Der zweite Mann an meiner Seite - Luise Isover - E-Book

Der zweite Mann an meiner Seite E-Book

Luise Isover

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Beschreibung

Nach dem schlimmen Verlust ihres Mannes, hat Adele ihr Leben als Aditi in Indien geordnet und auch ihre Vergangenheit angenommen. Ihre Tochter und die Arbeit im Witwenhaus geben ihr die Kraft, ihren Platz zu akzeptieren. Doch Glück und Erfüllung findet Aditi nicht. Erst eine unerwartete Begegnung, lässt alte Sehnsüchte und Träume erwachen, die sie für sich längst vergessen glaubte. Einmal mehr muss Aditi für ihre Zukunft, ihre Sehnsucht und ihre Liebe kämpfen.

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Inhaltsverzeichnis:

Das Leben im Witwenhaus

Die Begegnung im Hospital

Ein gemeinsamer Augenblick

Die Frauenverschwörung

Mathura und das Fest

Aditis plötzliches Verschwinden

Der neue Sohn

Die Heimkehr ins Witwenhaus

Das Herz ihres Vaters

Der Abschied

Der Rauswurf

Ein neues Leben

1. Das Leben im Witwenhaus

Wie jeden Morgen in den letzten vier Jahren gab es ein Ritual, das Adele eingeführt hatte. Sie beteten zu den Göttern und anschließend frühstückten sie gemeinsam. Die Witwen liebten ihr kleines Morgenritual. Hier konnten sie alles gemeinsam besprechen und niemand kam zu kurz, da genug Zeit war. Danach gingen sie ihren täglichen Arbeiten nach.

Aditi, wie Adele hier seit Jahren nur noch genannt wurde, da sie ihren westlichen Namen abgelegt hatte, brachte als erstes ihre Kleine in den neu eingerichteten Kindergarten. Witwen mit kleinen Kindern konnten diese in der Einrichtung kostenfrei abgeben, um dann ihrer Arbeit nachgehen zu können. Diese Frauen, die weit mehr als ihren Partner verloren hatten, hatten genug Kummer erlitten, um sich jetzt auch noch über die Finanzen Sorgen machen zu müssen.

Aditis Arbeit bestand darin, immer wieder Geld durch Spenden zu sammeln. Dann gab es da noch die Behörden, mit denen sie sich auch herumschlagen musste. Es war ihr gelungen, dass es einmal im Monat, immer donnerstags, einen öffentlichen Basar auf dem Platz gab,

wo auch Händler aus der Stadt ihre Waren vertreiben konnten. Das Ganze war ein großer Erfolg. Durch den etablierten Basar konnten die weißen Frauen ihre Waren leichter an die Kundschaft verkaufen. Da sie nun auf andere Händler verzichten konnten, hatten sie somit einen höheren Erlös, welcher dem Witwenhaus zugutekam.

So ein Donnerstag war heute. Die Frauen sangen und tanzten, während sie ihre Stände aufbauten und dekorierten. Sie legten die Waren aus, die sie zum Verkauf anbieten wollten, und waren glücklich, dass sie an so einem schönen Tag die Möglichkeit hatten, auf dem Basar zu sein.

Aditi hatte noch einen wichtigen Termin bei der Verwaltung. Ihr Weg führte sie vorbei an ihrem alten Zuhause, was ihr noch immer einen Stich versetzte und vorbei am Haus der Sharmas.

Sie schaute zur anderen Straßenseite, als sie sah, dass die Tür offenstand und Jodha und Sunika sich von Bamita verabschiedeten. Aditi merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen und wischte sie sich mit einer schnellen Handbewegung von den Wangen ab, damit der Rikschafahrer nichts merkte. Es war lange her, dass sie die Sharmas gesehen, geschweige denn mit ihnen ein Wort gewechselt hatte. Immer und immer wieder nahm sie sich vor, sie zu besuchen. Doch noch immer schmerzte es sie, wenn sie an die glücklichen Zeiten in diesem Haus zurückdachte.

