Der Tag nach dem 31. Dezember - Roland Schmutz - E-Book

Der Tag nach dem 31. Dezember E-Book

Roland Schmutz

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Beschreibung

Die Geschichte beginnt am 1 Januar 2100 und blickt immer wieder zurück bis ins Jahr 1964. Sie handelt von der Entwicklung der Neid und Gier Gesellschaft zu einer friedvollen Gesellschaft im Jahre 2100 mit gewissen Einschränkungen. Unter anderem der sogenannten Kreativitätsklausel und der Wasserkonföderation. Die Hauptperson Steven McFerry erzählt und erlebt als Urenkel die Geschichte und den Werdegang seines Urgrossvaters, Linus Schatz, und seiner Familie. Der Urgrossvater wehrte sich Zeit seines Lebens gegen den Untergang der ursprünglichen musikalischen Entwicklung der Gesellschaft. Die technologische und politische Entwicklung lässt die Musikerziehung und das Lernen von Instrumenten bis ins Jahre 2045 vollständig verschwinden. Die Kreativitätsklausel führt dazu, dass in Zukunft bildende Kunst, Musik und Bücher alleine über computergesteuerte, lernfähige Software entstehen. Die Menschen im Jahre 2100 leben zwar weltweit in Frieden und Wohlstand, werden allerdings durch ein Biochipimplantat in ihrer Kreativität kontrolliert und eingeschränkt. Eigene Werke wurden aufgrund des exzessiven Personenkultes verboten. Der Konföderationsrat, der Rat der 27, ist sich in der Sache allerdings nicht sicher und kommt im Geheimen auf die Lehren des Urgrossvaters Linus Schatz zurück. Dies allerdings nicht ohne erhebliche Gegenwehr. Steven McFerry wird ungewollt in diese Revolution hineingezogen indem er sich in die Tochter, Nathalie, des Ratsvorstandes Christopher Lafayette verliebt. Rätselhafte ägyptische Hieroglyphen spielen ebenso eine Rolle wie holographische Darstellungen von Musik oder die Romantik der Liebe. Eine Geschichte aus der Zukunft über unsere Versäumnisse der Vergangenheit. Erzählt von Einem der dort war! Spannung garantiert bis zum Schluss!

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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2017

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WIDMUNG

In grosser Dankbarkeit meiner Frau Karin und meinen beiden Kindern Tobias und Tanja sowie meinen lieben Eltern Kurt und Erna.

Ihr seid Zukunft und Vergangenheit und meine Inspiration.

Ich liebe Euch!

Ein grosser Dank geht auch an meinen Freund Roland Rufatti für die Unterstützung und Hilfe.

Abschnitte Band 1

PROLOG: So war es

01.01. 2100 - 7.22 Uhr

01.01. 2100 - 7.25 Uhr

01.01. 2100 - 7.35 Uhr

01.01. 2100 8.34 Uhr

31.12. 2099 - 21.26 Uhr

Lounge Club

Mein Urgrossvater

Enkel

04. August 2095

Die Wurzeln

Die Schatulle

01.01 2100 - 14.30 Uhr

07.07. 2097

Der Kauf

Zurück im Park

Dinner

Der Tag im Jahre 2097

01.01. 2100 Dinner Teil 2

Re-Start

Dinner Teil 3

Erkenntnisse aus der Vergangenheit

Anwesen Lafayette

Scanning

Dinner Teil 4

Der Traum

Rätsel

Dr. Pepper Sattel

Rätsel Teil 2

Die Reitstunde

Der Plan

Mosaik

Der Plan Teil 2

VCC

Der Plan Teil 3

Die vier Reiter

Familie

Der Rat der 27

Meine Vergangenheit

Wurzeln Teil 2

Operation Еnkel“

Meine Kindheit

Das Babyarmband

03.01. 2100

Der See

Zurück zur Musik

Der Plan Teil 3

Richard McFerry

Ägyptologie

Richard McFerry Teil 2

Das Studio

Imagine

Ein Schritt in die Zukunft

Die Sichtung

Was geschah in New York

Politik versus Musik

Die Flucht

Silvester

PROLOG

So war es

Ich wache auf. Irgendwo, zeit- und orientierungslos. Am Fenster erkenne ich einige sich auftürmende Kumuluswolken. Der Himmel scheint so gross und irgendwie blauer als sonst. Irgendwo hupt ein Auto, oder ist es vielleicht ein Dampfer? Vögel zwitschern vergnügt in den Büschen und Bäumen. Ein Hund bellt oder sind es Zwei? Die Decke des Zimmers sieht weder nach meiner zuhause noch nach einer mir bekannten Decke aus. Auch die Bettwäsche fühlt sich frischer an und riecht nach wohlduftendem Lavendel. Es riecht nach Mittagessen. Irgendwas mit Kohl oder Zwiebeln Mein Kopf fühlt sich schwer an als wenn Flugdrohnen um mich rum rasen.

Bin ich in einem Hotelzimmer? Es hat pastellfarbene Vorhänge welche seitlich der grossen Fenster runterhängen. Sauber mit passenden Kordeln zu einem kunstvollen Knoten zusammengezogen. Das Zimmer ist riesig und viel höher als die mir bekannten Räume. Wenn dies ein Hotelzimmer ist, wie bin ich hierher gekommen. Allmählich ordnen sich meine Gedanken und ich beginne mich zu erinnern. Gestern hat ein neues Jahr begonnen. Nein, sogar ein neues Jahrhundert. Das Jahr 2100.

Es ist der Tag nach dem 31. Dezember. Eigentlich ein verlorener Tag.

Die meisten Menschen verschlafen diesen Tag fast völlig. Feiern, trinken, tanzen, vergessen. Meist ist der Tag auch ein Fall zurück in die kalte und harte Realität. Vorbei sind alle die guten, vorher gefassten Vorsätze. Weniger essen, mehr Sport, sich mehr um die Familie kümmern, keine Schokolade, und so weiter. Denn die Euphorie ist verpufft und der Start ins neue Jahr mit einem gehörigen "Kater" vermiest. Habe ich mir überhaupt etwas vorgenommen? Meine Erinnerungen sind doch sehr verschwommen, was den gestrigen Abend angeht. Die Bilder flackern von dunklen Gassen über farbenfrohe Drinks bis zu einem aussergewöhnlich hübschen, leider sehr verschwommenen Lächeln. Grundsätzlich fühle ich mich fröhlich, aufgestellt aber dann doch wieder sehr unwohl. Mein Zeitgefühl ist getrübt und meine Gedanken spielen verrückt. In meinem Magen scheint es zu brodeln. Ein Gemisch aus diversen süssen Cocktails und Hardcoredrinks trägt das Seine dazu bei. Auch das Bett in dem ich liege, fühlt sich ungewohnt am. Weiche Matratze, weiche seidene und wohlduftende Bettwäsche. Es riecht anders aber sehr gut. Nach Früchten und Parfum. Irgendwas sagt mir, dass dies weder meine mir bekannte Umgebung noch ein Hotelzimmer sein kann. Verzweifelt versuche ich meine Erinnerungen an gestern zu aktivieren. Aber mehr als das flackern einiger Gedankengemische kommt nicht raus. Da das Bett aber wirklich richtig bequem ist, bleibe ich mal liegen und starre Löcher in die wohlriechende Luft. Ich versuche krampfhaft den gestrigen Abend zu rekonstruieren, nichts.

