Der zauberhafte Trödelladen - Manuela Inusa - E-Book
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Der zauberhafte Trödelladen E-Book

Manuela Inusa

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Beschreibung

Willkommen zurück in der Valerie Lane – wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Ruby verkauft in ihrem kleinen Antiquitätenladen Trödel aus aller Welt, den sie mit liebevoller Sorgfalt restauriert. Auch wenn sie insgeheim von einem Buchladen träumt, liebt sie die Arbeit in Ruby's Antiques, das sie von ihrer Mutter übernommen hat, und verliert sich oft in der Vergangenheit der Stücke. Und ein Leben ohne ihre Freundinnen aus der Valerie Lane kann sie sich sowieso nicht mehr vorstellen! Diese sind in diesem Frühling noch stärker für Ruby da, denn nicht nur das mit der Liebe gestaltet sich schwieriger als gedacht, sondern auch Rubys eigene Vergangenheit holt sie ein – und wird die eine oder andere Überraschung bereithalten ...

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Seitenzahl: 321

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Buch

Ruby ist eigentlich glücklich: In ihrem kleinen Antiquitätenladen verkauft sie Trödel aus aller Welt, den sie mit liebevoller Sorgfalt restauriert, und verliert sich oft in der Vergangenheit dieser Stücke. Auch wenn sie insgeheim von einem Buchladen träumt, liebt sie die Arbeit in Ruby’s Antiques, das sie von ihrer Mutter übernommen hat, und das Leben in der Valerie Lane mit ihren Freundinnen.

Und trotzdem scheint etwas in ihrem Leben zu fehlen. Das wird ihr in letzter Zeit vor allem bei den Mittwochstreffen mit den vier anderen Frauen in Laurie’s Tea Corner immer stärker bewusst. Dass Ruby gerade sehr nachdenklich ist, bleibt auch bei ihren Freundinnen nicht unbemerkt, die in diesem Frühling daher umso stärker für sie da sind. Denn nicht nur beruflich steht Ruby vor einer großen Entscheidung, auch das mit der Liebe gestaltet sich schwieriger als gedacht. Doch die Valerie Lane wäre nicht die romantischste Straße der Welt, wenn nicht auch auf Ruby die eine oder andere Überraschung warten würde, oder? Und so stehen Ruby große Veränderungen bevor …

Autorin

Manuela Inusa wusste schon als Kind, dass sie einmal Autorin werden wollte. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin arbeitete sich durch verschiedene Jobs, wollte aber eigentlich immer nur eins: Schreiben. Kurz vor ihrem 30. Geburtstag sagte sie sich: Jetzt oder nie! Inzwischen hat sie im Selfpublishing mehr als dreißig Romane veröffentlicht, die viele Leserinnen erreichten. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in ihrer Heimatstadt Hamburg. In ihrer Freizeit liest und reist sie gern, außerdem liebt sie Musik, Serien, Tee und Schokolade.

Von Manuela Inusa bereits erschienen

Jane Austen bleibt zum Frühstück

Auch donnerstags geschehen Wunder

Der kleine Teeladen zum Glück

Die Chocolaterie der Träume

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MANUELA INUSA

Roman

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Copyright © der Originalausgabe 2018 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Margit von CossartUmschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Anne Kitzman; Robert Crum; Engin Sezer; Photix)JF · Herstellung: samSatz: KompetenzCenter, MönchengladbachISBN 978-3-641-22575-9V003
www.blanvalet.de

Für Dad

PROLOG

An einem sonnigen Tag im Mai spazierte eine junge Frau eine kleine Straße entlang, die nach einer legendären Person benannt war, die hier vor über hundert Jahren ein Mischwarengeschäft geführt hatte. Es war wohl die romantischste Straße von Oxford, vielleicht sogar die schönste der Welt … die Valerie Lane.

Die junge Frau trug ein braunes Fünfzigerjahre-Kostüm und dazu passende Stiefeletten. Ihr dunkles Haar war zu einem kinnlangen Bob geschnitten und mit einer versilberten Blumenspange zurückgesteckt. Sie schlenderte ohne Eile über das Kopfsteinpflaster, vorbei an einem Teeladen, einem Wollgeschäft, einer Chocolaterie, einem Blumenladen und einem Geschenkartikelladen. Vier dieser Etablissements wurden von guten Freundinnen geführt, den Blumenladen hatte vor nicht allzu langer Zeit ein attraktiver blonder Mann neu eröffnet. Er stand zu dieser frühen Stunde bereits in seinem Schaufenster und dekorierte es frühlingshaft mit vielen bunten Blumen, Schmetterlingen und Marienkäfern. Als er sie sah, winkte er ihr zu.

Sie winkte fröhlich zurück und schloss dann für einen Moment die Augen, sog die frische Morgenluft ein und ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Wie so oft kamen ihr Erinnerungen an eine sorglose Kindheit in den Sinn, in der sie an der Seite ihrer Mutter diesen Weg gegangen war. Und ihre Gedanken machten noch einen größeren Sprung zurück in die Vergangenheit, hin zu einer Zeit, in der die noch immer vorhandenen, heute aber nicht mehr funktionierenden Gaslaternen die Straße erhellt hatten und in der es hier nur ein einziges Geschäft gegeben hatte, nämlich besagtes Mischwarengeschäft, das von der guten Valerie, wie man sie nannte, geführt worden war. Zusammen mit ihrem Mann Samuel hatte sie vor vielen, vielen Jahren Geschichte geschrieben.

Valerie Bonham hatte nicht nur die Bedürftigen der Stadt mit dem versorgt, was sie so bitter benötigten, sie war einfach für jeden da gewesen, mit einem offenen Ohr, einem weisen Wort oder einer Schulter zum Anlehnen. Es hatte keine wie sie mehr gegeben, niemanden mit einem größeren Herzen, doch die heutigen Ladenbesitzerinnen der Valerie Lane versuchten jeden Tag aufs Neue, es ihrem Vorbild gleichzutun – sie wollten die Welt oder wenigstens die Stadt zu einem besseren Ort machen.