Und dieser Schmerz hinderte sie jedes Mal daran, ihre zweite Familie zu besuchen.

Bei der Stadtverwaltung angekommen, bat sie den Fahrer, auf sie zu warten, und ging in das Gebäude. Das Gebäude war riesig, mit vielen Türen und verwinkelten Ecken, in denen Menschen warteten, bis sie an der Reihe waren. Doch mittlerweile verlief Aditi sich zum Glück nicht mehr. Sie wusste genau, wohin sie wollte und legte den Weg mit sicheren Schritten zurück.

Es dauerte, bis sie an der Reihe war.

Sie wollte nur einen Antrag zur Erweiterung des Marktes aufgeben, damit die Frauen auch außerhalb des Platzes ihre Stände aufstellen konnten. Und außerdem für ein paar Schilder, die auf den Markt aufmerksam machen.

Sie wusste, dass der Beamte von ihr etwas verlangen würde. Denn das war üblich. Genau dafür hatte sie etwas Geld dabei, aufgeteilt in kleine Pakete und versteckt unter ihrem Sari.

Als der Beamte Aditi erblickte, winkte er sie zu sich. „Namaste. Was kann ich heute Schönes für Sie tun, Frau Zsupra?“

„Ach wissen sie, Herr … “ Sie suchte ein Namensschild, fand jedoch keines und lächelte stattdessen. „Ich benötige ein Formular für die Vergrößerung des Marktes bis zum Anfang unserer Straße.“

„Hmm … “, machte er und musterte Aditi nachdenklich. „Sie wissen ja“, er rieb seinen Zeigefinger und den Daumen aneinander.

„Natürlich.“ Aditi verstand diese Korruptheit keineswegs, holte jedoch ein kleines Bündel aus ihrem Sari und überreichte es ihm.

„Doch nicht so!“, zischte er und schaute sich verstohlen nach allen Seiten um. Hier im Großraumbüro, wusste man immerhin nie, wer zuhörte.

„Wenn das jemand mitbekommt!“

Aditi sparte sich jeglichen Kommentar.

Sie fand es mehr als dreist, wie man mit den Witwen umging.

Trotzdem musste sie freundlich bleiben. Der Beamte saß am längeren Hebel. Nach einer kurzen Entschuldigung legte sie das Bündel zwischen zwei Blätter und schob es dem Beamten über den Tisch hinweg zu.

Er ließ sich Zeit, bis er den Inhalt der Blätter in Augenschein nahm. „Gut, gut Frau, aber das ist doch nicht ihr Ernst. Sie wollen nur die halbe Straße?“

„Wie bitte?“ „Das Geld reicht lediglich für die halbe Straße“, wiederholte der Beamte, obwohl Aditi ihn sehr wohl verstanden hatte. Und seinem Grinsen nach zu urteilen, wusste er ganz genau, worauf sie hinaus wollte.

Aditi schnaubte.

„Guter Herr“,

Aditi musste sich zusammenreißen, ihn nicht wüst zu beschimpfen, für die Art und Weise, wie er mit ihr, und somit auch mit den Witwen, umging,

„das ist viel Geld und außerdem…“

Der Beamte unterbrach Aditi. „Wenn Sie nicht wollen...“ Er beugte sich zur Seite, um die Tür hinter Aditi in Augenschein zu nehmen. „Der Nächste, bitte!“ Er winkte nach dem Mann, der in der Schlange als Nächster dran war.

„Nein, warten Sie!“ Noch einmal holte sie ein Bündel unter ihrem Sari hervor und legte es ihm auf den Tisch. „Ich hoffe, das ist genug Geld, um die ganze Straße zu bekommen.“

„Ja, das kann man sagen. Ich stelle Ihnen die Erlaubnis für ein halbes Jahr aus.“

„Ein halbes Jahr?“, unterbrach Aditi dieses Mal den Beamten, „waren diese Anträge nicht für ein Jahr?“

„Ja, das hat sich gerade geändert.“

Er grinste und Aditi fand ihn widerlich. Sie war sauer und konnte sich kaum zurückhalten. Lediglich die Vorahnung, dass er noch unfairer werden würde, wenn sie dazu etwas sagte, ließ sie den Zettel schleunigst an sich nehmen, um ohne Gruß anschließend das Büro zu verlassen.

