Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Das Nibelungenlied - die große deutsche Sage um Liebe und Verrat, neu erzählt von Bestseller-Autor Kai Meyer. Inhalt Seit Siegfried von Xanten ihm die Tarnkappe gestohlen hat, ist die Lage ernst für Zwerg Alberich, den Hüter des Nibelungengoldes. Räuber und Ritter begehren den unermesslichen Reichtum im Hohlen Berg und Alberichs Lage als Verteidiger des Schatzes wird immer aussichtsloser. Und eine weitere tödliche Bedrohung braut sich zusammen: Dumpfe Trommelschläge lassen die unterirdischen Hallen erbeben, geisterhafte Wesen steigen aus den Felsenklüften empor. Alberich erinnert sich an eine alte Legende: Schon zwei Jahrhunderte zuvor waren Fremde in den Berg eingefallen und hatten Thorhâl, den letzten König der Zwerge, in einem blutigen Krieg geschlagen. Wiederholen sich die Ereignisse von damals? Und wie soll Alberich einen Feind besiegen, der einst sein ganzes Volk bezwang? Band 3 der epischen Fantasy-Serie über die Helden und Schurken des Nibelungenliedes. Für alle Fans epischer, packender Fantasyromane im Mittelalter.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 244
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Kai Meyer
Ein Nibelungengold-Roman
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.
Copyright © Kai Meyer 2006
Covergestaltung: Jenny-Mai Nuyen
Copyright dieser Ausgabe © 2025 Von Morgen Verlag.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Epilog
Band 4
Zweihundert Jahre früher
Trommeln dröhnten in der Tiefe des Berges, dumpfe Paukenschläge in einem quälend langsamen Rhythmus. Waffengeklirr drang aus den unteren Ebenen herauf, Stahl auf Stahl, dazwischen das Schreien der Verwundeten und Sterbenden. Hornstöße hallten empor, gebrüllte Befehle, das Trampeln hunderter Stiefelpaare.
Grimma, dritte Heerführerin der Zwerge vom Hohlen Berg, packte den fellumwickelten Schaft ihrer Axt mit beiden Händen; die schweißgetränkte Schafswolle quoll feucht zwischen ihren Fingern hervor. Grimma hetzte den Treppenschacht nach oben, über breite, flache Stufen, gefolgt von fünf Zwergenkriegern, dem Rest ihrer besten Einheit.
Sie hasste es, der Schlacht den Rücken zu kehren. Sie fühlte sich dabei wie ein Feigling. Aber sie wusste auch, dass jemand die drei Nordlinge aufhalten musste, denen es gelungen war, sich einen Weg in die oberen Ebenen freizukämpfen. Bis zuletzt hatte sie an der Seite König Thorhâls gekämpft, doch die Schlacht ging dem Ende entgegen, und der Zwergenherrscher selbst hatte Grimma den Befehl gegeben, die Flüchtigen zu verfolgen.
Die fünf Männer in Grimmas Gefolge waren eigentlich zu wenige, um sich den drei Nordlingen entgegenzustellen. Jeder Nordling konnte es mühelos mit zwei oder drei der besten Zwergenkämpfer aufnehmen. Grimma hatte den König nicht ohne ausreichenden Schutz zurücklassen wollen, und seit der Feind die königliche Leibgarde beim Gemetzel in der Großen Säulenhalle aufgerieben hatte, waren Grimmas Einheiten für das Leben Thorhâls verantwortlich. Daher hatte sie auf weitere Männer verzichtet und sich nur mit diesen fünf auf den Weg gemacht. Es war gewagt, aber nicht aussichtslos. Grimma selbst hatte einmal ganz allein zwei Nordlinge niedergemacht, ohne jede Unterstützung, und seither wusste sie, dass nicht jeder ihrer Feinde über gleich große Kraft und Fertigkeit im Kampf verfügte. Zudem war einer der Gejagten verwundet, das verriet die Spur aus Blutstropfen, die vor den Zwergen die Stufen hinaufführte.
