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Alle halten Maxis Opa für verrückt weil er wirres Zeug redet und überall im Garten Knoblauch vergräbt. Je näher Weihnachten rückt umso schlimmer scheint Opas Zustand zu werden und selbst Maxi beginnt allmählich an Opas Verstand zu zweifeln. Doch eines Nachts vertraut sein Opa ihm ein uraltes Familiengeheimnis an das bis ins finstere Mittelalter zurückgeht: Demnach soll es sich um einen generationsübergreifenden Fluch handeln der die Familie alle 100 Jahre einholt, nämlich immer an Weihnachten und es sollen bereits schon etliche Vorfahren im Laufe der Geschichte auf mysteriöse Weise spurlos verschwunden sein! Laut Maxis Opa sind nun wieder die 100 Jahre vorbei und bald schon ist es Weihnachten... Wird es Maxi gelingen den Jahrhundertfluch diesmal noch rechtzeitig aufzuhalten?
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Die Autorin, die unter ihrem Mädchennamen und gleichzeitig auch Pseudonym Tina Singh schreibt, ist Jahrgang 1981 und erfand bereits schon in ihrer Kindheit immer wieder Geschichten. Was anfangs eigentlich nur zur Unterhaltung ihrer ehemaligen Klassenkameraden gedacht war entpuppte sich später als Leidenschaft. Heute lebt die Autorin, die eigentlich mit bürgerlichem Namen Martina Körber heißt, mit ihrem Kater Moses und ihrem Mann in ihrer Geburtsstadt Augsburg wo sie als freie Autorin arbeitet.
Mit dem Roman Der unheimliche Weihnachtszirkus hat Tina Singh im Winter 2021 ihr erstes Kinder-und Jugendbuch auf den Markt gebracht.
Der unheimliche Weihnachtszirkus
Fantasy-Roman
Tina Singh
Für Manfred
Gott sei Dank war bald Weihnachten und dann hätte ich endlich mal wieder Ferien!
Allmählich wurde es echt total Zeit dafür.
Mir rauchte nämlich schon der Kopf von den vielen Schulaufgaben der letzten Wochen. Dieses Jahr war ich dreizehn geworden und erst seit kurzem besuchte ich die siebte Klasse, die im Vergleich zu meinen früheren Klassen alles andere als easy war! Mich wunderte es daher auch nicht großartig, dass ausgerechnet in der siebten Klasse immer wieder die meisten Leute sitzenbleiben. Auch ich war heute mal wieder ganz woanders mit meinem Kopf und hatte mich seit der vierten Schulstunde schon hirnmäßig ausgeklinkt. Verträumt gaffte ich lieber aus dem Klassenzimmerfenster. Dabei bemerkte ich, dass es gerade wieder zu schneien angefangen hatte. Mir kamen die vielen kleinen Schneeflocken vor wie Millionen von weißen Federn die wild in der Luft herumwirbelten. Neben mir saß Alex. Aber das war ja nichts Neues. Seit der ersten Klasse waren wir Banknachbarn geblieben und er war ja auch mein bester Freund. Genauso wie Opa.
Manche Dinge ändern sich eben nie.
Auch dass ich mir jedes Schuljahr immer einen Fensterplatz aussuche der möglichst weit hinten im Klassenzimmer ist. Da wird man nämlich nicht so schnell von den Lehrern beim Abschreiben oder Schwätzen erwischt…
Ja, manche Dinge ändern sich eben nie.
Andere Dinge leider eben schon: wir sind nämlich dieses Jahr umgezogen. Wir, das sind außer mir noch meine Eltern und meine kleine Schwester Mia. Wir wohnten jetzt mit unserem Opa zusammen in seinem großen Haus. Darum musste ich jetzt neuerdings auch mit dem Bus zur Schule fahren, was mich ziemlich nervte. Es regte mich wirklich auf, dass ich jetzt täglich eine Stunde früher aufstehen durfte um den blöden Bus zur Schule zu erwischen! Der kam nämlich nur stündlich und weil er so selten fuhr war er in der Früh ständig so dermaßen grottenvoll, dass ich nur selten einen Sitzplatz bekam und meist die ganze Fahrt lang stehen und mich von anderen Leuten herumschubsen lassen musste. Das kann einem wirklich ganz schön auf die Nerven gehen! Und dass alles nur weil Opas Haus sehr viel weiter von der Schule entfernt war als unsere frühere Mietwohnung. Trotzdem fand ich es eigentlich ja auch nicht schlecht, dass wir jetzt bei Opa wohnten.
Es war wirklich super Opa nun täglich zu sehen und immerhin musste ich mit meiner kleinen Schwester Mia nicht mehr ein gemeinsames Zimmer teilen. Denn das Haus meines Opas war groß genug, so dass jetzt jeder von uns ein eigenes Zimmer hatte. Ich schaute wieder aus dem Fenster. Mittlerweile hatte es aufgehört zu schneien. „Dein Opa ist aber schon etwas verrückt, oder?“ riss mein Freund Alex mich plötzlich aus den Gedanken und sah mich dabei etwas komisch von der Seite an.
„Wie kommst du denn darauf?“ entgegnete ich etwas beleidigt. Klar, mein Opa war in den letzten Jahren schon ziemlich alt geworden und sicherlich war er auch nicht mehr ganz der Hellste unter uns. Das war ja auch einer der Gründe gewesen warum wir zu ihm gezogen sind. Opa konnte sich also schon länger nicht mehr selbst um das riesige Haus und seinen Garten kümmern und musste neuerdings ziemlich oft zum Arzt. Darum kümmerte sich jetzt meine Mutter um ihn und da meine Eltern nun bei Opa ja auch keine Miete mehr bezahlen mussten hatten wir nun viel mehr Geld übrig und mussten nicht mehr so sparsam leben wie vor kurzem noch. Mittlerweile gab es auch zum Frühstück wieder die echten Kellog`s und nicht mehr diese Fake-Marke, die meine Mama sonst gekauft hatte. Daher kam es meinen Eltern sehr gelegen, dass Opa vorgeschlagen hatte doch zu ihm zu ziehen. Alex guckte mich immer noch ernst an. „Naja, du weißt schon wie ich das meine, Maxi!“ Ich sagte nichts darauf und zuckte nur mit den Schultern. Ja, ich ahnte schon was Alex damit meinte. Dass mein Opa langsam verrückt zu werden schien hörte ich von meinen Eltern mittlerweile ja oft genug.
Mich wunderte nur, dass Alex jetzt auch schon damit anfing meinen Opa für verrückt zu halten. Alex hatte mich nämlich mal am Wochenende besucht und blöderweise ausgerechnet genau dann bei uns geklingelt als mein Opa gerade mal wieder etwas wirr im Kopf zu sein schien. „Wir sind in Gefahr! Wir brauchen Knoblauch, viel mehr Knoblauch!“ hatte Opa immer wieder aufgeregt aus dem Fenster gerufen. „Aber Vater, du hast doch schon genug Knoblauch.“ hatte meine Mutter genervt zurückgerufen nachdem sie Alex die Tür geöffnet hatte. Doch Opa hatte nur energisch den Kopf geschüttelt. „Nein! Ihr versteht mich nicht! Wir brauchen noch mehr Knoblauch, viel mehr! Bald ist Weihnachten und sie kommen! Sie werden kommen und uns entführen!“ schrie mein Opa aus Leibeskräften als sei er völlig irre geworden. Da hatte meine Mutter seufzend die Augen verdreht und uns zugeflüstert, dass wir unseren Opa um Gottes Willen ja nicht ernst nehmen sollten. Alex hatte nur verwundert dabei zugeschaut wie mein Opa daraufhin beleidigt sein Fenster zugeschlagen hatte, aber er hatte mich wenigstens nicht darauf angesprochen. Ich weiß wirklich nicht genau seit wann Opa damit angefangen hatte auf einmal massenweisen Knoblauch in seinem Zimmer zu horten und ständig daran zu glauben, dass wir alle in Gefahr sein könnten. Aber ich dachte mir einfach, dass es eben damit zu tun hatte, dass Opa mittlerweile schon ziemlich alt war…
„Kommst du noch mit zu mir? Wir könnten doch wieder gemeinsam die Hausaufgaben machen und dann noch etwas zocken.“ schlug ich Alex nach der Schule vor.
