Der Tod, den man stirbt - Arturo Pérez-Reverte - E-Book
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Der Tod, den man stirbt E-Book

Arturo Pérez-Reverte

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Beschreibung

März 1937, der Spanische Bürgerkrieg setzt sich mit aller Gewalt fort. Falcó wird nach Tanger geschickt. Eine neue Mission für den Agenten: Er soll einen Schiffskapitän zum Überlaufen bewegen und so das Gold der Republik erbeuten. Doch der hat Unterstützung. Von Eva, Falcós früheren Gegenspielerin, Geliebten, Obsession … Der Tod, den man stirbt erzählt actionreich von den Schattenseiten der Ehre, von Gewalt und Verrat – ein Spionageroman, der fulminant unter Beweis stellt, warum Arturo Pérez-Reverte einer der ganz Großen ist.


Nach mehreren Wochen auf der Flucht vor Francos Flotte hat sich die Mount Castle in den neutralen Hafen Tangers gerettet, 30 Tonnen Gold liegen im Bauch des Schiffes, den Verbündeten in Moskau versprochen. Auch ein Zerstörer Francos ankert im Hafen, an Land begegnen sich die Matrosen, trinken gar zusammen. Bis die Hafenbehörde die Mount Castle auffordert auszulaufen – ein Todesurteil. Der perfekte Moment für Falcó, dem Kapitän sein Angebot zu unterbreiten: Geld, freies Geleit, Pässe für ihn und seine Familie in der Heimat im Tausch gegen das Gold. Aber Kapitän Quirós ist ein Ehrenmann. Und als dann plötzlich Eva mit ihrer sowjetischen Zelle in Aktion tritt, wird Tanger für Falcó von einem Moment auf den anderen zur tödlichen Falle …

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Seitenzahl: 491

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Arturo Pérez-Reverte

Der Tod, den man stirbt

Roman

Aus dem Spanischen von Petra Zickmann

Insel Verlag

Für Jorge Fernández Díaz, Messerschmied in Buenos Aires.Für die Bruderschaft. Für die Ehre.

Wenn du in das Herz einer Frau vordringst,

begibst du dich auf eine gefährliche Reise.

Hans Hellmut Kirst, Die letzte Karte spielt der Tod

»Tragen Sie noch weitere Waffen bei sich?«

»Meine Hände. Doch dagegen können die Zollbeamten nichts einwenden.«

W. Somerset Maugham, Ein Abstecher nach Paris

1. Norddeutscher Lloyd Bremen

Heute Nacht will ich nicht sterben, dachte Lorenzo Falcó.

Nicht auf diese Art.

Doch jetzt war es fast so weit. Die Schritte in seinem Rücken kamen näher und wurden immer schneller. Sie hatten es zweifellos eilig. Er hatte den Schrei seines Informanten gehört, als dieser hinter ihm in der Dunkelheit von der Aussichtsterrasse Santa Luzia gestürzt war, und dann das Aufschlagen des Körpers fünfzehn oder zwanzig Meter tiefer in einer dunklen Gasse des Lissaboner Stadtteils Alfama. Und nun waren sie hinter ihm her, um ihre Arbeit vollständig zu erledigen. Die Sache rundzumachen.

Auf der abschüssigen Straße kam er rasch voran, das galt aber auch für seine Verfolger. Es waren zwei Männer, so viel hatte er erkennen können, als ihm sein V-Mann — dessen Gesicht für ihn kaum mehr gewesen war als ein Schnurrbart unter einer Hutkrempe im Dämmerlicht einer fernen Laterne — wie verabredet den Umschlag zusteckte, unmittelbar bevor er die beiden Fremden bemerkte und einen Warnruf ausstieß. Sie hatten sich schleunigst getrennt, der V-Mann war am Geländer der Aussichtsplattform entlanggelaufen — weshalb sie ihn zuerst erwischt hatten —, und Falcó die Straße hinuntergerannt. Am Fuß des höher gelegenen Stadtteils glommen verstreut die Lichter der Stadt, und das breite schwarze Band des Tejo verlor sich in der Nacht, weit weg, unter einem mondlosen, sternenübersäten Himmel.

Es gab einen Fluchtweg auf der linken Seite, verborgen im Schatten. Er erinnerte sich an die Stelle, weil er sich am Morgen bei Tageslicht in weiser Voraussicht einen gründlichen Überblick verschafft hatte. Dies war ein uraltes, sehr praktisches Berufsprinzip: Ehe man sich an einem Ort in Gefahr begibt, schaue man nach, wie man ihn, notfalls in Eile, wieder verlassen kann. Falcó entsann sich des auf eine Mauerkachel gemalten Straßennamens: Calçadinha da Figueira. Es war ein schmales Gässchen, sehr steil, das man über eine zweiläufige Steintreppe mit Eisengeländer erreichte. Und so bog er scharf links ab und hastete, eine Hand am Geländer, um im Dunkeln nicht zu stolpern, die Treppe hinunter. Am Ende, wo die Gasse im Neunziggradwinkel nach rechts abknickte, befand sich ein Torbogen, der so eng war, dass nur eine Person hindurchpasste.

Die Schritte näherten sich. Schon waren sie auf der Treppe zu hören. Heute Nacht werde ich nicht sterben, wiederholte Falcó bei sich. Ich habe Besseres vor: Frauen, Zigaretten, Restaurants. Solche Dinge. Wenn also unbedingt jemand daran glauben muss, mögen es die anderen sein. Er nahm den Hut ab, schob die Finger zwischen den Filz und das Schweißband und holte das Papierchen mit der Rasierklinge hervor, die immer dort versteckt war. Auf dem letzten Wegstück bis zu dem Bogendurchgang wickelte er sie aus und zog das Einstecktuch aus der Brusttasche seines Sakkos, um damit seine Hand zu schützen, wenn er die Rasierklinge zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Er erreichte den Bogen, wandte sich nach rechts und blieb dann sofort stehen. An die Wand gepresst, konnte er die nahenden Schritte trotz seines hämmernden Pulsschlags deutlich hören.

Als der erste seiner Verfolger unter dem Bogen erschien, sprang Falcó ihn an und schnitt ihm mit einer flinken Bewegung von rechts nach links die Kehle durch. Ein kurzes helles Aufblitzen im Gesicht des Mannes — seine Zähne im entsetzt aufgerissenen Mund —, und dann ging sein überraschter Aufschrei in ein ersticktes Röcheln über, als entwiche die Luft aus seinen Lungen mit dem Blutstrom aus seiner klaffenden Gurgel. Er sackte augenblicklich zusammen wie eine kraftlose Gliederpuppe. Ein quer unter dem Bogen liegendes Bündel. Die Gestalt, die hinterherkam, hielt in einiger Entfernung abrupt inne.

»Komm schon, du Mistkerl«, tönte Falcó. »Noch ein bisschen näher … Na, los!«

Drei Sekunden Reglosigkeit. Vielleicht fünf. Falcó und der andere still in der Gasse, das Bündel auf dem Boden mit seinem heiser blubbernden Wimmern. Nach einer Weile gab der zweite Verfolger auf und trat vorsichtig den Rückzug an.

»Ach Mann«, sagte Falcó. »Lass mich jetzt nicht hängen, ich bin gerade so schön in Schwung.«

Die Schritte entfernten sich hastiger, eilten durch die Gasse, die Treppe hinauf und verklangen. Falcó atmete tief durch und verhielt sich weiter still, bis sein Puls aufhörte, ihm in den Ohren zu dröhnen. Nachdem sich auch das leichte Zittern seiner Finger gelegt hatte, wischte er sich die klebrige Flüssigkeit von der Hand und warf Klinge und Einstecktuch weg.

Er kauerte sich neben den Liegenden, der endlich ruhig war, und durchsuchte ihn: ein Messer in einer am Gürtel befestigten Scheide, Zigaretten, Streichhölzer, ein paar Münzen. In der Innentasche der Jacke steckte eine Geldbörse, die Falcó an sich nahm. Dann richtete er sich auf und blickte sich um. Die Umgebung war wie ausgestorben, und in den benachbarten Häusern herrschte fast überall Dunkelheit. In einigen schimmerte etwas Licht durch die Fensterritzen, und von irgendwoher erklang Radiomusik und eine Frauenstimme, die einen Fado sang. In der Ferne bellte ein Hund. Am schwarzen Himmel standen noch immer so viele Sterne, dass Lissabon wie von einem Schwarm unbewegter Irrlichter bedeckt schien.

Einen Moment lang haderte er, ob er am Fuß der Aussichtsplattform nach seinem Verbindungsmann suchen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Neugier ist der Katze Tod, warnte ein altes Sprichwort. Ob er nach diesem Sturz aus fünfzehn oder zwanzig Metern Höhe noch lebte oder nicht — mit großer Wahrscheinlichkeit war er tot —, war nicht mehr Falcós Angelegenheit. Er wusste nichts weiter, als dass er Portugiese war, bezahlt oder aus Überzeugung für die nationalistische Seite arbeitete und ihm Dokumente übergeben hatte, die er an Francos Hauptquartier in Salamanca weiterleiten sollte. Es war besser, sich das Leben nicht unnötig schwer zu machen. Ein zufälliger Passant, ein Anwohner oder Polizist konnte dort vorbeikommen; oder womöglich überlegte es sich der zweite Verfolger anders und kehrte zurück, um seinen Gefährten zu rächen. In diesen Dingen hatte man nie wirklich Gewissheit. Lorenzo Falcós Gewerbe beruhte auf Unvorhersehbarkeit; ein Schachspiel voller Risiken und Eventualitäten. Andererseits befand sich der Umschlag, der Grund für die nächtliche Zusammenkunft, bereits in seiner Tasche. Nichts sonst interessierte ihn an dem Mann, der für ihn nur ein Schnurrbart unter einem Hut gewesen war, ein anonymer Söldner in einem schmutzigen Krieg, der sowohl auf Spaniens Schlachtfeldern als auch in der Etappe und sogar im Ausland an finsteren, schäbigen Orten wie diesem ausgetragen wurde. Dreckige Aktionen, wie sie einem dreckigen Gewerbe eigen waren. Gesichtslose Spione wie der republikanische Agent, dem er eben die Kehle aufgeschlitzt hatte, oder der Kerl, der sich, aus Angst, dasselbe Schicksal zu erleiden wie sein Kamerad, vorsichtshalber aus dem Staub gemacht hatte. Unbedeutende Bauernopfer in einem Spiel, bei dem andere die Figuren auf dem Brett bewegten.

