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Ein weiteres Mal gerät Julian in eine fremde Vergangenheit, als er Marie mit Hilfe der resoluten Hiltrud ins Jahr des Herrn 1543 folgt. Im Klosteralltag stellt er überrascht fest, dass auch er hier gelebt und gearbeitet hat. Ein seltsamer Fremder scheint ihnen hier immer einen Schritt voraus zu sein. Warum verfolgt er Marie, hat sie ins Jahr 1543 entführt und droht, sie in die Hölle zu bringen - koste es, was es wolle? Was hat Hiltrud mit allem zu tun - der Marie vom ersten Moment an misstraut? Was verbirgt das Tagebuch einer Novizin, hinter dem alle herjagen? Ein verwirrendes Spiel aus Schuld, Anklage, Versprechen, Schwüren, tiefem Schmerz und überraschenden Erkenntnissen beginnt, bis sich die Geheimnisse - nur zögerlich - lüften.
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Seitenzahl: 632
Veröffentlichungsjahr: 2021
Maike Stüven
Der unsichtbare Spiegel der Leben
© März 2021, Maike Stüven
Umschlaggestaltung, Illustration:
Andreas Dorn, Maike Stüven
Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg
Paperback ISBN: 978-3-347-16667-7
e-Book ISBN: 978-3-347-16669-1
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Alles ist
in uns gespeichert,
auch wenn wir meinen,
es gäbe kein Leben vor dem jetzigen.
Dennoch steigen alte Erinnerungen in uns hoch,
wenn ihre Zeit gekommen ist und spiegeln
uns Handlungen und alte Taten -
und offenbaren uns, wer wir
einst waren und
heute sind.
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Beobachtet und verfolgt
Ruf mich an, dringend
Der Mann im Café
Ein Wiedersehen
Alte Leben
Das kleine Buch
Fremd und doch vertraut
Eine lästige Begleiterin
Im Kloster
Der Wirbel durch die Zeit
Verbotene Aufzeichnungen
Meister Jakobus
Neue Erkenntnisse
Feindseligkeiten
Dunkle Anteile
Die geheime Tür
Erzwungene Rückschau
Hedwigs Abkommen
Margret und Mechthild
Die Not unerlöster Seelen
Hoher Besuch
Wilderichs Aufgabe
Die Spiegel zeigen sich
Gespräch mit dem Magier
Krieg oder Frieden?
Unumkehrbar
Alte oder neue Verstrickungen
Ein Wiedergänger?
Hoffnung und Zuversicht
Verschmähte Gefühle
Gleich und doch anders
Unsicherheiten
Die Schwäche des einen ist die Stärke des anderen
Gewalt und Tod
Die Flucht
Der geheimnisvolle Fremde
Zähe Verhandlungen
In den Abgründen des Seins
Augustinus, der Dunkle
Der Schlund der Hölle
Die Ereignisse überschlagen sich
Der Schutz guter Taten
Die neue Aufgabe
Und wie geht es zurück?
Machtvolle Gedanken
Wehmut
Komplikationen
Zufälle gibt es nicht
Der Kreis der Zeit
Nachwort und Dank
Wichtige Personen
Prolog
Nichts ist so,
wie es uns in Wirklichkeit erscheint.
Was wahrhaft ist tritt erst zutage, wenn wir den Horizont weiten und ohne
Vorbehalte hinter die Oberfläche
des Alltäglichen schauen.
Hier erwartet uns eine größere
Dimension und zeigt Zusammenhänge auf, die vorher unbegreiflich schienen.
Nur mit dieser Offenheit wird der Blick in
die Tiefen der Zeit möglich, die uns erschauern lassen, sobald wir sie verstehen.
Diese Sicht erfordert jedoch Verständnis für
die Zusammenhänge der Zeit und die
Übernahme von Verantwortung.
Marie hörte die Aufforderung, sah mir
fest in die Augen und fragte zögernd:
Ist das unsere Aufgabe, Julian?
Beobachtet und verfolgt
Ängstlich schaute sich Marie um und drehte sich dabei vorsichtig um die eigene Achse. Sie versuchte angestrengt die Dunkelheit zu durchdringen, doch konnte sie nichts erkennen. So konzentrierte sie sich aufs Hören. War da nicht eben ein leises Geräusch von Kies gewesen, der unter dem Absatz eines Schuhs knirschte?
Sie lehnte sich gegen die Steinmauer und drückte den Rücken durch. So fühlte sie sich einigermaßen geschützt, da sich ihr niemand von hinten nähern konnte. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herab und sie wusste instinktiv, dass dieser nichts mit der Kälte der Steine zu tun hatte.
Noch vor wenigen Minuten war sie in der Besuchertraube ganz entspannt den Ausführungen des Touristenführers gefolgt, der die Gruppe durch die verhältnismäßig große und weitläufige Anlage leitete und die Geschichte des Klosters lebendig vor ihren Augen entstehen ließ. Dann aber war sie zurückgeblieben, ohne dass es ihr zunächst auffiel. Ein Torbogen im Kreuzgang übte eine eigenartige Faszination auf sie aus, der sie nicht widerstehen konnte. Einmal zumindest musste sie langsam unter ihm hindurchgehen. Ein seltsam vertrautes und wohliges Gefühl erfasste sie dabei.
Plötzlich hörte sie ein Flüstern und spürte einen leichten Hauch an sich vorübergleiten, als ob sie flüchtig berührt wurde.
„Da bist Du ja endlich. Ich habe Dich schon überall gesucht. Komm schnell, die Mitternachtsmette beginnt gleich! Schließe Dich uns lieber an. Du weißt, was geschieht, wenn wir säumig sind. Die Mutter Oberin wird uns wieder bestrafen.“
Erschrocken hielt Marie den Atem an. Wer hatte diese Sätze ausgesprochen? Und wem galten sie?
Doch so schnell wie es kam, war es auch wieder vorbei. Sie schüttelte den Gedanken energisch ab, dass ihr etwas Unheimliches widerfuhr. Marie kannte ihre Fantasie, die ihr vermutlich wieder einen Streich spielte. Sie lächelte beruhigt. Mit Sicherheit war das eben Erlebte nur das Resultat ihrer lebhaften Vorstellungskraft gewesen.
Sie drehte um, durchquerte den Torbogen ein zweites Mal und ging den Weg zurück, den sie soeben gekommen war. Wo waren die anderen Besucher geblieben? Weit konnten sie nicht gekommen sein, hatte sie doch nur für einen kurzen Moment den Anschluss verloren.
Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden. Marie blieb stehen, um sich zu orientieren. Dann hörte sie das Geräusch eines knirschenden Absatzes erneut und sie hielt die Luft an.
„Wer ist da?“
Ihre Frage klang ängstlich. Die Worte hingen zitternd in der Luft der einsetzenden Kühle.
Da war es wieder, das Gefühl, als ob jemand ganz nah an ihr vorüberstrich. Erschrocken wich sie zurück. Der Geruch von kaltem Schweiß und Leder wehte ihr in die Nase. Unwillkürlich musste sie niesen.
„Hallo? Was wollen Sie von mir?“
Doch blieb es still, niemand antwortete.
„Nun gut, jetzt reicht es! Wenn Sie mir nichts zu sagen haben, dann lassen Sie mich gefälligst in Ruhe.“
Diese Worte schickte sie dem Unbekannten wütend hinterher, als sie spürte, dass sich dieser rasch von ihr entfernte.
Erstaunt fragte sie sich, woher sie wohl wusste, dass es sich um einen Mann gehandelt hatte. Doch war sie sich sicher, es war der Geruch eines Mannes gewesen, nicht der einer Frau!
Erst ein paar Minuten später atmete sie ruhiger und bemerkte jetzt, wie angespannt sie war. Die Beklemmungen lösten sich nur langsam in ihrer Brust. Marie wandte sich wieder der Kirche zu, deren dunkle Umrisse sich deutlich vor ihr abzuzeichnen begannen, je weiter sie den leeren Platz überquerte.
Plötzlich öffnete sich der rechte Türflügel und das Licht aus dem Innern der Kirche fiel auf den Vorplatz. Erfreut ging Marie darauf zu und betrat den Vorraum. Eine wohltuende Wärme umfing sie und sie legte schützend die Hände um die nackten Arme. Ihr Oberkörper unter dem T-Shirt war völlig ausgekühlt. Unwillkürlich fröstelte sie. Die Nachmittagssonne hatte sie dazu verleitet, die Jacke im Auto zurück zu lassen. Doch längst war die Hitze vorbei und hatte der abendlichen Kühle Platz gemacht.
Die anderen Touristen schienen ihre kurze Abwesenheit nicht bemerkt zu haben. Als der Fremdenführer sich verabschiedete, schloss sich Marie der Gruppe wieder an und ging, geschützt von anderen Besuchern, zum Parkplatz zurück, wo auch ihr Auto stand. Noch vor kurzem hatten sie die oberflächlichen Gespräche der anderen genervt, störten diese doch die Ausführungen über die Historie des Klosters. So war ihr sicher mehr als die Hälfte entgangen. Jetzt allerdings war sie dankbar über die Gespräche, gaben sie ihr doch ein Gefühl von Sicherheit und holten sie in die Normalität zurück.