„Warum nicht? Gute Idee.“ meinte Alex dazu. Er schrieb seiner Mutter noch eine kurze SMS um bei sich zu Hause Bescheid zu geben.
„Geht klar!“ sagte er dann und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zur Bushaltestelle.
„Ich glaube meine Mutter hat heute sicherlich wieder was Geiles gekocht! Dann essen wir erst einmal sobald wir da sind.“ meinte ich im Bus zu Alex. „Au ja, super! Mir knurrt eh schon der Magen.“ freute er sich.
Es war ja immerhin nicht das erste Mal, dass ich Alex zum Essen mitbrachte und meine Mutter kochte gerne größere Portionen auf Vorrat. Denn mit unserem Opa gab es manchmal Tage an denen sie nicht mehr dazu kam groß zu kochen und so reichte das Essen dann für alle noch einen Tag länger aus.
Doch als wir Zuhause ankamen lief es dann doch nicht ganz so wie wir es eigentlich geplant hatten. Es gab weder ein fertiges Essen, noch war meine Mutter daheim. Stattdessen fand ich nur einen kleinen Zettel auf dem Küchentisch mit Mamas Nachricht drauf. „Oh Mann, Fehlanzeige! Meine Mutter ist mit meiner kleinen Schwester beim Einkaufen und ich soll mir ein Sandwich machen.“ murmelte ich nachdem ich die Nachricht gelesen hatte.
Für einen kurzen Moment verzog Alex enttäuscht das Gesicht. „Schade.“
Doch dann grinste er doch wieder.
„Na ja, ein Sandwich ist ja auch nicht so schlecht. Kommt darauf an was ihr so im Kühlschrank habt…“ Wir öffneten den Kühlschrank und schauten nach.
„Immerhin gibt es Salami!“ stellte ich fest. „Einverstanden. Habt ihr auch noch Essiggurken?“ wollte Alex wissen. „Klar.“ antwortete ich. „Na dann, ist doch okay. Hau drauf!“ rief Alex begeistert. Wir waren heilfroh als wir im Brotschrank auch noch ein paar Semmeln fanden und innerhalb von einigen Minuten hatte auch schon jeder von uns beiden zwei fertige Wurstsemmeln, die wir uns schmecken ließen. Dazu teilten wir uns noch eine Flasche Cola. „Wo ist eigentlich dein Opa?“ wunderte sich Alex nach einer Weile. „Der wird sicherlich noch seinen Mittagsschlaf halten, so wie immer.“ antwortete ich schmatzend. Keine Frage: so eine Wurstsemmel konnte wirklich eine absolute Delikatesse sein, gerade wenn man nach der Schule stets so einen Bärenhunger hatte wie ich und Alex! „Ich glaube du irrst dich, Maxi.“ stieß Alex jetzt aus und deutete Richtung Fenster. „Irren?“ fragte ich im ersten Moment und warf einen neugierigen Blick aus dem Fenster. Doch dann verstand ich auf einmal was Alex meinte: draußen im Garten humpelte mit einer Krücke doch tatsächlich mein Opa umher und schien etwas im Schnee zu suchen… Noch dazu war er nur mit einem leichten T-Shirt bekleidet, das er über seine Hose trug! „Das gibt es doch nicht! Er hat ja nicht mal seine Jacke angezogen und dabei ist es verdammt kalt draußen!“ sorgte ich mich um ihn. Ich schluckte gerade noch den letzten Bissen meiner Wurstsemmel herunter, an dem ich gerade noch genüsslich gekaut hatte, ehe ich mir meine Jacke schnappte und raus zum Garten stürmte. Alex folgte mir.
„Opa, was machst du denn da?“ rief ich ihm zu. Überrascht schaute mein Opa mich an.
„Ach, du bist schon zu Hause?“
Mehr sagte er nicht.
Er bückte sich jetzt wieder und grub mit seiner freien Hand ein Loch in den Schnee.
Wie ich feststellte war es nicht das erste Loch das er grub. Opa musste wohl schon eine Zeit lang überall im Garten herumgebuddelt haben denn es wimmelte nur so von kleinen Schneehäufchen. „Opa, jetzt komm schon rein. Es ist doch kalt hier draußen.“ bat ich ihn ungeduldig als sei er ein kleines Kind.
Das kränkte ihn. Er erhob jetzt mahnend seinen Zeigefinger. „So redest du nicht mit mir, Maxi! Immerhin bin ich hier der Ältere von uns beiden und ich werde ja wohl wissen was ich tue!“ „Ist ja gut, Opa.“ antwortete ich etwas hilflos. Während ich und Alex nun etwas unschlüssig neben ihm standen, machte Opa einfach weiter mit dem Buddeln und kümmerte sich nicht weiter um uns. Endlich merkte Alex, dass ich bei Opa nicht mehr weiterkam und versuchte auch mal sein Glück bei ihm.
„Suchen Sie etwas?“ mischte er sich nun ein. Jetzt guckte Opa Alex wie ein Auto an.
„Ach, “ machte Opa nur und winkte gelangweilt ab, „Ihr glaubt mir ja doch nicht wenn ich es euch sage! Lassen wir das also lieber!“
„Aber Opa, natürlich werden wir dir glauben!“ versuchte nun ich es wieder.
Opa warf uns beiden einen kritischen Blick zu, so als überlegte er momentan ob er uns beiden auch wirklich vertrauen kann. „Also gut“, fing Opa nun an und sah uns dabei nacheinander geheimnisvoll in die Augen, „aber zuerst gehen wir wieder zurück ins Haus. Mir ist nämlich kalt!“ Dagegen hatten wir sicher nichts. Endlich schien er wieder vernünftig zu werden!
„Ach Opa, mach es doch nicht so spannend!“ maulte ich dabei nur noch und tauschte mit Alex triumphierende Blicke aus. Sobald wir im Wohnzimmer waren steuerte Opa mit seiner Krücke direkt auf seinen Lieblingssessel zu wo er Platz nahm und erst einmal verschnaufte.
„Es geht um meinen Knoblauch.“ meinte Opa dann endlich und sah uns dabei geheimnisvoll an. „Deinen Knoblauch?“
Ich verstand meinen Opa mal wieder rein gar nicht und tauschte mit Alex nur ratlose Blicke aus. Opa wurde nun lauter. „Er ist weg! Verschwunden!“ Dabei bekam er einen hochroten Kopf vor lauter Aufregung. Sogar seine Hände begannen zu zittern.
„Alle Knoblauchknollen sind weg, spurlos verschwunden! Und dabei hatte ich sie gestern erst im Garten vergraben!“ schimpfte er.
Insgeheim begann ich mir die ganze Knoblauchgeschichte zusammenzureimen: sicherlich hatte Opa wieder Knoblauch im Garten vergraben und meine Mutter hatte den Knoblauch wieder heimlich ausgegraben während Opa seinen Mittagsschlaf gehalten hatte. Das ging ja schon eine ganze Weile so seit wir bei Opa eingezogen waren. „Aber Opa, jetzt ist es doch Winter. Da ist es einfach zu kalt um Knoblauch anzupflanzen.“ versuchte ich ihn zu beruhigen. Doch ich erntete dabei von meinem Opa nur einen verständnislosen Blick. Er wirkte jetzt auf einmal noch nervöser und gleichzeitig auch ängstlich. Mit einem Taschentuch wischte er sich nun den Schweiß von seiner Stirn. „Es ist wieder soweit“, murmelte Opa leise vor sich hin, „die hundert Jahre sind um. Denn es geschieht alle hundert Jahre und immer an Weihnachten.“
Er klammerte sich nun mit beiden Händen so fest an die Lehnen seines Lieblingssessels, dass man denken könnte Opa hätte Angst plötzlich herunterzufallen. Zum Glück kam in diesem Moment meine Mutter mit meiner kleinen Schwester Mia wieder vom Einkaufen zurück, denn so langsam waren Alex und ich mit unserem Latein bei Opa echt am Ende.
