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Ungewöhnliche Lichtwesen treten auf den Plan. Kommen Sie den stöhnenden Geräuschen in einem Raumschiff auf die Spur. Hat eine Mannschaft womöglich das falsche Raumschiff in Trümmer gelegt? Mysteriöse Vorgänge auf der Suche nach einem Schwesterschiff begegnen uns. Welche Gefahren hält eine Wüstenpyramide für den Pilger bereit? Die totalitären Systeme der Zukunft gelangen in den Blick. Gelingt es einigen Außenseitern, etwas zu ändern? Doch jede übertretene Regel wird streng geahndet. Können hochintelligente Maschinen Kriege gewinnen? Diese Frage stellt sich existentiell. Schauen Sie sich die Werbung der Zukunft an. Unglaubliche, aber auch unheimliche Fähigkeiten werden dort offeriert. Ein expansives Wesen nimmt immer weitere Sonnensysteme in Beschlag. So gibt es in diesem Science-Fiction-Band zahlreiche Abenteuer zu bestehen. Vielfältige Ausblicke in ferne und nahe Zukünfte offenbaren sich.
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Seitenzahl: 463
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Hagen van Beeck
Nur ein Schiff der E - Klasse
Das seufzende Raumschiff
Hohngelächter habe ich genug gehört!
Helmut Glatz
Die Gänsliesel im Zeitloch
Die Spinne
Monika Klein
Auf zum Netenalp Edre!
Peter Mathys
Die Hochzeitsgesellschaft
Jenseits
Dirk Tilsner
Leandro
Aus dem Tagebuch eines Aussteigers - erster Eintrag
Die Nachricht
Dietmar Koschier
Als die Zukunft uns verändert hat
Karsten Beuchert
Abseits
Der Familienausflug
Das Ei
Die Maschinen, die den Krieg gewannen
Kunden-Orientierung
Ein Tag im Leben eines Mitbürgers
Martin Guan Djien Chan
Fremdwesen
Der Ursprungsplanet
Nominierte Finalisten
Die Amöbe
Die Akademie
Die Studie
Max Schweigert
Plädoyer an den Ethikrat der EuRus Komission, Standort Amsterdam Sprecher: Enrico Bertolini - 22.08.2054, 10:30
Herbert Kuboth
Schmerzlos oder… Mehr als nur eine Nummer
Renate Schiansky
NGC 364
Stuart Smith
Ein simples Leben
Alfred Beha
Feindschaft wider Willen
Sonnenuntergang - und kein Sonnenaufgang mehr
Anke Tholl
Gefangen im Schattenfeuer
Giovanna Leinung
Gedanken eines Zeitreisenden
Susanne Rzymbowski
Totes Leben
Uwe Schwindt
Blick in die Zukunft
Kay Ganahl
Radioberichte von einem Weltuntergang
Erinnerung an eine Scheibe
Emmis Shelter
Echo-Gruppe
Grete Ruile
Manipuliert
Marko Ferst
Weltallferne
Autorinnen und Autoren
Wer sind diese, mit den weißen Kleidern angetan, und woher sind sie gekommen? Offenbarung 7, 13
Der Kalender über dem Tisch behauptete, es sei der 24. Dezember, und die Uhr darunter meinte, es sei 21:33 Uhr. Jemand hatte einen künstlichen Tannenzweig dran geklebt. Die Plastiktannennadeln zitterten leicht, die Vibrationen der Triebwerke unseres Raumschiffes pflanzten sich durch das gesamte Schiff fort. Der Alarm erreichte uns, als wir in der winzigen Messe saßen. Dorsy setzte ruckartig ihren Raumhelm auf und ließ die Verschlüsse einschnappen. Ich war nicht ganz so schnell, sprang auch auf und landete erst mal unter der Decke. Immer wieder vergaß ich, dass der Antigraw bei Alarm die ohnehin halbe Erdschwere an Bord nochmal um die Hälfte reduzierte, um das Vorwärtskommen in den recht klobigen Druckanzügen zu erleichtern. Ich hetzte hinter Dorsy her, in die Zentrale. Esther und Frieda standen dort schon neben dem Tiefenradar, sie hatten den Grund des Alarms bereits identifiziert, der Plot wies ein fremdes Raumschiff aus, ein Objekt der E-Klasse. Objekte der E-Klasse waren unverzüglich zu vernichten, keine Überlebenden durften aufgenommen werden und es durfte kein Kontakt zu den feindlichen Besatzungsmitgliedern hergestellt werden, weder per Funk noch visuell. Absolut keiner.
„Welcher Arsch hat sich das bloß ausgedacht?“, sagte ich zu Dorsy. Esther und Frieda zuckten zusammen, sie mussten zusammenzucken, sie waren die Kommandanten dieses Raumkreuzers der Prien-Klasse im Cygnusnebel. Sie waren Berufssoldaten, und sie waren lesbisch, während Dorsy und ich noch genau dreiundneunzig Tage bei der Spaceforce hatten und ‚normal‘ waren, im Gegensatz zu Giovanni und Giuliano, die beide noch zweihundertvierundsiebzig Tage hatten und auch eine Schlafröhre benutzten, wie Esther und Frieda, und Dorsy und ich; - alles normal auf der Spirit of Freedom, drei Paare. Die Psychologen hatten sich ausgedacht, dass bei drei Paaren am wenigsten Spannungen während der langen interstellaren Flüge auftreten; - aber ich war mir nicht sicher, ob sie sich das so vorgestellt hatten.
„Übernehmen sie!“, befahl Esther. „Righdy-right, - dreiundneunzig!“, bestätigte ich den Befehl und meldete den diensthabenden Kommandanten gleichzeitig meine restliche Dienstzeit. Dorsy rülpste nur als Bestätigung, sie verachtete die beiden Lesben weil sie Berufssoldaten waren. Ich turnte in die Sichtkuppel, während Dorsy sich in den Pilotensitz zwängte und den Sidestick in die Hand nahm. Mit einer lässigen Handbewegung schaltete sie alle Automatiken aus und schob sich einen Kaugummi in den Mund. Ich schwenkte mir das Waffenbedienpaneel vor den Bauch, aktivierte den Monitor vor mir und wischte mit einer fahrigen Handbewegung das Plastikweihnachtsbäumchen mit den hektisch blinkenden Lämpchen vom Keybord. Das alberne Bäumchen konnten nur die beiden Schwulen angebracht haben, ich nahm mir vor, sie gelegentlich mal zur Sau zu machen, weil sie die Fünf-Volt-TTL-Leitung angezapft hatten, um den blöden Baum zum Blinken zu bringen.
„Ich brauche das Feindbild“, murmelte ich in das Helmmikrophon und Esther betätigte einige Schalter am Tiefenradar. Auf dem Monitor erschien das Bild eines Raumschiffs, ich schaltete das Bild auch zu Dorsys Head-up-Display durch. „Dank‘ dir, Schatz“, sagte Dorsy. „Oh, bitte bitte, gerne geschehen.“ Dorsy hatte das gegnerische Schiff jetzt genau vor sich. Wir waren gut aufeinander eingespielt, Dorsy, die Pilotin und ich, der Waffenoperateur, es machte die Kommandanten überflüssig; - und die Kommandanten hassten das. Giovanni und Giuliano trafen jetzt auch in der Zentrale ein. Sie hatten eigentlich dienstfrei, aber bei Alarm hatte jeder in der Zentrale zu sein. „Was ist los?“, fragte einer der beiden Gis. „Wir haben ein Objekt erfasst und identifiziert. E-Klasse“, sagte Frieda, „Angriff ist bereits eingeleitet. Halten sie sich bereit!“ Die beiden Gis setzten sich an die Bedienpaneele der Flächenlaser. „Entfernung zwotausend“, sagte Dorsy. „Sei so lieb und folge auf der Spur, ich mache den Schirm bei einsfünf auf, Okay?“
„Okay“, sagte Dorsy, „hast du mal eine Zigarette?“
„Während des Angriffs ist Rauchen verboten!“, sagte Esther, ich gab Dorsy ein Päckchen Zigaretten. Dorsy blies eine Kaugummikugel, ließ sie mit einem dumpfen Knall platzen und zündete sich eine Zigarette an. „Ich brauch das jetzt! Wegen dem Stress!“
Ein kaum sichtbarer, goldfarbener Nebel umfloss die Sichtkuppel, in der ich saß. Dieser Nebel kam unzweifelhaft aus dem Triebwerk des Schiffes der E-Klasse vor uns. Seit Wochen waren wir hinter ihm her, waren ihm auf dieser goldenen Spur, die es hinter sich herzog wie ein Kondensstreifen, gefolgt.
Heute war es endlich in den Erfassungsbereich des Tiefenradars gelangt, und wir schoben uns nun langsam heran, bis auf Sichtweite. Das Objekt der E-Klasse vor uns war weiß, strahlend weiß, mit goldenen Konturen und goldenem Triebwerksausstoß. Ein Impuls, eine innere Stimme versuchte mir zu raten, die Spacetorpedos nicht zu aktivieren, dieses schöne Schiff vor uns zu verlieren, es als ‚lost object‘ ins Bordbuch einzutragen.
