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Es wird bunt in Deutschland: Coronavirus, Affenpocken, Tomatengrippe … Doch davon finden Sie nichts in diesem Buch. Man sollte nämlich auch in Corona-Zeiten schmunzeln können… Im Gegenteil, es ist für jeden etwas vertreten. Komisch – wo sind denn nur die Herren abgeblieben, die unsere Nachbarinnen seit geraumer Zeit besuchten? Oder, wer zum Teufel, hat auf einen ganzen Kilometer einen Weidezaun umgenietet und ist einfach abgehauen? Na ja, Unfallflucht ist inzwischen zum Volkssport geworden, aber in dieser Geschichte nimmt das Beicht(stuhl)geheimnis eine wahrlich beeindruckende Wendung. In diesem Sinne: weiterhin Mut und zum Abschalten eine Lektüre, mit der wir in eine andere, heilere Welt eintauchen können. Jochen Krohn
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Seitenzahl: 281
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Jochen Krohn *1938 in Dresden, verbrachte seine Kindheit in Potsdam. 1953 Übersiedlung nach Köln.
Seine Liebe zum Schreiben entdeckte Jochen Krohn erst spät; wobei kritische, romantische, aber auch humorvolle Gedichte, Erzählungen und Kurzgeschichten Vorrang haben. Dabei wird sowohl offen als auch verdeckt Kritik an unserer Gesellschaft deutlich.
Jochen Krohn versteht es auch, mörderische Geschichten so zu verpacken, dass man beim Gruseln eher schmunzeln muss.
Das zeigt unter anderem die Geschichte Zwei feine Damen…
Der Autor lebt mit seiner Frau in Leverkusen.
Dieses Buch enthält Geschichten und Gedichte, die von mir frei erfunden wurden. Auch die Personen sind Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Jochen Krohn ©2022
Seine Stadt
Stadtgeflüster
Eigentum verpflichtet
Eine unglaubliche Geschichte
Eine Zahlenspielerei
Wie das Leben so spielt
Keine schöne Behausung
Eine Sonntagsgeschichte
Standfest
Das Beicht(stuhl)geheimnis
Werbung
Kann das jedem passieren?
Wochenende
Ein Häufchen
So ein Hund
Zwei feine Damen
Vier Leichen … und keiner war’s
Das glaub’ ich nicht
Der Dorfpolizist
Wetteran- und Aussichten
Regenschlacht
So ein Irrtum
Geldbeschaffung
Warten auf Besserung
Ein Schutzengel
Ein gemütlicher Abend
Der alte Brunnen
Ein Stückchen Stoff
Abgetaucht
Und dann ging das Licht aus
Auf Titelsuche
Der Fall Kaschinsky
Thekengespräch
Die defekte Kühltruhe
Eine Kahnfahrt
Wenn die Töchter Schicksal spielen
Regenwetter
Carmen
Das Samenkorn
Anhalten bitte
Tomatenanbau
Zivilcourage
Arbeitslos – und was nun
Abriss
Auf’m Weihnachtsmarkt
Es ging ein Mann durch seine Stadt
Die einst vielen Menschen Arbeit gab
Mit Rathaus, Gericht, Gefängnis und Polizei
Mit Schulen und exklusiven Geschäften allerlei
Einem Bahnhof mit gar vielen Gleisen
In alle Welt konnte man verreisen
Es rollten die Güter in der Nacht ganz schnell
Zu Zügen wurden sie zusammengestellt
Der Reparaturbetrieb lief reibungslos
Die Menschen verdienten gutes Moos (Geld)
Was ist aus seiner Stadt geworden
Leer stehende Geschäfte allerorten
Den Fahrkartenschalter machten sie einfach zu
Keine Auskunft mehr, ein Automat steht da nun
Auch Gleise gibt es nicht mehr viele
Auseinander geschweißt wurden die Lokomotiven
Die Menschen, die einstmals hier Arbeit fanden
Zerstreuten sich im ganzen Lande
Und dann das größte Trauerspiel
Seine Stadt in die Hände des Nachbarn fiel
Noch schlimmer kam es in letzter Zeit
Die große Stadt Köln schluckte die Polizei
Nun freuen sich auch noch die Ganoven
Es bleibt keine Zeit mehr, sie zu verfolgen
Was ist positiv ihm aufgefallen
Es gibt noch eine Postfiliale
Wie lange noch – das weiß er nicht
In den Orten drumrum ist schon alles dicht
Ein Haus mit Bekleidung steht noch am Ort
Ein Strumpfgeschäft und eines mit Stoff
Zwei richtige Metzgerläden hat er auch noch gefunden
Einen reinen Bäckerladen sucht er seit Stunden
Fabriken liefern heute den fertigen Teig
In jedem Laden steht ein Backautomat bereit
Was ist geblieben, wie in alter Zeit
Ein paar Kneipen, über den Ort verteilt
Auch ist ihm da noch aufgefallen
Die Kunst hat sich in der Stadt gehalten
Es gibt nach wie vor einen Bücherladen
Und in einigen Läden kann man Bilder haben
Doch ein Teil der Stadt hat bis heute Glück gehabt
Ob vielleicht nur wegen des Wupper-Verband’s
Nicht umgeleitet – nicht zugedeckt
Fließt sie weiter in ihrem alten Bett
Das gibt Hoffnung für seine Stadt
Sie noch nicht ganz verloren hat
Und wenn er dann geht in Pension
Freut er sich doch, in seiner Stadt noch zu wohn’.
