Der Tod geht in Schwarz - Aemilian Hron - E-Book

Der Tod geht in Schwarz E-Book

Aemilian Hron

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Beschreibung

Ein leiser Plopp – Kopfschuss mit einem Kleinkaliber, beinahe unhörbar, wie von einem Profikiller ausgeführt. In der idyllischen Universitätsstadt Tübingen wird die Leiterin eines Mädchenheims ermordet aufgefunden. Kommissar Kleinfeldt, ehemaliger Geheimagent mit unorthodoxer Dienstauffassung, ermittelt mit seiner neuen Assistentin Regina, einer berückend schönen und unerhört verwegenen jungen Kollegin. Doch der Fall droht zur Falle für ihn zu werden: Sein ärgster Feind ist darin verstrickt. Unter Lebensgefahr ermittelt Regina in der Rolle einer Millionenerbin in Kreisen krimineller Waffenhändler. Kleinfeldt reist in einen korrupten Kleinstaat und gewinnt Einsicht in die schrecklichen Hintergründe des Mordes.

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Aemilian Hron

Aemilian Hron ist promovierter Psychologe im Ruhestand und schreibt aus Spaß an der Logik eines kriminalistischen Handlungsstrangs.

Aemilian Hron

Der Tod geht in Schwarz

Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2022Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen Alle Rechte vorbehaltenTitelbild: © Adobe StockGestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenLektorat: Bernd StorzKorrektorat: Sabine Tochtermann Satz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN 978-3-96555-141-1

Besuchen Sie unsere Homepage und informierenSie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

PROLOG

Der Kommissar kommt langsam zu sich, kalt und steif auf seinem harten Nachtlager. Der Schneesturm ist abgeklungen. Ein sonniger, frostiger Tag kündigt sich an. Er wagt nicht, das Feuer zu entfachen, fürchtet die Rauchfahne, die im Morgenlicht leicht zu erkennen wäre.

Plötzlich ist er hellwach, horcht in die Stille. Ganz in der Ferne ein Motorgeräusch, das langsam anschwillt. Kennt jemand einen Pfad, der zur Hütte heraufführt? Vorsichtig späht er hinaus. Ein Mann auf einem Schneemobil nähert sich, hält in einiger Entfernung. Polizia liest er auf der Bugverkleidung. Der Mann steigt ab, eine Maschinenpistole in Händen – eine Uzi, eine üble Nahkampfwaffe.

Der Polizist kommt langsam auf die Hütte zu, die Uzi schussbereit in der Rechten. Mehrmals hält er lauschend inne, beschattet die Augen mit der linken Hand gegen den hellen Morgenhimmel, das Schneemobil weiter entfernt geparkt. Kleinfeldt beobachtet ihn durch einen Spalt im Fensterladen. Eigentlich darf er ihn nicht herankommen lassen, müsste ihn aus sicherer Deckung erschießen. Doch es wäre heimtückischer Mord. Er sieht nur eine Möglichkeit: Er muss hinter den Mann kommen, von vorne hätte er mit der Luger keine Chance. Er kennt die furchtbare Wirkung der Uzi, hat beim Geheimdienst einst damit trainiert. Selbst wenn er noch einen Schuss abgeben könnte, die Uzi würde ihn durchsieben.

Ein junger Kerl, vermutlich mit wenig Erfahrung. Der Kommissar hofft, er möge es unterlassen, die Hütte vorab sichernd zu umkreisen. In fliegender Hast zieht er die Jacke über, steckt die Luger ein, huscht zum Fenster an der Seitenwand, kann es leise öffnen, steht draußen in höchster Spannung.

SONNTAGNACHT

Auf, auf, Herr Kommissar, ein Mord!

Knurrend knallt Kommissar Kleinfeldt den Telefonhörer auf die Station. Er hat durchschlafen wollen. Doch nun muss er raus. Ein Mord!

Er schlüpft in die Kleidung, greift das Notwendigste und verlässt hastig seine Wohnung. Fauchend springt der schwarze Kater im Treppenhaus auf, den er in der Eile übersehen hat.

»Centu, sorry!«

Der Kater folgt ihm beleidigt die Treppe hinunter. Und als der Kommissar die Haustür öffnet, huscht Centurio unversehens hinaus und entschwindet ins Abenteuer der Nacht.

Der Kommissar wohnt in der Tübinger Gartenstraße, hat sein Auto in der Hanggarage neben dem Mietshaus. Noch im Herausfahren stellt er das mobile Blaulicht aufs Wagendach. Kurz darauf jagt er über die Eberhardsbrücke in Richtung Südstadt.

Tausend Gedanken gehen ihm durch den Kopf, als er die Hechinger Straße hinunterfährt. Dieses ärgerliche Verfahren gegen ihn wegen illegaler polizeilicher Ermittlungen. So manchen Fall hätte er gar nicht anders lösen können!

Die Bestie! Monatelang war immer mal wieder eine verstümmelte Frauenleiche im Schönbuch entdeckt worden. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren. Dann endlich eine Spur zum Täter, einem honorigen Bürger, aber ein Durchsuchungsbeschluss kam nicht zustande. So war er nachts, maskiert mit schwarzer Sturmhaube, in dessen Villa eingestiegen, war auf die gefolterte und missbrauchte Frau gestoßen. Er befreite sie, benachrichtigte die Kollegen und machte sich unerkannt davon. Doch vorher hatte er seine heiße Wut an dem Unhold kühlen müssen, ihm einige gebrochene Rippen verpasst, um ihn dann später im Krankenhaus zu verhaften.

Er grient, denkt an die Schlagzeilen in der Presse über das »geheimnisvolle Phantom der Nacht«.