Erleichtert ließ sie sich auf den Fahrersitz fallen und zog die Autotür fest hinter sich zu. Dann steckte sie den Schlüssel ins Zündschloss, ließ den Motor an und schaltete das Radio ein. Sie lauschte einen Augenblick einem Schlager aus den Siebzigern, der ihr, obwohl überhaupt nicht ihr Geschmack, jetzt die nötige Selbstsicherheit zurückgab.
Als sie langsam die Kupplung kommen ließ, rückwärts ausparkte und sich auf den Weg zu ihrem Gasthof machte, summte sie noch immer mit und freute sich auf die heiße Dusche, die ihr gleich die verlorene Wärme zurückgeben würde. Sie hoffe damit das unheimliche Erlebnis abspülen zu können, was ihr immer noch tief in den Gliedern steckte.
Die Urlaubswoche hatte sie gemeinsam mit ihrer Freundin Eva geplant. Anfangs war Marie tief enttäuscht, als Eva absagen musste. Der Freundin war der Urlaub gestrichen worden, weil sie für eine erkrankte Kollegin einspringen musste. Doch dann hatte Marie beschlossen, sich die Freude nicht nehmen zu lassen und war kurz entschlossen allein gefahren. Die 300 Kilometer Fahrt hatte sie gut gemeistert und sich rasch in dem recht verschlafenen, kleinen Ort zurechtgefunden.
Die Wirtin des Gasthauses war ihr entgegengekommen. Sie hatte das reservierte Doppelzimmer storniert und Marie stattdessen ein Einzelzimmer gegeben, als sie erfuhr, dass ihre Freundin kurzfristig für eine Kollegin im Krankenhaus hatte einspringen müssen.
Heute nun war bereits der dritte Tag, an dem Marie allein unterwegs war. Als die Wirtin ihr die Besichtigung der berühmten Klosteranlage vorschlug, die nur ca. 15 Kilometer vom Gasthaus entfernt lag, hatte sie sofort gespürt, dass sie dorthin fahren musste. Das erwartungsvolle Kribbeln, welches sie bei dem Vorschlag erfasst hatte, ließ Marie keinen Moment lang zögern. Und sie wurde nicht enttäuscht, die Anlage war absolut sehenswert. Allerdings hätte sie nur allzu gern auf die unheimlichen Erlebnisse verzichtet.
Nach der heißen Dusche ging es Marie schon bedeutend besser. So schnell ließ sie sich nicht unterkriegen. Nach dem reichhaltigen Abendessen im Gasthaus beschloss sie, noch eine Runde durchs Dorf zu gehen, bevor sie sich schlafen legte. Ihre Angst hatte sich inzwischen weitgehend gelegt, und so schlenderte sie bedächtig unter den Straßenlaternen die Hauptstraße entlang.
Am Ortsausgangsschild drehte sie um und wählte einen anderen Weg zurück. Die engen, gepflasterten Gassen, in denen sich die vom Alter gezeichneten Fachwerkhäuser eng aneinanderschmiegten, um der Last der Jahrhunderte zu trotzen, wurden durch den Lichtschein, der aus den Fenstern auf das Kopfsteinpflaster fiel, hell erleuchtet.
Neugierig sah Marie in die Fenster und betrachtete das Mobiliar, sofern ihr die Sicht von den Vorhängen nicht versperrt wurde. In den meisten Häusern schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Das hatte etwas Beruhigendes, denn die Hektik der Stadt, der sie täglich ausgesetzt war, war auf Dauer sehr ermüdend.
Gedankenversunken ging sie weiter. Sie hielt den Blick weiterhin auf die rechte Fassadenseite gerichtet, als sie plötzlich zusammenzuckte und stolperte. Im letzten Moment fing sie sich und richtete sich schwer atmend auf. Irgendjemand musste ganz nah an ihr vorübergegangen sein.
„Entschuldigung, ich habe Sie nicht bemerkt.“
Die Worte erstarben ihr auf den Lippen, als sie den Kopf hob und sich umschaute. Sie stand völlig allein auf der Straße! Nur wenige entfernte Wortfetzen aus einem der geöffneten Fenster unterbrachen die Stille.
Beunruhigt beschleunigte Marie ihre Schritte und kehrte eilig zum Gasthof zurück. Für heute hatte sie genug von derart unerklärlichen Begegnungen. Sie suchte ihr Zimmer auf, knipste die Nachttischlampe an, zog sich aus und kuschelte sich unter die Bettdecke.
Jetzt wäre es schön gewesen, Eva an ihrer Seite zu wissen, um mit ihr die Erlebnisse des Tages zu teilen. Gemeinsam hätten sie über Maries wilde Fantasien gelacht und die bodenständige Eva hätte sie bestimmt damit aufgezogen. Doch ihre Freundin war weit weg und nicht erreichbar.
Plötzlich fühlte sich Marie unendlich einsam. Wen konnte sie um diese Uhrzeit noch anrufen? Sie starrte auf ihr Handy, ging ihre Kontakte durch, klappte es dann aber mit einem Seufzer zu und legte es auf den Nachttisch zurück. Sie löschte das Licht. Das Beste war, sich erstmal zu erholen und Abstand zu gewinnen. Morgen würde die Welt sicher wieder anders aussehen.
Doch die erhoffte Nachtruhe blieb aus. Marie fand sich in einem Traum wieder, der realer nicht sein konnte. Sie war wieder im Kloster, lief den Kreuzgang entlang und spürte das Kratzen der Haube auf der Stirn, die ihren Kopf eng umschloss. Durch den steifen, scheuernden Kragen war ihr nur eine aufrechte Kopfhaltung möglich und so hielt sie den Blick starr geradeaus gerichtet. Sie musste sich beeilen, denn sie war spät dran. Die Mutter Oberin war streng und ließ den Novizinnen nichts durchgehen, erzog sie zu unbedingtem Gehorsam und bestrafte jedes noch so kleine Vergehen hart.
Erst gestern hatte sie mit ansehen müssen, wie ihre Bettnachbarin fünf Hiebe auf ihre Handrücken still über sich ergehen lassen musste, weil das Laken ihres Bettes nicht straff genug gespannt gewesen war. Am Abend waren die Hände noch immer rot und geschwollen gewesen.
Nein, das durfte ihr nicht passieren, sie musste unbedingt pünktlich sein. Marie holte tief Luft und beschleunigte ihren Schritt, als sie plötzlich aus der Abtei ein lautes Stöhnen vernahm, dem augenblicklich ein dumpfer Schlag folgte, bevor etwas scheppernd zu Boden fiel.
Mit klopfendem Herzen blieb sie stehen und lauschte. Doch es blieb still. So schlich sie in der morgendlichen Dämmerung näher und spähte vorsichtig durch den kleinen Spalt der angelehnten Tür in den Altarraum. Die Kerzen flackerten und warfen einen unruhigen Schatten auf das düstere Geschehen.
Die Novizinnen knieten am Boden, die Köpfe unter ihren Hauben auf den Boden gesenkt, umringt von einer Schaar bewaffneter Männer, die dicht hinter ihnen einen undurchdringlichen Ring aus reiner Muskelkraft bildeten. Nur eine Nonne stand aufrecht wie ein Fels in der Brandung vor dem Altar und starrte auf den vor ihr stehenden Hünen, der die Hand zum Schlag erhoben hatte.
„Schlag zu, wenn Du Dich traust. Wenn Du mich schlägst, so schlägst Du Dich selbst“, hörte Marie sie ruhig sagen. „Was ihr hier tut, ist Sünde. Ihr dringt in das Haus Gottes ein und vergreift euch an Unschuldigen. Was haben sie euch angetan?“
„Schweig, Hexe.“ Die Worte des Mannes durchschnitten den Raum wie ein Peitschenhieb und verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Nonne kniff die Lippen zusammen und sagte kein Wort mehr.
Die herabsausende Hand traf die mutige Frau mitten ins Gesicht. Durch den brutalen Hieb verlor sie das Gleichgewicht und sackte in sich zusammen. Marie beobachtete, wie sie in Zeitlupe zu Boden ging.
Eines der Mädchen begann zu wimmern. Der Mann, der direkt neben ihr stand, stieß ihr den Dolch gezielt zwischen die Schulterblätter. Ihre Stimme erstarb gurgelnd und sie regte sich nicht mehr.
Entsetzt hielt sich Marie die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien, denn sie spürte, dass sie die Novizin kannte, aus der jetzt das Leben langsam entwich. Sie kniff die Augen zusammen, als ob sie so die Grausamkeit der Tat ausblenden und ungeschehen machen konnte.
Was sollte sie tun? Die Angst packte sie kalt im Nacken und ließ sie erstarren. Vorsichtig öffnete sie die Augen wieder, als sie die Stimme des Anführers vernahm, der seinen Männern ruhig und mit Kälte befahl, die übrigen jungen Frauen zusammenzutreiben und zu fesseln.
„Dann tragt alles zusammen, was von Wert ist“, fuhr er fort. Die Männer folgten ihm aufs Wort.
Kaum hatten sie damit begonnen, als sich die Seitentür öffnete und weitere Nonnen den Kirchenraum zum Morgengebet betraten. Noch bevor sie begriffen, was hier ablief, warfen sich die Männer bereits über sie und drückten sie hart zu Boden.
Was weiter geschah, wollte Marie nicht mehr wissen. Im einsetzenden Tumult floh sie, die gellenden Schreie der verzweifelten Frauen im Ohr, als die Männer gierig über sie herfielen und ihnen die Kleider vom Leib rissen.