Es war schon dunkel als Klaus aus dem Kino kam; dicke Wolken zogen am Himmel in rasender Geschwindigkeit an unserem Erdtrabanten vorbei. Gerade lachte ihm der volle Mond noch ins Gesicht; gleich darauf verschwand er wieder. Durch die Sparwut der Politiker konnte man auf dem Gehweg kaum etwas sehen; Laternen gab es genug, nur hatte man sie mit einem roten Streifen versehen. Das bedeutete: um zweiundzwanzig Uhr wurden sie ausgeschaltet. Sparen war Klaus in Fleisch und Blut übergegangen; er lief zu Fuß, statt mit dem Bus oder gar mit einem Taxi zu fahren.
Klaus wollte eine Abkürzung durch die Felder nehmen, als er stehen blieb und sich mit der Hand über die Augen fuhr. Im Mondlicht sah er, weit weg und schemenhaft, eine Stadt. Mit einer richtigen Mauer herum; sogar eine Kirchturmspitze guckte oben raus. Eine Fata Morgana?
Gab es die eigentlich immer schon? Das musste er genauer untersuchen. Klaus wich vom Wege ab und ging querfeldein darauf zu. Je näher er kam, desto bedrohlicher empfand er die Umgebung. Hörte er in der Ferne eine Stimme?
Er blieb abermals stehen und horchte angestrengt. Da… da war sie wieder. Hilfe – Hilfe!!!, rief jemand. Offensichtlich war dort ein Mensch in Not. Klaus ging einen Schritt schneller. Jetzt wurden die Worte deutlicher. Hilfe! Ich werde ermordet! – die Stimme war eindeutig weiblich. Er ging ein Stück an der Stadtmauer entlang. Nirgendwo ein Eingang. Doch halt, da war ein dickes, eichenes Tor, an dem er heftig rüttelte. Doch es tat sich nichts. Jetzt besann er sich auf seine außergewöhnliche Gabe und marschierte einige Schritte zurück, nahm Anlauf, breitete die Arme aus und schwebte wie ein Vogel über die Begrenzung. Weit hinten sah er ein erleuchtetes Fenster, dahinter zwei Figuren, die miteinander rangen. Klaus nahm Kurs darauf, zog den Kopf ein und stand plötzlich zwischen den beiden Kämpfenden. Er schrie den Angreifer an: „Lass die Frau in Ruhe“ und wollte ihm zugleich das Messer aus der Hand schlagen. Der Mann, mit einer Maske vor dem Gesicht, drehte sich um und stieß Klaus das Messer entgegen. Wieder schrie er auf und … fiel mit einem dumpfen Schlag aus dem Bett!
Blitzartig war Klaus wach.
„Was schreist du denn mitten in der Nacht hier herum?“, fragte seine Mutter, die im Türrahmen stand. „Und was suchst du auf der Erde, statt in deinem Bett zu schlafen?“
„Ich habe irgend etwas Blödes geträumt“, murmelte er, schlurfte nachdenklich aufs Örtchen und legte sich anschließend wieder hin. Durch die Ritzen des Rollos grinste ihn hinterhältig der Vollmond an…
*
Es trafen sich nach langer Zeit
Die Petra und die Adelheid
Nach dem Hallo und wie es so geht
Jede staunend vor der Anderen steht…
Beide schauen auf Frisur und Gewandung
Dann beginnen sie mit der Befragung
Fragt Adelheid zu Petra gewandt:
Du siehst schlecht aus – bist du krank?
Ich hab da ein Problem, erwidert sie
Meine Finanzen stehen schlecht wie nie
Die Häuser, sie sind beide alt
Ich müsste sie sanieren halt
Warum? Fragt Adelheid zurück
Ich kenne da ’nen tollen Trick
Die Zuschüsse aus Steuergroschen
Sind doch sicher längst erloschen
An einen Investor verkaufst du alles
Schon sind die Sorgen weg – ich sag’ es
Den Erlös legst du dann an
Und von den Zinsen…
Kannst du leben und wieder grinsen
Verantwortung für die Familien?
Sollen sie doch kaufen, die Immobilien
Und ob sie dazu in der Lage sind
Ist dann nicht mehr dein Bier – mein Kind!
Petra meint zu Adelheid
Was machen dann die armen Leut’
Die kaum die Miete können zahlen
Und keinen Euro haben zum Sparen?
Und die, die schon ewig bei mir wohnen?
Soll ich sie mit einem Auszug belohnen?
Die Adelheid dann zu ihr spricht –
Hast du nun Sorgen oder nicht!
Deine Lage ist kein Einzelfall
Menschen verkaufen Häuser überall
Sogar ganze Siedlungen werden verschoben
Politiker sich dafür auch noch loben.
Bei Petra glätten sich die Sorgenfalten
Sie spricht… ein Haus werde ich behalten
Mit dem Erlös des Einen werde ich das Andere
In ein kleines Schmuckstück verwandeln
Gut, dass wir beide uns getroffen
So bleiben ein paar Sorgen weniger offen
Wir sollten uns viel öfter sehen
Versprachen sie sich – beim Auseinandergehen
Nach einer wahren Begebenheit…
Es begab sich im Februar des Jahres 2007; der Monat war wärmer als üblich… Ich glaubte eigentlich, dass in unserem Land ein solches Vorkommnis nicht möglich sei – oder vielleicht doch?