Und die anderen nächtlichen Unternehmungen? Dienen sie tatsächlich nur seinen Ermittlungen, oder will er sich die biedere Polizeiarbeit erträglicher machen? Schon in seiner Zeit beim Geheimdienst konnte er die riskanten, Adrenalin geladenen Missionen nicht missen.

Aber warum nimmt er die neue Assistentin mit? Will er ihr imponieren? Ihr bezaubernder Charme, ihr sanftes und freundliches Wesen – ähnlich seiner verstorbenen Frau. Und gleichzeitig hat er sie als mutig und wild erlebt, als sie mit ratternder Maschinenpistole die Deckung der Gangster erstürmte, sein Leben rettete und ihres riskierte. Angesichts ihrer liebenswürdigen Art und bildschönen Erscheinung ist sie leicht zu verkennen.

Ich hätte sie niemals einstellen sollen! Diese Unruhe im Hause. Grimmig denkt er an die jungen Kollegen, die unter den abseitigsten Vorwänden auf der Dienststelle erscheinen, ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Und er selbst …?

Aus dem laufenden Ermittlungsverfahren gegen ihn hat er sie heraushalten können. Er müsste vorsichtiger sein, sollte sie außen vor lassen, denn irgendwann fliegt jede faule Sache auf.

Was lässt der neue Fall dieses Mal erwarten? Er wird vorerst auf sich gestellt sein, sie ist noch im Urlaub.

Eigenartige Tatortbefunde

In der Katharinenstraße blitzen Blaulichter in der Dunkelheit. Es ist Sonntagnacht, fünf Minuten vor zwölf. Ein leichter Regen hat eingesetzt. Der Kommissar stellt das Auto ab und eilt hinüber zu dem düsteren Gebäude des Tübinger Mädchenheims. Das große Haus liegt im ungewissen Licht der nahen Straßenlaterne, eine holzüberdachte Steintreppe führt ins Hochparterre.

»Herr Kommissar, guten Abend.« Der Streifenwagenbeamte weist in einen schwach erleuchteten Hausflur. »Dort drüben im Geschäftszimmer.«

Kleinfeldt betritt den Raum. Tot am Boden eine Frau, rücklings ausgestreckt, mitten in der Stirn ein kleines Loch. Sie scheint Mitte vierzig, eine elegante Erscheinung, am Handgelenk eine Luxusuhr. Ihre graue Kostümjacke steht offen, unter der weißen Bluse wölbt sich ein attraktiver Busen, volles blondes Haar umrahmt ihr Gesicht. Kleinfeldt meint, ein erstaunter Ausdruck läge auf ihrem erstarrten Antlitz.

»Wer ist die Tote?«

»Die Leiterin des Mädchenheims, Herr Kommissar, eine Rebecca Romano.«

Der Beamte deutet durch die offene Tür auf eine Person weiter hinten im Hausflur, die der Kommissar erst jetzt bemerkt.

»Die Kinderbetreuerin der Nachtschicht … hat uns alarmiert.«

»Gut, soll warten.«

Am liebsten hätte er die Sache zum Teufel gewünscht. Sein nervöses Hicksen, das er vergeblich zu unterdrücken sucht, macht ihn nur noch ärgerlicher. Widerwillig zieht er Einmalhandschuhe über und hebt vorsichtig einen Arm der Toten. Die Leichenstarre ist noch nicht eingetreten. Er besieht die kleine Einschussstelle in der Mitte der Stirn, dreht den Kopf der Toten ein wenig zur Seite und wundert sich über das fehlende Ausschussloch. Das Projektil muss noch im Kopf des Opfers stecken. Offensichtlich Kleinkaliber, denkt er verblüfft.

Urplötzlich erinnert er die fatale Geheimdienstmission: Genau so ein kleines Einschussloch im Kopf seines Kollegen! In geheimer Order waren sie tagelang einem osteuropäischen Killerkommando hinterhergejagt, sollten deren Identitäten ermitteln. Was sie nicht wussten: Sie waren längst erkannt worden, ahnten nicht die Falle, in die sie gelockt wurden – ein inszeniertes Szenarium. Von der Terrasse einer Kaffeebar aus meinten sie, gute Fotos von ihren Zielpersonen schießen zu können. Eine Besucherin, ihnen unverdächtig, hatte seinem Kollegen unverhofft eine Kleinkaliberpistole an die Schläfe gesetzt und abgedrückt. Ein Mord, ähnlich wie hier geschehen.

Der Kommissar atmet tief durch, ruft sich zur Ordnung.

»Habt ihr die Tatwaffe gefunden?«

»Nein, Herr Kommissar.« Der Beamte macht Anstalten, sich suchend umzusehen.

Kleinfeldt seinerseits durchmustert den Raum. Hier stimmt etwas nicht! Entgegen dem eleganten Äußeren der Toten erscheint ihm die Büroeinrichtung geradezu ärmlich. In Fensternähe ein abgenutzter Schreibtisch mit Telefon und Laptop. An einer Seitenwand ein alter Büroschrank und ein schäbiges Bücherregal, das mit seinem krausen Durcheinander von Akten Zweifel an einem geordneten Geschäftsbetrieb aufkommen lässt.

Angesichts der teuren Luxusuhr der Toten sollte ein Raubmord wohl auszuschließen sein. Vielleicht eine Beziehungstat, überlegt er, aber das Kleinkaliber deutet eher auf einen Profikiller. Wenn’s einer von denen war, wird’s schwierig. Er weiß, wie gefährlich diese Leute sind und wie geräuschlos und professionell sie arbeiten, treffen jede Vorkehrung, um nur keine DNA zu hinterlassen, binden sich sogar Hosenbeine und Jackenärmel zu. Nun gut, die Kriminaltechnik wird so einiges zu tun haben.

