Der Weg, den ich wählte - Patricia Vandenberg - E-Book

Der Weg, den ich wählte E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Das Ehepaar Dr. Daniel Norden und Fee sehen den Beruf nicht als Job, sondern als wirkliche Berufung an. Aber ihr wahres Glück finden sie in der Familie. Fünf Kinder erblicken das Licht der Welt. Die Familie bleibt für Daniel Norden der wichtige Hintergrund, aus dem er Kraft schöpft für seinen verantwortungsvollen Beruf und der ihm immer Halt gibt. So ist es ihm möglich, Nöte, Sorgen und Ängste der Patienten zu erkennen und darauf einfühlsam einzugehen. Familie Dr. Norden ist der Schlüssel dieser erfolgreichsten Arztserie Deutschlands und Europas. »Seht euch das an!« forderte der Geschäftsführer des kleinen Kunstbuch-Verlags Leo Sperling seine beiden Kinder Fanny und Friedrich fassungslos auf und reichte ihnen eine Postkarte mit kitschig-buntem Motiv. »Toller Sandstrand«, stellte Fanny zunächst anerkennend fest, ehe sie die Rückseite betrachtete, die von der schwungvollen Handschrift der Freundin ihres Vaters geziert war. »Ich habe das Paradies gefunden und werde hierbleiben. Sicher kommt Ihr auch ohne mich klar. Henriette kümmert sich bestimmt gut um euch. Viele liebe Küsse und Grüße von Elsa«, las sie laut vor und reichte die Karte scheinbar ungerührt weiter an ihren elfjährigen Bruder. »Wenn die wüßte, daß Henriette gestern gekündigt hat«, bemerkte Friedrich achselzuckend und gab die Postkarte schließlich zurück an seinen Vater. »Das würde Elsa wohl kaum interessieren«, stellte Leo tonlos fest. Er war leichenblaß geworden und wußte nicht, was er von dieser Botschaft halten sollte. Fanny betrachtete ihren Vater mitfühlend, aber ein wenig verständnislos. »Ich verstehe gar nicht, warum du so schockiert bist. Elsa und du, ihr benehmt euch doch schon seit Jahren wie Hund und Katze. Ehrlich gesagt bin ich froh, daß die Streitereien ein für allemal ein Ende haben«, konstatierte sie sachlich, ohne ihren Vater aus den Augen zu lassen. Leo seufzte tief und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.

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Familie Dr. Norden – 768 –

Der Weg, den ich wählte

Jetzt gehört mein Leben mir

Patricia Vandenberg

»Seht euch das an!« forderte der Geschäftsführer des kleinen Kunstbuch-Verlags Leo Sperling seine beiden Kinder Fanny und Friedrich fassungslos auf und reichte ihnen eine Postkarte mit kitschig-buntem Motiv.

»Toller Sandstrand«, stellte Fanny zunächst anerkennend fest, ehe sie die Rückseite betrachtete, die von der schwungvollen Handschrift der Freundin ihres Vaters geziert war. »Ich habe das Paradies gefunden und werde hierbleiben. Sicher kommt Ihr auch ohne mich klar. Henriette kümmert sich bestimmt gut um euch. Viele liebe Küsse und Grüße von Elsa«, las sie laut vor und reichte die Karte scheinbar ungerührt weiter an ihren elfjährigen Bruder.

»Wenn die wüßte, daß Henriette gestern gekündigt hat«, bemerkte Friedrich achselzuckend und gab die Postkarte schließlich zurück an seinen Vater.

»Das würde Elsa wohl kaum interessieren«, stellte Leo tonlos fest. Er war leichenblaß geworden und wußte nicht, was er von dieser Botschaft halten sollte.

Fanny betrachtete ihren Vater mitfühlend, aber ein wenig verständnislos.

»Ich verstehe gar nicht, warum du so schockiert bist. Elsa und du, ihr benehmt euch doch schon seit Jahren wie Hund und Katze. Ehrlich gesagt bin ich froh, daß die Streitereien ein für allemal ein Ende haben«, konstatierte sie sachlich, ohne ihren Vater aus den Augen zu lassen.

Leo seufzte tief und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.

