Der Sturz nach oben - Andreas Mäckler - E-Book

Der Sturz nach oben E-Book

Andreas Mäckler

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  • Herausgeber: xlibri Crime
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

In den Jahren 1992-1997 schrieb Andreas Mäckler 23 Kriminalgeschichten für TV- und Frauenzeitschriften, die ein Millionenpublikum erreichten haben und vielfach abgedruckt wurden, auch in Krimi-Anthologien der Verlage Ullstein, Grafit und Ars Vivendi. Männer haben in Andreas Mäcklers Ladykrimis weniger zu lachen – aber das sehr herzlich angesichts ihrer Eroberungsstrategien, mit denen sie in der Damenwelt wildern. Beste Unterhaltung, von der ersten Seite an: 5-Minuten-Krimis für das vergnügliche Lesen zwischendurch.

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Seitenzahl: 143

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Der Sturz nach oben

Ladykrimis

 

Andreas Mäckler

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In den Jahren 1992-1997 schrieb Andreas Mäckler 23 Kriminalgeschichten für TV- und Frauenzeitschriften, die ein Millionenpublikum erreicht haben und vielfach abgedruckt wurden, auch in Krimi-Anthologien der Verlage Ullstein, Grafit und Ars Vivendi. Männer haben in Andreas Mäcklers Ladykrimis weniger zu lachen – aber das sehr herzlich angesichts ihrer Eroberungsstrategien, mit denen sie in der Damenwelt wildern. Beste Unterhaltung, von der ersten Seite an: 5-Minuten-Krimis für das vergnügliche Lesen zwischendurch.

 

Andreas Mäckler, geb. 1958 in Karlsruhe, lebt in der Nähe von München. Aufgrund seiner erfolgreichen Kurzkrimis für TV- und Frauenzeitschriften in den 90er-Jahren erhielt er von der avedition Stuttgart den Auftrag, einen Designerkrimi zu schreiben, der 1999 unter dem Titel Tödlich kreativ publiziert wurde und im Münchner Designermilieu spielt. Mit der Hamburger Domina Marleen Winterfeld schrieb Andreas Mäckler den Thriller Die Domina, der 2015 bei Droemer Knaur als E-Book erschien.

 

Impressum      

Texte:             © 2019 by Dr. Andreas Mäckler

Umschlag      Peter Höllerer, MünchenVerlag:            xlibri Buchproduktion GbR,

www.sturz-nach-oben.de

[email protected]

 

Hardcover:       ISBN 978-3-946307-15-0

E-Book:       ISBN 978-3-9661-0053-3

Inhaltsverzeichnis
Die fröhliche Wirtin von Landsberg am Lech
Nur bis ... Herrsching
Calders Baby
Der Mann aus der Vergangenheit
Telefonat aus dem Jenseits
Stimmen der Nacht
Heiß wie in der Hölle
Hunger
Hannibal
Die Katzenkönigin
Kreuzfahrt in den Tod
Charlie ist zurück
Das große Klick
Rendezvous am See
Waren Sie schon mal auf Sumatra?
Ein gutes Tröpfchen
Der gute alte Truhen-Trick
Balthasars Puppenspiel
Der Sturz nach oben
Treibsand
Karls Lieblinge
Das Überraschungsei
Eine vielseitige Familie

Die fröhliche Wirtin von Landsberg am Lech

 

Als der wohlklingende Name „Lukullus“ zum ersten Mal über der Tür aufleuchtete, war Angela am Ziel ihrer Träume. Lange hatte sie auf ihr eigenes Restaurant hingearbeitet. Es hatte sie eine Menge Geld gekostet, die heruntergekommene Kneipe in eine ansprechende Gaststätte zu verwandeln. Und nun kam keiner.