Sie rannte den Kreuzgang entlang, die Haube rutschte ihr vom Kopf und fiel unbeachtet zu Boden. Wie von Sinnen setzte sie einen Fuß vor den anderen und fühlte sich von tausend Furien gehetzt. Dicht hinter sich hörte sie plötzlich den keuchenden Atem eines Verfolgers. Die aufkommende Panik verlieh ihren Beinen eine unglaubliche Schnelligkeit und ihre Füße schienen den Boden kaum noch zu berühren.
Sie kannte den Weg, als sie vom Kreuzgang scharf nach links abbog und durch einen Seitengang entwich. Unter der Treppe, die ins Obergeschoss des großen Hauses führte, brachte sie sich schließlich in Sicherheit, während der Mann fluchend an ihr vorüberhastete und vergeblich weiter nach ihr suchte.
Marie machte sich so klein wie möglich, kauerte sich zusammen und legte den Kopf auf die Knie. So harrte sie viele Stunden in ihrem Versteck aus. Vor lauter Erschöpfung schlief sie ein. Sie schreckte erst wieder auf, als ganz in ihrer Nähe eine heisere Stimme flüsterte:
„Ich werde Dich finden, wo auch immer Du Dich versteckst. Ich folge Dir, notfalls bis ans Ende der Welt und wenn ich Dich gefunden habe - dann Gnade Dir Gott!“
Marie erstarrte und wagte kaum zu atmen.
War das der Verfolger, dem sie vorhin erst entkommen war, weil sie das Kloster besser kannte als er? Oder war es jemand völlig anderes, der ihr drohte? Und warum er von einem so zerstörerischen Hass erfüllt, obgleich sie ihm noch nie zuvor begegnet war? Was hatte sie ihm angetan, dass er sogar bereit war, ihr bis ans Ende der Welt zu folgen, um sie zu vernichten?
Dafür gab es keine Erklärung! Sie hatte in ihren siebzehn jungen Lebensjahren doch niemandem etwas zuleide getan, was diesen Hass auch nur annähernd rechtfertigte! Vielleicht lag eine Verwechslung vor und sie war überhaupt nicht gemeint?
Entsetzliches geschah hinter diesen dicken Klostermauern, die sie die letzten zwei Jahre vor allem Übel geschützt hatten, das draußen die Welt beherrschte.
Der Traum zeigte ihr, dass in diesem Moment endgültig etwas zu Ende ging und zerbrach. Ihr Leben würde von nun an eine neue, völlig unbekannte Richtung nehmen. Das Gefühl einer trostlosen Verlorenheit breitete sich in ihrem Herzen aus, als der Traum schließlich endete und sie in einen todesähnlichen Tiefschlaf fallen ließ.
Ruf mich an, dringend
Ungläubig starrte ich auf mein Handy. Die Nachricht, die ich vor Augen hatte, war noch nicht vollständig in meinem Kopf angekommen. Die wenigen Worte waren ein Hilferuf: „Rufe mich sofort an, wenn Du meine Nachricht liest. Bitte, es ist absolut dringend. M.“
War es tatsächlich Marie, die mir schrieb? Immer noch starrte ich auf das Display und realisierte erst ganz allmählich, dass es tatsächlich ihre Handynummer war.
Langsam legte ich mein Smartphone auf den Arbeitstisch, schloss die Augen und atmete tief durch. Eine Welle unterschiedlichster Gefühle überrollte mich. Ich blendete alle Geräusche um mich vollständig aus, die links und rechts von meinen Kollegen kamen.
Vor genau drei Monaten hatte ich es endgültig aufgegeben, mich von der Hoffnung verabschiedet, jemals wieder in diesem Leben von Marie zu hören. Sie wirklich loszulassen war ein langer, mühsamer, zermürbender und tieftrauriger Prozess gewesen - ich musste mich wohl oder übel damit abfinden, dass sie offenbar nichts von mir wissen wollte, nachdem ich ihr unzählige SMS und später auch WhatsApp-Nachrichten geschickt hatte. Die blauen Häkchen zeigten an, dass sie gelesen wurden, doch blieben sie allesamt unbeantwortet.
Als ich schließlich meinen ganzen Mut zusammengenommen hatte und sie anrief, klang sie gehetzt und wirkte abwesend während der wenigen Worte, die wir wechselten. Ihre kurze Antwort hatte sich wie ein Abschied in meine Erinnerung eingebrannt: „Julian, es passt jetzt nicht, ich rufe Dich später zurück.“
Dieses ´später´ hatte es allerdings nie gegeben. Ich wartete vergebens und bis heute hatte sie ihr Versprechen nicht eingelöst.
Unsere kurze Innigkeit, die wir an dem für mich so überaus wichtigen Wochenende an Antonias Geburtstag auf Burg Hohnstein geteilt hatten - als Marie die Bedeutung der lateinischen Inschrift bewusstgeworden war, die sich auf Magdalenas Grab befand - war offenbar schnell wieder verflogen.
Hic amor nos in aeternam.
Cor meum tibi semper Ioannes.
Diese beiden Sätze kannte ich auswendig und würde sie niemals vergessen! Als ich sie in Gedanken wiederholte, tauchte ich ein in meine Erinnerung und befand mich sofort wieder in der Kapelle auf Burg Hohnstein, wo ich diese Worte auf dem Boden kniend, ganz unten auf Magdalenas Grabplatte, entdeckt hatte. Der Geruch abgebrannter Kerzen kitzelte in meiner Nase. Ich wähnte mich wieder im Halbdunkel des beginnenden Tages, ertastete aufgeregt und mit Herzklopfen die Inschrift unter meinen Fingern - und seufzte tief.
Was war das für ein Moment, als ich damals begriff, dass Magdalena und Johannes noch viele glückliche Jahre miteinander gelebt - und ihre gemeinsame Zeit allein mir zu verdanken hatten. War es mir doch gelungen, die Ordnung wiederherzustellen, die mein altes Ich Johannes einst im Mittelalter durcheinandergebracht hatte! Ich erinnerte mich an die Botschaft der Seelen, die sie mir genau hier in der Kapelle mitgeteilt hatten, dass es überhaupt kein Ende gab, sondern alles miteinander über Zeit und Raum verwoben blieb.
Marie und ich waren die Seelen, die im Mittelalter als Magdalena und Johannes gelebt hatten - und somit lebte ihre Liebe zueinander heute in uns weiter - in Marie und mir, Julian.
Aber erinnerte sich Marie wirklich an unsere einstige innige Liebe? Hatte sie die gleichen tiefen Gefühle für mich wie ich für sie? Sicher nicht, ansonsten hätte sie doch auf meine erste SMS reagiert! So musste ich einfach davon ausgehen, dass dieser kostbare Augenblick auf Burg Hohnstein nur für mich von so großer Bedeutung gewesen war. Er hatte mich noch monatelang begleitet, bis ich Marie schließlich schmerzhaft aus meinem Herzen verbannte.
„Julian, alles okay? Kann ich etwas für Dich tun?“
Die besorgte Frage meines Kollegen Olaf und sein sanfter Händedruck auf meiner Schulter, holten mich in die Gegenwart zurück. Ich öffnete die Augen und befand mich wieder im modern eingerichteten Büro der Firma Hinrichs und Partner, als dessen Angestellter ich Werbeblöcke für Großkunden entwarf.
Ich gab mir einen Ruck und drehte mich zu ihm um.
„Danke, Olaf, alles in Ordnung. Ich war nur einen kurzen Moment nicht ganz bei der Sache.“
Ich lächelte ihm zu, griff nach meinem Handy und ließ es in meine Jackentasche gleiten. Ich würde mich später mit Maries Nachricht beschäftigen. Die Arbeit ging vor, schließlich war die nächste wichtige Präsentation bereits in zwei Tagen. Marie musste warten, genau wie ich in den letzten langen, so quälenden Monaten.
Ich holte mir einen Becher Kaffee, setzte mich zurück an meinen Arbeitsplatz und zwang meine Gedanken, sich wieder mit der Vorbereitung auseinanderzusetzen und werbegriffige Slogans zu formulieren. Schließlich wurde ich genau dafür bezahlt.
An diesem Abend wurde es spät. Ich blieb bis Mitternacht im Büro, fiel zuhause hundemüde ins Bett und schlief sofort ein. Mein Handy hatte sich von selbst ausgeschaltet, da der Akku leer war. Das bemerkte ich erst am nächsten Morgen, als ich verschlafen die Augen öffnete. Jemand hatte an meiner Tür Sturm geklingelt und mich so aus dem Bett geworfen. Wie spät mochte es sein?
Eindeutig, ich hatte verschlafen! Warum hatte mein Handy mich nicht wie an jedem Morgen geweckt?
„Sch…“, entfuhr es mir, den Rest des Wortes verschluckte ich, als ich an die Tür eilte und sie aufriss. Ich hatte mir schnell meine Jeans anzogen und war mit nacktem Oberkörper an die Tür gerannt.
„Können Sie bitte das Paket für Ihren Nachbarn annehmen? Der ist nicht zuhause!“
Entgeistert starrte ich dem jungen DHL-Boten ins Gesicht, der mir bereits das Paket für Herrn Müller in die Hände drückte und eifrig auf sein Display tippte. „Sie sind…? Ach ja, hier steht es ja, Sie sind Julian ….“
Meinen Unmut über seine Aktion überhörte er, drückte mir den Plastikstift in die Hand und meinte ungerührt: „Hier unterschreiben, bitte.“
Er ließ mich mit dem schweren Paket zurück. Ich hörte, wie er zwei Treppen tiefer einen Zettel in den Briefkasten einwarf, vermutlich in den von Herrn Müller, bevor die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel.