Dorsy sah zu mir herauf, sie hätte den Sidestick nur eine Winzigkeit bewegen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, das Schiff der E-Klasse in diesem Stadium des Angriffs für immer zu verlieren, war sehr hoch. „Entfernung einsacht“, sagte Dorsy emotionslos. Plötzlich spürte ich seltsame Klänge, von dem weißen Schiff vor uns ausgehend, das unbekannte Triebwerk in dem weißgoldenen Objekt der E-Klasse vor uns mochte sie verursachen, aber normalerweise ist das Vakuum des Weltalls nicht in der Lage, Töne zu übertragen, aber der Klang dieses Schiffes hörte sich an wie Musik, wie die Musik, die Dorsy und ich manchmal hörten, wenn wir in der Sichtkuppel saßen, halbherzig unseren Dienst versahen und in der unendlichen, tiefschwarzen Einsamkeit des Weltraumes füreinander da waren, Händel: Konzert für Harfe, Andante allegro, Wagenseil: Andante, Boildieu: Andante - Lento - attacca ... „Entfernung einssieben“, meldete Dorsy. In uns breitete sich ein unerklärliches Fieber aus, ‚Jagdtrieb‘ sagen manche Leute dazu, das gleiche Fieber, das den Jäger dazu treibt, stundenlang im Ansitz zu verharren, Rheuma und Ischias in Kauf zu nehmen, um dann irgendwann zum Schuss zu kommen, - ein Reh oder einen Löwen mit Blattschuss zu erlegen. Das Schiff vor uns machte keine Ausweichbewegung, wir schoben uns dichter heran, Dorsy meldete einssechs.
„Scatterhead-Torpedos fertigmachen!“ befahl Esther. Ich machte einen Space-Drohne scharf. Sie hatte uns das Schiff für den Angriff übergeben, und in solchen Situationen entschied der Waffenoperateur. Die Scatterheads hätten das Schiff vor uns total atomisiert, sie besitzen eine ungeheure Sprengkraft, die Drohnes sind in ihrer Wirkung schwächer, aber sie besitzen die Fähigkeit, in die Triebwerke der Feindschiffe zu kriechen und nur diese zu zerstören. Die Zelle der Schiffe blieb im Allgemeinen heil, aber sicher war das auch nicht. „Entfernung einsfünf“, meldete Dorsy. „Einsfünf“, bestätigte ich.
Das Fadenkreuz auf dem Monitor vor mir ging genau durch das weiße Schiff. Mein Daumen hob die Sicherungskappe über der Taste zum Auslösen des Spacetorpedos. LOCKED. Die Schrift auf dem Monitor begann zu blinken, langsam, ‚Operateur Action‘ heißt das. Der Space-Drohne hatte das Ziel erfasst, - fire and forget; - er hätte sein Ziel gefunden und wir hätten abdrehen können, die Versagerquote war gleich Null. Die seltsamen Klänge aus dem Objekt der E-Klasse schwollen an, aber nur Dorsy und ich schienen sie wahrzunehmen. Der Drohne lauerte im Launcher wie ein sprungbereiter Hund mit zitternden Flanken, aber die seltsamen Klänge schienen unsere Seelen zu streicheln, sie zu küssen und zu liebkosen.
Dorsy nahm den Schub zurück und hielt unser Schiff auf Distanz. Es gab Gerüchte von unbekannten Strahlen, Schiffen mit unbekannten Antrieben; - sie warteten, bis wir den Schutzschirm öffneten um die Spacetorpedos zu starten, und sie atomisierten uns dann sekundenschnell durch diese Öffnungen - Gerüchte - aber sie hielten sich hartnäkkig, und das Bordbuch sagte nichts aus über die Bewaffnung des Objektes der E-Klasse vor uns, das weiße Schiff doch benahm sich friedfertig, wie Jesus als er ans Kreuz geschlagen wurde. Aus Dorsys Helm löste sich eine Rauchwolke nach der anderen. Immer wenn Dorsy angespannt war, rauchte sie mit tiefen Zügen. Genau wie ich hielt sie das weiße Schiff für einen Köder, der uns dazu bewegen sollte, den Schirm zu öffnen, aber gleichzeitig wollten uns die seltsam-faszinierenden Klänge hindern, den Spacetorpedo freizugeben, die Klänge sprachen die unverhärteten Teile unserer Seelen an. Mein Zeigefinger schwebte über der Auslösetaste des Spacetorpedos, die LED in der Taste blinkte im Operateur-Action-Rhythmus. Wir hatten die schmutzig-schwarzen Schiffe der Stoorks angegriffen und vernichtet, wie hatten die tall kings der Cygner besiegt, diese gewaltigen Triangelschiffe, für die man mindestens drei Drohnes brauchte, wir waren jedes Mal schulmäßig mit einem halben Spin nach dem Schuss abgedreht - und manchmal hatten wir uns volllaufen lassen, anschließend, um uns zu betäuben, um die Gedanken an die Raumfahrer der anderen Rasse in die Gedärme zu spülen ... „Na, wird‘s bald?“ Esthers Stimme klang ruhig wie die Stimme eines Menschen, der sich nichts vorstellen kann, der kritiklos jedem Befehl folgt, ohne sich eigene Gedanken zu machen, der mit rennt, wenn irgendjemand meint, die Höhe ‚19‘ nehmen zu müssen ... „Ist sonst noch ein Objekt im Erfassungsbereich?“ Ich stellte die Frage, um Zeit zu gewinnen, dem weißen Schiff eine letzte Chance, ich wusste, das Esther ‚nein‘ sagen würde, auch wenn der Weltraum unter uns voller Feinde wäre, die nur darauf warteten, dass wir den Schirm öffneten. „Nein“, sagte Esther, „mach` schon! Anschließend abdrehen!“ Die seltsamen Klänge schwollen erneut an, und in mir machte sich Angst breit. Mit Meuterern ging man auch in unserem Zeitalter gnadenlos um: Sauerstoff für vierundzwanzig Stunden, und ab durch die Schleuse.
Dorsys und meine restliche Dienstzeit betrug noch dreiundneunzig Tage, und wir hatten nach der Entlassung aus der Spaceforce noch viel vor. Die beiden Gis fingerten nervös an den Bedienelementen der Flächenlaser herum, schalteten die Bereiche der Sichtgeräte fortwährend um, und die beiden Lesben standen seltsam emotionslos an Bordrechner und Tiefenradar. Die vier hatten den Vorteil, das wunderschöne weiße Schiff nicht direkt sehen zu können, während Dorsy und ich das Gefühl hatten, einem guten Freund mit der Pistole in der Hand gegenüber zu treten, um ihm tränenden Auges die Hirnschale wegzuschießen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wo der Sinn lag. Der Steg zwischen Heldentum und langsamem Tod im Weltraum war zu schmal, mein Finger wurde schwer, die blinkende Taste war gut handwarm, der Drohne verließ den Launcher. Der Schutzschirm öffnete sich automatisch für die kurze Zeit, die der Torpedo brauchte, um in den Weltraum zu gelangen. Wir spürten alle das leichte Zittern, welches das Schiff durchlief, als sich der Drohne von unserem Schiff löste. In Wirklichkeit war natürlich keine Vibration messbar, aber wir spürten es alle. Ein Raumkreuzer bebt beim Abschuss seiner tödlichen Last. Manchmal vernahm ich auch stöhnende, klagende Laute, als bedauere das Schiff den Zweck seines Daseins. Als der Spacetorpedo vor uns auftauchte, hüllte sein Ausstoß uns einen winzigen Moment in gleißende Helligkeit, bis die Sichtfenster abdunkelten. Dorsy hätte jetzt eigentlich mit einer halben Drehung aus dem Kurs gehen müssen, schulmäßig, um dem Schiff vor uns präventiv die laserreflektierende Unterseite zu zeigen, aber sie hielt Kurs, sie blieb an dem weißen Objekt der E-Klasse, sie glitt langsam näher, und wir konnten sehen, wie der Drohne in der Öffnung des Haupttriebwerkes verschwand.
Wir konnten es alle sehen, direkt oder über irgendwelche Sichtschirme. Dorsy und ich, Esther und Frieda, Giovanni und Giuliano, aber nur Dorsy und ich spürten, wie die seltsamen Klänge aus dem weißen Schiff verstummten, erstarben und in der Unendlichkeit verrannen…
Das weiße Schiff blähte sich hinten auf, bekam Risse wie ein in Zeitlupe zerplatzender Ballon. Eine gleißende Helligkeit durchtoste das Schiff von innen und drängte zuerst Sichtfenster und Kuppeln ins Weltall. Das gesamte Schiff schien von hinten nach vorne transparent zu werden und sich langsam, ständig Teile und Baugruppen verlierend, aufzulösen. Früher hatte ich in dieser Phase immer ‚fliegenden Schrott‘ gemeldet, das Signal für Dorsy aus dem Kurs zu gehen, aber diesmal schaffte ich die flapsige Ausdrucksweise einfach nicht, und auch das sonst übliche, wilde Siegesgefühl wollte sich nicht einstellen. Ich atmete nur ganz flach das Wort „Ausweichen“ ins Helmmikrophon, Dorsy drückte den Sidestick etwas. Die innere Helligkeit des Schiffes vor uns nahm ab, es wurde dunkler, das ehemals schneeweiße Raumschiff mit den golden abgesetzten Konturen erkaltete zu einem schmutzig-grauschwarzen Skelett. Das Schiff vor uns war tot, es begann schwerelos erkaltend durch das Weltall zu taumeln - klanglos.