»Das schon. Ich weiß auch nicht, warum ich dachte, sie würde wenigstens an euch hängen. Es trifft mich, daß Elsa einfach so sang- und klanglos abhaut. Damit habe ich niemals gerechnet.«

»Nun ist es aber passiert, und es ist besser, sich mit den Tatsachen zu arrangieren. Elsa hat es nicht verdient, daß man ihr auch nur eine Träne nachweint. Im Grunde genommen hat sie in all den Jahren nur dein Geld verpraßt und sich einen schönen Lenz gemacht.«

»Und mich im Stich gelassen, jetzt, wo die Zeiten schwierig wurden«, vollendete Leo Sperling den altklugen Satz seiner vierzehnjährigen Tochter. Wieder seufzte er. »Eigentlich hast du recht. Ich sollte ihr keine Träne nachweinen und froh sein, daß wir sie los sind. Aber eines sage ich euch: eine Frau kommt mir nicht mehr ins Haus. Dieses Thema ist endgültig erledigt.«

Friedrich grinste spöttisch, als er diesen Beschluß vernahm.

»Hast du vor, uns einen Hausmann zu suchen, der sich um uns kümmert und das Haus in Ordnung hält?«

Angesichts dieses belustigten Kommentars seines Sohnes mußte auch Leo schon wieder lächeln.

»Nein, natürlich nicht. Selbstverständlich besorge ich wieder weiblichen Ersatz für Henriette. Ich habe mich falsch ausgedrückt.«

»Daddy wollte sagen, daß er auf eine neue bessere Hälfte verzichten kann«, klärte Fanny ihren jüngeren Bruder grinsend auf. Doch gleich darauf verzog sich ihr Gesicht zu einem Schmollmund. Sie setzte sich auf Leos Schoß und schlang die Arme um seinen Hals. »Ehrlich gesagt wollen wir aber nicht schon wieder eine neue Gouvernante. Jedesmal, wenn eine neue Haushaltshilfe gekommen ist, hast du mehr gearbeitet. Viel lieber wäre es uns, wenn du dich um uns kümmern könntest.«

»Das würde ich wirklich gerne tun, Prinzessin. Aber leider muß ich arbeiten und Geld verdienen. Zumal im Augenblick die Geschäfte wirklich schlechtlaufen. Charly hat meine Unterstützung dringend nötig.«

»Aber wir brauchen dich auch ganz dringend. Du hast mir schon so lange versprochen, mit mir auf ein Fußballspiel zu gehen«, erinnerte Friedrich seinen Vater mit deutlichem Vorwurf in der Stimme.

»Und mit mir wolltest du Billard spielen«, wollte auch Fanny in nichts nachstehen.

Leo blickte hoffnungslos von einem zum anderen.

»Ich weiß das alles. Aber im Augenblick geht es leider wirklich nicht. Einmal müßt ihr noch Geduld haben und zu mir halten. Wenn diese Talsohle durchschritten ist, machen wir gemeinsam einen schönen Urlaub und unternehmen alles, worauf ihr Lust habt. Ist das ein Angebot?« machte er einen versöhnlichen Vorschlag.

Die Kinder sahen sich an und schienen über diese Idee nachzudenken, obwohl sie wußten, daß sie im Grunde keine Wahl hatten. Endlich nickten sie gnädig.

»Also schön«, übernahm Fanny es als Wortführerin, ihrem Vater ins Gewissen zu reden. »Großes In-

dianerehrenwort! Wenn der Zauber in der Firma vorbei ist, machen wir Urlaub.« Sie und ihr Bruder hielten dem Vater die Hände hin, und Leo schlug erleichtert und unsagbar stolz ein.

»Ihr seid phantastisch. Ich werde euch nicht enttäuschen«, versprach er mit einem Anflug von Sentimentalität. Damit war das Gespräch unter sechs Augen für diesen Morgen beendet. Die Zeit drängte. Fanny und Friedrich mußten sich beeilen, um pünktlich zur Schule zu kommen, und auf Leo wartete wie so häufig in letzter Zeit ein Arbeitstag mit ungewissem Ausgang. So nahm es kein Wunder, daß das Verschwinden der langjährigen Lebensgefährtin Elsa Mahler keine hohen Wellen schlug. Noch ehe die drei die schicke Altbauwohnung verlassen hatten, war die von den Kindern ohnehin ungeliebte Freundin des Vaters vergessen.