Die junge Frau trat auf ihren Antiquitätenladen zu, den die meisten Leute einen Trödelladen nannten, was sie überhaupt nicht mochte. Sie verkaufte keinen Trödel, sondern wertvolle Antiquitäten. Im Gegensatz zu den anderen Läden hatte er einen dunkelgrünen Fassadenanstrich wie zu Valeries Zeiten, den sie unbedingt beibehalten wollte, denn sie mochte alles Alte, Antike und die Beständigkeit der Dinge.

Sie schloss die Tür auf, lächelte, als sie den Geruch der geschichtsträchtigen Dinge wahrnahm, und durchquerte den vollgestellten Raum bis zur hinteren Wand. Dort ging sie in die Hocke, hob eine der knarrenden Holzdielen an und holte eines der acht Bücher hervor, die sie eines Tages zufällig dort entdeckt hatte. Dieses Buch war ihr das liebste. Es erzählte eine einzigartige Liebesgeschichte, die sie an diesem schönen Frühlingstag unbedingt lesen musste, denn sie hatte das Gefühl, die Liebe hatte endlich auch zu ihr gefunden.

KAPITEL 1

Es war ein regnerischer, ungemütlicher Sonntag in Oxford. Ruby hatte sich auf einen Morgen auf dem Flohmarkt gefreut, diesen jedoch schon nach einer halben Stunde wieder verlassen, weil die Verkäufer ihre Waren eingepackt und ihre Stände abgebaut hatten.

Wie schade, dachte Ruby. Sie hatte wirklich gehofft, ein paar Schnäppchen zu machen, gerade weil Flohmärkte bei diesem Wetter nicht allzu gut besucht waren. Aber außer einem Radio für ihren Vater, ein paar Büchern für sich und zwei Vasen für ihren Laden hatte sie nichts ergattert. Trotzdem konnte sie nicht anders, als zu lächeln, als sie die Treppen zu der Wohnung hinaufstieg, die sie mit ihrem Vater teilte. Er würde sich über den quietschgrünen Rundfunkapparat freuen, da war sie sich sicher. Sein alter hatte nämlich den Geist aufgegeben, und er war schon ganz hibbelig, weil er sich die Sportergebnisse nicht anhören konnte.

»Ruby, bist du das?«, hörte sie ihn rufen, als sie die Tür aufschloss und die Wohnung betrat.

»Wer sollte es denn sonst sein?«, rief sie in Richtung Wohnzimmer zurück.

»Ein Einbrecher vielleicht.«

»Ach, Dad, der hätte doch keinen Schlüssel.« Sie schüttelte belustigt den Kopf und befreite sich von der nassen Jacke und den durchweichten Schnürstiefeln.

»Den könnte er dir geklaut haben.«

»Und woher sollte er wissen, wo ich wohne?«

Ihr Vater erschien grinsend in der Wohnzimmertür. »Na, er könnte doch auch deine Brieftasche mit deinem Ausweis geklaut haben.«

Ruby lächelte. »Ich lasse mich schon nicht beklauen, Daddy, keine Angst.« Sie wischte sich das feuchte Haar aus dem Gesicht.

Als sie am frühen Morgen das Haus verlassen hatte, hatte ihr Vater noch geschlafen. »Hast du etwas Schönes gefunden?«, wollte er nun wissen.

Seine grauen Haare standen wild vom Kopf ab, was aber nicht unbedingt daran lag, dass es erst halb neun morgens war. Er sah oft ein wenig zerzaust aus, legte nicht viel Wert auf sein Äußeres, was man an der orangefarbenen Jogginghose und dem blau-weiß gestreiften Hemd erkannte.

»Oh ja. Schau mal, was ich dir mitgebracht habe.« Ruby griff in ihren Baumwollbeutel und holte das Radio hervor. Es hatte ebenfalls ein paar Regentropfen abbekommen, die sie mit dem Blusenärmel abwischte.

Ihr Vater riss ihr das Teil aus der Hand, betrachtete es, hielt es sich näher ans Gesicht und lächelte dann zufrieden.

»Funktioniert das auch?«

Er sah fragend zu ihr herunter. Ruby war mit ihren eins fünfundsiebzig nicht gerade klein, ihr Vater war jedoch noch ein ganzes Stück größer.

»Ja, das tut es. Es sind Batterien drin, du kannst es gleich ausprobieren.« Sie zeigte ihm, wo der An/Aus-Schalter war.

Nachdem er probiert, gedrückt, gedreht und endlich seinen Lieblingssender gefunden hatte, ging er mit dem Radio zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf seinen Sessel, auf dem niemand außer ihm sitzen durfte.

Ruby folgte ihm. »Es gefällt dir also, ja?«, fragte sie. Er lächelte nur und nickte. »Das freut mich. Dann mache ich mal Frühstück, bevor ich in den Laden gehe. Auf was hast du heute Lust?«

»Eier.«

Das war schon klar, denn es war Eierwoche. Hugh Riley hatte diesen Tick, stets eine ganze Woche lang das Gleiche essen zu wollen – morgens, mittags und abends. In dieser Woche waren es Eier, und wenigstens war er dabei so flexibel, dass Ruby in der Zubereitung variieren durfte. Das war nicht immer so.

»Und was für welche?«, erkundigte sie sich.

»Na, Hühnereier. Es sei denn, du hast ein Straußenei für mich.«

Sie musste lachen. »Nein, Dad, ich wollte wissen, ob du Rühreier, Spiegeleier oder ein hart gekochtes Ei möchtest. Vielleicht ein Omelett?«

»Hm …«

Oje. An seinem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass sie ihn damit völlig überforderte. Sie hätte ihn nicht wählen lassen, sondern einfach machen sollen.

Manchmal fragte sie sich, ob sie wohl nie lernen würde, dass ihr Vater einfach nicht mehr derselbe war seit dem Tod ihrer Mutter drei Jahre zuvor. Dass sie ihn jetzt anders behandeln musste.