Auf dem Weg zur Rua de São Pedro blickte er sich immer wieder sichernd um. In seiner rechten Schläfe pochte der Schmerz, wahrscheinlich eine Folge der Anspannung, und instinktiv tastete er nach dem Röhrchen Cafiaspirinas in der Sakkotasche. Dies war sein Schwachpunkt, die Migräneanfälle, die ihn immer wieder außer Gefecht setzten, lähmten, nach Luft schnappen ließen wie einen Fisch auf dem Trockenen. Er brauchte einen Schluck Wasser, um eine zu nehmen, aber das ging jetzt nicht. Das Wichtigste war, dort wegzukommen. Und zwar schnell.

Er wählte breite Straßen, um einem eventuellen Hinterhalt zu entgehen. Als er Alfama schließlich hinter sich gelassen hatte, hielt er auf der Rua dos Bacalhœiros inne, zog im feuchten Dunst, der aus dem nahen Fluss heraufstieg, den Umschlag aus der Tasche und riss ihn auf, um im fahlen Licht einer Straßenlaterne nachzusehen, was er enthielt. Überrascht stellte er fest, dass es sich um einen Prospekt der Schifffahrtsgesellschaft Norddeutscher Lloyd Bremen handelte. Das war alles. Ein einseitig bedrucktes Faltblatt mit dem Bild eines Überseedampfers und darunter einer Liste der Schiffe und Routen nach Amerika und in die östlichen Mittelmeerländer. Er schob das Blatt wieder in das Kuvert und durchsuchte die Brieftasche des Toten. Darin fand er eine beträchtliche Summe in portugiesischen Escudos, die er bedenkenlos einsteckte, einen Fahrschein für die Lissaboner Straßenbahn, die Fotografie einer jungen Frau und zwei Ausweise mit demselben Gesicht — dunkel, hager, spärliches gelocktes Haar —, aber unterschiedlichen Namen. Einen, der ohne Zweifel gefälscht war, auf den Namen João Nunes, kaufmännischer Angestellter. Der andere war spanisch, trug das Emblem des Militärischen Nachrichtendienstes und den Stempel der Republik und lautete auf Juan Ortiz Hidalgo. Letzteren nahm er an sich. Den Rest warf er mitsamt der Brieftasche in eine Mülltonne und entfernte sich rasch, wenn auch nicht hastig genug, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Als er die Tür zum Martinho da Arcada aufstieß — einem kleinen Café-Restaurant mit schlichten weißen Wänden unter der Kolonnade der Praça do Comércio —, bemerkte Falcó Blutflecken auf seiner rechten Manschette. Während er den Kellner begrüßte, sah er Brita Moura mit dem Rücken zur Tür am letzten Tisch neben dem Fenster sitzen. Er ging schnurstracks zur Toilette, riegelte sich ein, schluckte zwei Cafiaspirinas, die er mit etwas Wasser aus der hohlen Hand hinunterspülte, schlüpfte dann aus dem Jackett, nahm den goldenen Knopf aus der gestärkten Manschette und wusch diese, bis das Blut fast nicht mehr zu sehen war. Mit dem Handtuch trocknete er den Ärmel und zog das Sakko wieder an. Die Patek Philippe an seinem linken Handgelenk zeigte elf Minuten Verspätung. Das war noch halbwegs im Rahmen, und die wartende Frau würde nicht allzu böse sein. Oder nicht allzu lange.

Er klopfte gegen die Tasche, um sich zu vergewissern, dass der Umschlag noch da war. Dann betrachtete er sich forschend im Spiegel, ob er noch weitere Spuren der vorangegangenen Auseinandersetzung aufwies, sah aber nur das Bild eines attraktiven Mannes von siebenunddreißig Jahren in einem tadellos geschnittenen dunklen Anzug, das schwarze Haar nach hinten gekämmt und glänzend vor Brillantine. Er strich es mit der flachen Hand noch ein wenig glatter und richtete seinen Krawattenknoten. Mit jeder dieser Gesten wurde sein durch jahrelange Anspannung verhärtetes Gesicht weicher und nahm den freundlichen, selbstironischen Ausdruck eines gutaussehenden Mannes an, der zu spät zum Rendezvous kommt, sich mit einem Lächeln wappnet und sicher ist, dass ihm verziehen wird.

»Verflucht«, schimpfte die Frau. »Seit einer halben Stunde sitze ich hier und warte auf dich wie eine Idiotin.«

»Tut mir leid«, erwiderte Falcó. »Ich wurde von einer dringenden geschäftlichen Angelegenheit aufgehalten.«

»Geschäfte um diese Zeit. Und dann bestellst du mich auch noch in so ein Lokal.«

Mit einem ruhigen Lächeln blickte Falcó um sich.

»Was ist daran auszusetzen?«

»Es ist ein einfaches Gasthaus. Wir hätten in ein besseres Restaurant gehen können, mit Musik.«

»Mir gefällt es hier. Die Kellner sind nett.«

»Was für ein Unsinn.«

Brita Moura war es nicht gewohnt, dass Männer sie warten ließen. Sie war brünett, hatte einen großen, sinnlichen Mund und handfeste Kurven, mit denen sie jeden Abend das Theater Edén füllte — Solteira e sem compromisso hieß die Musikrevue —, dazu falsche Wimpern und tiefrote Lippen à la Crawford. Die halblange schwarze Mähne hatte sie, wie Falcó, mit Festiger nach hinten frisiert, und die freie Stirn verlieh ihr ein leicht männliches Aussehen. Ihr Gesicht war bekannt durch Werbeplakate und Titelfotos der portugiesischen Illustrierten. Vor siebenundzwanzig Jahren in einem kleinen Dorf in Alentejo geboren, war Brita eine dieser Frauen, an die die Jungen ihr Herz und die Alten ihr Geld verloren. Ihr Weg zum Bühnenstar war hart gewesen, und sie hatte keine Hemmungen, die wenigen Glücklichen, die es in ihre Nähe schafften, dafür zahlen zu lassen. Falcó hingegen war eine ihrer Schwächen. Sie hatten sich fünf Wochen zuvor beim Roulette im Kasino von Estoril kennengelernt und trafen sich hin und wieder.

»Worauf hast du Lust?« Unbeeindruckt schlug Falcó die Speisekarte auf.

Sie rümpfte unwillig die Nase. Noch immer verärgert.

»Mir ist der Appetit vergangen.«

»Ich werde den Kabeljau vom Grill nehmen. Möchtest du Wein?«

»Du bist rücksichtslos und dreist.«

»Nein. Ich habe bloß Hunger.« Der Kellner wartete beflissen. »Für dich auch Fisch?«

Es war gelogen. Er hatte überhaupt keine Lust zum Essen, aber solche prosaischen sozialen Rituale halfen ihm, innerlich zur Ruhe zu kommen. Indem er Zuflucht suchte hinter einem banalen Wortwechsel mit einer schönen Frau. Auf diese Weise ordnete er seine Einfälle und Vorhaben. Und die Erinnerung an jüngste Geschehnisse.

»Nur eine leichte Suppe«, sagte Brita. »Ich bin zu dick.«

»Das ist absurd, Liebste. Du bist perfekt.«

»Findest du?«

»Ja. Einfach prächtig.«

Ihre Miene wurde freundlicher. Sie berührte ihre Hüfte.

»Die von der Zeitschrift Ilustração behaupten, ich hätte zugenommen.«

Falcó lächelte. Er hatte sein Zigarettenetui aus Schildpatt hervorgeholt und bot ihr eine Player's an.

»Die von der Zeitschrift Ilustração sind Deppen.«

Sie beugte sich über den Tisch und näherte ihre Zigarette der Flamme seines echtsilbernen Parker Beacon.

»Deine Manschette ist ja ganz feucht«, bemerkte sie.

»Stimmt«, erwiderte Falcó. »Ich habe sie mir beim Händewaschen nassgespritzt.«

»Wie ungeschickt.«

»Ja.«

Sie rauchten, während sie auf das Essen warteten. Falcós Kopfschmerzen hatten sich gelegt. Brita erzählte von ihrer Arbeit, dem Kassenerfolg, dem Vertrag für die neue Show, die in etwa zwei Monaten Premiere haben würde. Von einem Kinoprojekt, das man ihr angetragen hatte. Falcó wirkte interessiert und höflich, blickte der Frau scheinbar aufmerksam die ganze Zeit in die Augen und, als folgte er einem Drehbuch — was es letzten Endes ja auch war —, ließ er dann und wann eine passende Bemerkung oder eine angelegentliche Frage fallen. Eine deiner perversesten Tugenden, hatte der Admiral einmal gesagt, besteht in deiner Fähigkeit zuzuhören, als wäre das, was man dir sagt, ausschlaggebend für den Rest deines Lebens. Das Wichtigste von der Welt. Und bis dein Opfer den Trick durchschaut hat, ist es zu spät, weil du ihm bereits den Geldbeutel geklaut oder ein Messer in die Leiste gerammt hast. Oder, falls es sich um eine Frau handelt, in ihrem Bett liegst.

»Wohin gehen wir hinterher?«, wollte Brita wissen.

