Der Turbo von Marrakesch - Atze Schröder - E-Book

Der Turbo von Marrakesch E-Book

Atze Schröder

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Beschreibung

Atze in Gefahr

Essen-Kray. Ein Päckchen mit einer Schweizer Uhr wird versehentlich an Atze Schröders Nachbarin Ute Peymann geliefert. Die Waldorf-Lehrerin bittet ihren Freund und Mithausbewohner Atze, Comedylegende und bekennender Porsche-Fahrer, um Hilfe: Er soll das Paket zum richtigen Empfänger bringen. Dass dieser, ein gewisser Uwe Peimann, ein gefürchteter Auftragskiller ist und in der Uhr ein mysteriöser Mikrochip steckt, an dem auch das organisierte Verbrechen großes Interesse hat – davon ahnt Atze nichts, als er die Uhr leichtfertig beim Pokern verzockt. Von da ab gerät unser charmanter Frauenheld mit dem goldenen Herzen und der großen Klappe in einen Strudel gefährlicher Situationen.

Doch mit seinem unverwüstlichen Humor, einem vollgetankten Porsche Turbo und der Hilfe vieler Kumpels nimmt Atze den Kampf auf.

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Zum Buch

Essen-Kray. Ein Päckchen mit einer Schweizer Uhr wird versehentlich an Atze Schröders Nachbarin Ute Peymann geliefert. Die Waldorf-Lehrerin bittet ihren Freund und Mithausbewohner Atze, Comedylegende und bekennender Porsche-Fahrer, um Hilfe: Er soll das Paket zum richtigen Empfänger bringen. Dass dieser, ein gewisser Uwe Peimann, ein gefürchteter Auftragskilller ist und in der Uhr ein mysteriöser Mikrochip steckt, an dem auch das organisierte Verbrechen großes Interesse hat – davon ahnt Atze nichts, als er die Uhr leichtfertig beim Pokern verzockt. Von da ab gerät unser charmanter Held mit dem goldenen Herzen und der großen Klappe in einen Strudel gefährlicher und grotesker Situationen. Der BND, eine äußerst attraktive Profikillerin und andere Ganoven machen Atze das Leben alles andere als einfach. Schafft Atze es, mit seinem unverwüstlichen Humor, einem vollgetankten Porsche Turbo und der Hilfe seiner Kumpels das Blatt in letzter Sekunde zu seinen Gunsten zu wenden?

Zum Autor

Atze Schröder ist einer der bekanntesten und beliebtesten deutschen Comedians. Seinen Lebensunterhalt bestritt er zunächst als Schlagzeuger in wechselnden Bands, bis er seine Liebe zum gesprochenen Wort entdeckte. Der Durchbruch gelang ihm mit der beliebten Comedy-Serie Alles Atze. Parallel festigte er mit seinen Soloprogrammen den Ruf als einer der besten und erfolgreichsten Live-Comedians Deutschlands. Insgesamt gewann er fünfmal den Deutschen Comedypreis. 2013 veröffentlichte Atze Schröder seinen ersten Roman Und dann kam Ute, mit dem er gleich die Spiegel-Bestsellerliste erobern konnte.

ATZE

SCHRÖDER

und

TILL HOHENEDER

DERTURBOVON

MARRAKESCH

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Copyright © 2016 by Atze Schröder Copyright © 2016 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Satz: Leingärtner, Nabburg Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München

»First you learn your instrument, then you learn music. Then you forget all of that, and just play.«

Dizzy Gillespie

»Life is more or less a lie, but then again, that’s exactly the way we want it to be.«

Bob Dylan

»Entscheidend ist, was hinten rauskommt.«

Helmut Kohl

Prolog

Essen, Keller

Heftig klatschte die biegsame Taucherflosse auf ihr wunderschönes Hinterteil, und sie wimmerte.

Ich schrie ihn an: »Dimitri, du kleine Metaxa-Tucke, lass sie in Ruhe! Noch ein Schlag, und ich reiß dir deinen miesen Arsch so auf, dass deine eigene Oma dich nur noch an der Stimme erkennt!«

Er lachte nur und verzog keine Miene. Stattdessen verpasste er ihr den nächsten Hieb. »Interessant, Malaka, ich freu mich schon drauf.«

Der Rubikon war überschritten, ich tobte vor Wut und hätte ihn sofort verprügelt, wenn mein Kopf nicht in diesem ungemütlichen Schraubstock gesteckt hätte.

»Es ist doch ganz einfach, Schröderchen: Du sagst mir, wo der verdammte Chip ist, und du kannst schon morgen den süßen Knackarsch deiner kleinen Schlampe zusammenflicken.«

Wie konnte ein Mensch so tief sinken. Selbst als Grieche sollte man doch neidfrei anerkennen, wenn eine Lendenlegende wie ich besser im Bett ist als so ein zweitklassiger Zazikizausel.

»Wenn du mich fragst, Dimi, bist du ein widerlicher Komplettversager.«

Ich hatte es noch nicht ausgesprochen, als die Flosse wieder auf Nataschas Pfirsichpopo niederknallte, der mittlerweile nicht mehr ganz so elegant aussah. Natascha flehte mich mit letzter Kraft an, und ihre Stimme klang gar nicht mehr so fröhlich wie sonst: »Atze, bitte, bitte gib ihm, was er will, ich flehe dich an!« Dann sackte sie ohnmächtig zusammen.

Ich kam schwer ins Grübeln. War es das alles wert? Liebte ich diese Frau wirklich? Was bedeuteten mir die endlosen Nächte voller Lust, Leidenschaft und feuchter Frotteelaken? Natascha Orlov war eine Göttin, von der ich unzählige Male die heilige Kommunion der sieben Liebessiegel empfangen hatte. Keine Frau konnte das Kamasutra so schön vorlesen wie sie. Keine Frage, diese Frau hatte mich verzaubert. Dumm nur: Sie war bewusstlos, meine Rübe steckte immer noch in dem Schraubstock, und wenn Dimitri Roussos nicht bald seinen verfluchten Chip bekäme, würde mein holdes Lockenköpfchen auch dort bleiben. Nein, es gab keinen anderen Ausweg. Ich musste Natascha retten. Ein Atze Schröder lässt keine Frau im Stich.