Der Rest, den sie in diesem Gebäude noch zu erledigen hatte, kostete sie nicht halb so viele Nerven, wie das Gespräch mit dem Beamten, sodass Aditi bald das Gebäude verlassen konnte. Als sie auf die Straße trat, hielt sie ihre Papiere gut unter dem Arm versteckt.

Der Weg bis zur Rikscha war nicht weit und dennoch beschlich sie ein unangenehmes Gefühl. Woher es kam, konnte sie selbst nicht sagen. Sie sah sich nach allen Seiten um, doch etwas Verdächtiges feststellen konnte sie nicht. Dennoch schob sie die Papiere unter ihren Sari, als sie anhielt, um nach dem Rikschafahrer Ausschau zu halten.

Verdammt, wo ist dieser Fahrer nur wieder hin, dachte sie.

Sie machte sich auf die Suche, denn weit konnte er nicht sein. Schließlich bekam er immer gutes Geld für die Hin- und Rückfahrt. Fündig wurde sie schließlich an einem kleinen Imbisswagen am Markt.

Sie ging auf ihn zu und sagte ihm, dass sie fertig sei und er sie wieder zurückbringen könne. Er nickte und nachdem er seinen Tee bezahlt hatte, ging er mit Aditi zurück zur Rikscha.

Wieder beschlich sie dieses seltsame Gefühl, als würde sie beobachtet werden. Doch nachdem der Fahrer bei ihr war und sie dieses Gefühl bei ihm nicht feststellen konnte, da er sich normal verhielt, versuchte sie, den Gedanken wieder abzuschütteln.

Die Rikscha bog in die Seitengasse ein, in der sich das Witwenhaus befand und Aditi gab dem Fahrer sein Geld. Er bedankte sich höflich, indem er sich mit geschlossenen Händen vor der Brust verbeugte. „Danke, Madam!“

„Ich danke Ihnen ebenfalls“, erwiderte Aditi lächelnd und stieg aus.

Sie verabschiedeten sich höflich und Aditi ging das letzte Stück bis zum Hof allein weiter, während die Rikscha drehte und die Straße wieder verließ.

Es waren noch zehn Schritte, bis zum Hof, als sie plötzlich an ihrem Sari festgehalten wurde und herumfuhr. Vor ihr, den Sari noch immer in der Hand, standen Jodha und Sunika.

Aditi stieß erleichtert die Luft aus, als sie die Mädchen erblickte. „Was macht ihr den hier?“

„Wir haben dich gesehen und wollten mit dir reden, verzeih uns bitte!“

Seufzend ging Aditi einen Schritt auf die beiden zu und öffnete ihre Arme.

Sofort stürzten sich beide Mädchen gleichzeitig hinein und klammerten sich an ihr fest.

Jodha und Sunika weinten vor Freude. Und auch Aditi traten Tränen in die Augen.

„Hey, hey“, sagte Aditi mit erstickter Stimme und schob die beiden sanft ein Stück von sich, um sie richtig ansehen zu können. „Es ist alles gut. Jetzt werden wir erst einmal eure Gesichter reinigen und dann könnt ihr mit mir reden, okay?“

Schluchzend stimmten die beiden zu und wurden von Aditi ins Haus gebracht. Während die Kinder im Bad waren, bereitete sie in der Küche Tee und Kekse vor. Sie wusste, dass die beiden Süßes mochten.

Da sie regelmäßig aus der Schweiz Pakete mit Keksen und Schokolade bekam, gab es für Besucher auch immer eine kleine Auswahl der Leckereien. Gerade als sie fertig war und alles auf dem Tisch stand, öffnete sich die Tür und die Mädchen kamen in die Küche geschlichen.