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«

Was zutraf. Er war gedanklich noch ganz mit dem Umschlag in seiner Tasche beschäftigt, mit den beiden Toten und dem Entkommenen, der mittlerweile seine Leute über den Vorfall in Kenntnis gesetzt haben dürfte. Mit der Frage, wie wohl die portugiesische Polizei reagieren würde. Mit dem Prospekt der Norddeutschen Lloyd Bremen und den dort aufgelisteten Schiffen und mit der Übermittlung der Botschaft an den SNIO — den spanischen Geheimdienst Servicio Nacional de Información y Operaciones —, sobald er sie entschlüsselt hätte. Im Grunde war es nicht eilig, da er sich am nächsten Morgen ohnehin mit Salamanca verständigen wollte; doch nicht einmal die Schönheit der Frau, die ihm gegenübersaß, vermochte sein ungutes Gefühl zu zerstreuen. Etwas am Inhalt dieses Kuverts, an dem, was sich eine halbe Stunde zuvor in Alfama ereignet hatte, war nicht, wonach es aussah. Und er würde keine Ruhe geben, bis er herausgefunden hatte, was daran faul war.

»Möchtest du noch Wein?«

Er näherte die Flasche ihrem Glas. Ihr Lächeln bewies, dass sich auch die letzten Wolken verzogen hatten. Das Eis war geschmolzen. Alles in Ordnung.

»Danke, Liebling.«

Immerhin hatte Falcó schon mehrmals mit Brita Moura geschlafen. Viermal, um genau zu sein: einmal im Hotel Palacio in Estoril und dreimal in Lissabon, in dem luxuriösen Appartement, das sie auf der Travessa do Salitre besaß. So besehen, erwartete ihn also nicht viel Neues bei einer vorübergehenden Rückkehr in die Intimität, die ihr Körper versprach. Letztlich handelte es sich um zwei oder drei angenehme Stunden, bevor er, die Hände in den Manteltaschen, den Kragen hochgeschlagen, frühmorgens den Wasserschläuchen der städtischen Straßenfeger ausweichend, in sein Hotel zurückkehren würde, denn er war kein Freund davon, seine Haut zu riskieren, indem er in fremden Häusern schlief. Das war die Kehrseite. Alles in allem kein Programm, das Begeisterungsstürme hervorrufen konnte.

»Wir könnten tanzen gehen«, schlug sie vor. »Ins Bairro Alto. In der Nähe vom Tavares hat ein neues Lokal aufgemacht, da spielt ein amerikanisches Jazzorchester mit schwarzen Musikern.«

»Das wäre eine Möglichkeit.«

Brita neigte sich ihm wieder zu, stützte den Ellbogen auf den Tisch und hielt die Zigarette mit den Lippenstiftflecken in den hochgereckten Fingern. Ihre straffen Brüste streiften das Tischtuch.

»Rate mal, was ich darunter anhabe«, raunte sie.

Sie lächelte verheißungsvoll. Falcó musterte das drapierte Kleid von Balenciaga aus violettem Crèpe. Bei ihrem letzten Beisammensein hatten sie über weibliche Unterwäsche gescherzt, somit war die Antwort, wie er glaubte, einfach.

»Schwarze Seide?«

»Nichts.« Sie senkte die Stimme noch ein wenig mehr. »Ich habe nichts darunter.«

»Beschreib mir dieses Nichts«, schmunzelte Falcó.

»Ich meine nichts, du Dummkopf. Gar nichts.«

»Überhaupt nichts?«

»Ganz recht. Ich trage weder Unterrock noch Schlüpfer.«

»Oh.«

Als er eine Stunde später beim Tanzen in dem neuen Jazzclub Brita Mouras Hüften streichelte, fand er das Nichts bestätigt. Der Stoff schmiegte sich direkt an ihre Haut, und ihre sinnlichen, dem Takt folgenden Bewegungen erregten Falcó ausreichend, um die beruflichen Sorgen aus seinem Kopf zu verbannen. Vielleicht, dachte er, wäre es am Ende doch keine so schlechte Idee, mit in ihr Appartement zu gehen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, hallo und tschüss und alles andere später. Als Alibi war es nicht übel. Die Nacht war lang, der Umschlag steckte noch in seiner Tasche, und in Salamanca, wo sie um diese Zeit schlafen dürften — der franquistische Kreuzzug zur Rettung der Nation zwang den Neuen Spaniern einen gesitteten Lebenswandel auf —, erwartete man vor dem nächsten Morgen keine Nachricht von ihm. Außerdem würde es seine Deckung verstärken, sollte die portugiesische Polizei wegen der Leichen in Alfama herumschnüffeln.

»Ich finde es toll hier«, sagte Brita zum wiederholten Mal.

Das Lokal, das O Bandido hieß, war in Lissabon groß in Mode: Jazz und stets die neuesten Rhythmen. Kellner mit Champagner in Flaschenkühlern, Tabletts voller Whiskygläser und Cocktails mit unmöglichen Namen flitzten zwischen den Tischen hin und her. Ein Orchester aus schwarzen Amerikanern — zumindest taten sie amerikanisch — war mit Leib und Seele bei der Sache, und eine schwitzende, wogende Menge, größtenteils in Abendgala, hatte offenbar mächtig Spaß auf der Tanzfläche; alle schienen völlig ungerührt von der Tatsache, dass auf der anderen Seite der Grenze in einer Entfernung von wenigen hundert Kilometern ein grausamer Krieg tobte, der Flüchtlinge in Strömen auf die Feldwege trieb, die Gefängnisse mit Unglücklichen füllte und auf den Schlachtfeldern, in den Straßengräben und an den Friedhofsmauern Massen von Toten hinterließ. Mit einer sarkastischen Grimasse entsann sich Falcó für einen Augenblick der letzten Silvesterparty vor dem Krieg — er hatte im Grillrestaurant des Palace de Madrid mit einer Freundin gefeiert und getanzt — und fragte sich, wie viele von denen, die dort Luftschlangen geworfen, einander zugeprostet und Glück für 1936 gewünscht hatten, inzwischen tot waren oder es bald sein würden.

»So ein Mist«, sagte Brita. »Schau nicht hin. Da ist dieser dämliche Manuel Lourinho.«

Falcó schaute hin, aus dem Augenwinkel. Ein stattlicher, braungebrannter Typ im Smoking, der mit einer Gruppe von Leuten an einem Tisch saß. Es wurde getrunken und gelacht.

»Der Schönling da drüben?«

»Genau der. Kennst du ihn?«

»Habe ihn schon mal irgendwo gesehen.«

»Er spielt Polo. Manchmal ist er in der Zeitung.«

»Ah, ja.« Jetzt dämmerte es Falcó. »Was ist mit ihm?«

»Der hat sich zu einem richtigen Quälgeist entwickelt. Wir hatten eine kurze Affäre, die er aber zu ernst genommen hat, und jetzt lässt er mich nicht mehr in Ruhe … Abgesehen davon ist er verheiratet.«

»Ich bin auch verheiratet«, witzelte Falcó.

Sie krallte ihm die Nägel in die Arme.

»Angeber. Wer sollte sich denn an einen Lebemann wie dich binden wollen?«

Sie setzten sich. Dieser Lourinho hatte sie gesehen und durchbohrte Brita mit seinem Blick. Falcó umfasste den Hals der Flasche Bollinger, die in dem Eiskübel steckte, und stellte fest, dass sie fast leer war.

»Bestelle ich noch eine?«

»Lieber nicht.« Brita hatte ihre Handtasche geöffnet und puderte sich die Nase. »Diesen Fatzke zu sehen, hat mir restlos die Laune verdorben.«

»Restlos?«

Sie klappte die Puderdose zu und sah aus der Höhe ihrer weiblichen Überlegenheit auf ihn herab.

»Bist du blöd, oder was?«

Falcó schaute auf die Uhr. Dann erinnerte er sich daran, wie sich die Haut der Frau unter dem Seidenkleid anfühlte.

»Gehen wir?«

»Wird wohl besser sein. Ehe uns der Idiot noch den Abend ruiniert.«

Falcó winkte dem Kellner, zahlte und legte ein großzügiges Trinkgeld dazu. Die Frau erhob sich. In diesem Moment stand auch Manuel Lourinho auf — er war ein großer, kräftiger Mann — und schritt auf sie zu. Brita ging an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Falcó dagegen betrachtete ihn sich genauer. Um ein Haar hätte er ihm zugezwinkert, als wollte er sagen, heute ich, morgen du, Kamerad, aber er hielt sich zurück, weil ihm die Miene des Kerls nicht geheuer war. Der starrte ihn an, als machte er ihn für seine Schmach verantwortlich.

»Hey«, redete er Falcó an.

Sein Atem roch nach einem Whisky von guter Qualität und bösen Konsequenzen. Falcó hielt einen Moment inne. Der andere überragte ihn um fast eine Handbreit.

»Ja, bitte, mein Freund.«

»Ich bin nicht Ihr Freund«, knurrte sein Gegenüber. »Und ich werde Ihnen die Fresse polieren.«

Falcó seufzte schicksalergeben. Beinahe versöhnlich.

»Sie jagen mir Angst ein«, sagte er.

Damit folgte er der Frau, die schon ein Stück vorausgegangen war. Sie holten Britas Mantel und seinen Hut an der Garderobe ab — Falcó war nur im Jackett unterwegs — und traten hinaus auf die Straße. Am Halteplatz gegenüber des Jazzlokals standen zwei Taxis und drei Pferdedroschken. Gerade als Falcó den Portier bitten wollte, ihm einen Wagen zu holen, hörte er hinter sich Schritte. Er wandte sich um, und im Schein der Laterne über dem Eingang stand Lourinho.

»Du gehst ohne ein Wort, Brita.«

Schlechter Zug, dachte Falcó. Der Abend wurde problematisch.

»Ich habe keine Lust, mit dir zu reden«, entgegnete sie.

»Das ist aber sehr ungehörig.«

»Lass mich in Frieden.«

Sie hatte Falcós Arm fester umfasst. Den rechten. Vorsichtshalber ließ er sie die Seite wechseln.

»Ich habe mehrmals versucht, dich anzurufen«, beharrte Lourinho.

