Der Teufel ist blond - Susann Teoman - E-Book

Der Teufel ist blond E-Book

Susann Teoman

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Beschreibung

Ein rasantes Werk über die Komplikationen der Liebe!Lisa Teufel weiß gar nicht, was sie machen soll! Ihr Freund Tom ist auf dem Weg zu ihr, um mit ihr in ein elegantes Restaurant zu gehen und ihr hoffentlich den lang ersehnten Heiratsantrag zu machen. Und jetzt kann sie ihr Glätteeisen für ihr krauses Haar nicht finden! Doch dann kommt sowieso alles anders als gedacht: Tom macht Schluss, weil er sie für einen zu großen Stressfaktor hält. Daraufhin trifft Lisa die Entscheidung, ihm nicht von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Ihre beste Freundin Mia hält das für eine schlechte Idee und setzt daher alles in Bewegung, um die Situation zu berichtigen – und bringt damit alles noch mehr durcheinander.-

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Susann Teoman

Der Teufel ist blond

Saga

Der Teufel ist blondCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2008, 2019 Susann Teoman und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726255546

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

1. Der Heiratsantrag

Seien wir doch mal ehrlich. Klamotten sind eine ernst zu nehmende Angelegenheit!

Letztes Jahr zu Weihnachten beispielsweise ist Tom losgezogen, um mir ein ganz besonderes Geschenk zu kaufen.

Mit freudig geröteten Wangen stand er vor dem Tannenbaum und sah mir beim Auspacken zu. Ich hoffte so sehr auf die schicke Gucci-Lederjacke, die ich ihm neulich gezeigt hatte, dass ich den Karton vor lauter Eifer beinahe in den Kamin fallen ließ, als er ihn mir überreichte. Mit klopfendem Herzen riss ich das hübsche Geschenkpapier vom Karton, öffnete den Deckel mit vor Aufregung klammen Fingern und schob das Seidenpapier beinahe ehrfürchtig beiseite. Ich runzelte angestrengt die Stirn. Es war kein Gucci in dem hübschen Paket.

Im Nachhinein frage ich mich noch immer, ob es meine Schuld war, dass er mich für »Roseanne« hielt. Klar, ich habe nun einmal meine Problemzonen, wie jede Frau, aber trotzdem trage ich Kleidergröße sechsunddreißig/achtunddreißig, das sieht doch wohl jeder! Okay, unten herum passt eine achtunddreißig so gut, dass ich manchmal auf eine Größe vierzig zurückgreife.

Jedenfalls beförderte ich aus dem schicken Karton eines elend teuren Ladens ein Zweimannzelt mit gelben und violetten Streifen.

Links unten prangte in fetzigem Schriftzug das Designerlabel, aber das machte die Sache auch nicht besser.

»Und?«, hatte Tom aufgeregt gefragt, »Gefällt es dir?«

Mehr als ein »Ähm ...« brachte ich nicht heraus, weil ich versuchte herauszufinden, was das für ein Ding war.

»Das ist ein Kleid«, half er mir schließlich weiter.

Darauf wäre ich wirklich nie im Leben gekommen.

»Nett, ehrlich, ist toll«, versicherte ich ihm hastig und musterte unauffällig das Etikett, auf dem die Konfektionsgröße vermerkt war.

Achtundvierzig!

»Zieh es doch mal an!«, bat Tom mit Dackelaugen, und ich versuchte auch, ihm den Gefallen zu tun. Es ist nur schwer, ein Kleid von der Größe eines Fallschirms auf dem Körper zu behalten.

»Passt wie angegossen«, strahlte ich ihn herzlich an, während Tom immer röter wurde und nachdenklich meinen abgestreiften, hautengen Rolli in die Hände nahm.

»Äh, ich dachte, besser man kauft es groß, dann hast du mehr Platz«, wand er sich zaghaft.

Platz wofür?, fragte ich mich. Um damit vom Kölner Dom zu springen?

Seither habe ich jedenfalls keine Kleider mehr von Tom geschenkt bekommen, was ich schade finde. Irgendwann hätte er den richtigen Weg beziehungsweise die richtige Konfektionsgröße schon gefunden, da bin ich mir sicher!

Tja, so war das damals. Und jetzt muss ich für unser Essen sofort einen tollen Fummel zum Anziehen finden, weil Tom mich gleich fragen wird, ob ich ihn heiraten möchte. Davon bin ich jedenfalls überzeugt. Anders kann ich mir seinen Anruf nicht erklären. Kaum ist er wieder auf Kölner Boden gelandet, da ruft er mich auch schon an und erklärt, er hätte etwas Wichtiges mit mir zu besprechen und zwar sofort! Naja, man muss kein Einstein sein, um zu wissen, was er mir sagen will, oder? Immerhin sind wir schon ziemlich lange zusammen und das wäre der nächste, logische Schritt.

Der Kleiderschrank betrachtet mich mit anklagend aufgerissener Schnauze.

Ich bin noch immer genauso weit wie vor einer Stunde. Was soll ich anziehen?

Lassen wir das erst einmal, ich werde mich erst um meine strohblonden Haare kümmern, denn die sind inzwischen knochentrocken. Das sind sie auch dann, wenn sie nass sind. Stahlwolle wird ja bekannterweise nicht richtig nass.

Ich bin übrigens eine Kreuzung aus Whitney Houston, Madonna und Carrie aus Sex and the City, nur mal so nebenher bemerkt. Nicht, dass ich ihre besten Attribute teile! Im Gegenteil, meine Haare wirken enorm afroamerikanisch, ich bin haargenau so klein wie Madonna und besitze deshalb, genau wie Carrie, eindeutig zu viele, zu teure Schuhe mit viel zu hohen Absätzen.

Auf dem Spülkasten im Badezimmer liegt das niegelnagelneue Glätteeisen Clairol 2034, das laut Packungsaufschrift eigens für besonders störrische Haare entwickelt wurde. Das habe ich noch nicht ausprobiert und deshalb natürlich sofort gekauft. Und ich habe in meinem Leben schon eine ganze Menge versucht, um meine Haare zu glätten.