Bei der Feuerwache ging morgens gegen neun Uhr dreißig ein Notruf ein. Eine junge Frau meldete, ihre achtundsiebzigjährige Mutter hätte plötzlich starke Kreuzschmerzen und bekäme schlecht Luft. „Wir schicken einen Krankenwagen“, bekam sie zur Antwort. Zehn Minuten später fuhr ein Rettungsfahrzeug, ohne eingeschaltetes Blaulicht und ohne Sirene, vor.
In der Unfallstation des Hospitals wurde sie von einer Krankenschwester in Empfang genommen. „Kreuzschmerzen“, murmelte sie, „dafür kommen die Leute heute schon zu uns…!“
Kurz darauf erschien der Dienst habende Arzt und befragte die Patientin bezüglich ihrer Beschwerden genauer.
„Der Rücken und der linke Arm schmerzt“, antwortete die Frau. „Ich bin aber nicht gefallen.“ Sie hatte kaum ausgesprochen als sie aufstöhnte: „Oh Gott – mir wird so übel; ich glaube ich muss mich übergeben.“
Noch ehe jemand eine Brechschale zur Hand hatte, war es schon passiert und der Mageninhalt ergoss sich auf den Fußboden. Abgesehen von dem unerträglichen Geruch, hatte er eine äußerst seltsame Farbe. Rötlich…
Der Arzt wetterte los: „Was haben Sie denn am frühen Morgen gegessen?“
„Nudelsuppe und Rotwein; so frühstücke ich immer!“
Der Doktor schaute die mitgekommene Tochter der Patientin an und fragte sie, wie sie das denn zulassen könne.
Die wiederum bemerkte etwas schnippisch zum Arzt: „Ich wohne zwar im gleichen Haus, in der ersten Etage und habe heute zufällig frei – aber ich bin nicht das Kindermädchen meiner Mutter.“
„Das ist aber doch kein normales Frühstück! Nun, aber was ist heute schon normal?“
Noch während der Arzt weiter diskutierte, statt endlich eine eingehende Untersuchung einzuleiten, fiel die Patientin von der Trage. Jetzt entstand Hektik. Die Frau wurde wieder hochgehoben und auf den Untersuchungstisch gelegt. Nach Abschluss der Untersuchung konnte der Arzt nur noch ihren Tod feststellen – Ursache: Herzinfarkt!
Der Fahrer, der den Rettungswagen vom Roten Kreuz fuhr, änderte im Nachhinein seine Transportpapiere. Fahrt mit Blaulicht, aber ohne Sirene. Man kann ja nie wissen, dachte er …
Diese Geschichte ist genauso vorgefallen und ich denke, der Tod der alten Dame wäre zu verhindern gewesen. Auch wenn das Frühstück Nudelsuppe und Rotwein sicher nicht üblich war, hätte man jedoch die Aussage Schmerzen im linken Arm und im Rücken richtig gedeutet, würde sie gewiss noch leben.
Ich erinnere mich, dass es in Deutschland vorkam, dass ein Patient, der mit einem Krankentransport eingeliefert werden sollte, mit den Worten wir sind belegt abgewiesen wurde. Der Fahrer und seine Begleitung mussten das nächste Krankenhaus ansteuern…
Da kann sich ein Patient wohl glücklich schätzen, sollte er in einem, nach den neuesten Erkenntnissen eingerichteten, Wagen befördert werden und an einen Arzt geraten, der nicht nur kompetent ist, sondern die Beschwerden seines Patienten ernst nimmt… auch wenn dieser nur gesetzlich krankenversichert ist!
1,2,3,4,5,6,7,8,9,10
die Zahlen für sich allein geseh’n
und auch hintereinander gelesen
sind es zehn Zahlen nur gewesen
Doch ein kleines Kreuz zwischen der Zahl
verändert alles kolossal
und ich finde es ganz witzig
plus 15 sind’s genau dann 70!
Teilt man die 70 nun durch zehn
eine berühmte Zahl bleibt stehn
unmöglich alles aufzuzählen
nur einige werde ich erwähnen
Die 7 Weisen – die 7 Weltwunder
7 Bitten des Vaterunser
7 Tugenden und 7 Todsünden
da gibt es vieles zu ergründen
Es gibt die 7 Wochentage
auch im Märchen gibt’s sie – ohne Frage
die 7 Geißlein, die 7 Raben
und es gab 7 Schöpfungstage
Nun genug der Zahlenspielerei
Denn dazu fällt mir nichts mehr ein
Ein kleines Kreuz, jetzt etwas schräg
Zwischen 7 und 10…
Schon macht die 70 wieder ihren Weg!
Roswitha und Jürgen wagten einen Neuanfang; beide Ehen waren aus unterschiedlichen Gründen gescheitert. Ein gütiger Mensch, der in Dünnwald Eigentum besaß, überließ ihnen ein Zimmer mit Bad zu einer erschwinglichen Miete. Sie besaßen jeder nur ein paar persönliche Sachen, die alle in einem Schrank Platz fanden. Ein etwas breiteres Bett, ein Nachtschränkchen und eine zweiflammige Elektrokochplatte, die auf einer kleinen Leiter stand, komplettierten die Einrichtung.
Geld war natürlich Mangelware, die Anwaltskosten, Unterhaltszahlungen und vieles mehr, zehrten am Geldbeutel. Aber, so dachten sie, wir arbeiten ja in Unserem Werk, da wird sich schon eine Wohnung finden lassen. Zumal es früher – wie sich das anhört – dort ein Büro gab, das etliche werkseigene Wohnungen betreute.