Erst am Abend kam ich dazu, nochmals in Ruhe Maries Nachricht zu lesen und beschloss, sie zurückzurufen. Doch bevor ich es tat, sammelte ich mich, bereit, ihr in innerer Distanz zu begegnen, um nicht erneut in das tiefe Loch der Enttäuschung hinabzugleiten.
„Hallo - bist Du es wirklich, Julian?“
Ihre Stimme klang ängstlich, abwartend, so, als ob sie unsicher war, mit wem sie sprach.
Ich holte tief Luft und antwortete ebenso leise: „Ja ich bin es, Marie. Wie kann ich Dir helfen?“
„Julian, ich…“, ihre Stimme stockte und ich hörte, wie sie seufzte. „Ich fühle mich, ich bin…“
„Marie, was ist mit Dir los?“
Meine Gefühle ließen sich nicht länger kontrollieren. Ich spürte ihre Angst und mein Wunsch, ihr unbedingt zu helfen, verlieh meiner Stimme einen zärtlichen Klang. „Ich bin für Dich da, Du kannst ganz offen mit mir sprechen!“
Am anderen Ende blieb es still, ich hörte nur ihren schnellen Atem.
„Marie? Bist Du noch da?“
„Können wir uns sehen, Julian? Ich möchte nicht am Handy…“, sagte sie gehetzt.
„Wo bist Du? Ich kann frühestens am Freitag, vorher…“
„Dann könnte es zu spät sein“, unterbrach sie tonlos.
„Ich verstehe nicht ganz. Aber Du kannst sofort zu mir kommen. Du hast doch meine Adresse. Sie steht auf der Visitenkarte, die ich Dir auf Burg Hohnstein gab. Erinnerst Du Dich? Selbstverständlich kannst Du bei mir auch übernachten. Ich habe auch eine Schlafcouch für Gäste“, fügte ich schnell hinzu.
Marie schien zu überlegen, bevor sie leise erwiderte: „Gut, ich werde kommen. Es wird sowieso das Beste sein, wenn ich von hier verschwinde.“
„Wo bist Du?“
„Im Moment im Urlaub in Neuhausen, unweit vom Kloster am Heiligen Berge. Aber ich fühle mich hier nicht mehr sicher. Hier geschehen unheimliche Dinge, ich …“, setzte sie flüsternd hinzu, ohne den Satz zu beenden, so dass ich sie kaum noch verstand.
Ich fragte nicht nach, denn ihre angstvolle Stimme erinnerte mich an meine eigenen Ängste, die mich jahrzehntelang gequält hatten, bis der Magier sie mir vor Augen führte und mir half, mich ihnen zu stellen.
„Gut, abgemacht, dann bis morgen bei mir in der Wohnung! Sobald ich am Vormittag meinen Teil der Präsentation hinter mich gebracht habe, versuche ich die Veranstaltung zu verlassen. Dann treffen wir uns bei mir.
Ich bin für Dich da, Marie, alles wird gut, Du kannst mir vollkommen vertrauen, ich beschütze Dich.“
Mit diesen Worten beendeten wir das Gespräch.
Hatte ich Marie soeben sinngemäß das gleiche Versprechen gegeben, wie Johannes Magdalena vor einigen hundert Jahren? Er hatte ihr damals versichert, sie vor allem Bösen zu beschützen, was auch immer ihr Leben und ihre Freiheit bedrohte!
Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, den inneren Abstand zu ihr zu wahren, klopfte mein Herz bis zum Hals, war es doch das erste Mal, dass ich Maries Stimme wieder hörte - was für ein wunderbares, wohliges Gefühl! Und in nicht einmal vierundzwanzig Stunden würde ich sie wiedersehen. Endlich - ich seufzte hoffnungsvoll und verlor mich nur allzu gern in meinen sehnsuchtsvollen Gefühlen.
Und plötzlich wurde mir bewusst, wie sehr ich sie immer noch liebte. Es war mir also nicht gelungen, meine Liebe zu ihr endgültig aus meinem Herzen zu verbannen, obwohl sie mich so enttäuscht hatte.
Doch halt, ich setzte mich gerade auf und verbot mir augenblicklich weitere Träumereien. Marie wollte mich treffen, aber nicht, weil sie in mich verliebt, sondern weil sie in Not war und meine Hilfe brauchte! Das war ein gewaltiger Unterschied, das sollte ich keineswegs aus den Augen verlieren!
Den Rest der Nacht schlief ich kaum und musste mich am nächsten Vormittag während meines Vortrags vor den Auftraggebern sehr zusammennehmen, damit mir kein Fehler unterlief. Ich hatte mich gründlich vorbereitet - und doch schweiften meine Gedanken fortlaufend ab und wanderten zu ihr. Ich fragte mich, was Marie so sehr verängstigt haben mochte. In welche Probleme war sie nur hineingeraten? Die Antwort würde ich frühestens am Abend erhalten, wenn wir uns trafen.
Als ich endlich die Eingangstür des Mietshauses aufschloss, in dem ich seit gut drei Jahren lebte, hoffte ich, Marie im Treppenhaus vorzufinden, denn draußen goss es Bindfäden. Vielleicht hatte sie einer meiner Nachbarn hineingelassen. Allerdings hatte ich die Straße vergeblich nach ihrem kleinen roten Auto abgesucht, das sie mir beschrieben hatte, bevor wir uns gestern voneinander verabschiedeten.
Ich setzte Wasser auf, nachdem ich enttäuscht feststellen musste, dass sie auch nicht im Treppenhaus vor meiner Haustür saß. Möglicherweise steckte sie noch im Stau fest und kam erst später? Ich versuchte meine Gefühle zu beruhigen, trank den Becher Tee allein und lief unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Ich musste abwarten und mich gedulden.
Als allerdings der Zeiger meiner Armbanduhr mit unendlicher Langsamkeit auf 21 Uhr vorgerückt war, hielt ich es nicht länger aus, griff nach meinem Handy und wählte ihre Nummer.
Gespannt presste ich das Smartphone gegen mein linkes Ohr. Es klingelte endlos. Schließlich gab es ein leises Klicken in der Leitung, welches verriet, dass der Anruf angenommen wurde und ich rief:
„Endlich! Marie, wo bist Du?“
Einen kleinen Moment meinte ich ihre Stimme zu hören, es waren ein paar leise, undeutliche Worte, dann folgte ein Rascheln, als ob ihr das Handy aus der Hand genommen und die Verbindung unterbrochen wurde. Sofort probierte ich es wieder. Je länger das Freizeichen klingelte, desto unruhiger wurde ich - sie nahm nicht ab. Schließlich schaltete sich der Anrufbeantworter mit dem Hinweis ein, die Angerufene wäre derzeit leider nicht erreichbar, würde aber per SMS benachrichtigt.
Was war passiert? Warum antwortete Marie nicht? War ihr unterwegs etwas zugestoßen, oder befand sie sich vielleicht immer noch an ihrem Urlaubsort in Neuhausen?
Erneut lief ich unruhig auf und ab - und meine angstvollen Befürchtungen drehten sich immer schneller im Hamsterrad meiner Gedanken. Schließlich probierte ich es ein drittes Mal, doch auch jetzt war sie nicht zu erreichen.
Ich hatte nichts von ihr, außer ihrer Handynummer. In meiner ohnmächtigen Ungeduld zerknüllte ich ein Stück Papier und schleuderte es in die Ecke.
Stimmt nicht, Julian, vernahm ich plötzlich. Die Stimme kam mir bekannt vor, doch ich konnte sie nicht zuordnen. Überrascht hob ich den Kopf, blieb stehen und unterbrach meine rastlose Wanderung. Ich war allein in meiner Wohnung - oder etwa doch nicht?
Misstrauisch überprüfte ich sofort mein Schlaf- und mein kleines, enges Arbeitszimmer, in dem auch die Schlafcouch für Übernachtungsgäste stand.
„Wer ist da?“
Nach erfolgloser Suche blieb ich irritiert in meinem kleinen Flur stehen, der alle drei Zimmer miteinander verband, und lauschte an der Haustür.
Ach, Julian, hast Du es tatsächlich vergessen? Erinnere Dich, dass es uns beiden möglich ist, auch auf andere Weise miteinander zu kommunizieren, als allein nur durch das gesprochene Wort.
Ich schreckte hoch, die Stimme sprach tatsächlich zu mir - in meinem eigenen Kopf!
Na, endlich, das wurde auch langsam Zeit!
Diesen amüsierten Tonfall erkannte ich jetzt, natürlich, es war der Magier!
„Du?“
Mehr brachte ich vor Erstaunen nicht heraus.
Aber sicher doch, ich bin es! Hatte ich Dir bei unserem Abschied auf Burg Hohnstein nicht versprochen, dass wir uns wieder begegnen werden, wenn die Zeit dafür reif ist?
„Ja…, kann sein. Im Moment bin ich ziemlich durcheinander“, stotterte ich. „Magdalena ist in Gefahr und braucht mich, aber ich kann sie nicht am Handy erreichen.“
Marie, korrigierte der Magier sanft. Es ist Marie, die Dich braucht, nicht Magdalena.