„Opa!“ rief meine sechsjährige Schwester glücklich und rannte auf ihn zu sobald die Haustür aufgegangen war um ihn zu umarmen. „Aber um Gottes Willen, was ist denn hier schon wieder los!“ schimpfte meine Mutter als sie bemerkte, dass mein Opa sich gerade mal wieder ziemlich aufgeregt hatte. Sie stellte ihre Tüten ab, ging dann ebenfalls geradewegs auf Opa zu und half ihm auf die Beine. „Ach Kinder, lasst den Opa doch jetzt lieber in Ruhe, ja? Er sollte jetzt wirklich schlafen gehen. Er hat sich sicherlich schon wieder zu sehr aufgeregt.“ sagte meine Mutter besorgt. Dann wandte sie sich wieder an Opa. „Ist schon gut, Vater.“ hörte ich dann immer wieder die beruhigende Stimme meiner Mutter auf ihn einreden, „Ist das schon wieder so eine Vampirgeschichte? Aber Vater, so beruhig dich doch. So etwas gibt es doch gar nicht!“ Meine kleine Schwester Mia stand bei uns und lachte amüsiert.
„Der Opa ist lustig! Der erzählt immer spannende Geschichten, gell Maxi?“
Ich nickte nur etwas verstört und streichelte dabei meiner kleinen Schwester übers Haar.
„Nicht wahr, Vater? Du solltest dich jetzt wirklich hinlegen. Du brauchst viel Ruhe. Das hat der Arzt dir gestern doch auch gesagt. Und deine Tabletten brauchst du auch wieder.“
Während meine Mutter unseren Opa in sein Schlafzimmer führte, sahen Alex und ich ihnen immer noch verwirrt hinterher. Dabei rief Opa immer wieder aufgeregt: „Der Knoblauch ist weg! Wir sind in Gefahr! Alle sind wir in Gefahr! Bald wird es geschehen!“
Dann ging die Schlafzimmertür von Opa zu während ich und Alex immer noch eine Weile wie angewurzelt stehen blieben. Endlich bewegte sich Alex wieder indem er energisch seinen Kopf schüttelte. „Genaudas habe ich heute in der Schule gemeint: dein Opa spinnt!“ Ich sagte dazu immer noch nichts. Ich musste aber wirklich zugeben, dass ich keine Ahnung hatte was die letzte Zeit mit meinem Opa los war.
Aber ich begann mir allmählich so langsam ernsthafte Sorgen um ihn zu machen…
Gegen Abend schien Opa sich endlich wieder einigermaßen beruhigt zu haben, doch trotzdem konnte ich in dieser Nacht nur schlecht einschlafen. Es gingen mir einfach viel zu viele Gedanken durch den Kopf.
Wird mein Opa jetzt bald ganz und gar so richtig verrückt werden? Werden meine Eltern ihn bald in ein Altenheim stecken weil meine Mutter die letzte Zeit nur noch überfordert mit ihm ist? Das wollte ich jedenfalls auf keinen Fall! Das durfte einfach nicht mit meinem Opa passieren! So dauerte es eine Weile bis ich endlich eingeschlafen war. Doch mitten in der Nacht schreckte ich plötzlich hoch. Ich hörte ein seltsames Geräusch! Es klang wie ein klägliches Wimmern, als sei jemand in großer Not oder hätte Schmerzen. Angespannt lauschte ich. Ob meine Eltern es auch hörten? Ich wartete ab. Doch alle schienen fest zu schlafen… Nun hörte ich das Wimmern immer deutlicher. Es kam von oben her wo Opas Schlafzimmer war. Oh nein, Opa!
Besorgt sprang ich aus meinem Bett und eilte die Treppe hinauf zu Opas Schlafzimmer.
Ja, das Wimmern wurde immer deutlicher je näher ich kam!
Vorsichtig öffnete ich die Tür von Opas Zimmer und lugte hinein. Es war ziemlich dunkel aber durch den Vorhang von Opas Fenster konnte ich ganz klar den schattigen Umriss einer Person erkennen. Ja, es war tatsächlich mein Opa, der da so wimmerte! Er saß aufrecht auf seinem Bett und stöhnte leise. Ich machte mir Sorgen um ihn. Vielleicht brauchte er ja wieder seine Tabletten.
„Alles klar, Opa? Geht es dir denn nicht gut? Soll ich Mama aufwecken?“
Erstaunt starrte Opa mich an, während sich meine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnten und ich Opas Gesicht nun etwas deutlicher erkennen konnte.
Doch Opa schüttelte entschieden den Kopf. „Bloß nicht, Maxi! Weck bloß keinen auf. Das hätte mir gerade noch gefehlt! Deine Eltern glauben mir doch sowieso nichts und würden mich nur wieder für verrückt erklären!“
„Ist gut, Opa. Dann wecke ich sie nicht. Aber was hast du denn? Kannst du etwa nicht schlafen?“ Ich setzte mich neben ihm aufs Bett.
Opa nickte. „Ja, ich kann nicht schlafen. Das ist ja aber auch kein Wunder, denn ich weiß dass es bald schon geschehen wird! Ich habe wirklich furchtbare Angst davor!“ Ich verstand nicht wovor Opa denn so schreckliche Angst haben könnte. „Was genau soll denn geschehen, Opa?“ versuchte ich herauszufinden, obwohl ich mir im Moment auch nicht mehr wirklich so ganz sicher war ob Opa gerade mal wieder spinnt oder tatsächlich bald etwas Schlimmes geschehen würde.
Aber ich nahm mir vor ihm zuerst einfach nur mal zuzuhören damit er sich seine Sorgen von der Seele reden konnte.
„Bald ist Weihnachten.“, fing Opa also an, „Und, Maxi glaube mir bitte, ich habe total Angst vor diesem Weihnachten!“ Wie immer bei Opa verstand ich nur Bahnhof.
„Aber Weihnachten ist doch eine sehr schöne Zeit, Opa! Was soll denn daran nur so schlimm sein?“ entgegnete ich ihm achselzuckend. Kaum hatte ich das gesagt starrte Opa mich erneut mit einem so ängstlichen Blick an, dass ich fast schon selber erschrak. Augenblicklich wurde mir ganz flau im Magen! „Maxi, wir waren ja schon immer sehr dick miteinander, oder? Und du bist ja auch inzwischen schon fast erwachsen und nicht mehr so klein wie deine Schwester Mia.“ erwiderte Opa seufzend. Ich nickte. „Ja, das stimmt Opa.“ Nun sah mir Opa ernst in die Augen.
„Kann ich dir etwas anvertrauen, Maxi? Aber du musst es unbedingt für dich behalten weil mich sonst noch alle für unzurechnungsfähig halten. Schließlich will ich ja auf keinen Fall in einer Irrenanstalt landen! Versprichst du mir das?“ Ich zuckte mit den Achseln. „Na klar, Opa. Versprochen. Ich werde es für mich behalten.“ Forschend musterte er mich, gerade so, als würde er nun innerlich abwägen ob er mir denn in meinem Alter auch wirklich noch vertrauen konnte. Dabei runzelte er nachdenklich die Stirn. „Früher, als du noch so klein warst wie deine Schwester Mia, da war alles noch so viel leichter. Ich konnte dir immer viele Geschichten erzählen und du hast sie mir immer alle blind geglaubt. Doch jetzt wirst du langsam erwachsen und ich weiß nicht ob du nicht genauso wirst wie deine Eltern. Denn die Erwachsenen glauben mir nichts. Sie sind schwierig.“ „Ich werde dir immer glauben, Opa!“ versicherte ich nochmals. Opa fasste schließlich doch wieder Vertrauen zu mir. „Handschlag drauf, Maxi?“
„Na klar, Opa!“ Als ich darauf eingeschlagen hatte, verschwanden zum Glück auch noch seine letzten Zweifel. „Nun gut“, meinte Opa nickend, „ich muss dir aber zuerst mal eine alte Geschichte erzählen damit du auch alle Zusammenhänge begreifen kannst. Es handelt sich nämlich um ein uraltes Geheimnis, dass bisher nur ich kenne. Und ich werde dich darin einweihen.“ Aufgeregt schluckte ich und wurde sofort hellhörig. Ein altes Geheimnis?
Gespannt wartete ich darauf was mein Opa mir wohl gleich erzählen würde.