Na dann, frohes neues Jahr?

01. 01. 2100 7.22h

Der virtuelle Wecker schreckt mich mit einem Oldie von Bruno Mars auf. "Walking trought the moon".

Unglaublich wie damals 2012 noch Musik gemacht wurde. Digital oder so? Eine längst überholte Technik, mit welcher noch kreativ und selbst Musik gemacht werden konnte.

Ein Bekannter meiner Grossmutter, ein Musiker in den 2040er Jahren, zeigte mir vor Jahren einmal sein antiquiertes und sehr geheimes Musikequipment. Musikinstrumente, Aufnahmegeräte, Datenträger. Man produzierte damals Musik im eigenen Homestudio oder auf dem Computer. Brannte diese auf CDs und Sticks oder streamte sie via Internet ins WorldWideWeb. Im Radio wurden dann diese Hits gespielt. War schon krass damals. Die Musik brachte Superstars hervor, welche einen exzessiven Lebensstil lebten und so auf die Jugend einen massgeblich und wie wir heute wissen, selbstzerstörerischen Einfluss nahmen. Drogen, Alkohol, Disziplinlosigkeit, Hemmungslosigkeit beherrschten damals den Zeitgeist. Alles wurde mit dieser schizophrenen Gesellschaftsnorm beeinflusst. Sogar die Politik und die Werbung vermarkteten diese krankmachende Entwicklung. Und alle fanden es gut? Kaum vorstellbar wie überheblich die Einen und wie oberflächlich die Anderen damals waren. Die sogenannten Stars erlaubten sich einfach alles und kamen immer mit relativ geringen Strafen davon. Der normale Bürger konnte sich auf der anderen Seite nicht den kleinsten Fehltritt erlauben und schon fand er sich mit drakonischen Strafen konfrontiert. Nicht Vernunft und Anstand, sondern Geld und Macht regierte damals die Welt. Die Welt der damaligen Stars und Sternchen beeinflusste einfach alles. Medien, Politik, Sport, Kunst, Mode, Sprache, Bildung, Religionen.

Heute macht die Supercloud unsere Musik. Abgestimmt auf unser individuelles Hörprofil. Noch so gerne würde ich meine eigenen Songs schreiben. Denn ich liebe die Musik, den Groove und die Energie welche aus den Rhythmen ertönt. Doch heute ist dies verboten, nur die staatlichen Produzenten dürfen die Computerstyles beeinflussen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zur Hauptsache allerdings die Sicherheit der gesellschaftlich Ordnung zu gewährleisten. Kein Starrummel, kein Personenkult, keine Hysterie und keine finanziellen Ungerechtigkeiten. Was damals restlos überbordete, ist heute weitestgehend getilgt. Natürlich auch auf Kosten derer, welcher verantwortungsvoll damit umgingen. Wie immer in der Vergangenheit. Einige Wenige verursachten der Mehrheit viele unnötige Probleme. Wir sind heute per hochentwickelter biotechnologischer Implantat Genlösung HRX-HumanRescue-Brainfusion mit der Supercloud verbunden. So werde ich momentan täglich um 7.22h per Chip geweckt. Meine Vergangenheit, mein familiärer Background und mein Status sind via HRX direkt im Nervensystem und Hirn gekoppelt. Jeder Mensch bekommt nach dem Weckruf sein Tagesziel zugespielt. An sich eine gute, wenn auch kontrollierende Art die Menschheit zu mehr Toleranz und Zusammengehörigkeitsgefühl zu disziplinieren. Trotz oder gar wegen dieser Technologie sind wir noch immer Individuen, welche eigenständig entscheiden und leben. Das HRX kommt nur dann zum Tragen wenn Verstösse gegen gesellschaftliches Recht auftreten. Es gibt uns nur Impulse. Vorschläge welche uns guttun. Sportliche Betätigungen von dann bis dann. Was tut heute gut zu essen. Was solltest Du nicht trinken! Tja, diesen Rat befolgte ich gestern sehr wahrscheinlich nicht genau. Mein Schädel brummt gehörig. Und dies kann eigentlich nur alkoholische Gründe haben, denn wären es Drogen gewesen, wäre ich nun in Gewahrsam der Hospitality irgendwo in den Ruhetowers der Stadt. Wie es scheint, bin ich aber sehr weit ausserhalb, in einer ländlichen und ruhigen Umgebung. Ich höre Vögel und Hunde. Seit Jahren habe ich dies nicht mehr so direkt und emotional Wahr genommen. Ja, einen krächzender Vogel in der Stadt oder mal ein streunender Hund. Aber hier waren es unzählige verschiedene, singende Vogelstimmen und mindestens zwei spielende, vergnügte Hunde. Sicherlich war ich auch weit weg vom Hafen. Weit weg von einem Dampfer. Aber ich hörte doch so etwas in der Art? Vielleicht spielt mir aber auch mein Gehör einen Streich und es ist nur das Brummen meines Schädels.

Ach ja. Ich. Ich bin Steven McFerry. Vierundzwanzig jährig. Und erzähle Euch eine Geschichte, welche am Tag nach dem 31. Dezember 2099 anfing. Eine Geschichte, welche mit einem brummenden Kopf begann. Eine Geschichte, welche so unglaublich klingt und trotzdem meine Geschichte ist. Die Geschichte meiner langen Vergangenheit und die Geschichte unserer aller Zukunft.

01. 01. 2100. 7.25h

Tagesziel

Neujahr 2100. Frühstück wie immer am Pier 49 Los Angeles bei "Lyrecco's".

