“

Der grinste über beide Ohren. „Ja … man hat mich zum Direktor all’ unserer Werkstätten befördert!“

„Na, dann aber herzlichen Glückwunsch!“ Sie nahm ihren Horst in den Arm und lächelte dabei. Auf seine Frage, was denn nun ihr schelmisches Lächeln zu bedeuten habe, entgegnete sie. „Ich habe auch eine Überraschung für dich.“

„Wie, bist du auch befördert worden?“

„Ja … zur werdenden Mutter!“

Nun war es an Horst, seine Ilona in den Arm zu nehmen und mal fest zu drücken. Gut, dass es zum Abend nur Kaltes zu essen gab – man brauchte es nicht wieder aufzuwärmen.

An diesem Abend gab es noch vieles zu besprechen, wobei zunächst einmal das Sachliche überwog. Absprache mit dem Arbeitgeber; im späteren Stadium der Schwangerschaft eine Haushaltshilfe zu organisieren, Kinderzimmer planen, und so weiter. Es war spät geworden als beide, nachdem alles aufgeräumt war, ins Schlafzimmer verschwanden. – Aufgrund der Schwangerschaft verzichtete Ilona auf ihren Teil des Rotweines. Horst hatte allerdings kein Problem damit, den größeren Part allein zu bewältigen. Höchst zufrieden kuschelten sie sich aneinander und schliefen mit einem Lächeln ein.

*

In den nächsten Monaten wurde im Hause I. und H. Schade fleißig gewerkelt. Das Gästezimmer wurde umfunktioniert und renoviert; ein Kinderbett und ein Wickeltisch mussten her. Ans Fenster kamen kindgerechte Gardinen.

Als Ilona im achten Monat schwanger war, übergab sie ihren Job an eine Vertreterin. Sie wurde langsam unbeweglich; außerdem wollte sie sich in aller Ruhe auf das freudige Ereignis vorbereiten.

An einem Sonntag, dem sechzehnten Februar zweitausendneunzehn kam, gesund und munter, Sohn Andreas zur Welt. Dank eines Vorbereitungskurses für werdende Mütter, an dem auch viele Väter teilnahmen, wurde der Umgang mit dem Neugeborenen zur Freude. Der Kleine entwickelte sich prächtig und das Elternpaar dachte über eine Betreuung nach, wenn sie beide wieder arbeiten mussten. In den letzten vier Wochen vor Andreas’ erstem Geburtstag stellten sich verschiedene Personen mit und ohne Erfahrung vor.

Eine Woche vor dem Ende von Ilonas Auszeit kam Horst nach Hause und verkündete: „Ich glaube, ich habe eine Betreuerin für unseren Sprössling gefunden. Eine unserer Kundinnen erzählte mir, dass ihre siebzehnjährige Tochter nicht so recht weiß, was sie machen soll. Weiter zur Schule will sie nicht, zu einem Beruf kann sie sich noch nicht entschließen, aber daheim rumsitzen möchte sie auch nicht. Ich habe mit ihr vereinbart, ihre Tochter Sabine Übermorgen zu uns zu schicken; wir würden an dem Tag pünktlich Feierabend machen. Wenn sie möchte, wäre auch sie, die Mutter, willkommen. Eltern sollten schon wissen, wo sich ihre Kinder tagsüber aufhalten und mit welchen Menschen sie zusammen sind.“

*

Zwei Tage später, pünktlich um achtzehn Uhr, standen Sabine und ihre Mutter am Gartentor und drückten auf den Klingelknopf. Ein Summen ertönte und die Pforte öffnete sich lautlos. An der Haustür wurden sie von Ilona und Horst freundlich empfangen. Ilona und Sabine begaben sich zur Hausbesichtigung und begannen im Kinderzimmer. Als Sabine vor dem Bettchen stand und Andreas sie anstrahlte, stand der Entschluss fest. Zur weiteren Besprechung setzten sich die Vier ins Wohnzimmer. Ilona und Horst hatten sich bereits zugenickt, als sie Sabine fragte, ob sie sich diese Arbeit zutraute und vor allem, ob auch das Umfeld ihren Vorstellungen entsprach. Nachdem die arbeitsrechtlichen Dinge besprochen: Arbeitsvertrag, Krankenversicherung, Sozialversicherung und Gehalt, schauten alle auf Sabine. Diese nickte und auch ihre Mutter war froh, ihre Tochter endlich in einer zufrieden stellenden Arbeitsstelle untergebracht zu haben. Bei der Verabschiedung am Gartentor wurden die Beiden wie selbstverständlich zu Andreas erstem Geburtstag eingeladen.

*