Ich hatte es getötet, und die Raumfahrer in ihm auch. Im Launcher rückte ein neuer Drohne nach, ich schloss die Sicherungsklappe über der Taste. „Auftrag ausgeführt“, sagte Esther, „das ging aber schnell.“ Ihre Stimme klang wie immer emotionslos. Sie würde die Vernichtung eines Objektes der E-Klasse in das Bordbuch eintragen, ohne auch nur einen Gedanken an die Raumfahrer darin zu verschwenden. Frieda begann den neuen Kurs auszurechnen, die beiden Gis meldeten sich ab, Dorsy ließ unser Schiff langsam in die Richtung des toten Skeletts treiben. Ich zündete mir auch eine Zigarette an. „Was soll das?“ Esther sah Dorsy an, ihre Stimme klang hart und metallisch, „der neue Kurs wird sofort vorliegen!“
„Wir müssen Außenschäden feststellen“, sagte ich langsam, „wir sind eine ganze Weile durch dieses goldene Zeugs geflogen. Wissen sie, was das ist?“
„Nein, aber das ist doch uninteressant!“
„Ist es nicht! Was ist, wenn dieses goldene Zeugs die Einläufe für den Wasserstoff verstopft hat?“
„Dann hätten die Messgeräte das anzeigen müssen! - Ihre Messgeräte Herr Bordingenieur!“
„Wie sie sicher wissen, misstraue ich jeder Technik. Wir hatten schon mal solch einen Fall: Obwohl die Freund - Feindkennung in Ordnung war, hat sie uns einen irdischen carrier als Tall King der Feinde ausgewiesen.“
„Gut, aber machen sie schnell, wir haben nicht ewig Zeit.“
„Right“, sagte ich knapp. „kommst du mit, Dorsy?“
„Selbstverständlich!“ Dorsy dockte unser Schiff auf Entfernung an das tote Raumschiff, der Abstand der beiden Schiffe würde gleich bleiben, bis der Befehl wieder aufgehoben wurde. „Wollen sie etwa auch mit raus?“ Esthers Stimme klang entsetzt. „Natürlich! Bei Outbacking sind zwei Mann Vorschrift! Sie wollen doch nicht gegen die Vorschrift verstoßen, Commander, das wollen sie doch nicht?“
„Gut, aber beeilen sie sich!“ Dorsy klebte ihren Kaugummi an den Sidestick und stand auf. Sie kam zu mir und legte ihre Hand auf das Helmmikrophon. „Da ist einer von denen rausgekommen!“, sagte sie leise und deutete mit den Augen kurz in die Richtung des toten Schiffes. Ich kniff meine Augen zusammen. Wirklich, zwischen einigen Trümmern schwebte eine winzige, menschliche Gestalt. Ich vermeinte sogar, eine leichte, goldene Corona um die Gestalt auszumachen. „Wir nehmen das Moped“, sagte Dorsy. Das Moped ist ein kleiner, offener Raumgleiter für zwei Personen mit einigen Steuerdüsen und einem Rechner, der dafür sorgt, dass unten immer da ist, wo sich das Schiff aufhält. Ein feines Gerät, das Moped, wir glitten wenig später mit ihm aus der Schleuse und ein paar Mal um unseren Raumkreuzer, an ihm war alles in Ordnung. Dorsy nahm Kurs auf das tote Schiff. „Was soll das?“, löste sich Esthers Stimme grob digitalisiert aus unseren Helmlautsprechern. „Dreiundneunzig“, murmelte ich, verursachte einige knackende Laute mit der Zunge und schaltete das Funkgerät ab. Dorsy und ich waren nun über Draht abhörsicher miteinander verbunden. Das Funkgerät wollte ich später mit einem Softfail, einem zeitweisen Aussetzer, in die Wartung nehmen. Langsam glitten wir auf das tote Schiff zu. Eine Feder floss an uns vorbei, eine schneeweiße Feder mit goldenem Rand. Dorsy zündete die vorderen Schubdüsen und stoppte das Moped damit neben dem Raumfahrer aus dem ehemals weißen Raumschiff.
Es war eine Frau, und die Frau trug ein langes, wallendes, weißes Gewand. Eine goldene Corona hüllte sie ein. Es musste eine Frau sein, die vor uns sterbend im Weltraum trieb, doch ihre Gesichtszüge waren friedlich. Als wir neben ihr hielten, öffnete sie ihre Augen und bewegte die Lippen. Wir konnten nicht direkt hören was sie sagte, aber sie sprach durch unsere Seelen zu uns: „... vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Sie schloss die Augen wieder, und die Corona um sie begann sich aufzulösen. Mit matten Bewegungen schlug sie ein Kreuz, und ihr Arm blieb in der Bewegung stehen. Ihr Körper begann zu taumeln, drehte sich langsam in der Schwerelosigkeit des Weltalls. Erst jetzt sahen wir die Flügel auf ihrem Rücken, Flügel aus weißen Federn mit goldenem Rand. „Mein Gott“, flüsterte Dorsy, „wir haben Engel getötet! Jetzt weiß ich auch, weshalb wir keinen Kontakt aufnehmen durften!“
l. Teil
Das Raumschiff stöhnte und ächzte in seiner Struktur. Mein Kollege fuhr zusammen: „Verdammt, hier spukt es! Irgendetwas stimmt mit diesem Schiff nicht, die Geräusche sind doch nicht normal!“ Ich kräuselte die Oberlippe zu einem dünnen Grinsen und sah der Co-Pilotin nach, die in diesem Moment mit schwingenden Hüften durch die Messe ging und sich zu den Triebwerksspeziallisten an den Tisch setzte. Traumfigur, lange, schwarze Haare und einen eng sitzenden Anzug mit Reptilienmuster. „Oh, Mann“, stöhnte ich, „das ist zu hart, das macht mich fertig, das ist ja wie in einer meiner Stories!“ Die Raumschiffstruktur gab einen erneuten Seufzer von sich, ich ließ das Glas vor mir voll Bourbon gluckern. „Willst du auch einen, Mike?“, fragte ich meinen Kollegen mit grinsend freigelegten Zähnen. „Um Gotteswillen, Mann. Hörst du nicht dauernd dieses Seufzen und Stöhnen aus der Schiffszelle? Überall? Immer? - Ich sage dir, dieses Schiff ist verflucht!“
„Ach, du je! Sag‘ bloß, du glaubst an sowas? Erzähl mir doch lieber, wie ich die Wuchtbrumme dahinten in meine Schlafröhre bekomme.“ Der Bourbon floss warm und weich in meinen Magen. „Weißt du“, philosophierte ich, „außer dem Kaugummi und dem Bourbon haben die Amerikaner eigentlich nichts Vernünftiges erfunden, - und vielleicht noch jene Braut dort ...“ Mein Gegenüber schaute mich groß an: „Sie ist Deutsche, genau wie du und ich. Wie bei Karl May, da waren die Guten auch immer Deutsche.“ „Ach, Quatsch, Karl May! Die Frau ist bestimmt nicht die ‚Gute‘, sie hat eine faszinierend-böse Aura, das ist es ja gerade, was sie so interessant macht!“
„Schlag‘ dir das aus dem Kopf, die Konkurrenz ist viel zu groß, die nehmen uns Transmitterleute doch sowieso nicht für voll.“ „Tja, leider. Und ich Idiot schiebe auch noch meinen Urlaub über ein halbes Jahr vor mir her, nur damit ich den Transmitter noch zum Jungfernflug fertig bekomme, - und dann das! Jeder Scheißzulieferer von diesem Raumschiff hat irgendeinen Psychopaten an Bord gejagt, der den ganzen Kram, der sich während des Jungfernfluges als Fehlkonstruktion herausstellt, gesundbeten muss, und jeder tut so, als hätte er das Schiff hier alleine gebaut, aber keiner macht sich die Finger schmutzig. Weißt du noch, wie wir den Trouble mit dem receiver-slab unseres Transmitters hatten? Keiner von den Säcken hat uns mal auch nur mit einer CD-ROM ausgeholfen, - nur Sprüche, und die Braut da findet das auch noch gut! Guck doch mal, wie sie sich bei den Triebwerksleuten anbiedert!“ Ich goss mir noch einen Bourbon in den Magen, das langgezogene Stöhnen der Schiffszelle kam mir weit entfernt vor. „Du bist doch besoffen, Mann“, sagte mein Kollege. „Na, und? Die können den Kahn hier doch alleine nach Alpha Centaury schaukeln. Unser Transmitter läuft, was sollen wir hier noch?“
„Bestimmt nicht uns voll laufen lassen! - Sieh‘ doch endlich ein, dass dieses Schiff hier verflucht ist! Hörst du es denn nicht? Diese unheimlichen Geräusche?“ Ein erneutes Stöhnen kroch heran, wie die letzten Laute eines eingekerkert sterbenden Menschen.