Dabei war bei der Eröffnung alles so hoffnungsvoll gewesen. Freunde und der Landsberger Stadtrat hatten mit ihr gefeiert und fest versprochen, mindestens einmal die Woche bei ihr einzukehren. Außerdem wollten sie für Angelas Kochkünste werben. Und neue Gäste, da war Angela sicher, würden sich bestimmt bei ihr wohlfühlen und bald zu Stammgästen werden – schließlich sah sie gut aus und hatte Charme. Aber seit dem turbulenten Eröffnungstag ließ sich kein Mensch mehr blicken.

So stand sie nun tagein, tagaus an der kleinen Bar im Eingangsbereich, an der sich nur ein paar Stammgäste aus der ehemaligen Kneipe festsaßen. Keiner dachte je ans Essen. Angela konnte sich trotz ihrer schlechten Schulnoten in Mathematik leicht ausrechnen, wann sie endgültig pleite wäre.

Die Restauranttür öffnete sich und es trat nicht etwa der Briefträger mit einer Hand voll Rechnungen ein, auch nicht der Gerichtsvollzieher Freisleder mit einer Zwangsvollstreckung, sondern ein gepflegter alter Herr. Ein Gast! Er wollte tatsächlich etwas essen. Mit diesem Wunsch verwandelte er die traurige Angela in eine fröhliche Wirtin. Sie blanchierte und häutete Fleischtomaten, briet Austernpilze in einer Pfanne an und servierte zum Hauptgericht eine knusprige Entenbrust in Calvadossoße. Der alte Herr hob genussvoll die Augenbrauen und prostete ihr mit seinem Weinglas zu. Dann steckte er sich ein Stück Fleisch in den Mund, kaute bedächtig und schluckte es hinunter. Angela blieb mit fragendem Blick vor ihm stehen, doch der alte Herr sagte nichts mehr.

Stattdessen kippte er vor ihren Augen auf den Tisch und blieb reglos liegen. Fassungslos starrte Angela auf den Kopf im Teller. Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Die Stammtischbrüder am Tresen reckten kurz die Hälse und wandten sich wieder ihren Biergläsern zu. Mit zitternden Fingern wählte Angela den Notruf.

„Herzstillstand“, diagnostizierte kurz und bündig der Notarzt. Der alte Herr wurde aus dem Restaurant getragen, Angela blieb wie versteinert zurück. Sie räumte den Tisch ab und murmelte resigniert: „Das Essen hätte er wenigstens noch bezahlen können.“

Am nächsten Tag stand dieses traurige Ereignis mit dicken Schlagzeilen im Landsberger Tagblatt. Viele Neugierige kamen zu Angela in die Altöttinger Straße und bestellten Entenbrust in Calvadossoße. Die Hinterbliebenen des Toten ließen bei ihr einen Leichenschmaus für die Trauergäste ausrichten. Der Friedhof lag ganz in der Nähe und die arme Angela sollte über den erlittenen Schock leichter hinwegkommen. Das fiel ihr nicht schwer, denn das Klingeln des Geldes in der Kasse machte die Wirtin rundum fröhlich.

Allerdings hielt die Freude nicht lange an, schon am nächsten Tag zog die alte Trostlosigkeit wieder in die schöne Wirtsstube ein. Zwei bis drei verirrte Gäste stellten sich ein, die konnten Angela nicht ernähren.

Als ihr Mut schon unter null gesunken war, ließ sich ein alter Herr bei ihr nieder und studierte die Speisekarte. „Das sind ja Preise wie beim Tierarzt“, protestierte er und klappte die Karte zu. Angela besänftigte ihn. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass es doch gar nicht so schlecht wäre, wenn auch dieser alte Herr plötzlich mausetot umfiele. Das gute Geschäft mit den Trauergästen ...

„Bitte bestellen“, knarzte der Alte. Nach etlichen Nachfragen über die Größe der Portionen stellte er schließlich ein Menü aus den Beilagen zusammen.

„Möchten Sie zur Krönung einen Kaffee – natürlich auf Kosten des Hauses?“, umschmeichelte ihn Angela.

