Der Zinker - Edgar Wallace - E-Book

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Edgar Wallace

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Beschreibung

Ein unheimlicher Gegner terrorisiert die Unterwelt Londons: "Der Zinker" - ein gerissener Hehler, der nicht willfährige Ganoven ans Messer der Polizei liefert. Keiner kennt sein wahres Gesicht. Fast scheint es, als würde Scotland Yard die "Hilfe" des Zinkers nur zu gerne auch weiterhin in Anspruch nehmen, bis dieser einen Mord begeht. Nun jagt nicht nur die Polizei, sondern auch die Unterwelt den Verräter. Wer wird ihn zuerst finden? In Deutschland verfilmt mit Günther Pfitzmann, Klaus Kinski und Eddi Arent. Null Papier Verlag

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Edgar Wallace

Der Zinker

Edgar Wallace

Der Zinker

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Ravi Ravendro 2. Auflage, ISBN 978-3-954182-01-5

www.null-papier.de/wallace

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ka­pi­tel 1

Ka­pi­tel 2

Ka­pi­tel 3

Ka­pi­tel 4

Ka­pi­tel 5

Ka­pi­tel 6

Ka­pi­tel 7

Ka­pi­tel 8

Ka­pi­tel 9

Ka­pi­tel 10

Ka­pi­tel 11

Ka­pi­tel 12

Ka­pi­tel 13

Ka­pi­tel 14

Ka­pi­tel 15

Ka­pi­tel 16

Ka­pi­tel 17

Ka­pi­tel 18

Ka­pi­tel 19

Ka­pi­tel 20

Ka­pi­tel 21

Ka­pi­tel 22

Ka­pi­tel 23

Ka­pi­tel 24

Ka­pi­tel 25

Ka­pi­tel 26

Ka­pi­tel 27

Ka­pi­tel 28

Ka­pi­tel 29

Ka­pi­tel 30

Ka­pi­tel 30

Ka­pi­tel 31

Ka­pi­tel 32

Ka­pi­tel 33

Ka­pi­tel 34

Ka­pi­tel 35

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Kapitel 1

Es war eine stür­mi­sche Nacht. Der Wind peitsch­te Re­gen und Schnee durch die Stra­ßen. Kein ver­nünf­ti­ger Mensch trieb sich bei die­sem Wet­ter auf Put­ney Com­mon her­um. Der ei­si­ge Wind drang durch Man­tel, Klei­der, Hand­schu­he. Die paar Stra­ßen­la­ter­nen ga­ben in die­ser stock­dunklen Nacht so we­nig Licht, daß Lar­ry Grae­me sei­ne Ta­schen­lam­pe zu Hil­fe neh­men muß­te, wenn er eine Stra­ße über­que­ren und nicht über den Rinn­stein stol­pern woll­te.

Er schau­te auf das Leucht­zif­fer­blatt sei­ner Arm­band­uhr. Es fehl­ten nur noch ei­ni­ge Mi­nu­ten bis halb, und der ›Gro­ße Un­be­kann­te‹ war pünkt­lich auf die Mi­nu­te – nie­der­träch­tig, ge­mein war er, aber pünkt­lich! Lar­ry hat­te schon frü­her Ge­schäf­te mit ihm ge­macht, sich al­ler­dings je­des­mal ge­schwo­ren, es nie wie­der zu tun. Der Kerl drück­te die Prei­se, aber er hat­te stets Geld, und wenn man an ihn ver­kauf­te, war das Ri­si­ko gleich Null. Lar­ry hat­te sich vor­ge­nom­men, sich dies­mal nicht klein­krie­gen zu las­sen. Die van-Ris­sik-Dia­man­ten hat­ten ih­ren be­kann­ten Wert.

Alle Zei­tun­gen wa­ren voll von dem küh­nen Raub ge­we­sen, die Ver­si­che­rung hat­te den ge­nau­en Wert der ein­zel­nen Schmuck­stücke be­kannt­ge­ge­ben, und es be­stand nicht der ge­rings­te Zwei­fel dar­über, wie­viel die Stei­ne auf dem frei­en Markt ein­brin­gen wür­den.

Lar­ry hat­te die üb­li­che ver­schlüs­sel­te Zei­tungs­an­non­ce auf­ge­ge­ben:

»In der Ge­gend von Put­ney Com­mon (in Rich­tung Wim­ble­don) wur­de am Don­ners­tag, abends um 10:30, eine klei­ne, gel­be Hand­ta­sche ver­lo­ren. In­halt fünf Brie­fe, die nur für den Ei­gen­tü­mer von Wert sin­d…«

Die ›gel­be Hand­ta­sche‹ kün­dig­te dem ›Gro­ßen Un­be­kann­ten‹ an, daß ihm Ju­we­len an­ge­bo­ten wur­den, eine ›brau­ne Hand­ta­sche‹ wür­de Pelz­wa­ren, eine ›wei­ße‹ Bank­no­ten be­deu­tet ha­ben. Die ›fünf Brie­fe‹ zeig­ten an, daß sich der Wert der Ware in ei­ner fünf­stel­li­gen Zahl be­weg­te.

Und jetzt war Don­ners­tag­abend halb elf. Lar­ry war­te­te in der Rich­mond Street. Der Wind trug die Schlä­ge der Kirch­turm­uhr her­über.

»Pünkt­lich auf die Mi­nu­te«, mur­mel­te Lar­ry.

Er sah weit vorn in der Stra­ße zwei schwa­che Lich­ter auf­tau­chen, die hel­ler und hel­ler wur­den. Plötz­lich blen­de­ten die Schein­wer­fer auf, und Lar­ry stand im grel­len Licht­ke­gel.

Das Auto fuhr lang­sa­mer und hielt di­rekt ne­ben ihm. Der Re­gen pras­sel­te auf das Wa­gen­dach.

Aus dem In­nern er­klang eine raue Stim­me:

»Nun?«

»Gu­ten Abend.«

Lar­ry streng­te sich an, et­was von dem Ge­sicht im Dun­keln zu er­ken­nen. Aber er war sich im kla­ren dar­über, daß ihm selbst sei­ne Ta­schen­lam­pe we­nig nüt­zen wür­de, da der ›Gro­ße Un­be­kann­te‹ be­stimmt eine Mas­ke trug.