Zufrieden rekelte sich Luisa Jacobi in ihrem blütenweißen Himmelbett und genoß den Duft nach frischem Leinen und Sommerblumen, der durch die großen Fenster hereinwehte. Sanft blähten sich die lindgrünen Vorhänge im Wind.

»So könnte es ewig bleiben«, murmelte Lulu, wie sie sich gerne selbst nannte und wollte sich eben auf die Seite drehen, als eine scharfe Stimme die Harmonie des Morgens zerstörte.

»Dachte ich es mir doch!« funkelte Simone Jacobi wütend, als sie ihre jüngere Schwester am hellen Tag im Bett vorfand. »Wann begreifst du endlich, daß das Leben kein Spiel ist?«

Lulu, die sich rasch von ihrem Schrecken erholte, zog die Bettdecke bis über die Nase und murmelt dumpf:

»Was soll es denn sonst sein als ein Spiel? Ich finde es herrlich. Du bist viel zu verkrampft. Das ist dein Problem.«

Angesichts dieser Worte sträubten sich Simones Nackenhaare.

»Schade, daß Papa das nicht hören kann. Dann würde er vielleicht endlich erkennen, was für einen Nichtsnutz und Schnorrer er da heranzieht.«

»Was soll das heißen? Nur weil du zu minderbemittelt bist, um mein kreatives Talent zu begreifen, heißt das noch lange nicht, daß ich nichts leiste.«

»Ha, schwülstige Gedichte schreiben nennst du eine Leistung?« lachte Simone hämisch. Doch ihre Augen funkelten vor Zorn. »Das glaubst du nur, weil sich alle Menschen um dich herum abrackern, damit du dich dem süßen Nichtstun widmen kannst. Diese stümperhafte Schreiberei ist doch nichts anderes als ein Vorwand zur Faulenzerei.«

Gewöhnlich dauerte es lange, bis Luisa aus ihrer Lethargie erwachte. Doch an diesem Morgen war es ihrer Schwester erstaunlich schnell gelungen, sie zum Leben zu erwecken. Wütend stieß sie die Bettdecke beiseite und setzte sich auf. Ihre Wangen glühten hochrot, und ihre braunen Augen blitzten vor Ärger.

»Du bist nur neidisch, weil du nicht einen Hauch Phantasie besitzt und niemals auch nur eine Zeile zu Papier bringen könntest.«

»Gott bewahre! Dieses hirnrissige Zeug, das du da verbreitest, entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit. Da halte ich mich lieber an Fakten.«

»Wieso denn Unglaubwürdigkeit? Was weißt du schon von der Melancholie, die mich stets erfüllt?« schnaubte Lulu gekränkt und wickelte sich in ihr blütenweißes Laken.

»Mich erfüllt Melancholie, wenn ich an die Besprechung bei Papa denke, die pünktlich in fünf Minuten beginnt«, ließ sich Simone jedoch nicht aus dem Konzept bringen und lächelte schadenfroh angesichts dem Entsetzen, das Lulu bei dieser Bemerkung in die Augen sprang.

»So ein Mist, die hatte ich völlig vergessen. Unmöglich, das jetzt noch pünktlich zu schaffen. Du mußt mich unbedingt entschuldigen, ja? Bitte, meine Süße, einmal noch. Komm, sag ja!« änderte sich Luisas Stimme schlagartig. Von einem Moment auf den anderen meinte Simone, statt einer tobenden Wildkatze ein schnurrendes Kätzchen vor sich zu haben. Doch sie kannte ihre Schwester gut genug und war inzwischen zu oft auf diesen Trick hereingefallen, als daß sie darauf eingegangen wäre.

»Tut mir leid, Schwesterherz. Darf ich dich dran erinnern, daß du schon die letzten beiden Sitzungen verpaßt hast? Paps hat extra angeordnet, dich zu holen. Falls du nicht erscheinst, verlegt er nie mehr wieder einen deiner hochgeistigen Gedichtbände und enterbt dich obendrein.«

»Das ist eine Lüge«, rief Lulu empört. Doch ihre Stimme zitterte und zeigte, daß sie sich ihrer Sache ganz und gar nicht sicher war.