Einen Augenblick lang verstummte das Trommeln in der Ferne, nur um einige Atemzüge später wieder aufgenommen zu werden. Die Pause war lang genug gewesen, um Grimma mit wildem Triumph zu erfüllen. Erst ein einziges Mal seit Beginn der Kämpfe vor mehr als zwei Wochen war das Trommeln der Nordlinge aus dem Rhythmus geraten; damals hatte der Bolzen einer Zwergenarmbrust einen der feindlichen Häuptlinge niedergestreckt. Grimma hoffte, dass die neuerliche Unterbrechung einen ähnlichen Grund hatte. Ein weiterer Nordling-Führer war gefallen, und wenn die Berichte der Späher richtig waren, war dies der zweite und letzte gewesen.
Mögen die Götter geben, dachte sie finster, dass die Schlacht bald zu Ende und der Angriff der Nordlinge abgewehrt ist – doch um welchen Preis? Die Verluste unter den Zwergen waren entsetzlich, viel höher als auf der Seite ihrer Feinde. Die Nordlinge, die den Hohlen Berg angegriffen hatten, waren kaum mehr als eine Bande gewesen, keinesfalls eine Armee, und doch hatten sie das halbe Zwergenheer vernichtet. Auch deshalb durfte keiner der Nordlinge überleben; sollte einer von ihnen in seine Heimat zurückkehren und eine neue, größere Truppe um sich scharen, so wäre das Schicksal der Zwerge vom Hohlen Berg besiegelt und damit der Untergang des letzten Zwergengeschlechts am Rhein.
Grimma schaute zur Seite, als Egil, einer ihrer Krieger, neben ihr erschien. »Da sind sie!«, zischte er ihr atemlos zu und deutete nach vorne, den Treppenschacht hinauf. »Oben, am Ende der Stufen.«
Eine Falle? Grimma blinzelte zum Ausgang des Treppentunnels. Hatten ihre Gedanken sie derart abgelenkt, dass sie die sicheren Anzeichen eines Hinterhalts übersehen hatte? Liebe Güte, sie wurde alt.
Sie nickte Egil dankbar zu, blieb stehen und hob die Hand. Sogleich bildeten die fünf Krieger eine hufeisenförmige Formation um ihre Anführerin, die Augen wachsam nach außen gewandt, die Streitäxte fest in den schwieligen Händen.
Grimma schaute zwischen den gepanzerten Schultern zweier Krieger hinauf zu dem hohen Torbogen, der den Übergang der Treppe in eine düstere Halle markierte. Die oberste Stufe lag noch gut zwanzig Schritte von ihnen entfernt. Sollten dort oben tatsächlich die drei Nordlinge lauern, so war deren List missglückt. Doch immer noch konnte Grimma unter dem Bogen nichts erkennen. Keine gehörnte Silhouette, keinen verräterischen Schatten. Und doch – wenn Egil behauptete, etwas gesehen zu haben, dann gab es keinen Zweifel, dass dort tatsächlich etwas war. Zwerge hatten von Natur aus gute Augen, und selbst unter ihnen stach Egil mit seinem scharfen Blick hervor.
Kein ungewohntes Geräusch ertönte, nur das vertraute Plätschern der Wasserrinne, die jeden Korridor und Flur des Hohlen Berges flankierte. Das schmale Rinnsal, kaum breiter als zwei Finger, zeigte an jedem Ort des Zwergenreiches an, ob der Weg nach oben oder unten führte. Mochten die Böden der meisten Gänge und Hallen noch so ebenerdig erscheinen, sie waren es nicht. Kluge Baumeister hatten einstmals diesen Einfall gehabt, um im Labyrinth der Stollen und Säle die Orientierung zu erleichtern. Sogar hier, in diesem Treppenschacht, wo es keinerlei Zweifel am Oben und Unten geben konnte, verlief zu Grimmas Rechten eine Wasserrinne wie ein silbrig glitzernder Faden.