Sie besorgten sich einen Antrag, füllten ihn aus, schickten ihn ab und begannen zu warten. Nach ein paar Wochen wurde Jürgen im Betrieb angeschrieben, er möge doch im Wohnungsbüro vorstellig werden.
Die erste Frage des Mitarbeiters in der Vergabestelle lautete dann auch: „Sind Sie verheiratet? Dann habe ich etwas für Sie.“
Spontan antwortete Jürgen: „Noch nicht. In etwa vier Wochen ist es soweit.“
„Gut. Wenn Sie mit der Heiratsurkunde wiederkommen, können wir darüber reden.“
Als er am Abend mit dieser Nachricht nach Hause kam, war ihm ein wenig mulmig. Hatte er doch über Roswithas Kopf es als Tatsache verkauft, dass sie heiraten würden und auch noch so bald. Roswitha schaute ihren Jürgen an und grinste. „Ja dann müssen wir wohl. Bei uns hat das nur eine andere Bedeutung als allgemein bei dem Wort müssen angenommen wird.“ (Dabei sollte man wissen, dass es in den neunzehnhundertsechziger Jahren keine Wohnung gab, wenn man nicht verheiratet war).
Acht Wochen später – es hatte doch ein wenig länger gedauert – konnten sie sich dann eine Wohnung anschauen. Um die siebzig Quadratmeter sollte sie sein. Zwar nur mit einem Wannenbad, aber damit konnte man zunächst mal leben. Mit dem Vormieter machten sie aus, dass sie die Tapete besorgen würden – darum brauchte er sich nicht zu kümmern. Der allerdings übernahm die Renovierung; auch das war damals noch so.
Also zogen die Beiden los, Tapete besorgen. Ihnen wurde ein Geschäft in Schlebusch empfohlen. Das klappte. Auch mit der Lieferung in ihre neue Wohnung. Per Anruf informierte man sie, dass die Wohnung nunmehr renoviert sei und sie sich den Schlüssel abholen könnten.
Als sie dann ihre neue Bleibe besichtigten, traf Roswitha fast der Schlag! Das Wohnzimmer war mit himmelblauer Lekrustatapete beklebt. Auf die Frage warum, kam die Antwort prompt: „Das wurde so geliefert. Wir haben zwar gedacht, dass Sie einen komischen Geschmack haben, aber darüber lässt sich ja bekanntlich streiten oder auch nicht.“
„Hätten Sie uns doch mal angerufen“, bemerkte Jürgen.
Mit der Rechnung marschierten sie am nächsten Tag in den Tapetenladen. Nach eingehender Prüfung gaben die Inhaber zu, dass ihnen wohl ein Versehen unterlaufen sei. Die von Roswitha und Jürgen ausgesuchte Ware lag neben der gelieferten. Vergriffen!
Man einigte sich darauf, den Schaden unentgeltlich zu beheben. Leider machten es sich die Mitarbeiter der Firma denkbar einfach. Sie überklebten die falsche Tapete. Vielleicht sahen sie es positiv… es diente zur Isolierung der Außenwand.
*
Die Jahre vergingen. Man lebte in einer relativ guten Hausgemeinschaft. Einen Querulanten gibt es überall, den der Kinderwagen, das Fahrrad oder im Winter der Schlitten im Treppenhaus stört. Auch wurde viel und gerne umgestaltet; zum Beispiel Decken verkleidet, Bäder bekamen neue Kacheln, und so weiter. Einmal passierte es, dass Samstagabend noch gebohrt wurde. Es war Sportschauzeit und Jürgen verstand am Fernseher kein Wort mehr. Eine kräftige Schimpfkanonade im Treppenhaus beendete diesen Lärm schlagartig.
*
Irgendwann verkauften die Werksoberen die komplette Siedlung an eine Versicherung. Für die Mieter änderte sich angeblich nichts. Vorläufig.
Eines schönen Tages, Jürgen und Roswitha kamen von der Arbeit nach Hause und leerten den Briefkasten. Bei Durchsicht der Post fand er einen Brief von einer ihm unbekannten Wohnungsgesellschaft. Darin wurde ihnen mitgeteilt, dass die Wohnungen ab sofort dieser Gesellschaft gehörten und sie würden demnächst in Eigentum umgewandelt. Zum Trost, las Jürgen zwischen den Zeilen, hätten die jetzigen Mieter Vorkaufsrecht.
„Na toll!“ Das fand auch Roswitha als sie dieses Schreiben gelesen hatte. Ihre erste Reaktion: „Wir wollten nie Eigentum und eine Eigentumswohnung gleich gar nicht. Und was nun? Wir wohnen seit achtzehn Jahren hier! Wer denkt denn an so was.“
Jürgen beruhigte seine Frau zunächst einmal: „Gemach! Raussetzen kann uns ja so schnell keiner.“
„Hast du eine Ahnung! Es braucht nur jemand die Wohnung zu kaufen und Eigenbedarf anzumelden… Ruck, zuck kannst du dir was anderes suchen!“
Diese Ahnung sollte sich bestätigen. Als feststand, dass der Kauf für sie nicht in Frage käme, erschien ein Käufer, der den Zuschlag erhalten hatte und erhöhte im darauf folgenden Monat die Miete um fünfzig Prozent!