Doch dann fiel sein Blick auf die Hand, die auf dem her­un­ter­ge­las­se­nen Fens­ter des Wa­gen­schlags lag. Er be­merk­te, daß der Na­gel des Mit­tel­fin­gers ge­spal­ten war und quer über das ers­te Ge­lenk eine dop­pel­te wei­ße Nar­be lief. Die Hand wur­de schnell zu­rück­ge­zo­gen.

»Also?«

»Ich möch­te et­was ver­kau­fen – gute Ge­le­gen­heit. Ha­ben Sie die Zei­tun­gen ge­le­sen?«

»Han­delt es sich um die van-Ris­sik-Sa­che?«

»Wie Sie sa­gen. Wert zwei­und­drei­ßig­tau­send Pfund – macht hun­dertzwei­und­drei­ßig­tau­send Dol­lar, al­les leicht zu ver­kau­fen. Ma­da­me Ris­sik hat ihr Geld in Stei­nen an­ge­legt – kei­ne fran­zö­si­sche Ware, die blen­dend aus­sieht, aber kei­nen Wert hat! Ich will min­des­tens fünf­tau­sen­d…«

»Zwölf­hun­dert«, er­klär­te die Stim­me im Wa­gen. »Da­bei be­zah­le ich Ih­nen schon zwei­hun­dert mehr, als ich ur­sprüng­lich be­ab­sich­tig­te.«

Lar­ry at­me­te schwer.

»Mein An­ge­bot ist ein­ma­lig…«

»Ha­ben Sie die Sa­chen hier?«

»Nein, ich habe sie nicht hier«, stieß Lar­ry has­tig her­vor, und der an­de­re wuß­te, daß er log. »Ich wer­de sie erst brin­gen, wenn Sie ver­nünf­tig mit sich re­den las­sen. Ein Ju­we­lier in Mai­da Vale hat mir schon drei­tau­send ge­bo­ten und wird wahr­schein­lich noch hö­her ge­hen. Aber ich wür­de die Sa­chen lie­ber Ih­nen ver­kau­fen – das Ri­si­ko ist klei­ner. Sie ver­ste­hen, was ich mei­ne?«

»Ich gebe Ih­nen fünf­zehn­hun­dert. Das ist mein letz­tes Wort. Ich habe das Geld hier. Sie wür­den also gut dar­an tun, an­zu­neh­men.«

Lar­ry schüt­tel­te den Kopf.

»Ich hal­te Sie nur auf«, sag­te er höf­lich.

»Sie wol­len also nicht ver­kau­fen?«

»Wir ver­geu­den bei­de nur un­se­re Zeit –«, be­gann Lar­ry von neu­em, aber be­vor er wei­ter­spre­chen konn­te, schoß der Wa­gen da­von und das rote Schluß­licht ver­schwand in der stür­mi­schen Nacht. Das Num­mern­schild hat­te er nicht se­hen kön­nen.

Er ging zu sei­nem klei­nen Auto, das er in ei­ner ge­schütz­ten Ecke des Plat­zes ab­ge­stellt hat­te, und zün­de­te sich eine Zi­ga­ret­te an.

»Shy­lock dreht sich heu­te nacht im Gra­be um!« mur­mel­te er vor sich hin.

Kapitel 2

Kaum eine Wo­che spä­ter trat Lar­ry Grae­me aus dem Fie­so­le-Re­stau­rant in der Ox­ford Street. Nie­mand hät­te ihn für et­was an­de­res als einen smar­ten Ge­schäfts­mann in mitt­le­ren Jah­ren ge­hal­ten, der gern gut aß und die An­nehm­lich­kei­ten des Le­bens lieb­te. Die Nel­ke im Knopf­loch wipp­te, und er war in bes­ter Stim­mung. Er hat­te auch al­len Grund, zu­frie­den zu sein – die Ju­we­len der Mrs. van Ris­sik wa­ren gut ver­kauft, und nie­mand im wei­ten Um­kreis Lon­d­ons wuß­te et­was von sei­ner Tat, denn er ar­bei­te­te al­lein.

Als er auf dem Trot­toir stand und auf ein Auto war­te­te, trat ein großer, stäm­mi­ger Mann hin­ter ihn und nahm ihn lie­bens­wür­dig am Arm.

»Hal­lo, Lar­ry!«

Die lan­ge, graue Asche an Lar­rys Zi­gar­re fiel zu Bo­den – dies war aber auch das ein­zi­ge Zei­chen sei­ner plötz­li­chen Ver­wir­rung.

»Hal­lo, In­spek­tor!« rief er mit dem ge­win­nends­ten Lä­cheln. »Freue mich, daß ich Sie wie­der mal tref­fe!«

Es klang ganz na­tür­lich und über­zeu­gend. Lar­ry hat­te, kaum den Kopf be­we­gend, blitz­schnell nach bei­den Sei­ten ge­blickt und in nächs­ter Nähe drei an­de­re Her­ren er­kannt, die den glei­chen Be­ruf wie Po­li­zei­in­spek­tor El­ford aus­üb­ten. Er nahm des­halb sein Schick­sal mit stoi­scher Ruhe hin und stieg mit den De­tek­ti­ven ins Auto. Un­ter­wegs rauch­te und plau­der­te er ge­las­sen, bis der Wa­gen die enge Ein­fahrt von Scot­land Yard pas­sier­te und vor der Can­non Row Po­li­zei­sta­ti­on hielt.

Die Ver­hand­lun­gen und Fest­stel­lun­gen dau­er­ten nicht lan­ge. Auf Lar­ry Grae­mes Ge­sicht lag ein me­lan­cho­li­sches Lä­cheln. Schwei­gend hör­te er zu, als ihm die An­kla­ge vor­ge­le­sen wur­de.

»Ich woh­ne in Clay­bu­ry Man­si­ons Num­mer 98«, sag­te er dann. »Es wäre sehr lie­bens­wür­dig, wenn Sie mir von dort einen an­dern An­zug be­sor­gen könn­ten – ich möch­te nicht gern wie ein Ober­kell­ner vor dem Un­ter­su­chungs­rich­ter er­schei­nen. Und, In­spek­tor El­ford, wäre es mög­lich, daß ich mal Bar­ra­bal spre­chen kann? Habe viel von ihm ge­hört, er soll sehr scharf sein, und da ist je­mand, dem ich es be­sor­gen möch­te!«

El­ford be­zwei­fel­te, ob Bar­ra­bal sich dazu be­reit fin­den wür­de, ver­sprach je­doch, den Wunsch wei­ter­zu­lei­ten. Als sich die Zel­len­tür hin­ter Lar­ry ge­schlos­sen hat­te, ging er hin­über ins Zen­tral­ge­bäu­de und such­te Che­f­in­spek­tor Bar­ra­bal auf, der, eine Pfei­fe im Mund, vor sei­nem Schreib­tisch saß. Er be­schäf­tig­te sich ge­ra­de mit ei­ni­gen Schrift­stücken, die er von der Ge­heim­re­gis­tra­tur an­ge­for­dert hat­te.