Das Fenster steht halb offen. Unvermittelt entdeckt er auf dem Fußboden darunter eine Kappe. Er bückt sich: Eine helle Sportkappe, am hinteren Klettverschluss ein schwarzes Haar, etwa fünf bis sechs Zentimeter lang. Könnte dem Täter gehören, falls er durchs Fenster ist. Aber seltsam: Würde ein Profikiller nicht lieber mit einer umschließenden Kopfhaube arbeiten?

Über sein Mobiltelefon alarmiert er die Spurensicherung und die Gerichtsmedizin.

Eine dubiose Zeugin und ein Verdächtiger

Im schummerigen Hausflur wartet die Frau. Er tritt auf sie zu, eine grauhaarige ältliche Person, er schätzt sie auf Ende fünfzig. Devot kommt sie ihm entgegen, macht in ihrem zerknitterten blauen Kittel und den strähnigen Haaren einen ungepflegten Eindruck.

»Ich bin Kommissar Kleinfeldt«, stellt er sich vor. »Sie heißen?«

»Zerbski, Mira Zerbski, Herr Kommissar. Ich habe heute Nachtdienst.«

Sie verbeugt sich leicht und versucht ein freundliches Lächeln, das eher einem schiefen Grinsen gleicht.

»Sie haben die Tote gefunden?«

»Ganz richtig, Herr Kommissar.«

»Was war los? Erzählen Sie!«

»Ich habe einen Schrei gehört … klang wie ein ›Nein!‹ … und dann einen Bums. Ich bin sofort hingelaufen.«

»Sie haben einen Bums gehört? Keinen Schuss?«

»Ich sagte doch: Es war ein Bums. Und dann lag sie da am Boden.«

Und wieder erinnert der Kommissar die unheilvolle Geheimdienstmission: Er hört einen lauten Bums, sieht den Kollegen am Boden, daneben die Killerin, in der Hand die kleine Pistole mit Schalldämpfer, die sie nun an seinen Kopf zu bringen versucht. Er kann sie wegschlagen, zieht seine Beretta, könnte die Frau auf der Stelle erschießen. Er kann es nicht! Dann sind die anderen heran, die Zielpersonen, automatische Pistolen in Händen. Wild um sich schießend packt er den Kollegen, seine modifizierte Beretta leistet 21 Schuss, zerrt den Sterbenden ins Auto – entkommt, selbst schwer verletzt.

Der starre, abwartende Blick der Zeugin ruft ihn in die Wirklichkeit zurück. Er räuspert sich.

»Sie sahen sie am Boden. Und was taten Sie?«

»Nun ja … äh … ich hatte einen riesen Schreck … hab sofort erkannt, dass sie tot ist, bin ans offene Fenster … der muss da rausgesprungen sein.«

»Haben Sie jemanden gesehen?«

»In der Straße ein Mann, er lief weg in Richtung Loretto Klinik. Er hatte eine Glatze, das habe ich genau gesehen.«

Sie will weitersprechen, doch der Kommissar unterbricht sie ungeduldig.

»Trägt jemand hier im Haus eine Sportkappe?«

»Eine Sportkappe? Nein … hat hier niemand.«

Merkwürdig, sagt sich der Kommissar, ein glatzköpfiger Täter, und an dessen möglicher Sportkappe ein schwarzes Haar?

Und blitzartig steht ihm das eigenartige Puzzle des Falls vor Augen: Kleinkaliber, Profikiller, Sportkappe, Glatzkopf und schwarzes Haar. Wie geht das zusammen?

Frau Zerbski zeigt auf einmal ein eigenartiges Grinsen, dessen Hintersinn er so gar nicht einzuschätzen vermag.

»Vielleicht weiß ich ja, wer es getan hat.«

Die Frau tut, als überlegte sie, scheint ihr Zögern auszukosten.

»Reden Sie!«

»Es war der Lüdel, er hat’s getan.« Sie schaut den Kommissar herausfordernd an.

»Lüdel? Wer ist das?«

»Gustav Lüdel. Seine Tochter Lydia ist bei uns. Als ich zum Dienst kam, hat er mit Frau Romano gestritten. Er hat geschrien, er würde sie umbringen. Das habe ich genau gehört.«

»In Ordnung, Frau Zerbski. Wir klären das.« Der Kommissar überlegt einen Moment. »Wo kann man Herrn Lüdel finden?«

»Der Lüdel«, sagt sie abfällig, »der wohnt auf dem Schrottplatz am Ende der Eisenbahnstraße, haust dort in einem Wohnwagen.«

Plötzlich hat Kleinfeldt es eilig, könnte den Verdächtigen womöglich sofort aufspüren, die eigenartigen Zusammenhänge augenblicklich klären. Rasch überreicht er ihr seine Kontaktadresse und verlässt das Haus. Starker Regen hat eingesetzt. Ein greller Blitz und ein krachender Donner leiten ein heftiges Gewitter ein. Er hastet zum Auto, bekommt noch einen Gutteil Nässe ab.

Der Kommissar im Dreck

Als Kleinfeldt auf der Hechinger Straße zurückfährt, entlädt sich das Gewitter mit voller Wucht. Blitze zucken und grollender Donner erschüttert die Oktober-Nacht. Es gießt in Strömen. Am oberen Ende der Straße kommen ihm flirrende Blaulichter entgegen: die Kollegen unterwegs zum Tatort. Er ist an der Blauen Brücke vorbei und fährt langsam die Eisenbahnstraße entlang. Angestrengt versucht er den Schrottplatz mit Lüdels Wohnwagen auszumachen.

