Der tanzende Elch - Walter Uwe Weitbrecht - E-Book

Der tanzende Elch E-Book

Walter Uwe Weitbrecht

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Beschreibung

Da gerät ein Frosch mit einer Beschwerde in die Klauen der Bürokratie. Der Elch erwacht nach der Mittsommer-Feier mit einem dicken Brummschädel. Oder der starke Büffel wird kleinlaut, wenn der Elefant vor ihm steht. Von der Antike bis in die Neuzeit wurde die Gattung der Fabel gepflegt und weiterentwickelt. Kluge und lehrreiche Geschichten von Tieren mit menschlichen Eigenschaften vermittelten eine Moral. Dies hat Walter Uwe Weitbrecht auf moderne Gegebenheiten zugeschnitten. Aber auch zu zeitlosen menschlichen (Un-)Tugenden wie Langmut und Vertrauen, Eitelkeit, Neid oder Größenwahn senden die sprechenden Tiere manch heilsame Erkenntnis. Die 38 modernen Fabeln und weitere 12 märchenhafte Geschichten laden zum Schmunzeln und zum Staunen ein. Ein im Wortsinne fabelhaftes Buch für die ganze Familie.

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Seitenzahl: 140

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Walter-Uwe Weitbrecht

Der tanzende Elch

Fabeln und andere Geschichten

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© by Verlag Kern GmbH, Ilmenau

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage, Dezember 2016

Autor: Dr.Walter-Uwe Weitbrecht

Layout/Satz: Brigitte Winkler, www.winkler-layout.de

Bildnachweis Titelmotiv: fotolia | © mozart3737

Lektorat: Manfred Enderle

Sprache: deutsch, broschiert

ISBN: 978-3-957162-199

ISBN E-Book: 978-3-957162-359

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

www.verlag-kern.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, Speicherung in DV-Systemen oder auf elektronischen Datenträgern sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet oder anderen Kommunikationsträgern ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags auch bei nur auszugsweiser Verwendung strafbar.

Vorwort

Fabeln, so findet man in der Wikipedia, sind kürzere Geschichten mit belehrender Absicht, die von Tieren, Pflanzen oder Mischwesen mit menschlichen Eigenschaften handeln und die meist eine allgemeingültige Moral beinhalten.

Warum sollte man Fabeln schreiben? Es gibt genug Leute, die uns belehren wollen, wie wir gesund leben oder den Müll trennen sollen. Moral täte uns allerdings bei unserer Zentrierung auf die eigenen Bedürfnisse gut, das zeigen plakativ die Fehltritte einiger bekannter Persönlichkeiten oder das aggressive Verhalten von Protestgruppen bzw. von Kommentatoren im Internet. Fabeln ermöglichen wie die Satire Kritik durch Witz und Überzeichnung alltäglichen Verhaltens. Zudem kommt die Länge einer Fabel dem derzeitigen Leseverhalten – eine Bildschirmseite – entgegen. Anders als in den klassischen Fabeln vermenschlichen die in diesem Band aufgezeichneten modernen Fabeln Tiere nicht komplett. Für alle auftretenden Tierarten wurden Lebensraum, Ernährung und Verhalten recherchiert und, soweit der Anlass der Geschichte es zuließ, berücksichtigt. Anlässe waren die Trägheit der Bürokratie, das Verhalten von Politikern, die menschliche Gier, Eitelkeit, Sucht, aktuelles politisches Geschehen wie Terror, Flucht oder der Militärputsch in der Türkei, bei welchem in der Phase der Aufarbeitung der türkischen Regierung ein weiser Rat gut getan hätte. Andere Motivationen für die Fabeln waren Alltagserlebnisse oder Sprichwörter. So entstanden 38 Fabeln. Dem Leser bleibt überwiegend überlassen, Anlass und die Moral zu erkennen.

Ergänzt wird der Band durch 12 kurze Geschichten teils mit unterschiedlichem Charakter.

Ich hoffe, dass das Lesen so viel Spaß macht wie das Schreiben der Geschichten.

Mein Dank gilt dem Verlag für sorgfältige Bearbeitung und meiner Frau Ulrike für Geduld und kritische Anmerkungen.

W.-U. Weitbrecht, Oktober 2016

Der Frosch und die Kröte

Ein Frosch hatte ein Problem mit seiner Nachbarin, der Kröte. Immer setzte sie sich vor die Tür seines Hauses im Schilf am Ufer des Teiches, produzierte Schleim, der ins Haus geschwemmt wurde und grunzte zur Unzeit, sodass der Frosch aus dem Mittagsschlaf hochschreckte. Sein Bruder kam nicht mehr zu Besuch, weil er sich vor der Kröte fürchtete.