»Viele Leute versuchen, mich anzurufen.«

Die vom Portier georderte Kutsche fuhr vor. Lourinho vertrat ihnen den Weg.

»Luder«, stieß er hervor.

Falcó verzog das Gesicht. Die Sache schien aus dem Ruder zu laufen. Zumindest konnte es jeden Augenblick so weit sein.

»Entschuldigen Sie uns«, sagte er und wollte Brita zur Kutsche ziehen.

»Er hat mich Luder genannt«, beschwerte sie sich aufgebracht. »Und du sagst nichts?«

»Steig ein, mach schon.«

Doch Lourinho stellte sich erneut dazwischen. Bedrohlich spreizte er die Arme ein wenig vom Körper ab wie ein kampfbereiter Ringer.

»Ich bringe dich um«, sagte er zu Falcó.

Der seufzte noch einmal tief auf und entzog Brita seinen Arm. Er blickte dem anderen direkt ins Gesicht, das sehr nah und ein Stück oberhalb des seinen war.

»Du hast in deinem ganzen Leben noch keinen umgebracht«, sagte Falcó sehr langsam.

Vielleicht war es der Ton, vielleicht die Miene. Falcós Blick. Lourinhos Züge verrieten alles auf einmal. Eine Reihe von Empfindungen. Verblüffung zuerst, dann Erkenntnis und Misstrauen. Er tat einen Schritt zurück. Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt, und sein alkoholvernebeltes Hirn versuchte zu ergründen, was geschah. Doch mehr als zwei Sekunden gestand ihm Falcó dafür nicht zu, vielmehr machte er den Schritt, den der andere zurückgewichen war, nach vorn und hob lächelnd die Arme, als wollte er ihn zum Zeichen ihrer Eintracht freundschaftlich umfangen. Und in derselben Bewegung, immerzu mit einem breiten Lächeln — wenn der andere lächelt, vernachlässigt jeder die Abwehr —, versetzte er ihm einen Kniestoß in die Hoden, worauf sich Lourinho zusammenkrümmte, zunächst vor Schreck, dann vor Schmerz. Falcó wusste, dass diese Art von Schlägen drei oder vier Sekunden brauchte, um ihre volle Wirkung zu entfalten, also rammte er ihm, um die Sache abzukürzen, noch den Ellbogen ins Gesicht. Der große Kerl fiel auf die Knie, eine Hand vor den Augen, die andere im Schritt, und atmete so schlagartig aus, als hätte er einen Blasebalg statt Lungen.

Falcó hatte sich dem Portier zugewandt und ihm einen gefalteten Geldschein gereicht.

»Wie Sie sehen, ist dem Herrn nicht wohl«, sagte er sehr ruhig. »Er ist gestolpert und hingefallen.«

Der Türsteher steckte das Trinkgeld in seine betresste Jacke. Das Entsetzen war aus seiner Miene verschwunden, stattdessen reichte sein Grinsen jetzt von einem Ohr zum anderen.

»Ja, das sehe ich, der Herr.«

Auch Falcó lächelte verschwörerisch. Das Lächeln eines Mannes, der unerschütterliches Vertrauen in die Grausamkeit, Dummheit und Habgier der Menschen besitzt.

»Offenbar zu viel Whisky.«

»Bestimmt.«

Draußen war es noch Nacht. Durch die Schlafzimmervorhänge drang das Licht der Neonreklame für Portwein Sandeman am Haus gegenüber. Nackt unter Britas Mouras Bademantel, den er um die Schultern gelegt hatte, saß Falcó in einem Sessel, rauchte und betrachtete im Dämmerlicht die schlafende Frau. Die Heizung sorgte für eine angenehme Temperatur, und Brita schlief fest, unbedeckt, auf dem Rücken. Falcó hörte ihre regelmäßigen, tiefen Atemzüge. Reglos lag sie da, in einer Pose, in der eine weniger schöne Frau vulgär gewirkt hätte. Das schwache Licht erreichte sie wie durch ein violettes Sieb und erzeugte ein großartiges Spiel aus Licht und Schatten entlang der Konturen ihres Körpers. Der dunkle Busch ihres Schamhaares verbarg die schwindelerregenden Abgründe, die sich zwischen ihren Schenkeln auftaten.

Kühl dachte er an den Mann, den er in Alfama getötet hatte. An das sprudelnde Geräusch seiner Kehle, an die in Form von Blasen mit dem Blutschwall entweichende Luft. Er reflektierte, wie es zu seinen Gewohnheiten und zu seinem Berufsalltag gehörte, über Flüssigkeiten und Körpersäfte. Über die erstaunliche Leichtigkeit, die rettungslose Geschwindigkeit, mit der ein Mensch gut fünf Liter Blut verströmen, hilflos auslaufen konnte, sodass kein Verband, kein Fingerdruck, keine improvisierte Aderpresse imstande gewesen wäre, die massive Blutung zu stoppen. Und einmal mehr fragte er sich, wie es anderen gelang, zu überleben, ohne sich der Tatsache bewusst zu sein, dass es genügte, die wenigen Schritte zu dieser prachtvollen schlafenden Frau hinüberzugehen und ihr mit einem simplen Schnitt den Hals zu durchtrennen, um sie in ein Stück totes Fleisch zu verwandeln.

Er drückte den Zigarettenstummel in einem Aschenbecher aus, stand auf und rieb sich die schmerzenden Lenden: Brita war ohne Zweifel eine sehr resolute Frau. Dann band er den Bademantel zu und ging barfuß über den Parkettboden zu seiner Jacke, die über einer Stuhllehne hing. Er holte den Umschlag heraus und nahm ihn mit ins Bad, wo er das elektrische Licht andrehte und sich einen Moment im Spiegel begutachtete, den quadratischen Unterkiefer, verschattet vom sprießenden Bart, das schwarze zerzauste Haar über der Stirn, die grauen, harten Augen, deren Pupillen noch erweitert waren von dem Kokain, das Brita ihm vor zwei Stunden gegeben hatte. Sein Mund war trocken und klebrig.

Er öffnete den Wasserhahn, trank gierig einen langen Schluck und zog dann den Prospekt des Norddeutschen Lloyd Bremen aus dem Kuvert. Vor kaum acht Stunden waren wegen dieses unscheinbaren Zettels zwei Männer gestorben. Eine Zeit lang studierte er sehr aufmerksam die aufgeführten Namen der Schiffe und deren Routen, ohne irgendein Zeichen oder einen Hinweis zu entdecken. Schließlich hob er das Blatt an die Nase und roch an dem bedruckten Papier. Das Ergebnis zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht.

Auf der gläsernen Ablage über dem Waschbecken stand ein Kerzenständer, daneben lag eine Schachtel Streichhölzer. Falcó räumte die Glasplatte leer, legte das Papier darauf, strich es glatt und entzündete die Kerze. Diese hielt er nun darunter, ließ die Flamme vorsichtig hin und her gleiten, sodass sie das Glas erwärmte und mit ihm das Papier, ohne es zu beschädigen. Und nach etwa einer halben Minute erschienen, ganz allmählich, erst Striche in rötlichem Ocker, dann immer deutlicher erkennbare Großbuchstaben und schließlich Wörter, mit Zitronensaft, Urin oder einer anderen unsichtbaren Tinte an den Rand des bedruckten Blattes geschrieben:

Mount Castle, Kapitän Quirós. Reederei Noreña y Cía., Cartagena—Odessa, Donnerstag, 9.

Um Viertel nach neun am Morgen stand ein schlanker, nicht sehr hochgewachsener Mann mit schwarzem Oberlippenbart und braunem Zweireiher, dessen Jacke ihm ein wenig zu groß war, in der Glastür zum Frühstückssalon des Hotels Avenida Palace, ohne den Hut abzunehmen. Nachdem er ein paar Worte mit dem Oberkellner gewechselt hatte, schaute er sich suchend um und hielt dann auf den Tisch unter dem großen Kristalllüster zu, an dem Falcó saß, O Século und das Jornal de Notícias vor sich ausgebreitet, in der Nähe eines Fensters, durch das er den Obelisken auf der Praça dos Restauradores sehen konnte.

»Das ist ja eine Überraschung«, sagte Falcó und schob die Zeitungen beiseite.

Ohne zu antworten, richtete der andere den Blick erst auf die Schlagzeile Massive Luftangriffe gegen Madrid, dann auf Falcó. Schließlich zog er den Hut von der sonnengebräunten Glatze und legte ihn auf einen Stuhl. Er setzte sich und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Bartstoppeln zeigten sich auf seiner fettigen Haut, und er machte einen erschöpften Eindruck.

»Immer gut untergebracht«, bemerkte er nach einem Rundblick. »Das Zimmer zu hundertzwanzig Escudos, glaube ich.«

»Hundertvierzig.«

Der Mann nickte resigniert.

»Mir würde ein Kaffee guttun«, sagte er schwach. »Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«

Falcó rief nach dem Kellner. Im Gegensatz zu dem anderen war er frisch geduscht und hatte sich nach seinen allmorgendlichen dreißig Liegestützen im hoteleigenen Friseursalon rasieren lassen. Das Haar nach hinten gekämmt, perfekter Scheitel, bleifarbener Dreiteiler — Anderson & Sheppard stand auf dem Etikett im Innenfutter des Sakkos — und Seidenkrawatte. Die grauen Augen studierten seinen Besucher in aller Ruhe: Hauptmann Vasco Almeida von der gefürchteten PVDE — Polícia de Vigilância e Defesa do Estado —, dem portugiesischen Geheimdienst. Sie waren alte Bekannte. Ihre Freundschaft oder auskömmliche Beziehung stammten aus der Zeit, zu der Falcó noch auf Rechnung von Basil Zaharoff mit Waffen gehandelt und dazu unter anderem den Hafen von Lissabon genutzt hatte. Holzkisten ohne Aufdruck oder Lieferpapiere, die als Industrieanlagen oder andere Güter deklariert waren, aus- und eingehende Frachten in dieser schäbigen Welt aus Kränen, Kaschemmen, gesprungenen Fliesen an den Hausfassaden, engen Gassen und Bordellen für die Seeleute der Schiffe, die in diesem Hafen, dessen Molen sich von Alcântara bis Cais do Sodré zogen, vor Anker gegangen waren. Leben und leben lassen, das war ihre Devise. Beide hatten schon öfter Winkelzüge, Vertraulichkeiten, Bestechungsgelder und Profite brüderlich geteilt. Portugal war, wie Almeida zu sagen pflegte, ein kleines und armes Land. Mit niedrigen Gehältern.