Als kleines Mädchen habe ich beispielsweise einmal auf dem Friedhof zur Walpurgisnacht eine Serie von Hexentänzen im Mondschein veranstaltet, von denen ich in einem Buch gelesen hatte. Meine beste Freundin Mia war natürlich dabei, wie immer völlig wider Willen und schlotternd vor Angst. Dieses etwas unorthodoxe Mittel der Haarglättung hätte vielleicht auch geholfen, wenn wir nicht eines Nachts vom Friedhofswächter verfolgt und dann auf die Polizeiwache geschleppt worden wären, wo man uns eindringlich ins Gewissen redete. Meine Mutter und Mias Vater holten uns dann ab und danach durfte Mia eine ganze Weile nicht mehr bei mir übernachten.

Sieben plattgequetschte Strähnen weiter riskiere ich einen angestrengten Blick auf meine Armbanduhr. Mensch, dauert das lange! Aufgeben kommt für mich aber nicht mehr infrage, zumal eine Seite nun matschiger ausschaut als die andere und ich so nicht vor die Tür gehen kann. Aber wozu bin ich schließlich Frau? Multitasking ist gefragt! Mit einer Hand klemme ich mir fix eine weitere Strähne ins Glätteeisen, und mit der andern Hand schminke ich mich. Na bitte, wer sagt’s denn!

Ich überlege weiterhin, was ich anziehen könnte.

Etwas, das meine Kehrseite kaschiert, wäre vielleicht empfehlenswert. Mein Körper ist okay, ich sehe wirklich ganz gut aus. Nur unterhalb der Taille bin ich vielleicht normaler als beispielsweise Heidi Klum. Ich habe nämlich einen rechtwinkeligen Po. Manchmal habe ich das Gefühl, er läuft einen Meter hinter mir her und ich muss aufpassen, dass ich ihn nicht in den Türspalt klemme, wenn ich einen Raum betrete und die Tür schließen will.

Während ich eine neue Strähne in das Haarbügeleisen zwänge, lackiere ich mir mit der freien Hand die Fußnägel. Ich puste sie trocken und halte plötzlich inne. Ich schnüffle angestrengt. Merkwürdig riecht es hier. Meine Nachbarin kocht sicher wieder eine perverse Köstlichkeit wie geräucherten Pansen für ihren Rottweiler. Ich schenke dem Geruch keine weitere Beachtung.

Irgendwie riecht es hier nun doch stärker ... nach etwas Verbranntem ... das ist doch nicht ... Mistmistmist!

Habe mir eine Haarsträhne abgeflammt! Hektisch haue ich mir auf den Kopf und hoffe so, die Rauchschwaden, die von meiner Kopfhaut emporschweben, zu ersticken. Ich muss husten und meine Augen tränen, als hätte ich gerade hundert Kilo Zwiebeln geschält. Endlich lässt der Qualm ein wenig nach. Kritisch beäuge ich mich im Spiegel und atme tief ein. Ob Tom die paar frisch verbrannten Stoppeln wohl bemerkt? Es schwelt noch immer. Wusste gar nicht, dass verbrannte Haare so intensiv stinken können. Was soll’s! Bei so vielen Haaren fällt die eine Strähne mehr oder weniger bestimmt nicht auf.

Schon Viertel vor acht!

Nur mit meinem knallrosa Glückstanga bekleidet, renne ich zurück in das Krisengebiet Schlafzimmer und luge sehr viel panischer als eben in den Kleiderschrank. Die Zeit rast wie Schumi zu Glanzzeiten. Langsam wird’s eng. Und noch immer kein passendes Kleidungsstück in Sicht.

Mein Blick bleibt an dem hübschen Seidenkleid hängen, das ich ursprünglich für Mias Hochzeit gekauft hatte. Aber sie hätte ja wohl nichts dagegen, wenn ich meinen eigenen Heiratsantrag in diesem Outfit entgegennehme, oder? Ich meine, ich werde es ihr ganz sicher nicht verraten. Also her damit!

Obwohl sie es sicher herausfinden und mich dann vorwurfsvoll mit langem Gesicht ansehen wird. Wenn ich ihr morgen erzähle, dass Tom mir einen Antrag gemacht hat, wird ihre nächste Frage nämlich sofort lauten: »Was hattest du an?«

Immerhin gehört das als Modedesignerin zu ihrem Job. Dann müsste ich es ihr erzählen, denn ich lüge grottenschlecht. Leider werde ich unter meinen Zillionen Sommersprossen nämlich sofort rot wie ein Zimtbonbon, wenn ich es versuche.

Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum.

Ein Blick in den Spiegel mahnt mich, das gefälligst sein zu lassen, solange ich das kaffeebraune Gloss trage, es neigt leider dazu, stark über die Konturen zu quellen, so dass ich aussehe, als hätte ich meinen Unterkiefer in ein Stück Schokoladensahnetorte vergraben.

Zehn nach acht.

Cool bleiben. Ob ich das »Ja« sagen üben muss? Kann nicht schaden. Ich durchquere mein Wohnzimmer, um mir den Taschenspiegel aus der Kommodenschublade zu holen. Das geht schnell. Ich bin schließlich stolze Mieterin einer Nuklearwohnung. Für das ganze »Durchqueren« braucht man nur drei Schritte, dann muss man eine Kehrtwende machen, wenn man sich weiter bewegen will. Ich nenne mein Heim deshalb kurz den Schuhkarton, denn viel mehr kann man hier auch nicht hineinstellen. Alles, was ich an Möbeln besitze, ist von mir persönlich überarbeitet worden. Manche Stühle waren verschrammt und der Couchbezug war an den Lehnen speckiger als die Sitzfläche, aber Mia und ich haben genäht, ausgebessert, gemalt und lackiert und das Ergebnis ist außerordentlich fröhlich.

Naja gut, auf manche Möbel darf man beim Sitzen nicht das ganze Gewicht verlagern. Ich sehe das nicht so eng. Auch die Tatsache, dass der Tisch wie ein besoffener Matrose hin- und herschunkelt, wenn man die Gabel zu kräftig auf den Teller piekst, und ich deshalb unter dem linken unteren Tischbein eine Anti-Wackelvorrichtung aus »Marie Claire« Schnipselchen zusammengebaut habe, die im Übrigen prima funktioniert, und dass die Stühle alle verschieden sind, stört mich nicht, im Gegenteil. Ich finde, jedes Stück hat einen eigenen Charakter und ein gewisses, unverwechselbares Flair.

Wo bleibt Tom nur?

Dass Männer warten müssen, ist ja klar, das gehört zum guten Ton. Eine Frau, die etwas auf sich hält, verspätet sich mindestens um zehn, besser fünfzehn Minuten. Männer sind daran gewöhnt. Aber ein Mann hat einfach pünktlich zu sein. Vor allem bei so wichtigen Verabredungen wie heute.