»Okay, du dreckiges Schwein. Du hast gewonnen. Mach mich los, ich bring dich zum Versteck!«

Er lächelte hämisch. »Warum nicht gleich so.« Dann trat er mir mit voller Absicht in die Klöten.

Pullach, BND, abhörsicheres Büro

Eike Klein hasste seinen Namen. Schon als Kind schnauzten ihn seine Lehrer rüde an: »Ja, Eike Klein, größer hatten’s deine Eltern auch nicht, wa?« Hier in der Behörde nannten ihn alle nur »die kleine Heike«. Sie würden sich noch alle wundern.

Er träumte an seinem Schreibtisch vor sich hin. Mit der Kohle vom Syndikat hätte er endgültig ausgesorgt. Er sah sich schon im Porsche Turbo durch Marrakesch brettern, mit einer schönen und vor allem endgeilen Beduinenschönheit neben sich auf dem Beifahrersitz, im gekühlten Handschuhfach eine Flasche Roederer Cristal und eine unbenutzte Packung »Berberflöte«, die marokkanische Version der Markenpariser »Feucht und Fröhlich«. Er hatte gekonnt alle Spuren verwischt, und sollte ihm vom BND doch einer auf die Schliche kommen, hatte er sich ein paar gute Ausreden zurechtgelegt. Außerdem gab es in seinem Plan keine Schwachstelle. Er würde den Russen opfern wie ein Osterlamm zum Oktoberfest.

Er drehte die Uhrkrone dreimal gegen den Uhrzeigersinn und die Lünette mit der 30 auf die Zwölf-Uhr-Position. Federnd sprang die kleine Lade für den Mikrochip aus dem Gehäuse. Mithilfe einer Pinzette installierte er vorsichtig den Chip und schob die Lade wieder zu. An solchen Details konnte er sich berauschen. Diese Uhr war ein Präzisionswunderwerk Schweizer Uhrmachermeisterkunst. Es handelte sich um eine Tudor Heritage Black Bay, von der es dank abgebrühter chinesischer Hufschmiede Abertausende von besseren Plagiaten gab. Ein unauffälliges Meisterstück. Er griff zu seinem Spezialhandy und rief den Russen an.

Die warme und höfliche Stimme des Russen meldete sich mit der vereinbarten Parole: »Petersburg hat schöne Tage im Frühling.«

Klein antwortete per Sprachstörungsknopf: »Der Zar ist im Bernsteinzimmer. Das Paket geht morgen auf die Reise. Adresse?« Der Russe antwortete: »U. Peimann, Cora-Schumacher-Straße 10, Düsseldorf.« Dann legten beide auf.

Die kleine Heike warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf den Bildschirm mit dem geöffneten Porsche-Konfigurator. Berauscht von seinem Deal, ließ er sich nicht lumpen und klickte auch noch die beheizbaren Titanaschenbecher im Art-déco-Stil fürs Armaturenbrett an. Warum nicht zeigen, wenn’s einem gut geht.

Er verließ Pullach über eine der zahlreichen Nebenstraßen und warf das Paket in einen der gelben Briefkästen am Perlacher Forst.

Postamt Essen-Kray

Der Briefträger Walther Rauch guckte verwundert auf die Adresse auf der ockerfarbenen DIN-A5-Versandtasche. Cora-Schumacher-Straße? Nie gehört. Nicht in vierzig Berufsjahren. Außerdem war das hier Essen und nicht Düsseldorf. Wie hatte seine Oma schon immer gesagt: »Die Doofen gehen und gehen nicht alle.« Beherzt korrigierte er eigenmächtig den Fehler. U. Peymann – das wusste doch jeder hier in Essen – war diese hochattraktive Waldorflehrerin Ute, die Ex von dem bekloppten Komiker Atze Schröder. Und die wohnten doch im selben Haus in der Kurt-Schumacher-Straße 10. Na also. Jeden Tag hatte er mindestens zehn solcher Fälle.

Mit dem guten Gefühl, die Welt mal wieder ein kleines Stück besser gemacht zu haben, sortierte er den Brief in seine Fahrradposttasche und radelte los.

1

Duschen kann man nicht oft genug

»Mein Mann ist ein Engel«, sagte die Neunundsechzigjährige im Bus zu ihrer Sitznachbarin.

»Hast du’s gut, meiner lebt noch!«, entgegnete ihr Gegenüber resigniert.

Genau solche gut abgehangenen Kalauer braucht der erfahrene Komiker, um eine lahme Seminarveranstaltung wieder in Schwung zu bringen.

Erster todsicherer Lacher! So, schnell noch so’n Kaliber hinterherschieben:

»Herr Wachtmeister, kommen Sie schnell, hier prügeln sich grad zwei Frauen um mich!«

»Wo ist das Problem, mein Herr?«

»Ich glaub, die Dicke gewinnt!«

Akribisch bereitete ich mich auf meinen Galaauftritt beim Heinrich-Heine-Literaturforum im Palais Wittgenstein in Düsseldorf vor. Erlesenes, intellektuelles Publikum muss man eben auf einer gewissen kulturellen Flughöhe abholen, sonst nickert es weg.

Auf keinen Fall darf man billige Witze bringen: »Haben Japaner Angst?« – »Ja, panische sogar.« Oder: »Herr Doktor, der Simulant von Zimmer sieben ist gestorben!« – »Oh, jetzt übertreibt er aber!« Auch mit billigen sexistischen Zoten braucht man so einer anspruchsvollen Gesellschaft nicht zu kommen. Ja, Erfahrung ist ein überlegener Jäger.