»Wir ha­ben Grae­me fest­ge­nom­men, Mr. Bar­ra­bal«, sag­te El­ford. »Er möch­te Sie gern spre­chen – ich sag­te ihm schon, daß we­nig Aus­sicht be­ste­he. Aber Sie wis­sen ja, wie die­se Leu­te sind!«

Der Che­f­in­spek­tor lehn­te sich auf dem Stuhl zu­rück und run­zel­te die Stirn.

»Wie, er hat nach mir ge­fragt? Scha­de –« mein­te er halb vor­wurfs­voll, »wie kommt er dar­auf?«

Bar­ra­bal, durch den schon man­cher Mis­se­tä­ter un­er­war­tet vor Ge­richt ge­stellt wor­den war, er­schi­en selbst nie auf der Zeu­gen­bank und blieb des­halb ziem­lich un­be­kannt. Selbst Zei­tungs­re­por­tern be­deu­te­te er nicht mehr als ein Name. Seit acht Jah­ren saß er in sei­nem Büro im drit­ten Stock zwi­schen Stö­ßen von Ak­ten. Er prüf­te und ver­glich die ver­schie­den­ar­tigs­ten Be­weis­stücke, be­schäf­tig­te sich mit kleins­ten De­tails und ent­le­gens­ten Hin­wei­sen. Auf die­se Wei­se hat­te er schon vie­le ge­ris­se­ne Tä­ter über­führt.

»Was soll ich ihm sa­gen?« er­kun­dig­te sich El­ford.

»Ich kom­me gleich mit.«

Bar­ra­bal folg­te dem In­spek­tor, um den miß­mu­ti­gen Lar­ry Grae­me zu be­su­chen, der in sei­nem ele­gan­ten Ge­sell­schafts­an­zug mit der wel­ken Nel­ke im Knopf­loch eine et­was son­der­ba­re Fi­gur mach­te.

Lar­ry, der schon vie­le Po­li­zei­be­am­te in Eng­land und in Ame­ri­ka ken­nen­ge­lernt hat­te, be­grüß­te ihn mit ge­zwun­ge­nem Lä­cheln.

»Ich freue mich, Ihre Be­kannt­schaft zu ma­chen, Herr Che­f­in­spek­tor. Sie ha­ben mich ge­schnappt. Mein Fall wird Ih­nen kei­ne große Mühe be­rei­ten. In mei­nem Kof­fer im Shel­ton-Ho­tel fin­den Sie ge­nug, um mich ein paar­mal zu über­füh­ren. Zu große Ver­trau­ens­se­lig­keit ist im­mer mei­ne Schwä­che ge­we­sen.«

Bar­ra­bal er­wi­der­te nichts, son­dern war­te­te auf die Fra­ge, die un­wei­ger­lich kom­men muß­te.

»Wer hat mich an­ge­zeigt, Che­f­in­spek­tor? Ich möch­te nur dies eine er­fah­ren, be­vor ich im Ge­fäng­nis ver­schwin­de. Ich muß wis­sen, wer der ›Zin­ker‹ ist, der mich ver­pfif­fen hat!«

Bar­ra­bal sag­te noch im­mer nichts.

»Es gibt nur drei Leu­te, die es ge­we­sen sein könn­ten.« Lar­ry zähl­te sie an den Fin­gern auf. »Ich möch­te kei­ne Na­men nen­nen, aber da ist ers­tens der Mann, der die Sa­chen ge­kauft hat – der hält dicht. Num­mer zwei ist zwar schlecht auf mich zu spre­chen, treibt sich aber jetzt ir­gend­wo in Frank­reich her­um und kommt gleich­falls nicht in Fra­ge. Bleibt also als drit­ter nur der Kerl mit dem ge­spal­te­nen Na­gel, der mir fünf­zehn­hun­dert für die Sa­che ge­bo­ten hat, die doch min­des­tens zwölf­tau­send wert ist – frei­lich habe ich nicht da­mit ge­rech­net, daß der mich kennt!«

»Nun gut, wenn Sie schon so be­han­delt wor­den sind, dann ver­zin­ken Sie doch selbst! Wer ist der Kerl mit dem ge­spal­te­nen Na­gel?«

Lar­ry grins­te.

»Sol­len sol­che Krea­tu­ren ver­zin­ken, wenn es ih­nen Spaß macht – ich je­den­falls bin mir zu gut dazu. Was ich fra­gen woll­te, Che­f­in­spek­tor – es hat wohl noch nie einen Po­li­zei­be­am­ten ge­ge­ben, der einen Zin­ker preis­ge­ge­ben hät­te?«

Bar­ra­bal nick­te kaum merk­lich.

»Sie glau­ben also, daß ei­ner der drei Heh­ler Sie an­ge­zeigt hat? Sa­gen Sie mir die drei Na­men, ich gebe Ih­nen mein Wort, daß ich Ih­nen den rich­ti­gen be­stä­ti­ge, wenn Sie ihn nen­nen.«

Lar­ry sah ihn spöt­tisch an.

»Ich kann ja nicht drei ver­ra­ten, wenn es nur um einen geht. Nie­mand weiß das bes­ser als Sie! Au­ßer­dem sag­te ich Ih­nen be­reits, daß nur der drit­te in Fra­ge käme.«

Der Che­f­in­spek­tor strich über sei­nen klei­nen schwar­zen Schnurr­bart.

»Ich habe Ih­nen eine Chan­ce ge­ge­ben. Vi­el­leicht be­su­che ich Sie mor­gen noch mal, be­vor Sie ins Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis ge­bracht wer­den. Sie wür­den nur gut dar­an tun, wenn Sie mir im Ver­trau­en die Na­men an­ge­ben wür­den.«

»Ich will erst die Nacht dar­über schla­fen«, ant­wor­te­te Lar­ry.