Tom ist übrigens genauso pünktlich, wie seine Wohnung hochmodern eingerichtet ist. Sagt er. Ich finde seine Bleibe nur entsetzlich groß und entsetzlich leer. Wie eine große, graue Wüste. Außerdem ist seine Nachbarschaft der reinste Auswurf der Hölle. Toms Nachbarn sind unsichtbar. Sie zeigen sich nicht. Niemals. Dass es sie überhaupt gibt, merkt man nur daran, dass sie die Bullen rufen, wenn wir gerade ausgelassen Spaß im Bett haben. Neeee, danke! Da lobe ich mir Molly von oben, die, die ihrem Rottweiler »Püppi« immer so komisches Zeug kocht. Lästermolly, die eigentlich Molly Beckmann heißt, hat den Vorteil, dass man sie auch mal ordentlich anbrüllen kann, wenn man mal wieder Dampf ablassen will und sie oder ihr Köter glücklicherweise auch noch etwas angestellt haben, was ohnehin meistens der Fall ist. Das ist besser als Tae-Bo, wenn man Frust abbauen muss.

Ich klappe den Taschenspiegel auf und lächele mir strahlend zu.

»Ja!«, hauche ich geziert.

Das klingt total bescheuert. Das muss natürlicher werden.

»Ja, ich will!«, rufe ich energisch. Also so geht das auch nicht. Das hört sich zu sehr nach Lackleder und Reitpeitsche an.

Zum tausendsten Mal schiele ich durch das Fenster auf die Straße. Kein Tom ist in Sicht. Mit schweißnassen Fingern fahre ich über meine kostbare Frisur.

Es wäre so viel leichter gewesen, den Haarbusch, wie immer, oben auf meinem Kopf mit der riesigen Spange, die wie die überdimensionale Feder aus der Matratze eines Nationalbasketballspielers aussieht, zusammenzustecken. Schließlich ist es ja Sommer. Ob ich das noch schnell tun sollte?

Die Türklingel schreckt mich vom Sofa.

Ein letzter gehetzter Blick in den Spiegel: Kein Lippenstift auf den Zähnen? Wimperntusche noch intakt? Liegen die Haare noch? Alles in Ordnung. Atmen, Lisa, atmen!

Die Tasche nicht vergessen. Noch einmal tief durchatmen und dann möglichst lässig die Treppen hinuntergehen. Nein, halt, schnell noch mal Mundspray benutzen. Wie man wohl darauf kommt, dass das Zeug beim Küssen angenehme Assoziationen auslöst? Schmeckt mehr nach Zahnarzt, Bohrer und Wurzelbehandlung.

Cool bleiben. Niemand frisst dich, also stell das alberne Zittern auf der Stelle ab. Ein Heiratsantrag ist das Normalste auf der Welt. Wenigstens fünfzig Prozent aller Frauen wissen, wie es ist, einen Heiratsantrag zu bekommen. Ganz bestimmt war jede einzelne davon vorher höllisch aufgeregt, immer vorausgesetzt, sie ahnten, was da auf sie zukam.

Tom steht im Licht der untergehenden Junisonne an die Tür seines blauen Geländewagens gelehnt und telefoniert. Sein Gesicht hat einen angestrengten Ausdruck, er bemerkt mich zunächst nicht.

Wenn Tom länger weg ist, neige ich irrsinnigerweise dazu, zu vergessen, was für eine Wucht er eigentlich ist. Natürlich würde ich ihm das nie offen ins Gesicht sagen, das tun nur weich gekochte Frauen. Die, die während sie Sex haben gedanklich eine Einkaufsliste für den nächsten Tag zusammenstellen, um ihren Schatz zu verköstigen, und darüber nachdenken, welches Öl er gerne für seine Massage hätte, die sie ihm gleich anbieten. Wir hartgesottenen Beziehungsprofis lassen uns nicht zu so erniedrigenden Gesten verleiten! Jedenfalls nicht so schnell.

Ich finde es besonders süß, dass erst seine Grübchen und seine Augen lächeln, bevor sein Mund es tut.

»Hallo, kleine Hexe!«, grüßt Tom vorlaut.

Oberflächlich gesehen, ist er ja das stereotypische Beispiel eines Spießers wie aus der »Zeitschrift für Bürohengste«. Stets ist er hinter Karriere und Geld her und folgsam wie ein Lamm, wenn sein Chef etwas von ihm will. Ansonsten ist er Gott sei Dank nicht auf den Mund gefallen. Muss zugeben, es gefällt mir, wenn ein Mann sich gegen meine Verbalattacken verteidigen kann. Bisher war das bedauerlicherweise nicht der Fall.

Ich setze gerade zu einer schlagfertigen Antwort an, als er mir den Mund mit einem herrlichen, bartstoppeligen Kuss versiegelt. Okay, das mit der Antwort hat auch Zeit bis später.

»Hast du mich vermisst?«, fragt er leise.

Schelmisch schnuppert er an meinem Hals.

Ich lieeebe es, wenn jemand meinen Hals beschnuppert! Das ist sozusagen meine erogene Zone. Wenn ich da beschnuppert werde, werde ich zur reißenden Löwin. Eigentlich könnte man ... gleich hier ...

Ein älteres Ehepaar spaziert an uns vorbei. Die Oma hat ein faltiges Gesicht wie ein Basset, zieht ihre Millionen Falten kraus und rügt: »Ts, ts, ts! Die sollten sich wirklich schämen. Und das mitten auf der Straße!«

»Wir sollten uns lieber verdrücken«, zwinkert Tom mir verschwörerisch zu.

Na gut, ich kann warten. Hat auch seine Vorteile, wenn wir erst nach dem Antrag über einander herfallen, dann gerät meine Frisur wenigstens eine Zeit lang nicht in Unordnung.

Verglichen mit meinem Suzuki Alto, Baujahr 1983, ist Toms Jeep der pure Luxus. Meine Suzi hingegen ist ein echtes Traditionsfahrzeug mit Kultstatus. Mama hat sie mir zum Abi geschenkt, da war sie gerade mal zehn und noch rüstig unter der knallroten Motorhaube. Der Wagen natürlich, nicht meine Mama.