„Ach, das meinst du?“, sagte ich betont cool, „das ist normal, kein Grund zur Sorge. Du wirst dich dran gewöhnen. Jeder in geodätischer Bauweise gefertigte Flugkörper ächzt und säuselt, - zumindest in der ersten Zeit, bis sich die Zellenstruktur gesetzt hat! Wir sind heute Morgen um sechs Uhr Erdzeit von Arizona gestartet und erst seit siebzehn Stunden unterwegs, du musst der Zelle eben etwas Zeit lassen ...“ „Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass das normal ist! Meiner Ansicht nach ist das hier ein Unglücksschiff, - möglicherweise sogar, weil die hier eine Frau als Co-Pilotin haben. Früher, als man noch mit Dampfern über die Ozeane fuhr, durften auch keine Frauen an Bord sein, zumindest nicht während der Jungfernfahrt.“
„Da lache ich doch erst mal schrill auf!“ Ich füllte mein Glas erneut. „Pass‘ auf, ich erklär‘ dir das mit den Geräuschen mal eben: Das erste Mal erschreckte das Luftschiff S.L.l. seine Besatzung mit derartigen seltsamen Geräuschen, etwa dreißig Jahre später wunderten sich die Herren Flieger über die gleichen stöhnenden Laute, als sie die ‚Vickers Wellington‘ flogen. Dabei waren diese Geräusche absolut harmlos, sie rührten von der einkalkulierten Verformung der Zelle her. - Wie du sicher weißt, ist dieses Raumschiff auch in geodätischer Bauweise gebaut worden, warum sollte es nicht auch ächzen und säuseln? Prost, mein Lieber.“
In Begleitung eines erneuten Stöhnens trank ich einen weiteren Schluck. In Mikes Gesicht vermeinte ich die Spur eines höhnischen Grinsens zu sehen. „Was ist denn eine geodätische Bauweise?“ fragte er fast gelangweilt. „Na, gut. Dann halte ich dir mal einen technischen Vortrag! Guck dir doch mal die Co-Pilotin an, die mit den großen Brüsten. Und jetzt stell dir mal vor, du sollst einen möglichst leichten BH für diese Mordstitten entwickeln, ohne Stangen und so. Dann würdest du doch ein Netz aus Dreiecken zur Anwendung bringen, eine sogenannte ‚Sandwichstruktur‘ in geodätischen Linien, die ja, wie jeder weiß, die kürzeste Verbindung auf einer beliebig gewölbten Oberfläche darstellen. Bei der Konstruktion dieses Raumschiffes kamen Bänder zur Anwendung, die in spiralförmigen Windungen von einem Ende des Konstruktionskörpers zum Anderen gelegt worden sind, und zwar sowohl in linken als auch in rechten Windungen. Damit überschneiden sie sich und bilden durch die zahlreichen Knotenpunkte ein Netzwerk, das keinerlei innere Verstrebungen oder Aussparungen benötigt. Man hat dann eine sehr dünne Beplankung aufgebracht, außen und innen eine, und den Zwischenraum mit Vergussschaum ausgeschäumt. Das war‘s dann, ganz einfach, nicht wahr?“
„Ich verstehe kein Wort. Hör‘ doch endlich mit deiner Sauferei auf! Du weißt genau, dass auf Raumschiffen Alkoholverbot ist! Wie hast du das Zeugs überhaupt an Bord gekriegt?“
„Mit unserem Transmitter, ich hab‘s als Probelauf eingetragen. Meinst du, das Ding funktioniert nur mit Ahornsirup?“
„Hm, lass‘ dich bloß nicht erwischen!“
„Mehr als nach Hause schicken können die mich auch nicht. - Weißt du eigentlich, warum dieses Raumschiff hier ‚Sir Barnes Wallis‘ heißt?“
„Er wird der Eigner sein.“
„Quatsch! Sir Barnes war Chefkonstrukteur bei Vickers, er hat die geodätische Bauweise praktisch erfunden, er brachte sie bei den Baumustern Wellesley, Warwick und Wellington zur Anwendung ...“
„Erzähl‘ diesen Quatsch doch der Co-Pilotin, vielleicht interessiert sie sich ja dafür.“
„Du bist ein richtiger Prolet, Mike! Vielleicht sollte ich die Dame mal zu einem Drink einladen ...“
„Die lässt dich doch abblitzen! Raumfahrer bleiben grundsätzlich unter sich, wenn du kein Raumschiff fliegen kannst, bist du für die kein Mensch!“
„Wer sagt denn, dass ich mit diesem Ding hier nicht umgehen kann? Ich habe die Lizenz für ‚long range missions‘, noch aus dem Krieg gegen die ‚storkks‘! Prost, mein Lieber!“ Mir entging nicht, dass Mike hellhörig wurde, trotzdem tat er aber so, als ob ihn nichts interessierte. Ich wartete den nächsten Seufzer ab und fragte wie beiläufig: „Habe ich dir eigentlich mal die Geschichte von John Henry erzählt? Hat was mit diesem Raumschiff hier zu tun!“
„Schon wieder was mit alten Flugzeugen?“
„Keineswegs! Also, ich mach‘s kurz: John Henry war Railroadman, und zwar Hammerswinger während der Kolonialzeit der USA.“
„Was waren das denn für Menschen?“
„Das waren die Schienenleger, die Hammerswinger klopften die Bolzen in die Schwellen, mit denen die Schienen gehalten wurden. Richtige Schwellen hatte man damals noch nicht, man benutzte grob vorbereitete Bäume.“
„Was hat das denn jetzt mit diesem Schiff und seinen seltsamen Geräuschen zu tun?“
„Lass‘ mich doch mal ausreden! Also: John Henry benötigte drei Schläge um einen Bolzen einzubringen, war übrigens ein Kerl wie ein Baum und schwarz wie die Nacht, der Bursche. Naja, eines Tages kam die Gesellschaft auf das schmale Brett, statt der Hammerswinger eine Maschine einzusetzen, den sogenannten ‚Steamdrill‘, verstehst du?“
„Klar, ich bin doch nicht blöde!“
„Entschuldige. - Die Hammerswinger fürchteten jedenfalls um ihre Arbeitsplätze und die Railrodmen drohten mit Streik. - Man einigte sich schließlich auf einen Wettkampf, in dem John Henry gegen den Steamdrill antrat.“
„Muss ja allerhand los gewesen sein, damals am Railroad!“
„Oh, da war böse was los! John Henry hat noch eine kleine Show abgezogen, so mit seinem Hammer auf der Schulter hat er noch mit der Maschine geschnackt: „Hallo, Mr. Steamdrill, how are you?“, soll er gesagt haben, und dann hat er dem Steamdrill erzählt, was er für eine lausige Maschine ist.“
„War ja gut drauf, dieser John Henry. Muss eine Scheißsituation gewesen sein, und dann noch Sprüche machen!“
„In der Tat, das bringt nicht jeder“, ich nahm wieder einen tiefen Schluck, „willst doch einen, Mike?“
„Nein, - aber wie ging das denn jetzt weiter?“
„Naja, der Wettkampf ging jedenfalls zu Gunsten John Henrys aus. John Henry starb allerdings an den Folgen des Kampfes und die Railroad-Company nahm das zum Anlass, den Steamdrill trotzdem einzuführen. Am nächsten Tag schulterte John Henrys Frau den Hammer und ging zum Railroad! Muss ein tolles Mädchen gewesen sein, die Polly-Anne! Sowas gibt es heute allerdings nicht mehr! - Prost Mike, auf die ausgestorbene Spezies der tapferen Frauen ...“ Ich hielt inne, weil die Raumschiffzelle in diesem Moment stöhnte wie ein Geknebelter. „Wir waren bei John Henry“, sagte ich und nahm einen tiefen Schluck. Mikes Hände zitterten, als ich fortfuhr: „Du weißt doch, dass dieses Schiff in Außenmontage gebaut wurde, in der Wüste von Arizona, wo es normalerweise nie regnet. Naja, das klappte jedenfalls auch alles sehr schön, nur beim Aufbringen der Außenbeplankung kam es zum Desaster: Es wiederholte sich fast die gleiche Geschichte, wie damals am Railroad.“
„Seit wann werden Raumschiffe denn mit Schienen beplankt?“
„Du raubst mir noch den letzten Nerv! Natürlich besteht die Beplankung aus Blechen irgend so einer Titanlegierung. - Wie du sicher weißt, lässt sich Titan nicht schweißen, und man griff wieder auf die gute, alte Niete zurück. Nieten gab‘ es ja schon immer genug, du brauchst dich ja nur im Management unserer Firma umsehen.“
„Jetzt sinkst du aber unter dein Niveau! Nieten! Pop-Nieten ja? Von Woolwoorth, oder was?“
„Quatsch, doch keine konventionellen Nieten! Sogenannte ‚Joints‘, die sich halbchemisch mit dem Metall verbinden, wenn sie eingeschlagen worden sind. Anfangs wurde das auch per Hand gemacht, weil es keine Maschine gab, die auf der gerundeten Oberfläche des Schiffes Halt gefunden hätte. Kannst du dir das vorstellen?“
„Natürlich kann ich mir das vorstellen, ich brauche mir nur die Co-Pilotin ansehen, dann kann ich mir eine gerundete Oberfläche sehr gut vorstellen.“
„Das, mein lieber Mike, hätte ich eigentlich sagen müssen! - Naja, jedenfalls wurden die Joints auch mit Hammer eingebracht, - Klickedi-Klack, - äh, glaubst du eigentlich an Reinkarnation?“
„Nee, an sonen Quatsch glaube ich nicht, aber was hat das denn jetzt damit zu tun?“
„Naja, der Chefnieter beim Bau dieses Schiffes hieß auch John Henry, war auch ein Farbiger und benötigte auch drei Schläge pro Niete ...“
„Sone Zufälle gibt es.“
„Naja, aber jetzt geht‘s los: Es kam die Firma ‚Interrob‘ und bot einen Industrieroboter an, der selbst auf gewölbten Oberflächen Nieten einbringen konnte. Damit ging das Dilemma wieder los: man fürchtete um die Arbeitsplätze, die Gewerkschaft lief Sturm, und irgendein Witzbold schlug einen Wettkampf vor: Mensch gegen Maschine!“
„Interessant“, murmelte Mike, „lass‘ mich raten: der gleiche Zirkus hat sich wieder abgespielt?“
„Nicht ganz! Ein John Henry trat also wieder gegen eine Maschine an, und du hättest sehen sollen, wie er den Hammer schwang! Drei Schläge, und jeder Joint saß! Es zeichnete sich ab, dass der Wettkampf wieder zu Gunsten John Henrys ausgehen würde, aber dann brach ein Wolkenbruch los, wie eine Sintflut, und das in der Wüste von Arizona, wo normalerweise eine Luftfeuchtigkeit von 10 bis 20 Prozent herrscht, und du die Regentage an den Fingern einer Hand abzählen kannst.“
„Seltsam“, sagte Mike.