Gellir, ein rotbärtiger Zwerg mit eiserner Augenklappe, schaute über die Schulter zu Grimma. »Da oben ist nichts«, wisperte er. »Wir sollten weiter …«
»Nein!«, widersprach Egil in scharfem Flüsterton. »Ich hab’ einen von ihnen gesehen.«
»Vielleicht eine Ratte«, sagte Kjartan, der jüngste der fünf Krieger. Er hatte drei Frauen, für die ihn mancher seiner Kameraden beneidete. Auch Grimma hatte er einmal beigelegen – vor dreißig, vierzig Jahren –, und sie schätzte ihn noch heute als engen Freund und Kampfgefährten.
»Eine wahrlich große Ratte muss das gewesen sein«, spottete Egil leise. »Sie lief auf den Hinterbeinen, hatte Hörner und ein Breitschwert. Geh, Kjartan, und zieh an ihrem Schwanz!«
Grimma überhörte das Gerede ihrer Krieger. Alle fünf hatten lange und tapfer gekämpft, und sie wollte ihnen jetzt nicht den Mund verbieten. Wenn die Nordlinge wirklich dort oben warteten, wussten sie ohnehin längst, dass ihre Verfolger nahten.
»Nordlinge verstecken sich nicht«, warf Odd ein, dessen Bart so gerstengelb war wie das Bier, das er meist aus eimergroßen Krügen trank.
Dem mussten alle zustimmen. Nordlinge waren zu groß und grob und ungeduldig, um Hinterhalte zu legen. Anderseits waren die Erfahrungen der Zwerge mit diesem Feind erst zwei Wochen alt, und es mochte manches geben, das sie noch nicht über ihn herausgefunden hatten. Und wer weiß, dachte Grimma argwöhnisch, vielleicht sind die drei ja verzweifelt. Oder todesmutig. Oder beides.
»Es hilft nichts«, entschied sie, »wir müssen weiter. Der König wäre gewiss nicht erfreut, wenn wir ohne ihre Hörner zurückkehrten.«
Im selben Augenblick erstarb in der Tiefe der Trommelschlag, und diesmal wurde er nicht wieder aufgenommen. Zugleich ertönte das Echo vielstimmigen Gebrülls. Da wussten die sechs Zwerge auf der Treppe, dass die Schlacht in den Minen entschieden war. Die letzten Nordlinge waren gefallen. Bis auf jene drei, deren Spur sie folgten. Das gab ihnen Auftrieb, und unter lautem Kampfgeschrei stürmten sie die Stufen empor, dem Torbogen und der Halle entgegen.
Sie waren keine zehn Schritte vom oberen Treppenabsatz entfernt, als Grimma plötzlich aufschrie.
»Halt!«
Ihr Blick war noch einmal auf die schmale Wasserrinne neben den Stufen gefallen, und diesmal verriet ihr das Rinnsal weit mehr als nur den offensichtlichen Weg nach oben.
Das Wasser hatte sich rot gefärbt. Rot vom Blut des verwundeten Nordlings, der hinter dem Torbogen lauerte!
Sie wollte Befehle brüllen, doch es war bereits zu spät. Odd behielt recht: Die Nordlinge waren nicht geschaffen für Hinterhalte, und auch jetzt war ihre Ungeduld zu groß. Brüllend sprangen sie hinter den turmhohen Steinpfosten des Portals hervor, die mächtigen Breitschwerter im Anschlag, jedes einzelne so lang wie ein Zwerg.
Grimma stand an der Spitze ihrer Einheit, und so galt ihr der erste Schlag des vorderen Nordlings. Seine Klinge fuhr herab und hätte sie von Kopf bis Fuß gespalten, hätte sie nicht im Reflex ihre Streitaxt emporgerissen und den Hieb damit aufgehalten. Die rohe Gewalt des Angriffs ließ sie schwanken, und schon holte der Nordling zum zweiten Mal aus. Wie die Gesichter seiner beiden Gefährten waren auch seine Züge hinter einem Schleier aus Kettengewebe verborgen. Bei jeder Bewegung verursachten die Eisenglieder ein leises Klingeln.