Mia und ich wollten sofort eine Landpartie unternehmen und fuhren aufgeregt schnatternd los. Nach einem kurzen Tankstopp konnte die vierstündige Fahrt beginnen. Abenteuerluft wehte um unser feuerrotes Mobil, und mit glänzenden Augen saß Mia mit zusammengefalteten Beinen und einer Landkarte ausgerüstet neben mir, bis wir nach einer Viertelstunde notgedrungen den Seitenstreifen anfahren mussten. Der Tacho zeigte an, dass Suzi gestillt werden wollte. Aber sie hatte doch eben erst eine volle Mahlzeit zu sich genommen!

Okay, sie war vielleicht nicht die Jüngste, aber auch die anderen Blechsenioren, die gediegen an uns vorbeirauschten, fraßen nicht so viel und fuhren erheblich schneller. Mia schaute mich ängstlich an und ich musste vor lauter Schreck wieder einmal Pipi. Ich schaltete das Warnblinklicht an und beauftragte Mia, das Warndreieck hundert Schritte hinter Suzi aufzustellen.

Mia, die wie Rübezahl in der Schubkarre eines Gartenzwergs auf ihrem Sitz eingeklemmt war, hatte alle Mühe, ihre langen Beine aus Suzis engem Innenraum zu schwingen. Ich lächelte ihr aufmunternder zu, als ich mich eigentlich fühlte, dann stieg ich aus, klappte die Motorhaube hoch und untersuchte angestrengt Suzis Gedärme.

Sah alles ganz normal aus, mal abgesehen davon, dass ich noch nie mit einem Auto so intim gewesen war und folglich null Ahnung vom Innenleben eines Fahrzeuges hatte. Ratlos klappte ich die Haube wieder zu. Da winkte mir schon Mia.

Der Tankdeckel fehlte!

Hatte wohl vergessen, ihn draufzuschrauben, als ich tanken war, kann ja passieren. Aber weiterfahren wollte ich nicht, wer weiß, vielleicht würde Suzi ja explodieren, und ich wollte ihre Gesundheit nicht unnötig aufs Spiel setzen. Ratlos schauten Mia und ich uns an. Zufällig schweifte mein Blick über den prall gefüllten Picknickkorb und schon schnappte ich mir ein Brötchen, wickelte es in zwei Plastiktüten und stopfte es in das Tankloch. Der improvisierte Korken hielt, was er versprach, und so hatten Mia, ich und Suzi unseren Ausflug erfolgreich gerettet. Suzi und mich verbindet deshalb eine echte Freundschaft, immerhin habe ich ihr Leben gerettet und trage nun die Verantwortung dafür. Ich kann sie also nicht einfach so verkaufen und gegen ein jüngeres Modell eintauschen.

Wir verlassen den Stadtverkehr.

Ich sehe schon, dass wir zu Carmelitas fahren, denn ab hier gibt es nur noch öde Pampa und dieses exklusive, spanische Restaurant Carmelitas.

Zu Carmelitas kommt man, wenn man einen besonderen Anlass feiert oder wenn man prominent und stinkreich ist, wenn man ein Mann ist und seine neueste Eroberung beeindrucken will oder wenn man ohne besonderen Grund protzen will, dass die Wände wackeln.

Hierher hatte Tom mich übrigens auch ausgeführt, als wir uns das erste Mal verabredet hatten. Meine mit schlechtem Gewissen geheuchelten »Ohs«, »Ahs« und »Wie wünderschöns« haben ihn damals vielleicht mehr beeindruckt, als mir lieb war.

Das Restaurant ist im Modern-Country-Stil eingerichtet.

So nennt man das, wenn alles neu ist, aber alt aussehen soll, also wie der Schuhkarton, nur umgekehrt. Ist nett hier, muss man sagen. Der hell erleuchtete, bogenförmige Eingang wird links und rechts von überdimensionalen Weidenkörben mit bunten Sommerblumen gesäumt, die nach Sonne und Wiese duften. Ein Kellner mit Fliege und Frack begrüßt uns und führt uns an unseren Tisch. Auch der Tisch ist mit Blumen dekoriert, mit wilden Rosenränkchen, die sich an den Tischkanten entlangschlängeln und Mohnblumen, weißen Freesien und Margeriten. Ich liebe Blumen!

Der Kellner ist untersetzt, hat eine glänzende Halbglatze und einen beachtlichen Bauch, den er wie eine Kanonenkugel ächzend vor sich her schiebt. Der kleine schwarze, halbkreisförmige Haarring, der seinen kahlen Kopf umrahmt, ist mit erschreckend kräftigen, schwarzen Löckchen bestückt. Ich will gar nicht wissen, wie sein Rücken aussieht, sonst vergeht mir der Appetit. Sein langer, wie eine Stimmgabel vibrierender und sorgfältig nach oben gezwirbelter Schnurrbart zittert leicht, während er spricht. »Oh, Señorrrrrita, bitte warrrten Sie, isch helfe Ihnen.« Eilfertig schiebt er meinen Stuhl ein wenig zurück und rückt ihn, nachdem ich rittlings auf die Stuhlfläche geplumpst bin, wieder etwas an den Tisch heran, wobei ich ehrlich von seiner Behändigkeit erstaunt bin. Der Mann ist gar nicht so unfit, wie er aussieht, das muss man ihm lassen.

Auch Tom setzt sich, er lächelt leicht.

»Was wünschen die Herrrrrschaften als Aperrrritif?« Der Kellner, seinem Namensschildchen zufolge heißt er Juan, zückt seinen Kuli und seinen Notizblock und wartet höflich.

Tom strahlt. »Bitte, bringen Sie uns eine Flasche Champagner.« Der Kellner lacht dröhnend und meiner Meinung nach völlig grundlos und erwidert mit seinem rollenden Deutsch: »Si, Señior, gerrrne.«

Champagner! Er will mir also tatsächlich etwas Besonderes mitteilen! Ich wusste es!

Juan gleitet lautlos wie ein Jedi-Ritter in Richtung Küche davon.

»Wie war es denn so in New York?«, hauche ich mit interessiertem Augenaufschlag.

»Naja, anstrengend.« Sein Grinsen wirkt müde.

Während wir genüsslich an unserem Champagner nippen, mustere ich ihn beiläufig. Etwas stimmt nicht. Ich kann den Finger nicht darauf legen, aber etwas ist anders an Tom. Woran liegt das nur? Jetlag? Ärger mit der Familie? Vielleicht war es nur die lange Geschäftsreise. Ob er mich jetzt gleich fragt oder bis zum Dessert wartet? Gespannt streiche ich mir eine Locke aus der Stirn und beschließe, ihm Zeit zu lassen.

»Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie bildhübsch du heute Abend aussiehst?«

»Danke.«

Jetzt nimmt er meine Hand, dreht sie um und küsst sanft die weiche Innenfläche. Huuuuuuuu! Wonnnig! Vier Wochen abstinente Bettruhe machen sich lautstark bemerkbar.

»Du bist auch nicht übel, Süßer!« Verlockend klimpere ich mit den Wimpern. Tom lacht belustigt.

»Was ich an dir am meisten liebe, ist, dass du dich einfach nicht verstellen kannst!«

Er meint, ich kann nicht lügen. Aber das hatten wir ja schon.

»Wen habe ich da am Telefon eigentlich eben abgewürgt?«, wechsele ich das Thema deshalb schnell.

»Ach, das war nur Mama.« Tom macht eine wegwerfende Handbewegung. »Meine Cousine Maria heiratet demnächst, und das ist natürlich ein Grund für sie, mich über unsere Zukunftspläne auszuquetschen.«

»Aha.«

Unsere Zukunftspläne, Ahaa Aahaaaaaa!

Ich halte für einen Moment die Klappe. Was kann man denn dazu noch fragen? Etwa so etwas wie: »Wie sehen unsere Pläne für die Zukunft denn aus?« Ist mir zu klischeehaft. Total unter meinem Niveau.

Immerhin will er mir einen Heiratsantrag machen und nicht umgekehrt. Das heißt doch, dass er eine Vorstellung davon haben muss, wie unsere gemeinsame Zukunft aussehen soll.

Komm schon Tommy, ich mache es dir auch leicht, Ehrenwort! Männer kapieren ja leider nicht immer ganz so schnell. Besser, ich gebe ihm ein Stichwort in Richtung Heirat oder Hochzeit, dann muss er ja nur noch so etwas wie: »Apropos heiraten ...« sagen und schwups! ist die Frage auch schon aus dem Sack. Eigentlich supersimpel. Sollte sogar ein Mann verstehen.

Ich will andererseits nichts übereilen. Irgendwo spielt ein Piano in der hintersten Ecke eine fröhliche Melodie und die letzten Vögel des Tages verabschieden sich mit leisem Gezwitscher. Wenn man genau darüber nachdenkt, ist die Stimmung für einen Heiratsantrag genau richtig. Romantisch und eine Spur kitschig.

Tom erzählt von seinem Job, und ich gebe mir redlich Mühe, eine aufmerksame Zuhörerin zu sein.

Leider verstehe ich nicht die Bohne von Wirtschaftsindex, innerbetrieblichen Controllingprozessen, Bilanzen, Marktanalysen, Assets und Cashflow. Deshalb nicke ich nach kurzer Zeit nur noch mechanisch und frage mich, wann wir uns wirklich unterhalten werden.

Die Minuten quälen sich zu einer Viertelstunde dahin. Mein Magen zieht sich hörbar zusammen, was Tom nicht im Geringsten stört. Jetzt werde ich unaufmerksam und auch ein wenig zappelig, die Stillettos sind eng und unbequem, und ich kann förmlich fühlen, wie meine Knöchel anschwellen. Ich puste mir eine Locke aus den Augen und wartete auf eine passende Gelegenheit, Tom ein Stichwort zu geben, das ihn wieder auf den Teppich bringt und ihm beim Erinnern an den Zweck unserer Zusammenkunft hilft. Aber er quatscht entspannt über Börsenkurse und Aktien weiter, froh, eine aufmerksame Zuhörerin zu haben. Soso, dann sollte ich vielleicht doch etwas direkter werden.

»Weißt du schon, dass Mia und Alex auch bald heiraten werden?«

Völlig unsinnig im Zusammenhang mit DAX und Co ist diese Bemerkung ja eigentlich nicht, denn Alex, Mias Verlobter, ist Broker. In unserem Freundeskreis wird Mias Antrag in den schillerndsten Farben weitergetratscht. Diese Fassung sieht so aus:

Alex hatte Mia aus ihrem Atelier abgeholt und dann saßen die beiden plötzlich in einem Flugzeug. Mia wusste nicht einmal, wohin es geht, bis sie im Flieger saßen. Als sie dann auf Hawaii landeten, wurden sie von einem weißen Cabrio abgeholt, das sie an irgendeinen abgelegenen Strand fuhr. Auf Hawaii ging gerade die Sonne unter und am Strand hat sich Alex dann niedergekniet, ja, so richtig runtergekniet, man stelle sich das vor! und hat Mia gebeten, seine Frau zu werden. Waaahnsinnig romantisch, oder?

Das ist die offizielle Version ihres Heiratsantrages.

Nur ich weiß, wie es wirklich war.

Alex hatte Mia wirklich von ihrem Atelier abgeholt. So weit stimmt alles.

Dann hatte er sie an den Heiderbergsee in Brühl gefahren und dort haben sie dann auf der Wiese gesessen und sich gesonnt. Irgendwann meinte Alex dann: »So, Schatz, du kannst ja dann schon einmal anfangen, eine Liste zu machen.«

»Liste?«, fragte Mia verständnislos.

»Ja, für die Hochzeit.«

Mia hat zehn Minuten gebraucht, bis sie verstanden hatte, dass dies ein Antrag gewesen ist.

»War das etwa deine Art, mich zu bitten, deine Frau zu werden?«, fragte sie nach einer Weile entsetzt.

Alex hatte ihr nur beruhigend die Hand getätschelt. »Ja.«

Mia schwieg. Aber sie verstand, dass sie einem Heiratsantrag nicht mehr näher kommen würde. Also hat sie am nächsten Tag die Liste begonnen.

Das heißt nicht, dass Alex und Mia sich nicht lieben. Das ist doch nur wieder ein Beispiel dafür, dass die meisten Männer hoffnungslos pragmatisch und unromantisch veranlagt sind. Die können gar nichts dafür!

»Nein, ich wusste nicht, dass er sie schon gefragt hat«, antwortet Tom mit hochgezogenen Brauen.

»Tja, er hat ihr sogar einen traumhaft schönen Heiratsantrag gemacht«, belehre ich ihn. Er schaut etwa so vergnügt wie die toten Krabben an meinem Tellerrand.

»Jaja, echt toll«, murmelt er verdrießlich.

Mein Gott! Ob ich ihn damit verschreckt habe?

»Und nun planen sie eine gigantische Feier, wird sicher lustig«, fahre ich deshalb unsicher fort.