„Setzt euch“, sagte Aditi. „Warum wolltet ihr mit mir sprechen?? Geht es Bamita und eurer Mutter gut?“

„Ja den beiden geht es gut“, antwortete Jodha.

„Aber Onkel Rahul nicht“, ergänzte Sunika. „Er ist krank und liegt im Hospital. Dort wo ...“, Sunika zögerte, „Sebastian lag. Er wartet auf dich.“

„Was? Wieso auf mich? Hat er das gesagt?“

„Nein, hat er nicht, Aber seine Augen sagen es, wenn wir über die alten Zeiten reden.“

Aditi zögerte sichtlich.

Rahul lag in dem Krankenhaus, in welchem sie ihren Sebastian verloren hatte. Sie wusste nicht, ob sie es aushalten würde, dorthin zu gehen und Rahul zu besuchen. Schon beim Gedanken an dieses Hospital, beschleunigte sich ihr Herzschlag unangenehm. Doch die beiden Mädchen, die hier vor ihr saßen und sie erwartungsvoll anschauten, ließen sie einlenken.

„Ok, ich mache euch einen Vorschlag: Morgen fahren wir zusammen zu Rahul und besuchen ihn.“ Sie versuchte sich an einem Lächeln, konnte aber selbst spüren, dass es nicht echt war. Sie freute sich, die Mädchen wiederzusehen, doch die Aussicht ins Krankenhaus zu gehen, machte diese Freude wieder zunichte. „Wolltet ihr über noch etwas Anderes mit mir sprechen?“

„Ja“, platzte Sunika heraus.

Doch ihre Schwester unterbrach sie sofort.

„Wir hatten besprochen, dass wir nur über Onkel mit Aditi reden.“.

„Aber ich möchte, dass Aditi weiß, wie sehr sie unserer Familie in den letzten Jahren gefehlt hat.“ „Ich denke, das weiß sie auch so.“

Sunika drehte sich um und verließ die Küche.

„Entschuldige bitte das Benehmen von Sunika, sie ist manchmal schnell aufgebracht.“

„Nein, Jodha, du brauchst dich nicht entschuldigen, es ist alles in Ordnung. Sie darf ruhig böse auf mich sein.“

„Was macht denn die kleine Nishay?“

„Du kannst dich noch an meine Nishay erinnern?“, staunte Aditi. „Aber ja, wie könnte ich die Kleine vergessen? Sie war doch so oft bei uns.“ Aditi lächelte. Jodha hatte recht. „Ich muss die Kleine aus der Betreuung abholen. Magst du mitkommen?“ „Ja, bitte!“

„Na, dann komm.“

Aditi und Jodha machten sich auf den Weg zur Kinderbetreuung. Sunika schmollte solange in Aditis Wohnung.

„Wo müssen wir denn hin?“, fragte Jodha aufgeregt. „Nur quer über den Hof. Dort, das Haus mit der blauen Blume an der Tür.

Da sind die Kinder untergebracht, damit die Mütter arbeiten können.“

Sie holten Nishay ab. Jodha nahm die Kleine gleich an die Hand und ging mit ihr auf den Hof, da Aditi noch etwas mit der Betreuerin zu besprechen hatte.

Sie war erstaunt und erfreut zugleich, dass ihre Tochter, trotz der Jahre, in denen sie Jodha nicht gesehen hatte, einfach mit ihr ging.

Selbst die schmollende Sunika wickelte Nishay sofort um den Finger, sodass die drei Mädchen einen schönen Nachmittag verbrachten.

Am Abend brachte Aditi die Mädchen nach Hause. An der Tür verabschiedete sie sich mit einer Umarmung von den beiden. Als sie gehen wollte, hielt Jodha sie jedoch auf.

„Nein, Adele, geh nicht weg! Sie freuen sich bestimmt, wenn du da bist.“

Adele schüttelte den Kopf. „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt.