Abermals sauste das Breitschwert herab, doch diesmal tauchte Grimma mit einem Ächzen darunter hinweg, wirbelte die Axt herum und hieb die schartige Schneide tief in den Beinschutz des Nordlings. Zwergenstahl fraß sich knirschend durch das grobe Eisen, schnitt durch Haut und Knochen. Kreischend fiel der Nordling vornüber, warf mit seinem Gewicht Kjartan nach hinten und riss ihn mit sich die Treppe hinunter. Polternd verschwanden die beiden in der Tiefe.
Grimma schaute sich besorgt um. Die vier übrigen Zwergenkrieger hatten sich geteilt und kämpften nun jeweils zu zweit mit einem der beiden Nordlinge. Egil und Odd hieben gemeinsam mit Äxten auf ihren Gegner ein, der jedoch beider Angriffe mühelos abwehrte. Der Nordling überragte sie fast um das Doppelte, und Grimma sah, dass er derjenige war, der aus einer tiefen Wunde am Oberschenkel Blut verlor. Der Schmerz behinderte ihn nicht; der Nordling schien die Verletzung nicht einmal zu spüren, und das war kein gutes Zeichen. Offenbar stand er kurz davor, in Raserei zu verfallen. Grimma hatte in den vergangenen Wochen mehrfach mit angesehen, wie einige der Feinde vom Berserkerwahn überkommen worden waren, und bei aller Tapferkeit hatte sie ihren Göttern gedankt, in diesen Augenblicken nicht in der Reichweite der tobenden Nordlinge zu stehen.
Mit einem hohen Kriegsschrei stürzte sie sich in den Kampf, gerade als der Nordling Odd mit einem machtvollen Schlag den bärtigen Schädel von den Schultern trennen wollte. Grimma stieß den Zwergenkrieger beiseite und rettete ihm so das Leben, hätte aber ihr eigenes verloren, wenn nicht Egil den Hieb des Nordlings im letzten Moment mit seiner Axt blockiert hätte. Die Wucht des Schlages fegte Egil von den Beinen und warf ihn mehrere Treppenstufen nach unten. Der Nordling ließ sein Schwert ein weiteres Mal rotieren, verfehlte Grimma um Haaresbreite und traf stattdessen Odd, der sich gerade wieder aufrichten wollte. Die Klinge drang in seine Seite, tötete ihn innerhalb eines Wimpernschlages – und blieb in der stählernen Brust- und Rückenpanzerung des Zwerges stecken. Der Nordling zog und zerrte daran. Grimma holte aus und hieb ihm ihre Axt bis zum Schaft in den Unterleib. Der Krieger sackte ohne einen Laut zusammen, sein Blut mischte sich mit dem Odds und sprudelte durch die Wasserrinne hinab in die Tiefen des Berges.
Als Grimma benommen ihre Waffe aus der Leiche löste, taumelte Egil bereits an ihr vorbei, um den beiden anderen Zwergen, Gellir und Bollis, im Kampf gegen den letzten Nordling beizustehen. Grimma folgte ihm, und es dauerte nur wenige Augenblicke, da lag ihr Gegner tot auf den Stufen.
»Wir müssen sehen, was aus Kjartan geworden ist«, rief sie außer Atem, und schon stürmte sie mit Egil und Gellir die Treppe hinunter, während Bollis noch einen Moment zurückblieb, um die Hörner der Nordlinge abzutrennen.
Viele hundert Stufen tiefer kam ihnen Kjartan entgegen, auf seine Axt gestützt wie auf eine Krücke, und die Wunde in seiner Brust verriet ihnen, dass er sterben würde. Er konnte nicht einmal mehr sprechen vor Schmerz und Erschöpfung. Als er in Grimmas Armen zusammenbrach, drang nur noch ein tonloses Murmeln über seine Lippen. Sanft legte sie ihn auf einer Stufe ab und schloss seine Augen, faltete seine Hände über der Brustwunde und legte die blutige Axt obenauf.