„Mehr als seltsam! Die niederprasselnden Wassermassen übertönten sogar die Hammerschläge John Henrys. Alle brachten sich erst mal vor dem Regen in Sicherheit, und als der Wolkenbruch schließlich nachließ, stand nur noch die Maschine auf des Raumschiffes Rücken und nietete so vor sich hin, - kein Mensch hatte dran gedacht, sie abzustellen. John Henry aber war weg. - Spurlos verschwunden...“ Ein erneutes Stöhnen kroch heran, bedrohlich, unheilverkündend. Mike sah mich an, mit geweiteten Augen: „Ich habe dir doch gleich gesagt, dass das Schiff verflucht ist! John Henry war‘s, kurz bevor die Maschine ihn getötet hat!“
„Tjaaaaa“, sagte ich gedehnt, „die Neger haben da doch so einen Zauber, - ‚VOODOO‘! Da soll man nicht mit scherzen! - Und möglicherweise werden Maschinen auch modernisiert wiedergeboren, nachdem sie verschrottet worden sind! Tja, Mike, man hat normalerweise sieben Leben Zeit, um wiederzukommen und Rache zu nehmen! - Möchtest du jetzt einen Bourbon?“ Mike trank, und er trank mit zitternden Fingern, während ich grinsend und leicht schwankend in meine Schlafröhre ging ...
2. Teil: Wessex - Cargo Zweihundertzwölf
Mein Schädel dröhnte wie der Bristol Herkules XI Sternmotor einer Vickers Wellington, als ich langsam wieder zu mir kam.
Erinnerungsfragmente tropften in mein Gehirn, - ich hatte mich wieder mal volllaufen lassen. Es kam immer häufiger vor, seit meine Frau mich verlassen hatte, aber egal, hin und wieder muss man der Leber eben zeigen, wer der Herr im Körper ist, und ein Eimer Kaffee würde mich schon wieder auf die Beine bringen. Ich wuchtete den Deckel meiner Schlafröhre zurück, schwang die Arme heraus, zog mich hinterher - in meinem Schädel schien nur Watte zu sein - und knallte an die gegenüberliegende Kabinenwand. Irgendein Vollidiot musste den Antigraw, das Gerät, welches die künstliche Schwerkraft erzeugt, abgestellt haben. Ich fluchte ausgiebig und nahm mir vor, den Antigrawmenschen gelegentlich mal zur Sau zu machen, es war schlichtweg verboten, dieses Gerät ohne Vorankündigung auszuschalten. Stückchenweise fiel mir ein, dass man bei Schwerelosigkeit auch schlecht duschen kann, selbst einfache Dinge, wie aufs Klo gehen, bereiten unheimliche Schwierigkeiten. Ich schaffte es nur mit dem guten, alten Astronautenhandschuh und putzte mir anschließend die Zähne.
Während der Schulung hatte mir das Schwerelosigkeitstraining immer Spaß gemacht, aber mit meinem Brummschädel war es kein Vergnügen, in die Messe zu kommen, trotz der Magnetschuhe, die mich auf den Laufplatten hielten. Die Messe sah aus, als hätte sie Jemand mit einer Planierraupe durchquert, die meisten Tische und Stühle fehlten, nur was sich in irgendwelchen Halterungen befand, war noch an seinem Platz, ansonsten war alles leer -, unheimlich leer, leer und still. Nicht einmal das seufzende Stöhnen der Schiffszelle hing in der Luft, das beruhigende Vibrieren der Triebwerke fehlte ebenfalls - eine bleierne Stille hatte sich in dem Schiff ausgebreitet. Vor einiger Zeit war ich bei dem Testflug der ‚Omega Giant‘ mit an Bord, wir hatten damals einen ‚Space-Lorry‘ gesichtet, eins dieser kleinen Transportschiffe, die meistens von selbständigen ‚space-truckern‘ betrieben wurden.
Der Lorry hing etwas seltsam im Weltraum, er torkelte antriebslos und unstabillisiert um seine Z-Achse. Da er auf keinen Anruf reagierte, dockten wir an. Der Space-Lorry wird normalerweise von nur einer Person geflogen, aber diese musste das Schiff ohne ersichtlichen Grund verlassen haben. Der Raumretter war noch an Bord, ebenso der Druckanzug des Piloten und seine Lebensmittel. Der Oxygenregenerator erneuerte den reinen Sauerstoff an Bord zum unendlichfachen Mal, und das Radio an Bord war auf einen irdischen Sender eingestellt, der nur klassische Musik spielte. Johann Sebastian Bachs ‚Dorische Toccata‘ brauste in der Sichtkuppel des verlassenen Schiffes. Wir fanden weder Rauschmittel noch Spuren von Medikamentenmissbrauch, und aus keinem der Trinkgefäße war Alkohol getrunken worden ... Wir standen da, irgendjemand schaltete das Radio ab und überprüfte den Transponder, jenes Gerät, das im Notfall selbständig um Hilfe rufen kann - kein Fehler, aber nicht aktiviert. Einer der Co-Piloten unseres Schiffes wollte den Lorry zur Erde bringen - er und der Lorry kamen nie an ... Damals, in dem leeren Lorry hatte ich ein würgendes Gefühl im Magen, als ob mir Jemand einen imaginären Luftballon darin aufpumpen würde, jetzt war das gleiche Gefühl wieder da, hervorgerufen durch die Leere und die bleierne Stille an Bord der ‚Sir Barnes Wallis‘, die mich wieder umarmte, wenn das unnatürlich laute, metallische Dröhnen eines jeden einzelnen Schrittes meiner Magnetschuhe mit ihrem unendlichfachen Echo wieder verklungen war. Irgendwann kam ich mal nicht richtig auf und begann zu schweben, das letzte Echo meines letzten Schrittes verkroch sich hinter der absoluten Stille um mich. Ich bewegte mich nicht, ließ mich treiben, lauschte und versuchte, meine Angst niederzukämpfen. Schrill schrie ich auf, als mich etwas an der Schulter berührte, es war der Beleuchtungskörper, und ich klammerte mich daran fest und schloss die Augen, bis sich das letzte Echo meines Schreies in der Stille verkrochen hatte. Man darf in solchen Situationen nicht in den Weltraum blicken, das Fehlen des Horizontes kann den Menschen vollends um den Verstand bringen, ihn nach dem erstbesten Gegenstand greifen lassen, um sich daran festzuklammern, - aus Angst zu stürzen, stürzen, aber wohin? Es gibt im Weltraum kein ‚Oben ‚ oder ‚Unten‘, es gibt nur das NICHTS, kein Horizont und keine Schwerkraft, die bestimmt, wo ‚Unten‘ ist, keinen Bezugspunkt - nichts ... Halluzinationen können auftreten, wie nach zu langem Schlafentzug - genau wie jetzt, als ich den toten Raumfahrer am Fenster vorbeischweben sah. Er trug keinen Druckanzug, und er sah aus wie mitten in einer Entspannungsübung schockgefroren. Locker, wie die Gliedmaßen eines Seesternes, der sich im Wasser schwerelos treiben lässt, standen Arme und Beine ab. Alles an ihm war dick, selbst die Zunge, sie hing aus einem geöffneten, wie zu einem anklagenden Schrei bereiteten Mund. Der Mann drehte sich langsam um einen imaginären Punkt, aber seine Augen, diese hervorgequollenen, weit aufgerissenen Augen, starrten mich erbarmungslos an. Ich würgte und erbrach den Bourbon des Vortages. Das Erbrochene schwebte in skurrilen Blasen davon, stieß irgendwo an und zerplatzte zu feinem Nebel. Widerlicher Geschmack füllte mich, ich ließ den Beleuchtungskörper los und schwebte. Der Fußboden glitt unter mir durch, die Tür zum Cockpit, das andere Fenster. Container schwebten dort in der Schwärze, irgendwelche Ersatzteile, - und Menschen! Aufgedunsene Körper, reglos und vom Vakuum konserviert für die Ewigkeit. Ich würgte die letzten Reste des Whiskys aus. Das war Realität! Die letzten Worte meines Kollegen pochten an meine Erinnerung: „John Henry war‘s, er hat das Schiff verflucht ...“ Ich hatte gelacht, etwas von sieben Leben gemurmelt, die man Zeit hat um Rache zu nehmen und war schlafen gegangen. Ich hatte eine Katastrophe verschlafen, bei der alle an Bord starben! Alle?