Ja, natürlich, Marie. Wie komme ich nur auf Magdalena?
Weil gerade sämtliche Gefühle in Dir wie in einem Sturm mächtig durcheinandergewirbelt werden, beantwortete er meine rein gedanklich gestellte Frage.
Ich musste mich erst wieder daran gewöhnen, dass der Magier in meinem Kopf lesen konnte wie in einem offenen Buch.
Ja, Julian, Du musst Dich erst wieder daran gewöhnen. Du möchtest wissen, was jetzt zu tun ist?
Aber ja, ich habe ja nur Magda… - Maries Handynummer, korrigierte ich schnell. Wie kann ich sie erreichen?
In diesem Augenblick wurde der Magier für mich sichtbar und stand mitten in meinem Wohnzimmer, direkt vor der Balkontür. Er sah noch genau so aus, wie ich ihn in meiner Erinnerung hatte: Er trug seinen weiten, grauen unverwechselbaren Umhang über einer einfachen, dünnen Stoffhose. Seine Füße steckten in weichen, etwas abgetragenen, hellen Lederstiefeln, die halbhoch die Waden bedeckten. Die leicht aufgestellte, gewellte Krause des Umhangs umschloss seinen fast faltenlosen Hals. Seine weißen, blinden Augäpfel schienen mich genauestens zu fixieren, während ich ihn von oben bis unten mit offenem Mund anstarrte.
„Nun, Julian, hast Du genug von mir gesehen?“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und ich hörte seine Stimme jetzt außerhalb meines Kopfes - meine Augen konnten verfolgen, wie sich seine Lippen bei jedem seiner Worte bewegten.
„Ich glaube, diese Art der Kommunikation gefällt Dir besser, oder?“
„Nein - ja doch - das ist im Moment wirklich einfacher für mich“, stotterte ich verlegen.
„Ja, das ist verständlich. Schließlich bist Du nach unserer gemeinsamen Reise zu Johannes und Magdalena längst wieder vollständig in der Jetztzeit angekommen und lebst Dein derzeitiges Leben“, entgegnete er sanft.
„Nicht ganz.“
Jetzt war ich wieder in meiner Mitte, absolut klar im Kopf und fuhr fort: „Ich habe außerordentlich viel gelernt bei unseren Abenteuern im Mittelalter. Über mich selbst und Johannes. Und über die Kraft der Liebe. Über all die unsichtbaren und doch so spürbaren Verabredungen und gegenseitigen Versprechungen, die über verschiedene Leben hinweg reichen - und uns bis in die Gegenwart bewegen, beeinflussen und immer noch prägen!“
Ich schwieg einen nachdenklichen Moment, bevor ich sagte: „Dieses Wissen um all das Unbegreifliche - die Erfahrungen und anderen Dinge, die ich nicht näher benennen kann - trage ich in mir, hier!“
Ich zeigte auf mein Herz, legte die linke Hand flach auf meine Brust und spürte, wie mein Herz jetzt wieder ruhig und entspannt schlug.
Der Magier nickte und schwieg ebenfalls. Auf besondere Weise waren wir wieder miteinander verbunden, wie damals im Zeitentunnel - und das altvertraute Gefühl, mich ganz und gar auf ihn verlassen zu können, schenkte mir jetzt das gute Gefühl neuer Zuversicht.
Es war weit nach Mitternacht, bevor ich zur Ruhe kam. Der Magier hatte mir mitgeteilt, dass Marie nicht kommen würde, aber darauf hoffte, dass ich zu ihr an den Urlaubsort führe. Er erinnerte mich daran, dass sie mir den Namen des Ortes genannt hatte. Da es dort nur einzigen Gasthof gab, würde sie also leicht zu finden sein.
„Sie braucht Dich wirklich, Julian, aber mehr darf ich Dir nicht sagen - das wirst Du allein herausfinden. Nimm Dir morgen und die restliche Woche Urlaub. Gib in der Werbeagentur an, dass es sich um einen familiären Notfall handelt, weshalb Du so kurzfristig der Arbeit fernbleibst. Die Präsentation hast Du heute bestens gemeistert, so wird die Agentur den Vertrag aufgrund Deines heutigen Vortrags erhalten. Also mache Dir keine Gedanken, Du wirst den Urlaub bekommen. Leg Dich jetzt schlafen, packe morgen früh ein paar Kleidungsstücke zusammen und fahre los.“
„Und Du, wirst Du mich begleiten, mein Freund?“
„Ich werde da sein, wenn es nötig wird, aber zunächst kommt ihr beide ganz gut allein zurecht.“
Er nickte mir zu, drehte sich auf dem Absatz um, so dass sein Umhang sich um ihn herum in einem leichten Wirbel bauschte, ging zielstrebig auf die Balkontür zu und war im nächsten Moment verschwunden.
Ich lächelte, trotz meiner Sorge um Marie. Seine Art zu gehen, erinnerte ich jetzt wieder - hatte er sich doch auf diese Weise oft genug von mir so im Mittelalter verabschiedet.
Der Mann im Café
Marie schreckte hoch. Die Bilder ihres Traumes hatten sich nicht aufgelöst, so dass ihr das Grauen noch immer fest im Nacken saß.
Sie warf die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett und schaute sich vorsichtig um. War sie wirklich allein im Zimmer? Vorsichtig drückte sie den Türgriff nach unten und prüfte, ob die Zimmertür noch verriegelt war, die sie am späten Abend ängstlich von innen abgeschlossen hatte. Erst als sich die Tür tatsächlich nicht öffnen ließ, atmete sie wieder ruhiger.
Alles, was sie seit ihrer gestrigen Besichtigung der Klosteranlage erlebte, war äußerst beunruhigend: Das Gefühl beobachtet, sogar verfolgt zu werden, die Stimme im Kreuzgang, die zu niemandem gehörte, sie aber ganz direkt ansprach, die unheimliche Berührung auf ihrem nächtlichen Spaziergang durchs Dorf - und schließlich als krönender Abschluss dieser Traum, der so real war, dass er sie jetzt noch mit Entsetzen erfüllte, wenn sie an ihn dachte. Eigentlich konnte es nicht sein, aber war sie vielleicht tatsächlich in Gefahr? Sollte sie lieber ihren Koffer packen und den Urlaub vorzeitig abbrechen?
Sie musste unbedingt mit jemandem darüber sprechen, sich Rat holen. Doch mit wem? Ihr fiel niemand ein, der ihr diese seltsamen Geschichten glauben würde. Angestrengt dachte sie nach. Einem Impuls folgend, griff sie nach ihrem Handy und tippte eine SMS. Doch dann zögerte sie. Sollte sie sie wirklich abschicken und Julian damit behelligen, nachdem sie so lange geschwiegen hatte?
Unschlüssig biss sich Marie auf die Unterlippe.
In diesem Moment flog ein Vogel gegen das gekippte Fenster. Sie zuckte zusammen, hob ruckartig den Kopf und sah eine kleine schwarze Feder langsam auf den Teppichläufer direkt vor ihren Füßen herabschweben. Dort blieb sie liegen. Was hatte das zu bedeuten? War auch das nur ein Zufall?
Entschlossen drückte sie die Taste ´senden´ und schickte den Hilferuf ab. Hoffentlich würde Julian ihn überhaupt lesen - und sie anrufen!
Der Vormittag lief ereignislos an ihr vorüber. Obwohl sie sich langweilte, war Marie gleichermaßen erleichtert, erstmal von weiteren unheimlichen Vorfällen und Begegnungen verschont zu bleiben. So hatte sie Zeit, über vieles nachzudenken.
Erst gegen Mittag setzte sie sich in ihr kleines Auto, fuhr über Land und genoss die schöne Landschaft. Doch schließlich war es genug. Sie setzte sich irgendwo in einem der vielen kleinen Orte in ein Café und bestellte sich einen Latte Macchiato.
Wieder einmal sah sie auf ihr Handy, doch Julian hatte nicht reagiert. Sie prüfte den Ton, damit sie den Anruf nicht überhörte, oder den Eingang einer SMS. Der Ton war lautgestellt und so legte sie schließlich das Smartphone neben sich und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte.
„Nervös?“
Das eine Wort holte sie aus ihren Gedanken.
Am gegenüberstehenden Tisch saß ein älterer Mann, der sie schon länger beobachtet haben musste. Er lächelte gewinnend und um seine seltsam gelblich wirkenden Augen bildete sich ein Kranz aus lauter kleinen Fältchen.
Marie starrte zurück. Irgendetwas in ihr sträubte sich mit aller Macht. Sie spürte eine starke Abneigung, die sie sich nicht erklären konnte, denn der Mann hatte ihr nichts getan. So erwiderte sie lediglich mit höflicher Distanz:
„Nein, bin ich nicht. Danke der Nachfrage.“
Sie wandte sich ab und sah interessiert durch die große Glasscheibe des Cafés, in der Hoffnung, dem Mann am Nachbartisch würde diese Antwort genügen. Doch sie hatte nicht mit seiner Hartnäckigkeit gerechnet.