Rechter Hand taucht die dunkle Silhouette der alten Fabrik auf, von einem Blitz schlagartig beleuchtet. Dann die Umzäunung des angrenzenden Schrottplatzes, dessen offene Zufahrt er zu spät bemerkt. Er will zurücksetzen, als er Scheinwerferlicht im Rückspiegel sieht. Ein Auto ist auf das Gelände gebogen, bescheint für einen kurzen Moment einen Flachbau. Dann herrscht wieder diffuses Regendunkel, vom Licht der nahen Straßenlaterne kaum durchdrungen.

Er hält einige Meter entfernt. Durch das beschlagene Heckfenster sind zwei Gestalten zu erkennen, die hastig eine Kiste zum Flachbau schleppen. Hat das mit dem Vorhaben zu tun, den verdächtigen Lüdel aufzuspüren? Er hätte Kollegen mitnehmen sollen!

Noch im Auto müht er sich in den Mantel, kontrolliert die Dienstwaffe und steckt die Stablampe ein. Dann steigt er aus, ist im Nu klatschnass. In der Zufahrt ein dunkler Passat, ein aufzuckender Blitz beleuchtet das Tübinger Kennzeichen. Über den schlammigen Grund patscht er zu dem Flachbau hin, verharrt unter dem Vordach, prüft die Tür: verschlossen.

Rasch wendet er sich zur Gebäudeseite, stakst nach hinten zu einem matt erhellten Fenster. Durch regennasse Scheiben sind zwei Männer zu sehen: Der eine groß, dunkelhaarig und mit mächtiger Hakennase, der andere kleiner und massig wie ein Kleiderschrank, ein plumper, glatzköpfiger Bulle.

Er versucht mehr zu erkennen, rutscht aus und prallt haltsuchend gegen das Fenster. Die Männer erstarren, das Licht verlischt. Eilig läuft er nach vorne, will sie am Eingang abfangen. Doch schlagartig wird dort die Tür aufgestoßen, trifft ihn mit Wucht an der Stirn und wirft ihn zu Boden.

Für einen Moment ist er benommen, spürt einen schmerzhaften Fußtritt in die Seite. Als er den zweiten Tritt erhält, ist er wieder klar – und dann laufen die Automatismen seiner Nahkampfausbildung. Blitzschnell fasst er zu, reißt den Angreifer auf den schlüpfrigen Grund. Der bullige Glatzkopf, der nun heran ist, hat keine Chance. Kleinfeldt ist hoch, pariert einen Schwinger und bricht ihm mit einer krachenden Geraden den Kiefer. Aufseufzend stürzt der Glatzkopf in den schmutzigen Schlamm. Aber den anderen hat er kurz aus den Augen verloren. Er spürt eine Bewegung hinter sich, will herumfahren. Doch der Schlag trifft ihn am Hinterkopf.

Als er wieder bei Bewusstsein ist, hat das Gewitter nachgelassen. Mühsam kommt er hoch, verdreckt und völlig durchnässt, an der Stirn eine blutige Beule. Sein Mantel ist aufgeknöpft, Dienstwaffe und Stablampe am Boden, doch sein Smartphone fehlt. Die Männer und der dunkle Passat sind verschwunden.

Was geht hier vor? Und wo steckt der mordverdächtige Lüdel? Er sieht sich um.

Ein dunkler Schatten in der Düsternis: Der gesuchte Wohnwagen, Gustav Lüdels Behausung. In der Nähe geparkt ein Kastenwagen mit Tübinger Kennzeichen, die Motorhaube noch warm. Durch eine Gardine am Wohnwagenfenster dringt gedämpfter Schein.

Der Kommissar tritt auf eine kleine Stufe und klopft. In dem Moment verlischt drinnen das Licht, eine blendend helle Außenlampe geht an. Jählings springt die Tür auf. Ein Mann, undeutlich erkennbar im Dunkel des Wageninneren.

»Polizei!«, brüllt Kleinfeldt mit harter Stimme.

Der Mann scheint zu erschrecken, zögert, springt dann auf ihn zu. Kleinfeldt stürzt rücklings in den nassen Dreck. Im grellen Licht der Außenlampe sieht er die verkrüppelte Rechte, die ihn niedergestoßen hat, dann die flüchtende dürre Gestalt mit blitzender Glatze, die im flatternden Jackett in der Dunkelheit verschwindet.

Er lässt ihn laufen, hat keine Lust mehr, will nur noch nach Hause und unter die Dusche, und dann telefonieren.

Vor der Haustür wartet Centurio, der schwarze Kater, um eingelassen zu werden. Gewöhnlich gemessen und voller Stolz, macht er einen zerzausten und kläglichen Eindruck. Ein Leidensgenosse, kommt es ihm in den Sinn. Er will ihn streicheln, doch Centurio huscht durch die offene Tür und verkriecht sich auf seinem Platz unter der Treppe.

MONTAG

Regina aus dem Urlaub zurück

Dem Regensturm des Vorabends ist ein kühler, feuchter Montagmorgen gefolgt. Der Himmel über Tübingen ist wolkenverhangen und über dem Neckar liegen dünne Nebelschwaden. Der Kommissar ist beachtlich verspätet, sodass er das Auto nimmt, um schnell von seiner Wohnung zum Polizeipräsidium in der Konrad-Adenauer-Straße zu gelangen. Als er das Dienstzimmer betritt, verharrt er überrascht.

»Herr Kommissar, guten Morgen.«

Seine Assistentin Regina Schröter ist freudig aufgesprungen, ein Lächeln im bezaubernden Gesicht. Als sie das große Pflaster an seiner Stirn erblickt, hält sie erschrocken inne.