Möglicherweise war noch jemand in der drucksichenen Schlafröhre gewesen. Die Schlafröhren waren eigentlich die Raumretter des Schiffes, sie waren absolut dicht und besaßen eine eigene Sauerstoffversorgung, ein Funkgerät und ein Überlebensset, falls es einem gelingen sollte, mit den kleinen Steuerdüsen und den Atmosphärenballonen auf einem erdähnlichen Planeten herunterzukommen. Wie zum Hohn schwebte in diesem Moment eine leere Röhre am Fenster vorbei, der Deckel schwang langsam, fast winkend auf und zu. Mein Magen stülpte sich erneut um, dumpfer Kopfschmerz, jeden klaren Gedanken abwürgend, durchtoste, von rasendem Herzschlag synchronisiert, meinen Schädel - ich hatte Angst, Angst alleine zu sein auf diesem Schiff, mit dem möglicherweise doch irgendetwas nicht stimmte. Wo war das Seufzen geblieben, das Ächzen und Stöhnen der Zelle?
Als diese seltsamen, unheimlichen Laute noch das Schiff füllten, war ich nicht beunruhigt, weil ich mir erklären konnte, wo sie herrührten. Aber jetzt, wo eine bleierne Stille in dem Schiff lag, wie ein schlafender Moloch, begann sich Panik in mir auszubreiten, ich wollte mir einfach nicht glauben, dass ich noch lebte, und ich hatte Schuldgefühle deswegen. Die gleichen Schuldgefühle, die denkende Veteranen mit sich herumschleppen - sie waren dabei, schuldhaft dabei, und sie haben überlebt. Jetzt erst, in diesem Moment, wo mich das Gefühl der Hilflosigkeit traf, brachte ich Verständnis für diese Menschen auf, und ich hätte fast den sanften Druck an meiner Schulter nicht gespürt. Ich war irgendwo angestoßen, an die Tür zum Cockpit, und Türen haben einen Griff, einen Griff zum Festhalten. Ich fand den Griff und hielt ihn fest. Ein Halt, ein Bezugspunkt. Die Tür schwang langsam auf, ich drehte meinen Unterkörper in den Sitz des Bordingenieurs, schob mich nach und schnallte mich fest.
Ein Hauch von Sicherheit, definiertes ‚Oben‘ und ‚Unten‘, und Technik, klare übersichtliche, logische Technik lag vor mir, Datendisplays, Schalter, Regler, Skalen, Kontrolllampen manche ruhig, andere hektisch blinkend, - es war noch Leben im Schiff. Ich war nicht mehr hilflos, ich konnte etwas tun, und ich aktivierte den Transponder, stellte den Code 7700 ein, den universellen Notrufcode. Das Gerät rief nun selbständig um Hilfe, ich hatte noch eine Chance. Meine Kopfschmerzen ließen langsam nach, ich schaltete das Funkgerät ein und suchte die Notrufkanäle ab, eine höchst unanständige Idee machte sich in mir breit: Ich trug mich mit dem Gedanken, das Schiff zu stehlen, auszusteigen aus der Gesellschaft, und mich irgendwo in den Tiefen des Alls auf einer Randwelt selbständig zu machen. Gerade begann ich mich an den Gedanken zu gewöhnen, als das Funkgerät ein Signal durchschaltete, ein Atmen! Das Atmen kam unklar und flach, wie die letzten Atemzüge eines resigniert sterbenden Menschen. Automatisch drückte ich die Sprechtaste am Mikrofon: „Hallo?“ Meine Stimme klang mir selbst fremd, brüchig und angstvoll. Das Atmen aus dem Lautsprecher setzte einen Moment aus. „Hallo, ist da jemand? Wo sind Sie?“ Die Atemgeräusche kehrten zurück, diesmal hektischer, rasselnd. Ein langes Stöhnen folgte. „Hallo, melden Sie sich doch! Wer sind Sie? Wo sind Sie?“ Stille, nur die Atemgeräusche aus dem Lautsprecher, von knackenden Störungen unterbrochen. „Ich bin Elke Maiers, Besatzungsmitglied der Sir Barnes Wallis. Wir hatten ein Unglück an Bord.“ Die Stimme klang gepresst, eine Spur Resignation schwang mit. „Gut, Miss Maiers, Ich bin hier auf der Sir Barnes Wallis, wir haben hier alles soweit unter Kontrolle. Machen Sie sich keine Sorgen, wir holen sie rein!“ Ich versuchte meiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, als hätte ich wirklich alles unter Kontrolle, als wäre ich nicht alleine auf diesem Schiff. Das Atmen aus dem Lautsprecher wurde ruhiger. „Miss Maiers?“
„Ja?“
„Können Sie möglichst genau beschreiben wo sie zur Zeit gerade sind, und wie lange der Sauerstoff reichen wird?“
„Ich bin etwa zehn Kilometer hinter dem Schiff. Wie lange der Sauerstoff reichen wird, weiß ich nicht.“
„Ist die Anzeige in ihrem Raumretter ausgefallen? Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, auch wenn die Anzeige defekt sein sollte, arbeitet der Raumretter weiter.“
„Ich weiß, aber ich habe keinen Raumretter, ich trage nur den normalen Druckanzug.“
„Auch gut, Miss Maiers, es besteht keine Gefahr. Bleiben Sie ruhig, wir holen Sie umgehend rein. Bleiben Sie bitte auf dieser Frequenz, ich melde mich gleich wieder, es ist alles in Ordnung.“ Nichts war in Ordnung. Resigniert ließ ich die Schultern sinken. Der Notsauerstoff im Druckanzug reichte normalerweise nur für zwölf bis vierzehn Stunden, und ich wusste nicht, wie lange sie davon gezehrt hatte. Es musste schon sehr lange sein, denn der Sender kam trotz der Nähe sehr schwach rein, denn die Akkus der Stromversorgung sind etwa für die gleiche Zeit ausgelegt. Ich überlegte, die Frau hängen zu lassen, sie solange mit Sprüchen hinzuhalten, bis ihr Sauerstoff verbraucht war - Problem gelöst. Ich schaltete den Transponder aus - allerdings, da hing eine Frau im Weltraum, möglicherweise sogar die Co-Pilotin mit der Traumfigur und wenn ich die rettete, konnte das gewisse Vorteile haben. Einen Juristen hätte ich allerdings ohne Gewissensbisse im Weltraum hängen lassen. Okay, ich wollte es wenigstens versuchen. „Miss Maiers?“
„Ja?“
„Wir werden Sie mit dem Ladetransmitter reinholen. Sind Sie schon mal durch einen Transmitter gegangen?“
„Nein, noch nie. Ich hatte immer Angst davor.“
„Da ist überhaupt nichts bei, Miss Maiers. Das Sicherste, was es gibt. Die Bedienstation für den Transmitter ist im Laderaum. Ich gehe jetzt dahin, beunruhigen Sie sich bitte nicht, wenn sie einen Moment nichts von mir hören. Haben Sie verstanden?“
„Ja, ich habe verstanden. Ich bleibe auf stand by.“
„Sehr gut, Miss Maiers, bis gleich.“ Ich schnallte mich los und hangelte mich mühsam in die kleine Sichtkuppel des Lademeisters. Der Laderaum gähnte mir entgegen, leer und riesig, seine Luken weit geöffnet. Nur die dünne Glasblase der Sichtkuppel trennte mich vom Weltraum. Irgendwo in dieser unendlichen Schwärze musste auch die Gegenstation des Transmitters treiben - und die Frau, die geduldig und hoffnungsvoll auf Hilfe wartete. Die samtene Schwärze des Weltalls schien mich mit ihrer Unendlichkeit erdrücken zu wollen, und ich musste mich zwingen, den Transmitter und seine Gegenstation zu aktivieren. Das Funkgerät!
