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Ein nicht ganz normaler Student wird kurzer Hand zum Weihnachtsmann und kann hinter seiner Maske endlich sein, wer er möchte: Der Zorro für Arme. Der, der den Kindern zeigt, wie der Weihnachtsmann sein sollte und der, der zum Schrecken der Eltern wird, natürlich nur, wenn diese es auch wirklich verdient haben. In den völlig überhitzen Stuben und mit einem stetig überladenen Jutesack auf dem Rücken kämpft sich unser Protagonist an mehreren Heilig Abenden von Wohnzimmer zu Wohnzimmer, durch dunkle Straßen und unwegsames Gelände. Der Schlitten ist weg, ein Geschenk zu viel im Sack und Kameramänner, die einem mit Flutlicht fast zum Erblinden bringen? Das alles steckt der Profi weg, um an diesem Abend einfach nur eines zu sein: der beste Weihnachtsmann der Welt. Und jetzt die Kinder ins Bett, die Flasche Wein geöffnet, es wird gelesen und gekichert.
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Seitenzahl: 81
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Vorwort
Das Goldene Buch
Die Vorbeitung
Haus Nummer 11
Saskia? Die hab'n wir hier nicht
Angeschnallt abgeschnallt
Die neue Wohnsiedlung
Ab in den Sack
Guten Abend Herr Klinkener
Über den Acker – Teil 1
Der Schlitten
Über den Acker - Teil 2
Die Verwechslung
Film ab
Das verschwundene Auto
Der Weihnachtsmann kommt etwas später © schlaumach-buchverlag
1. Ausgabe, 1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten. Die vollständige oder auszugsweise Speicherung, Vervielfältigung oder Übertragung dieses Werkes, ob elektronisch, mechanisch, durch Fotokopie oder Aufzeichnung, ist ohne vorherige Genehmigung des Verlags urheberrechtlich untersagt.
Text: Mario Hartmann
Layout und Satz: Mike Hopf
Lektorat: David Hollmer
ISBN: 978-87-974818-5-1 [EPUB]
schlaumach-buchverlag.de
Liebe Leser, ich sage es Ihnen besser gleich, hier, jetzt und an dieser Stelle. Dieses Buch kann Ihr Leben komplett verändern, deprimierend oder zumindest etwas schockierend auf Sie wirken.
Gewarnt habe ich Sie, weil ich nun am Mythos eines Mannes rütteln werde, der uns, oder zumindest alle Kinder dieser Welt, an einem bestimmten Tag den Atem anhalten lässt. Ich vernichte jetzt ein für alle Mal sämtliche mit dieser väterlich himmlischen Figur verbundenen Sagen und Geschichten. Ich werde Ihnen zeigen, wer und wie er wirklich ist, und gebe Ihnen Einblicke in eine Welt, die Ihnen bisher verwehrt geblieben ist. Noch nie wurde so schonungslos berichtet wie in diesem Buch – jedenfalls nicht über ihn, den Weihnachtsmann.
Und jetzt, seien Sie stark, halten sich fest und schicken ihre Kinder raus, denn es wird unschön. Für alle unter Ihnen, die es immer noch nicht wissen sollten, hier kommt die Wahrheit über den Weihnachtsmann: Es gibt keinen Weihnachtsmann.
Verzeihen Sie mir bitte, aber ich konnte Ihnen das jetzt leider nicht ersparen. Wie ich herausfand, ist der Weihnachtsmann meistens der eigene Onkel, in ganz armen Familien der eigene Vater, manchmal irgendein anderes leidiges Verwandtenpack oder ein angeheuerter Student. Ich weiß, wie Sie sich jetzt fühlen, und ich möchte Ihnen sagen, dass ich bei Ihnen bin, in dieser schweren Stunde.
Als man mir damals brutal die Wahrheit ins Gesicht schleuderte, fühlte ich mich ebenfalls betrogen, war sichtlich schockiert und zitterte am ganzen Leib. Aber wissen Sie, was damals das Schlimmste für mich war? Dass mich dieser Schlag komplett unvorbereitet am Telefon traf.
Es war einige Wochen vor Weihnachten, eine Dame vom Arbeitsamt rief mich an und fragte, ohne jegliche Vorwarnung sozusagen: „Wollen Sie am Heiligen Abend vielleicht den Weihnachtsmann spielen?“
Was zum Teufel meinte sie mit „den Weihnachtsmann spielen“? Der Weihnachtsmann kommt doch gewöhnlich, auch wenn ich diesen selbst persönlich nie zu Gesicht bekommen habe, er kommt doch am Heiligen Abend zu den Menschen nach Hause und bringt uns die Geschenke; oder etwa nicht? Das weiß doch schließlich jedes Kind; oder etwa nicht?