„Kannst du nicht anderswo sitzen, grunzen und Schleim produzieren, als vor meiner Tür“, fragte er sie. „Kein Gesetz verbietet mir, hier zu sitzen und zu tun was ich will“, brummte die Kröte und grinste bösartig.

„Wir könnten unser Problem doch im Guten lösen“, antwortete der Frosch höflich, „rutsche einfach ein Stück nach rechts oder links.“

„Ich bleibe hier sitzen! Wenn der König der Tiere, der Löwe, es anders bestimmt, dann tue ich es. Also frage ihn.“ Die Kröte rollte ihre Augen und dachte sich, dass der Frosch niemals den Weg zur Höhle des Löwen wagen würde. Doch den Frosch bedrängte die Impertinenz der Kröte so sehr, dass er sich auf den Weg machte.

Am Tor der Höhle des Löwen saßen zwei Hyänen als Wächter. „Was, Frosch, willst du vom König“, grollte eine der Hyänen. Der Frosch schilderte sein Problem mit der Kröte und seine Bitte um eine Entscheidung des Königs. Eine der Hyänen verschwand in der Höhle und kam kurz darauf zurück. „Der König lässt dir ausrichten, dass er Probleme dieser Art zur Entscheidung an Minister Nashorn delegiert habe. Du findest ihn in Afrika.“ Der Frosch machte sich auf den Weg nach Afrika und als er nach vielen Strapazen Minister Nashorn fand, schilderte er diesem sein Problem. Das Nashorn warf sich auf den Rücken und strampelte mit den Beinen. Dabei erzeugte es eine ungeheure Staubwolke. Als es wieder auf den Beinen stand, grunzte es: „Das ist ein schwieriges Problem. Es übersteigt meine Kompetenz. Solche Probleme löst Ministerialrat Storch. Du findest ihn in Asien.“

Also machte sich der Frosch auf den Weg nach Asien, um Ministerialrat Storch zu finden. Als er bei ihm nach vielen Strapazen ankam, schilderte er ihm sein Problem mit der Kröte. Der Storch hörte geduldig zu, wiegte den Kopf und klapperte mit dem Schnabel. Schließlich sprach er: „Lieber Frosch, dein Problem löse ich gerne. Du wirst keinen Ärger mehr mit deiner Nachbarin der Kröte haben.“

Dann packte er den Frosch mit dem Schnabel und verschlang ihn.

So verschlingt die Bürokratie ihre Bittsteller.

Die Katze und der Hund

Ein Hund und eine Katze lebten gemeinsam in einem Haushalt. Der Hund war groß und schwarz. Er neigte zu mitreißenden Reden über die sozialen Missstände der Hundefamilien in Menschensiedlungen und mied Rüdenkämpfe. Die Katze hatte ein feines Fell, weiß am Bauch, beige am Rücken und sie lispelte ein wenig. Manchmal setzte sie sich würdevoll hin und formte mit den Krallen der Vorderpfoten eine herzförmige Figur. Die Katze mochte den Hund nicht, weil er so schwarz war sowie laut und rau bellte. Dem Hund war die Katze egal bis auf einen Punkt: Er hatte den Eindruck, dass die Katze bei der Essensausgabe bevorzugt wurde, weil sein Fressnapf immer halb leer war. Er stellte sich deshalb häufiger vor die Küchentür, lauschte und hoffte, das Klappern der Fressnäpfe zu hören. Eine Maus hatte ihn mehrfach beobachtet. Die Katze wusste es nicht.

Als die Katze die Maus belauerte, sagte diese: „Du weißt, dass dich der große schwarze Hund immer belauscht, wenn du in der Küche bist.“

„Du lügst und sagst das nur, weil du nicht willst, dass ich dich fange.“

„Nein, nein! Es ist die reine Wahrheit. Zudem habe ich keine Angst vor dir. Die Ratte hat mir Asyl angeboten, wenn du mich bedrohst. Sie ist stark, da sie immer aus dem Fressnapf des Hundes isst.“

Sprach’s und verschwand im Bau der Ratte.