„Oh, das ist ganz reizend von Ihnen, junge Frau!“ Er sah sie gerührt an. „Spare, wo du kannst, dann hast du in der Not nichts zu leiden, sagte schon meine Großmutter selig.“

Angela konnte sich das Kichern nicht verkneifen. Bloß nicht schwach werden, dachte sie, er hat es ja gleich überstanden. Als ehemalige Anästhesieschwester im Klinikum schaffte sie es mühelos, den alten Mann von seinem krankhaften Geiz für immer zu befreien.

Nach dem zweiten Todesfall in ihrem Restaurant kam sogar ein Reporter von Antenne Bayern, um über das Unglück zu berichten. Und wieder tafelten die Trauernden im Lukullus. Angela war die fröhlichste Wirtin in der ganzen Stadt.

Um der erneuten Flaute rechtzeitig entgegenzuwirken, servierte sie dem nächsten älteren Gast, der rüstig ihr Restaurant betrat, freundlich, aber entschieden seine letzte Mahlzeit. Der arme Alte lobte gerade noch die Calvadossoße, da jagte es ihn blitzartig in die Höhe, als wäre eine Bombe unter seinen Füßen explodiert, dann sank er stocksteif auf den Stuhl zurück, röchelte und schloss für immer die Augen. Komisch, dachte Angela, jeder stirbt anders. Gleichzeitig war sie stolz darauf, wie geschickt sie ihr Metier beherrschte.

Die Kinder und Angehörigen des Toten entschuldigten sich für die Unpässlichkeit ihres Opas, er sei schon immer unberechenbar gewesen. Zur Entschädigung schmausten sie besonders großzügig bei Angela, die immer fröhlicher wurde und das Leben richtig lebenswert fand. Morgens ging sie zum Schwimmen ins Inselbad und anschließend zur Massagepraxis Fink. Franzl wusste, was Frauen gefällt, und Angela schwebte jedes Mal entspannter die Promenade entlang. Sie freute sich an den mittelalterlichen Häuserfassaden am Lech. Im Cortina Eiscafé aß sie am liebsten den Schwarzwaldbecher mit Schattenmorellen und zwinkerte Alphonso zu – der hätte gern auch in ihrem Lukullus bedienen können. Wenn abends die letzten Gäste gegangen waren, ging Angela für einen Absacker zu Charlie Fischer in die SonderBar am Hellmair Platz und trank eine Bloody Mary oder auch zwei – je nachdem, wie der Tag so war.

Erst als eine weitere Leiche aus dem Restaurant getragen wurde, nahm Kommissar Bastian von der Polizeiinspektion Landsberg die fleißige Köchin aufmerksamer unter die Lupe. In Trenchcoat und Hut betrat er unangemeldet ihr Lokal und sie taxierte ihn mit allergrößtem Interesse. Zu jung, zu gesund, als Opfer ungeeignet, konstatierte sie sofort und strahlte ihn aus himmelblauen Augen an. Bastian bestellte Entenbrust in Calvadossoße, sprach dem Rotwein reichlich zu, ließ jeden Bissen genüsslich auf der Zunge zergehen und entlockte Angela ein paar Geheimnisse ihrer Kochkunst. Nein, sagte der Kommissar zu sich, als er rundum satt das Restaurant verließ, diese blauen Katzenaugen sagen die Wahrheit. Gleichzeitig bewunderte er seinen Mut, hier überhaupt noch zu essen.

In den folgenden Tagen hatte Angela reichlich zu tun. Die Trauergäste kehrten immer wieder bei ihr ein, nachdem sie pietätvoll das frische Grab besucht hatten. Doch nach vier Wochen war es bereits vorüber mit der Pietät und das Lokal blieb wieder leer.