„Sind Sie allein unterwegs oder erwarten Sie noch jemanden?“
Er schnippte in aller Ruhe die Asche von der Zigarettenspitze und blieb vollkommen ungerührt, als Marie giftig erwiderte: „Geht Sie das etwas an? Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten und lassen Sie mich gefälligst in Ruhe.“
Ihr Tonfall war scharf und abweisend. Allerdings ließ sich der Zurechtgewiesene davon nicht abschrecken, sondern fragte sanft: „Warum so aggressiv, junge Frau? Sie sollten dankbar sein, wenn jemand größeres Interesse an Ihnen zeigt.“
„Dankbar bin ich, wenn Sie mich in Ruhe ließen und sich nicht in Dinge einmischen würden, die Sie nichts angehen!“
Der Blick, den der Mann ihr daraufhin zuwarf, wirkte belustigt. „Ach, ist das so? Und woher wollen Sie wissen, dass mich Ihre Angelegenheiten nichts angehen?“
Jetzt wurde es Marie zuviel. Entschlossen stand sie auf, würdigte ihn keines einzigen Blickes mehr, zahlte den nur halb getrunkenen Milchkaffee und verließ mit hoch erhobenem Kopf das Café.
Sollte er sich seine Fragen doch sonst wo hinstecken!
Ohne sich umzudrehen, ging sie auf ihren Wagen zu. Sie spürte seine Blicke im Nacken, die jedem einzelnen ihrer Schritte durch das Fenster folgten. Sie setzte sich auf den Fahrersitz und zog mit viel Schwung die Tür zu. Welche Unverschämtheiten sich dieser Kerl ihr gegenüber herausnahm. Einfach zu behaupten, dass ihre Angelegenheiten ihn etwas angingen! Das taten sie ganz und gar nicht. Unglaublich!
Verärgert schlug sie gegen das Lenkrad. Der leichte Schmerz, der ihre linke Hand augenblicklich durchfuhr, tat gut und befreite sie von ihrer hilflosen Wut.
Noch einmal atmete sie mit Nachdruck aus und startete dann den Motor. Erst zwei Ortschaften später hielt sie mitten im Ortskern an und fühlte sich wieder frei. Nun war sie den aufdringlichen Mann endgültig los, er konnte sie nicht mehr behelligen!
Die große Kirche lud sie geradezu ein. Die Besichtigung würde sie von dem eben Erlebten ablenken und ihr die nötige Gelassenheit zurückgeben. Sie musste nur hineingehen und sich in den halbdunklen Kirchenraum setzen. Schon kurze Zeit später verspürte Marie auf der harten Bank tatsächlich wieder mehr Leichtigkeit und bekam Abstand zu den Unverschämtheiten dieser aufdringlichen Person. Sie war allein in der Kirche, bis sich jemand an die Orgel setzte, die über dem Eingang auf der Empore stand, und zu spielen begann. Die Bachcantate perlte über die Tasten wie Wasser über die Steine eines Bachlaufs. Die Musik rührte sie zu Tränen. Sie ließ sie die Wangen herablaufen, ohne sie abzuwischen. Die Tränen würden sie von den restlichen unguten Gefühlen befreien! Die Melodie schien sie sanft zu umarmen und schenkte ihr Frieden. Das erste Mal an diesem Tag fühlte sie sich wieder unbeschwert. Denn mit der Musik löste sich auch das Grauen des Traumes in ihr auf und machte einem Lächeln Platz. So blieb sie sitzen bis die Orgel schwieg und sich die Stille im gesamten Kirchenschiff ausbreitete. Erst dann stand sie auf und ging langsam hinaus.
Draußen umfing sie gleißendes Sonnenlicht, so dass sie geblendet die Augen zusammenkniff. Sie musste erst einen Augenblick in die geschäftige Außenwelt zurückkehren, bevor sie wieder Teil von ihr werden konnte.
Seit sie das Café überstürzt verlassen hatte, überprüfte sie nun zum fünften Mal, ob eine Nachricht eingegangen war. Doch sie musste feststellen, dass Julian noch immer nicht reagiert hatte. Grübelnd hielt sie das Handy in der Hand. Vielleicht wollte er nichts mehr von ihr wissen, weil sie den Kontakt bislang zu ihm vermieden hatte, trotz ihres Versprechens, sich bei ihm zu melden?
Es wäre sein gutes Recht, ihren Hilferuf vollständig zu ignorieren! Doch der Gedanke, er würde nicht antworten, beunruhigte Marie zunehmend. Nichts zog sie zurück in ihr Zimmer im Gasthof, das ihr plötzlich zu klein und stickig vorkam. Dort würden sie nur die Gedanken an den Alptraum wieder heimsuchen, dem sie nicht hatte entkommen können. So blieb das Zimmer in ihrer Vorstellung fest mit diesem Alptraum verbunden.
Langsam setzte die Dämmerung ein und Marie beschloss spontan, unterwegs Essen zu gehen. Ziellos fuhr sie durch mehrere Orte, bis ihr die blaue Beleuchtung eines griechischen Restaurants ins Auge fiel, das Gemütlichkeit versprach. Sie fand einen leeren Tisch, setzte sich und bestellte Gyros mit Pommes frites und Krautsalat. Dazu ein Glas Retsina.
Das Essen war lecker, das Fleisch gut durch, die Pommes knackig und der Krautsalat frisch zubereitet. Nach dem guten Essen fühlte sich Marie satt, ein wenig träge und war wieder versöhnt mit dem Tag. Das leise Gemurmel der Gespräche an den Nachbartischen hatte eine einschläfernde Wirkung. Die Wärme im Raum tat ein Übriges und Marie schloss für einen Moment entspannt die Augen. So konnte der Rest der Woche gerne weitergehen. Gewiss würde sie dieses Restaurant nochmals aufsuchen. Sie liebte die griechische Küche. Mit einem zufriedenen Lächeln öffnete sie die Augen und sah sich um.
Doch plötzlich erstarrte sie. Am gegenüberstehenden Tisch saß doch tatsächlich der Mann aus dem Café und blickte aufmerksam zu ihr herüber! Mit einem Schlag war sie hellwach und eine Welle der Angst überrollte sie. Sie beherrschte sich, um nicht sofort aufzuspringen und davonzulaufen. Dieser Kerl machte ihr wirklich Angst! Das konnte nicht sein, sie war doch den Rest des Tages durch die Gegend gefahren und wusste bis vor gut einer Stunde selbst noch nicht, dass sie hier einkehren würde. Das ließ sich nun nicht mehr als Zufall abtun. Verfolgte er sie etwa? Was wollte er wirklich von ihr?
Sie richtete ihren Blick bewusst auf einen der anderen Tische, um ihre Fassung zurückzugewinnen. Als sie erneut hinübersah, war der Mann verschwunden - wie vom Erdboden verschluckt. Der Tisch war leer und sauber, das Glas Bier, das vor ihm gestanden hatte, gab es auch nicht mehr!
Sie wischte sich über die Augen. War alles nur Einbildung oder hatte der Mann aus dem Café tatsächlich bis eben dort gesessen? So schnell konnte er doch nicht gegangen sein! Verwirrt schüttelte sie den Kopf und wusste nicht, ob sie erleichtert oder beunruhigt sein sollte.
Gerade war sie im Begriff aufzustehen, als es klingelte. Sie griff nach dem Handy und setzte sich wieder. Endlich, es war Julian! Sie konnte sich nichts Schöneres wünschen, als jetzt seine vertraute Stimme zu hören. Das war nach dem eben erlebten Schrecken eine Wohltat!
Das Gespräch beruhigte sie. Marie zahlte rasch und fuhr ohne Umwege zum Gasthof zurück. Als sie wieder in ihrem Zimmer war, verschloss sie sorgfältig die Tür hinter sich. Am liebsten hätte sie sofort ihren Koffer gepackt und wäre losgefahren, doch die Aufregungen des Tages hatten sie viel zu viel Kraft gekostet. Außerdem sollte sie auch das Glas Wein berücksichtigen, welches sie zum Essen getrunken hatte. Für die kurze Fahrt hierher ging das sicher in Ordnung, doch für eine längere Wegstrecke war es nicht gut. Es reichte bereits wenig Alkohol und sie war beschwipst. Aber gleich morgen nach dem Frühstück würde sie aufbrechen. Die Vorstellung, Julian bald an ihrer Seite zu wissen, gab ihr ein Gefühl der Sicherheit.
Doch kam es anders als geplant.
Die Nacht blieb ruhig. Irgendwann war Marie eingeschlafen und wurde erst durch das geschäftige Treiben auf der Straße wach. Sie packte den kleinen Koffer, ließ ihn aber zunächst im Zimmer zurück. Sie würde vor der langen Fahrt nach Frankfurt noch in aller Ruhe frühstücken, zum Tanken fahren, anschließend den Koffer holen und erst dann auschecken.
Doch als sie den Parkplatz betrat, stellte sie entsetzt fest - ihr kleines rotes Auto war verschwunden. Nirgendwo war es zu sehen. Sie hatte es doch erst gestern genau hier abgestellt! Panisch hastete sie die Hauptstraße entlang und schaute sich um. Das konnte nicht wahr sein! Systematisch suchte sie jede Straße ab, doch ihr Auto war und blieb unauffindbar. Demnach musste es jemand gestohlen haben. Vielleicht, um sie hier festzuhalten? Eine andere Erklärung gab es nicht. Ihr Kleinwagen war zu alt, um ihn noch profitabel verkaufen zu können. Das wäre das Risiko sicher nicht wert gewesen.
Marie war so schockiert, dass die Beine ihr den Dienst versagten. Sie atmete hastig und ihr wurde schwindelig. Mit letzter Kraft schaffte sie es zurück ins Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Dann sackte sie in sich zusammen und es wurde dunkel um sie.