»Ich mache uns Rühreier, einverstanden?«

Ihr Vater nickte, und Ruby machte sich auf in die Küche, jedoch nicht, ohne vorher überprüft zu haben, ob die Bücher vom Flohmarkt in ihrem Beutel wirklich trocken geblieben waren. Gott sei Dank waren sie es, aber sie hätte sich auch sonst zu helfen gewusst. Sie hatte ungefähr eine Million hilfreicher Tipps und Tricks für alle Lebenssituationen in ihrem Hinterkopf gespeichert.

Sie rubbelte sich das Haar trocken und stellte sich an den Herd, briet die Eier und sah dabei aus dem Fenster. Was für ein trister Regentag! Ob die Leute da überhaupt aus dem Haus gehen und sich bis ganz ans Ende der Valerie Lane verirren würden?

Zwei Stunden später schloss Ruby die Tür ihres Ladens auf. Obwohl sonntags nicht alle kleinen Geschäfte der Stadt öffneten, hatten die Besitzerinnen der Läden in der Valerie Lane vor Jahren beschlossen, sich den großen Geschäften der Cornmarket Street, von der ihre kleine Straße abging, anzupassen, um ihren Kunden zu ermöglichen, von elf bis fünf in Ruhe ihre Einkäufe zu tätigen.

Sie packte die beiden Vasen aus, die sie von einer alten Frau auf dem Flohmarkt gekauft hatte, und betrachtete sie versonnen. Eine der Vasen, sie war weiß und mit hinreißenden blauen Blümchen bemalt, schien älter zu sein, als Ruby anfangs geglaubt hatte. Der Stempel einer Firma auf der Unterseite, den sie nun mit der Lupe erkannte und gut zuordnen konnte, sagte ihr, dass das Stück aus den Dreißiger-, spätestens aus den Vierzigerjahren stammte, da die Firma nur bis in die frühen Vierziger hergestellt hatte. Ob die Verkäuferin das wohl gewusst hat?, fragte sie sich. Sicher nicht, denn sonst hätte sie ihr die Vase garantiert nicht zu einem Spottpreis von zwölf Pfund verkauft.

Sofort bekam Ruby ein schlechtes Gewissen. Ja, so war sie, was sie selbst manchmal echt nervte. Schließlich musste sie ein Geschäft führen und sich und ihren Vater über die Runden bringen.

Schon seit Jahren war der ohne Arbeit. Wer stellte denn auch einen Verrückten ein? Zumindest betitelten die Leute ihn als solchen. Leute, die ihn nicht kannten, die nicht wussten, was er durchgemacht hatte.

Sie hörte die Ladenglocke, drehte sich um und setzte ein Lächeln auf. »Guten Tag.«

Zwei Damen um die fünfzig betraten den Verkaufsraum und sahen sich um, gingen an den Tischen mit alten Lampen, Spiegeln, Schmuckschatullen, Vasen, Porzellan und Spieluhren entlang. Betrachteten die Gemälde, die an den Wänden hingen und die vor den Regalen standen. Sie blieben einen Moment lang vor einem der antiken Stühle stehen und begutachteten das Grammofon, das hier seit Jahren stand. Doch leider kauften sie nichts, und Ruby brachte die Vasen nach hinten. Später würde sie sie ordentlich säubern und polieren und sie mit einem Preis ausschildern, der ganz bestimmt mehr als zwölf Pfund betrug.

»Ruby? Bist du da?«, hörte sie jemanden rufen.

Sie hatte die Ladenglocke gar nicht vernommen. Wo war sie nur mit ihren Gedanken?

Schnell eilte sie nach vorne. »Hallo, Laurie. Wie geht es dir?«

»Ach, ich kann nicht klagen«, antwortete die rothaarige Frau, die ihren Laden zwei Türen weiter hatte. In Laurie’s Tea Corner konnte man köstlichen Tee aus aller Welt bekommen. »Hier, ich dachte, den solltest du unbedingt probieren«, sagte sie und reichte Ruby einen Becher.

»Oh, wie lieb. Danke.« Sie nahm ihn entgegen und musste ihn gleich wieder abstellen, weil der Tee so heiß war. »Was ist das denn für einer?«

»Zitronengras und roter Pfeffer. Aus Guatemala.« Laurie erzählte und gestikulierte so freudig, dass dabei ihr orangefarbener Rock mitwippte.

»Hört sich interessant an. Ich werde ihn auf jeden Fall genießen. Sag mal, ist es bei dir auch so ruhig?« Normalerweise war Lauries Laden immer gerammelt voll. »Ich frage nur, weil du mitten am Vormittag vorbeikommst.«

»Ich habe doch jetzt eine Aushilfe. Hannah, die Künstlerin.«

»Ach ja, stimmt. Wie schön für dich.«

Ruby musste zugeben, dass sie Laurie ein wenig beneidete. Ihr Laden musste wirklich gut laufen, wenn sie sich eine Aushilfe leisten konnte. Keira aus der Chocolaterie nebenan hatte auch eine. Sie selbst konnte daran nicht einmal denken. Nein, sie musste von morgens bis abends im Laden stehen und hatte kaum Zeit für irgendetwas sonst. Nicht dass da viel gewesen wäre, dem sie ihre Zeit lieber gewidmet hätte als ihrem geliebten Geschäft. Sie hatte keinen festen Freund, also gab es außer ihrem Vater niemanden, für den sie da sein musste, und ihren Hobbys konnte sie auch im Laden nachgehen. Die alten Klassiker und Biografien, die sie zu gern las, und ihren Skizzenblock nahm sie einfach mit.

»Kommst du am Mittwoch?«, fragte Laurie nun.

»Aber sicher.«

Sie freute sich doch schon immer Tage vorher auf den Mittwochabend, an dem sie alle sich in Laurie’s Tea Corner trafen und zusammen quatschten und dabei Tee tranken und Schokolade aßen. Eine Tradition, die die gute Valerie vor über hundert Jahren eingeführt hatte, weil sie fand, es sollte eine Zuflucht geben für jeden, der ein wenig Fürsorge oder einfach nur ein heißes Getränk brauchte.