»Herr Kommissar, was ist passiert?«

»Wieso sind Sie schon aus dem Urlaub zurück?«, raunzt er barsch. »Ich habe Sie noch gar nicht erwartet.« Und dann brummelnd: »Muss ich wohl falsch eingetragen haben.«

Er nickt ihr flüchtig zu und geht direkt zu seinem Schreibtisch hinüber.

»Soll ich Ihnen schnell einen Kaffee machen?«, fragt sie froh gestimmt und streicht sich beschwingt eine goldblonde Haarsträhne zurück.

»Lassen Sie’s«, erwidert er schroff und lässt sich auf seinen Bürostuhl fallen.

»Ich habe für Ihren Kater etwas mitgebracht.«

Sie weist ein Tütchen vor, in dem sich offensichtlich Katzen-Leckereien befinden.

»Legen Sie’s aufs Kaffeebord. Im Übrigen ist es nicht mein Kater. Centurio gehört zum Haus.«

Entmutigt kommt sie der Aufforderung nach, während Kleinfeldt seinen Computer einschaltet.

»Hat jemand angerufen?«

»Zwei Anrufe für Sie«, antwortet sie mit gedrückter Stimme und verbirgt ihre Enttäuschung, indem sie sich ihrem Rechner zuwendet. »Oberkommissar Klett bittet, ihn zurückzurufen.«

»Soso, und wer sonst?«

Er schaut, im Schreibtischstuhl zurückgelehnt, mit zusammengelegten Fingerspitzen wie gelangweilt zur Zimmerdecke empor.

»Ada Wagner von der IT-Abteilung wollte Sie sprechen.«

Abrupt richtet er sich auf, kann einen nervösen Hickser nicht vermeiden. Natürlich war Adas Anruf zu erwarten, und trotzdem hat er plötzlich ein ungutes Gefühl.

»Frau Wagner lässt ausrichten, dass der beschlagnahmte Laptop der ermordeten Heimleiterin professionell verschlüsselt sei. Sie sollen bitte zurückrufen.«

»Hm …« Er ist kurze Zeit wie geistesabwesend, von ganz unterschiedlichen Gedanken bewegt: Wieso besitzt eine Heimleiterin einen verschlüsselten Laptop? Zweifellos ein weiteres Element in dem so merkwürdigen Puzzle. – Und Ada? Er kann ihr nun nicht mehr aus dem Wege gehen, muss endlich seine Beziehung zu ihr klären.

Unterdessen wendet Regina sich ihm entschieden zu, blitzt ihn herausfordernd an, eine steile Falte auf der klaren Stirn.

»Herr Kommissar, was ist eigentlich los? Ich weiß überhaupt nicht, was hier vorgeht.«

Kleinfeldt ist sofort präsent. »Ich berichte Ihnen später. Nur so viel vorab. Heute Nacht wurde die Leiterin des Tübinger Mädchenheims erschossen, eine Rebecca Romano. Tatverdächtig ist Gustav Lüdel, zur Fahndung ausgeschrieben. Beschaffen Sie Informationen über den Mann. Am besten Sie gehen als Erstes nach unten ins alte Archiv.«

Profikiller oder Sportschütze?

Als Kleinfeldt allein ist, entschließt er sich Ada anzurufen. Schon mehrfach hatte sie in letzter Zeit versucht ihn telefonisch zu erreichen, doch jedes Mal hatte er entweder nicht abgehoben oder sich verleugnen lassen. Dabei versteht er sich selbst nicht. Die Kollegen beneiden ihn um seine Verbindung mit Ada, dieser attraktiven, rothaarigen Mittvierzigerin, die durch ihren Charme einen jeden bezaubert. Ada leitet die IT-Abteilung, und wegen des verschlüsselten Laptops kann er ihr nun nicht mehr ausweichen.

Unvermittelt steht sein Stellvertreter Hauptkommissar Thompson in der Tür, enthebt ihn für den Augenblick seiner misslichen Lage. Der Hauptkommissar, ein labiler und undurchsichtiger Charakter, hegt einen geheimen Groll gegen Kleinfeldt, hat seine Enttäuschung wegen dessen Bestallung zum Leiter der Mordkommission und seiner damaligen Zurücksetzung nie verwinden können.

»Hallo Werner«, grüßt er feixend, »du hast ja heute Nacht so einiges losgemacht. Die Kollegen von der Spurensicherung und den Ermittlungen sind mächtig am Rotieren. Aber die Fahndung nach dem flüchtigen Lüdel hat noch nichts ergeben.« Dann stutzt er und bemerkt spöttisch: »Siehst ziemlich lädiert aus, wolltest wohl mal wieder mit dem Kopf durch die Wand.«

Kleinfeldt schnaubt verärgert, während der Hauptkommissar wie selbstverständlich auf Reginas Bürostuhl Platz nimmt.

»Wie ich höre, ist deine schöne Assistentin wieder da.«

»Wieso‚ wie du hörst«, zischt Kleinfeldt böse.