Das erkannte auch Simone. Statt einer Antwort lächelte sie nur noch kühler und wandte sich dann im Zeitlupentempo um. Wahrhaft königlich stolzierte sie aus dem Schlafzimmer ihrer Schwester, wohlwissend, in welcher Verzweiflung sie Lulu in diesem Augenblick zurückließ.

Betroffen sah sich Dr. Daniel Norden in der Wohnung seines alten Patienten Wilhelm Rüttger um. Neben ihm stand Dr. Weiler aus der Behnisch-Klinik, den er vorsorglich zur Unterstützung herbeigerufen hatte, nachdem der Notruf bei ihm eingegangen war. Doch er war zu spät gekommen. Als die beiden Ärzte am Ort des Geschehens eingetroffen waren, hatte Wilhelm Rüttger die Augen bereits für immer geschlossen. Seine Katze Paula miaute erbärmlich, als der Verstorbene in die Behnisch-Klinik überführt wurde und nur Dr. Norden und Dr. Weiler zurückgeblieben waren.

Andreas Weiler hatte ein weiches Herz und bückte sich, um das unglückliche Tier zu streicheln.

»Was machen wir denn jetzt mit dir? Du kannst ja unmöglich alleine hierbleiben.« Er hob den Blick zu Daniel Norden. »Du weißt doch bestimmt, ob der alte Herr Rüttger Verwandte hatte, denen man die Katze bringen kann.«

Betrübt schüttelte Daniel den Kopf.

»Soviel ich weiß, war er ganz alleine. Eine Putzfrau hat einmal in der Woche saubergemacht. Sie hat auch die Einkäufe erledigt. Getränke hat der Markt von unten jeden Tag heraufgebracht.«

»Sieht so aus, als ob wir es mit einem Alkoholiker zu tun gehabt hätten«, stellte Weiler fest, während er sich zurückhaltend umsah. Er fühlte sich wie ein Eindringling in dieser Wohnung, die doch keinen Besitzer mehr hatte.

Wieder verneinte Dr. Norden.

»Herr Rüttger hat wohl getrunken, aber in Maßen. Da hielt er sich an meine Empfehlung.«

»Was fehlte ihm denn?«

»Er hatte mit Depressionen und psychosomatisch bedingten Rükkenschmerzen zu kämpfen. In den vergangenen Monaten war ich mindestens einmal pro Woche bei ihm, um ihm beizustehen. Dabei konnte ich meist nicht mehr tun, als dazusein und zuzuhören. Oft brauchte er nur einen Menschen zum Reden«, erzählte Daniel Norden frustriert. »In solchen Momenten bedaure ich es zutiefst, daß es keine Großfamilien mit mehreren Generationen mehr gibt, die solche einsamen Menschen auffangen.«

»Ich weiß nicht recht. Diese Form des Zusammenlebens wird heutzutage so hochstilisiert. Dabei kann meine Mutter ein Lied davon singen, wie sehr sie unter der steten Bevormundung ihrer alten Eltern gelitten hat. Selbst in die Kindererziehung haben sich die alten Herrschaften eingemischt.«

»Es hat wohl alles seine zwei Seiten«, nickte Daniel einsichtig. »Trotzdem gibt es meiner Ansicht nach nichts Schöneres, als geborgen in einer Familie zu leben.«

»Selbst wenn die Großfamilie heute noch gang und gäbe wäre, wäre unser Walther Rüttger auf verlorenem Posten gestanden«, versuchte Andreas Weiler, seinen Kollegen zu trösten. Er war inzwischen aufgestanden und begutachtete beinahe schüchtern die Relikte aus einer längst vergangenen Zeit. »Nirgendwo ist ein Foto von einem anderen Menschen. Er hatte wirklich keinen Anschluß. Wo also hätte er unterkommen können?«

Aber auch darauf hatte Daniel Norden eine Antwort.