»Susan kann nicht. Sie hat einen Termin.« Susan besaß den Wollladen auf der anderen Straßenseite.

»Schade.«

»Ja.« Laurie sah sie nachdenklich an. »Und wie geht es dir, Süße? Du siehst müde aus.«

Die anderen Frauen nannten sie immer »Süße« oder »Kleines«, weil sie die jüngste von ihnen war. Mit gerade einmal vierundzwanzig betrieb sie ihr eigenes Geschäft bereits seit fast drei Jahren. Sie hatte aufgrund unerwarteter Umstände schon früh lernen müssen, Verantwortung zu übernehmen.

»Es geht mir gut, danke.« Es musste ja nicht jeder wissen, wie schlecht es um den Laden stand. Laurie machte sich schon immer Sorgen genug. »Ich war heute Morgen auf dem Flohmarkt und habe zwei wunderschöne Vasen entdeckt. Möchtest du sie sehen?«

»Klar. Zeig her.« Ruby ging sie holen und präsentierte sie stolz. »Wow, die wäre was für mich. Wie teuer soll die sein?« Laurie zeigte auf die Vase, die Ruby als besonders wertvoll einschätzte.

»Das weiß ich noch nicht genau. Muss erst noch ein wenig recherchieren. Ich glaube nämlich, sie ist aus den Dreißigern und einiges wert. Wenn ich Glück habe, kann ich den Preis auf vierhundert Pfund ansetzen.«

»Oh. Na, das ist wohl doch nicht ganz mein Niveau.« Laurie grinste. »Aber schön ist sie, wunderschön. Weißt du, mir kommt es nicht so sehr darauf an, wie alt oder wie wertvoll etwas ist. Die Dinge können auch aus der Dekoabteilung bei Primark sein, solange sie hübsch sind.« Sie lachte.

Ruby sah die Sache natürlich ein bisschen anders, sie machte sich dennoch eine gedankliche Notiz. Sie würde nach ähnlichen Stücken Ausschau halten. Manchmal bekam man hübsche kleine Dinge zu einem Spottpreis auf den Märkten. Und sie machte ihren Freundinnen gern eine Freude.

Laurie erzählte noch eine ganze Weile, was Ruby nicht störte, da sie eh nichts zu tun hatte. Ab und zu kam mal jemand in den Laden, sah sich um oder fragte nach einem bestimmten Gegenstand, aber die Sonntage verliefen meistens sehr ruhig, und so war es auch heute. Nicht dass es an anderen Tagen sehr viel besser wäre.

»Hast du schon gehört? Tobin hat eine Freundin«, erzählte Laurie jetzt aufgeregt.

Seit Tobin als einziger Mann in ihrer Mitte im Februar den leeren Laden bezogen hatte, war er das Gesprächsthema Nummer eins in der Valerie Lane.

»Nein, das wusste ich noch nicht.«

Wo hörte Laurie das alles immer nur? Ruby hatte das Gefühl, als wäre sie immer die Letzte, die etwas erfuhr, andererseits plauderte sie ja auch nicht den lieben langen Tag lang mit jedem, der ihr begegnete, wie Laurie, die ständig in Tratschlaune war, viel und gern lachte und bei allen beliebt war. Sie selbst war eher still. Wenn sie ehrlich war, brachte sie sogar vor ihren Kunden kaum ein Wort heraus. Fiel das Thema auf Kinder, Hunde, Mode, Promis oder im schlimmsten Fall Beziehungsprobleme, war sie der absolut falsche Ansprechpartner. Wollten sie über irgendetwas Historisches reden, war sie allerdings voll dabei.

»Sie ist wirklich hübsch, sehr schlank. Sieht ein bisschen so aus wie Orchid.«

Orchid – die Fünfte im Bunde. Sie besaß den Geschenkartikelladen auf der anderen Straßenseite direkt gegenüber von Ruby’s Antiques.

»Halt mich auf dem Laufenden.«

Ruby sah Laurie an und hoffte nun doch, sie würde endlich gehen. Sie wollte sich um ihre neuen Errungenschaften kümmern, wollte herausfinden, woher die Vasen genau stammten.

»Na, ich geh dann mal wieder rüber«, sagte Laurie, als könnte sie ihre Gedanken lesen. »Hab dich lange genug aufgehalten.«

»Ach was, es war schön, mit dir zu reden. Und danke noch mal für den Tee.«

Ihr fiel ein, dass sie den noch nicht mal probiert hatte. Der Becher stand unberührt auf dem Ladentisch. Laurie hatte fast eine halbe Stunde erzählt, das Getränk war inzwischen bestimmt kalt.

Ruby nahm einen Schluck.

»Und?«, fragte Laurie mit strahlenden Augen.

»Superlecker«, sagte sie und verzog gedanklich das Gesicht.

Wer trank denn Pfeffer? Der Tee schmeckte so, als hätte man Pfeffer in heißes Wasser gegeben und eine Scheibe Zitrone dazu. Scharf war er außerdem. Sie musste ja zugeben, dass Laurie oft ganz großartige Sorten anbot – diese war allerdings keine davon.

Sobald Laurie weg war, schüttete Ruby den Tee in die Spüle und trank einen Schluck von dem Apfelsaft, den sie mitgebracht hatte. Dann setzte sie sich auf den Hocker an ihrem kleinen Arbeitspult, holte ihr Notebook heraus und begann zu googeln.

KAPITEL 2

Mit einem breiten Lächeln im Gesicht schloss Ruby um fünf Uhr abends die Ladentüren und machte sich auf nach Hause. Ihr Gefühl hatte sie wieder einmal nicht getrogen. Die eine Vase war zwar allenfalls aus den Sechzigern, aber die andere stammte ganz sicher aus den beginnenden Dreißigerjahren. Sie war tatsächlich von einer kleinen schottischen Firma namens Haighesty’s, die in aufwendiger Handarbeit hergestelltes Porzellan verkauft hatte, und stieg allein damit an Wert. Zudem war die Vase noch in einwandfreiem Zustand– weder war die Farbe verblichen noch hatte sie irgendwo einen Riss oder einen Bruch. Ruby würde sie guten Gewissens für sechshundert Pfund anbieten können. Natürlich war es eine ganz andere Sache, dafür auch einen Kunden zu finden.