Mein Brain Kalender zeigt mir via meiner Augenlinse vorher noch mindestens 40 Minuten sportliche Betätigung sowie das Ausfüllen der Virtual Documents für die monatliche Konföderations-Umfrage und zwischenmenschliches Networking, was immer das zu bedeuten hat, an. Der Bewegungszyklus in meiner Tagesskala zeigt mir einen bereits sehr aktiven Workout um 2Uhr 24min bis 3Uhr 18min an. Sicherlich eine Fehlfunktion. Denn welche sportliche Betätigung stand dann an? Fehlfunktionen sind eigentlich selten oder treten gar nie auf? Aber mein Alkoholspiegel zeigt eben auch in dieser Zeit einen für mich unüblichen hohen Wert an. Die körperliche Fitness ist eine Schlüsselbetätigung in unserer Zeit. Da berufliche Perspektiven weitestgehend vorprogrammiert sind, ist Sport die Lösung aller Langeweile. Es gibt dabei ungeahnt viele Möglichkeiten. Vom traditionellen Fitness-Center bis hin zu virtuell animierten Leistungsspielen. Aus diesem Grund gibt es auf der Welt praktisch keine Fettleibigkeit mehr. Alle Kinder sind angehalten die Schulfitnessprogramme mitzumachen. Jeden morgen werden mindestens zehn Übungen vor dem Unterricht geturnt. Immer wieder im Verlaufe des Tages werden weitere Programme dazu vorgenommen. So ist eine tägliche Bewegung Pflicht und Freude zugleich. Da der Schulstoff unter anderem auch mittels der HRX virtuell den Weg in unser Gedächtnis findet, sind die Schulfächer losgelöst von Leistungsdruck. Diese Massnahmen haben sich zu einem Segen in der Menschheit entwickelt. Keiner muss sich nunmehr behaupten und besser darstellen. Kein Neid und auch keine Selbstdarstellung mehr. Keine Schwachen und keine Starken mehr. Jeder hat seinen Platz in der Gesellschaft. Allerdings bleibt auch heute noch ein Kind, ein Kind. Spielerisch wird noch immer ums Gewinnen oder Verlieren gekämpft. So kennt man im Schulsport weiterhin Sieger. Nur werden diese nicht mehr speziell hervorgehoben und geadelt, sondern werden innerhalb des Teams gefördert. Die schwächeren Schüler finden innerhalb des Teams genau die gleiche Zuwendung und Achtung. Jeder wird integriert und gefördert. Leider aber ist die Musik aus unserem kreativen und schulischen Leben verschwunden. Dies ist alleine den Computern und Virtualcomponists vorbehalten. Musikinstrumente gibt es nur noch in den Museen. Dort allerdings nur noch als 3D animierte Bilder. Das Verschwinden der Musikinstrumente war an sich ein unglücklicher Zufall.

Aus weltweiten Spargründen im Bildungswesen, sturer Finanzpolitiker sowie der Entwicklung diverser Technologien wie Apps, Touchscreen und Personal Contrasts, fiel das Thema Musik als unnötiges Schul- und Studienfach, zwischen den Börsenblasen und Kriegswirren, einfach diskussionslos zwischen Stuhl und Bank. Musik konnte problemlos ohne Kosten hergestellt werden. Finanzjongleure und so genannt wichtige Politiker brachten es fertig, die musikalische Bildung klein zu reden und dann gänzlich abzuschaffen. Innerhalb von wenigen Jahren wurde so eine ganze Branche ausgelöscht. Nein, sie ist sogar gänzlich ausgestorben. Ohne wirklich grosse Gegenwehr, fiel das Musizieren den höheren Problemen zum Opfer. Was eigentlich nicht nach zu vollziehen ist. Denn ganze Berufsgruppen und Branchen fielen diesem Spardruck zum Opfer. Doch niemand wehrte sich oder war mächtig genug hier Einhalt zu gebieten. Es fehlte diesen Berufsgruppen an Engagement und Mut sich dagegen zu wehren und aufzulehnen. Es ist natürlich nicht so, dass es keine Musik mehr gibt. Die Songs und Kompositionen werden mit hochsensiblen und virtuellen Computerprogrammen nun sehr persönlich auf das einzelne Individuum zugeschnitten. Die Virtual-Radios bringen genau das, was ich gerne höre. Jeden Tag werden meine Gedanken, meine Vorlieben, meine Stimmungen, gescannt und das Musikprogramm so angepasst. Jeder Mensch hat seinen eigenen und sehr individuellen Radiostreamingkanal. Musiker und Instrumente sind einfach nicht mehr nötig. Ein Mix aus altem Liedgut und neuen Klängen fliesst so tagtäglich durch unsere Welt. Musik ist überall aber es braucht einfach keine Musiker oder Stars mehr dazu. Musik ist wie Atmen, Essen oder Sterben. Sie ist einfach da. Ohne Emotionen. Dasselbe gilt auch für Schriftsteller, Kunstmaler, Plastiker, Künstler aller Art. Heute geniesst man das Leben und ordnet sich in der Gesellschaft dort ein wo Einem der Virtual-Kalender hinbringt. Man kennt keine Grenzen und Staaten mehr. Konflikte sind abgeschafft. Gier und Neid sind Vergangenheit.

Leider wurde so auch der künstlerische Forschungsdrang eingedämmt. Alles Wissen liegt nun im digitalen Netz. Mehrwissen eignen sich nur die mittlerweile intelligenten Computer und Virtual Security an. Wir werden durch unsere HRX Implantate täglich in kleinen Dosen damit gefüttert. Im Laufe eines Lebens werden wir so gezielt mit allen für uns notwendigen Informationen versorgt. Den Rest erhalten wir über Durchsagen und Flat Screens sowie den diversen Newsstationen. Ja, die Schule, die gibt es auch noch. Mehr jedoch für die aktuelle Lebenssituation und die Pflege des zwischenmenschlichen Kontaktes. Man lernt auch gewisse historische Dinge und Zusammenhänge welche über die Virtual Brain nicht so gezielt ankommen. Sprachen, Mathematik und alle weiteren lernintensiven Stoffe werden uns quasi im Schlaf in kleinen Dosen übermittelt.

01. 01. 2100 7.35h

Frühstücksvorschlag: Rührei, Toast, Marmelade, Müsli, Jus, Kaffee, 978 Kalorien, hoher Nährwert, Energie bis 11.48h.

Vor dem Duschen wären noch 25min Crosstrainer HX-24y angesagt. Nur, der steht bei mir zuhause. Und ich bin hier irgendwo, ungeplant gelandet. Mein internes GPS hat dies jedoch noch nicht registriert. Eigentlich ist auch dies unmöglich. Alle diese HRX Mitteilungen erhalte ich wie wenn ich zuhause wäre. Sogar der Regionenscanner gibt mein Flat in LA als Standort an. Irgendwas ist hier nicht normal. Träume ich etwa noch? Ich stehe nun endlich auf und beginne nach meinen, im ganzen Raum verstreuten, Kleidern zu suchen. Alles geht ganz langsam, mein Kopf brummt. Meine Schritte sind etwas ungelenk und schwerfällig.