Zufrieden streckte ich die Arme in die Höhe und gähnte herzhaft. Dieses frühe Aufstehen war gar nichts für meinen sensiblen Biorhythmus. Aber wer seine Arbeit ehrt, der schreckt vor nichts zurück.

Es klingelte an der Tür, und meine zauberhafte Nachbarin Ute stand mit einem Päckchen im Flur.

»Ute, elf Uhr morgens und schon wieder Feierabend in deiner Waldorfschule … Ihr macht euch auch nicht kaputt in eurem Kuschelgulag. Küss mich, du Granate, kämpf nicht dagegen an! Was gibt’s Gutes, meine geliebte Exgeliebte?«

»Ach, Atze, ich kann dir einfach keinen Wunsch abschlagen.« Sprach’s, trat ein und drückte mir einen freundschaftlichen Schmatzer auf die Wange. Gut sah sie aus, frisch und natürlich wie immer. Ute und ich waren vor Jahren mal für zwei Jahre ein Paar gewesen, doch wir waren einfach zu unterschiedlich. In bestem Einvernehmen hatten wir uns getrennt. Wir waren weiterhin immer füreinander da und wohnten auch nach wie vor im selben Haus in der Kurt-Schumacher-Straße 10 in Essen, nicht zuletzt auch wegen ihres Sohnes und meines besten Kumpels Philipp, der uns beide abgöttisch liebte.

»Ute, gut, dass du da bist, ich brauche dringend deine Hilfe als intellektuelles Germanistikluder. Du unterrichtest doch Deutsch. Wie würdest du einen Vortrag vor den Honoratioren des ehrwürdigen Heinrich-Heine-Forums beginnen? Ich dachte, ich bleibe am Anfang eher seriös … Meine Damen und Herren, das Wichtigste am Schweißausbruch ist das W … Oder was hältst du von dem Einstieg: Wenn man sich von Buchstabensuppe übergeben muss, ist das dann schon gebrochenes Deutsch?«

Ute seufzte laut, schüttelte den Kopf und meinte nur: »Eins steht fest, Dicker, die vom Forum haben echt Humor – sonst würden die so einen lausigen Zotenhansel wie dich nicht zum dritten Mal engagieren.«

Ich kochte erst mal eine gute Tasse Bohnenkaffee für meine Lieblingsnachbarin und erkundigte mich nach meinem pubertierenden Freund Philipp.

»Wenn ich’s nicht besser wüsste, würd ich sagen, der Junge ist nicht von mir. Es gibt nur ein Thema: Computer, Computer, Computer! Ist das normal für einen 14-Jährigen?«

»Tja, Ute, in der normalen Welt schon … aber in eurem Waldorfgehege wird ja auch immer noch mit Stöckchen gerechnet. Du hättest ihm damals zum elften Geburtstag nicht diesen Holzcomputer schenken dürfen.«

»Du hast Nerven, Schröder. Du hast ihm ja schon zwei Jahre vorher dieses monströse Satellitentelefon geschenkt. Dann kam die Playstation 4 und letztes Jahr dann dieser sauteure Laptop!«

»Hömma du, Bioprinzessin, nicht mosern – so ist der Deal. Von dir die Herzensbildung und die Gartenhandschuhe, von mir Technik und Testosteron. Das echte Leben, mein Schatz. Außerdem war das kein Satellitentelefon, sondern ein ganz normales iPhone.« Sie verdrehte gespielt die Augen.

»Auf jeden Fall hängt der Junge nur noch vor diesem Computer und hat neulich sogar mit ein paar Freunden einen Hackerklub gegründet. Ich hab ihn ganz vorsichtig gefragt, was sie da machen … und dann meinte er nur schnöselig-wichtig von oben herab: ›Nix Schlimmes, Mama. Wir lassen bloß gerade den Flugzeugträger USSTrump ohne Genehmigung des Pentagon vor Wangerooge auf eine Sandbank laufen.‹ Ich hoffe einfach mal, das war nur ein Witz.«

Ich war begeistert. Philipp war nicht nur ein Toptyp, sondern auch noch hochintelligent. Der würde es weit bringen. Ich sah bei ihm praktisch keine Grenzen: Außenminister, Nobelpreisträger oder auch Schlagerstar wie Helene Fischer.

Bevor Ute wieder ging, drückte sie mir noch das Päckchen in die Hand, das die ganze Zeit auf dem Küchentisch gelegen hatte.

»Da hat irgendein Trottel beim Postamt seinen Job nicht richtig gemacht. Die richtige Adresse wurde durchgestrichen und einfach mit meiner verschlimmbessert.«

Tatsächlich, da hatte ursprünglich und noch deutlich lesbar gestanden: U. Peimann, Cora-Schumacher-Straße 10, Düsseldorf. Welcher Tonto machte daraus U. Peymann, Kurt-Schumacher-Str. 10 in Essen? Ey statt ei, Essen statt Düsseldorf, sonst noch was? Wofür kriegen die eigentlich ihr Geld? Wie sagte schon Plato der Ältere: »Die Leute von der Post, die saufen, wenn’s nix kost.«

Ich versprach ihr, die Angelegenheit zu regeln. Meine Nachbarin sah mich dankbar an.