»Na komm, tu nicht so. Das halbe Präsidium steht doch Kopf, wenn sie über die Flure geht.«

»Ach, diese verdammte Geschichte«, stöhnt Kleinfeldt. »Zwei Wochen hatte ich Ruhe, und jetzt geht’s wieder los. Ständig die leidigen Besuche der jungen Herren aus dem Hause, unter den abstrusesten Vorwänden.« Und wütend setzt er hinzu: »Du gehörst wohl auch dazu.«

»Kann schon sein. Aber für ihr Aussehen kann sie nichts.«

»Eine unscheinbare Person wäre mir lieber gewesen.«

»Jetzt mach mal einen Punkt. Alle beneiden dich. Hat sie dich nicht unter Lebensgefahr herausgeschossen – im Roten Engel, als die Gangster dran waren dich zu killen?«

Mit ausgestrecktem Zeigefinger beugt er sich zu Kleinfeldt herüber. »Du wärst nicht mehr, das weißt du am besten!« Er lächelt bitter. »Ja, ich hätte deine Stelle.«

»Die Sache ist seit damals klar!«

»Gut, ja …« Thompson rutscht unruhig auf dem Stuhl herum, scheint sich weitere Einwände zu verkneifen.

Einen kurzen Moment lang herrscht Schweigen, dann äußert er hämisch: »Noch mal zu deiner Assistentin. Ich habe gehört, sie sei Waise, in einem Kinderheim in Ulm aufgewachsen.«

»Woher weißt du das!«, stößt Kleinfeldt hervor, und vor Empörung entfährt ihm ein nervöser Hickser.

»Man hat so seine Verbindungen.« Der Hauptkommissar grinst verschlagen.

»Genug Geplänkel! Sag, ob’s was Neues gibt.«

»Okay, Werner.« Thompson hebt beschwichtigend die Hände. »Ich bin heute Morgen gleich in die Gerichtsmedizin. Du weißt, dass ich mit Lenneberger per Du bin. Der Doktor hatte die Tote noch auf dem Tisch.«

Er legt eine genüssliche Pause ein, und Kleinfeldt kann seine Ungeduld kaum zügeln.

»Und … William!?«

»Außer einem kleinen Einschussloch in der Stirn wies die Tote keine Verletzungen auf. Das Projektil ist im Kopf stecken geblieben. Lenneberger hat es herausgeholt, eindeutig Kleinkaliber.«

Kleinfeldt nickt. »Das habe ich sogleich vermutet, nachdem ich mir die Tote angesehen hatte.«

»Bei Kleinkaliber ist die Geschossenergie gering. Ein Kopftreffer hat nur auf kurze Distanz ausreichende Wirkung. Der Täter muss mit dem Opfer auf Tuchfühlung gewesen sein. Dem Schusskanal nach möglicherweise ein Linkshänder und von mittlerer Größe. Passt der flüchtige Lüdel auf diese Merkmale?«

»Ich bin mir nicht sicher. Er wird von einer Zeugin beschuldigt … hat eine verkrüppelte rechte Hand, ist außerdem ein Glatzkopf, und so einen will sie gesehen haben. Merkwürdig ist aber: Am Tatort fand sich eine Sportkappe mit einem schwarzen Haar daran. Ich zweifle auch, ob man Lüdel ein Kleinkaliber zuschreiben kann.«

Ihm kommen seine fatalen Erfahrungen mit Profikillern in den Sinn. »Eigentlich benutzen nur Auftragsmörder und Spezialagenten Kleinkaliberpistolen. Die russische PSM ist so eine Waffe, wird vor allem in Osteuropa benutzt, ist mit aufgesetztem Schalldämpfer kaum zu hören.«

»Du meinst, wir haben es mit einem Profikiller zu tun?«

»Den Lüdel würde ich keinesfalls dazu zählen, so wie mir seine Lebensumstände erscheinen.«

»Mhm … wäre nicht auch ein Sportschütze denkbar?«

»Richtig, doch er müsste über die geeignete Anwendung des Kleinkalibers Bescheid wissen, um einen Mord zu bewerkstelligen. Ob das durchgängig der Fall ist? Ich weiß nicht … Im Moment eine undurchsichtige Angelegenheit.«

»Was schlägst du vor, Werner?«

»Erst mal brauchen wir weitere Befunde. Ich stelle jetzt die Sonderkommission zusammen. Wir treffen uns heute um 18 Uhr. Du solltest dich um die Pressearbeit kümmern. Es gibt einen Rummel, wenn die Medien Wind von der Sache bekommen. Ist das okay?«

»Gerne, Werner.« Thompson lehnt sich zufrieden grinsend zurück.

»Aber William, aus ermittlungstaktischen Gründen keine näheren Auskünfte über die Umstände und Ausführung der Tat. Bevor du irgendwelche Informationen herausgibst, sprichst du’s mit mir ab. Klar?«

»Geht klar, Werner.«

Nachdem Thompson gegangen ist, verweilt der Kommissar in Nachdenken: Ein seltsamer Fall. Wie passt der glatzköpfige Lüdel auf das schwarze Haar und das Kleinkaliber? Oder könnte ein Profikiller unterwegs gewesen sein? Oder ein Sportschütze? Was könnte das Mordmotiv sein?

Zu viele offene Enden, seufzt er, aber wir werden sehen.

Der Staatssekretär mischt sich ein

Kurz darauf ist Regina aus dem Archiv zurück, berichtet dass gegen Lüdel ein Auslieferungsersuchen der südafrikanischen Regierung wegen Wirtschaftsverbrechen vorliegt. Kleinfeldt fragt sich, ob das Ersuchen nicht Grund für Lüdels Flucht sein könnte. Da läutet das Telefon. Der Staatsanwalt avisiert sein Kommen innerhalb der nächsten halben Stunde. Leicht beunruhigt argwöhnt der Kommissar, der Besuch gelte dem gegen ihn laufenden Verfahren wegen unerlaubter nächtlicher Ermittlungen.

Pünktlich in der Zeit trifft der Staatsanwalt ein, begleitet von einem grauhaarigen, äußerst korrekt wirkenden älteren Herrn. Der Kommissar erhebt sich sofort und geht den Besuchern entgegen, während Regina ein wenig zögerlich folgt.