"Hallo, gut geschlafen?"

Ich zucke zusammen. Hinter mir steht ein wunderschönes Geschöpf. Sie trägt nichts ausser meinem Hemd, welches ich bereits vermisst habe. Wirklich nichts sonst!

"Ha-hallo" versuche ich einigermassen cool zu erwidern.

"Hast du Hunger?"

Natürlich habe ich Hunger, denke ich, aber wer fragt mich das? Wo bin ich? Ich träume wohl wirklich noch?

"Ja, gerne" gebe ich artig zur Antwort.

"Das war ein aussergewöhnlich schöner Abend und noch eine schönere Nacht" erklärte mir das wunderschöne Geschöpf, mit einem vielsagenden Augenzwinkern. Jetzt glaube ich definitiv, dass ich noch Träume. Oder bin ich etwa Tod und im unerreichbaren Paradies angelangt? Die strahlende, engelsgleiche Erscheinung hat blonde, etwas kürzere Haare, wunderbare, glänzende Lippen und strahlende tiefe blaugraugrüne Augen. Ihre Stimme wirkt warm und herzlich. Ihr Wesen ist vertrauenserweckend und liebenswert. Wer zum Teufel ist sie? Oder besser, wie heisst dieser blonde Engel?

Hinter meinem Rücken klemme ich mir mit zwei Fingern in den Arm. Shit, ich träume nicht! Leicht panisch frage ich mich, ob ich noch lebe oder ob dies der Vorhof zum Himmel ist.

Sie tippt etwas in ihre gestylte, goldene Personal Watch während sie mich anstrahlt wie eine helle Halogenleuchte. Sekunden später klopft es an der Türe. Ein Butler, ja ganz recht, ein Butler in schwarzem Frack tritt ein. Ich kann es kaum fassen. Ein Butler, gibt es denn so was heute noch? Vor sich her schiebt er einen antiquarischen, vermutlich sehr teuren Frühstückswagen, belegt voller Köstlichkeiten, welche ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Ich muss im Himmel sein. Oder wirklich zumindest kurz davor. So muss er sein, der vielzitierte Garten Eden. Wunderschöne, halb nackte Geschöpfe, farbiges, saftiges Essen, köstliche Düfte, Ruhe, Ausgeglichenheit. Das muss ein Traum sein. Oder bin ich etwas Tod? So also sieht das Leben danach aus. Nicht einmal das Rollen des Wagens, auf dem hochflorigen Teppich, machte einen Laut. Als ob er schwebend ins Zimmer kam. Der Butler trug einen schwarzen Anzug, ein weisses Hemd, weisse Handschuhe und dazu eine bunte, sehr altmodisch wirkende, viel zu grosse Fliege. Auch er trug am Handgelenk eine Personal Watch. Moderne Kommunikation und alte traditionelle Begebenheiten. Tja, irgendwie müssen die im Himmel auch kommunizieren. Ich erklärte mir dies einfach pragmatisch und schickte mich in mein Schicksal. Was sollte ich sonst auch anderes Tun? Ich wachte einfach nicht auf.

Früchte, frisches Brot, echte Eier, herrlich duftender frischer Kaffee. Wo bin ich?

"Möchten sie auf der Terrasse speisen, Miss Lafayette?"

"Lafayette, Miss Lafayette!?" mein Herz blieb fast stehen, als ich den Namen höre. Ich fiel von einer Sekunde zur anderen aus meinem himmlischen Tagtraum, in einen herzinfarktähnlichen Zustand. Das Blut schoss mir in den Kopf, so dass dieser fast zersprang. Meine Halsschlagader schien ebenfalls fast zu platzen und mein Herz pochte mindestens zehnmal schneller als sonst. Lafayette von Lafayette? Die Lafayette's! Wo bin ich nur gelandet? Und vor allem, wie bin ich hier gelandet? Vermutlich haben die mich gekidnappt und ich werde ihr persönlicher Sklave. Was habe ich nur in der letzten Nacht verbrochen? Wenn ich mich doch nur erinnern könnte! Denn so einfach kommt man nicht zu den Lafayette's. Ich bin nicht mal sicher ob man offiziell weiss wo die leben und wohnen. Die Familie sieht man sonst nur in den Medien oder an Events in der Stadt. Sie werden hermetisch abgeschottet und sehr, sehr gut bewacht. Denn von ihnen hängt vieles, wenn nicht gar alles ab. Sicherheit, Wohlstand, Frieden, Freiheit, Meinungsfreiheit. Nun denn, hier als Sklave, mit dem könnte ich recht gut leben. Vielleicht ist dies aber alles auch nur ein schlechter Scherz, bevor ich in den Kerker komme. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass das verbringen einer Nacht mit der Tochter von Mr. Lafayette, in das Bild dieser Familie passt.

Die Lafayette‘s sind eine der reichsten und mächtigsten Familien der Welt-Konföderation. Sie sind es, welche seit Generationen die Virtual Server kontrollieren. Die Stabilität auf der gesamten Welt hängt zum grössten Teil von dieser Familie ab. Ihr Begründer Samuel Lafayette hatte um 2008 den Plan, die Computer so zu vernetzen, dass die Kommunikationsebenen klar und einfach zu verbreiten waren. Mittels Chip, heute HRX und Hirnstromumwandlung, gelang es die Lebensziele der Menschheit nicht mehr über Krieg, Neid und Gier zu steuern. Sondern eben auf weichere Komponenten, wie Liebe, Treue und Kompromisse zu fokussieren. Na ja, leider blieben da, wie gesagt die Kreativität und die Kunst auf der Strecke. Dies war der grosse Kompromiss, welcher die Menschheit erbrachte. Aber es funktionierte. Seit dem Jahre 2045, nach der grossen weltweiten Cyperkatastrophe, ist die Welt von extremistischen Kriegs- und Religionswirren befreit. Der stigmatisierte und extremistische Glaube und die aberwitzige Geldgier sind besiegt. Das künstlich erzeugte Wachstum und die börsenkontrollierte Wirtschaft gibt es nicht mehr. Jedes neugeborene Wesen wird sofort nach der Geburt mit einer speziellen HRX Infusion registriert. Es gibt je nach Gesellschaftszugehörigkeit angepasste Injektionslösungen. Nie aber werden diese rassistisch oder politisch orientiert eingesetzt. Die Rassen und Meinungen sollen sich vermischen. Die Menschheit soll Eins werden. Der Austausch von Kultur, Lebensform und Lebenseinstellung ist wichtig und muss von allen akzeptiert und verstanden sein. 27 verschiedene Programmierungen mit 27 Lebenszielen und 27 internen Zyklen. Das Jahr ist seit 2022 in 27 Perioden eingeteilt. So dass die Menschheit überall in Eintracht und Zyklen kommunizieren kann. Die 27 Systeme liegen je nach Ort dieser Welt näher oder weiter beisammen. Die Zahl 27 wird zurückgeführt auf einen Programmiermechanismus eines der Gründer des Rates der 27. So richtig erklären kann das niemand. Die Legende sagt allerdings, dass es etwas mit der Zahl drei zu Tun hat. Die drei als Grundlage dient vielen Gesetzen. Die Drei, als unteilbare Zahl, steht für Konstanz und Gerechtigkeit. Zwei sind zu wenig, vier sind zu viel um Gerechtigkeit walten zu lassen. Drei mal neun ergibt 27. Die Drei als Wurzel von neun. Drei mal Neun eben. So haben wir die Zahlen erklärt bekommen. Den tieferen Sinn darin sollte ich allerdings erst viele Jahre später erkennen.