»Zwei Tote. In Alfama.«

Dabei schaute er nicht Falcó an, sondern die dampfende silberne Kaffeekanne, die ein Kellner soeben auf den Tisch gestellt hatte. Er goss sich eine Tasse randvoll, ohne Zucker.

»Ein Spanier und ein Portugiese«, ergänzte er, bevor er den ersten Schluck nahm.

Falcó sagte nichts. Seine Manschetten waren rechts und links seines leeren Milchglases — Kaffee trank er schon lange nicht mehr — und des Tellers mit den Resten einer Scheibe Buttertoast an die Tischkante gestützt. Er wartete. Nach zwei weiteren nachdenklichen Schlucken tupfte sich Almeida den Schnurrbart ab und sah Falcó an.

»Wo warst du gestern Abend, mein Freund?«

Falcó hielt seinem Blick stand und wölbte nur leicht die Augenbrauen zum Zeichen seines Erstaunens.

»Essen.«

»Und danach?«

»Tanzen.«

»Allein?«

»Nein.«

Almeida nickte langsam, als hätte er genau das gehört, was er erwartet hatte. Wieder strich er sich mit einer Hand über sein unrasiertes Gesicht.

»Ein Spanier und ein Portugiese«, wiederholte er barsch. »Der eine abgestochen wie ein Schwein.«

»Und?«

»Deinem Landsmann hat man die Papiere geklaut, aber ein Botschaftsbeamter hat ihn vor einer Weile identifiziert. Er war ein republikanischer Spitzel. Der andere, der Portugiese, stürzte aus großer Höhe, oder man hat ihn gestürzt. Ein gewisser Alves. Angestellter eines Konsignatars von Schiffen in der Rua do Comércio.«

»Und warum erzählst du mir das alles?«

»Alves hat für die Deinen gearbeitet.«

Falcó blinzelte ein paarmal.

»Und wer sind die Meinen?«

»Scher dich zum Teufel.«

Schweigen. Lange. Almeida trank in kleinen Schlucken seinen Kaffee aus. Dann akzeptierte er die Zigarette, die Falcó ihm anbot. Falcó besaß die seltene Gabe, eine Freundschaft nach monate- oder jahrelanger Unterbrechung an genau demselben Punkt wieder aufzunehmen, als wäre die Zeit stehengeblieben. Dazu genügte eine Geste, eine Hand auf dem Arm oder der Schulter, eine gemeinsame Erinnerung, ein Lächeln. Bei Almeida war es eine Zigarette.

»Kannst du beweisen, dass du gestern Abend nicht allein warst?«, wollte der Geheimpolizist wissen und blies den Rauch aus.

»Natürlich.«

»Mann oder Frau?«

»Frau.«

»Bekannt?«

»Ziemlich.« Falcó grinste schief. »Deshalb wäre ich dir dankbar, wenn du es nicht an die große Glocke hängen würdest.«

»Dann sag mir wenigstens, wo.«

»Im Martinho da Arcada und im O Bandido.«

»Und anschließend?«

»In ihrer Wohnung. Bis vor vier Stunden.«

»Wo?«

»Travessa do Salitre, in der Nähe des Hotels Tivoli.«

Almeida schien einen Moment nachzudenken.

»Kanntest du den Spanier?«, fragte er schließlich. »Ortiz hieß er.«

»Nein.«

»Und den Portugiesen?«

»Noch weniger.«

»Hast du ich liebe dich zu ihr gesagt?« Almeida schmunzelte wie ein kleiner Junge. »Es ist nämlich nicht ratsam, mit einer Frau, die später als Alibi herhalten soll, die Nacht zu verbringen, ohne ihr mehrmals zu sagen, dass du sie liebst.«

»Bei dieser war das nicht nötig.«

»Bist eben ein Glückspilz.«

»Ja.«

Sie schauten sich in die Augen, als trügen sie an einem der neun Tische des Café Chave d'Ouro eine Partie Billard aus, wie sie es in weniger spannungsgeladenen Zeiten oft getan hatten. Nach einer Weile wies Falcó auf die Zeitungen.

»Benfica hat Sporting geschlagen.«

»Na und?«

»Benfica ist doch dein Verein, oder nicht?«

Wieder verstummten sie für einige Zeit und beobachteten einander.

»Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragte Almeida dann. »Sechs Jahre?«

»Acht.«

»Ich habe dich schon aus mehr als einem Schlamassel gerettet.«

»Und ich dich.«

»Alles hat seine Grenzen, mein Freund.«

»Ich weiß nicht, was du mir damit sagen willst?«

»Diese Leichen stellen mich vor ein Problem.«

»Diese Leichen sollten Angelegenheit der Polizei sein, Vasco. Nicht deine.«

»Wenn es sich um Geheimagenten handelt, auf dem Pflaster zerschmetterte portugiesische Staatsangehörige und spanische Spione, denen man die Kehle durchgeschnitten hat, dann ist das meine Angelegenheit. Verstehst du? Meine Vorgesetzten verlangen Ergebnisse. Und dabei zählen weder Freunde noch gute Bekannte.«

»Kommt darauf an. Dein Präsident Salazar sympathisiert mit den Nationalisten.«

Der andere widmete ihm einen grimmigen Blick. So ähnlich, dachte Falcó, muss er wohl dreinschauen, während ihm einer von zehn Gefangenen — so die mutmaßliche Statistik, die über den verbissenen Antikommunisten Vasco Almeida in Umlauf war — beim Verhör heulend unter den Händen wegstarb oder kurz entschlossen aus dem Fenster sprang. Mit finsterer Miene sah sich der Portugiese rasch nach allen Seiten um.

»Heute Morgen«, sagte er mit gesenkter Stimme, »geht mir mein Präsident Salazar am Arsch vorbei.«

Er machte eine Pause und nahm einen so langen Zug aus seiner Zigarette, dass er sie beinahe aufrauchte.

»Ganz abgesehen davon«, fügte er hinzu, »hat meine Regierung deine immer noch nicht anerkannt.«

Falcó rührte sich nicht und betrachtete ihn mit Wohlwollen.

»Und was willst du von mir?«

Almeida schüttelte den Kopf.

»Ein Bürgerkrieg, um die Farbe einer Fahne zu ändern, das sind harte Bandagen. Ihr Spanier habt sie nicht mehr alle. Ihr saugt die Streitlust schon mit der Muttermilch auf.«

»In so vielen Pluralen finde ich mich nicht wieder«, lächelte Falcó. »Von wem sprichst du?«

»Egal. Von den Roten und von den Faschisten.« Der Geheimpolizist seufzte und schaute auf die Zigarette, gereizt, als hätte Falcó etwas Offensichtliches infrage gestellt. »Weil ihr auf uns Portugiesen nicht mehr eindreschen könnt, drescht ihr jetzt aufeinander ein … Hauptsache, ihr habt jemanden zum Verdreschen.«

»Du hast mir noch gar nicht verraten, welchem Umstand ich die Ehre verdanke, mit dir frühstücken zu dürfen. In deiner herrlichen Stadt.«

Der andere verzog den Mund.

»Du bist doch nicht in Lissabon, um Urlaub zu machen.«

»Ich bin geschäftlich hier, das weißt du doch. Import und Export.«

»Klar.« Almeida drückte den Zigarettenstummel in die leere Kaffeetasse. »Und ich drehe Däumchen.«

»Beweise es.«

»Dass ich Däumchen drehe?«

»Was du mir unterstellst.«

»Ich kann dich festnehmen lassen«, sagte er und blickte ihn streng an. »Dir eine Weile wehtun. Dieser Frau, mit der du angeblich die Nacht verbracht hast, das Leben schwermachen.«

»Hör auf.«

»Dann überspann den Bogen nicht.«

»Was hättest du davon? Dass ich dir die Freundschaft aufkündige?«

Der Geheimpolizist seufzte müde.

»Behandle mich nicht wie einen Trottel.«

»Das würde ich nie wagen …«

Almeida unterbrach ihn, indem er die Hand hob.

»Ich habe nichts dagegen«, sagte er schneidend, »wenn ihr euch jenseits der Grenze die Köpfe einschlagt oder deutsche und italienische Waffen über den Hafen von Lissabon heranschafft, solange ihr die richtigen Stellen schmiert. Das soll jeder handhaben, wie er meint. Die PVDE mischt sich da bislang nicht ein. Aber wir werden nicht zulassen, dass eure Abrechnungen hier stattfinden. Dass ihr uns mit eurem Dreck bespritzt.«

Falcó gestattete sich einen Anflug von Ungeduld.

»Hör zu. Diese Unterhaltung führt zu nichts. Ich habe mit der Sache in Alfama, was auch immer dort passiert sein mag, nichts zu schaffen.«

»Ein bisschen wirst du doch wissen, ich bin mir sicher. Erzähl mir etwas, woran ich mich halten kann. Irgendetwas, muss nichts Großes sein. Und danach gehen wir beide unserer Wege.«

»Sollten nationalistische Agenten beteiligt gewesen sein, gehöre ich nicht dazu. Ich schwöre dir, ich habe keine Ahnung von der Geschichte.«

»Du und keine Ahnung?«

»Nicht den blassesten Schimmer.«

»Gib mir dein Ehrenwort.«

»Du hast mein Ehrenwort.«

Almeida sah ihn sekundenlang fest an. Dann prustete er los.