„Ich muss weit ausholen“, sagte Opa, „denn die Geschichte, die ich dir zu erzählen habe, geht zurück bis ins finstere Mittelalter.“
„Soweit?“ meinte ich erstaunt. Opa nickte.
Er räusperte sich noch kurz und begann mir dann folgende Geschichte zu erzählen:
Damals hatte es einen Bauern gegeben der Johannes hieß. Dieser Bauer hatte auch eine Tochter gehabt. „Sie hieß Minna und war damals vielleicht ein paar Jährchen älter als du es jetzt bist.“ guckte Opa mich nachdenklich an. Der Knecht des Bauern hieß Hans und war ein sehr tüchtiger Bursche. „Hans war ein klein wenig älter als Minna und der Bauer Johannes hatte ihn einst als Waisenkind bei sich in seinen Haushalt aufgenommen. Mit der Zeit liebte der Bauer den Hans sogar als wäre er sein eigener Sohn! Auch mit Minna verstand sich Hans sehr gut.“ erklärte Opa mir.
Ich erfuhr von Opa, dass die Beziehung zwischen den beiden aber noch weitaus mehr gewesen war als sich bloß gut zu verstehen.
„Hans liebte Minna von Herzen und Minna liebte Hans. Sie wollten eines Tages heiraten.“
teilte Opa mir stirnrunzelnd mit.
Weiter erfuhr ich, dass das aber nicht sein durfte. „Ein Knecht, der eine Bauerstochter heiraten wollte, schon allein die Vorstellung daran war damals verpönt! Im Mittelalter wurde so eine, nicht standesgemäße Heirat nur ungern gesehen. Darum stimmte der Bauer dem Wunsch der beiden nicht zu. Schließlich wollte er ja seinen guten Ruf nicht verlieren.“ fuhr Opa fort. So verlangte der Bauer von den beiden, dass sie sich aus dem Weg gehen sollten. Dennoch hatten sich Minna und ihr Hans nicht von ihrer Liebe abbringen lassen und sich weiterhin heimlich getroffen, ohne dass es der alte Bauer Johannes mitbekam…
Doch bald schon sollte etwas äußerst Grausames geschehen, etwas, wovon sich der alte Johannes niemals mehr erholen würde! Doch davon ahnte zu dieser Zeit noch keiner etwas. Denn es war mitten in der Weihnachtszeit des Jahres 1321 und die Menschen waren voller Freude. Die Leute waren nämlich gerade dabei ihre Hütten und Häuser mit Mistelzweigen zu schmücken und summten dabei vergnügt vor sich hin.
Überall roch es lecker nach weihnachtlichem Gebäck. Die Menschen buken nämlich damals schon in der besinnlichen Zeit viel Brot und Früchtekuchen um sich auf das bevorstehende Weihnachtsfest einzustimmen.
„Sie nannten die Weihnachtszeit „ze wihen nath“, was auf Mittelalterdeutsch zur geweihten Nacht bedeutet. Seit den Germanen war diese dunkle Winterzeit für die damaligen Menschen nämlich gleichzeitig auch eine sehr bedrohliche Zeit und damit die Opferzeit der sogenannten Mittwinternächte. Sie glaubten daran, dass gerade in dieser dunklen Winterzeit die dunklen Mächte wie Dämonen und Hexen sehr aktiv seien.“ verkündete Opa. Um sich vor diesen finsteren Mächten zu schützen, räucherten die Menschen darum ihre Häuser aus und veranstalteten lärmende Umzüge mit denen sie alle bösen Mächte vertreiben wollten. So mischte sich auch während dieser dunklen Tage, mit sehr viel Krach und lauter Musik, ein fremder Wanderzirkus unter das Volk. Die Menschen waren begeistert von den vielen bunten Wägen und den vielen, seltsam gekleideten Akrobaten. Doch irgendetwas seltsames, ja düsteres, ging von ihnen aus und so waren die meisten Menschen doch lieber vorsichtig und blieben auf Abstand zu diesen Fremden. Ein alter Bettler, den damals kaum jemand ernst nahm, warnte die Leute damals sogar davor mit diesen fremden Leuten etwas zu tun zu haben. Doch manche glaubten ihm und ahnten, dass diese Fremden direkt aus der Hölle gekommen waren…
Doch unter dem Gesindel, das sich völlig von dem Fremdartigen faszinieren ließ und die vielen bunten Kleider der Künstler bestaunte, waren leider auch Minna und ihr Hans.
Sie waren sich sicher, dass sie unbedingt heiraten wollten und hatten es satt sich immer alles verbieten zu lassen. Auch fühlten sie sich von diesem seltsamen Zirkus irgendwie magisch angezogen. So stahlen sie sich eines Nachts, nämlich genau am Heiligen Abend des Jahres 1321, heimlich davon und besuchten das buntbemalte Zirkuszelt. Was dann dort mit ihnen geschehen war hatte nie einer erfahren. Aber am nächsten Tag war der Wanderzirkus spurlos verschwunden und mit ihm auch Hans und Minna! Keiner hatte sie jemals wiedergesehen. Opa machte eine Pause und schaute mich nun traurig an. „Echt abgefahren! Eine wirklich düstere Geschichte.“ musste ich betroffen zugeben. „Und der alte Johannes hat die beiden wirklich nie mehr wieder gesehen?“ hakte ich nach. Opa schüttelte langsam den Kopf. „Nein, niemals wieder!“ Er seufzte und erzählte mir nun das Ende dieser schaurigen Geschichte.
Wie du dir wohl sicher vorstellen kannst, war der alte Johannes untröstlich weil er seine geliebte Tochter für immer verloren hatte. Insgeheim machte er sich dazu auch noch schwere Vorwürfe. Mit schwerem Herzen dachte er daran, dass er vielleicht doch lieber zu einer Hochzeit einwilligen hätte sollen oder dass er gar zu wenig auf die beiden aufgepasst hätte, sie nicht oft genug vor dem seltsamen und fremden Zirkus gewarnt hätte. Sein ganzes Leben lang bis zu seinem Tod sann er darüber nach ob seine Tochter und Hans ihn freiwillig verlassen hätten und darum mit dem Zirkus durchgebrannt oder ob sie von den Akrobaten des Zirkus gar entführt worden waren.
Beides jedoch war für ihn sehr, sehr schlimm. Denn wenn seine geliebte Tochter ihn tatsächlich heimlich für immer verlassen wollte, hatte sie ihm das Herz gebrochen. Aber selbst wenn sie tatsächlich gegen ihren Willen entführt worden war, dann war das für ihn ein großer Grund zur Sorge. Eines Tages starb der alte Bauer dann vor lauter Gram als unglücklicher, alter Greis.
„Das ist wirklichziemlich traurig.“ beteuerte ich. Obwohl ich Opas Geschichte wirklich sehr interessant gefunden hatte, verstand ich aber trotzdem nicht so ganz warum Opa mir ausgerechnet diese Geschichte erzählt hatte.
Immerhin hatte sie sich schon etliche Jahrhunderte vor meiner Geburt ereignet.
Was also sollte diese uralte Geschichte denn mit uns und vor allem ausgerechnet mit mir zu tun haben? „Viel mehr als du im Moment vielleicht ahnst hat diese Geschichte mit uns zu tun!“ Opas Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, als hätte er gerade meine Gedanken gelesen. „Aber Opa, woher weißt du überhaupt davon? Du hast doch im Mittelalter noch gar nicht gelebt!“ kam es mir.
Opa machte ein finsteres Gesicht. „Es wurde mir aber so überliefert. Seit Generationen schon wird diese Geschichte in unserer Familie mündlich weitergereicht. Mir hat diese Geschichte damals mein Opa erzählt, also dein Ururgroßvater. Damals war ich in etwa so alt wie du als er sie mir erzählt hat.“
In alten Erinnerungen schwelgend starrte Opa aus dem Fenster. Mittlerweile wurde es draußen auch schon wieder so langsam hell. Wir hatten tatsächlich die ganze Nacht durchgeredet! Zumindest hatte es was gebracht, denn das Gesicht meines Opas wirkte jetzt sehr viel ruhiger und entspannter seit er mir seine Mittelaltergeschichte erzählt hatte. Er sah nun sogar äußerst zufrieden aus. Gerade so, als ob er damit endlich etwas recht Unangenehmes erledigt hätte.