01. 01. 2100. 8.34h

"Du schaust so überrascht Darling"

Darf ich nun ehrlich sein oder soll ich cool bleiben? Eigentlich bin ich völlig von der Rolle. Mein Kopf schmerzt, mein Herz pocht, vermutlich sind meine Blutwerte völlig defekt und ich falle gleich mit einem Kreislaufkollaps in Ohnmacht.

"Ja, um ehrlich zu sein, Darling? Ich bin etwas verwirrt und mein Ortungsprogramm scheint irgendwie nicht richtig zu funktionieren"

"Ja, das ist so hier" ist ihre Antwort. Einfach so, aus dem Nichts.

"Jaaa?"

"Ja, du bist hier bei den Lafayette's, schon vergessen?

"Nein, wie könnte ich! Ich rechne schon mit dem Schlimmsten!"

Irgendwie musste ich nun dringendst herausfinden wie und woher ich in diese, eigentlich angenehme Situation gekommen bin. Hier ist alles so wie ich das nur von Erzählungen und Fotos kenne. Schön möblierte Wohnung, mit richtigem, frisch zubereitetem Essen. Echte Teppiche am Boden, gemalte Bilder an den Wänden. All dies ist in einem normalen Alltag nicht wirklich zu sehen. Ausserdem einem Butler, wo gibt’s denn heute noch so was? Der normale Alltag 2099 ist normalerweise komplett durchgeplant. Essen aus der Box, Training, Job, Entertainment. Alles kommt quasi aus der Konserve und abgepackt. Fertig zubereitet und mit Ergebnis und Nährwertanalyse. Das im HRX enthaltene Gesundheitsprogramm analysiert sobald man in der Wohnung ist, alle Werte und berechnet wiederum die nächste Mahlzeit, Sport und Ruhephasen.

"Nathalie, meine Liebste " begann ich ganz vorsichtig, "es war gestern aber ein ganz besonderer Abend" Ich versuche nun auf verschlungenen Pfaden zu ein paar Anhaltspunkten der kürzeren Vergangenheit zu gelangen. Nathalie Lafayette, ja diesen Namen kennt man. Man kennt ihn, aber man kennt sie nicht. Jedenfalls nicht so nah und so unbekleidet. Sie ist so unnahbar, so schön. So normal und ich bin bei ihr!

"Ja" war die unangenehm kurze aber klare Antwort.

"Das Essen war ja ganz aussergewöhnlich." Wieder ein risikoreicher Anlauf, cool zu bleiben.

" Das Hühnchen auf Himbeersauce hat mir am besten geschmeckt und dir?"

Sh..... genau das wollte ich vermeiden. Was mache ich nur?

" Natürlich wie immer das Dessert" gab ich selbstbewusst, mit unhörbar zittriger Stimme, zur Antwort.

"Oh ja, Schokoladen Mousse nach alter Tradition"

" Genau, die weisse Mousse schmeckte mir am besten"

"Was, du hattest weisses Mousse, wie hast du denn das gemacht? Ich bekam wieder nur die dunkle, mastige ab"

Mann o Mann, ich reite mich da in was hinein. Hat sie etwa schon bemerkt, dass ich völlig im Dunkeln tappe.

"War nicht ganz einfach, aber du kennst mich ja"

" Nein, eben kenne ich dich nicht. Nur deinen Name und deinen unfassbaren, entwaffnenden Charme."

Jetzt befinde ich mich wirklich in der Zwickmühle. Soll ich mich nun genau so outen oder mache ich dabei einen Fehler? Wenn ich zugebe, dass ich mich an nichts erinnern kann, ist sie vermutlich zu Tode beleidigt und ich stehe in Null Komma Nichts auf der Strasse. Wenn ich tue als ob ich alles sehr genossen habe, kenne ich keine Details und stehe genau so blöd da.

"Ich kenne Dich ja auch nicht wirklich. Gut, du bist natürlich eine bekannte Persönlichkeit und noch dazu aussergewöhnlich hübsch. Und du riechst wirklich wunderbar. Ich kenne sicherlich den ganzen Tratsch aus der Presse. Aber so ganz sicher, wie ich nun bei dir und mit dir im Bett gelandet bin, bin ich mir nicht mehr" So jetzt ist es ausgesprochen. Was kommt nun?

" Ich habe mich schon gefragt wann du es endlich zugibst. Du warst ja mehr als nicht ansprechbar." Sie schmunzelte mit ihrem wunderschönen Mund so smart, dass ich ihr fast um den Hals falle. "Aber als Liebhaber scheinst du ein Ass zu sein. Trotzdem du kaum mehr gehen konntest, den Härtetest bestandest du mehr als einmal mit Bravour" Und wieder lachte sie schelmisch übers ganze Gesicht. Härtetest, was für ein beängstigendes Wortspiel.

Ich wusste nun nicht ob ich stolz oder beschämt sein sollte. Ich entschied mich, ganz machomässig zu männlichem Stolz. Härtetest! Welch ein Ausdruck.

"Kannst du mir ein wenig auf die Sprünge helfen? Ich habe keine Ahnung wie ich hierher gekommen bin."