Sie fiel immer tiefer und tauchte ein in eine fremde, dunkle Welt voller unbekannter Geräusche, in der ihr Schatten begegneten, an ihr vorüberschwebten, und vor denen sie sich am liebsten vor lauter Angst verkrochen hätte. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, teilte ihr eine Männerstimme eindringlich mit, sie könne sich verstecken, wo immer sie wolle, er würde sie finden - überall, selbst am Ende der Welt oder darüber hinaus. Es würde ihr nicht gelingen, zu entkommen, niemals.
Ein Wiedersehen
Hastig trank ich den letzten Schluck Kaffee, stellte den Becher zurück in die Küche und schloss meine Haustür leise hinter mir ab, um die Nachbarn nicht zu wecken. Schließlich war es gerade mal halb vier und draußen noch vollständig dunkel. Meine Tasche, bepackt mit dem Allernötigsten, trug ich über der Schulter, als ich das Treppenhaus verließ und mit schnellen Schritten zu meinem Auto hinüberging. Fröstelnd knöpfte ich meine Jacke zu. Es war noch kühl so früh am Morgen.
Um diese Zeit war noch nicht viel los auf den Straßen, der Berufsverkehr setzte erst später ein. So kam ich gut durch die Frankfurter Innenstadt und war schnell auf der Autobahn. Mein Navi zeigte, dass 445 Kilometer Fahrt vor mir lagen. Mehr als die Hälfte würde ich auf der Autobahn zurücklegen, die restliche Strecke auf Landstraßen.
Der Magier zeigte sich nicht mehr, nachdem er gestern überraschender Weise wieder aufgetaucht war - mein alter, weiser Berater und Freund, ohne den ich damals auf Burg Hohnstein weder ins Mittelalter gekommen wäre, noch dort überlebt oder zurückgefunden hätte in mein heutiges Leben!
Inzwischen war ich fest davon überzeugt, dass Marie in eine ebenso mysteriöse Geschichte hineingeraten war wie ich damals. Warum sonst hätte sich der Magier bei mir melden sollen und mich dazu aufgefordert, gleich heute früh zu ihr zu fahren?
So hoffte ich inständig, Marie bald zu finden und in die Arme schließen zu können.
Ich musste mich auf meine Erfahrungen verlassen, setzte aber gleichzeitig auf meine Intuition, die ich erst im Mittelalter so richtig zu schätzen gelernt hatte.
Als es hell wurde, hielt ich an und gönnte mir eine kleine Kaffeepause. Bis auf wenige Trucker, die schläfrige Kassiererin und mich, war so früh noch niemand in der Raststätte. Die Männer unterhielten sich leise und ich fühlte mich wohl in ihrer Nähe. So beschloss ich, mir noch ein belegtes Brötchen zu genehmigen, bevor ich weiterfuhr.
Fast 380 Kilometer hatte ich bereits zurückgelegt und war bisher gut vorangekommen. An der übernächsten Ausfahrt schon würde ich die Autobahn verlassen. Doch kaum lag sie hinter mir, setzte der Regen ein und die Fahrt wurde anstrengend. Ich kam nur schleppend voran und bemerkte plötzlich meine Müdigkeit. Die letzte Nacht hatte ich kaum geschlafen, und die anstrengenden Tage davor forderten jetzt ihren Tribut von mir.
Ich gähnte ausgiebig und öffnete das Seitenfenster. Der kalte Luftzug half und ich wurde wieder wacher. Meine Gedanken kreisten wieder ununterbrochen um Marie und ließen sich trotz des zunehmenden Verkehrs nicht zurückdrängen.
Würde ich sie überhaupt finden, nach dem gestrigen abrupt beendeten Telefonat? Und wenn es so war, in welchem Zustand würde sie sein? Hatte sie vielleicht doch mehr Gefühle für mich, die über ihren Hilfeschrei hinausgingen? Oder würde sie mich auslachen, wenn ich ihr meine Liebe gestand? Sollte ich das überhaupt tun oder machte ich mich damit nur zum Clown?
Meine Gedanken wanderten weiter zurück zu Magdalena. Ich sah sie wieder vor mir - in ihrer mittelalterlichen Kleidung, als ich das erste Mal auf sie traf und irrtümlich davon ausgegangen war, es wäre Marie, wie sie hochmütig zwischen ihren jungen Hofdamen stand und sich ihres Standes vollkommen bewusst war. Erst kurz davor war ich kopfüber in ihr Leben gestolpert und musste gleich in Gestalt meines mittelalterlichen Ichs, als Johannes der Falkner, sie und die Damen auf Befehl ihres Vaters in die Sicherheit des Burgfrieds bringen, damit ihnen während des Überfalls nichts geschah. Dabei wusste ich damals noch nicht einmal, wo sich dieser Burgfried überhaupt befand.
Ich lächelte, als mir die Erinnerungen wieder so deutlich vor Augen traten. Auf der Suche nach dem Burgfried hatte ich mich ihr angeschlossen - und nicht umgekehrt. Ich kannte mich auf der Burg nicht aus und war deshalb froh, als sie energisch die Führung übernommen und mir den Weg dorthin gezeigt hatte.
Hinter mir hupte es mehrmals und ich schreckte hoch. Unmerklich hatte ich das Tempo verlangsamt und der Fahrer hinter mir war ungeduldig geworden. Im Rückspiegel sah ich, wie er laut schimpfte und gestikulierte. Also trat ich aufs Gaspedal und schloss wieder zum Wagen davor auf. Nun lagen nur noch 47 Kilometer vor mir.
Ich verbot mir, wieder in meinen Erinnerungen zu versinken und konzentrierte mich jetzt voll und ganz auf die Gegenwart - und die hieß Marie und nicht Magdalena.
Die letzten Kilometer zogen sich endlos hin. Durch den starken Regen nahm ich inzwischen außer der Straße direkt vor mir nichts mehr wahr. So war ich erleichtert, als ich endlich die kleine Ortschaft erreichte und nach dem einzigen Gasthof Ausschau hielt. Ich entdeckte ihn und steuerte den Parkplatz an.
Maries kleines rotes Auto allerdings war nirgends zu sehen. Unsicher stieg ich aus. War sie vielleicht doch abgereist und wir hatten uns verfehlt?
Von der Wirtin erfuhr ich, dass sie am Morgen gefrühstückt und anschließend wieder in ihr Zimmer zurückgekehrt war. Demnach musste sie noch hier sein!
Aufgeregt nahm ich zwei Stufen auf einmal und suchte im ersten Stock nach der Zimmernummer 4. Ich zitterte nervös und zögerte, bevor ich an die Tür klopfte.
Doch nichts geschah. Hatte sie es überhört? Ich verstärkte mein Klopfen und rief ihren Namen, aber sie reagierte nicht. Jetzt pochte ich mit der Faust gegen das Holz, so dass die nebenliegende Tür aufsprang und mich der Zimmernachbar wütend anstarrte.
„Geht das nicht leiser? Denken Sie doch an die anderen Gäste. Sie sind schließlich nicht allein hier“, herrschte er mich an.
„Entschuldigung. Haben Sie vielleicht die Zimmernachbarin gesehen, die hier neben Ihnen wohnt?“
„Gestern zuletzt, heute noch nicht“, brummte er und zog seine Tür hinter sich wieder ins Schloss.
Ich lief nach unten und bat die Wirtin, mir Maries Zimmertür zu öffnen. Denn die war verschlossen, das hatte ich zuvor überprüft.
Misstrauisch betrachtete sie mich von oben bis unten. Doch letztlich konnte ich sie überzeugen und so betraten wir Maries Zimmer gemeinsam.
Rasch verschaffte ich mir einen Überblick. Der sorgfältig gepackte Koffer lag geöffnet auf dem kleinen Tisch, ihre Handtasche dagegen auf dem Boden. Der Inhalt war überall auf dem Läufer verstreut. Jemand musste ihre Tasche geöffnet und nach etwas gesucht haben, wenn sie es nicht selbst gewesen war. Doch würde Marie deshalb alle Gegenstände auf dem Boden verstreuen? Oder hatte jemand ihr die Tasche entrissen und den Inhalt mutwillig überall verteilt?
Und plötzlich entdeckte ich Marie. Sie lag langgestreckt auf dem Bauch, ihr Kopf merkwürdig zur Seite gedreht, die Arme über den Kopf gestreckt, die Augen fest verschlossen. Und sie rührte sich nicht. Ein eisiger Schrecken durchfuhr mich, denn plötzlich hatte ich wieder das Bild von Magdalena vor meinem inneren Auge, wie ich sie auf der Folterbank angekettet, im Verlies von Burg Hohnstein vorgefunden hatte. Sofort war ich neben dem Bett, kniete mich hin und fühlte Maries Puls. Ich seufzte erleichtert.
Sie atmete flach, schien aber weit weg zu sein. Hatte man sie etwa unter Drogen gesetzt? Vorsichtig drehte ich sie auf den Rücken und deckte sie zu. Ihre Hände waren eiskalt und sie rührte sich immer noch nicht.
„Oh Gott, was ist hier passiert? Soll ich einen Arzt rufen oder besser gleich die Polizei?“
Ach ja, die Wirtin, die hatte ich völlig vergessen. Ich drehte mich zu ihr um und schaute der entsetzten Frau beruhigend in die Augen.
„Ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich kümmere mich um Marie. Wären Sie so freundlich und würden ihr eine Tasse mit heißem Tee aufs Zimmer bringen?“
„Hoffentlich geht es Ihrer Freundin bald wieder besser. Natürlich, der Tee, selbstverständlich, den bringe ich sofort!“
Sie eilte aus dem Zimmer und ich war froh, einen Moment mit Marie allein zu sein. Ich setzte mich zu ihr aufs Bett, nahm ihre rechte Hand zwischen meine eigenen und massierte sie sanft.
„Marie? Ich bin´s, Julian. Hörst Du mich?“
Es brauchte eine Weile, bis es mir gelang, sie zu erreichen. Erstaunlich, wie gelassen ich plötzlich wurde. Meine eigene Müdigkeit war augenblicklich verflogen, als ich sie hilflos auf dem Bett liegen sah. Ich hatte sofort begriffen, dass sie nicht auf ärztliche Hilfe angewiesen war. Mit ihr war etwas geschehen, bei dem sie etwas anderes brauchte - und genau das konnte ich ihr geben.
Nach einigen Minuten streckte sie sich, seufzte tief und öffnete langsam die Augen. Einen kurzen Moment war ihr Blick völlig leer, doch dann füllte er sich mit Leben als sie mich entdeckte. Sie richtete sich vorsichtig auf und sah sich misstrauisch um.
„Sind wir allein, Julian?“
Als sie meinen Namen aussprach, durchströmte mich ein Glücksgefühl. Ich drückte sanft ihre Hand.
„Ja, Marie. Hab keine Angst, außer uns ist niemand hier, wir sind allein.“
„Gott sei Dank“, mehr brachte sie nicht heraus.
Ich wusste, dass es zu früh war, nach ihren Erlebnissen zu fragen und brachte ihr deshalb schweigend den heißen Tee, den die Wirtin inzwischen neben den Koffer auf den kleinen Tisch gestellt hatte, bevor sie das Zimmer wieder schweigend verließ.
Marie betrachtete mich voller Dankbarkeit und ich musste darauf achten, mich nicht in ihren blauen Augen zu verlieren. Daher wendete ich mich rasch ab, schaute mich im Zimmer um und entdeckte direkt vor meinen Füßen eine kleine, schwarze Feder.
„Oh, was haben wir denn hier?“
Mein erstaunter Ausruf ließ Marie kerzengerade in die Höhe fahren. Die ruckartige Bewegung musste ihr wehtun, denn sie legte die linke Hand an die Schläfe und stöhnte. Dann ließ sie sich gegen die Rückwand des Bettes sinken und starrte entsetzt auf meine Hand, in der die schwarze Feder lag.
Ich wartete gespannt und betrachtete sie mitfühlend.
„Dir brummt der Schädel, oder?“
„Ja, als ob mich jemand von hinten niedergeschlagen hätte.“
Vorsichtig tastete sie nach der kleinen Beule am Hinterkopf und meinte: „Könnte sein, dass ich mich irgendwo gestoßen und es gar nicht bemerkt habe.“
Als der Schmerz nachließ wurde sie munterer, zog die Beine an den Körper und schlang beide Arme um sie. Der Tee schien eine belebende Wirkung auf sie zu haben. Doch wartete ich weiter geduldig, bis sie bereit war zu sprechen.
Immer noch hielt ich die Feder zwischen meinen Fingern. Als sie erneut den Blick darauf richtete, erstarrte sie und sah mich intensiv an.
„Leg sie bitte weg. Sie macht mir Angst!“
Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch und ich bemerkte ihre Unruhe.
Vorsichtig legte ich die Feder neben ihren geöffneten Koffer auf den Nierentisch und ließ mich auf dem gemütlich-altmodischen Sessel nieder, der dem Bett gegenüberstand.
Es brauchte eine Weile, bis Marie zu erzählen begann. Aufmerksam hörte ich zu und unterbrach sie nicht. Ich bemerkte, wie sehr es sie mitnahm, denn ihre Wangen, gerade eben noch von einer fahlen Blässe überzogen, röteten sich zunehmend und ihre Stimme zitterte wieder.
Während sie sprach wurde ich immer sicherer, dass auch sie in etwas hineingeraten war, was nicht allein nur mit ihrem heutigen Leben zusammenhing. Den ersten Hinweis hatte ich ja bereits erhalten, als sich der Magier gestern bei mir gezeigt hatte.
„Und was ist gestern Abend geschehen, als ich Dich anrief, um zu fragen, wo Du bist? Das Gespräch wurde plötzlich unterbrochen und Du bist beim zweiten Mal nicht mehr ans Handy gegangen“, fügte ich vorsichtig hinzu, als sie nicht darauf reagierte.
Einen Augenblick sah sie mich entgeistert an und schüttelte dann langsam den Kopf.
„Du hast mich noch einmal angerufen? Ich erinnere mich nur an unser Gespräch im Restaurant. Von einem weiteren Anruf weiß ich nichts.“
„Und woran erinnerst Du Dich?“
„Ich kam zurück, schloss die Zimmertür hinter mir ab und legte mich ziemlich bald ins Bett. Aber ich konnte nicht einschlafen. Den Rest der Nacht muss ich dann wohl doch eingenickt sein. Wer weiß ich nicht“, stieß sie hastig hervor.
Ich schwieg und sie sah mich in höchster Sorge an: „Was war denn überhaupt los?“
„Ach, halb so wild, vielleicht hatte ich mich verwählt und jemand anderes war dran“, wiegelte ich ab, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen. Insgeheim aber war ich mir absolut sicher, sie angerufen zu haben, denn ihre Nummer war in meinem Handy gespeichert und ich hatte nur auf Wahlwiederholung gedrückt. Es musste also am Abend noch irgendetwas Mysteriöses vorgefallen sein, von dem sie nichts mehr wusste. Ich hoffte, dass wir später dafür eine Erklärung finden würden. Notfalls musste ich den Magier danach befragen, wenn er sich das nächste Mal zeigte.
Ich lenkte unser Gespräch in eine andere Richtung und fragte behutsam: „Es muss ein ziemlicher Schock für Dich gewesen sein, als Du heute früh bemerkt hast, dass Dein Wagen verschwunden war.“
Sie nickte und ihre Lippen wurden schmal.
„Denkst Du, das ist alles noch normal? So viele Zufälle auf einmal kann es doch gar nicht geben!“
Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: „Und dann auch noch die schrecklichen Bilder vom Kloster in diesem Traum. Oh, langsam kommt meine Erinnerung zurück. Ich habe mich aufs Bett gelegt und muss dann irgendwann eingeschlafen sein. Und jetzt weiß ich es wieder. Ich fiel immer tiefer, ins Bodenlose - oh, das war entsetzlich Julian. Und diese Schatten um mich herum, sie griffen nach mir, wollten mich festhalten und ich kam nicht weg. Und dann war da plötzlich diese eisige Stimme, die mir sagte, dass ich ihr niemals entkommen würde.“
„War es dieselbe Stimme, die Dir bei der Besichtigung im Kloster etwas zugeflüstert hat?“
„Nein, das glaube ich nicht. Aber genau kann ich das nicht mehr sagen.“
Marie fröstelte und schwieg nachdenklich, bevor sie leise fragte: „Glaubst Du, dass etwas mit mir nicht stimmt? Beginne ich etwa, den Verstand zu verlieren?“
Ihre Stimme zitterte wieder.
„Nein, Marie, ganz bestimmt nicht. Du bist völlig normal. Dahinter steckt mehr als wir im Moment begreifen“, antwortete ich und sah ihr fest in die Augen, um sie von meinen Worten zu überzeugen.
„Wir werden es herausfinden! Zusammen bekommen wir das hin!“
Dankbar erwiderte sie meinen Blick. Dann sprang sie spontan vom Bett hoch, kam auf mich zu und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich stand vom Sessel auf und umarmte sie fest. Sie wich nicht zurück, sondern legte auch ihre Arme um mich.
„Ich bin so froh, dass Du hier bist, Julian“, flüsterte sie und lehnte ihren Kopf an meine Brust.
Meinen Namen sprach sie so zärtlich aus wie damals Magdalena den von Johannes. Mein Herz füllte sich mit einem unglaublich beglückenden Gefühl. Ich atmete tief und genoss diesen stillen, innigen Moment und wollte sie nicht mehr loslassen. Wie lange wir in dieser Umarmung standen, vermochte ich später nicht mehr zu sagen. Für mich war es eine wundervolle Ewigkeit.
Doch dieser kostbare Augenblick wurde abrupt beendet, als irgendetwas hart und laut gegen das Fenster knallte. Wir zuckten zusammen.
Ich ließ Marie los und eilte zum Fenster. Aber es war nichts zu sehen, der Platz vor dem Gasthaus war menschenleer. Vorsichtig öffnete ich das Fenster und streckte den Kopf hinaus. Und da lag er, ein schwarzer Rabe - direkt im Beet unter mir!
Plötzlich war Marie an meiner Seite und folgte meinem Blick. Ihr erstickter Schrei erzeugte in mir ein unangenehmes Frösteln. Instinktiv legte ich den Arm um ihre Schultern.
„Was hast Du?“, prüfend sah ich sie an.
„Oh, dieser… Vogel“, stotterte sie und fuhr fort: „Der muss schon einmal gegen die Scheibe geflogen sein. Sieh doch, er ist genau so schwarz wie diese Feder hier.“