„Das schlimme daran für uns ist aber, dass der Weihnachtszirkus alle hundert Jahre plötzlich wieder auftaucht!“, fuhr Opa fort,
„Und zwar immer zur Weihnachtszeit. Dann entreißt er geliebte Menschen aus unserer Mitte, die mit diesem unheimlichen Weihnachtszirkus für immer spurlos verschwinden! Genauso wie Minna und Hans damals. Verstehst du, Maxi? Das ist wichtig, dass du es begreifst!“ Opas Stimme begann zu zittern. Ich wusste noch immer nicht so recht was ich von Opas Schauergeschichte halten sollte. Sollte ich sie glauben?
Für mich klang das Ganze immerhin vielmehr nach einem hübschen Fantasy-Märchen, das mein Opa sich da ausgedacht hatte, als nach einer wahren Realität. „Es gibt eben viel mehr zwischen Himmel und Erde als das was wir begreifen können.“ wisperte Opa und blickte mich dabei geheimnisvoll an. Er gab jetzt sogar zu, dass er damals ja selbst daran gezweifelt hätte als sein Opa ihm das erzählt hatte. Aber jetzt wüsste er es eben besser. „Es ist wirklich die pure Wahrheit!“ versicherte er mir und legte sich eidschwörend eine Hand auf die Brust.
Trotzdem hatte ich so meine Zweifel.
„Und warum weiß dann meine Mutter nichts davon wenn diese Geschichte schon so alt ist und sie sich scheinbar alle hundert Jahre immer wiederholt?“ hakte ich nach.
Ich wunderte mich über ihn. Sollte mein Opa so etwas dann nicht lieber meiner Mutter erzählen statt mir? Aber Opa schüttelte nur energisch den Kopf. „Das ist es ja, Maxi. Genau das ist ja mein Problem! Wer würde denn so eine Geschichte, vor allem heutzutage, noch glauben? Deine Eltern garantiert nicht!“
Er teilte mir nun mit, dass seine und damit auch meine Vorfahren bisher vorsichtig genug damit gewesen waren diese alte Überlieferung auch nur an ganz bestimmte, auserwählte Personen weiterzugeben. „Nicht jeder verträgt nämlich die Wahrheit. Außerdem gibt es zu viele Menschen, welche die Wahrheit sogar für eine Lüge oder ein Hirngespinst halten könnten.“ Opa war fest davon überzeugt, dass man die Wahrheit nur Leuten erzählen konnte die das Ganze dann für sich behalten. Sie sollten eben nur davon wissen, ihre Familie vor dem Zirkus beschützen und das Wissen dann eines Tages, wenn sie selber alt geworden wären, wiederum ihrerseits an ein auserwähltes Enkelkind weitergeben.
„Es ist wie ein böser Fluch!“ erklärt Opa mir.
Ich überlegte. „Wenn es wirklich so ist, kann man den Fluch denn dann nicht brechen? Man muss einen Fluch doch brechen können! Kann man denn nichts dagegen tun, dass dieser Weihnachtszirkus nie mehr wieder auf der Welt sein Unwesen treibt?“
„Ja, schon. Ich glaube es gibt da tatsächlich eine Möglichkeit den Fluch für immer zu brechen. Es gab damals im Jahr 1321 doch diesen alten Bettler im Dorf, du weißt schon, der die Menschen immer vor diesem fremden Zirkus gewarnt hatte und auf den kaum einer hören wollte…“ erinnerte Opa sich langsam wieder an die Geschichte zurück. Ich nickte ungeduldig. „Ja, Opa. Ich erinnere mich schon. Erzähl doch endlich schon!“
„Nun, dieser alte Bettler soll damals angeblich gesagt haben, dass nur das Flammenschwert eines Engels diesen finsteren Zirkus für immer besiegen könnte. Doch es sei schwer zu finden…“ Opa machte eine Pause und mir kam das Ganze jetzt noch sehr viel merkwürdiger vor. Das Flammenschwert eines Engels? Das klang nun wirklich noch mehr nach einem Märchen! Doch Opa meinte das todernst: „Die Legende besagt, dass nur demjenigen, der das Licht der Welt erkannt hat, das Flammenschwert zur Hilfe eilen wird um die Kreaturen der Finsternis zu vertilgen. Doch dieses Rätsel konnte bis zum heutigen Tage noch keiner lösen. Niemand weiß bis heute was es genau mit diesem Flammenschwert auf sich hat, noch wo und wie man es finden kann und daher...“ Opa schaute nun ziemlich ratlos drein.
„Lass mich raten“, vollendete ich seinen Satz, „du vergräbst darum Knoblauch? Weil es das einzige ist was dir einfällt dass man gegen das Böse tun kann?“ Opa nickte wieder.
„Der einzige Schutz, den wir haben, ist der Knoblauch. Seit Jahrhunderten schon. Immer wenn diese hundert Jahre vergangen waren und das Weihnachtsfest bevorstand, hatten unsere Vorfahren um ihr Haus herum viele Knoblauchknollen vergraben. Selbstverständlich waren das immer diejenigen, denen die Überlieferung anvertraut worden war. Nur so, so glaubten sie, blieb ihre Familie geschützt vor der Macht des ewigen Weihnachtszirkus. Auch dein Ururgroßvater hat es so gemacht und jetzt vergrabe eben ich den Knoblauch.“
„Und du meinst, dass es jetzt wieder soweit ist und die hundert Jahre um sind?“ fragte ich etwas dämlich obwohl ich es eigentlich schon längst kapiert hatte. „Aber natürlich, Maxi! Überleg doch mal logisch: das erste Mal tauchte der unheimliche Zirkus am Weihnachten des Jahres 1321 auf. Seitdem alle hundert Jahre wieder, also immer nach einem Jahrhundert und immer genau an Weihnachten. Und welches Jahr haben wir jetzt?“ half Opa mir ungeduldig auf die Sprünge. „2021. Und es ist bald Weihnachten.“ murmelte ich.
„Ganz genau!“ zufrieden nickte Opa mir zu. Doch auf einmal wurde sein Gesicht wieder ängstlich, dann sogar wütend. Er regte sich plötzlich über meine Mutter auf. „Ich frage mich nur wie ich uns alle vor diesem bösen Zirkus beschützen soll, wenn deine Mutter immer wieder den Knoblauch ausgräbt und wegwirft, den ich im Garten vergraben habe!“ Das leuchtete mir ein. „Das lass mal meine Sorge sein, Opa. Ich werde schon mit Mama reden, dann wird sie es sicherlich nicht mehr tun.“ beruhigte ich ihn. Doch Opa blieb wie immer misstrauisch. „Bloß nicht! Du weißt doch, sie nimmt mich nicht für voll und dann würde sie auch noch erst recht böse sein und mich fragen warum ich dir so einen Mist erzählt habe, wenn du nun auch noch damit anfängst!“ winkte Opa entschieden ab. Doch ich hatte eine gute Idee.
„Vielleicht muss ich ihr aber diese Geschichte auch gar nicht erzählen, Opa. Vielleicht reicht es einfach nur, dass ich ihr sage dass du besser schlafen könntest wenn sie den Knoblauch einfach mal nicht ausgräbt. Ich werde ihr einfach sagen, dass du halt abergläubisch bist. Sie wird es sicherlich einsehen. Was meinst du dazu, Opa?“ „Hm.“ machte er nun. Dann stimmte er mir doch noch zu. „Einverstanden.“ Plötzlich gähnte er dankbar. „Es tut wirklich sehr gut, dass ich dir diese Geschichte weitererzählen konnte, Maxi. Aber du solltest jetzt in dein Zimmer zurückgehen. Wir sollten beide noch etwas schlafen bevor es wieder Tag wird.“ Jetzt merkte ich erst wie meine Augen tränten weil ich sie schon die ganze Zeit lang versuchte gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Sie fielen mir schon fast von allein zu! Wenigstens war es Wochenende und ich würde heute lange ausschlafen können. Sonst müsste ich schon in zwei Stunden wieder aufstehen um den Schulbus zu erwischen. Leise schloss ich Opas Tür und schlich dann, ebenso leise, die Treppen hinunter zu meinem Zimmer. Auf keinen Fall wollte ich, dass meine Eltern davon etwas mitbekamen. Immerhin hatte ich die ganze Nacht nicht geschlafen und war in Opas Zimmer! Das würde sicherlich ein heftiges Donnerwetter geben wenn mich meine Eltern jetzt ertappen würden…
Als ich schließlich auch noch an der Tür meiner kleinen Schwester Mia vorbeischleichen musste, achtete ich darauf besonders leise zu sein. Die sollte lieber erst recht nichts mitkriegen. Mia konnte nämlich eine richtige Petze sein.