31. 12. 2099 21.26h

"Hi, sorry, darf ich kurz durch?" tönt es hinter mir. Eine liebliche und wohlklingende Stimme fragte mich das. Ich stand wie die vielen anderen brav in der Schlange vor dem angesagten " Lounge" Club. Es war die wohl angesagteste Twentyseven - Neujahrsparty in LA. Die schöne Lady stöckelte mit ihren mindestens 12cm High Heels selbstbewusst neben uns allen durch, lächelte dem Rausschmeisser zu und verschwand im inneren des Clubs. Vorher schenkte sie mir aber noch ein entwaffnendes Lächeln. Diese hochnäsigen, reichen Tussis, dachte ich nur kurz. Aber sie hatte etwas Aussergewöhnliches an sich. Irgendwie anders, lockerer und unverkrampfter als die anderen. Ich bin gar der Meinung, dass ich die Dame schon mal irgendwo gesehen habe. Für mich aber definitiv unerreichbar. Ich stehe ja hier in der Schlange und weiss nicht mal ob ich vor Mitternacht da rein komme. Solche V.I.P.s werden immer bevorzugt und kommen praktisch überall sofort rein. Irgendwie muss sie zu einem Familienstamm des Rates der 27 gehören. Nur diese Leute werden noch bevorzugter behandelt.

Mein Konto der Virtual Creditcard für Freizeitbeschäftigung ist für diesen Monat fast leer. Aber ich möchte mir diese Party natürlich nicht entgehen lassen. Ausserdem ist ja schon der 31ste. Vielleicht ist hier ein Networking möglich, welches mich persönlich etwas weiterbringen kann. Heute ist es immer noch enorm wichtig die richtigen Leute zu kennen um in die IN-Gesellschaft zu kommen. Berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, im alten Sinne, gibt es nicht mehr viele.

Viel mehr sollte man in ein Netzwerk kommen, in welchem man sich als Mensch einbringen kann. Lebenshaltungswerte sind auf Grund der Humanchipcontrol gegeben. Hunger leiden oder Wohnungssuche ist nirgends mehr das Problem. Der Aufstieg in eine gewisse gesellschaftliche Schicht mit einem Status A oder B ist allerdings nicht einfach. Gelingt im Prinzip nie ausser du wirst da hinein geboren. Zwischendurch allerdings können normale Menschen es aufgrund eines Talentes oder einer Fügung in die oberen Schichten schaffen. Meine Talente sind allerdings einigermassen beschränkt, also muss ich mich auf eine höhere Fügung verlassen. Mittelmässiger Schüler ohne viel Engagement in sozialen Verbänden. Politisch bin ich nur durchschnittlich interessiert. Einzig in Musikdingen kenne ich mich überdurchschnittlich aus. Vor allem im Bereich der alten Musik, so um die 2000 bis 2040.

Meine Freunde meinten ich hätte so etwas wie ein einzigartiges Musikgen. Was andere in Mathematik oder Biologie wissen, weiss ich über Musik, Komposition oder Musikgeschichte. Einfach so, nur weil es mich seit jeher interessiert. Und dies ohne, dass mich meine Mutter irgendwie dazu erzogen hat. Musik ist ja heutzutage sowieso nur noch eine Konsumkonserve. Hergestellt aus Computerprogrammen und verbreitet über Streamingsender. Keine Stars, keine Komponisten, keinen Trend. Also meine Aufstiegschancen stehen schlecht. Viel Erfolg mute ich mir dabei nicht zu. Aber wenn es etwas gibt was erfolgsversprechend sein kann, sind es Partys an welchen alle Schichten teilnehmen. Und Musik gespielt wird! Nun, ich stehe hier, wie viele andere, mit dem Ziel, irgendetwas in meinem Leben spannender zu gestalten. Und sei es nur ein kurzer Augenblick an diesem Abend.

Endlich um 23.15h komme ich in den Club rein. Die laute Dosenmusik dröhnt mir in den Ohren. Immer wieder dieselben Basslinien und der hämmernde Beat. Das Licht blitzt grell in den Augen. Man kann niemanden wirklich erkennen. Nicht einmal meine Freunde sehe ich. Ich steuere direkt den Dancefloor an, da es dort ein wenig heller ist. Ich zwänge mich zwischen verschwitzten, nassen Körpern hindurch. Der Duft der tanzenden Menge hängt schwer im riesigen Raum. Es ist laut, zu laut für meine Verhältnisse.

In der Nähe sehe ich einige meiner Bekannten, welche schon etwas früher da waren. Sie stehen zusammen an einem Bartisch und unterhalten sich angeregt. Meine Wohnzelle liegt etwas ausserhalb von Downtown, daher habe ich jeweils etwa eine Stunde Transportzeit mit der Solarrailway bis ins Herzen der Stadt. Heute hatte ich etwa 30 Minuten länger, da eine wichtige Railwayverbindung ausgefallen ist. Was eigentlich so gut wie nie vorkommt. Aber genau dann, wenn ich was vorhabe, geht natürlich alles schief. "Hi, Steve" werde ich begrüsst. Monica, Lara und Tom sind bereits da. "Hi, wo ist Lucas?" frage ich. "Lucas kann nicht kommen, seine Virtual Creditcard wurde einmal mehr gesperrt. Er kommt mal wieder nicht aus seiner Wohnzelle."

Lucas ist der Querdenker und Verschwörungstheoretiker in unserer verschworenen Truppe. Er macht alles für seine Freunde, ist aber in seiner Art gegen Alles und Jeden sehr kritisch eingestellt. Immer wieder stellt er wirre Thesen in den Raum und leidet fast ein wenig unter Verfolgungswahn. Vor ein paar Wochen musste er sich gar einem Socialmemoryscan unterziehen, da sein Virtualchip ausgesetzt hat. Das geschieht normalerweise erst ab ca. 70 Jahren Lebenszeit. Plötzlich hörten und fanden wir ihn nicht mehr. Als er dann zurückkam war sein Datumsstempel mit einem Crossupdate gekennzeichnet. Also quasi mit einem Revisionsstempel vermerkt. Und er ist erst 25 Jahre alt. Dies kommt so gut wie nie vor. Aber wenn man es im eigenen Freundeskreis miterlebt, ist es schon sehr komisch. Denn nach so einem Crossupdate hält der Lebenschip in der Regel nur noch ca. 10-15 Jahre! Und was dann? Dann ist er noch nicht einmal 40 Jahre alt!

Wir waren alle sehr betroffen und hoffen natürlich, dass dies bei Lucas anders ausgeht. Denn eigentlich kann er keiner Fliege was zu Leide tun.

Jede seiner Tätigkeiten wird nun über das Central-Healthcenter aufgezeichnet und protokolliert, so dass eine Schwankung seines Bodycontrollsystems sofort korrigiert werden kann. Mittels des Chips kann die Zuführung von Lebensenergien gesteuert werden. Eigentlich für Leute über 75 Jahre eine tolle Sache. Aber für einen jungen Menschen sehr schwierig nachvollziehbar. Wir versuchen Lucas möglichst dabei zu unterstützen, damit er die Situation psychisch verarbeiten kann. Seinen Verfolgungswahn hat er jedoch noch immer. Mehr denn je. Diese ganze Geschichte hat es noch verschlimmert, was unter diesen Umständen verständlich ist und ich sehr wohl nachvollziehen kann.