Bar­ra­bal ging in sein Büro zu­rück, schloß den Stahl­schrank auf und nahm eine Kas­set­te her­aus, die zahl­rei­che ma­schi­nen­ge­schrie­be­ne Pa­pier­strei­fen ent­hielt. Ganz of­fen­sicht­lich wa­ren alle mit der glei­chen Ma­schi­ne ge­schrie­ben wor­den. Manch­mal stan­den nur ein paar Zei­len dar­auf, zu­wei­len auch lan­ge Be­rich­te. Je­der die­ser Zet­tel war eine an­ony­me An­zei­ge. Ir­gend­wo in Lon­don gab es einen Mann, der die Heh­le­rei in ganz großem Maß­stab be­trieb und in je­dem Distrikt der Stadt Agen­ten ha­ben muß­te. Bei je­der schmut­zi­gen Sa­che hat­te er die Hand im Spiel, und die­se vie­len klei­nen Zet­tel wa­ren die Ra­che da­für, daß die Die­be ihre Beu­te nicht ihm, son­dern an­de­ren ver­kauft hat­ten.

Er nahm das obers­te Pa­pier auf.

»Lar­ry Grae­me hat die Ju­we­len der Mrs. van Ris­sik ge­raubt. Als Aus­hilfs­die­ner ver­schaff­te er sich bei ei­nem großen Empfang Ein­tritt in ihr Haus. Die Stei­ne ver­kauf­te er an Mo­ro­po­los, einen grie­chi­schen Ju­we­lier in Brüs­sel. Nur die eine Dia­man­ten-Stern­bro­sche, die in Grae­mes Kof­fer im Shel­ton Ho­tel liegt, woll­te Mo­ro­po­los nicht kau­fen, weil sie aus röt­li­chen Dia­man­ten be­steht; er fürch­te­te, daß sie zu leicht er­kannt wer­den könn­te.

P.S. Die Stern­bro­sche be­fin­det sich im Ge­heim­fach des Kof­fers.«

Kei­ne Un­ter­schrift. Das glei­che Pa­pier wie bei al­len an­dern an­ony­men An­zei­gen, die man bis­her in Scot­land Yard er­hal­ten hat­te.

Der Che­f­in­spek­tor schau­te mit halb­ge­schlos­se­nen Au­gen auf das Blatt und strich da­bei wie­der me­cha­nisch über sei­nen Schnurr­bart.

»Zin­ker, ich wer­de dich noch er­wi­schen!« sag­te er halb­laut zu sich selbst.

Kapitel 3

Zwei Jah­re und sechs Mo­na­te wa­ren ver­gan­gen, seit Lar­ry Grae­me, er­staunt dar­über, nicht mehr als drei Jah­re Zucht­haus er­hal­ten zu ha­ben, sich fast dank­bar vor dem Rich­ter ver­neigt hat­te.

Die Blät­ter im Park färb­ten sich herbst­lich.

Zwei Men­schen spa­zier­ten auf dem ge­pfleg­ten Weg, der die brei­te Stra­ße zwi­schen Mar­ble Arch und Hyde Park Cor­ner säumt. Die Son­ne strahl­te, doch von Os­ten blies ein schar­fer Wind, und eine Käl­te lag in der Luft, die den kom­men­den Win­ter an­kün­dig­te.

Cap­tain Les­lie war et­was über vier­zig und von kräf­ti­ger Ge­stalt. Auf den ers­ten Blick wirk­te sein ju­gend­lich fri­sches Ge­sicht be­deu­tend jün­ger, und erst bei ge­nau­e­rem Hin­se­hen wur­de die­ser Ein­druck durch das Grau, das sich in sein schwar­zes Haar misch­te, wie­der kor­ri­giert.

»Man muß se­hen, wie man durch­kommt«, sag­te er ge­ra­de. »Gute Stel­len sind nicht mehr so leicht zu ha­ben wie vor dem Krieg, und au­ßer­dem ist es ja wirk­lich kein schlech­ter Pos­ten.«

»Trotz­dem, es ist nicht das Rich­ti­ge für Sie, Cap­tain Les­lie«, wi­der­sprach Be­ryl Sted­man zö­gernd. »Aber noch et­was an­de­res kann ich nicht ver­ste­hen. Ich möch­te Sie na­tür­lich nicht be­lei­di­gen, wenn ich es Ih­nen sage –.«

»Ich bin nicht so leicht be­lei­digt. Nur los!«

»Frank er­zählt, daß Sie im Ge­schäft we­nig be­liebt sind, und das kann ich nicht ver­ste­hen – aber bit­te, sa­gen Sie ihm nicht, daß ich mit Ih­nen dar­über ge­spro­chen habe.«

»Ja, es stimmt schon, ich bin we­nig be­liebt – ver­flucht we­nig. In ge­wis­ser Be­zie­hung bin ich das ge­naue Ge­gen­stück zu Ihrem Ver­lob­ten, Miss Sted­man. Frank Sut­ton hat es her­aus, sich die Ver­eh­rung sei­nes Per­so­nals zu si­chern. Es macht mir im­mer Spaß, zu se­hen, wie ihn sei­ne Leu­te be­grü­ßen. Man könn­te sa­gen, daß sie vor ihm auf den Kni­en lie­gen, wenn er mor­gens ins Ge­schäft komm­t…«

»Das ist nicht nett von Ih­nen!« rief sie ta­delnd.

»Ich habe nicht die Ab­sicht, un­lie­bens­wür­dig zu sein. Es ist nur amüsant – nein, lehr­reich ist ein bes­se­rer Aus­druck. Wenn Frank Sut­ton sei­ne Leu­te bit­ten wür­de, für ihn eine gan­ze Wo­che lang die Näch­te durch­zu­ar­bei­ten, glau­be ich be­stimmt, daß sie es noch als große Gna­de an­se­hen wür­den! Be­hal­te ich sie aber fünf Mi­nu­ten über Ge­schäfts­schluß da, gibt es Aufruhr und Re­vo­lu­ti­on!« Er lach­te lei­se. »Nur ei­ner von den An­ge­stell­ten scheint mich ei­ni­ger­ma­ßen zu mö­gen – ein ge­wis­ser Till­man. Al­ler­dings ist er auch erst seit vier­zehn Ta­gen im Büro, und ich bin auch nicht si­cher, ob das In­ter­es­se, das er an mir nimmt, so ganz ohne Hin­ter­ge­dan­ken ist. Sonst ist da nur noch…« Er schwieg.

»Nun, wer be­wun­dert Sie denn sonst noch?« frag­te sie iro­nisch.