Da ereignete sich ein neuer Todesfall im Lukullus. Diesmal war es eine alte Dame, die ihr Kaffeekränzchen nicht überlebte. Und wieder durfte Angela nach der Beerdigung die Trauernden bewirten. Auch diesmal kam der plötzliche Tod für die Angehörigen keineswegs überraschend, denn die übergewichtige Dame war schwer herzkrank. Sie hielten eine Obduktion der Leiche für überflüssig, doch Kommissar Bastian hatte dazu eine andere Meinung. Noch am selben Abend sah er sich im Lukullus etwas genauer um und irritierte Angela mit bohrenden Fragen.

„Herr Kommissar, was kann ich dafür? Mein Restaurant liegt nun mal zwischen Friedhof und Altenstift. Da ist der Tod ständig zu Gast.“

„Und Sie sind seine Assistentin?“ Bastian runzelte die Stirn. Ob er die Kollegen von der KPI benachrichtigen sollte? Schließlich war nicht seine Dienststelle in der Katharinenstraße, sondern die Kriminalpolizeiinspektion Fürstenfeldbruck – rund 35 Kilometer entfernt – für die Aufklärung von Mord und Totschlag in Landsberg zuständig. Bastian konnte sich kaum an deren Gesichter erinnern, so wenig Morde waren bisher zu ermitteln gewesen. Sollte die Idylle am Lech jählings zerstört worden sein?

Angela reichte ihm die Karte. „Nun essen Sie erst mal.“ Sie nahm seine Bestellung auf. „Und was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“

„Als Aperitif Kaffee“, sagte Bastian und streckte gemütlich die Beine aus.

Nach einigen Minuten stellte Angela den Kaffee vor ihn hin und verschwand in der Küche.

Der Kommissar zog eine Thermoskanne aus der Tasche und goss den Kaffee hinein. Als Angela Entenbrust in Calvadossoße servierte, war die Kaffeetasse bereits geleert. „Noch einen?“, fragte sie und zog die Augenbrauen hoch. Der Kommissar sah blass aus. Er starrte unverwandt zur Decke. Angela zögerte einen Moment, dann rüttelte sie ihn an der Schulter. Bastian sackte zur Seite. Angela schüttelte den Kopf. „Der Kaffee war doch überhaupt nicht stark.“

Der Kommissar richtete sich auf und lachte sie an. „April, April.“

„Soll das ein Witz sein?“ Angela stemmte die Hände in die Hüfte. „So ein junger Mann wie Sie und so schlechte Scherze!“

„Verstehe“, sagte Bastian. „Ich wäre bei Ihnen erst in zwanzig Jahren dran.“ Er verstaute seelenruhig den Entenbraten samt Soße in einer Plastikbox und stand auf. „Eins möchte ich Ihnen gern mit auf den Weg geben, junge Frau: Gift ist kein guter Konjunkturhelfer.“

Angela lächelte dünn. „Wenn Sie lieber zu Hause essen wollen, hätten Sie es gleich sagen können. Dann hätte ich Ihnen das Essen eingepackt. Wir haben inzwischen einen Heimservice und liefern in der ganzen Stadt aus. Das kommt bei meinen Gästen besonders gut an. Die Landsberger verstehen was von guter Küche.“

 

Nur bis ... Herrsching

 

Karl Kosel war ein korrekter Mensch. Als Buchhalter einer Schwabinger Firma für Bürobedarf war ihm die Pingeligkeit in Fleisch und Blut übergegangen. Und so achtete er nicht nur auf adrette Kleidung und Pünktlichkeit, von der Sauberkeit der Buchführung ganz zu schweigen, sondern ebenso auf den reibungslosen Ablauf seiner Ehe. Dabei war ihm völlig entgangen, dass diese Ehe längst keine mehr war. Als Brigitte dies dadurch besiegelte, dass sie ihm die Scheidung erklärte, nahm er das regungslos zur Kenntnis, aber er verstand die Welt nicht mehr. Und als er für ihr Abschiedsmenü den Ofen auf 220 °C vorheizte, verstand er nur noch, dass ihn das alles Unsummen kosten würde: Anwaltsgebühren, Unterhaltszahlung, Rentenausgleich.