Wir alle kennen uns seit klein auf. Jeder machte seinen einen eigenen Weg, aber immer hielten wir zusammen und halfen uns wo wir konnten. Lara das Mathematikgenie stand mir am nächsten. Wir waren mal ein Paar und sind es zwischendurch immer mal wieder. Die Beziehung ist aber eher Geschwisterlich, denn Liebe. Monica und Tom wurden über die Jahre wirklich zum Paar. Sie passten schon immer zusammen. Als Kinder klebten sie förmlich aneinander. Sie teilten alles, sie lachten über dasselbe. Im Teenageralter wurden ihre Gefühle tiefer. Und nun sind sie seit 6 Jahren ein Liebespaar. Manchmal scheint es, als seien sie seit fünfzig Jahren verheiratet. So vertraut gehen sie miteinander um. Sie kennen jeden ihrer Gesichtszüge und wissen sofort was der andere denkt oder fühlt. Von solch einer innigen und vertrauten Partnerschaft kann man nur träumen. Und sie fanden dies bereits im Kindesalter. Wenn es so was wie Seelenverwandte gibt, sind dies Monica und Tom.

Ich erhielt vom Serviceclon ein Glas Champagner da es ja schon bald 24h war. Es schlägt Mitternacht und wir gingen in ein neues Jahrhundert über. Alle umarmten und küssten wir uns. Der Alkohol floss in strömen und wir tanzten die Nacht durch. Die ganze Party verflog in meinen Gedanken in einem rosa Nebel.

01. 01. 2100 08.46h

"Du hast mir deinen Wodka-Orange über die Bluse geschüttet während du mit meiner Freundin geflirtet hast" Nathalie weckte mich aus meinem Tagtraum, in welchem ich versuchte, Fragmente der letzten Nacht zu erhaschen.

"Dann nahmst du eine Serviette und wolltest mir mein Dekollté abwischen. Deine Hände waren bereits auf meinen Brüsten als Martin, mein Bodyguard, dich ins Schwitzkästchen nahm. Du hast dich tapfer gewehrt. Aber Martin ist ein Riese von über zwei Metern, mit Händen so gross wie Bratpfannen. Ich fand dich so süss."

So, so , süss fand sie mich. Peinlich, ich erinnere mich nicht an einen Kampf und schon gar nicht an Martin den Riesenpfannenhändemann. Aber jetzt wo sie's sagte, spürte ich einen leisen Schmerz in meinem Nacken.

"Ich rettete Dich vor dem Rauswurf aus dem Club."

"Herzlichen Dank" gab ich ein wenig mürrisch zur Antwort. Sie rettete mich! Genau so stelle ich mir einen grossartigen Aufriss vor. Voll daneben. Zum Glück erinnere ich mich nicht daran. So muss ich mich auch nicht sonderlich schämen. Oder doch? Na ja egal, ich bin hier und gerne möchte ich noch ein wenig bleiben.

"Lass uns endlich etwas frühstücken!"

Sie hat Recht, denn dieses Schlaraffenlandbuffet lasse ich mir bestimmt nicht entgehen.

"Mein Dad möchte dich nachher noch kennenlernen"

Fast spuckte ich ihr vor Schreck den frisch gepressten Orangenjus in den Teller. Ihr Dad, Christopher Lafayette. Er ist der Hüter der Virtual Technologies Inc. Ohne ihn gibt es keine Ordnung, kein System, kein ziviles Leben, sondern nur Chaos und Anarchie. So lernen wir dies jedenfalls seit Generationen in den Schulen. Nun will mich Mr. Lafayette persönlich kennenlernen? Wieso? War ich interessant oder nur einer derjenige welcher seine Tochter mit nach Hause schleppte. Ich musste unbedingt mehr über die letzte Nacht herausfinden. Wo waren meine Freunde, Lara, Monica und Tom? Wo ist Martin der "Pfannenhändemann"? Ich bekomme langsam wirklich Angst was meine Zukunft angeht. Denn hier im Zentrum der Kontrolle zu stehen war zwar momentan äusserst angenehm. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass dies ein Zufall ist. Wieso ist Nathalie überhaupt an mich rangekommen oder besser, ich an sie? In der Regel schafft man es nicht näher als zehn Meter an einen Lafayette. Eigentlich kennt man diese Leute nur von Bildern oder Geschichten. Nun sitze ich hier bei ihr und trinke Kaffee, wie wenn es das normalste der Welt wäre. Wieso weiss er überhaupt dass ich hier bin. Im Bett seiner sicher über alles geliebten Tochter. Da wird doch jeder Vater zum diabolischen Beschützer. Ich stelle mir schon vor, wie er mich hochkant aus dem Zimmer auf die Strasse wirft, und alle meine Träume platzen lässt. Und ich kann ihm dies nicht mal verübeln. Vermutlich habe ich mich hier reingeschlichen und gegen mindestens hundert Regeln und Gesetze verstossen.

"Lounge Club" ein paar Stunden zuvor.

"Lass mich los du überdimensionierter Muskel" schreie ich den Klotz an.

Ich habe keinerlei Chance mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Der Muskelprotz hat mich so in der Zange, dass ich kaum atmen kann. Mit dem rechten Arm hält er meinen Kopf ruhig und mit der linken riesigen Hand, meine beiden Hände hinter meinem Rücken. Er drückt mich über die Theke der Bar und ich hänge dort zappelnd mit den Füssen ein paar Zentimeter über dem Boden. Was habe ich denn getan. Ein wenig Wodka-Orange über die Bluse einer Partyschönheit geschüttet. Und dies erst noch weil ich von hinten angerempelt wurde. Ich kenne die Lady nicht mal! Sie stand einfach nur da als ich ich von einer anderen glamourösen Schönheit angesprochen wurde.

Ich wurde angesprochen, was für eine Geschichte. Das war mir zuvor noch nie passiert. Vermutlich stellte ich mich so ungeschickt und nervös an, dass ein Missgeschick vorprogrammiert war. Plötzlich war alles nass und klebrig. Als ich anfing ihre Bluse zu reinigen, stand dieser Hüne da und hob mich wie ein Blumenstock hoch. Es bildete sich sofort ein Sicherheitsabstand zwischen uns und dem Rest der Gäste. Alle machten einen Schritt retour. Die Musik stellte ab und die Securityclons scannten meinen Chip. Irgendwie stand ich im Mittelpunkt. Aber eben leider nur als sehr unglücklicher Party Gag.