» Hmmm ... wirklich interessant ...«, grummelt Tom abwesend.

Ich Vollidiotin! Jetzt wird er ganz bestimmt nicht mehr mit der Sprache herausrücken.

Oder?

Endlich kommt der Hauptgang.

Bei dem herrlichen Duft jubelt mein Magen hörbar auf, und Tom, der dies gehört hat, lässt wieder seine Grübchen spielen, weil ich mich in Sekundenschnelle in eine Tomate verwandle. Peinlich.

Ich neige leider dazu, mich ständig zu blamieren. Das ist genetisch bedingt, genau wie der rechtwinkelige Po. Ich kann da gar nichts dafür, ehrlich. Mama ist an allem Schuld.

Mama heißt Jessica Teufel, und als sie mich bekam, war sie gerade einmal neunzehn Jahre alt.

In den Siebzigern war sie ein Hippie und folglich sind wir uns auch nicht wirklich darüber im Klaren, wer mein Vater sein könnte. Die Liste der zeugungsfähigen Männer, mit denen Jessica Teufel, stoned von etlichen Joints, Sex gehabt haben könnte, ist ellenlang. Natürlich hat sie sich auch nie die Mühe gemacht, Recherchen anzustellen. Warum auch? Ich war »ihr kleiner Engel« und das reichte ihr. Mir auch. Jedenfalls bis ich in den Kindergarten kam. Da fiel mir zum ersten Mal auf, dass die anderen Kinder immer denselben Mann »Papa« nannten. Mein Papa wechselte hingegen mindestens jährlich, wenn nicht öfter. Ich habe mich bis dahin nur darüber gewundert, wie es sein kann, dass es so viele Männer auf der Welt gibt, die mit Vornamen »Papa« heißen.

Mama ist eine ältere Fassung von mir. Leider.

Das bedeutet, dass meine Chancen, irgendwann ein normaler Mensch zu werden, gleich null sind. Wieder leider.

Jessica Teufel ist selbst jetzt noch eine Venusfliegenfalle. Die Männer haben an ihr geklebt wie Fliegen am Kuhfladen.

Das ist noch immer so. Irgendwie hat sie es geschafft, immer noch wie Anfang vierzig auszusehen, obwohl sie eigentlich bald fünfzig wird.

Als Teenager fand ich das nicht besonders toll. Wer will schon eine Mama haben, die sexy ist?

Die Jungen in meiner Klasse haben reihenweise gesabbert, wenn Frau Teufel in einer hautengen Jeans, die ihre perfekten Beine und den neunzig-Grad Po vollends zur Geltung brachte, und in einem sexy Shirt zur Schule kam, um mich abzuholen. Widerlieh.

Ich habe mir immer eine Mutter gewünscht, die daheim Kuchen backt und mir bei den Mathe-Hausaufgaben hilft. Kein Gedanke! Wenn ich Mama gefragt habe, ob sie mir bei den Hausaufgaben helfen kann, hat sie mir nur mitleidig den Kopf gestreichelt und gesagt: »Mäuschen, da musst du allein durch.«

Deshalb habe ich auch Kunst studiert. Weil ich in Mathe derart schlecht war, dass Mia mich nur mit Mühe und Not vor dem Sitzen bleiben bewahren konnte.

Seit einer Stunde hocken wir schon hier, haben bisher nur gehungert, getrunken (mir dreht sich schon leicht der Kopf, um ehrlich zu sein) und uns mit Dingen vollgequatscht, die entweder mich oder ihn nicht sonderlich zu interessieren scheinen. Allmählich fühle ich doch eine leichte Ungeduld aufkommen. Warum rückt er nicht endlich mit der Sprache heraus?

Aufgebracht werfe ich mein Haar zurück. Nun habe ich ihm schon so eine tolle Chance gegeben, und er dreht nur verlegen seine Gabel in der Hand herum! Mensch Meier! Der ist doch sonst nicht so schüchtern! Vielleicht muss ich ihm nur noch ein wenig Zeit geben. Andererseits scheint die Zeit nur so davon zu galoppieren.

»Sofort essen, mit der Auf-die-Uhr-Glotzerei aufhören und Schnauze halten!«, befehle ich mir streng und beginne, mein Pfeffersteak zu zerschneiden.

»Lisa«, sagt er plötzlich sehr leise und sehr ernst in die spannungsgeladene Stille hinein.

Vor lauter Schreck verschlucke ich mich an dem Stück Fleisch, das ich gerade im Mund habe und beginne heftig zu husten und zu würgen, so heftig, dass ich auf dem spiegelnden Griff meines Messers sehe, wie ich rotviolett anlaufe und meine sorgfältig gestylte Mähne sich unvorteilhaft aufplustert.

Männer! Konnte er denn nicht bis zum Kaffee oder wenigstens bis zum Dessert warten? Da habe ich mich so auf diesen wichtigen Moment gefreut und nun überrascht er mich mit einem riesigen Stück Kuh im Mund, das verdammt noch mal nicht runterrutschen will. Man stelle sich die Schlagzeile vor: »Frau von Kuh ermordet«. Wie ein geölter Blitz eilt Kellner Juan herbei und reicht mir ein Glas Wasser, das ich mit einem Zug hinunterspüle. Welche Wohltat! Ich fühle, wie der Happen Fleisch sich langsam seinen Weg hinunter durch die Speiseröhre erkämpft. Auch Juan scheint erleichtert, zumal er nun doch keinen Krankenwagen bestellen muss und trabt froh wieder von dannen. Vor lauter Husten tränen mir nun die Augen. Energisch wische ich mir die Tränen mit der Leinenserviette fort und lächele Tom liebenswürdig zu. Am besten so tun, als sei nichts geschehen!

»Ja, Schatz?«, krächze ich charmant.

Tom sieht mich erst verdattert an, und plötzlich merke ich, wie seine Grübchen sich tiefer in die Wangen eingraben. Er wird rot, ein Zittern durchläuft seinen Körper und er hält sich die Serviette vor den Mund.

»Mein Gott!«, denke ich, »er hat sich auch verschluckt!« Aber da platzt er auch schon explosionsartig mit einem johlenden Gelächter heraus.

»Was ist denn?«, frage ich verständnislos.

Wiehernd zeigt er auf mein Auge. Ich spiegele mich unauffällig im Messerrücken und sehe zwei Pandaaugen.