Am darauf folgenden Wochenende waren die Beiden bei ehemaligen Arbeitskollegen eingeladen. Natürlich drehten sich die Gespräche immer wieder um die Wohnung. Plötzlich stand der Hausherr auf und ging zum Telefon. Nach dem Gespräch nahm er wieder Platz, schaute Roswitha und Jürgen an und sagte: „Ich habe was für Euch.“
„Wie – du hast was für uns?“, kam es wie aus einem Mund.
„Ja. Ich habe gerade mit unserem Vermieter gesprochen. Die Wohnung über uns – genauso groß wie diese – wird zum März frei. Die könnt Ihr haben. Morgen Abend trefft Ihr Euch mit dem Besitzer. Solltet Ihr Euch sympathisch sein, unterschreibt Ihr; dann werden wir Nachbarn.“
Es klappte tatsächlich. Sie bekamen die Wohnung. Zwar lag die Miete um Etliches über dem, was sie bislang zahlten, doch sie verdienten gut und hatten nun außerdem noch zwanzig Quadratmeter mehr.
Wie das Leben so spielt. Kurze Zeit nach ihrem Einzug erkrankte der Vermieter schwer und verstarb.
Die Mieter wechselten; vor allem im Nachbarhaus. Das machte viel Arbeit und Kummer; so wurde es in den Jahren der Besitzerin zuviel.
Jürgen und Roswitha wohnten nun schon sechzehn Jahre in dieser Wohnung und fühlten sich s..wohl. Roswitha hatte Geburtstag und das Telefon stand an dem Tag nicht still. Alle nutzen die neuen Medien. E-Mail und Fax; immer weniger Menschen schreiben mal eine schöne Karte… dachte sie, als wieder das Telefon bimmelte.
Sie nahm den Hörer ab. „Hallo! – Oh, hallo … Frau Römer. Das ist aber eine Überraschung.“ Im Laufe des Gesprächs stellte Roswitha fest, die Vermieterin wollte ihr gar nicht gratulieren. Vielmehr wartete sie mit einer nicht ganz so erfreulichen Botschaft auf. Sie sei schwer krank, hätte mit ihren Kindern gesprochen und deren Einverständnis eingeholt… Die Häuser werden verkauft!
Jürgen sah, wie seine Frau etwas konsterniert in den Hörer lauschte und eine leichte Blässe über ihr Gesicht zog. Sie betätigte den Knopf zum Mithören und Jürgen lauschte stumm dem Gespräch. Drei Tage später sollten sie sich einen Termin freihalten. Frau Römer wollte mit einem Menschen von der Bank kommen, um die Wohnung zu besichtigen. Als Roswitha wieder aufgelegt hatte, erinnerten sich beide an den Verkauf ihrer letzten Wohnung. „Und was machen wir jetzt?“
Jürgen meinte: „Wir warten erst einmal ab. Sechzehn Jahre sind ja nicht so einfach vom Tisch zu wischen, obwohl… heute geht es nur noch darum, Geld zu machen; die soziale Komponente bleibt auf der Strecke. In acht Tagen treffen wir uns mit Freunden; wer weiß, vielleicht finden wir da wieder eine Lösung.“ Doch der Geburtstagsabend hatte einen Knacks bekommen.
„Weißt du was?“, meinte Jürgen ganz spontan, „wir weihen jetzt unsere neuen Sektgläser ein. Zuerst trinken wir auf dich und dann auf den neuen Eigentümer. Man soll ja immer erst einmal an das Gute im Menschen glauben!“
Staunend schaute Roswitha ihren Mann an. „Du bist und bleibst ein Optimist. Na dann… Zum Wohl!“
*
Mit dem neuen Eigentümer wurde es dann so eine Sache …
Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Er buddelte für sein neues Haus
Zielsicher eine Grube aus
Um später dann darin zu wohnen
Und sich von schwerer Arbeit zu erholen
Er kam zu Kräften und begann
Zu graben einen neuen Gang
Traf sich auch mit Gleichgesinnten
Bei der Suche, Nahrung zu finden
Keiner sah, was über der Erde geschah
Plötzlich war der Regen da
In die Behausung drang er ein
Er musste sich ganz schnell befrei’n
Überall sah man ihn nun
Den nass gewordenen Regenwurm
Denn eine Haustür war ihm fremd
Zu seinem dunklen Appartement
Doch nun gab es ein Problem
Von weitem hatte er ein Huhn geseh’n
Und das kam mit offenem Schnabel
Es wollte ihn als Mahlzeit haben
Als der Hühnerschnabel kurz über’m Wurm
Kam zum Regen noch ein Sturm
Eine Bö erfasst das Huhn
Es ließ ab vom Regenwurm
Der wiederum raffte sich auf
Und schlängelte sich im Dauerlauf
Zu einem Reisighaufen hin
Ruckzuck verschwand er flugs darin
Die Erde darunter war noch trocken
So konnte das Würmchen still frohlocken
Dass das Huhn nicht wieder da
Bis ein neues Loch gegraben war
Es gibt Tage, da bleibt man besser im Bett. Am Abend zuvor war es etwas später geworden; Axel wollte nur ein paar frische Kölsch in seiner Stammkneipe trinken. Aber wie das so ist! Einige Kumpels standen an der Theke und alle guten Vorsätze waren dahin!
Jetzt wurde er wach, weil es im Bauch zwickte. Das letzte Bierchen war wohl doch schlecht; er quälte sich aus dem Bett und hielt sich den Kopf. In dieser Haltung schlurfte er ins Bad, hoffte, dass seine Frau ihn nicht beobachtete und ließ sich aufatmend auf der Toilette nieder. Dann griff er zum Toilettenpapierspender und, um es mit Jürgen von der Lippe zu sagen: ha, wo ist das Papier…?