»Alter Hurensohn.«

2. Das Gold der Republik

Zwei Wochen später, in Sevilla, trank Falcó seinen zweiten Wermut aus, schaute auf die Uhr, legte einen Fünf-Peseten-Schein auf den Tisch — die Bar des Hotels Andalucía Palace war sehr teuer —, nahm seinen Hut vom Nachbarstuhl und stand auf. Dienstfertig eilte sofort ein graumelierter Kellner herbei.

»Der Rest ist für Sie.«

»Danke, mein Herr.«

»Und Arriba España.«

Der Kellner sah ihn verdutzt an, unsicher, ob der Gast ihn provozieren oder witzig sein wollte. Falcó war schwerlich mit denen zu verwechseln, die im blauen Hemd oder mit roter Kappe, Waffengurt und Pistole durch die Stadt spazierten, die Hand an die Mütze legten oder den Arm zum Faschistengruß reckten. In den erfahrenen Augen des Kellners passte dieser gutaussehende Herr mit dem eleganten kastanienbraunen Anzug, der Seidenkrawatte und dem seidenen Einstecktuch nicht ins derzeit geltende patriotische Profil.

»Arriba, natürlich«, gab er nach kurzem Zögern sicherheitshalber zurück.

Womöglich hatte er erlebt, wie weniger besonnene Kollegen erschossen oder verhaftet wurden. Ein gebranntes Kind scheut sogar kaltes Wasser. Falcó, dem das umsichtige Verhalten des Mannes aufgefallen war, fragte sich, wie viel grollendes Klassenbewusstsein sich in diesem altgedienten Kellner mit seinem weißen Jäckchen über all die Jahre, in denen er reichen Sevillaner Erben oder anderen betuchten Kunden den Aperitif serviert hatte, wohl angesammelt haben mochte. Er fragte sich auch, ob dem Alten, fast acht Monate nach dem Militäraufstand, Arbeit und Leben nicht nur deshalb erhalten geblieben waren, weil er rechtzeitig seinen Gewerkschaftsausweis zerrissen und artig den Siegern zugejubelt hatte. Vielleicht hatte er sogar jemanden verraten, denn das war die einfachste Form, sich in einer Stadt wie dieser abzusichern, wo die Nationalisten in Arbeitervierteln und Republikanerkreisen brutal durchgegriffen hatten. Dreitausend Erschossene seit dem achtzehnten Juli. Und wann immer Falcó dem Überlebenden irgendeiner Katastrophe begegnete, fragte er sich unweigerlich, mit welcher Niedertracht der sein Überleben wohl erkauft haben mochte.

Er schenkte dem Kellner ein verständnisinniges Lächeln, richtete seinen Krawattenknoten und schritt in Richtung der Eingangshalle, entlang der schönen Fliesen, die die Wände und zwei Mauern des mittleren Patios zierten. Durch dessen große Fenster schien strahlend die Sonne herein. Dieses Licht erfüllte ihn mit einem heiteren Optimismus. Sevilla erfreute sein Herz stets mit einer angenehmen Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart und Vorfreude auf die Zukunft. Er war an diesem Morgen eingetroffen, weil ihn ein Telegramm des Admirals in aller Eile aus Lissabon abberufen hatte: Lass alles stehen und liegen. Stop. Deine Anwesenheit in Salamanca dringend erforderlich. Doch als Falcó nach einer Tagesreise im Auto in Salamanca angekommen und im Hauptquartier des SNIO erschienen war, hatte ihm Marili, die Sekretärin des Admirals, mitgeteilt, dass ihr Chef wegen einer wichtigen Angelegenheit nach Sevilla gereist war. Er hat gesagt, du sollst dich dort mit ihm treffen. So schnell wie möglich. Steig im Hotel de Inglaterra ab und warte dort auf seine Nachricht.

»Worum geht es denn?«, hatte Falcó sie gefragt.

»Ich weiß gar nichts. Der Chef wird es dir schon erzählen.«

Falcó versuchte es mit seinem berückendsten Lächeln, ohne Erfolg. Die Sekretärin des Admirals, eine mustergültige Gattin und Mutter, nicht unansehnlich, verheiratet mit einem Offizier der Armada, der am Aufstand der Nationalen in El Ferrol beteiligt gewesen war, erwies sich als immun gegen alles, was nicht unmittelbar mit der Erfüllung ihrer ehelichen, familiären und patriotischen Pflichten zu tun hatte. Das galt sogar für Falcó. Oder gerade für ihn.

»Du willst mir also wirklich nichts verraten?«, hatte er noch ein wenig beharrt.

»Nicht ein Wort.« Sie tippte weiter auf ihrer Royal, als wäre er gar nicht da. »Jetzt verschwinde und lass mich arbeiten.«

»Sag mal, wann gehen wir beide mal eine gepflegte Tasse Tee trinken?«

»In Begleitung meines Mannes, wann immer du willst.«

»Du bist ein Biest.«

»Und du ein Aufreißer.«

»Hör nicht auf die bösen Zungen, Marili.«

»Ach, nein?«

»In Wahrheit bin ich zahmer als ein Teddy.«

»Schon klar.«

Als Falcó in Sevilla ankam, war das Hotel de Inglaterra — dessen Fassade noch Spuren der letztjährigen Straßenschlachten aufwies — allerdings ausgebucht. Auch im Majestic und im Cristina gab es kein freies Zimmer mehr. Somit hatte er einen guten Vorwand, im Andalucía Palace abzusteigen, dem teuersten und nobelsten Hotel der Stadt, hundertzwanzig Peseten pro Nacht, frequentiert von hochrangigen Militärs, Offizieren der Legion Condor und der italienischen Freiwilligentruppen, die an Francos Seite kämpften, aber auch von Geschäftsleuten — vielen Deutschen auf der Suche nach Eisenerz und Wolfram — und Leuten, die mit der örtlichen Oligarchie in Verbindung standen.

Letzten Endes gingen seine Ausgaben zu Lasten des SNIO, und der Admiral, zumindest wenn er guter Laune war, deckte ihn für gewöhnlich. Sie wissen doch, wie Falcó ist, pflegte er den Buchhalter zu beschwichtigen — einen kurzsichtigen, peniblen, unbestechlichen Oberleutnant namens Domínguez —, wenn dieser aufgeregt in sein Büro kam und empört mit einem Bündel Rechnungen wedelte. Ein hemmungsloser Großkotz, völlig richtig. Und unbelehrbar. Aber worauf es mir ankommt, das ist seine Effizienz, verstehen Sie? Und dieser seelenlose Mistkerl ist so effizient wie ein scharfes Rasiermesser. Betrachten wir es also als Investition, auch wenn es Ihnen nicht in Ihre verflixten Bilanzen passt. Buchen Sie es unter verlorene Kosten, damit wir uns recht verstehen. Ziehen Sie nicht so ein Gesicht, Domínguez, und schreiben Sie es sich ein für alle Mal hinter die Ohren, verdammt noch mal. Das ist ein Befehl.

In Gedanken an seinen Chef musste Falcó schmunzeln, während er sich durch das Foyer zur Treppe begab und mit dem Portier — den er mit großzügigen Trinkgeldern bei Laune hielt, nicht zuletzt, weil der ein Spitzel der Falange war — einen zerstreuten Gruß tauschte. Er war eben unter dem großen Vordach die ersten Stufen hinuntergegangen, als ihm ein Paar entgegenkam, das aus einem Lincoln Zephyr mit Chauffeur gestiegen war und jetzt, Arm in Arm, er in Uniform, die Treppe hinaufging.

Instinktiv, die Etappe war schließlich nicht die Front, glitt sein Blick zuerst über die Frau, von unten nach oben: hochwertige Schuhe, hübsche Beine in Seidenstrümpfen, teure Handtasche, dunkles, gut geschnittenes Kleid über einem schlanken Körper. Eine Reihe kleiner Türkise um den Hals. Mit seiner Begutachtung unter der schmalen Krempe eines Filzhütchens mit Fasanenfeder angelangt, traf ihn der überraschte Blick von Chesca Prietos grünen Augen.

»Guten Morgen«, sagte Falcó, neutral und zurückhaltend, und tippte an seinen Hut.

Schon wollte er vorbeigehen, ohne stehen zu bleiben, bemerkte jedoch, dass ihrem Begleiter ihre Verblüffung nicht entgangen war. Und als er sich diesen genauer ansah, erkannte er Pepín Gorguel Menéndez de la Vega, ihren Ehemann. Das änderte alles.

»So ein Zufall.«

Falcó zog den Hut, streckte der Frau unbefangen die rechte Hand hin und drückte die ihre in dem feinen Lederhandschuh. Dann wandte er sich an ihren Mann und stellte sich vor.

»Lorenzo Falcó. Ich glaube, vom Sehen kennen wir uns.«

Dazu lächelte er höflich. In seinem Repertoire der ehebrecherischen Scheinheiligkeiten war dies eine der besten. Nach einem Moment der Unschlüssigkeit sah er den anderen nicken. Ein wenig lustlos schüttelte ihm Pepín Gorguel die Hand.

»Ich entsinne mich nicht«, sagte er.

Sein Ton war schroff, herablassend, ganz im Einklang mit seiner Persönlichkeit. Graf de la Migalota und Grande von Spanien, erinnerte sich Falcó. Aus Jerez, wie er selbst auch. Ihre Eltern waren Mitglieder desselben Unternehmerclubs und im selben Tontaubenschützenverein gewesen. Ein einflussreicher Kerl. Ein arroganter, uniformierter Schweinehund, der durch Sevilla stolzierte und mit der Frau an seinem Arm wie mit einer Trophäe protzte. Vor dem Krieg waren sie sich ein paarmal begegnet, in Flamenco-Kneipen, Spielkasinos und Luxusbordellen, und er wusste, dass Gorguel — der reich, verschwenderisch, lasterhaft und sadistisch war — die Frau an seiner Seite nicht im Entferntesten verdient hatte. Mit etwas Glück verpasste ihm jemand eine Kugel, sofern der Krieg lange genug dauerte. Die Regulares waren Sturmtruppen, Kanonenfutter. Chesca würde die Witwenschaft fabelhaft stehen, und die Vorstellung, wie sie Stück für Stück ihre Trauerkleider auszog, erregte ihn wie einen Schuljungen: Unterrock aus schwarzer Seide und die langen schlanken Beine in schwarzen Strümpfen. Und ein Goldkettchen mit einem Kreuz zwischen den Brüsten. Gütiger Gott. Worauf warteten die Roten eigentlich noch?, fragte er sich, wo sie doch jeden Tag massenweise Munition verschossen. Diese Dilettanten.