»Ich wollte das schon selber neu adressieren und einwerfen … aber nachher geht da wieder etwas schief. Und da du ja wegen deines Auftritts heute sowieso nach Düsseldorf musst, habe ich gedacht, dass du das doch für mich bei der richtigen Adresse abgeben kannst.«

Ich legte ihr den Arm um die Schulter und säuselte devot: »Alles klar, Ute – dein Wunsch ist mir Befehl.«

Ich nahm das Päckchen an mich und entschied, es einfach mit der alten Adresse in den nächsten Briefkasten zu werfen. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, wies sie mich noch mal energisch darauf hin, dass ich das Päckchen auch ja persönlich bei der richtigen Adresse abliefern sollte. Ich musste es ihr sogar hoch und heilig bei Philipps Leben versprechen. »Schließlich könnte ja etwas sehr Wichtiges darin sein.«

Mein Gott, Ute. Das war mal wieder typisch Madame Oberkorrekt. Ihr pedantisches Lehrergehabe war dem alten Anarchisten in mir schon immer suspekt gewesen. Was sollte denn schon so Wichtiges in diesem Päckchen sein? Aber sie hatte mich natürlich durchschaut. Ich hätte das olle Teil, ohne mit der Wimper zu zucken, in den nächsten Briefkasten gesemmelt. Na gut, dann eben nicht. Ich hatte ja schließlich auf Philipps Leben geschworen. Außerdem hatte Ute gar nicht so unrecht, es konnten ja wirklich wichtige Dokumente in dem Päckchen sein, auf die der Empfänger schon dringend wartete.

Ich gähnte herzhaft, aber mit Nachdruck. Dann komplimentierte ich sie sanft, aber energisch aus der Wohnung: »Schön, dass du nix zu tun hast, so als Lehrerin, aber ich gehöre nun mal zu der berufstätigen Minderheit in diesem Land.«

Dann machte ich ein ausgiebiges Nickerchen. Heute Abend bei diesem Heine-Forum würde ich einfach improvisieren, die Säcke lachten doch eh über jeden Scheiß. Außerdem wusste ich ja, wer im Rahmenprogramm auftreten würde: Oberbürgermeister Thomas Geisel mit seiner Querflöte und der lyrikbesessene Bert Wollersheim mit seinem Vortrag »Duschen kann man nicht oft genug«. Und außerdem war mir das Ganze natürlich sowieso keksegal.

Rückblickend muss ich sagen: Was hätten wir uns alle ersparen können, wenn ich genau das getan hätte – wenn ich den Umschlag in den nächstbesten Briefkasten geworfen hätte.

Der Auftritt im Palais Wittgenstein lief bombig. Professor Dr. Kniepenkötter meinte sogar, Heinrich Heine hätte wahrscheinlich am meisten gegeiert. Heine, der zu Lebzeiten ungeliebte Sohn der Stadt Düsseldorf, war schließlich nicht umsonst ins Exil nach Frankreich gezogen. Das sagt doch im Grunde schon alles. Er war nämlich nicht nur ein großer Dichter, Denker und Lebemann gewesen, nein, bei den Damen der Pariser Gesellschaft galt er zudem als großes Fickel. Ein Sittenfiffi und Meister des praxisorientierten Dirty Talk. Seine eigenen Werke wandelte er im Vortrag gerne mal in saftige Zoten um: »Denk ich ans Fummeln in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen, ich fühle es im Schlüpper sprießen.« Von wegen Dichter und Denker – in erster Linie wollten die Jungs damals Frauen klarmachen und sie fachmännisch durch die Brüsseler Spitze klöppeln. Herrlich!

Als ich nach der Veranstaltung in meinem Turbo saß, fiel mir auf dem Beifahrersitz ein Päckchen auf, das ich spontan nicht zuordnen konnte.

Was war noch mal damit? Ach so, ja, die verwechselte Adresse. Das Päckchen war ja für die Cora-Schumacher-Straße gedacht.

Ich tippte die Adresse in mein Smartphone. Sofort erschienen auf dem Bildschirm ein paar astreine Tittenbilder, für die ich jetzt aber leider keine Zeit hatte.

Also auf Google Maps geklickt, und zack, erschien die Zieladresse kartografisch dargestellt im Display. Aha, mitten in Oberkassel. Bei den feinen Pinkels. Quasi das Monaco von Düsseldorf. Während ich noch grinsend über diese lächerliche Ansammlung von Perlenketten und Edelitalienern nachdachte, piepte mein Handy. Aaaaahh, eine Nachricht von Natascha.

Mein sensibler Pilgerstab schlug spontan von unten ans hochwertige Nardi-Palisanderlenkrad. Natascha, meine Natascha. Taschi, Stern meines Augenlichts, der Morgentau auf den Blumen im Garten Eden meiner Lüste. Gottes ureigener Beitrag zur Verschönerung des Weltkulturerbes Frau. Seit Ute hatte keine mehr so auf der Klaviatur meines Daseins gespielt. Für mich war sie eine Heilige. Wir waren Seelenverwandte.

Ich öffnete die SMS und las mit wohligem Schmunzeln: »mein geliebter, seit stunden liege ich hier unbenutzt rum und kann nicht einschlafen. brauche dringend eine große inspektion und eine gutenachtgeschichte. heiße küsse, deine taschi.«

Alles klar. Paket abwerfen und dann ab zu Natascha. Käpt’n Libido, du Teufelskerl.

Heiser fauchte der Turbo, als ich mit dampfendem Motor in die Cora-Schumacher-Straße einbog. Und da war auch schon die Hausnummer 10. Ein kleines, unauffälliges, rot geklinkertes Einfamilienhaus.

Ich drückte den Klingelknopf und überlegte mir einen passenden Text für die nächtliche Störung. Wahrscheinlich würde mich dieser Peimann sofort erkennen und vor Glück stammelnd noch um Autogramm und Selfie bitten.

Ich klingelte ungefähr fünf Minuten am Stück, und mein Finger wurde langsam weiß. Wie nervig, so fest konnte doch keiner pennen. Wer schlief denn schon um diese Uhrzeit? Null Uhr zehn, der Abend war doch noch jung. Außerdem brannte doch noch Licht. Ich kniete mich in bester Gynäkologentradition vor den Schlitz des Briefkastens und lugte hindurch.

ACHDUSCHEISSE!