Ein anderes Mal, versprochen. Außerdem sehen wir uns morgen am Krankenhaus.“

„Okay, dann bis morgen um die Mittagszeit. Ist dir das recht?“

Aditi bestätigte, dass sie dort sein würde, und verabschiedete sich, um zum Witwenhaus zurückzugeben.

Während sie ihre Tochter ins Bett brachte, waren ihre Gedanken die meiste Zeit bei der Familie Sharma. Wie Bamita wohl morgen auf sie reagieren würde?

Ob sie noch immer dieses herzliche Verhältnis hatten, oder hatte die Zeit dafür gesorgt, dass sie sich fremd geworden waren?

Sie wusste, das waren alles Fragen, mit denen sie sich die halbe Nacht beschäftigen würde. Und ihre Vermutung sollte sich bestätigen.

Es war vier Uhr in der Früh und die Sonne zeigte ihre ersten Strahlen, als sie endlich die Augen schloss, um noch ein paar Minuten zu schlafen.

2. Die Begegnung im Hospital

Es war bereits acht Uhr, als Adele von Nishi, so nannte sie ihre kleine Tochter, geweckt wurde. „Ja, guten Morgen mein kleiner Schatz. Heute sind wir sehr spät dran, da müssen wir dich schnell anziehen und es gibt ein Frühstück auf die Hand“. Adele rief nach dem Essen eine der Frauen zu sich und bat sie, die Kleine in die Betreuung zu bringen. Was auch gleich erledigt wurde. Dann ging sie und machte sich zurecht. Sie suchte in ihrer großen verzierten Kiste, im Zimmer unter dem Fenster, einen ganz bestimmten Sari.

Nein, heute nicht. Heute zog sie das erste Mal seit vier Jahren keinen weißen Sari an.

Als sie fertig war, stand sie vor ihrem Spiegel neben der Tür und schaute sich an. Es war ein ungewohntes Bild. Sie, die Witwe, in einem Sari aus grüner Seide und Chiffon, mit vielen aufwendigen goldenen Stickereien auf der durchsichtigen Dupatta.

Trotz dieses ungewohnten Bildes gefiel ihr, was sie sah. Ja, so konnte sie das Haus verlassen. Kaum hatte sie die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet, um in den Hof zu treten, sah sie sich einigen Frauen gegenüber, die sie erstaunt anschauten.

„Was machst du da? Warum hast du einen Sari in dieser Farbe an?“, wollte eine der Frauen wissen.

Aditi zupfte an ihrem Sari und räusperte sich, um Zeit zu gewinnen, konnte sie diese Frage doch nicht ehrlich beantworten. „Ich muss mich verkleiden. Ich weiß, dass es nicht richtig ist, aber es muss sein.“

„Aber, du bist eine Witwe, so wie wir alle, und wenn du mit so einem Beispiel vorangehst, machen es die anderen dir nach.“

„Ja, ich weiß, es ist aber erforderlich! Ich … erkläre es euch irgendwann, versprochen.“

Ohne weitere Diskussion verließ Aditi das Witwenhaus. Die Frauen, überrascht von Aditis heftigem Auftreten, gewährten ihr den Ausgang.

„Ich weiß nicht, wo das Problem ist! Ich habe ja nicht einmal Schmuck angelegt. Was wollen die immer nur von mir? Wenn ich für sie alles regele und sie Vorteile haben, ist alles gut. Aber wenn ich mal etwas anders mache, dann ist alles nicht gut.“

Aditi redete so laut mit sich, dass die Frauen mitbekamen, wie ungehalten sie war. Schnell rannten einige von ihnen hinter ihr her, doch die Rikscha, in der Aditi saß, fuhr los, ohne dass sie sie erreichen konnten.

Am Haus der Sharmas hielt die Rikscha an.

„Warten Sie hier, ich bin gleich wieder da“. Adele klingelte an der Tür und Sunika öffnete.