»Ich bin mit Ihrem Bruder Jaime zur Schule gegangen«, erklärte Falcó. »Und wir haben uns in Madrid gesehen, im Restaurant Or-Kompon. Und im Chicote auch einmal.«

»Mag sein.«

Verschanzt hinter seiner Lakonie, beobachtete Gorguel ihn misstrauisch. Sicher grübelte er darüber nach, welcher Art wohl die Beziehung seiner Gattin zu diesem attraktiven Typen sein mochte, der lächelte, als wollte er Reklame für die Zahnpasta Marfil machen. Gorguel trug militärisches Khaki und Grün, dazu so blank polierte Stiefel, dass sie aussahen wie aus Lackleder. Er war groß und schmal, mit eleganten Gesten und einem schwarzen, kokett à la Clark Gable gestutzten Oberlippenbart. Sonnengebräunter Teint, drei Hauptmannssterne auf der Brust und auf dem Kopf eine Tellermütze mit rotem Band. Vor der nimm dich in Acht, hatte ihn der Admiral in Salamanca gewarnt und damit Chesca gemeint. Ihre Liebhaber sind rar und erlesen. Erst recht in unserem neuen und katholischen Spanien, wo es die Form zu wahren gilt und diese Betbrüder sogar die Scheidung abgeschafft haben. Außerdem trägt der Gatte eine Pistole. Bezähme also deinen Drang, den Frauen abwesender Krieger Trost zu spenden. Bei dem hättest du gute Chancen auf ein Loch im Kopf.

»Ich hatte bereits in Salamanca das Vergnügen, Ihre Frau Gemahlin kennenzulernen«, sagte Falcó heiter und fing einen mahnenden Blick von ihr auf. »Jaime hat uns vorgestellt. Wie geht es Ihrem Bruder?«

Gorguels Züge entspannten sich ein wenig. Jaime sei wohlauf, antwortete er. Zumindest laut seinen letzten Briefen. Man habe ihn aus Madrid abkommandiert, er sei jetzt in der Nähe von Teruel im Einsatz.

»Und Sie?«, erkundigte sich Falcó angelegentlich. »Ist Ihnen ein Heimaturlaub vergönnt?«

»Eine Woche, aus familiären Gründen. Ich komme vom Jarama.«

Falcó zog interessiert eine Braue hoch. Die hart erkämpfte Überquerung des Flusses Jarama war eine der dramatischsten Schlachten seit Beginn des Krieges gewesen. Die Hauptlast gegen die freiwilligen Kommunisten der Internationalen Brigaden hatten dabei die nordafrikanischen Regulares mit ihren europäischen Offizieren getragen. Und grauenhafte Verluste erlitten.

»Sie waren dort?«

Der andere kräuselte den Schnurrbart auf übertrieben abfällige Weise.

»Ja.«

»Und war es so fürchterlich, wie die Zeitungen behaupten?«

»Wahrscheinlich noch schlimmer.«

»Oh. Dann freut es mich für Sie, dass Sie davon erzählen können.«

»Danke.« In Gorguels Augen blitzte es wieder argwöhnisch. »Sie tragen Zivil … Rücken Sie denn nicht ein?«

Falcó spürte Chescas durchdringenden Blick.

»Ich widme mich anderen Dingen. Geschäften.«

Aus dem Argwohn wurde Geringschätzung.

»Ach so.«

»Import—Export.« Falcó zog eine betont zynische Grimasse. »Produkte, an denen ein hoher Bedarf besteht. Nicht nur in den Schützengräben wird Spanien gegen das marxistische Gesindel verteidigt.«

»Verstehe.«

Gorguels Verachtung war so überdeutlich, dass man sie fast mit Händen greifen konnte. Befriedigt wandte er sich seiner Frau zu, wie um sich zu vergewissern, dass sie auch alles mitbekommen hatte. Somit war das Examen bestanden und Falcó würde der Frau fortan mit aller Selbstverständlichkeit ins Gesicht sehen können. Ihre hellen Augen studierten ihn weiterhin teils abschätzig, teils prüfend, aber sie hatte sich wieder vollständig in der Gewalt. Das Bemerkenswerte dabei, fand Falcó, war die kühle Glätte, die Chesca zur Schau stellte; immerhin hatten sie etwas Ernsteres miteinander gehabt. Eine Frau, die etwas Ernsteres zu verbergen hatte — insbesondere, wenn sie verheiratet war —, reagierte für gewöhnlich kaltblütiger als eine, die einen simplen Flirt verheimlichen musste. Er schenkte Chesca ein weiteres Lächeln.

»Gratuliere«, sagte er. »Sie können stolz sein auf Ihren Mann.«

»Das bin ich.«

Bei diesen Worten drückte sie den Arm ihres Gatten. Gäbe es nicht Gerüchte, dass sie Affären gehabt hatte, dachte Falcó bissig, wäre ich von einem so virtuosen Auftritt als treuer Gemahlin tief gerührt. Der Soldat und sein parfümiertes Ruhekissen. Für einen Moment genoss Falcó den Anblick ihrer dunklen rassigen Haut. Chesca duftete nach Amok, wie beim letzten Mal, und ihre Lippen leuchteten in intensivem Rot. Nach wie vor war sie eine umwerfend schöne Frau, wie er mit beinahe physischem Schmerz feststellte. Pech, dass sie ihren lästigen Ehemann dabeihatte. Sie in Sevilla, aber mit Anhang. Zu schade. So nah und doch unerreichbar. Und zwischen ihnen diese einige Monate zuvor angedeutete, aber nicht konkretisierte Geschichte. Nicht ganz jedenfalls. Aber die Welt drehte sich schneller als ein Karussell.

Als er die Augen von ihr abwandte, begegnete er dem nachdenklichen Blick ihres Mannes. Pepín Gorguel betrachtete ihn finster, als fragte er sich, was sie eigentlich immer noch alle drei auf der Treppe des Andalucía Palace machten. Höchste Zeit, seiner Wege zu gehen.

»Es war mir ein Vergnügen«, sagte Falcó und setzte den Hut auf.

Auf der Calle Sierpes wimmelte es von Menschen. Die Schuhgeschäfte, die Läden für Hüte, Fächer und Taschen, die Uhrmacher, die Verkäufer von Heiligenbildchen und -statuen, alle zeigten ihre gut sortierten Schaufenster, als hätte sich am Leben in der Stadt nichts geändert. Der Unterschied bestand nur darin, dass man viele Uniformen, Männer mit Trauerbinden um den Arm und schwarzgekleidete Frauen sah. Und vor den Korbsesseln, die den Mitgliedern des Handelsverbandes vorbehalten waren, kauerten statt der Schuhputzer, die Falcó von früher kannte — ältere Roma aus Triana mit schwieligen Händen —, neben den Töpfen mit Stiefelwichse jetzt kleine Jungen, deren Familien tot oder im Gefängnis waren, seit die Legionäre von General Queipo de Llano die letzte Bastion der Republik mit Feuer und Schwert erobert hatten: den Stadtteil Triana auf der anderen Seite des Guadalquivir, wo man zu den Waffen gegriffen und sich der Nationalen Erhebung vom achtzehnten Juli entgegengestellt hatte. Nicht ganz acht Monate später krachten am Friedhof San Fernando und an der arabischen Festungsmauer in La Macarena noch immer jeden Morgen bei Tagesanbruch die Salven der Erschießungskommandos. Und man sollte sie noch lange hören. Just an diesem Tag hieß es auf der Titelseite der Zeitung ABC, die Falcó beim Frühstück durchgeblättert hatte, es sei notwendig, wenn auch schmerzhaft, den kranken Körperteil zu amputieren, um den Patienten zu retten. Oder so ähnlich.

Falcó betrat das Lokal des Handelsverbandes, und nachdem er einen Saal durchquert hatte, in dem einige gutgekleidete Mitglieder den Getreidepreis kommentierten, Domino spielten oder Zeitung lasen — es roch nach Kaffee, Cognac und gebohnertem Holz —, gelangte er zu dem Raum, den ihm der Portier gewiesen hatte: einen kleinen Salon mit Parkettboden und dekorativ angeordneten, rostigen Fechtwaffen an den Wänden. Die Einrichtung bestand aus einem antiken Mahagonitisch und alten Lederstühlen, von denen zwei besetzt waren.

»Du kommst zu spät«, grunzte der Admiral.

Der Chef des SNIO war, wie gewohnt, in Straßenkleidung. Vor ihm auf dem Tisch lag eine abgegriffene Ledermappe. Falcó zog die Manschette ein wenig zurück und sah auf seine Armbanduhr. Die vereinbarte Zeit war nur um zwei Minuten überschritten.

»Verzeihung, Señor«, sagte er.

Wieder grunzte der Admiral unter seinem grauen Schnauzbart hervor. Er zückte einen Tabakbeutel aus Wachstuch und eine Pfeife, die er zu stopfen begann, nachdem er damit auf den anderen Mann am Tisch gezeigt hatte.

»Du kennst ihn vermutlich. Von Fotos.«

Falcó nickte schon nach einem flüchtigen Blick. Natürlich erkannte er diesen Mann mittleren Alters, mit seinem schütteren Haar und der runden Schildpattbrille, in einem eleganten marineblauen Zweireiher, den Falcó, selbst Stammkunde der Londoner Herrenschneider auf der Savile Row, in die Kategorie der allerteuersten einordnete. Die Krawatte war limonengrün und mit einer goldenen Nadel an den Spitzen des Hemdkragens fixiert.