Haaaarr haaarr! Scherzkeks! Wirklich enorm witzig. Na und? Dann ist meine Wimperntusche eben bis an meine Augenbrauen verwischt. Und wem habe ich das zu verdanken? Schon mal etwas vom »richtigen Zeitpunkt« gehört? Ich bin ein wenig gekränkt. Immerhin habe ich Stunden gebraucht, um mich aufzudonnern. Männer haben überhaupt keinen Schimmer, wie das mit der Schönheit so ist. Sie setzen es als selbstverständlich voraus, dass Frauen nett frisiert sind und dass ihre Augen auch nach durchzechten Nächten strahlen.

Dann haltet euch mal fest, Jungs, denn das ist gar nicht selbstverständlich! Habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie viele Stunden Frauen jährlich damit verbringen, sich für die Männerdomäne schön zu machen? Hunderte! Abertausende! Männer dagegen duschen und rasieren sich und halten sich danach für ungemein attraktiv.

Und genau so einer sitzt in aller Seelenruhe da und lacht sich halbtot! Er lacht, dass die Wände wackeln, nur weil die Schminke ein bisschen verwischt ist. Aufgebracht krame ich in meiner Tasche nach einem Spiegel.

Taschen sind ja auch so eine Sache, die Männern fremd sind.

In Taschen tragen Frauen wie ich ihr halbes Leben mit sich herum. Neben Lippenstift, Spiegel, Puder, Tampons und Schlüsseln, sowie dem obligatorischen Portmonee befinden sich in meiner Tasche ein Reserveschlüpfer, eine Reisezahnbürste, Parfüm, ein Schokoriegel, ein Handy und ein Kondom. Man muss ja auf alles vorbereitet sein, oder? Ungeniert lege ich den Tampon, das Handy, die Schlüssel und den Reserveschlüpfer auf den Tisch, um besser an den Spiegel, der ganz nach unten gerutscht ist, heranzukommen.

Tom blickt sich verlegen um. Als wenn die Leute den knallroten Tanga auf unserem Tisch überhaupt bemerken würden. Lächerlich! Ich klappe den Spiegel ungeniert auf und retuschiere den Schaden hektisch.

Ruhig Blut!, rede ich mir schließlich selbst Mut zu und vergewaltige das Fleisch vor mir brutal mit dem riesigen Messer, während ich leise vor mich hinfluche.

Auch Tom beruhigt sich wieder und senkt schuldbewusst den Kopf über seinen Teller.

Der Hauptgang vergeht in eisiger Stille.

»Señorrre Señoirrrita, Deserrt gefällisch? Wir haben Frrrüschte der Saison und Torrrten ...« Ganz in seinem Element erklärt Juan uns die vielen Törtchen, Küchlein und Cremespeisen, ohne einen Blick auf uns zu werfen und wendet sich dann höflich mir zu.

»Señorita, welche der herrrrrliche Köstlichkeiten darrrrf isch ...« Juan erstarrt bei meinem Anblick.

»Ähm ... danke, ich nehme nur einen Espresso«, erkläre ich schnell.

»Dasselbe für mich«, nickt Tom verständnisvoll.

Verwirrt blickt Juan erst Tom und dann mich und dann wieder Tom an. Ich komme mir vor wie bei einem Tennisspiel und will gerade protestieren, da ist Juan bereits wortlos mit dem quietschenden Servierwagen und hoch erhobenem Schnurrbart davongerollt.

Ich sinke erleichtert in mir zusammen.

»Ich dachte, der geht nie!«, seufze ich laut. Ob ich Tom wohl doch noch dazu überreden könnte, mir den Antrag zu machen? Vielleicht sollte ich mich besser wieder zuversichtlicher und verständnisvoll zeigen.

»Du wolltest mir etwas Wichtiges sagen, nicht wahr, Liebling?«, ermuntere ich ihn hoffnungsvoll.

»Naja, weißt du, stimmt, aber ... ich denke ... denkst du ... ich meine, vielleicht sollten wir ein andermal darüber reden ...«, stottert er und schaut mich unsicher an.

»Ach, Schatz, warum denn? Es geht mir blendend, ehrlich! Das bisschen Make-up kann uns doch nicht den Abend verderben!« Ich lache gekünstelt und hoffe dabei, es hört sich echt an.

Nun spuck’s schon aus! Ich will weg von hier und zwar dalli!

Ich will mein Gesicht waschen und mich mit dir und meinem brandneuen Verlobungsring im Bett wälzen! Das will ich! Also sprich!

»Tja, ähm ... bist du da ganz sicher? Ich meine, wir können das Ganze auch bei dir besprechen oder bei mir oder ...«

»Ich bin völlig sicher«, knurre ich leise.

» Wie bitte?«, fragt Tom verdutzt.

»Lass es uns hier besprechen, Schätzchen. Das ist doch so ein schöner Abend, oder? Wir wollen ihn doch nicht ruinieren«, flöte ich fröhlich und sehe ihn gespannt an. Jede Frau hätte den Wink schon hundertmal verstanden! Ah, endlich! Hingebungsvoll hänge ich an seinen Lippen. Gleich, gleich ist es so weit! Gleich wird er mich endlich um meine Hand bitten!

»Okay. Ähm ... liebste Lisa«, beginnt er zaghaft und umschließt meine vor Nervosität kalte Hand mit seinen rauen Händen.

Mit galoppierendem Puls lausche ich ihm.

»Du weißt, dass ich dich liebe, Lisa-Schatz.«

Ernst schaut er mir tief in die Augen. In meinem Kopf lausehe ich im Hintergrund seiner Stimme dem Titellied von Love Story. Ich gebe mir Mühe, mir jedes Detail seines Gesichtes einzuprägen, damit ich auch meinen Kindeskindern vom Heiratsantrag ihres Großvaters erzählen kann.

»Liebling, natürlich weiß ich das, und ich liebe dich auch! Sogar sehr!«, erwidere ich freudig.

»Ja, das hatte ich gehofft.« Er wirkt erleichtert.

»Lisa, was ich dir nun zu sagen habe, fällt mir sicher nicht leicht«, fährt er fort und senkt seinen Blick.

»Ja?«, frage ich aufmunternd. Mit steigender Spannung wird die Love Story Platte in meinem Kopf lauter.

»Es ist ein wenig schwierig, weißt du. Ich stehe momentan sehr unter Druck. Der Job, meine Eltern, ... verstehst du?« Hilfe suchend schaut er mich an.