Ich schaltete mich in die Masterfunke des Schiffes: „Miss Maiers, sind Sie noch da?“
„Ja, natürlich.“
„Fein. Wir überprüfen noch eben den Transmitter, um ganz sicher zu gehen. Haben Sie verstanden?“
„Ja, habe ich.“
„Sehr gut, Miss Maiers, machen Sie sich keine Sorgen, ich melde mich gleich wieder.“ Ich musste sie mit der Gegenstation finden, die auch irgendwo im Weltraum schwebte, das Bild aus ihrer Überwachungskamera zeigte mir nur Weltraum und einige Fragmente der Ladung. „Miss Maiers, sind Sie noch da?“
„Ja, ich bin noch da.“
„Sehr gut. Ich habe eben die Gegenstation aktiviert. Können Sie sie sehen?“
„Wie sieht die Gegenstation denn aus? Hier treiben sehr viele Teile herum.“
„Sie sieht wie ein überdimensionaler Bilderrahmen aus, die Unterseite ist Rot gekennzeichnet. Der Rahmen wird durch vier Triebwerke, in jeder Ecke eins, bewegt und stabil gehalten. Man kann alles durchschieben und von der Gegenstation aus direkt in den Laderaum materialisieren. Mit einer Kamera wird dieser Vorgang überwacht, das Bild habe ich hier auf dem Monitor. Ich muss Sie nur noch finden und mit dem Rahmen so überfahren, dass Sie in die rote Unterseite gelangen. Alles klar?“
„Alles klar! Ein paar Kilometer links zwischen mir und dem Schiff treibt solch ein Ding. Ein grüner Container der ‚Wessex Cargo‘ schwebt zwischen mir und diesem Rahmen.“
„Ausgezeichnet! Ich werde Sie gleich haben, kein Problem! Welche Nummer hat der Container?“
„Zwohundertzwölfl - Er sieht etwas verbeult aus.“ Den Container zweihundertzwölf zu finden war einfacher, als einen einzelnen Menschen im Weltraum auszumachen. Ich ließ die Kamera kreisen, ein geplatzter Container tauchte auf dem Monitor auf, Teile eines Bohrgestänges, Fragmente der Ladung. Kleine Schweißperlen lösten sich von meiner Stirn, schwebten und zerplatzten zu feinem Nebel am Glas der Sichtkuppel - und dann nahm ich wieder ein leises Stöhnen wahr, das Ächzen und Seufzen der Schiffszelle! Einen winzigen Moment schloss ich die Augen und versuchte die unheimlichen Geräusche zu verdrängen, aber nur der dumpf pochende Kopfschmerz kehrte zurück. „Nur jetzt nicht schlapp machen“, dachte ich, „noch nicht, noch wenige Augenblicke, bis die Frau drin ist!“
Ich zwang mich, auf den Monitor zu sehen, ein aufgedunsener Körper schwebte an der Kamera vorbei, Übelkeit stieg in mir hoch, von galligem Geschmack begleitet. Eine grüne Ecke huschte über den oberen Bildrand, ein Bohrkopf aus einem geborstenen Container. - Der Container zwohundertzwölf sollte grün gewesen sein! Meine Hand auf dem kleinen Joystick zum Schwenken der Kamera zitterte. Zurück die Kamera, Zoom zurück, etwas höher, der Container tauchte auf, eine Zwei, eine Eins, noch eine Zwei - Stopp! „Miss Maiers, sagten Sie Wessex Cargo zwohundertzwölf?“
„Ja, genau! Zwohundertzwölf!“
„Ich habe ihn! Diesen Container werde ich zuerst ins Schiff holen, damit prüfe ich die Anlage und brauche die Flugbahn der Gegenstation nicht mehr groß zu ändern. Da Sie sich hinter dem Container befinden, werden Sie als Nächstes eingefangen. Ich setze die Gegenstation jetzt in Bewegung, haben Sie verstanden?“
„Ja, ich habe verstanden. Der Berg kommt also zum Propheten, oder?“
„Ganz recht! Ihren Humor möchte ich haben! Wundern Sie sich bitte nicht, wenn der Container gleich in den Rahmen verschwindet wenn er überfahren wird. Können Sie sehen, wie sich der Rahmen bewegt? Zeigt er ihnen auch die rote Unterseite?“
„Ja, ich sehe die rote Seite, sie kommt direkt auf mich zu. Aber das Ding fliegt so langsam, können Sie denn nicht schneller?“
„Das geht leider nicht, sie würden hier wie ein Geschoss in den Laderaum platzen, wenn ich Sie mit hoher Geschwindigkeit überfahre, verstehen Sie?“
„Nein.“
„Für die Hauptanlage hier im Schiff stellt die Gegenstation einen Fixpunkt dar. Sie würden hier mit der gleichen Geschwindigkeit herausfliegen, wie Sie drüben in den Rahmen hineingehen, beziehungsweise von diesem überfahren werden! - Achtung, der Container müsste gleich verschwinden!“ Wie in Zeitlupe materialisierte der Container zwohundertzwölf in den Laderaum und schwebte langsam schräg in die Höhe auf mich zu. Ich bekam feuchte Handflächen - der Container würde doch nicht die Kuppel rammen? Ich hatte ihn ein wenig schräg überfahren und nicht daran gedacht, dass der Container mit dem gleichen Winkel in den Laderaum materialisierte, mit dem er in die Gegenstation gefahren war. Langsam und drohend wuchs der Container auf mich zu. Ich hatte die Dinger nicht so riesig in Erinnerung, er würde das Glas der Sichtkuppel mit Sicherheit zerquetschen und das Vakuum des Weltalls hereinlassen. Mit lautem Dröhnen fiel in diesem Moment das Schott zur Sichtkuppel zu und knirschte in seine Verriegelung. So etwas konnte nicht von alleine geschehen! Ein seufzendes Stöhnen drang wieder zu mir in die Sichtkuppel.
John Henry! Mike hatte doch Recht mit seinen Vermutungen, als er von der Rache dieses Mannes sprach! „Hallo, was ist mit Ihnen? Warum melden Sie sich nicht?“ Die Stimme aus dem Lautsprecher klang angstvoll gequetscht. Eine Handbreit vor mir stoppte der Container, drehte sich etwas und schwebte in die Höhe. Ich atmete schwer aus, die Magnetsicherung hatte ich völlig vergessen. Mit metallischem Dröhnen klinkte sich der Container in die Magnethalterung an der Decke des Schiffes, genau neben die dreieckigen Beulen in der inneren Beplankung - aber diese Beulen waren nach innen getrieben, als wäre ein rechteckiger Gegenstand mehrfach von außen auf die innere Hülle gedroschen worden.
„Hallo, was ist denn mit Ihnen? Können Sie mich verstehen?“ Ich riss meine Blicke von den Dellen los, mir fiel auf, dass die Beulen immer in Dreiergruppen eingeschlagen worden waren, immer drei Beulen dicht nebeneinander. Der Monitor, ein wild mit den Armen rudernder, roter Druckanzug war auf dem Bildschirm zu sehen. „Alles in Ordnung, Miss Maiers, wir mussten nur noch eben den Container haltern. Kommt der Rahmen gerade auf Sie zu?“
„Ja, er kommt. - Mein Gott, ist das Ding riesig!“
„Das scheint nur so. Machen Sie sich keine Sorgen, wir sehen uns gleich im Laderaum.“ Der rote Druckanzug wuchs förmlich in die Kamera, ich richtete die Gegenstation noch eine Winzigkeit nach. Ein leichter Luftzug traf mich am Nacken, das Schott zur Sichtkuppel musste sich wieder geöffnet haben, während ich mit dem Transmitter beschäftigt war. Ich riss meinen Blick vom Monitor los und drehte mich um, - Mike stand hinter mir, höhnisch grinsend, und er hatte eine Spritze in der Hand.
„Du?“, brachte ich mühsam heraus. Mit einem Grinsen wie festgefroren trat Mike hinter mich und schlug mir mit der Handkante in den Nacken. Ich konnte ihn nicht hindern, mir die Spritze in den Hals zu drücken. Es floss wie glühende Lava in mich, und ich stürzte in eine unendliche Schwärze ...
3. Teil: John Henrys Rache
Ich lag in meiner Schlafröhre, als ich mich langsam wieder zusammenfand. Der erste klare Blick glitt zur Uhr, ich musste etwa zwölf Stunden geschlafen haben. Wieso hatte man mich wieder in die Schlafröhre gelegt? Mike und die Co-Pilotin schienen mich doch irgendwie zu brauchen, möglicherweise weil ich auch ein derartiges Raumschiff fliegen konnte, - oder wollten sie nur noch Jemanden haben, der ihnen half, das Schiff nach Hause zu bringen, denn solch ein Ding alleine zu landen, war trotz aller Automatiken eine Sache für sich. Ich wollte es an mich herankommen lassen und begann meine Muskeln anzuspannen, jeden einzelnen für sich und bewusst. Ich ließ sie wieder kommen. Ein einfacher Selbstcheck, ich empfand jeden einzelnen Muskel und startete die Stoppuhr in meinem Chronometer am Handgelenk, schloss die Augen und versuchte genau eine Minute zu schätzen. Ich stoppte die Uhr bei achtundfünfzig Sekunden und beschloss, wieder einsatzfähig zu sein. Der Deckel meiner Schlafröhre war nicht verschlossen, ich stieg vorsichtig aus. Der Antigraw arbeitete wieder, es musste ungefähr halbe Erdschwere eingestellt worden sein, das beruhigende Vibrieren der laufenden Triebwerke war auch wieder da, und das permanente Seufzen und Stöhnen eines jeden in geodätischer Bauweise gefertigten Flugkörpers lag in der Luft. Hunger hatte ich, ätzenden, beißenden Hunger, und einen unangenehmen, pelzigen Geschmack im Mund.