Wie Sie sich sicher vorstellen können, brach an diesem Tag mein bisheriges Weltbild komplett zusammen. Nichts war mehr so wie vorher, der gesamte Kosmos hatte zu schwanken begonnen. Der Weihnachtsmann, Verkörperung der elterlichen Inquisition auf Erden, er wacht das ganze Jahr über uns, bemerkt und vor allem merkt sich bis Jahresende all unsere Missetaten, um uns dann, am Heiligen Abend, letztendlich unter, oder genauer gesagt: vor dem Tannenbaum, gnadenlos abzustrafen. Geschenke? In den Sack oder die Rute? Das war dann die Frage. Alles Bullshit, wie sich nun herausstellte. Den Weihnachtsmann gibt es also nicht, keinen fliegenden Schlitten, keine fliegenden Rentiere, ach so ist das also. Danke Mama, danke Papa!
Ich war stinksauer auf die Frau vom Arbeitsamt, ja, eigentlich auf die ganze Welt, und hatte, den Weihnachtsmann betreffend, mal ein ernstes Wörtchen mit meinen Eltern zu reden. Ein wenig gewundert hatte ich mich selbstverständlich schon, all die Jahre. Hatte ich doch niemals eine Wunschliste an den Weihnachtsmann geschrieben, und doch brachte er mir stets zumindest etwas „Passendes“. Einen Kassettenrekorder, ein Indianerzelt und einmal, ja einmal ein Fahrrad, grün. Ebenfalls meine aktuelle Kleidergröße schien er immer genau zu kennen. Über seinen Geschmack, die Kleidung betreffend, hätte ich allerdings gerne manchmal etwas Kritik geäußert. Denn auch hier schien er leider eine Vorliebe für die Farbe Grün zu haben.
Nun gut, wie zuvor erwähnt, mein Leben hatte sich, nach dem Anruf der Dame vom Weihnachtsmannvermittlungsbüro, ein für alle Mal verändert. Trotzig, wie ich war, würde ich von nun an am Heiligen Abend nicht mehr auf das Erscheinen des Weihnachtsmannes warten und mich das ganze Jahr so flegelhaft benehmen, wie es mir Spaß machte. So viel dazu.
Ebenfalls nahm ich mir von da an vor, in Zukunft ein wenig kritischer und aufmerksamer meiner Umwelt gegenüber zu sein. So etwas, schwor ich mir, sollte mir nicht wieder passieren. Es half jedoch nicht viel, das Schwören, einige Jahre später erfuhr ich nämlich die Wahrheit über den Osterhasen.
Ach, Sie wussten schon, dass es keinen Weihnachtsmann gibt? Es wäre natürlich schön gewesen, wenn Sie mir das mal etwas eher verklickert hätten. Dann hätte ich es nämlich nicht auf diese Art und Weise erfahren müssen, vielen Dank auch noch.
Nachdem ich schließlich meinen eigenen Weihnachtsmann schweren Herzens begraben, genauer gesagt: nach zwei Flaschen billigem Rotwein eigentlich ertränkt hatte, rief ich die Dame vom Arbeitsamt an und erklärte mich bereit, selbst als Weihnachtsmann in Aktion zu treten. Fertig abgerechnet, mit dem Weihnachtsmann, denn nun gab es ihn ja wieder. Denn der Weihnachtsmann, das bin ich. Genauer gesagt, ich war es, einer von vielen Tausenden. Den Weihnachtsmann gibt es also nicht nur, es gibt ihn wie Sand am Meer. Oder eher wie Schnee am Nordpol, damit wir mal schematisch im Thema bleiben.
Die nächsten drei Jahre würde ich nun also, wie sich später herausstellen sollte, einen „Auftrag“ für den Heiligen Abend haben. Ich war sozusagen ein festes Arbeitsverhältnis auf jährlicher Basis eingegangen.
Die Kunden wollten stets „den netten Weihnachtsmann vom letzten Jahr“ wiederhaben, und so besuchte ich einige Jahre teils dieselben, teils auch neue Familien, um Kinder, ja ganze Familien, am Heiligen Abend mit meiner, oder besser gesagt: mit der Anwesenheit des Weihnachtsmannes zu beglücken.
Das war kein einfacher Job, das sei hier gleich gesagt.
Überhitzte Wohnzimmer, schrecklich schief singende Kinder, furchtbar geschmückte Weihnachtsbäume und der Stressmoment, bloß jedem Kind das richtige Geschenk auszuhändigen, machten die Angelegenheit nicht gerade einfach.