„Davon geht die Welt nicht unter, Karl“, versuchte Brigitte ihn aufzumuntern, während sie noch einmal gemeinsam ihr Lieblingsgericht zubereiteten: bayerischen Krustenbraten. Sie spülte den Schweinsbraten kurz unter fließendem Wasser ab, Kosel nahm ein scharfes Messer aus dem Messerblock und schnitt die Schwarte rautenförmig ein – langsam und bedächtig, wie es seine Art war. Brigitte schob den Braten seufzend in den Ofen. „Das hätte auch schneller gehen können.“

Kosel zuckte nur mit den Achseln. „Gut Ding will Weile haben.“ Dann nahm er wieder das Messer und schnitt drei Pfannkuchen in Streifen, alle in derselben Breite, während der Krustenbraten zwei Stunden lang vor sich hinschmorte. Brigitte schob ihm den Topf mit der Rinderkraftbrühe zu. „Nun tu schon rein, wir wollen die Vorspeise nicht zum Nachtisch essen.“

Zum Dessert servierte Kosel Apfelküchlein in Bierteig gebacken mit Vanilleeis und Zimtzucker. „So süß hatten wir es schon lange nicht mehr“, lobte Brigitte ihren Mann. Er nickte nur. Jetzt war der Kas gessn, wie sie in Bayern sagten. Ende der Vorstellung in der Kosel’schen Küche, die seit Jahren einem Kampfplatz glich, auf dem ihre Ehe ausgetragen wurde. Nur beim Essen war immer Waffenstillstand gewesen, doch so viel Kauen und Runterschlucken konnten sie gar nicht, wie ihre Ehejahre lang waren. Ein Mal noch Himmel und Hölle, dachte Kosel, und dann Basta.

Als Brigitte wie gewohnt nach den Tagesthemen ins Bett gegangen war, folgte er ihr exakt 30 Minuten später, leise wie immer, und erwürgte sie. Dann schleifte er die Tote die Treppe hinab bis zur Garage, wuchtete sie in den Kofferraum seines Wagens und setzte sich hinters Steuer.

Bis zum Ammersee, Brigittes liebstem Ausflugsziel, den er als letzte Ruhestätte für sie vorgesehen hatte, waren es rund 40 Kilometer. Kosel schaltete das Radio ein und suchte Bayern 3. Auf den Verkehrsfunk wollte er diesmal nicht verzichten. Die Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 Stundenkilometern im Stadtgebiet der A96 hielt er genau ein, wie immer. Gern hätte er jetzt eine Zigarette geraucht, aber sein einziges Laster hatte er sich schon vor 20 Jahren abgewöhnt. Brigitte duldete keine ungesunde Lebensführung, und Widerspruch schon gar nicht. Wie oft hatte sie Karlchen zu ihm gesagt, als wäre er ihr 50-jähriges Kind, das sie zu erziehen hatte. Nur diesmal war er ungezogen gewesen, einmal in all den Jahren. Kosel fühlte fast Freude darüber, wäre nicht auch dieses Gefühl der Ehe zum Opfer gefallen. Mama würgte man nicht.

Um diese Stunde war kaum noch Verkehr, als er bei Oberpfaffenhofen die Autobahn verließ und über Weßling Richtung Südwesten fuhr. Früher war das der Weg zu Monika gewesen, seiner großen Liebe nach der Schulzeit. Doch eine Preußin heiratete man in Bayern nicht, hatten die Eltern gesagt, und Brigitte war die Tochter des Bürgermeisters. Das musste passen. Kosel hatte die Zähne zusammen gebissen. Hin und wieder kamen ihm Scheinwerfer entgegen und streiften kurz sein Gesicht. Im Rückspiegel sah er lange Zeit gar nichts.