Die Katze schaute irritiert und murmelte: „Die verdammte Ratte fühlt sich größer als sie ist, nur weil sie Russisch sprechen kann.“

Als der Hund das nächste Mal an der Küchentür lauschte, riss die Katze die Tür auf und lispelte: „Warum hörst du mein Miauen ab?“

„Woher soll ich sonst wissen, wann es zu essen gibt“, knurrte der Hund und fügte hinzu, „keinesfalls sollte dies Abhören sein. Dein Miauen interessiert mich nicht.“

„NSA!“, sagte die Katze und wollte ihm nicht glauben, „Niemals Sollte man Abhören! Unter Freunden geht das gar nicht. Du kannst es wieder gut machen, indem du mit mir gegen die Ratte vorgehst, die immer aus deinem Fressnapf isst.“

„Die Ratte frisst aus meinem Napf? Deshalb ist so wenig drin! Ich hätte nicht gedacht, dass so ein Regionalnager sich dies traut.“

So kam es, dass Hund und Katze ein gemeinsames Projekt hatten und sich dennoch weiter belauschten.

Der starke Büffel

In der Steppe Afrikas lebte ein großer schwarzbrauner Büffel. Jeden Morgen trainierte er seine Kraft und seinen wütenden Ausdruck. Nachdem sein Vater verstorben war, hatte er seine Brüder verjagt. Jetzt rannte er tosend durch das hohe Steppengras, den Kopf gesenkt, die spitzen, langen Hörner auf einen Scheingegner gerichtet. Der Boden der Steppe vibrierte. Er bremste abrupt mit allen vier Hufen gleichzeitig ab, sodass sich tiefe Bremsspuren in den roten Boden eingruben, er schnaubte drohend und eine Wolke von Staub stob zum Himmel. Alle hatten Respekt vor ihm und wichen ihm ängstlich aus, die Antilopen, die Zebras und sogar der sonst so selbstbewusste Löwe fürchtete die spitzen Hörner und die grenzenlose Kraft. Die Büffelkühe waren tief beeindruckt und fühlten sich viel sicherer als zuvor, seit er sich um sie kümmerte.

„Du bist der Stärkste, den wir je hatten“, sagte seine Mutter und kaute ein Büschel Steppengras.

„Du machst doch nur eine Riesenshow, ohne etwas dahinter“, sagte der Rabe und flatterte auf den toten Ast eines Affenbrotbaumes.

„Ich meine es ernst“, knurrte der Büffel und warf schnaubend den Kopf hoch, die Hörner in Richtung des Raben schwingend.

„Ra, ra!“ lachte der Rabe und flog davon.

Der Büffel schnaubte wütend und schlug klatschend mit dem Schwanz in die Luft.

Eines Tages galoppierte der schwarzbraune Büffel wieder mit gesenktem Kopf durch die Steppe, stoppte plötzlich und stutzte. Ein dunkler Schatten fiel über ihn. Vorsichtig blickte er nach oben, weiter nach oben und legte schließlich den Kopf in den Nacken.

Vor ihm stand ein mächtiger Elefantenbulle, die riesigen weißen Stoßzähne auf ihn gerichtet, der ihn abschätzig anblickte, den Kopf wiegte und mit den Ohren schlug. „Was machst du für ein Getöse, Büffel!“

„Nichts, nichts!“, sagte der Büffel, grinste verlegen und wedelte mit dem Schwanz, „mir war nur nach ein bisschen Rennen.“

„Dann renne woanders.“

Der Büffel drehte ab und trottete gemächlich zurück zu seiner Herde.

Denn ein Büffel prahlt nicht mit seiner Kraft, wenn der Elefant da ist.

Das Altenteil der Ostschermaus

Eine gut genährte Ostschermaus mit wuscheligem Fell wohnte in einem wunderschönen Garten mit schmackhaften Gemüsepflanzen, Blumen, Büschen, Wiese und Obstbäumen. Es gab genug zu futtern, sodass Freunde sie besuchten und sie auch reichlich Nachkommen geboren hatte. Die Menschen, die den Garten pflegten, sorgten dafür. In einem Gang unter einem Kirschlorbeerbusch ruhte sie sich am Tage von ihren nächtlichen Anstrengungen auf der Suche nach delikaten Wurzeln und Knollen aus. Bei dem stellenweise festen, steinigen Boden konnte das Graben von Gängen sehr anstrengend sein.