Im fahlen Licht des Hausflurs lag ein Mann reglos in einer großen Blutlache. Ich rief: »Herr Peimann, Herr Peimann? Geht’s Ihnen gut, oder soll ich später noch mal wiederkommen? Herr Peimann? Herr Peimann, auf der Toilette brennt noch Licht!«

Keine Regung. Ganz klar: Hier lag ein Notfall vor! Darauf hatte ich überhaupt keinen Bock. Schließlich hatte ich ’ne Verabredung. Ich beschloss, den Rettungsdienst zu alarmieren und mich vom Acker zu machen. Ich konnte ja eh nichts tun … außer ihm mit der Briefkastenklappe frische Luft zuzufächeln. Sollte der Vogel tot sein, würden auch noch die Bullen kommen und stundenlang dumme Fragen stellen. In der Zeit könnte ich schon wunderbar bei Taschi Öl nachkippen und an ihren Zündkerzen schrauben.

Der Notdienst ging endlich ran, und ich hörte mich in den Hörer sagen: »Kommen Sie bitte schnell, Cora-Schumacher-Straße 10, da liegt ein Mann im Hausflur in einer Blutlache und ist nicht mehr ansprechbar.«

Die Stimme am anderen Ende der Leitung blieb professionell und sachlich. »Verstanden. Wie ist Ihr Name? Bleiben Sie bitte am Unglücksort!«

»Hier ist Atze Schröder, ich hab aber leider keine Zeit. Frohes Schaffen, ihr Helden des Alltags. Bringt ’nen Schlüssel mit, die Tür ist zu.«

Was ’ne Nummer. Entnervt machte ich mich auf den Weg nach Essen zu Taschi. Wenn ich Pech hatte, war mein Engel inzwischen eingeschlafen. Wenn ich aber Glück hatte, war Madame noch auf Betriebstemperatur.

Die letzten Meter durch das bourgeoise Essen-Kettwig zu Nataschas Wohnung ließ ich den Turbo im Leerlauf rollen, um die schlafwillige Bevölkerung des Viertels nicht zu wecken. In ihrer Penthousewohnung brannte noch Licht. Mein Lendengenerator schaltete augenblicklich von Notstrom auf Volllast um. Sofort schoss mir das Blut sturzbachartig in den Feinripptempel und vernachlässigte große Teile meines Großhirns. Ich schnappte mir das Päckchen vom Beifahrersitz, schob es in die Tasche meiner Lederjacke, und geschmeidig wie ein Kater nahm ich die sechsundneunzig Stufen zu Taschis Liebesgrotte im sechsten Stock.

Seidig glitt der Schlüssel ins Schloss. Vorsichtig schob ich die gebürstete Edelstahltür auf und traute meinen Augen nicht: Wie ein Akt von Helmut Newton stand sie im honigfarbenen Streulicht einer ausrangierten Taufkerze aus ihrer osteuropäischen Heimat! Ihre wunderbaren manikürten Füße mit den rubinmetallic lackierten Nägeln steckten in acht Zentimeter hohen Edelpumps von Andrea Balotelli. Der Rest ihres Körpers wurde kaum verhüllt von einem schmalen weißen Frotteesamtgürtel. Während wir anfingen, hemmungslos zu knutschen, nestelten ihre schlanken Finger am Reißverschluss meiner ausgebeulten Replay-Jeans. Mit eisernem Griff entsicherte sie meine ausgehungerte City-Cobra und überführte sie in den wilden Dschungel der Lust. Fünf Minuten später trug ich sie – ohne die Arme zu benutzen – hinüber zu ihrem Bett und vollendete gekonnt mein erotisches Meisterwerk. Eine erfüllende Ewigkeit später streifte sie endlich die Schuhe von ihren Füßen, lockerte den Frotteegürtel um meine geschwollenen Handgelenke und rollte sich wohlig stöhnend zur Seite.

Ich war mal wieder völlig begeistert. Allein wie sie dalag. Ihr zarter achtunddreißigjähriger Körper war makellos. Die modische Kurzhaarfrisur gab ihrem schmalen Gesicht mit den slawisch hohen Wangenknochen einen umwerfend frechen Charme. Ihr schön geschwungener Kirschmund war leicht geöffnet und offenbarte einen Blick auf ihre perlweißperfekt gepflegte Zahnreihe von Dr. Best. Es gab nichts an ihr, was mich nicht um den Verstand brachte.

Eigentlich war ich ja kein Moppenfetischist, aber ihre natürlichen Brüste waren so herrlich geformt, dass selbst Jogi Löw anerkennend von einer Auswechslung abgesehen hätte. Ich liebte diese Frau. Ich war dieser Frau verfallen. Ich vergötterte sie. Es war wie in einem dieser kitschigen Arztromane. Wenn sie mir gesagt hätte: »Stürz dich morgen früh vom Hochhaus, um mir deine Liebe zu beweisen!«, ich hätte keine Sekunde gezögert.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, hauchte sie mir beschwörend ins Ohr: »Süßer, wir müssen damit aufhören. Wenn Dimi uns erwischt, bringt er uns um!«

Ich lachte laut auf. »Ach, Dimi! Gar nichts macht dein dummer Dimi. Der hat doch alle Hände voll damit zu tun, den Leuten in seinem Gyrosbunker getürkten Schafskäse unterzujubeln. Was soll so’n Möchtegernkrimineller schon ausrichten? Große Klappe, nix dahinter. Das einzig Kriminelle an dem ist doch, dass er seinen schangeligen Krautsalat zu dünn schneidet. Der soll mal lieber aufpassen, dass Birkel und ich nicht sein Pokerzimmer im Keller auffliegen lassen, wenn er uns blöd kommt.« Ich redete mich richtig in Rage.