Seine Hilde wollte er nun nicht gerade wecken, deshalb schaute er zum Ablageplatz für die Papiertaschentücher. Gott sei Dank, dass da immer ein Vorrat greifbar war.
Axel wanderte wieder ins Bett und blickte kurz auf den Wecker. Zweieinhalb Stunden blieben ihm noch bis zum Aufstehen. Und im Nu war er wieder eingeschlafen. Er träumte gerade von Sonnenschein und netten Mädchen am Strand, als es neben ihm klingelte. Die Augen noch halb geschlossen, hob er den linken Arm in Richtung Wecker. Statt jedoch die Weckuhr abzustellen, wurde die Musik lauter. Mist… falschen Knopf erwischt, dachte Axel.
Nach der Morgentoilette dackelte Hilde in die Küche und bereitete das Frühstück vor. Axel zog sich eine Jacke über und machte sich auf den Weg zum Kiosk, um die Sonntagslektüre zu holen. Den Schlüsselbund noch in der Hand, ging er langsam durchs Treppenhaus, steckte den Haustürschlüssel ins Schloss und wollte aufschließen. Nicht nötig. Es war gar nicht abgeschlossen. Axel trat auf den Gehweg. In dem Moment öffnete Petrus seine Schleusen. Verfl… – zurück in die Wohnung, den Schirm holen. Als er dort ankam, fragte Hilde zu allem Überfluss, ob er schon wieder zurück sei. „Es regnet“, grummelte er, nahm den Schirm und verschwand erneut.
Nach fünf Minuten erreichte Axel das Büdchen. Nanu? Dunkel! An der Eingangstür prangte ein großes Schild mit den Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von … bis; Samstag und Sonntag von sieben Uhr dreißig bis…
Axel guckte auf seine Uhr. Acht Uhr zwanzig. Wieso ist hier noch zu? Haben die vielleicht verschlafen?
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als weitere fünf Minuten Fußmarsch unter die Schuhsohlen in Kauf zu nehmen und durch den Regen zur nächsten Tankstelle zu pilgern. Wieder daheim durfte er sich, trotz des Schirms, erst einmal umziehen. Hose, Hemd und Jacke waren pitschnass. Am Frühstückstisch sagte Axel dann zu seiner Frau: „Ich muss Morgen mal fragen, wann die sonntags öffnen. Das war schon das zweite Mal, dass ich vor verschlossener Tür stand. Sollen die doch das Schild ändern, wenn sie später aufmachen.“
Von nun an schien alles glatt zu laufen. Er las in Ruhe seine Zeitung, brauchte sich ausnahmsweise mal nicht über den Bericht seines Fußballvereins zu ärgern und löste die Rätsel. Ihren üblichen Spaziergang wollten Hilde und Axel, in der Hoffnung, dass es zwischenzeitlich aufgehört hatte, zu regnen, nach dem Mittagessen machen.
Jetzt konnte Hilde die Zeitung lesen und Axel verzog sich in die Küche. Es sollte zu Mittag Salzkartoffeln, Putenschnitzel und Paprikagemüse geben. Zuerst stellte er sich alle Gerätschaften zurecht und begann mit dem Kartoffelschälen. Dann kamen die Zwiebeln an der Reihe und Axel ärgerte sich einmal mehr, dass fünfzig Prozent davon Abfall war. Seit die Zwiebeln nicht mehr wie früher trocken, sondern im Kühlhaus gelagert wurden, musste man die Hälfte wegschneiden, weil sie faulten.
Nachdem die Paprika gewaschen, entkernt und geviertelt waren, begann er, sie in feine Streifen zu schneiden.
„Hast du den Artikel über die Eisbären gelesen?“, fragte Hilde aus dem Wohnzimmer.
Alex schaute einen Moment hoch. „Ja und was ist damit? Autsch!“ Aus einem feinen roten Streifen an seinem Daumen tropfte ein wenig Blut.
„Was ist passiert? Soll ich kommen?“
Axel hatte aber schon den Kaltwasserhahn aufgedreht und hielt den Finger unter den Wasserstrahl. „Ein Pflaster wäre nicht verkehrt!“, rief er ihr zu.
*
Nach dem Essen, die Küche war wieder in Ordnung, hörte es tatsächlich auf zu regnen. Ein paar dunkle Wolken hingen noch am Himmel und sie vergaßen auch nicht, den Regenschirm mitzunehmen.
Auf der Straße hatten sich einige Pfützen gebildet und sie achteten darauf, dass nicht gerade ein Auto angefahren kam, wenn sie an einer solchen Wasserlache vorbei mussten. Beim Bummel durch die Stadt blieb Hilde an einem Schaufenster stehen. „Schau mal Axel, die haben hier wirklich schöne Schmuckstücke liegen...“
Beide betrachteten intensiv die Auslagen und es kam, wie es an diesem Sonntag kommen musste. Schon von weitem hörten sie das Martinshorn, und das Tatütata kam rasch näher. Auf ihrer Höhe begegneten sich zwei Fahrzeuge und fuhren dicht an den Straßenrand. Axel und Hilde hatten keine Chance!