Die Herren geben sich freundlich und es erweist sich, dass der Begleiter des Staatsanwalts, Dr. Blum, Staatssekretär im baden-württembergischen Innenministerium ist. Kleinfeldt zeigt sich überrascht und bittet die Gäste, in der Besucherecke Platz zu nehmen. Noch während sie sich setzen, äußert der Staatsanwalt zu Regina gewandt:

»Frau Schröter, wir würden gerne mit Herrn Kommissar etwas besprechen«, und mit Blick auf Kleinfeldt: »Sie haben doch nichts dagegen, Herr Kommissar, wenn Frau Schröter …?«

»Nein, nein«, Kleinfeldt nickt, aber da ist Regina schon dabei, den Raum zu verlassen.

Dr. Blum wendet sich in verbindlichem Ton an Kleinfeldt. »Herr Kommissar, in Stuttgart haben wir von Ihren Ermittlungserfolgen gehört und ich freue mich, Sie kennenzulernen.«

Ein geschmeicheltes Lächeln stiehlt sich in Kleinfeldts gespannte Miene, und nach einem peinlichen Hickser entgegnet er: »Wir tun unser Möglichstes, Herr Staatssekretär.«

Doch der Staatssekretär scheint sich mit höflicher Konversation nicht aufhalten zu wollen, sondern kommt sofort zur Sache.

»Ich bin hier wegen der Ermordung von Frau Romano.«

Kleinfeldt schaut ihn völlig perplex an. »Der Mord ist keine zwölf Stunden her, woher …?«

»Wir haben unsere Quellen«, unterbricht ihn der Staatssekretär barsch, »und wenn ich Ihnen gleich Näheres erkläre, werden Sie verstehen. Bezüglich Ihrer Ermittlungen möchte ich von Anfang an für einige Klarstellungen sorgen.«

In einer Mischung aus Überraschung und Argwohn sieht Kleinfeldt wie hilfesuchend zum Staatsanwalt hin, der sich sofort einschaltet, um keine Missstimmung aufkommen zu lassen.

»Herr Dr. Blum und ich sind alte Freunde. Bitte, Herr Kommissar, hören Sie sich erst einmal an, worum es geht.«

Daraufhin fährt der Staatssekretär fort: »Möglicherweise werden Sie bereits wissen, dass die Ermordete Mitglied der Tübinger Goldern war.«

Kleinfeldt deutet eine Verneinung an, worauf der Staatssekretär erklärt:

»Wir beobachten die Goldern seit geraumer Zeit und sind zu der Auffassung gelangt, dass es sich um eine Tarnorganisation handelt, die unter einem karitativen Deckmantel illegale Waffengeschäfte betreibt. Gemäß unseren Erkenntnissen liefern die Goldern unter anderem Waffen an die Autonen: Eine kleine staatsfeindliche Gruppe, Ihnen sicherlich bekannt.« Und mit gewichtigem Unterton fügt er an: »Sie wissen, was das bedeutet!«

Kleinfeldt fühlt sich äußerst unbehaglich. Mit widerstrebender Stimme erwidert er: »Unsere Untersuchungen sind gerade erst angelaufen. Ich kann überhaupt noch nichts sagen. Aber Sie sollten mir schon erklären, was der Mord mit der Waffengeschichte zu tun hat.«

»Das will ich gerne tun«, entgegnet der Staatssekretär gereizt. »Frau Romano gehörte zum engsten Kreis der Goldern. Wir sind davon überzeugt, dass die Tat in unmittelbarem Zusammenhang mit besagten Waffengeschäften steht.« Und mit erhobener Stimme fährt er fort: »Wir wünschen, dass Ihre Untersuchungen nicht nur der Überführung des Täters dienen, sondern gleichzeitig Licht in die Waffenangelegenheit bringen. Entsprechende Erkenntnisse sollten Sie unverzüglich an uns weitergeben.«

Vollends überrascht und befremdet will Kleinfeldt widersprechen, doch der Staatssekretär fährt in einem Atemzug fort: »Wir müssen auf äußerste Verschwiegenheit von Ihnen und Ihren Mitarbeitern bestehen. Keinesfalls dürfen unsere Untersuchungen öffentlich werden.«

Regina soll undercover ermitteln

Der Kommissar fühlt sich völlig überfahren, versucht erneut zu Wort zu kommen, indes der Staatssekretär in strengem Ton sagt:

»Herr Kommissar, einen Moment bitte! Ich habe noch eine Information und ein Anliegen. Und was ich Ihnen dazu mitteile, ist ausschließlich für Sie bestimmt und unterliegt strengster Geheimhaltung.«

Kleinfeldt schweigt irritiert, während der Staatssekretär fortfährt: »Wir haben im engsten Zirkel der Goldern einen verdeckten Ermittler platziert, aber bisher keine befriedigenden Erkenntnisse erzielen können. Wir möchten Ihre Assistentin Frau Schröter zusätzlich bei den Goldern einschleusen. Sie soll versuchen, engeren Kontakt mit den infrage kommenden Personen aufzunehmen.«

Erschrocken fährt Kleinfeldt zurück, will etwas einwenden, doch der Staatssekretär bedeutet ihm mit einer Handbewegung zu schweigen.