Plötzlich hatte er ein Scheinwerferpaar hinter sich, dessen Herankommen er gar nicht bemerkt hatte. Die Lichtfinger blieben in immer gleichem Abstand. Er fühlte sich bedrängt, aber er konnte nicht schneller fahren, denn die Geschwindigkeitsbegrenzung war noch nicht aufgehoben und eine Überschreitung war ihm unmöglich. Nie verstieß er gegen die Verkehrsordnung. Ihm stiegen fliegende Hitzen auf.

„Überhol doch endlich“, murmelte er. Kosel nahm sogar den Fuß vom Gaspedal, doch der Wagen hinter ihm hielt weiterhin den gleichen Abstand ein. Als sie aus dem Wald herausfuhren und der Mond sein fahles Licht über eine Hügellandschaft ausbreitete, zeigte ihm der Rückspiegel ein erschreckendes Bild: Das war ein Polizeiwagen.

Kosels Hände krampften sich um das Lenkrad. Er starrte auf den Tacho. Bestimmt hatte er nie die Geschwindigkeit übertreten. Warum sollten sie ihn anhalten? Weiter vorne sah er eine Kreuzung.

„Hoffentlich biegen sie ab.“ Kosel wollte sich entspannen. Doch statt abzubiegen, setzte der Polizeiwagen zum Überholen an. Und schon sah Kosel die rote Kelle blinken. Ihm blieb beinahe das Herz stehen. Mechanisch fuhr er an den Straßenrand und drehte das Fenster runter. Er sah Schweißperlen auf seinem Handrücken und wischte sich über die Stirn.

Ein Polizeibeamter leuchtete ihm kurz ins Gesicht und dann in den Wagen. „Grüß Gott, der Herr.“

„Guten Abend, Kommissar ..., äh Herr Wachtmeister.“ Kosel fingerte sofort an der Innentasche seines Sakkos herum, noch ehe der Polizist ihn nach den Papieren gefragt hatte, und reichte ihm den Führerschein.

„Ham Sie was ’trunken, Herr Kosel?“

„Nichts, überhaupt nichts. Keinen Alkohol. Bin Anti-Alkoholiker. Schon seit meiner Geburt.“ Kosel verunglückte das Lachen.

Der Polizist blieb ungerührt. „Den Fahrzeugschein?“

„Selbstverständlich.“

Kosel reichte ihn hinaus, aber der Beamte winkte ab. „In Ordnung. Mir ham Sie angehalten, weil Ihre Bremslichter nicht brennen.“

„Wie soll ich das wissen, ich kann mich ja nicht von hinten sehen.“ Kosel hob die Stimme.

„Wir wollen Sie ja auch nicht verhaften, sondern Sie nur darauf aufmerksam machen“, meinte der zweite Polizist, der hinzugekommen war und Hochdeutsch sprach. „Vielleicht ist es ein Wackelkontakt.“

„Dann rütteln Sie doch mal am Kotflügel.“ Kosel trat das Bremspedal durch und sah das Licht in der Dunkelheit aufflackern und gleich wieder erlöschen. „Rütteln Sie noch mal, stärker!“

„Hoffentlich fällt Ihr Auto nicht auseinander!“ Die beiden Beamten schüttelten den Wagen nach Leibeskräften.

„Es brennt!“

„Schon recht, Herr Kosel, jetzt funktioniert’s ja. Aber des müssen’S auf alle Fälle nachschaun lassen. Gute Fahrt. Wir bleiben noch grad hinter Ihnen.“

Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, Kosel hätte sich entspannen können. Doch jetzt hatte er zwei Probleme: Brigitte tot im Kofferraum und eine Polizeieskorte hinter sich. Kaum hatte er sich zurückgelehnt, da kam ein drittes hinzu: Kosel sah wieder die rote Kelle.

„Jetzt brennt Ihr Rücklicht nimmer. So können’S im Dunkeln net weiterfahrn. Ham Sie’s noch weit?“

„Nur bis ... Herrsching“ – den Ammersee konnte er in dieser Situation schlecht als Zielort nennen.

„Des is fei ganz schön weit. Mein Schwager wohnt da.“