Der Gulli musste wohl mit Laub verstopft sein, so dass kein Wasser abfließen konnte. Der nächste PKW da preschte durch und, die schmutzige Brühe gelangte bis zu ihnen. Schuhe und Hosen der Beiden machten Bekanntschaft damit. „Gut, dass wir uns nicht fein sonntagsmäßig angezogen haben“, knötterte Hilde und sie machten sich missmutig direkt auf den Heimweg.
In der Wohnung angekommen, zogen sie die Schuhe bereits vor der Tür aus und sahen den Anrufbeantworter blinken. Trotzdem schlüpften sie erst einmal in frische Sachen. Axel ging in die Küche und präparierte die Kaffeemaschine; Hilde ging zum Telefon und drückte auf den Knopf. Eine quäkende Stimme verkündete: Sie haben sechshundert Euro gewonnen. Die Summe wird Ihnen auf der Veranstaltung blablabla persönlich… Weiter kam diese Stimme nicht. Hilde legte auf und meckerte: „Nicht einmal an einem Sonntag können die Gauner einen zufrieden lassen!“
Der Rest des Tages verlief ohne weitere unvorhergesehene Dinge. Als Hilde etwas maliziös auf den vorangegangenen Abend anspielte murmelte Alex nur: „Es wäre gescheiter gewesen, ich wäre heute erst am späten Nachmittag aufgestanden…!“
*
Unerschütterlich steht sie am Straßenrand
Bei jedem Wetter – im Sonnenschein und Regenwand
Auch im Winter bei Eis und Schnee
Sieht man sie steif und ruhig da steh’n
Sie blickt auf die Menschen, die des Weges eilen
Andere, die unter ihr verweilen
Eventuell, um sich zu treffen
Oder bei der Orientierung im Ort zu helfen
Sie erträgt so manchen Zeitgenossen
Der sie umarmt, weil er besoffen
So mancher Vogel auf ihr landet
Hunde suchen bei ihr nach Verwandten …
Sie muss auch Schmierereien ertragen
Man hängt Plakate auf, ohne zu fragen
Manch eine wird gar sehr geschunden
Verkehrsschilder und Papierkörbe werden ihr umgebunden
Nun weiß ein jeder, von wem die Rede ist
In dunkler Nacht spendet sie Licht
Manch einem sie das Schlafzimmer erhellt
Weil man die Straßenlaterne vor sein Fenster gestellt.
Gerade als Anton sich die Jacke anzog, fing es an zu regnen. Es war Melkzeit und er wollte von der ungefähr einhundert Meter entfernt liegenden Weide seine Kühe in den Stall holen. Es war erst gegen halb vier Uhr nachmittags, als eine Wolkenwand den Himmel verdunkelte. Vorsichtshalber schnappte Anton sich den Friesennerz und zog ihn über. Zum Glück, schon nach wenigen Metern sah er kaum noch den Weg. Es schüttete wie aus Eimern. Was half es. Tiere sind nun mal keine Maschinen, die man eventuell draußen stehen lassen könnte. Also Augen zu und durch ...
Als er an der Weide ankam, warteten die Kühe schon am Gatter. Den Heimweg fanden sie allein. Im Stall angekommen, sahen alle aus wie frisch gebadet, einschließlich Anton. Ihm war das Wasser, trotz Ölzeug, bis auf die Haut gelaufen und in den Stiefeln konnte er Wassermassage betreiben!
Nachdem die Tiere gemolken und mit etwas Kraftfutter versorgt waren, beschloss er, bei diesem Sauwetter sein Vieh über Nacht im Stall zu lassen. Das hatte zudem den Vorteil, dass er sie am Morgen zum Melken nicht wieder von der Weide holen musste.
Am nächsten Morgen strahlte die Sonne als sei tags zuvor nichts gewesen. Immerhin schrieb man August. Nach der Versorgung seiner Stallinsassen trieb er sie zurück auf die Weide. Doch Moment mal! Was war denn das? Tiefe Reifenspuren verrieten, dass in der Nacht hier jemand mit dem Auto unterwegs gewesen sein musste. Und dieser Jemand war offensichtlich vom Weg abgekommen und hatte den Weidezaun auf einer Länge von zehn Metern niedergewalzt.
„So ein Bazi“, schimpfte er, „der hätte wenigstens eine Nachricht hinterlassen können. Nun ja“, sinnierte er weiter, „womöglich wäre der Zettel vom Regen aufgeweicht und unleserlich geworden.“
Der darauf folgende Tag war Sonntag. Zuerst kam das Vieh dran, dann frühstückten sie genüsslich und machten sich fertig für den Kirchgang. Auf halbem Weg trafen sie ihren Nachbarn Mooser. Nach einem Grüß Gott erzählte er ihnen folgende Geschichte: „Ihr wisst doch, dass ich nicht weit vom Hof ein Stück Wald habe.“
„Ja und?“, fragte Anton.
Stellt Euch vor, ich hatte ein paar Meter Holz für den Winter vorbereitet und als ich es gestern Nachmittag abholen wollte, war, bis auf drei kurze Stämme, alles verschwunden. Ich habe schon herum gefragt, aber keiner hat etwas gesehen oder ist es gar gewesen.“
Darauf hin erzählte Anton dem Nachbarn die Story von dem umgenieteten Weidezaun und beide überlegten, ob das wohl derselbe Spezi gewesen sein konnte.