Meinem besten Kumpel Birkel und mir – aber eigentlich auch allen anderen aus unserer freitäglichen Pokerrunde – ging Dimis Al-Capone-Nummer schon lange auf den Sack. Jedes Mal machte dieser Schmierlapp einen auf Obergangster, als wäre er El Chapo höchstpersönlich: gegelte Haare, dicke Zigarre, Whiskeyglas und eine schlecht verspiegelte Lese-Sonnenbrille von Aldi. Dabei popelte er sich gerne mit seinem armseligen Butterflymesser die Gyrosreste unter den abgekauten Fingernägeln hervor. Er war der gelebte Discounter: wenig Glanz, aber billig.

Natascha blieb stur. »Du kennst ihn nicht. Du weißt nicht, wozu er fähig ist!«

»Ach, Taschi, quatsch nicht, küss mich lieber!«

Doch sie ließ sich nicht ablenken und fing gleich wieder davon an. Langsam nervte mich ihr ängstliches Gejaller.

»Natascha, du nervst mich mit dem Thema. Vor Dimi haben höchstens seine Zazikigurken Angst. Mir reicht’s. Ich geh morgen zu deinem Olivenschäler und sag ihm die Wahrheit. Ich hab keinen Bock mehr auf dieses Versteckspiel. Wir sind doch hier nicht in Palermo. Der soll seinen Ouzo frittieren und sich damit abfinden, dass seine Freundin jetzt ’nen echten Kerl liebt.«

Sie explodierte in Millisekunden und rastete komplett aus.

»Das wirst du nicht tun! Du hast ja keine Ahnung, mit wem du dich da anlegst! Der Typ ist gefährlich, das ist keine dieser Witzfiguren aus deinen Geschichten. Willst du das nicht kapieren, oder bist du wirklich so dumm? Hier, nimm deine Jacke und hau ab. Ich will dich nie wiedersehen!«

Wütend schleuderte sie mir meine Lederjacke an den Kopf. Dabei fiel das blöde Päckchen aus der Tasche. Sie bückte sich, um es aufzuheben.

»Gib her, das ist nicht für dich!«, schnauzte ich sie an, doch da hatte sie es schon an sich gerissen.

»Was ist das? Warum darf ich das nicht sehen?«

Wütend riss sie die Versandtasche auf und griff hinein. Sie zog eine Armbanduhr aus dem wattierten Umschlag und hielt sie mir schreiend unter die Nase. »Für welche Schlampe ist die?«

Jetzt hieß es Ruhe bewahren. Ich kannte diesen Zustand schon von ihr. Ein falsches Wort, und sie würde versuchen, mich auf der Stelle mit bloßen Händen umzubringen. Ihre tollwütige Eifersucht hatte mich in den letzten Monaten schon mehr Nerven gekostet als jede vierstündige Grundsatzdiskussion über ökologisch korrekt laminierte Tofuschnitzel mit meiner Ökonachbarin Ute.

Ich schaute also selber verdutzt auf die Uhr und schaltete dann reflexartig mein berühmtes George-Clooney-Lächeln ein. Mit butterweicher Stimme rettete ich die Situation und säuselte: »Taschi, ach, Taschi … Was glaubst du denn, welche Schlampe ich seit Monaten so wahnsinnig liebe? Dich natürlich, du Göttin meines Herzens!«

Treffer, versenkt. Augenblicklich verwandelte sich die keifende Drachenfurie in ein maunzendes Perserkätzchen und fiel mir theatralisch um den Hals.

»Chéri, wie konnte ich nur! Verzeih mir! Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe. Oh, ist die schön! Diese Uhr hab ich mir schon so lange gewünscht! Woher hast du das gewusst?«

Puuh, Gott sei Dank, das war Rettung in letzter Sekunde. Ich setzte nach und log munter weiter das Blaue vom Himmel herunter: »Jaaaaaaa, Taschi, du, äh … weißt doch, du … äh … weißt doch, wie wertvoll du mir bist. Und wenn ein Liebender nicht die geheimsten Wünsche seiner Angebeteten erahnt, dann sollte er besser ins Wasser gehen und seinem unwürdigen Leben ein Ende setzen!«

Begeistert und zutiefst ergriffen von meinem frisch erfundenen Vortrag, blickte ich sie aus treuherzigen Knopfaugen an.

Verliebt nahm sie meinen Kopf in die Hände und bedeckte mein Gesicht mit tausend gregorianischen Küssen. Dann streifte sie sich die viel zu große Uhr glücklich strahlend über das schmale Handgelenk und betrachtete sie selig von allen Seiten. »Eine Tudor Heritage Black Bay … mit roter Lünette … Ich liebe diese Uhr – die ist ein Klassiker! Bist du wahnsinnig – weißt du, wie teuer die ist?«

Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht die geringste Ahnung. Für mich sah die rote Eieruhr aus wie jeder andere Karstadt-Wecker aus dem Greiferautomat auf der Dorfkirmes. Aber anstatt die ganze Lügengeschichte etwas runterzukochen, ritt ich mich stattdessen noch tiefer in die Scheiße und sülzte bedeutungsschwanger: »Natürlich, mein Engel. Was glaubst du denn, was ich alles tun musste, um überhaupt an eine ranzukommen? Ich habe sogar beim alten Heribert Tudor höchstpersönlich angerufen … und du weißt, wie sehr ich das hasse, meinen Starruhm zu benutzen, aber für dich habe ich sogar das Doppelte bezahlt.«

Natascha schmolz so schnell wie ein Magnum im Sandwichtoaster. »Oooh, Atze, die geb ich nie wieder her!«

Das war mir natürlich auch nicht recht, denn die dusselige Uhr musste ja irgendwie noch in einem Briefkasten und dann bei diesem halbtoten Peimann in Düsseldorf landen. Das hatte ich Ute versprochen, und ich war schlau genug, um mich an mein Versprechen zu halten. So viel hatte ich in unserer zweijährigen Beziehung gelernt. Auch wenn dieser ominöse Peimann mit seiner blutenden Birne im Krankenhaus bestimmt andere Sorgen hatte, als sein Uhrenpäckchen zu vermissen. Irgendwie musste ich Taschi die Uhr wieder abquatschen und ihr stattdessen eine andere besorgen.