Es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass sie mich sofort wieder bei meinen Eltern verpfeifen würde… Wenn auch nicht mit Absicht.
Aber leider reden kleine Kinder nun mal gern. Gut, dass sie mich nicht bemerkt hat!
Kleine Geschwister können eben manchmal wirklich ganz schön nervig sein!
„Pünktlich zum Mittagessen! Auch nicht schlecht, Maxi!“ scherzte Mama und lachte als ich endlich ausgeschlafen hatte. Immer noch verschlafen schielte ich auf die Wohnzimmeruhr. Es war tatsächlich schon zwölf Uhr vorbei
Wie gut, dass Mama nicht wusste warum ich heute eigentlich so lange geschlafen hatte…
Doch heute schien mein Glückstag zu sein:
Mama hatte seit langem endlich wieder mal Spaghetti Bolognese gekocht und auch mein Vater schien heute guter Dinge zu sein weil es Wochenende war. „Endlich kann ich auch mal einen freien Tag genießen und von der Arbeit ausspannen!“ sagte Papa und las auf seinem neuen Lenovo-Tablet die Nachrichten.
Das machte Papa immer so wenn er mal frei hatte und dann redete er auch nicht besonders viel. Das machte aber nichts. Dafür redeten Mia und Mama nämlich umso mehr.
„Ich liebe Spaghetti! Spaghetti, Spaghetti!“ rief Mia vergnügt und trommelte mit ihrer Gabel übermütig auf den Tisch herum. „Ja, ja. Du kriegst ja gleich deine Spaghetti!“ beruhigte Mama sie und deckte den Tisch. Der Einzige der mal wieder etwas mürrisch dreinschaute, war mein Opa.
Aber das wunderte mich heute nicht sonderlich. Schließlich war er ja, so wie ich auch, erst heute früh ins Bett gegangen. „Oh je, wieder mal dieses Pasta-Schuta-Zeugs. Du weißt doch, dass ich das mit meinen schlechten Zähnen so schlecht kauen kann!“ meckerte er meine Mama an. „Aber Vater“, meinte Mama zu ihm, „ich habe deine Portion doch kleingeschnitten. Das schaffst du schon zu kauen!“ Trotzdem schien Opa nicht gerade begeistert zu sein. „Du behandelst mich immer wie ein Kind. Vergiss nicht: ich bin dein Vater und nicht umgekehrt!“ beklagte er sich bei Mama.
Mama seufzte. „Ja, ja. Ich weiß.“
Ziemlich gelangweilt kaute Opa nun an seinen Spaghetti herum. „Wollen wir nach dem Essen nicht einen kleinen Winterspaziergang machen?“ schlug Mama plötzlich vor um von Opas mieser Laune abzulenken. Doch Papa hatte dazu keine Lust. „Muss das denn sein? Ich wollte mir heute mal einen ruhigen Tag machen, schließlich bin ich die ganze Woche ständig unterwegs.“ maulte er. Mama verdrehte die Augen. „Oh Gott, womit habe ich nur so eine griesgrämige Runde verdient!“
„Aber Mama, die Sabine hat doch heute Geburtstag!“ erinnerte meine kleine Schwester sie. Sabine war Mias beste Freundin.
Mama langte sich an den Kopf als es ihr wieder einfiel. „Ach ja, stimmt! Ich wollte dich ja zu ihr hinfahren.“ Flehend blickte Mama mich jetzt an. „Könntest du denn nicht mit Opa einen kleinen Spaziergang machen, Maxi? Opa braucht unbedingt etwas Bewegung an der frischen Luft.“ In Opas Augen konnte ich ein freudiges Aufblitzen erkennen.
„Klar.“ versprach ich mit vollem Mund.
„Der Maxi ist mir auch sowieso viel lieber. Der behandelt mich wenigstens nicht wie einen Verrückten!“ gab Opa Mama zu verstehen.
„Oh Mann, Vater! Du kannst manchmal aber wirklich ziemlich fies sein!“ antwortete Mama. Doch Opa grinste nur und zwinkerte mir zu, während er eine weitere Gabel mit kleingeschnittenen Spaghetti in seinen Mund führte.
Wie versprochen ging ich mit Opa nach dem Essen raus. Draußen war es mal wieder ziemlich kalt und es hatte auch schon wieder geschneit. Ein typisches Dezemberwetter eben.
Opa humpelte mit seinen Krücken nur langsam voran. Ich lief neben ihm her und vergrub meine halberfrorenen Hände ganz tief in meinen Jackentaschen. Gleich in der Nähe von Opas Haus gab es einen kleinen Wald, der aber jetzt mittlerweile ebenfalls schon ganz verschneit sein musste. Trotzdem wollte Opa unbedingt mit mir dorthin. „Ich möchte dir etwas zeigen, Maxi.“ sagte er und atmete schwer. Das Gehen mit den Krücken musste ihn wirklich sehr anstrengen. „Du, Opa, wir können aber auch auf dem Gehweg bleiben und in die andere Richtung gehen. Nicht weit von hier gibt es eine Bank, da könntest du dich hinsetzen und etwas ausruhen.“ schlug ich ihm deshalb vor.
Doch mein Opa weigerte sich. „Das kommt ja gar nicht in Frage, Maxi! Ich habe es mir in den Kopf gesetzt dir heute etwas zu zeigen und darum gehen wir auch dorthin. Komme was wolle!“ Dickköpfig humpelte er weiter voran.
Ich folgte ihm. Immer wieder musste ich Opa beim Gehen stützen weil der Waldweg alles andere als eben war. „Ist es noch weit?“ wollte ich nach einer Weile wissen. Allmählich wurde es mir nämlich kalt und außerdem kam ich mit Opa immer langsamer voran. Doch als wir endlich eine kleine Lichtung erreicht hatten blieb er auch schon stehen. „Dort ist er!“ lächelte Opa und zeigte mit einer seiner beiden Krücken direkt auf einen schneebedeckten Hügel.
Ich wusste nicht warum Opa mit mir ausgerechnet dorthin wollte aber ich konnte mir gut vorstellen, dass man auf diesem kleinen Berg ausgezeichnet Schlitten fahren konnte.
Seltsam war nur, dass das scheinbar außer mir und Opa niemand wusste. Aber immerhin war der Hügel ja auch völlig versteckt, mitten im Wald. Das konnte man ja auch nicht ahnen. „Schön, Opa. Gut zu wissen. Da geh ich mal mit Alex und Mia demnächst zum Schlittenfahren!“ freute ich mich. Doch Opa machte auf einmal einen unheimlichen Eindruck auf mich. „Das ist der alte Hexenberg.“ sagte er ohne weiter auf mein Schlittenfahren einzugehen. „Was? Hexenberg? Warum heißt der so?“ Neugierig schaute ich ihn an. „Dort hat man im späten Mittelalter eben die Hexen verbrannt. Darum heißt der so.“ Sobald Opa das gesagt hatte sah ich den Hügel, den ich gerade eben noch so toll gefunden hatte, in einem ganz anderen Licht. Er wirkte plötzlich ziemlich unheimlich auf mich. „Sag mal, Opa, glaubst du eigentlich an Hexen?“ fragte ich ihn auf einmal. Manchmal zweifelte ich schon daran ob Opa noch ganz normal war. Jeder wusste doch, dass es keine Hexen gab! Doch Opa schien daran zu glauben. „Aber klar, doch! Es gibt viele Hexen. Schau dir doch nur mal deine Mama an. Diese Hexe piesackt mich auch schon täglich.“ Erschrocken schaute ich Opa an. Doch der fängt plötzlich zu lachen an. „War ja nur ein Scherz!“
„Das war wirklich gemein von dir, Opa. Mama tut doch alles für dich.“ verteidigte ich Mama.