Sie war glücklich und strahlte, als sie über das Kopfsteinpflaster ging und die Ecke erreichte, an der wie so oft ein Mann auf dem Boden saß. Er war dreißig und viel zu hager, und sein schwarzes Haar war ein wenig zu lang. Er saß auf einem Stück Pappe und trug eine zu dünne Jacke für solch einen ungemütlichen Tag, jedoch eine dicke blaue Strickmütze, die nur von Susan stammen konnte. Der Mann hieß Gary, und Ruby hatte sich in den letzten Monaten ein wenig mit ihm angefreundet.

Sie blieb stehen, und er blickte mit seinen traurigen Augen auf. Eigentlich sah er immer ganz schön traurig aus. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, warum er nur so schrecklich betrübt war. Jemand wie Laurie oder Orchid hätte das sicher auch gemacht, aber Ruby war nicht so. Sie war introvertiert und hatte Probleme damit, mit Fremden zu reden. Selbst Leute, die sie kannte, mochte sie nicht auf ihre Sorgen ansprechen.

Ruby lächelte also nur und fragte: »Hallo, Gary. Wie geht’s dir heute?«

»Mir geht’s gut, danke.« Das war seine Standardantwort, obwohl sie ihm nicht abnahm, dass er ehrlich war. Wie könnte sie auch? »Und dir?«

»Fantastisch. Ich hab heute auf dem Flohmarkt eine wertvolle Vase ergattert.«

»Das freut mich für dich.« Er lächelte schüchtern zurück.

Ruby spürte einen kleinen Tropfen auf der Nase. Es würde jeden Moment wieder anfangen zu regnen. Sie blickte Gary an, wusste nicht, ob sie ihm erneut anbieten sollte, in Ruby’s Antiques zu übernachten. Dann entdeckte sie einen Pappbecher aus Laurie’s Tea Corner neben ihm.

»Hat Laurie dir auch diesen komischen Pfeffertee gebracht?«

Gary verzog das Gesicht. »Wer gibt denn Pfeffer in den Tee?«, fragte er.

Sie musste lachen, und das Eis war gebrochen. So war es meistens bei ihnen. Sie brauchten erst einen Augenblick, um miteinander warm zu werden.

Die Tropfen begannen nun in immer kürzeren Abständen auf sie herabzufallen, und Ruby fasste sich ein Herz. »Es sieht ganz danach aus, als ob es gleich richtig gießen würde. Willst du die Nacht vielleicht in meinem Laden verbringen?«

Hinten drin stand eine Couch, die Gary schon ein paarmal genutzt hatte, besonders in den kalten Wintermonaten. Auch wenn er ihr Angebot anfangs stets abgelehnt hatte.

Ruby hatte Mitleid mit Gary, ja, aber es war noch mehr. Immerhin handelte es sich bei ihrem Laden um die alten Räumlichkeiten von Valerie Bonham – und die hätte es so gewollt. Hätte wahrscheinlich überhaupt nichts anderes akzeptiert.

»Ich will dir keine Umstände bereiten«, erwiderte Gary bescheiden wie immer, während der Regen tatsächlich stärker wurde.

Ruby spannte ihren Schirm auf. »Der Laden steht die ganze Nacht leer. Ich hätte wirklich ein besseres Gefühl, wenn du meinen Vorschlag annehmen würdest. Nicht dass du dir noch eine Lungenentzündung holst.«

Gary, der schon ganz nass war, erhob sich und fuhr sich durchs feuchte Haar. »Okay.«

Sie nahm ihn unter ihren Schirm, brachte ihn zum Laden und schloss auf. »Du weißt ja, wo alles ist. Hinten im Schrank sind noch ein paar Kekse. Leider hab ich nichts zu trinken da, aber es gibt ja Leitungswasser.«

»Kein Problem. Ich danke dir.«

Er sah sie wieder so an, mit diesen traurigen Augen, die ihr eine Geschichte erzählen wollten. Und wie gern wäre sie geblieben und hätte sie sich angehört, sogar ganz ohne Worte. Doch sie hatte selbst genug Traurigkeit hinter sich und allerhand Sorgen, die auf sie warteten. Deshalb wünschte sie Gary eine gute Nacht und ging durch den prasselnden Regen davon.

»Dad, ich bin wieder zu Hause!«, rief Ruby. Sie entledigte sich wie schon am Morgen ihrer nassen Sachen, lief ins Badezimmer und schnappte sich ein Handtuch, das sie sich ums triefende Haar wickelte. Der blöde Schirm hatte auf dem Heimweg den Geist aufgegeben. Und während sie die hundertfünfzig Meter von der Bushaltestelle bis nach Hause gerannt war, hatte es wie aus Eimern geschüttet. Sie fand ihren Vater auf seinem Sessel vor, wo er mit seinem Radio beschäftigt war. Es freute Ruby richtig, dass er so glücklich darüber war. Er schien sie gar nicht zu bemerken. »Dad, ich bin wieder hier und mache dir gleich was zu essen«, versuchte sie es erneut und ging zu ihm rüber.

»Eier?«, fragte er, ohne aufzusehen.

»Natürlich. Was denn sonst?« Sie zwinkerte ihm zu. »Haben dir die hart gekochten Eier gereicht, die ich dir hingestellt habe?«, erkundigte sie sich und warf einen Blick auf den tiefen Teller, der nun leer auf dem Esstisch stand. Ihr Vater hörte sie wieder nicht. Wie gebannt lauschte er dem Radiosprecher. »Ich decke jetzt den Tisch, und dann musst du dich mal für eine Weile von deinem Radio trennen, okay?«

»Darf ich es nicht beim Essen anlassen?«, fragte er und machte einen Schmollmund.