Eine Woche verging; es wurde Samstag und der Stammtisch stand an. Sie trafen sich alle drei Wochen im Dorfkrug zum Doppelkopf spielen. Dabei wurde so manches Maß geleert. Anton hatte diesmal viel Zeit. Maria hielt sich bei Verwandten auf und konnte somit nicht meckern, wenn es etwas später wurde und, was sie besonders hasste, er nicht ganz standfest auf den Beinen, heimkam. Der Wirt hatte in der vergangenen Woche Geburtstag und ließ sich an diesem Abend seinen Stammgästen gegenüber nicht lumpen. Es kam was kommen musste: es wurde sehr spät und Anton, wie auch die Anderen, waren absolut nicht mehr sicher auf den Beinen. Ungefähr zwei Uhr in der Früh verabschiedeten sie sich vor der Tür und jeder machte sich auf den Weg. Anton kam auf dem Heimweg an der Kirche vorbei und konnte nicht widerstehen. Die Tür war offen; im wahrsten Sinne des Wortes Gott sei Dank, und er betrat das Gotteshaus. Er setzte sich in eine Bank, wollte nur ein wenig ausruhen. Dann schlief er ein. Ein Geräusch an der Eingangstür weckte ihn und Anton bekam einen ziemlichen Schrecken. Es war bereits sieben Uhr und die ersten Gläubigen betraten die Kirche.
Das fehlte ihm noch, dass ihn hier jemand sah. Ohne weiter nachzudenken, erkor er sich den Beichtstuhl als Versteck, zog die Vorhänge zu und hoffte, dass die Leute nach Verrichtung ihres Gebets wieder verschwanden. Danach wollte auch er sich unbemerkt davon machen. Doch was war das? Ausgerechnet jetzt kam jemand, um die Beichte abzulegen. Nun war guter Rat teuer; einen Ausweg gab es nicht. Also hielt Anton sich ein Taschentuch vor den Mund und verstellte seine Stimme. Nach zehn Minuten war der Vorgang beendet und er dachte: Hoffentlich hat der mich nicht erkannt, in seinem Gesicht stand jedoch ein viel sagendes Lächeln. Vorsichtig sah Anton sich um. Die Kirche hatte sich inzwischen wieder geleert; schnell verließ auch er das Gotteshaus. Sein Vieh daheim würde sicher Theater machen und er überlegte, dass es heute wohl ein Segen sei, dass nur das Vieh Theater machte ...
Im Laufe der neuen Woche kontrollierte Anton seinen Weidezaun. Das nahm eine Weile in Anspruch und mit jedem Meter, den er abschritt, feixte er in sich hinein. Gelungen, schmunzelte er.
Auch am kommenden Sonntag trafen Maria und Anton wieder ihren Nachbarn. Der Mooser nahm Anton zur Seite und berichtete ihm eine absonderliche Geschichte. „Du erinnerst dich an meine geklauten Baumstämme?! Da komme ich nun am vergangenen Mittwoch an meinen Wald, um ein paar Bäume als Ersatz für das gestohlene Holz zu schlagen ...“
„Ja und, das ist doch nichts Ungewöhnliches?“
„Nein, das nicht – doch das Holz war wieder da! Und nicht nur wieder da, sondern auch noch sauber gehackt und gestapelt. Ich brauchte nur noch aufzuladen und es heimzubringen!“
„Na, so was!“, antwortete Anton und grinste innerlich.
Die Wochen vergingen und es war wieder einmal der Stammtisch-Samstag. Sie hatten ihre ersten Runden Doppelkopf gespielt als Anton am Nebentisch eine Geschichte mitbekam: „Stellt Euch mal vor“, begann ein Gast, „da gehe ich vor drei Wochen morgens in die Kirche zum Beichten und der Pfarrer sitzt schon im Beichtstuhl. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, doch der sprach so komisch, gar nicht nach unserem Pfarrer. Und die Buße, die er mir aufgab, war genauso seltsam. Kein Gebet, wie üblich.“
„Was hat er denn verlangt“, fragten die Zuhörer.
Der Sprecher lehnte sich über den Tisch und sagte leise, was der Pfarrer ihm auferlegt habe.
Die Doppelkopfrunde war inzwischen neugierig geworden, was denn da am Nebentisch so Interessantes zu hören sei. Anton besonders, er vergaß sogar, die Karten für das nächste Spiel auszugeben. Als sie ihn fragten, warum ihn das so interessieren würde, feixte er und gab seine Geschichte zum Besten.
Erinnert Ihr Euch noch an unseren letzten Doppelkopfabend? Der Wirt hatte uns, anlässlich seines Geburtstages, nicht gerade auf dem Trockenen sitzen lassen. An diesem Abend, oder besser in der Nacht, hatte ich, als ich an der Kirche vorbei kam, das Bedürfnis etwas auszuruhen, ein Gebet zu sprechen, und bin hinein gegangen. Dabei muss ich auf der Bank eingeschlafen sein. Als ein Besucher die Kirche betrat, wachte ich vom Quietschen der Kirchentür auf. Da mich niemand sehen sollte, blieb mir als einziges Versteck der Beichtstuhl. Ausgerechnet dahin trieb es den morgendlichen Kirchgänger. Der wiederum glaubte, dass der Pfarrer schon dort sitzen würde und erzählte ihm seine Missetaten von dem demolierten Weidezaun und dem entwendeten Holz am Waldrand. Ich durfte mich nun nicht zu erkennen geben, habe deshalb meine Stimme verstellt und ihm als Buße die Überprüfung des gesamten Weidezaunes nebst Reparatur und den Rücktransport des Holzes – und zwar im gehackten Zustand – auferlegt.