»Ich weiß nicht – Sut­tons Se­kre­tä­rin ist ganz nett zu mir. Das heißt, sie kommt mir we­nigs­tens freund­lich ent­ge­gen. Vi­el­leicht ist sie auch schon so lan­ge in Frank Sut­tons Diens­ten, daß ihr sei­ne ewi­ge Güte und Freund­lich­keit lang­wei­lig ge­wor­den sind!«

»Jetzt wer­den Sie aber wirk­lich schreck­lich!«

»Ich weiß.«

Als John Les­lie Be­ryl Sted­man zum ers­ten­mal sah, emp­fand er das glück­li­che Ge­fühl der Er­leich­te­rung und Er­lö­sung, end­lich ge­fun­den zu ha­ben, wo­nach er sich schon im­mer ge­sehnt hat­te. Sie war sehr hübsch. Als Les­lie er­fuhr, daß sie die Braut sei­nes Chefs war und bald hei­ra­ten wür­de, war sei­ne Be­stür­zung groß.

Frank Sut­ton, ein statt­li­cher Mann in den bes­ten Jah­ren, be­saß eine un­beug­sa­me Ener­gie und stand im Rufe, ein un­er­müd­li­cher Ar­bei­ter zu sein. Trotz sei­ner vie­len Er­fol­ge blieb er per­sön­lich im­mer lie­bens­wür­dig. In sei­nen Bü­ros in Cal­ford Cham­bers wur­de flei­ßig ge­ar­bei­tet. Er lei­te­te eine Ex­port­fir­ma und ver­schmäh­te kei­nen Auf­trag, wenn er auch noch so klein war.

Er­folg­rei­che Leu­te mit un­beug­sa­mer Ener­gie sind sel­ten bei ih­ren An­ge­stell­ten be­liebt. Frank Sut­ton da­ge­gen wur­de von sei­nen Leu­ten ver­göt­tert. Sein wohl­wol­len­des Lä­cheln, mit dem er sie bei Er­fol­gen auf­mun­ter­te und bei Mi­ßer­fol­gen trös­te­te, ge­wann ihm alle Her­zen. Wenn er durch die Räu­me ging, über­trug sich et­was von sei­ner Tat­kraft auf das Per­so­nal, und wenn er je­man­dem die Hand gab, war es für den Be­tref­fen­den ein zu­sätz­li­cher Ansporn.

»Ich wünsch­te, er wäre nicht ganz so voll­kom­men.« Be­ryl Sted­man seufz­te. »Ken­nen Sie üb­ri­gens einen Mann na­mens Bar­ra­bal, einen hö­he­ren Po­li­zei­of­fi­zier von Scot­land Yard?« frag­te sie un­ver­mit­telt.

»Nicht per­sön­lich, nie­mand kennt ihn ge­nau, aber ich habe viel von ihm ge­hört. Neu­lich wur­de sein Name in der Zei­tung er­wähnt. Wa­rum fra­gen Sie?«

»Frank sprach ges­tern abend von ihm. Er frag­te Mr. Fried­man, ob er ihn ken­ne. Frank ist näm­lich der Mei­nung…« Sie zö­ger­te. Wie­der schi­en sie zu be­fürch­ten, einen Ver­trau­ens­bruch zu be­ge­hen, aber dann sprach sie rasch wei­ter. »Es sind näm­lich ein oder zwei Pa­ke­te im Ge­schäft ver­schwun­den, aber das wis­sen Sie ja, und Frank be­ab­sich­tig­te, Mr. Bar­ra­bal zu be­nach­rich­ti­gen. Oder ha­ben Sie nichts da­von er­fah­ren?«

»Ich wuß­te es bis jetzt noch nicht«, ant­wor­te­te Les­lie nach­läs­sig. »Aber ich glau­be kaum, daß Bar­ra­bal sich da­mit be­schäf­ti­gen wür­de. Er ge­hört nicht zu der Sor­te von Be­am­ten, die ihre Zeit da­mit ver­geu­den, klei­ne Dieb­stäh­le auf­zu­de­cken. – Se­hen Sie, dort kommt je­mand, der nicht gut auf mich zu spre­chen ist.«

Zwei Her­ren, bei­de ziem­lich groß, ka­men ih­nen ent­ge­gen. Lew Fried­man wirk­te durch sei­ne ge­beug­te Hal­tung et­was klei­ner. Er war ein Mann mit har­ten Ge­sichts­zü­gen, ei­ner Ad­ler­na­se, großem, ge­ra­dem Mund und aus­ge­präg­tem Kinn. Man sah ihm an, daß er sich im Le­ben schwer her­um­ge­schla­gen hat­te. Sein Beglei­ter war jung, hübsch, blond und blau­äu­gig. Beim An­blick von Be­ryl und John Les­lie lä­chel­te er, wo­bei sei­ne ta­del­los wei­ßen Zäh­ne sicht­bar wur­den. Mr. Fried­man da­ge­gen zeig­te sich we­ni­ger lie­bens­wür­dig. Er zog die Stir­ne kraus und schau­te auf die jun­ge Dame.

»Ich dach­te, du wärst bei Mrs. Mor­den zu Tisch ge­la­den, Be­ryl?« er­kun­dig­te er sich schroff.

»Ich traf Cap­tain Les­lie in der Ox­ford Street.«

»Na­tür­lich zu­fäl­lig? Na gut.« Er wand­te sich John Les­lie zu. »Sie ha­ben an­schei­nend nicht über­mä­ßig viel zu tun, Les­lie?«

»Nicht be­son­ders viel«, ant­wor­te­te John kühl.

Frank Sut­ton hat­te die Sze­ne amü­siert ver­folgt.

»In mei­nem Ge­schäft braucht sich auch nie­mand tot­zu­ar­bei­ten. Je­der, der einen klei­nen Spa­zier­gang ma­chen will, hat Zeit dazu – nicht wahr, Les­lie?« Er zwin­ker­te sei­ner Braut zu. »Laß dich vom al­ten Lew bloß nicht ein­schüch­tern, Be­ryl! Er bil­det sich stän­dig ein, daß je­der­mann mit dir durch­bren­nen will!«

Er stieß Lew mit dem Ell­bo­gen an und lach­te. Doch Mr. Fried­man war durch­aus nicht be­lus­tigt. Es ent­stand eine pein­li­che Pau­se, bis Sut­ton Les­lie am Arm nahm.