»Na gut, aber dann such wenigstens einen Musiksender, ich habe nämlich keine Lust auf den Sportkanal.«

»Es läuft gerade ein Fußballspiel. Italien gegen Holland.«

»Wer gewinnt?«

»Na, was mag ich lieber? Pasta oder Tulpen?«

Typisch ihr Vater. Wo war denn da bitte der Zusammenhang?

»Keine Ahnung. Hast du Tulpen denn schon mal gegessen?«, fragte sie, und ihr Vater lachte auf.

»Wo sind meine Eier?«

»Kommen sofort.«

Ruby zog sich schnell um und legte die nassen Sachen über den Wäscheständer. Die neu erstandenen Bücher, darunter sogar eine Erstausgabe, stellte sie in eines ihrer heiß geliebten Bücherregale.

In einer Jeans und einem T-Shirt mit der Aufschrift I LOVE MR. DARCY stand sie kurz darauf vor der Küchentür, holte den Schlüssel hervor und schloss auf. Das war eine Vorsichtsmaßnahme, die sie jeden Tag treffen musste, da schon so einige Male etwas schiefgegangen war, als sie ihren Vater allein in der Küche gelassen hatte. Zweimal hatten die Nachbarn sogar die Feuerwehr rufen müssen.

Wenig später saßen sie zusammen am Wohnzimmertisch, hörten den Oldiesender und aßen zu Abend. Dieses Mal Omelett.

»Wie war dein Tag, Dad?«, fragte Ruby, während sie in ihrem Essen stocherte.

Sie wusste gar nicht, ob sie aus Solidarität mit ihrem Vater mitaß oder weil sie es einfach satthatte, immer zwei verschiedene Sachen kochen zu müssen. Wie froh sie war, dass Sonntag war und er sich am kommenden Tag einem neuen Lebensmittel zuwenden würde.

»Sehr gut, sehr gut. Und deiner? Was ist das da Rotes in deinen Eiern?«

»Tomaten. In meinem Omelett sind Tomaten und Feta.« Sie fragte nicht, ob er das nicht auch gewollt hätte, denn sie kannte die Antwort. Es wäre ihm zu viel der Abweichung vom Normalen gewesen. Selbst die Scheibe Toast, die sie zu ihrem Omelett aß, hätte er als einen Feind auf seinem Teller betrachtet. »Mein Tag war auch gut«, nahm sie seine Frage wieder auf. Sie wusste, dass sie ihrem Vater von der Vase nichts zu erzählen brauchte, die interessierte ihn herzlich wenig. »Und, Dad? Warst du wenigstens ein bisschen draußen, oder hast du den ganzen Tag mit dem Radio auf deinem Sessel gehockt?«

»Wenn du nicht willst, dass ich den ganzen Tag mit dem Radio auf dem Sessel hocke, dann kauf mir kein Radio«, sagte er beleidigt.

»Ist doch okay, Daddy. Aber du musst mir versprechen, dass du morgen ein bisschen rausgehst, ja? Mach einen kleinen Spaziergang. Du könntest doch mal wieder in den Park gehen zum Schachspielen, oder komm mich im Laden besuchen.«

»Mal sehen.« Er nahm eine letzte Gabel von seinem Omelett und schielte zu seinem Radio.

»Versprich es mir, Dad.«

»Pah!« Er rollte mit den Augen. »Meinetwegen, versprochen.«

»Gut. Und nun kannst du von mir aus wieder den Sportsender einstellen. Ich gehe in mein Zimmer lesen.«

Sofort stürzte ihr Vater sich auf das Radio und drehte an dem Rad, mit dem man den Kanal verstellte. Als er ihn gefunden hatte, nahm er das Gerät und ging zurück zu seinem Sessel.

»Viel Spaß noch, Dad«, sagte Ruby und gab ihm einen Kuss.

Dann brachte sie das Geschirr in die Küche und spülte es ab. Dabei wanderten ihre Gedanken wieder zu Gary zurück. Wie gern würde sie mehr über ihn erfahren. Sie hatten sich zwar schon öfter unterhalten, jedoch nur über Belangloses. Sie würde gern wissen, was ihm widerfahren war, weshalb er auf der Straße lebte, warum er sich mit seinen dreißig Jahren schon aufgegeben hatte. Wenn man ihn da an seiner Ecke sitzen sah, wirkte er beinahe wie ein alter Mann. Einer, der schon das Beste und das Schlimmste durchgemacht hatte.

Ruby ging in ihr Zimmer und setzte sich mit einem Buch auf ihr Bett, doch beim Lesen nickte sie immer wieder ein. Laurie hatte es ganz richtig erkannt, in letzter Zeit war sie müde, und sie wusste nicht einmal, warum. Genug Schlaf bekam sie, und körperlich überanstrengte sie sich auch nicht. Vielleicht war es unterbewusst einfach die Situation, die sie ermüdete – ihr Vater, der wie ein Kind war, um das man sich kümmern musste, der Laden, der nicht mehr richtig lief … Obwohl in letzter Zeit, seit ihre Freundinnen eine Anzeige im Wochenblatt für sie geschaltet hatten und sie jetzt sogar eine eigene Website hatte, wieder mehr Kundschaft kam, kauften die Leute einfach nicht genug. Als ihre Mutter das Geschäft geführt hatte, war das anders gewesen. Konnte es daran gelegen haben, dass Meryl Riley eine ganz andere Persönlichkeit gehabt hatte als sie? Dass sie eine Fröhlichkeit ausgestrahlt hatte, die die Leute angezogen hatte? Dass die Gespräche, in die sie die Kunden verwickelt hatte, diese zum Kauf animiert hatten?

Sie musste unbedingt ein bisschen mutiger werden. Wie konnte sie das nur schaffen? Ruby nahm sich fest vor, sich zumindest zu bemühen. Den ersten Schritt würde sie machen, indem sie Gary auf seine Vergangenheit ansprach. Irgendwann, irgendwie.