»Ich glaube, ja.«

Der Admiral, alias der Keiler, grunzte zum dritten Mal. Er hatte nicht gerade seinen liebenswürdigen Tag, dachte Falcó.

»Du glaubst? Und so was will ein Spion sein?«

Der andere Mann schaute Falcó an; ohne sich zu erheben oder ihm die Hand zu reichen, musterte er ihn mit unterkühlter Neugierde. Er hatte etwas Frostiges und peinlich Sauberes an sich, fand Falcó, und der Blick hinter den dicken Brillengläsern war von einer penetranten Ruhe. Es waren die Augen eines selbstgewissen Mannes, der sich alles, was er brauchte oder haben wollte, mit einem Wink oder einem Wort kaufen konnte. Falcó hatte diese Augen auf Zeitungsfotos gesehen, auf den Gesellschaftsseiten der Illustrierten und vor der Republik sogar Seite an Seite mit König Alfons XIII. in Reportagen über Jagden, Pferderennen oder Autos. Jedoch noch nie leibhaftig. Aus der Nähe wirkten sie einschüchternd.

»Tomás Ferriol«, sagte er.

Der Admiral füllte weiter den Pfeifenkopf. Er sprach, ohne aufzublicken.

»Korrekte Antwort«, erklärte er. »Jetzt vergiss diesen Namen und setz dich.«

Falcó gehorchte, während er sich zu orientieren versuchte. Kein Geringerer als Tomás Ferriol. Ergebener Monarchist, unvorstellbar reich dank einer zwielichtigen Vergangenheit — betrügerische Konkurse und Schmuggelgeschäfte im großen Stil —, die niemand aufrühren mochte; dieser Pirat in Schlips und Kragen, mit britischen Manieren und deutschem Pragmatismus, war der Hauptgeldgeber für den Staatsstreich gegen die Republik gewesen. Er hatte die Dragon Rapide und den englischen Piloten bezahlt, der General Franco von den Kanarischen Inseln nach Tétouan gebracht hatte, damit der die Führung der aufständischen Truppen in Marokko übernahm. Außerdem hatte er den Rebellen durch eine Bürgschaft über eine Million Pfund Sterling den Kauf der zwölf italienischen Savoia-Marchettis ermöglicht. Und während diese Flugzeuge übers Mittelmeer nach Spanien flogen, hatten fünf Tankschiffe — die einer seiner Reedereien mit Sitz in London gehörten und Kraftstoff für die staatliche Erdölgesellschaft CAMPSA geladen hatten — ihre Route geändert, um die von den Putschisten kontrollierte Zone anzusteuern. Wenngleich er sich diskret im Hintergrund hielt, war Tomás Ferriol der offizielle Bankier des nationalistischen Spaniens.

»Das ist der Mann, von dem ich Ihnen in Salamanca erzählt habe.«

Der Admiral hatte sich an Ferriol gewandt. Beide schauten Falcó an.

»Sie sagten, er sei vertrauenswürdig«, sagte der Finanzier.

»Auf seine Art, aber hundertprozentig.«

»Sie garantieren für seine Kompetenz.«

»Absolut.«

»Und er ist weltgewandt.«

»Ja. Kein Vergleich mit der Grobschlächtigkeit, die heutzutage immer mehr um sich greift.« Der Admiral sah Falcó streng an, als würde er ihn beleidigen. »Er kennt die Portiers, Kellner und Croupiers der besten Hotels und Kasinos in ganz Europa und am östlichen Mittelmeer beim Namen. Er ist die auf Abwege geratene Version eines Jungen aus gutem Hause.«

»Ich kenne die Sorte.«

Daraufhin herrschte Stille. Nach einer Weile nickte Ferriol leicht zum Admiral hinüber, und dieser legte die Pfeife unangezündet auf den Tisch, öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr einige Unterlagen in Kartonmappen. Vor Falcó legte er ein weißes Blatt Papier.

»Notiere dir, was du für nötig hältst, aber ohne Namen, Daten und Ortsangaben. Anschließend gibst du mir das Blatt. Nichts Schriftliches darf diesen Raum verlassen.«

»In Ordnung.«

»Mir wäre es lieber, wenn du zu Befehl sagen würdest. Dieser Herr muss ja denken, du nimmst mich nicht für voll.«

Falcó grinste.

»Zu Befehl.«

»Wann warst du das letzte Mal in Tanger?«

»Vor gut zwei Jahren. Im Winter vierunddreißig.«

Der Admiral versuchte, sich zu erinnern. Im Lampenlicht hatten sein Glasauge und sein gesundes Auge unterschiedliche Farbtöne.

»In unserem Auftrag?«

»Ja.« Falcó warf einen zweifelnden Blick auf Ferriol, doch die Geste des Admirals ermunterte ihn, weiterzusprechen. »Der Fall Collins.«

»Ah ja, jetzt weiß ich es wieder.«

Auch Falcó entsann sich. Im Zug von Ceuta nach Tétouan und dort elf müßige Tage auf dem Bett im Hotel Regina in Erwartung des Befehls, nach Tanger zu fahren und einen englischen Ingenieur zu liquidieren, der ein doppeltes Spiel spielte. Es ging um den Verkauf von Geheiminformationen zu republikanischen Minen an Nazideutschland, und das Problem hatte letztlich zur Zufriedenheit aller gelöst werden können, mit Ausnahme der des Ingenieurs.

»Warst du davor auch noch zu anderen Gelegenheiten in Tanger?«, bohrte der Admiral weiter.

»Ja, mehrmals.«

»Wie gut kennst du dich in der Stadt aus?«

»Ziemlich gut.«

»Kontakte vor Ort?«

»Den einen oder anderen sicherlich noch.«

»Einzelheiten.«

»Nein. Mit dem gebührenden Respekt, Señor, es sind meine Kontakte, und sie sind gut.«

Der Admiral griff nach der Pfeife, nahm eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und steckte den Tabak in Brand. Damit überspielte er seine Genugtuung. Durch die ersten Rauchwolken hindurch sah er Tomás Ferriol an, als erteilte er ihm das Wort. Der Finanzier, der dem Gespräch bislang unbewegt gelauscht hatte, studierte Falcó weiterhin mit einem starren Blick, der diesem Unbehagen verursachte. Augen wie ein Fisch im Aquarium. Haiaugen, besser gesagt.

»Kennen Sie die Geschichte vom Gold der Republik?«

Falcó blinzelte verwirrt. Damit hatte er nicht gerechnet.

»Ich weiß darüber nur, was vermutlich alle Welt weiß.«

»Und was weiß alle Welt?«

»Dass die republikanische Regierung es Ende vergangenen Jahres nach Russland geschickt hat, um die Versorgung mit Kriegsmaterial zu gewährleisten und zu verhindern, dass es den Nationalisten in die Hände fällt, falls wir Madrid einnehmen sollten. Zumindest sagt man das.«

»Es ist wahr.«

Falcó zog eine Grimasse.

»Das freut mich für die Russen.«

Er mochte Ferriols Schroffheit nicht. Dieser steckte die sarkastische Bemerkung anscheinend ungerührt weg.

»Deine Freuden und Leiden interessieren uns einen feuchten Dreck«, sagte der Admiral. »Kapiert?«

»Kapiert.«

Die Pfeife qualmte unaufhörlich.

»Entschuldige dich, verflucht.«

»Ich entschuldige mich.«

Hinter Ferriols Brillengläsern deutete sich ein amüsiertes Funkeln an. Er hatte dünne, blasse Lippen. Wenn ich eine Frau wäre, dachte Falcó, würde ich mich von einem solchen Mund nicht gern küssen lassen.

»Das Gold wurde von September an heimlich aus Madrid weggeschafft«, erläuterte der Bankier, »in mehreren Sendungen, scharf bewacht von Milizionären und Grenzsoldaten. Einen kleinen Teil hat man per Luftfracht an französische Banken geschickt. Fast der gesamte Rest, zehntausend Kisten voller Gold in alten Münzen und Barren, wurde in Cartagena in den Pulverkammern der Kaserne La Algameca zwischengelagert und von dort aus auf russische Schiffe verladen, die Kurs aufs Schwarze Meer nahmen.«

Falcó hob die Hand wie ein braver Schuljunge.

»Darf ich Fragen stellen?«

»Natürlich«, sagte Ferriol.

»Solange du nicht unverschämt wirst«, schränkte der Admiral ein.

»Von wie viel Gold reden wir hier?«

Mit gönnerhafter Miene betrachtete Ferriol seine Fingernägel.

»Mindestens sechs- bis siebenhundert Tonnen, schätzen wir.«

»Und beim aktuellen Goldpreis heißt das?«

»Über zwei Milliarden Peseten.«

»Oh«, staunte Falcó. »Das wird Stalin wohl genügen, um seinen Wodka zu bezahlen.«

Ferriol hatte sich dem Admiral zugewandt. Sein Lächeln war so eisig, dass es gar nicht nach einem Lächeln aussah.

»Ist er immer so frech?«

»Er hat Eigenschaften, die das wieder ausgleichen.«

»Beruhigen Sie mich. Nennen Sie mir eine.«

Der Admiral überlegte eine Sekunde.

»Sein Charme ist seine zweitgrößte Tugend.«

»Und die größte?«

»Er ist loyal.«

»Wem gegenüber?«

»Sich selbst. Und mir.«

»In dieser Reihenfolge?«

»Schon … Aber er erfüllt stets beide.«

Schweigen. Tabakrauch und das leise Geräusch, wenn der Admiral an seiner Pfeife zog. Ferriol schien im Stillen Loyalität, Unverfrorenheit und Kompetenz gegeneinander abzuwägen, seine ausdruckslose Miene allerdings verriet das Urteil nicht.

»Zurück zum Gold«, schlug der Admiral vor.