»Sie leiten die Ermittlungen, und – das besagen meine Informationen – Sie haben mit Frau Schröter eine äußerst fähige Beamtin, die bereits verdeckt ermittelt hat.«

»Herr Staatssekretär«, der Kommissar kann sich nicht länger zurückhalten, »wir ermitteln in einer Mordsache, nicht in einem Fall illegaler Waffengeschäfte. Auch bitte ich zu bedenken, dass ein solcher Einsatz, sollte der Mord tatsächlich aus dem Umkreis der Goldern verübt worden sein, für Frau Schröter äußerst gefährlich ist.«

»Ja, die Operation ist gefährlich. Aber wegen der Autonen handelt es sich um eine staatspolitische Angelegenheit, für die gewisse Risiken in Kauf zu nehmen sind. Das Risiko für Frau Schröter sollte dadurch vermindert sein, dass unser eingeschleuster Agent sie unter Umständen schützen kann. Er ist unser bester Mann, der aber unerkannt bleiben muss, auch ihr gegenüber.«

Und mit einer Gelassenheit, die den Kommissar insgeheim empört, bemerkt Dr. Blum:

»Wir können erwarten, dass Frau Schröter weitere Erkenntnisse erzielt.«

»Wie kommen Sie zu dieser Annahme?«, stößt Kleinfeldt hervor.

»Herr Kommissar«, entgegnet Dr. Blum in gönnerhaftem Ton, »bei den Goldern handelt es sich im Wesentlichen um eine Männergesellschaft. Jetzt, da ich Frau Schröter in persona gesehen habe, bin ich umso mehr von ihrer Eignung für diese Aufgabe überzeugt. Ich hatte von ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit gehört, aber dass sie eine solche Erscheinung darstellt, hätte ich niemals geglaubt. Seien wir doch ehrlich«, ergänzt er schmunzelnd, »eigentlich gehört sie auf den Laufsteg statt zur Polizei. Aber umso besser.«

Kleinfeldt beginnt vor Wut zu hicksen. »Wie haben Sie sich die Sache gedacht!?«, fragt er heftiger als gewollt.

Dr. Blum bleibt ganz ruhig. »Die Tübinger Firma Dr. Schmidt Invest scheint die Zentrale der Goldern zu sein. Wir lancieren Frau Schröter dort als millionenschwere Erbin. Sie gibt vor, zwanzig Millionen Dollar für eine Geldanlage verfügbar zu haben und soll sich von den Leuten als Investorin gewinnen lassen. Für die Besicherung verlangt ihre fiktive Finanzberatung sodann Einblick in die Geschäftsunterlagen der Firma.«

Er besinnt sich kurz und fährt dann fort: »Frau Schröters Kleidung, sonstige Aufmachung, Luxusauto und so weiter: Alles soll vom Besten sein und angesichts ihrer finanziellen Situation glaubwürdig erscheinen. Mittel spielen keine Rolle. Das Berliner Kanzleramt ist involviert. Natürlich muss Frau Schröter von sich aus der Sache zustimmen.«

»Sie hängen die Angelegenheit ziemlich hoch. Durchaus könnte es sich um eine persönlich motivierte Tat handeln. Unter Umständen wird der Mord schnell aufgeklärt sein. In dem Fall kann ich Ihrem Ansinnen nicht stattgeben.«

»Gut, wenn Sie das so sehen und unter dieser Maßgabe darauf bestehen, den Einsatz von Frau Schröter abzulehnen, müssen wir das akzeptieren. Geben Sie uns umgehend Bescheid. Unabhängig davon, wie sich die Sache entwickelt, verlangen wir strengste Geheimhaltung. Es gibt in Ihrem Polizeiapparat jemanden, der Informationen durchsticht.«

Kleinfeldt ist wie vom Donner gerührt.

»Klären Sie das auf!«, äußert der Staatssekretär im Kommandoton und erhebt sich brüsk. In frostiger Atmosphäre verlassen die Herren das Dienstzimmer. Auf dem Tisch ist eine Kontaktadresse zurückgeblieben.

Eine undurchsichtige Lage

Irritiert verweilt Kleinfeldt in der Besucherecke, starrt böse vor sich hin. Was denkt sich der Staatssekretär, mischt sich in seine Angelegenheiten ein! Sollen die Stuttgarter gefälligst selbst den illegalen Waffenhandel aufdecken. Er hat einen Mord aufzuklären, aber nicht die Arbeit des Staatsschutzes zu machen.

Und seine Assistentin soll unter Waffenschiebern und möglichen Mördern verdeckt ermitteln? Diese außergewöhnliche Frau so sehr gefährden? Er schüttelt den Kopf, doch er weiß, dass sie den riskanten Einsatz übernehmen wird, wenn er sie darum bittet.

Woher hat der Staatssekretär Kenntnis über den Maulwurf im Präsidium? Wer könnte es sein? Kurz kommt ihm Ada in den Sinn und ihre Bitte um Rückruf. Aber sein innerer Aufruhr und seine Ratlosigkeit lassen den Gedanken an sie in den Hintergrund treten.

Unterdessen klingelt das Telefon. Oberkommissar Klett ist am Apparat. Klett leitet die Ermittlungsgruppe – ein äußerst korrekter, geradliniger Beamter, der wegen seiner peniblen Art und der beinahe an Geiz grenzenden Sparsamkeit häufig den Spott der Kollegen ertragen muss. Die jahrelange Zusammenarbeit mit Kleinfeldt und ihre gegenseitige Wertschätzung haben zwischen beiden eine enge kollegiale Freundschaft entstehen lassen.

»Hallo Werner«, begrüßt ihn der Oberkommissar, »Ich hatte heute Morgen angerufen und deine schöne Amazone …«

Kleinfeldt unterbricht ihn barsch. »Was gibt’s, Friedel!?«

»Ich habe in der Früh deine Nachrichten vorgefunden und die Fahndung nach Gustav Lüdel in die Wege geleitet«, antwortet Klett verstimmt. »Ist doch klar, dass wir darüber sprechen müssen.«