„Ja, ja. Ist ja gut. Das weiß ich doch. Und ich bin meiner Tochter auch sehr dankbar dafür. Nichts desto trotz kann sie mich aber manchmal ganz schön auf die Palme bringen!“ gestand Opa mir. „Nein, ich glaube nicht an Hexen. Das waren alles ganz normale Frauen, die eben nur etwas klüger waren als andere Frauen. Meist sammelten sie Heilkräuter, machten daraus Medizin und halfen den Menschen. Aber das machte den Leuten im Mittelalter eben Angst weil sie noch nicht so viel von Medizin verstanden und auch sehr abergläubisch waren. Darum hielten sie auch solche Frauen für Hexen.“ erklärte er mir nun seine ehrliche Meinung. Erleichtert atmete ich auf. Mein Opa schien also doch nicht ganz so verrückt zu sein wie alle es von ihm dachten. Er konnte noch ganz klar zwischen der Wirklichkeit und den Ammenmärchen unterscheiden. Schade nur, dass Mama ihn jetzt nicht so reden gehört hatte. Dann hätte sie sicherlich ihre Meinung über ihn geändert. „Ja, das ist sehr böse gewesen. Man hat damals doch tatsächlich unschuldige Frauen als Hexen verbrannt.“ bedauerte Opa.
Bei dem Gedanken, dass man dort lauter Frauen verbrannt hatte bekam ich eine Gänsehaut. Ich fand diesen Ort immer gruseliger. Ich stellte mir all die armen Frauen vor, die dort auf dem Scheiterhaufen standen und dabei laut um Hilfe gerufen haben mussten. „Diesen Hügel hier gab es aber schon sehr viel länger. Noch lange vor der Hexenverbrennung.“ fuhr Opa nachdenklich fort. Gespannt hörte ich ihm zu. Er erzählte mir, dass an dieser Stelle schon immer böse und grausame Sachen vor sich gingen. „Dieser kleine Wald ist alles was davon noch übrig geblieben ist. Der Wald war nämlich mal um einiges grösser und es gab dort auch im Mittelalter mal ein Dorf.“
„Und wo ist das Dorf abgeblieben?“ wunderte ich mich und lauschte gespannt was Opa sonst noch so alles darüber wusste. „Das weiß ich nicht.“ gab Opa zu, „Dörfer und Städte kommen eben und gehen manchmal auch. Die Menschen bauten ja immer wieder mal im Laufe der Geschichte neue Dörfer und Städte und rissen die alten Häuser und Hütten ab. Unser Dorf ist bestimmt auch nur so ein letztes Übrigbleibsel von diesem einstigen, viel größeren Dorf.“ vermutete Opa. „Klingt wirklich spannend!“ Insgeheim malte ich mir in Gedanken aus wie dieses Dorf im Wald wohl mal ausgesehen haben könnte. „Warte es nur ab. So richtig spannend wird es aber erst noch!“ versicherte Opa mir. Er kam jetzt auf die Geschichte zu sprechen, die er mir gestern Nacht erzählt hatte. „Du erinnerst dich doch noch an meine gestrige Geschichte von dem Weihnachtszirkus mit dem auch Minna und ihr Freund Hans spurlos verschwunden waren?“ „Na klar, wie sollte ich das denn über Nacht vergessen haben?!“ Etwas beleidigt war ich nun schon, dass Opa mir ein so kurzes Gedächtnis zutraute. Glaubte er etwa, dass ich ihm gestern nicht richtig zugehört hatte?
Opas Gesicht verfinsterte sich. Er schien auf einmal wieder nervös zu werden. Mit zittriger Stimme und zitternden Händen sprach er weiter. „Dort war es!“ sagte er jetzt fast tonlos und deutete mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung Hexenberg. Mit weitaufgerissenen Augen starrte ich auf den verschneiten Hügel. Ich musste auf einmal schlucken. „Du willst doch damit nicht etwa sagen, dass es genau hier war als der unheimliche Weihnachtszirkus im Jahr 1321 seine Zelte aufgeschlagen hat und wo auch Minna und Hans verschwunden sind?“ „Genau das.“ nickte Opa jetzt ehrfürchtig.
Ich konnte nun kaum noch meinen Blick von dieser Stelle abwenden, die ich nur noch ununterbrochen, fast atemlos, anstarrte. Mir wurde es hier allmählich zu unheimlich und ich wollte endlich wieder nach Hause. Außerdem begann es nun erneut zu schneien. „Wir sollten umkehren, mir wird so langsam aber sicher kalt.“ schlug Opa endlich vor. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, doch ich wollte meine Angst nicht zugeben und tat ganz cool. „Wie du willst, Opa. Dann kehren wir eben wieder um.“ antwortete ich deshalb.
Während wir nach Hause gingen erzählte Opa mir eine weitere Geschichte.
„Es gibt da noch was, dass ich dir erzählen muss, Maxi.“ fing Opa plötzlich an.
„Was denn?“
„Es geht um Emma.“ Erstaunt schaute ich Opa an. „Um Emma? Welche Emma, denn?“
„Ich war damals selber noch gar nicht auf der Welt. Mein eigener Vater war damals gerade kaum geboren und erst ein Jahr alt. Und Emma war seine Mutter. Also die Frau von meinem Großvater.“ Ich konnte Opas Gedanken nur schwer folgen. „Du meinst also diese Emma war damit deine Großmutter?“ Opa nickte. „Korrekt. Und damit war sie deine Ururgroßmutter, Maxi.“ Ich überlegte kurz. „Dann war Emma ja aber auch die Uroma von meiner Mutter?“
Opa lachte laut. „Wieder korrekt. Aber darum geht es ja jetzt nicht. Damals waren ja weder ich, noch du, noch deine Mutter auf der Welt. Es war nämlich das Jahr 1921 und Emma war damals noch eine sehr junge und hübsche Frau. Sie hatte damals gerade meinen Opa geheiratet und meinen Vater zur Welt gebracht.“ Ganz schön kompliziert so eine Ahnengeschichte. „Aha.“ machte ich deshalb nur.
Opa wurde nun ungeduldig. „Jetzt hör schon zu, Maxi. Also, es war damals gerade das Jahr 1921 und der erste Weltkrieg war gerade ein paar Jahre vorbei. In diesem Winter des Jahres 1921 als das Weihnachtsfest nahte geschah etwas ganz schreckliches!“ Während Opa redete und wir nach Hause liefen wurde es immer stürmischer und so ich zog ich meine Kapuze so hoch über meinen Kopf, dass sie mir fast bis tief ins Gesicht reichte. „Du meinst da geschah etwas, das mit diesem Weihnachtszirkus zu tun hatte?“ verstand ich sofort. Opa war sich unsicher. „Das weiß man bis heute nicht so genau, aber möglich wäre es. Immerhin war es ja das Jahr 1921 und damit waren auch die hundert Jahre schon wieder um. Außerdem geschah es ja auch an Weihnachten was diese Sache erst recht noch verdächtig macht.“
„Und was genau geschah damals mit Emma?“ Ich wollte es nun endlich wissen! „Emma ist damals spurlos verschwunden. Das einzige was mein Großvater damals noch wusste war, dass Emma durch den Wald gehen wollte.“
„Du meinst unseren Wald mit dem Hexenberg, woher wir gerade herkommen?“ hakte ich nach. Opa nickte. „Ja. Mein Großvater erzählte mir später, dass Emma diesen Weg damals immer als Abkürzung genommen hatte wenn sie ihre Freundin im anderen Dorf besuchen wollte. Doch gerade am besagten Weihnachtsabend, als sie dieser Freundin noch ein Geschenk vorbeibringen wollte, ist sie damals spurlos verschwunden! Keiner hat Emma jemals wiedergesehen, noch weiß einer bis zum heutigen Tag was mit deiner Ururgroßmutter passiert ist.“ Opa machte eine Pause. Er blieb kurz stehen und atmete tief durch. Das schnelle Laufen schien ihn wieder anzustrengen.