Alle diese Erinnerungen sind so verschwommen und unklar, so dass ich es nicht richtig einreihen konnte.

Wo waren Monica, Lara und Tom?

Wie kam ich überhaupt so nahe an Nathalie ran?

Ich bin sonst kein Aufreissertyp. Und ein Trinker schon gar nicht. Tat mir etwa jemand was in den Champagner?

Denn so ganz alleine inmitten dieser Modells und V.I.P.s, das war gar nicht meine Art. In der Regel blieb ich gerne innerhalb meines Bekanntenkreises und verhielt mich eher unauffällig

Zwar bewundere ich andere, welche sich sehr extrovertiert in die Massen stürzen. Ich kann dies jedoch nicht. Dachte ich bis jetzt zumindest. Wieder weckte mich Nathalie aus meinen Tagträumen.

"Was hast du? Du wirst sehen, mein Dad ist gar nicht so übel. Ein wenig streng aber nicht böse."

"Da bin ich ja froh." antwortete ich vielleicht ein wenig zu harsch.

"Was hast du denn? Du scheinst so verkrampft.

" Nathalie, ich habe keine Ahnung wie ich hierher gekommen bin, wir hatten eine gemeinsame Nacht an die ich mich nicht erinnere und nun will mich dein Vater, der grosse, übermächtige Christopher Lafayette kennenlernen. Dies ist einfach ein wenig zu viel für mich und meinen Neujahrskater."

"Du erinnerst dich nicht an die Nacht?"

"Leider nicht, so Leid es mit tut. Ich möchte mich ja so gerne daran erinnern."

" Ich dachte wirklich du liebst mich, es war alles so romantisch, wild und echt abgefahren."

"Nathalie es tut mir schrecklich Leid, ich möchte mich so gerne erinnern. Du bist der Traum eines jeden Mannes und ich hatte es und kann mich nicht daran erinnern. Es ist unglaublich schizophren."

"Macht nichts" sagt sie ungewöhnlich fröhlich. "wir haben ja alles in Virtual Identity aufgenommen"

"Was haben wir" rief ich etwas zu laut

" Tja weisst du, hier wird alles aufgezeichnet, da wir auf dem Gelände nicht der Kontrolle der Virtual Humanchips unterstehen."

" Und dein Vater, kann der das sehen?"

"Ich glaube den interessiert das gar nicht, er ist so vielbeschäftigt, dass er meine Räume sicherlich nicht täglich kontrolliert. Zudem fand das meiste sowieso nicht im Schlafraum statt." Sie lächelte mich vielsagend an.

"Ist ja beruhigend zu wissen". Dabei wurde ich immer unruhiger. Was habe ich nur getan? Wo habe ich es nur getan?

" Deine Kreativität, was das Liebesspiel angeht, ist wirklich ungewöhnlich. Und gerne möchte ich dies wiederholen. Am liebsten sofort."

Spätestens jetzt musste ich die VI Aufnahmen sehen, denn bisher war mein Liebesspiel eher durchschnittlich. Meine Partnerinnen waren zwar immer zufrieden aber so enthusiastisch erlebte ich noch keine.

"Wäre es möglich, die VI einmal zusammen anzusehen?" fragte ich etwas zögerlich.

"Du scheinst ja ein ganz Schlimmer zu sein, was. Logisch sehen wir uns das an. Ich bin schon ganz heiss darauf. Denn ich ging dabei ab wie eine Rakete. Vermutlich war ich ein wenig zu laut. Aber die Türen sind sehr dick und dicht, so dass uns sicher niemand hören konnte"

Nun war ich mir doch unsicher ob dies eine gute Idee war. Einen erotischen Film mit mir in der Hauptrolle verkrafte ich nicht auch noch. Schon der Gedanke daran liess mich erschaudern.

Plötzlich klopft es an der Türe.

"Herein, es ist offen"

Nathalies Vater trat ein. Er war ein etwas untersetzter, rundlicher, aber auf den ersten Blick sehr sympathischer Mann, mit einem wachen und direkten Blick in seinen Augen. Von wegen gross und übermächtig, lachte ich innerlich. Er trug einen weinroten, seidenen, etwas zu grossen Morgenmantel, weisse Socken und etwas ausgelatschte Filzpantoffeln. Am Linken Handgelenk trug er eine altertümliche goldene Schweizer Armbanduhr. Unter dem rechten Arm klemmt ein Pad. Alle Menschen hatten dies. Nur seines scheint besonders zu sein, da es statt des üblichen grau, farbig in feuerrot daher kommt. Rot, die Farbe der Liebe, der Macher. Die Farbe der Extrovertiertheit und der Ungeduld.

"Hallo, Sweety" höre ich ihn seine Tochter flötend begrüssen.

" Guten Morgen Mr. McFerry". Dieser Gruss war nun eher geschäftlich trocken.

"Guten Morgen Sir" begrüsse ich ihn und stehe auf um ihm meine Hand zur Begrüssung anzubieten. Er läuft allerdings an mir vorbei um seine Tochter innig zu umarmen.

"Na Süsse, wie war der gestrige Abend? Martin erzählt mir wie immer keine Details. Ihr seid mir ja eine verschworene Bande."

Er sieht mich dabei durchdringend an. Ich versuche dabei seinem Blick stand zu halten. Man sagt ja, Blickkontakt halten sei die Stärke der Starken. Ich schaffe es leider nicht ganz und gebe nach ein paar Sekunden der Stille auf. Nathalie rettete mich, einmal mehr, wieder aus einer verzwickten Situation.

"Ja Daddy, wir hatten es lustig. Besonders Steve war ein Brüller."

War dies wirklich der rettende Satz? Der Brüller? War eher belustigend als Stark. Und ich stand nun ein wenig verloren vor dem Frühstückswagen.

Da wurde mir bewusst, dass ich noch immer in der Unterwäsche und Nathalie nur mit meinem Hemd bekleidet vor Christopher Lafayette standen. War nicht gerade der prägende erste Eindruck den man auf den potentiellen Schwiegervater machen sollte. Nun denn, ich rechnete mir sowieso keine reelle Chance auf ein längeres Verbleiben im Hause Lafayette aus. Was hat einer wie ich denn in solchen Kreisen verloren?

Doch es sollte alles irgendwie ganz anders kommen

Mein Urgrossvater

Mein Urgrossvater, geboren 1964, lebte und wuchs in einer wohl behüteten Zeit, mit anfänglich enormem Wachstum auf. Wachstum in gesellschaftlichen wie auch in technologischen Belangen.