Was er jetzt wohl machte, so ganz allein in ihrem Antiquitätenladen? Worüber er wohl nachdachte?

Gary kam aus Manchester, das hatte er ihr erzählt. Auch dass er Autor war und früher sogar Bücher veröffentlicht hatte. Dass er schon sehr jung mit dem Schreiben angefangen hatte. Bereits mit achtzehn hatte er einen Schreibwettbewerb gewonnen und seinen ersten Buchvertrag bekommen. Sie fragte sich, ob er Angehörige hatte, eine Frau, Kinder, Eltern. Warum musste er auf der Straße leben? Hatte er denn niemanden, der ihn aufnahm? Der ihm ein warmes Plätzchen zur Verfügung stellte? Sie würde ihm gern eins anbieten, gleich hier neben ihr in ihrem Bett.

Oh Gott, hatte sie das wirklich gerade gedacht?

Was war denn nur in sie gefahren? Doch dann erkannte sie, dass sie gar nicht auf das Offensichtliche aus war, sondern dass sie einfach nur gern jemanden bei sich hätte, jemanden, in dessen Armen sie liegen und mit dem sie reden konnte. Manchmal fühlte sie sich so schrecklich einsam.

Sie legte das Buch Der große Gatsby zur Seite und griff nach ihrem Block und dem Bleistift, beides lag immer auf ihrem Nachttisch bereit. Der Stift machte sich in ihrer Hand selbstständig und strich sanft wie eine Feder über das Blatt, zeichnete erst Umrisse, dann detailliertere Linien. Selbst mit geschlossenen Augen hätte Ruby dieses Gesicht skizzieren können, so gut hatte sie es sich eingeprägt. Bereits nach zehn Minuten blickte ihr Gary entgegen, und sie lächelte ihm traurig zu. Dann stand sie auf, um nach ihrem Vater zu sehen. Der saß noch immer auf seinem Sessel, hatte die Augen aber bereits geschlossen. Sie nahm ihm das Radio aus der Hand und ließ den Sprecher verstummen, dann deckte sie ihren Vater mit einer dicken Decke zu und schaltete das Licht aus.

Auf dem Weg zurück ins Bett wanderten ihre Gedanken in die Zeit, in der ihr Vater noch derjenige gewesen war, der sie zugedeckt hatte, nachdem er ihr eine Gutenachtgeschichte vorgelesen und ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn gegeben hatte. Es war so lange her. Ihr Vater war nicht mehr dieser Mann, schon lange nicht mehr, und sie war nicht mehr dieses Kind.

KAPITEL 3

Ruby erwachte von einem lauten Poltern. Kam es aus der Küche? Sie sprang auf und lief in den Flur hinaus.

»Verdammt!«, entfuhr es ihr.

Wie hatte sie vergessen können, die Tür abzuschließen? Natürlich wusste sie es. Ein gewisser Mann hatte sie von ihren Aufgaben abgelenkt, die sie normalerweise routinemäßig erledigte. Ihr Hormonhaushalt spielte wohl verrückt, weil sie so lange keine Nähe mehr gehabt hatte. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, wie lange ihr letztes Date her war. Den letzten festen Freund hatte sie damals in London während ihres Kunststudiums gehabt. An eine Beziehung war ja auch gar nicht zu denken, wenn man sich dieses Chaos hier ansah. Wer würde das schon mitmachen?

»Dad, was tust du da?«, schrie sie.

»Frühstück machen«, antwortete er stolz und drehte sich strahlend zu ihr um.

Ruby begutachtete die Küche. Überall standen Dosen mit gebackenen Bohnen in Tomatensauce – offene Dosen.

»Bohnen …«, sagte sie ungläubig und fragte sich gleichzeitig, woher er nur die ganzen Konserven hatte.

»Ich mag Bohnen. Du etwa nicht?«

Diese Woche waren es also Bohnen.

»Lass mich mal«, entgegnete sie nicht sehr sanft und scheuchte ihren Vater weg vom Herd. Er hatte sich den größten aller Töpfe genommen und ihn bis oben hin mit Bohnen gefüllt. Die Herdplatte war auf der höchsten Stufe eingestellt, die Tomatensauce blubberte und spritzte überallhin. Sie stellte den Herd aus und nahm den Topf herunter. »Sieh dir die Sauerei an, Dad. Was hast du nur angestellt?«

Die Freude in seinem Gesicht wich einem enttäuschten Ausdruck. Seine Lippen begannen zu zittern.

»Es tut mir leid, Ruby.«

Sie atmete einmal tief durch, dann zwang sie sich zu lächeln. Er konnte ja nichts dafür.

»Okay, dann sollen es halt Bohnen sein«, sagte sie mit einem Seufzer.

Ihr Vater nickte begeistert und füllte sich zwei Suppenkellen voll auf einen Teller.

»Hallo, Susan!«, rief Ruby der Wollladenbesitzerin zu, als sie sie eine Stunde später mit ihrem Hund Terry auf sich zukommen sah. Terry war ein treuer Cockerspaniel, das einzige männliche Wesen in Susans Leben.

»Guten Morgen. So früh schon hier?«

Ruby sah auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach acht.

»Ja, ich wollte noch umdekorieren, bevor die ersten Kunden kommen.«

Das war nicht der eigentliche Grund. Sie hatte einfach nur ein wenig für sich sein wollen, raus aus dem Bohnenchaos. Außerdem hoffte sie, Gary noch im Laden zu erwischen, bevor er sich davonschlich.

Susan warf sich den langen schwarzen Zopf über die Schulter und lächelte. »Ich bin genauso. Ich könnte auch ständig umdekorieren. Wir wollen es ja hübsch haben für unsere Kundschaft, nicht?« Ruby nickte, sagte aber nichts weiter. Sie wollte nicht allzu lange aufgehalten werden. »Dann wünsche ich dir einen schönen Tag. Wir sehen uns am Mittwoch?«

»Ich dachte, du kämst nicht. Laurie erzählte was von einem Termin …«

»Den hab ich auf Donnerstag verschoben. Ist nur ein Treffen mit meinem Steuerberater.« Susan verzog das Gesicht. »Da ziehe ich eure Gesellschaft doch vor.« Ruby nickte wieder nur und lächelte. »Geht es dir gut, Kleines?«, erkundigte sich Susan.