Ich aß einige Schokoladenriegel aus der Vakuumverpackung, wie ich sie als Nervennahrung bei den Inbetriebnahmen der Transmitter dutzendweise verschlungen hatte. Danach trank ich etwas Wasser aus der Leitung. An das Trinkwassergefäß ging ich nicht, möglicherweise hatte man da etwas Unangenehmes reingetan. Eine Waffe brauchte ich noch, und ich nahm eine Handdüse aus der Halterung neben der Tür. Die ‚Handdüse HD 2‘ war aus den Satellitensteuerdüsen entwickelt worden. Wenn man sie im Weltraum genau in die entgegengesetzte Richtung hielt, in die man wollte, trieb sie einen in etwa dorthin. In einer Atmosphäre allerdings gab sie eine Stichflamme von sich, leicht ballistisch gekrümmt wie ein Geschoss. „Okay“, sagte ich laut, „auf in den Kampf.“
Ich stieß die Tür zum Gang auf. Die HD 2 feuerbereit wie eine MPi haltend, betrat ich die Messe. Mike hätte ich auf der Stelle umgelegt, und mit der Co-Pilotin wollte ich erst mal reden und dann weitersehen, vielleicht konnte sie ja nichts dafür. Überhaupt sollte man jedes Jahr für eine halbe Stunde das Faustrecht einführen. „Ein guter Stoff für eine Story!“, dachte ich. Die Messe war leer, auf einem Tisch lagen die Reste eines Frühstücks und eine halbvolle Kaffeekanne. Verzerrte Stimmen drangen aus dem Cockpit, Stimmen aus Sprechfunkgeräten, dort musste also jemand sein! Klar, mit laufenden Triebwerken hätte ich solch ein Schiff auch nicht alleine durchs Weltall toben lassen, trotz aller Automatiken. Ich wartete auf das nächste Stöhnen der Schiffszelle und trat durch die offene Tür ins Cockpit. Menschliche Haare ragten über jede der beiden Kopfstützen auf den Pilotensitzen. „Hallo mein Lieber, gut geschlafen?“ Mikes grinsendes Gesicht erschien neben der Rückenlehne des Co-Pilotensitzes. Ich zögerte nur eine Schrecksekunde, zielte und krümmte den Zeigefinger um den Abzug der Handdüse. Nichts geschah. „Tja, Pech mein Lieber!“ Mike bleckte seine Zähne, „glaubst du, wir lassen dir die Ladung drin? Aber den Spaß wollten wir dir nicht nehmen. - Ich habe die Wette übrigens gewonnen - er hat abgedrückt.“
„Gratuliere!“
Das Gesicht der Co-Pilotin mit der Hollywoodfigur tauchte neben dem anderen Sitz auf, „ganz brauchbar der Mann.“
„Was wird hier eigentlich gespielt?“, fragte ich, „habt ihr ein Wettbüro aufgemacht?“
„Ach, nein, nur eine kleine Privatwette“, grinste Mike, „nichts von Belang! Willkommen im Club der Überlebenden.“
„Soll das heißen, dass nur wir drei überlebt haben?“
„Ganz Recht“, sagte Mike, „und wenn ich die Dame nicht aus dem Weltraum geholt hätte, wären nur wir beiden am Leben geblieben. - Hauptsache, du bist wieder nüchtern.“
„Ach, so ist das“, sagte ich gedehnt, „Mike hat Sie also aus dem Raum gefischt.“
„Ja, das hat er“, sagte die Co-Pilotin, „Sie waren ja viel zu betrunken, ich musste sogar noch helfen, Sie in ihre Schlafröhre zu bringen. Mike hat übrigens mal anklingen lassen, dass Sie im Krieg auch Raumschiffe geflogen haben, stimmt das?“
„Ja, ‚Galaxy-Crusier‘ und ‚Interstellar-King‘, beide in ‚long range mission‘.“
„Das trifft sich gut! Wissen Sie, die Besatzung des Schiffes wollte die Sir Barnes Wallis sowieso an sich bringen, Mike wollte als Transmitterexperte mitmachen. Dass das Schiff durch den Unfall sowieso in unsere Hände gefallen ist, kommt uns sehr gelegen. Wenn Sie mal dem Sprechfunk lauschen, wird Ihnen sicher auffallen, dass die von dem Unfall Wind gekriegt haben, - nur suchen die jetzt an einer ganz anderen Stelle.
Wie gut, dass es Transmitter gibt, wir haben dafür gesorgt, dass die ein paar Reste finden und glauben, es sind alle dabei draufgegangen. - Sie auch!“
„Das ist ja alles sehr interessant.“ Ich legte die Handdüse irgendwo hin und setzte mich auf den Platz des Bordingenieurs. „Wieso habt ihr mich nicht auch in den Weltraum geworfen?“
„Tja“, sagte die Co-Pilotin gedehnt, „die Sache ist die: Dieses Schiff hier ist alleine nur sehr schwer zu fliegen, und auf Dauer nahezu unmöglich. Da der andere Pilot bedauerlicherweise auch mit umgekommen ist, können Sie mitmachen, wenn Sie möchten.“
„Und wenn ich nicht mitmache?“
„Sauerstoff für vierundzwanzig Stunden, und ab durch die Schleuse“, sagte Mike, „wie man es traditionell mit jedem Meuterer macht!“
„Ja, ja, Traditionen haben etwas für sich. Die alten Seeleute sagten ‚maloonen‘ zum Aussetzen, aber die bekamen immer ein Fläschchen Rum mit. Da vom Rum allerdings keine Rede war, werde ich wohl besser mitmachen, - zumal eine schöne Frau mitspielt.“
„Also, mit der Elke ist das so ...“, hub Mike an, ich fiel ihm ins Wort: „Wir wollen mal eben zweierlei klarstellen: erstens, dass ich die Dame aus dem Weltraum geholt habe! Wo warst du denn zu dem Zeitpunkt?“
„Stimmt das?“, fragte die Co-Pilotin, „aber Sie waren doch ganz betrunken, ich habe doch selber gesehen, wie Sie fast eine ganze Flasche Whisky getrunken haben.“
„Aber ich bin zwischendurch mal aufgewacht, und Mike hat mich mit einer Spritze wieder Schlafen gelegt, als ich Sie fast drin hatte, aber das lässt sich ja leicht überprüfen! Mike, welcher Container war zwischen dem Schiff und dieser Dame?“
„Irgendein Container eben, ich weiß es nicht mehr.“
„Das müsstest du aber wissen, denn du hast das Ding sehr lange gesucht“, sagte die Co-Pilotin, „auf keinen Fall kann er das wissen! Welcher Container?“
„Wessex Cargo zwohundertzwölf“, sagte ich. Die Co-Pilotin sah Mike lange an. „Tut mir leid, Mike“, sagte ich, „aber wenn ich euch recht verstanden habe, gibt es nur zwei an Bord, die das Ding hier fliegen können, und das sind die schöne Frau und ich! Mike, hiev deinen Arsch aus dem Pilotensitz, da gehe ich jetzt hin!“ Mike sah die Pilotin an, aber die beschäftigte sich mit einem Datendisplay. „Wird‘s bald?“ Mike rührte sich nicht, ich stand auf, ballte die rechte Hand zur Faust und hieb sie mehrmals klatschend in die linke Handfläche. Das Schiff schien gequält aufzustöhnen. „Mike, ich kann dich auch aus dem Sessel raus prügeln!“ „Schon gut, wo kämen wir denn hin, wenn wir uns streiten würden?“ „Eben“, ich flegelte mich in den Co-Pilotensitz, „womit wir das zweite auch abgeklärt hätten! Ach, wo du doch gerade stehst, Mike, bring‘ uns doch mal zwei Eimer Kaffee! Ich nehme meinen mit Milch und Zucker, und Sie?“ „Schwarz. Ich heiße Elke.“
„Na, hört mal her, ich bin nicht euer Messeboy.“
„Du stehst aber gerade in der Nähe der Tür! Und nun mach‘ hin, wir haben nicht ewig Zeit!“
„Es ist wirklich besser für dich“, sagte die Pilotin. Mike schob ab.
„So, du willst also wirklich mitmachen?“
„In der Tat“, nickte ich, „aber haben sie wirklich alle umbringen müssen, um in den Besitz des Schiffes zu gelangen?“
„Wir haben niemanden umgebracht, es ist wirklich ein Unglück geschehen! Wenn du mich nicht aus dem Weltraum gefischt hättest, wäre ich auch draufgegangen. Vielen Dank auch dafür, ich habe allen Ernstes geglaubt, Mike hätte das getan. Ich werde mich später erkenntlich zeigen ...“
„Ach, das war doch selbstverständlich! Ich möchte aber gerne wissen, wie das passiert ist.“
„Das ist schnell erzählt“, begann Elke, „ein Paar Stunden nach dem Start, nachdem die Routine erledigt war, haben wir alle in der Messe gesessen und ein wenig gefeiert. Du warst ja auch da mit Mike und hast dich volllaufen lassen.“
„Ja, und ich bin dann in meine Schlafröhre gegangen.“
„Das war wahrscheinlich dein Glück! Unsere Feier wurde jedenfalls ganz lustig, und irgendjemand schlug eine Wette vor, ob ich wohl mit meiner Figur in einen ganz normalen Druckanzug passen würde.“