Eines Tages kam ihre Tochter Paula zu ihr, die selbst schon viele Kinder und Kindeskinder hatte, und sagte: „Mutter, der Garten ist reichhaltig. In der Zwischenzeit sind wir aber so viele, dass nicht mehr alle satt werden. Wir Jungen sind der Meinung, ihr Alten solltet euch nicht mehr auf Kosten der Jungen satt fressen. Die haben ihr Leben noch vor sich. Ihr seid schon alt und fett. Es ist daher gerecht, wenn du auf deinen Anteil verzichtest.“

Die Ostschermaus war gutmütig und dachte nach. Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie nichts mehr zu essen bekäme. Sie wollte keinen Konflikt mit den Jungen. Daher sagte sie: „Ich wandere in den Nachbargarten aus. Dort wohnt bisher keine Maus, da er weniger gepflegt ist. Er wird mein Altenteil.“

„Oh, ist das nicht gefährlich?“

„Ich muss nur einen tiefen, langen Tunnel graben.“

„Wenn das klappt, kannst du dann deine Geschwister nachholen, damit es hier Platz gibt?“

Die Ostschermaus antwortete nicht mehr. Kaum hatte sie ihren letzten Satz gesagt, begann sie zu graben, nicht wie sonst flach unter der Erde, sondern in die Tiefe des braunen Bodens, vorbei an Steinen und Baumwurzeln in Richtung Nachbars Garten. Sie buddelte und buddelte. Es dauerte Stunden und wurde ein mächtiger Tunnel, der sich hinter ihr durch den Abraum verschloss, sodass es kein Zurück gab. Schließlich scharrte sie erschöpft nach oben und hatte plötzlich nicht mehr die Dunkelheit der Erde, sondern die gleißende Sonne in den Augen. Geblendet lief sie schwankend einige Schritte. Da hörte sie einen Klick und saß in einer Falle.

„Ach!“, dachte sie, „da hat man sich sein Leben lang abgemüht, das Überleben der Jungen gesichert, will nun sein Altenteil genießen und was ist dann? Man sitzt in der Falle und kann sich nicht mehr rühren. Ist das gerecht?“

Das glitzernde Kamel

Ein Kamel lebte im Oman bei Hayma in der Wüste und blickte zu den Bergen, die hoch oben mit Schnee bedeckt waren. „Dort oben zu sein, wäre wunderschön“, sagte es zu seinem Bruder, „das Weiße auf den Gipfeln ist etwas Wunderbares. Ich wüsste gerne, ob es süß schmeckt.“

„Du wolltest schon immer hoch hinaus“, antwortete dieser.

„Am liebsten wäre ich ein Mensch. Dann könnte ich auf dir reiten, mir mein eigenes Haus bauen und mit einem Luftfahrzeug in die Berge fliegen.“

„Dann solltest dich wie ein Mensch benehmen: Kleider anziehen, dich mit Schmuck behängen, auf zwei Beinen gehen und diese merkwürdig wechselnden Geräusche ausstoßen, mit denen sie sich verständigen“, blökte sein Bruder, scharrte mit dem rechten Vorderhuf und versuchte, einige trockene Disteln aus dem Boden zu ziehen.

„Vielleicht genügt eines der Dinge, um sich zu verwandeln“, dachte das Kamel.

Also begann es sich auf die Hinterbeine zu stellen und zappelte mit den Vorderhufen, aber Gehen auf zwei Beinen gelang ihm auch nach häufigem Üben nicht. Schon nach wenigen Sekunden stand es wieder auf seinen vier Beinen und keuchte. Ich muss etwas anderes versuchen, sagte es zu sich und begann mit verschiedenen Lauten zu blöken, die Menschen in Hayma dachten, es sei krank. Sie gaben ihm frisches Wasser und etwas grünes Futter. Nachdem das Kamel das Blöken eingestellt hatte, weil es einsah, dass die Menschen es nicht verstanden, glaubten diese, es sei genesen.

Bei einem Spaziergang in die Wüste sah das Kamel ein zusammengefallenes Zelt. Es steckte seinen Kopf hinein, wühlte hin und her und als es den Kopf wieder hob, hingen einige Ketten mit Edelsteinen um seinen Hals. Das Kamel galoppierte zu seinem Bruder, bremste abrupt, sodass der Sand aufwirbelte und sagte: „Schau mich an, ich bin jetzt geschmückt wie eine Menschenfrau. Habe ich mich nicht komplett verändert?“

„Du glitzerst zwar am Hals, aber sonst siehst du immer noch aus wie ein Kamel“, brummte er trocken.