»Alles gut, danke.«

»Du siehst so unglaublich dünn aus. Isst du auch genug?«

»Natürlich, Susan. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

»Na, dann werde ich dir mal glauben.«

»Alles klar. Bis Mittwoch. Dir auch noch einen schönen Tag.«

Sie setzte ihren Weg fort.

»Ruby?«, hörte sie Susan rufen und drehte sich um. »Wie geht es deinem Vater?«

Sie seufzte wieder, aber so leise, dass Susan es nicht hören konnte. Für ihre Freundin setzte sie erneut ein Lächeln auf und antwortete: »Blendend. Diese Woche sind es Bohnen.«

In ihrem Laden schloss sie die Tür hinter sich zu und atmete auf. Endlich Ruhe. Vor den verrückten Vätern dieser Welt. Vor Freundinnen, die sie ja im Grunde sehr mochte, die sie mit ihrer Fürsorge jedoch manchmal erdrückten. Vor der Welt da draußen, die einmal so viel Wunderbares für sie vorgesehen hatte. Es war verpufft wie ein Traum.

Enttäuscht sah sie, dass Gary schon weg war. Sie hatte ihn zwar nicht an seiner Ecke gesehen, weit konnte er jedoch kaum sein. Er hatte keinen Schlüssel und somit nicht abschließen können, doch er würde ihren Laden niemals aus den Augen lassen, das wusste sie mit Gewissheit.

Sie ging auf die Knie und hob die Diele an, holte die Bücher hervor, die sie dort vor langer Zeit entdeckt hatte, als ihre Mutter sie wie so oft mit in den Laden genommen hatte. Es waren die Tagebücher von Valerie Bonham, ihre wertvollsten Schätze. Viel wertvoller noch als die neue antike Vase oder der alte Sekretär, der angeblich Charles Dickens gehört hatte. Diese Bücher hatten einen unermesslichen emotionalen Wert für sie. Nicht nur weil die gute Valerie ihre Gedanken und Gefühle hineingeschrieben hatte, sondern auch, weil sie Ruby an eine bessere Zeit erinnerten. Eine Zeit, die bedauerlicherweise niemals zurückkommen würde.

Während sie die erste Seite aufschlug, hielt Ruby vor Ehrfurcht die Luft an. Sie wusste, sie würde ihr Geheimnis irgendwann lüften müssen, denn sie fand, dass ihre Freundinnen ebenso ein Anrecht darauf hatten, diese Bücher zu lesen, wie sie. Sie sollten auch all die Dinge von Valerie erfahren, die sie selbst schon wusste und die sie an ihren gemeinsamen Mittwochabendtreffen immer mal wieder unauffällig in Gespräche hatte einfließen lassen. Doch für eine kleine Weile wollte sie ihr Geheimnis noch für sich bewahren.

Ruby machte es sich auf dem alten Schaukelstuhl, den sie im vergangenen Jahr mit Laurie zusammen auf einem Flohmarkt aufgestöbert und den sie noch immer nicht verkauft hatte, gemütlich und blätterte behutsam die fragilen alten Seiten durch, bis sie an eine besondere Stelle kam, die sie schon unzählige Male gelesen hatte.

12. November 1889

Liebes Tagebuch,

heute habe ich dir Außergewöhnliches zu erzählen. Ich kann kaum in Worte fassen, was ich fühle, und danke dem Herrn dafür, mich mit solch einem lieben Ehemann gesegnet zu haben. Samuel ist ein Engel auf Erden. Dieser wunderbare Mann hat mich heute aus einer scheinbar aussichtslosen Lage gerettet, und das allein mit seinem weisen Verstand und mit seinem großen Herzen.

Eine Frau kam ins Geschäft und brauchte Kohle und Brot, hatte aber nicht genügend Geld dabei und hätte sich für eines von beidem entscheiden müssen. Man konnte ihr ihre verzwickte Lage an der Nasenspitze ansehen: Sollte sie lieber die Kohle nehmen, damit ihre vier Sprösslinge es warm hatten, oder sich für das Brot entscheiden, damit sie keinen Hunger leiden mussten?

Ich überlegte, was ich tun könnte, denn die Frau namens Bonnie kenne ich gut, und ich weiß, dass sie nie und nimmer Almosen annehmen würde. Ich war also drauf und dran, ihr vorzuschlagen, dass sie anschreiben könne, als Samuel, der hinten in der Backstube alles mitbekommen hatte, nach vorne in den Laden kam und zwei große Brotlaibe in die Höhe hielt. »Frau, die sind mir heruntergefallen«, sagte er. »Sie sind nicht schmutzig, doch wir können sie nicht mehr verkaufen. Weißt du, was ich mit ihnen machen könnte?«

Mein Herz schmolz dahin, als Bonnies Augen sich vor Freude weiteten. Ich sagte Samuel, ich wüsste schon, was wir damit anfangen könnten, und überreichte Bonnie die Brote. Eine Träne lief ihr übers Gesicht, als sie sich überschwänglich bedankte. Als sie fortging, nach Hause zu ihren Kindern, die für den Tag gerettet waren, nahm ich meinen Samuel in die Arme und sagte ihm, was für ein guter Mensch er sei und dass ich ihn überhaupt nicht verdient habe. Er lachte nur und erwiderte: »Diese Worte von dir, der großherzigsten Frau von Oxford? Ich danke dem Herrn an jedem einzelnen Tag, dass ich an deiner Seite verweilen darf, mir all diese Dinge von dir abschauen und so zu einem besseren Mann werden kann.«

Tage wie diese machen das Leben lebenswert. Es sind ganz genau Tage wie diese.

Valerie