»Äh, Taschi … Du weißt schon, dass so ’ne Tudor-Uhr mit Trockensumpfschmierung läuft und da noch ein Tröpfchen Öl ins Krönchen muss? Außerdem muss das Ventilspiel der Zeiger justiert werden, und die Hohlräume brauchen eine klimaneutrale Ganzjahresversiegelung. Sonst läuft das Dingen nicht rund, und der Spaß hält sich in Grenzen. Also gib dem Onkel mal das Schätzchen wieder, und in zwei Tagen bleibt das feine Baby dann für immer bei seiner neuen Mama.«

Mit leichtem Schmollmund gab sie mir Peimanns Kackwecker zurück und zog mich sanft, aber unmissverständlich zurück in die kaum getrockneten Bettlaken. Ohne nennenswerten Hormonstau bogen wir erneut in den dichten Stoßverkehr auf der Rue l’amour ein. Herrlich, was kleine Geschenke bei Frauen bewirken konnten. Wieder einmal hatte meine legendäre Großzügigkeit mir einen überlegenen Drei-Punkte-Heimsieg eingebracht.

Als sich die liebeshungrige Pandadame erfüllt von meinem Prachtbambus zurückgezogen hatte und eingeschlafen war, schlüpfte ich vorsichtig in meine Klamotten, küsste sie zum Abschied und stieg geschafft, aber glücklich in meinen Turbo. 5.45 Uhr, Zeit, um endlich zur Ruhe zu kommen. Brüllend fauchte der Motor auf, und die mächtigen 335er Pneus fraßen sich kreischend in den Asphalt. Guten Morgen, Kettwig, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar!

Uwe Peimann schlug die Augen auf und blickte in ein völlig fremdes Gesicht. Sein erster Impuls war: TÖTEN!

Aber Halt! Stopp! Polizei!

Irgendwas war anders. Noch ehe er sein System vollends auf lautlose Feindvernichtung hochgefahren hatte, realisierte sein messerscharfer Verstand im Bruchteil einer Nanosekunde, dass er gar keinen Feind vor sich hatte. Dieser Nichtfeind war sogar nicht nur sein Nichtfeind, ja man konnte ihn sogar als Freund bezeichnen, sofern ein Arzt grundsätzlich so etwas wie ein Freund sein konnte.

Normalerweise verachtete Peimann Ärzte. Die meisten von ihnen taugten nichts. In Saigon 1973 hätte ihm beinahe einer dieser tumben Metzgerakademiker das linke Bein amputiert, weil er den Biss einer Kanpai-Schlange falsch diagnostiziert hatte. Das Gift dieser kleinen, arroganten Vipernart kann einen kompletten Männerschenkel in weniger als zwei Minuten bläulich schwarz verfault aussehen lassen. Selbst Kapazitäten wie Professor Dr. Christiaan Barnard sind mehrfach auf diesen launischen Trick der Natur reingefallen, haben Hunderte Menschen grundlos verstümmelt und der Schuhindustrie ihres Landes somit großen Schaden zugefügt. Dabei kennzeichnet jenes völlig harmlose Reptil mit seiner Methode nur ihre paarungswilligen Kopulationspartner und sorgt auf diese Weise im dichten Regenwald stets für allgemeine Heiterkeit.

Wenn man allerdings nicht binnen einer Stunde eine Fünf-Milligramm-Quecksilberspritze als Gegenserum injiziert, macht auch die Amputation keinen Sinn mehr, denn wie eine alte vietnamesische Weisheit besagt: Tote brauchen keine Schuhe.

»Herr Peimann, Herr Peimann, nicht wieder einschlafen. Sie sind in guten Händen«, hörte er den arglosen Mediziner rufen.

Abermals schlug er die Augen auf, und mit seinem fotografischen Blick vermaß er sein Krankenzimmer. Erster Klasse im sandsteinfarbenen Luxustrakt des Löwensenf-Klinikums in Düsseldorf-Kaiserswerth. Topadresse. Renommiertes Privatsanatorium mit erlesenster Kundschaft. Hier hatten bereits in den wilden Achtzigern Prominente aus aller Welt residiert. Idi Amin ließ sich hier seinen tennisballgroßen Hallux valgus wegschleifen, Romy Schneider wurde von ihrer Bernsteinallergie befreit, und Justin Bieber kam des Öfteren an diesen Ort, um seinen gelegentlichen Reizhusten mit Senfkörnern zu therapieren.

»Sie haben mächtig Glück gehabt, Herr Peimann. Mächtig! Sie wären sonst verblutet, da ganz allein in Ihrem Hausflur. Gott sei Dank hatten Sie einen Schutzengel, der uns rechtzeitig alarmiert hat. Jetzt ruhen Sie sich erst mal aus, und nachdem wir Sie morgen kurz in die Röhre geschoben haben, können Sie höchstwahrscheinlich auch schon wieder nach Hause. Wegen einer Platzwunde – auch wenn sie noch so stark geblutet hat – muss ja heutzutage keiner mehr sterben. Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen außerdem das Denkvermögen. HAHAHA! Und Lachen ist immer noch die beste Medizin, näch, Herr Peimann? HAHAHA.«

Peimann beschloss, diesen unsympathischen Trottel doch zu töten. Aber erst später, wenn die Dinge erledigt wären und der kalte Herbst die Tage in Düsseldorf wieder lang und grau werden ließ. Außerdem hasste er es, wenn man ihn bei seinem richtigen Namen nannte. Das war einfach zu gefährlich. Die Welt, in der er gefürchtet und geachtet wurde, kannte ihn nur unter seinem Kampfnamen »der Russe«.