„Ach, ich werde es nie schaffen ein Mensch zu werden“, sagte das Kamel und legte sich traurig auf den Boden.

Ein Kamel ist eben ein Kamel, auch wenn es mit Edelsteinen beladen ist.

Das seltsame Hühnchen

Auf einem großen Hühnerhof in Norddeutschland nicht weit von Berlin lebte eine Henne. In regelmäßigen Abständen legte sie Eier und brütete sie mit Liebe aus. Dieses Mal fühlte sich das Gelege sehr unbequem an. Ein Ei war größer als die anderen und drückte, sodass sie ständig ihre Lage ändern musste.

„Warum bist du so unruhig“, fragte der Hahn.

„Ein Ei ist anders.“

Er sah sich das Gelege an. Ein Ei war größer und weniger weiß.

„Ja“, sagte er, „ein Ei ist anders. Wenn das Kleine schlüpft, denke an das Diskriminierungsverbot.“

Die Henne wiegte mit dem Kopf und brütete unruhig weiter. Als die Küken die Hülle ihrer Eier aufbrachen und herumwackelten, sah die Henne, dass alle schön gelb waren bis auf eines, das etwas größer war und einen weißgrauen Flaum hatte. „Ach, wie hässlich“, dachte sie, „aber ich muss es lieben!“

Sie ging durch den Hof und die kleine Horde wackelte hinter ihr her, am Schluss das hässliche Küken. Die Nachbarn blickten sich um, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.

„Denkt an das Diskriminierungsverbot!“, sagte der Hahn, als er sie tuscheln sah. Sie nickten mit den Köpfen und schauten weg.

Die Geschwister ekelten sich vor ihrem Bruder und wollten immer wieder nach ihm picken. „Lasst das“, gackerte die Henne, „wenn jemand anders ist, müsst ihr ihn so respektieren, wie er ist. Euer Bruder ist etwas Besonderes.“

Da ließen sie von ihm ab und respektierten ihn. Das eingeschüchterte weißgraue Küken richtete sich auf und wurde selbstbewusst. Es wuchs und wuchs, wurde größer als seine Geschwister und schließlich ein stolzer, schnatternder und strahlend weißer Gänserich, der alle Hühner überragte.

„Ich bin anders und daher etwas Besonderes“, dachte er. Mit den Hühnern konnte er nichts anfangen und sie nichts mit ihm. Sie nannten ihn Klaus und wählten ihn zum Bürgermeister. So war er voll integriert und von allen respektiert. Er traf ab und zu einen Gänserich aus der Nachbarschaft, hatte sonst kein Interesse an seinesgleichen, feierte jeden Tag eine Party und kümmerte sich vor allem um die Kultur und das Vergnügen der Gemeinschaft.

Der Wanderesel

Ein Wanderesel war im Januar mit dem Schiff von Barcelona nach Palma gefahren und wollte auf Mallorca das Kloster Cartuja de Jesús Nazareno in Valldemossa besuchen, in dem auch Chopin und George Sand sich vor mehr als 150 Jahren aufgehalten hatten. Er hatte nicht vor, ein Buch über den Winter auf Mallorca zu schreiben, denn er war Analphabet. Auch plante er keine Mazurka zu komponieren, da er völlig unmusikalisch war. Sein Onkel hatte ihm erzählt, dass um diese Zeit die Mandeln blühen und eine besondere Grasart um das Kloster aufkeimt, die beide seinen Husten lindern und seine Stimme klarer machen könnten. Darauf legte er besonderen Wert, da seine tönenden Rufe in der Familie sehr beliebt waren. Er nahm seinen Stock in die Hand und wanderte auf der Straße von Palma in Richtung Esporles, da man ihm gesagt hatte, dass ein Weg nach Valldemossa von dieser Straße abzweige.

Die Stunden vergingen und trotz des milden Wetters wurde ihm warm. Er begann zu keuchen und sein graues Fell wurde fleckig durch den Schweiß. Da er die Schilder nicht lesen konnte und immer wieder kleine Wege abgingen, war er sich nicht sicher, ob er die Abzweigung nach Valldemossa verpasst hatte. Er fragte den Hasen, der aus einem Gebüsch sprang: „Bin ich hier richtig nach Valldemossa?“

„Ja, ja! Nach etwa 2017 Sprüngen musst du nach rechts abbiegen.“

„Ich kann aber nicht so springen, wie du. Gibt es nicht ein Merkmal, an dem ich die Abzweigung erkennen kann?“