Aber: man hat eben gut verdient an diesem einen Abend, und für diesen außerordentlich guten Verdienst in relativ kurzer Zeit, der es mir übrigens auch erheblich erleichterte, meine moralischen Bedenken das Vorhaben betreffend zu übersehen, war ich als Student beinahe zu allem bereit, selbst zu Arbeit.
Selbstverständlich bedurfte diese, ich nenne es mal „weihnachtliche Schurkerei“, eine gewisse, ja sogar ganz besonders gewissenhafte Vorbereitung. Jeder Weihnachtsmann musste, laut „Ausbildungsleitung Abteilung Weihnachtsmann“, mit einer roten Robe, Bart, Stiefeln, Goldenem Buch und einem Jutesack ausgestattet sein.
Diese Dinge konnte man ohne Probleme in beinahe jedem Kaufhaus erstehen. Ich kaufte also Stiefel, einen weißen Bart und die rote Weihnachtsmannrobe. Den Jutesack gab es leider nicht in der von mir gewünschten Größe zu kaufen, darum ließ ich mir einen nähen, Marke 3-Kubikmeter-Supersack.
Dann war da noch das Goldene Buch. Das Goldene Buch war eigentlich das Wichtigste. Ohne dieses konnte eine Bescherung nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden. Wenn der Weihnachtsmann das Goldene Buch aufschlug, um zu sehen, was über das zu bescherende Kind geschrieben stand, dann wurde es still im Wohnzimmer. Dann konnte man Opas Herzschrittmacher rasseln oder Omas Furz in die Windel hören, wenn Opa und Oma da waren und entsprechend ausgerüstet waren zumindest. Und, glauben Sie mir, ich habe all diese Geräusche in der Heilig-Abend-Betroffenheitsstille wirklich gehört.
Wenn das Goldene Buch also aufgeschlagen wurde, dann erstarrten die Kinder zu Eis und waren umso erstaunter und auch erschrockener, als sie feststellen mussten, dass der Weihnachtsmann recht gut über alle wesentliche Vorkommnisse, genauer gesagt, kleinere „Straftaten“ des gesamten Jahres informiert war.
Mein Goldenes Buch hatte mein Kumpel Michael für mich gebastelt. Er hatte ebenfalls als Weihnachtsschurke angeheuert, würde aber natürlich seine eigene Tour bekommen, und das war ideal, so konnte man seine Erfahrungen später austauschen – und geteiltes Leid ist bekanntlich auch halbes Leid.
Mein Goldenes Buch war eigentlich eher ein Goldenes Heft, was die Kinder aber wenig störte, da es von außen mit Goldpapier beklebt war, und allein das zählte. Doch was genau hatte es mit dem Goldenen Buch auf sich?
Ich erkläre es Ihnen.
Die eigentliche Arbeit des Weihnachtsmannes beginnt lange vor der Bescherung. Der Weihnachtsmann muss nämlich die Eltern des zu bescherenden Kindes einige Tage vor der eigentlichen Bescherung anrufen. Während dieses Gespräches wurden dann die Einträge in das Goldene Buch gemacht, welche später für die heimtückische, häufig ungerechtfertigte und wahrscheinlich ebenfalls sinnlose Zurechtweisung des Kindes verwendet wurden. Mein Kind soll dies nicht mehr tun, mein Kind soll das nicht mehr tun. Sie verstehen, da, wo die Erziehung der Eltern nicht gefruchtet hatte, sollte nun der harte Arm der weihnachtsmännlichen Gewalt mit eiserner und, bedingt durch die winterliche Kälte, gleichzeitig auch mit eiskalter Hand zupacken.
Ich fand das so richtig scheiße. Ich wollte eigentlich lediglich ein lieber Weihnachtsmann sein, und so entschied ich mich, das mir am Telefon Vorgetragene wohl zu notieren, aber gleichzeitig am Festabend beflissen zu ignorieren.
Und das klappte prima. Mal unter uns, es machte doch ohnehin keinen Sinn, Kinder erst auszuschimpfen und danach mit Geschenken zu überschütten, oder? Genauso sollte es aber laut Aussagen der Eltern laufen; erst schimpfen, dann schenken. Merkwürdige Erziehungsmethoden waren das.
Was bei den Kindern letztlich im Kopf bleibt, ist doch Folgendes: Der Weihnachtsmann bringt Geschenke. Da lass ich ihn vorher ruhig ein wenig meckern, Geschenke bekomme ich auf jeden Fall. Ohren auf Durchzug schalten und versprechen, dass man nächstes Jahr lieb sein würde, lautete also die Parole der Kinder für den Festabend.