»Sie brau­chen mich nicht mehr, Lew, und ich bin si­cher, daß auch Les­lie hier nicht mehr be­nö­tigt wird!«

John ver­such­te noch einen Blick Be­ryls zu er­ha­schen, aber aus ir­gend­ei­nem Grund hat­te sie sich ver­wir­ren las­sen, und so ging er ne­ben sei­nem Chef den Weg zu­rück, den er ge­kom­men war. Sut­ton zeig­te sich ge­sprä­chig und äu­ßerst lie­bens­wür­dig. Er ließ sich weit­schwei­fig dar­über aus, welch eng­her­zi­ge Vor­ur­tei­le alte Leu­te im all­ge­mei­nen doch hät­ten.

»Das Merk­wür­di­ge da­bei ist, daß Lew Fried­man Sie ganz gern hat – das heißt, wenn er Sie al­lein trifft, denn er nimmt an, daß Sie eine Art Don Juan sind. Fried­man ist nun mal arg­wöh­nisch, und es ist ganz sinn­los, da­ge­gen an­zu­kämp­fen.«

Les­lie nahm eine Zi­ga­ret­te aus sei­nem Etui und drück­te sie zu­recht. Ein schwa­ches Lä­cheln spiel­te um sei­nen Mund.

»Und Sie selbst – ha­ben Sie denn nichts da­ge­gen, wenn ich Miss Sted­man ge­le­gent­lich tref­fe?«

Selt­sa­mer­wei­se mach­te er kei­ner­lei Ver­such, sich zu ent­schul­di­gen oder we­nigs­tens die Harm­lo­sig­keit sei­ner Zu­sam­men­künf­te mit Be­ryl zu be­teu­ern.

Frank Sut­ton zuck­te die Ach­seln.

»Gro­ßer Gott, nein, ich habe nichts da­ge­gen! Ich sehe die Sa­che so – in den letz­ten zehn Jah­ren ha­ben Sie in­fol­ge un­glück­li­cher Um­stän­de kei­ne Ge­le­gen­heit ge­habt, hüb­sche Frau­en zu se­hen, und ich glau­be, daß Ih­nen der An­blick ei­nes schö­nen Mäd­chens ganz gut­tut. Sie ha­ben doch nichts da­ge­gen, wenn ich so of­fen mit Ih­nen spre­che? Sie sind für mich eben ein Ex­pe­ri­ment – ich ma­che stets Ex­pe­ri­men­te. Die meis­ten sind un­güns­tig für mich aus­ge­gan­gen. Ich möch­te Sie – ich will nicht sa­gen, bes­sern, das klingt zu pe­dan­tisch, viel­leicht hei­len. Aber hal­be Maß­nah­men lie­gen mir nicht, ich muß eine Sa­che ganz durch­füh­ren.« Er sprach eif­rig, ganz na­tür­lich, in sei­nem Ton lag kei­ne Spur von Be­vor­mun­dung. »Be­ryl ist schön. Es ist ganz klar, daß auch an­de­re das so emp­fin­den müs­sen. Doch ich bin kein Pa­scha, der glaubt, daß Frau­en in Ge­gen­wart an­de­rer Män­ner sich nur ver­schlei­ert zei­gen dür­fen. Mei­ner Mei­nung nach kann ein Mäd­chen nicht ge­nug Män­ner ken­nen­ler­nen. Das habe ich auch dem al­ten Lew ge­sagt, aber er ist eben ein alt­mo­di­scher Men­sch…«

Er äu­ßer­te sich wei­ter in die­ser Wei­se, bis sie zur Ox­ford Street ka­men. Dort war­te­te sein Wa­gen. Auch auf der Fahrt zum Büro ver­brei­te­te er sich noch über die­ses The­ma.

Die Bü­ro­räu­me der Fir­ma Frank Sut­ton & Co. nah­men drei Stock­wer­ke in ei­nem Eck­haus in der Nähe des Midd­le­sex-Ho­spi­tals ein. Es war eine Ge­schäfts­s­tra­ße, die mit der Ox­ford Street par­al­lel lief. Mr. Sut­ton hat­te vor sechs Jah­ren ganz klein an­ge­fan­gen und be­saß nun ein gut­ge­hen­des Ex­port­ge­schäft und Nie­der­las­sun­gen in al­ler Welt. Ein großer Wa­ren­spei­cher in der Nähe der East In­dia Docks ge­hör­te ihm. Im Ge­gen­satz zu den meis­ten Ex­por­teu­ren, die sich auf ein Spe­zi­al­ge­biet be­schränk­ten, be­faß­te sich Frank Sut­ton mit den ver­schie­den­ar­tigs­ten Wa­ren und Ge­schäf­ten.

Er sprach ge­ra­de über die ra­pi­de Aus­deh­nung sei­ner Fir­ma, als sie den Kor­ri­dor ent­lang­gin­gen, an dem ihre Bü­ros la­gen.

»Sie ha­ben hier bei mir eine große Chan­ce, Les­lie, wenn Sie die Sa­che nur mit der nö­ti­gen Ener­gie und Um­sicht an­pa­cken…« Plötz­lich än­der­te er sei­nen Ton und sah ihn scharf an. »Aber Sie müs­sen mir ge­gen­über of­fen sein!«

»Ich ver­ste­he Sie nicht ganz«, er­wi­der­te John Les­lie und sah ihm di­rekt in die Au­gen.

»Und ich ver­ste­he Sie nicht! Ich möch­te gern mehr von Ih­nen wis­sen, als ich jetzt weiß. Wo brin­gen Sie Ihre Näch­te zu? Was trei­ben Sie au­ßer­halb mei­nes Ge­schäf­tes? Ich habe ein großes Ri­si­ko auf mich ge­nom­men, als ich Sie en­ga­gier­te. Lew Fried­man weiß das noch gar nicht. Sie ver­ste­cken ir­gend et­was vor mir, und ich möch­te wis­sen, was.«

Les­lie ant­wor­te­te nicht gleich, sah eine Wei­le zu Bo­den und lach­te dann.

»Ich dach­te, Sie wüß­ten ge­nug von mir. Aber da Sie so furcht­bar neu­gie­rig sind, muß ich Ih­nen ja wohl mei­ne Lieb­ha­be­rei­en beich­ten. Ich kau­fe näm­lich Din­ge sehr bil­lig ein und ver­kau­fe sie teu­er. Und wenn ich ge­ra­de Zeit habe, be­nüt­ze ich sie dazu, an­de­re Leu­te zu ver­zin­ken.«

Frank Sut­ton sah sei­nen Beglei­ter ver­blüfft an.