»Ja doch! Ja!«, rufe ich erregt. Oh ja, ich soll einen Teil des Druckes von seinen Schultern nehmen, das versucht er mir zu sagen. Natürlich werde ich ihn unterstützen, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet! Gerührt schaue ich ihn an.

Er stockt für einen Moment. »Lisa, ich fände es gut, wenn wir uns für eine Weile trennen würden«, leiert er schnell hinunter und schluckt dann heftig, während er meinen Blick meidet.

Ich bin taub.

Die Schallplatte mit Love Story in meinem Kopf endet so abrupt, als hätte eine riesige Faust sie zerschmettert. Menschen können ganz bestimmt ihr Gehör von einem Moment auf den anderen verlieren. Das gibt es, wirklich. Oder ich habe mir das gerade eingebildet. Ich träume und in Wirklichkeit liege ich gerade im Bett und schlafe. Gleich wache ich auf und lache über den blöden Traum. Er hat so etwas nicht gesagt. Oder vielleicht bin ich wahnsinnig und habe Halluzinationen. Unmöglich. Nicht wahr. Irreal. Surrealistisch wie Salvador Dalís Bilder.

»W ... Was ... hast du gerade gesagt?« Ich werde ganz sicher ohnmächtig werden, das kann ich fühlen. Meine Knie unter dem hübsch dekorierten Tisch zittern und stoßen dabei ans Tischbein, sodass der gesamte Tisch mitbibbert und das Geschirr darauf munter klirrt und klimpert. Ganz sicher ist das nur ein Traum. Aufwachen, es ist schon Morgen!

»Ich ... Wir ... sollten uns eine Weile nicht mehr sehen. Nur so lange, bis ich die Beförderung in der Tasche habe. Du ... du lenkst mich zu sehr ab«, flüstert Tom unsicher und zieht den Kopf ein wenig ein.

Noch immer traue ich meinen Sinnen nicht.

»Okay, ich habe wohl ein Problem mit den Ohren. Kannst du das etwas lauter wiederholen?«, hauche ich paralysiert.

»Wir sollten uns für eine kurze Zeit trennen!«, brüllt er mit verzweifelter Lautstärke.

»Schrei’ mich gefälligst nicht so an! Der Rest des Restaurants muss ja nicht mithören, wie du mich in aller Öffentlichkeit demütigst!«, schreie ich mit tränenerstickter Stimme zurück.

»Ich schreie nicht, du schreist!« ruft er, unbehaglich um sich blickend, zurück.

»Das stimmt gar nicht!«, keife ich und haue heftig mit der Faust auf den Tisch. Das Rotweinglas zu meiner Rechten gibt der Erschütterung nach und fällt gnadenlos auf meinen Schoß. Ich merke kaum, wie der Wein meine Schenkel hinabtropft. »Warum?«, schreie ich nur.

»Schscht ... die Leute gucken schon alle«, versucht Tom mich zu beruhigen.

»Dann lass die verdammten Leute doch meinetwegen gucken!«, kreische ich hysterisch.

»Warum? Jetzt antworte mir gefälligst!« Ich will am liebsten heulen und um mich schlagen, aber ich kann mich nicht einmal bewegen.

»Lisa, der Job braucht meine volle Konzentration. Ich muss doch erst einmal etwas aufbauen, verstehst du das denn nicht?«

»Du hast mein Leben versaut, was gibt’s denn da noch zu verstehen?«, heule ich mit bebender Unterlippe.

»Bitte versteh’ doch, ich stehe im Moment sehr unter Druck, mein Chef setzt mir zu, weil er denkt, ich arbeite nicht hart genug an meiner Karriere und ... unter solchen Umständen ist doch auf keinen Fall an eine Hochzeit zu denken.« Flehend greift er nach meiner zitternden Hand.

»Du willst also nicht heiraten. Mich nicht heiraten oder grundsätzlich nicht heiraten?«, hake ich erschüttert nach.

»Naja, irgendwann einmal, vielleicht, aber jetzt auf gar keinen Fall ...«, versucht er zu erklären.

»Wann denn?«

»Naja später, wenn ich keinen Stress mehr und eine leitende Position habe«, versucht er sich zu verteidigen.

»Du ... du lenkst mich ab, verstehst du? Wenn ich mit dir zusammen bin, kann ich mich nicht mehr auf den Job konzentrieren«, flüstert er leise.

»Ich lenke dich ab?«, heule ich und verstehe die Welt nicht mehr.

»Dann heirate doch das hier!«, brülle ich verzweifelt. Das Eiswasser aus dem Sektkühler, der auf dem Servierwagen neben dem Tisch steht, fließt ihm in einem herrlichen Schwall über seinen Schoß.

»Ich werde dich niemals heiraten, selbst dann nicht, wenn du auf blanken Knochen angekrochen kommst!«, schluchze ich abgehackt.

»Ach ja? Das passt ja gut! Ich werde dich nämlich niemals fragen!«, brüllt Tom wütend zurück und wirft den Aluminiumeimer polternd fort.

Längst ist das geschäftige Murmeln um uns herum verstummt. Selbst der unauffälligste Furz hätte diese Stille laut wie ein Trompetenstoß durchschnitten.

»Juan! Rufen Sie mir sofort ein Taxi!«, befehle ich donnernd.

Kellner Juan, der in heller Panik um uns herumgetrabt ist, eilt sogleich ans Telefon, während ich mit tränenverschmiertem Gesicht aus dem Raum stürme.

2. Spanferkel und Schlauchbootlippen

Mein persönliches Scheusal ist nicht irgendein Scheusal, sondern meine Strafe für alle schlechten, abgrundtief bösen Sünden, die in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft auf meine Rechnung gehen.

Anders kann ich mir dieses Phänomen »Chef« nicht erklären.

Wenn man das überhaupt so nennen kann. Mein Chef ist die Inkarnation von allem, was man sich an einem Vorgesetzten nicht wünscht: Er ist ein Nörgler, ein Langeweiler, ein Paragraphenreiter, er ist unfreundlich, sehreit gerne und oft und hält sich für Casanova höchstpersönlich. Man muss meinem Chef aber auch Gutes anrechnen: Er hält einen immer ganz schön beschäftigt, das lenkt mich dann wenigstens tagsüber etwas ab.

»Junge Frau! Wie schön, dass Sie uns auch wieder einmal beehren!«, poltert es auch schon ironisch hinter mir. Ach was, auch schon da. Ungewöhnlich früh, im Übrigen. Sonst taucht er immer erst so gegen zehn Uhr auf.