»Damals gab es auch die Möglichkeit, gegen Verpfändung der Rente bei einer Familie unterzukommen und dort gepflegt zu werden, wenn es einmal nötig sein sollte.«

»Kein schlechtes Prinzip«, stellte Weiler beifällig fest. »Immer noch besser, von Fremden gepflegt zu werden, als einsam zu sein. Aber sieh mal hier, was ich gefunden habe. Vielleicht war er doch nicht so arm dran, wie wir meinen.« An einer Pinwand hatte Dr. Weiler etwas entdeckt, das seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine vergilbte Fotografie, die eine junge, hübsche Frau mit lachendem Mund und großen Rehaugen zeigte. »Zumindest scheint es einmal eine Liebe in seinem Leben gegeben zu haben. Das macht die Sache ein wenig tröstlicher.«

Interessiert trat Daniel näher. Vorsichtig hob er das Bild an und las den Namen, der auf der Rückseite geschrieben stand.

»Anna Sperling. Seltsam, ich dachte, Herr Rüttger hat mir während meiner zahlreichen Besuche seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Eine Anna hat er jedoch nie erwähnt.«

»Tja, dieses Geheimnis hat er nun mit ins Grab genommen«, beendete Dr. Weiler seinen Rundgang in der ärmlichen Wohnung und sah auf die Uhr. »Ich muß jetzt los. So schwer es mir auch fällt, die Arbeit geht unerbittlich weiter.«

Daniel seufzte und streichelte die maunzende Katze.

»Dann werde ich mich auch wieder auf den Weg machen. Und dich nehme ich erst einmal mit, ehe klar ist, was mit dir geschehen soll.«

»Deine Kinder werden ihre helle Freude haben«, lächelte Dr. Andreas Weiler, ehe er sich auf den Weg zurück in die Klinik machte.

Daniel Norden verharrte noch eine Weile in der Wohnung, streichelte die unglückliche Katze, während er über Wilhelm Rüttger nachdachte. Das Bild der jungen Anna Sperling wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen. Welches Geheimnis mochte sich hinter dem hübschen Gesicht verbergen, das den alten Mann offenbar ein Leben lang nicht mehr losgelassen hatte?

Als Leo Sperling an diesem Morgen das Büro betrat, erwarteten ihn nicht wie vermutet Trauermienen. Viel mehr eilte ihm sein Kompagnon Charly Kleiber schon auf dem Flur entgegen und zog ihn in sein Büro.

»Gut, daß du endlich da bist. Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr.«

»Übertreib mal nicht so schamlos«, ließ Leo diesen Vorwurf nicht gelten. »Wenn ich mich recht erinnere, ertrinken wir nicht gerade in Arbeit in letzter Zeit. Es spielt also keine Rolle, ob ich fünf Minuten früher oder später komme. Außerdem mußte ich mit meinen Kindern sprechen. Elsa hat sich abgesetzt.«

»Na endlich. Darauf warte ich schon seit Monaten. Du kannst von Glück sagen, daß sich diese Schnepfe ohne Forderungen aus dem Staub gemacht hat«, entfuhr es Charly.

Leo warf seinem Freund und Partner einen irritierten Blick zu.

»Schön, daß ich deine Meinung auch einmal zu hören bekomme. Bisher war ich immer der Ansicht, alle Welt sei begeistert von Elsa ­gewesen.«

»Was hätte ich sagen sollen?« wehrte sich Charly energisch. »Liebe macht ja bekanntlich blind. Außerdem war ich mir sicher, daß du irgendwann von selbst draufkommst. Auf diese Weise habe ich es mir gespart, mich in die Nesseln zu setzen«, grinste er breit und setzte sich an seinen Schreibtisch, wo er mit wichtiger Miene einen hochglänzenden Aktenordner aufschlug.

»Feine Freunde habe ich, ich muß schon sagen«, murrte Leo unwillig und setzte sich ebenfalls. »Laß uns lieber übers Geschäft sprechen. Was gibt es denn so Wichtiges, daß du es kaum erwarten konntest, mich zu sehen?«

Auf diese Frage hatte Charly Kleiber nur gewartet. Seine Haltung straffte sich.

»Stell dir vor, wir haben einen Interessenten gefunden, der in unseren Verlag investieren will.«

»Einen Investor?« platzte Leo Sperling aufgeregt heraus. »Und das sagst du erst jetzt und in aller Ruhe?«