»Sie kau­fen Din­ge bil­lig ein und ver­kau­fen sie teu­er?« wie­der­hol­te er lang­sam. »Und Sie be­nüt­zen Ihre freie Zeit dazu, an­de­re zu ver­zin­ken? Ich ver­ste­he Sie nicht.«

»Das glau­be ich. Sie hat­ten eben nicht mei­ne Er­zie­hung!«

Sut­ton wech­sel­te eben­so schnell, wie er ernst ge­wor­den war, die Un­ter­hal­tung wie­der ins ver­gnügt Un­ver­bind­li­che.

»Sie sind mir ein Rät­sel. Ich habe noch nie einen Men­schen wie Sie ge­trof­fen. Ich will nicht ein­mal fra­gen, was das hei­ßen soll, daß Sie an­de­re ver­zin­ken – es klingt so, als ob es et­was sehr Nie­der­träch­ti­ges wäre.«

»Ich bin nie­der­träch­tig«, er­klär­te Les­lie, »und zwar in ei­nem Aus­maß, daß ich Mr. Lew Fried­man voll­kom­men recht ge­ben muß. Wenn ich an Ih­rer Stel­le wäre, Mr. Sut­ton, und Sie wä­ren an mei­ner, wür­de ich Ih­nen ver­bie­ten, mit Miss Be­ryl Sted­man zu­sam­men­zu­kom­men. Wenn ich Frank Sut­ton wäre, wür­de ich wahr­schein­lich John Les­lie sein Ge­halt aus­zah­len und ihm die Tür wei­sen. Sie han­del­ten nicht sehr klug – ver­zei­hen Sie die Of­fen­heit –, als Sie mich en­ga­gier­ten. Sie sind aber auch in Ih­rer Art ganz ein­zig­ar­tig!«

Frank lach­te, als ob er sich des­sen voll­kom­men be­wußt wäre.

»Mög­li­cher­wei­se war es nicht sehr klug von mir«, mein­te er und frag­te un­ver­mit­telt: »Was macht ei­gent­lich die­ser Till­man bei uns?«

Les­lie blieb ei­ni­ge Schrit­te vor sei­ner Bü­ro­tür ste­hen. Frank Sut­ton strich sich über das Kinn.

»Ich weiß nicht – er ist eben­so merk­wür­dig und son­der­bar wie Sie. Ich war ei­gent­lich et­was miß­trau­isch, aber an sei­nen Zeug­nis­sen und Emp­feh­lun­gen gab es nichts aus­zu­set­zen. Es wäre mir sehr lieb, wenn Sie mir Ihre Mei­nung über ihn sag­ten.«

»Wenn Sie ihn in ir­gend­ei­nem Ver­dacht ha­ben, wäre es doch das bes­te, ihn wie­der zu ent­las­sen.«

»Gut­mü­tig­keit war im­mer mei­ne Schwä­che. Der arme Kerl such­te eine Stel­le, und so en­ga­gier­te ich ihn. Ich möch­te ihn jetzt nicht gern auf die Stra­ße set­zen, nur weil mir sein Ge­sicht nicht sym­pa­thisch ist.«

Vom Gan­gen­de her rief je­mand Sut­ton et­was zu, und mit ei­ner kur­z­en Hand­be­we­gung eil­te er weg.

Les­lie öff­ne­te lei­se sei­ne Bü­ro­tür.

Das Auf­fallends­te in dem Büro war ein großer, in die Wand ein­ge­las­se­ner Geld­schrank. Au­ßer sei­nem ei­ge­nen um­fang­rei­chen stand noch ein klei­ne­rer Schreib­tisch dar­in, denn der Ge­schäfts­füh­rer teil­te den Raum mit der Pri­vat­se­kre­tä­rin Frank Sut­tons.

Als Les­lie ein­trat, war sie nicht zu­ge­gen – aber je­mand an­ders war da. Ein Mann neig­te sich über den großen Schreib­tisch und durch­such­te an­schei­nend die Pa­pie­re. Les­lie be­ob­ach­te­te ihn einen Mo­ment.

»Ha­ben Sie et­was ver­lo­ren, Till­man?«

Der An­ge­spro­che­ne fuhr schnell her­um. Auf sei­nem ha­ge­ren, ge­bräun­ten Ge­sicht zeig­te sich Be­stür­zung.

»Ja, ich habe eine Rech­nung ver­legt.«

»Wie lan­ge sind Sie ei­gent­lich schon in der Fir­ma?«

Till­man sah mit hoch­ge­zo­ge­nen Brau­en zur De­cke, als ob er über­le­gen müß­te. Er war etwa in Les­lies Al­ter und hat­te ei­sen­grau­es Haar.

»Ei­nen Mo­nat«, sag­te er.

»Und in die­ser Zeit habe ich Sie nun schon zwei­mal da­bei über­rascht, daß Sie mei­ne Pa­pie­re durch­su­chen. Ich glau­be nicht, daß wir noch lan­ge zu­sam­men­ar­bei­ten wer­den.«

Um Till­mans Lip­pen zuck­te ein Lä­cheln.

»Das wür­de mir leid tun, denn ich hoff­te, daß wir uns bes­ser ken­nen­ler­nen könn­ten.«

Les­lie ging schnell die Pa­pie­re durch, die auf dem Tisch la­gen, aber er fand nichts von Be­deu­tung dar­un­ter. Die Schub­la­den, in de­nen er wich­ti­ge Do­ku­men­te auf­hob, wa­ren fest ver­schlos­sen. Er hielt es für bes­ser, das The­ma zu wech­seln.

»War je­mand hier?«

Till­man sah ihn nicht an. Das war auch eine sei­ner Ei­gen­tüm­lich­kei­ten, wie geis­tes­ab­we­send auf einen Punkt zu star­ren.

»Ja, ein Mr. Grae­me war hier – Mr. Lar­ry Grae­me.«

Till­man sah Les­lie vor­sich­tig von der Sei­te an und be­merk­te, wie sein Ge­sicht sich ver­fins­ter­te.