Ich nahm mir vor nun doch etwas langsamer zu gehen. „Geht es wieder, Opa?“ fragte ich besorgt. „Ja, ja. Unkraut vergeht nicht!“ meinte er bloß und hangelte sich mit den Krücken langsam wieder voran. „Man hatte damals dann noch monatelang nach Emma gesucht, aber vergebens. Meine Oma tauchte nie wieder auf und sie wurde damals als vermisst gemeldet. Die Polizei ging davon aus, dass sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Man konnte diesen Fall aber niemals aufklären.“ Mir graute es bei dem Gedanken, dass dieser seltsame Weihnachtszirkus damit etwas zu tun haben konnte, dass Opas Großmutter damals einfach so verschwunden war. „Aber du glaubst nicht, dass deine Oma, also meineUrurgroßmutter, einfach so verschwunden ist, oder?“
Opa schüttelte den Kopf. „Nein, Maxi. Das glaub ich nicht. Da bin ich genau deiner Meinung!“ Opa war sich sicher, dass der Weihnachtszirkus mit Emmas Verschwinden ebenfalls etwas zu tun gehabt hatte, genauso wie seit dem Mittelalter Hans und Minna spurlos verschwunden waren. Opa erzählte mir, dass auch sein Großvater damals nicht daran geglaubt hatte. „Er ahnte es einfach, dass das kein normaler Kriminalfall ist. All die Jahre, in denen mein Großvater meinen Vater ganz allein großgezogen hatte, hatte er gehofft seine Frau eines Tages wiederzusehen. Ständig ging er zum Hexenberg und hielt Ausschau nach ihr ob sie nicht doch wieder eines Tages auftauchen würde. Aber das geschah nicht.“ Opa räusperte sich. „Jedenfalls wuchs mein Vater mutterlos zu einem Mann heran und hat dann später selbst geheiratet und sie haben mich zur Welt gebracht. Als ich dann in etwa so alt war wie du, hat mein Opa dann eines Tages mir die Geschichte vom Weihnachtszirkus anvertraut, genauso wie ich sie nun dir anvertraut habe.“
„Warum hat dein Großvater die Geschichte vom Weihnachtszirkus denn nicht deinem Vater erzählt?“ wollte ich wissen. Opa grinste.
„Ich schätze mal, dass mein Vater wohl so ähnlich war wie deine Mutter. Er hätte die Geschichte möglicherweise als Hirngespinst eines alten Mannes abgetan und nicht ernst genommen. Da schau, wir sind ja schon da!“
Opa zeigte plötzlich auf unser Haus, das man nun schon von der Ferne aus sehen konnte.
Als wir näherkamen, sahen wir meine Mutter schon von weitem im Garten herumgraben. Opa verdrehte die Augen. „Oh je, sie tut es schon wieder! Deine Mama gräbt schon wieder all die Knoblauchknollen aus, die ich heute früh noch heimlich eingegraben habe. Sie kann es einfach nicht lassen!“
„Geh schon mal ins Haus und wärm` dich auf, Opa. Ich werde mal bei Mama mein Glück versuchen.“ versprach ich ihm sobald wir das Haus erreicht hatten. Ich hatte zwar noch immer keine Ahnung ob ich Opas ganze Geschichte mit diesem Weihnachtszirkus glauben sollte aber es beunruhigte mich inzwischen schon selbst, dass Mama Opas Knoblauchknollen immer wieder aus dem Garten entfernte. Was wenn die Geschichte doch wahr ist? „Na, war es schön?“ wollte Mama beiläufig von mir wissen als sie mich bemerkte ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen. „Ja. Der Opa hat mir viele spannende Dinge erzählt.“ musste ich zugeben. „Ja, ja. Das kann dein Opa ja nicht schlecht. Das ist eben typisch für ihn.“ meinte Mama nur. Eine Weile stand ich unschlüssig neben ihr und beobachtete sie bei der Arbeit. Ich überlegte wie ich sie wohl am besten dazu überreden konnte doch Opas Knoblauch in Ruhe zu lassen. Hatte Opa denn nicht gesagt, dass der Zirkus nur alle 100 Jahre eine Gefahr sei und auch nur an Weihnachten?
Sicherlich wäre doch dann im Frühjahr die Gefahr längst wieder vorüber… Da kam mir schon die Idee wie ich Mama die Knoblauchsache am besten verklickern könnte! „Mama“, versuchte ich es, „könntest du denn Opas Knoblauchknollen nicht einfach unter der Erde lassen? Du kannst sie ja doch auch erst im Frühling wieder ausgraben wenn du deine Blumen pflanzen willst. Jetzt schneit es doch eh und lass Opa halt die Freude.“ Erstaunt unterbrach sie das Graben. „Woher denn auf einmal dein Sinneswandel? Du weißt doch, dass es purer Blödsinn ist was Opa da tut!“ Ein wenig gekränkt darüber, dass ich nun die Seiten gewechselt hatte, starrte sie mich nun an. „Aber Mama“, versuchte ich sie geduldig umzustimmen, „der Opa ist eben schon ein alter Mann. Und er ist eben abergläubisch. Also lass ihm doch die Freude. Opa hat nämlich zu mir gemeint, dass er dann viel besser schlafen kann wenn er weiß, dass der Knoblauch im Garten vergraben ist.“
Mama verstand es zwar nicht aber willigte letztendlich doch ein. „Na schön, aber im Frühling ist Schluss damit. Das kannst du dem Opa ruhig sagen! Da will ich nämlich meine Blumen pflanzen.“ Sie stand nun auf und betrachtete den Garten noch einmal seufzend. „Nun denn, lass uns reingehen. Immerhin hast du Recht. Damit spare ich mir eine Menge unnötiger Arbeit!“ Ich freute mich. Ich hatte es tatsächlich geschafft sie umzustimmen! Übermütig gab ich ihr einen Kuss auf die Backe. „Danke, Mama!“
Als ich ihr um den Hals fiel bemerkte ich meinen Opa am Fenster. Er musste die ganze Zeit rausgeschaut haben und unser Gespräch von seinem Zimmer aus beobachtet haben. Ich hob meinen Daumen und formte lautlos mit den Lippen das Wort „Geritzt!“ Opa verstand sofort.
Zufrieden grinste er jetzt zurück und hob ebenfalls den Daumen. Von alledem hatte meine Mutter aber selbstverständlich nichts mitbekommen. „Alte Menschen sind schon recht seltsam, naja. Hauptsache der Opa beruhigt sich endlich mal mit seinem blöden Knoblauch. Um des Friedens willen lassen wir den Knoblauch vorerst mal in Ruhe. Vielleicht gibt dann auch er nun endlich einmal Ruhe und schläft besser, das kann mir nur recht sein.“ wiederholte sie nachdenklich. „Mama?“ fragte ich sie als wir wieder gemeinsam im Haus waren. „Hm?“ machte Mama. Ich zögerte zuerst aber ich wollte unbedingt wissen ob an Opas Story was dran war. „Hast du eigentlich davon gewusst, dass die Oma von Opa, also deine Uroma, damals angeblich spurlos im Wald verschwunden ist?“ Mama guckte mich an wie ein Auto. Dann zuckte sie gleichgültig mit den Achseln. „Ja. Ich glaube das hat mir dein Opa auch schon mal gesagt. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder dran. Ich habe davon gehört.“
Das erleichterte mich. Also war doch was an Opas Geschichte dran! „Warum kommst du jetzt eigentlich damit? Hat der Opa dir davon erzählt?“ wollte Mama wissen. Ich nickte.
Mama schaute nachdenklich aus. „Ja, das muss schon schlimm damals gewesen sein für meinen Urgroßvater. Ich habe nur gehört, dass er sein Kind, also den Papa von deinem Opa, damals ganz allein großziehen musste weil seine Frau niemals wieder gefunden wurde.“ Dann lächelte Mama. „Na ja, immerhin war ich damals ja noch nicht auf der Welt und ich habe meinen Urgroßvater, dem diese traurige Geschichte passiert ist, auch nicht gekannt. Es ist halt eben alles vor meiner Zeit passiert. Zum Glück!“ Sie winkte jetzt ab. „Das sind aber ganz schön schlimme Geschichten die der Opa dir da erzählt.