Den hatte ihm ein Mossad-Agent während seiner Geheimmission im Sechstagekrieg bei einem launischen Grillabend auf dem Sinai verpasst. Er hatte damals sowjetische Halbjungfrauen zur Wehrkraftzersetzung der ägyptischen Armee ins Tal der Könige geschleust. Brandgefährlich, aber nicht unoriginell.

Bitter lachte der Russe auf. Hunderte Male schon hatte er dem Sensenmann ein Schnippchen geschlagen, wie etwa 1978 im Tschad, wo damals ein mörderischer Bürgerkrieg tobte. Tagelang hatte er mit seinem Freund Nabil Abdn Ibrahim im Dauersperrfeuer der regierungstreuen Truppen in den Bergen oberhalb der Hauptstadt Ndschamena gelegen. Ihre Lage war aussichtslos gewesen – eingekesselt zwischen den brutalen Schlächtern der Mombesi-Front und den hinterlistigen Milizen des Generals Hutumambe. Den sicheren Tod vor Augen, hatte Nabil ihm sein Herz ausgeschüttet. Sie hatten nur noch eine Kerze und eine letzte Flasche edlen Rotweins. Einen herrlichen 1978er Château Beauregard. Ein hervorragender Tropfen von erlesener Reinheit. Nur Kenner wissen, dass jenes Château Beauregard zu den wenigen Anwesen in Pomerol gehört, die tatsächlich über ein echtes Château verfügen. Aber angesichts des sicheren Todes waren das wohl Nebensächlichkeiten. Nabil war noch am Abend die Ruhe selbst. Als sie am nächsten Morgen erwachten, war er bereits tot. Kopfschuss. Irgendein Querschläger hatte ihn erwischt. Der Russe begrub ihn an Ort und Stelle und schwor sich, General Hutumambe dafür zur Strecke zu bringen. Schon ein Jahr später ergab sich die Gelegenheit. Dem Russen war es gelungen, sich unbemerkt in der Zisterne hinterm Haus des Generals einzunisten. Über das komplizierte Belüftungssystem drang er in Hutumambes Badezimmer ein. Er erwischte das miese Schwein beim Baden. Er nahm die grüne Mamba aus seiner Pringles-Packung und warf sie dem stinkenden Bastard genüsslich in die Wanne. »Schöne Grüße von Nabil und viel Spaß noch beim Seepferdchenmachen, Fettsack.« Er verschwendete keinen Blick mehr an den Sterbenden und verließ das Lager nicht, ehe er auch noch das Leben von vierzig der besten Söldner aus Hutumambes Leibgarde ausgelöscht hatte.

Aber wie zur Hölle war er in dieses Krankenhaus geraten? Siedend heiß fiel es ihm wieder ein. Es war Donnerstag gewesen. Wäschetag. Bei solchen Dingen war der Russe penibel. Ein sauberes, gestärktes Oberhemd war ihm genauso wichtig wie seine akkurat gefaltete Frotteeunterwäsche. Wer in solchen Dingen nachlässig war, der konnte auch in seinem Job nicht auf die Auszahlung der Rente hoffen.

Als er mit dem Wäschekorb aus dem Keller die Treppe hochkam, hatte er sich mit seinen Crocs im losen Bademantelgürtel verheddert. Ungebremst war er mit dem Kopf gegen die Kante seines banalen Ikea-Expedit-Regals geschlagen und musste dabei das Bewusstsein verloren haben.

Doch wer hatte ihn gerettet? Wer hatte ihn beobachtet? Es war schließlich schon nach Mitternacht gewesen. War irgendjemand auf ihn angesetzt worden? Feinde hatte er genug. Die Amis, die Russen, die Belgier, die Mafia – er hatte schon für alle gearbeitet. Und jeder von ihnen hatte genug Gründe dafür, ihn tot sehen zu wollen. Oder hatte der fremde Beobachter mit diesem verdammten Päckchen vom BND zu tun, auf das er so sehnsüchtig wartete?

Der Russe fühlte sich erschöpft. Vietnam, Tschad, Afghanistan, Bolivien. Unzählige Tote. Er spürte, wie die gequälten Geister der Vergangenheit ihm langsam in die müden Knochen krochen. Die Zeit war gekommen. Im Herbst würde er sechsundsechzig werden – immer vorausgesetzt, es würde ihn vorher keiner erledigen. Mit den Informationen aus dieser Lieferung würde er sich endgültig zur Ruhe setzen können. Damit wäre er unangreifbar und könnte den Rest seines Lebens von seinen Feinden unbehelligt in der Karibik verbringen. Er sah sich schon in Jamaika in einem Turbo S durch die Vororte von Kingston gleiten. In der einen Hand einen Joint der exklusiven heimischen Grassorte Rost-a-toasta, in der anderen ein kühles Budweiser. Neben ihm auf dem Beifahrersitz rekelte sich eine dieser kaffeebraunen Dancehall-Schönheiten. So ein wilder, brauner Teddy mit rosa Innenfutter.

Für einen Augenblick schloss der Russe wohlig die Augen. Sein Handy riss ihn aus diesem äußerst angenehmen Tagtraum. Ärgerlich schaute er auf das Display. Das war kein gutes Zeichen. Das Syndikat meldete sich, das konnte er an der vereinbarten Rufnummer erkennen. Der Russe atmete tief durch und nahm das Gespräch an.

»Wo bleiben die Informationen?«

Er blieb ruhig und versuchte, überzeugend zu klingen: »Es gab ein kleines Problem mit der Zustellung. Aber ich habe alles im Griff. Nächste Woche liefere ich.«

Er hörte, wie am anderen Ende aufgelegt wurde. Wie immer wurde beim Syndikat kein Wort zu viel gesprochen. Peimann war sehr beunruhigt.