»Grae­me? Was woll­te denn der?«

»Ich ver­mu­te, daß er Sie spre­chen woll­te. Es schi­en et­was sehr Drin­gen­des zu sein. Er sag­te, daß er um sechs Uhr wie­der­kom­men wol­le. Er be­nahm sich nicht be­son­ders zu­rück­hal­tend, und al­len An­zei­chen nach schloß ich, daß er eben aus dem Ge­fäng­nis ent­las­sen wur­de. Ken­nen Sie ihn?«

»Ober­fläch­lich.« Plötz­lich fuhr Les­lie auf: »Was, zum Teu­fel, bil­den Sie sich ein, mich hier aus­zu­fra­gen?« Mit ei­ner Kopf­be­we­gung wies er zur Tür. »Und wenn ich Sie noch­mals da­bei er­wi­sche, daß Sie hier her­um­spio­nie­ren, las­se ich Sie au­gen­blick­lich an die Luft set­zen! Ha­ben Sie mich ver­stan­den?«

Till­mans Ge­sicht ver­zog sich zu ei­nem Grin­sen.

»Das wür­de eine sen­sa­tio­nel­le Er­fah­rung für mich be­deu­ten«, er­wi­der­te er und war im nächs­ten Au­gen­blick schon drau­ßen.

Als er al­lein war, wur­de sich Les­lie der merk­wür­di­gen Si­tua­ti­on be­wußt und lach­te lei­se vor sich hin.

Sut­tons Se­kre­tä­rin war an die­sem Nach­mit­tag nicht im Dienst, und er hat­te das Büro für sich al­lein. Ob­gleich ge­nug Ar­beit auf ihn war­te­te, setz­te er sich doch nicht an den Schreib­tisch. Alle paar Mi­nu­ten ging er zum Fens­ter und be­ob­ach­te­te die Stra­ße. Als es zu dun­keln an­fing und die ers­ten Stra­ßen­la­ter­nen an­ge­zün­det wur­den, ent­deck­te er den Mann, den er er­war­te­te. Er konn­te ihn deut­lich se­hen. Lar­ry Grae­me stand un­ter ei­ner La­ter­ne, Zi­gar­re im Mund, die Hän­de in den Ta­schen. Im­mer wie­der kehr­te Les­lie zum Fens­ter zu­rück, aber Grae­me ver­ließ sei­nen Pos­ten nicht.

Kapitel 4

Lar­ry Grae­me war ein Dieb, der sei­ne Ge­schäf­te al­lein, ohne die Mit­hil­fe an­de­rer be­trieb. Als er an ei­nem rau­en Fe­bruar­mor­gen aus Dart­moor ent­las­sen wur­de, ging er so­fort zu sei­ner Woh­nung in Southwark, die er in bes­ter Ord­nung vor­fand. Sie be­fand sich in ei­nem Häu­ser­block, ei­ni­ge hun­dert Me­ter von der Do­ver Street ent­fernt, in dem teils il­lus­t­re und wohl­ha­ben­de Leu­te wohn­ten. Auch der große Bar­ra­bal wuß­te nichts von die­sem Schlupf­win­kel, sonst hät­te er si­cher ver­mu­tet, daß in die­ser Woh­nung ver­steckt ein re­spek­ta­bles Re­ser­ve­ka­pi­tal den Heim­keh­rer er­war­te­te.

Die Haus­meis­te­rin be­grüß­te ihn gleich­gül­tig; sie war an Mr. Grae­mes häu­fi­ge Ab­we­sen­heit schon ge­wöhnt. Da er sein Geld gut an­zu­le­gen ver­stand und eine Hy­po­thek auf dem Haus be­saß, konn­te ihm die Woh­nung nicht ge­kün­digt wer­den.

Auch dies­mal fand er al­les so, wie er es ver­las­sen hat­te. Nicht ein­mal eine Zi­gar­re war aus der Ze­dern­holz­kis­te auf dem Ka­min­sims ver­schwun­den.

Fürs ers­te in­ter­es­sier­te er sich we­ni­ger für das in ei­ner Kas­set­te auf­be­wahr­te Geld als für sei­ne Brow­ning­pis­to­le und die Schach­tel Pa­tro­nen, denn er war mit ei­nem Plan aus dem Ge­fäng­nis zu­rück­ge­kom­men. Der Auf­ent­halt hat­te ihm dies­mal sehr zu­ge­setzt. Er war zu alt für das Ge­fäng­nis ge­wor­den. Die Wär­ter wa­ren we­nig lie­bens­wür­dig, zwei­mal hat­ten sie ihn ab­ge­faßt, als er sich Ta­bak ver­schaf­fen woll­te. Man be­schäf­tig­te ihn im Wasch­haus des Ge­fäng­nis­ses, und ob­gleich er ein ru­hi­ger und eher phi­lo­so­phi­scher Mensch war, wur­de sein Haß durch den Klatsch, den er dort hör­te, im­mer wie­der aufs neue an­ge­sta­chelt.

Im Wasch­haus be­geg­ne­te er ei­nem Mann, der ge­nau wie er auf Grund ei­ner an­ony­men An­zei­ge des ›Gro­ßen Un­be­kann­ten‹ zu zehn Jah­ren ver­ur­teilt wor­den war. Aber nie­mand au­ßer Lar­ry wuß­te von dem ge­spal­te­nen Na­gel. Die­ses Ge­heim­nis be­hielt er auch für sich. Es tat ihm jetzt leid, daß er Bar­ra­bal da­von er­zählt hat­te.

Er kam nach Lon­don zu­rück, grü­bel­te, über­leg­te, dach­te an den Zin­ker und an die Brow­ning­pis­to­le.

Ei­nen An­halts­punkt hat­te er – den ge­spal­te­nen Na­gel am drit­ten Fin­ger. Dazu kam noch et­was an­de­res. Der Zin­ker kauf­te in großem Stil ge­stoh­le­ne Au­tos und ließ sei­ne Ge­schäf­te durch Zwi­schen­händ­ler in Soho ab­wi­ckeln. Lar­ry streif­te durch Soho und be­ob­ach­te­te. Durch Zu­fall traf er in der Re­gent Street die jun­ge Dame, die ›den Mann mit dem ge­spal­te­nen Fin­ger­na­gel‹ ma­ni­kür­te. Sie kann­te auch die dop­pel­te wei­ße Nar­be auf dem ers­ten Ge­lenk.

»Ich ken­ne sei­nen Na­men nicht«, sag­te sie, »aber ich sah ihn öf­ters in ein Ge­schäfts­haus in der Mor­ti­mer Street ge­hen. Ich woh­ne in der Nähe der Tot­ten­ham Court Road und kom­me im­mer dort vor­bei. Es wäre schön, wenn Sie durch mich Ihren Bru­der wie­der­fin­den wür­den!«