„Hallo Adele, komm doch rein.“

Adele faltet die Hände und grüßte Sunika und Jodha ebenfalls. „Guten Morgen, ihr zwei. Können wir los?“

„Nein, Mutter fehlt noch und Großmutter geht es heute nicht so gut. Der Kreislauf!“, sagte sie.

„Na gut, dann sind wir nur zu viert.“ Die Mädchen stiegen in die Rikscha und Adele wartete auf Anjalie, die gerade die Treppe herunterkam, als Adele in den Hof ging.

Nachdenklich blickte sie zurück zum Haus und fragte sich, ob es wirklich der Kreislauf war, der es Bamita unmöglich machte, ihren Sohn zu besuchen oder ob sie selbst der Grund war, warum sie nicht mitkommen wollte.

Anjalies Ankunft auf dem Hof, holte Aditi wieder aus ihren Gedanken. Ihre Freundin lief mit ausgestreckten Armen auf sie zu, um sie herzlich an sich zu drücken. „Ach, Aditi, ich bin so froh, dich wieder zu sehen und in meine Arme zu schließen.“

Auch Aditi hielt ihre Freundin fest in ihren Armen, nicht minder glücklich. Zumindest hier bestätigte es sich nicht, dass sie sich entfremdet hatten.

„Also, wenn wir jetzt nicht losfahren, dann sind die Straßen zu voll und es ist zu heiß“, ermahnte Jodha ihre Mutter.

Endlich konnten die beiden Frauen sich voneinander trennen und zur Rikscha gehen, um ins Krankenhaus zu fahren.

Je näher sie dem Hospital kamen, umso mulmiger wurde es Aditi. Gleich würde sie auf Rahul treffen und sie wusste nicht, wie sie ihm gegenübertreten sollte. Ihre Trennung lag so lange zurück und sie konnte nicht sagen, wie er auf sie reagieren würde. Würde er sie beschimpfen oder sogar aus dem Zimmer werfen? Die Mädchen waren der Ansicht, dass er sie sehen wollte, doch konnte es auch ganz anders sein. Oder aber ihre Vorstellungen waren einfach übertrieben und das schlechte Gewissen, sich so von der Familie zurückgezogen zu haben, sprach aus ihnen.

„Aditi was ist los? Komm, wir wollen zu Rahul!“

Aditi war vor dem Hospital stehengeblieben, während die anderen bereits die Drehtür passiert hatten. Ihr Atem ging flacher als üblich. Immer wieder fuhr sie mit ihren Handflächen über den Sari, während sich ihre Beine weigerten, weiterzugehen. Erst Anjalies Rufen holte sie aus ihren schlimmen Gedanken an den Tod von Sebastian.

Anjalie ging zu ihr auf die Straße. Als sie sah, dass Aditi ihre Tränen zu verbergen versuchte, zog sie sie in ihre Arme. „Du darfst ruhig weinen“, flüsterte sie. „Schließlich sind die Erinnerungen an das, was hier geschah, nur vier Jahre her.“

„Danke, aber es geht schon.“ Aditi löste sich aus der Umarmung und atmete tief ein. Es war ihr unangenehm. Als weiße Frau durfte sie keine Schwäche zeigen. Auch wenn man jetzt nicht sah, dass sie eine Witwe war.

„Lass uns zu deinem Bruder gehen.“

Anjalie war nicht davon überzeugt, dass es Aditi gut ging. Dennoch folgte sie ihr ins Krankenhaus. Aditis Schritte ließen vermuten, dass sie es nur schnell hinter sich bringen wollte, so energisch betrat sie das Gebäude.

Sie fanden Jodha und Sunika wartend vor der Tür zu Rahuls Krankenzimmer. Als die beiden Frauen zu ihnen aufgeschlossen hatten, öffnete Jodha stürmisch die Tür. Rahul schlief noch. Die Mädchen fingen sofort an zu streiten, wer Rahul wecken durfte.