»Er hat gewusst, dass er sterben würde«, sagte sie leise, »und dennoch wollte er noch die Treppe hinaufsteigen und uns beistehen.«
Egil und Gellir nahmen ihre Helme ab, um dem toten Gefährten Achtung zu zollen, ebenso Bollis, als er wenig später hinzukam. Grimma sandte ein Gebet an die Götter, in das sie auch den gefallenen Odd einschloss, dann ließen sie Kjartan zurück und machten sich schweigend auf den Weg in die Minen. Unterwegs, am Fuß der Treppe, fanden sie den Leichnam des dritten Nordlings, den Schädel von Kjartans Axt zertrümmert, und diesmal musste Bollis die beiden Hörner nur noch vom Boden aufsammeln.
Als sie nach langem Abstieg endlich auf die feiernde Zwergenarmee stießen, war ihnen nicht nach Gesang und Bier zu Mute. Bollis reichte Grimma die sechs Hörner der Nordlinge, und sie wiederum brachte sie zu Thorhâl, dem König der Zwerge vom Hohlen Berg.
Thorhâl war hochgewachsen für einen Mann seines Volkes, fast so groß wie ein kleiner Mensch, und sein brauner, hüftlanger Bart war von Silberfäden durchzogen wie die Wand eines Bergwerkstollens. Seine grauen Augen blitzten weise und wach. Nicht einmal das Bier, das er zur Feier des Sieges krügeweise trank, vermochte einen Schleier von Trunkenheit über seinen klaren Blick zu legen. Er nahm die Hörner mit ehrfurchtsvoller Geste entgegen, schob sie wie Dolche unter seinen Gürtel, drei an jede Seite, dann legte er Grimma seine schwere Hand auf die Schulter.
»Einmal mehr hast du bewiesen, dass es eine richtige Entscheidung war, eine Frau zur Heerführerin zu bestimmen«, sagte er laut, und dabei blickte er streitlustig in den Kreis seiner Berater. Sie alle hatten die Nasen gerümpft, als er Grimma den Posten angeboten hatte. Zwerge leben lange, zweihundert Jahre und mehr, und sie vergessen kaum etwas, und der Disput mit seinen Ratgebern war Thorhâl so frisch im Gedächtnis, als hätte er erst am Tag zuvor stattgefunden.
Grimma mochte es nicht, wenn der König auf ihr Geschlecht anspielte, ganz gleich wie wohlmeinend. »Erst der Kampf macht Krieger aus uns, und fortan ist es ohne Bedeutung, ob wir von Natur aus Kinder oder dumme Ideen gebären.«
Die Zwergenratgeber in ihren langen Roben zuckten merklich, doch Thorhâl brüllte vor Lachen, umarmte Grimma, wie er jeden seiner männlichen Heerführer umarmt hätte, und zog sie dann von den anderen fort.
»Ich brauche deinen Rat, Grimma«, sagte er, als die übrigen Zwerge außer Hörweite waren. »Die Nordlinge sind geschlagen, aber ich glaube, unser Kampf mit ihnen ist noch lange nicht am Ende.«
»Ihr fürchtet, es könnten noch mehr von ihnen hierherkommen?« Grimma war nicht überrascht. Ein jeder hegte diese Angst, und die kommenden Tage würden zeigen, ob sich etwas gegen diese Gefahr unternehmen ließ.
»Es wird zu weiteren Kämpfen kommen«, sagte Thorhâl, »aber nicht hier im Hohlen Berg.«
»Was habt Ihr vor?« Eine Ahnung beschlich sie, es war jedoch kein Gedanke, bei dem sie länger als nur einen Augenblick verweilen wollte.
Der König nahm Grimma beim Arm und wanderte einige Schritte mit ihr in einen verlassenen Minenstollen, der von dem breiten Hauptschacht fortführte, in dem die entscheidende Schlacht stattgefunden hatte. Grimma schätzte solche Vertrautheiten nicht; sie fürchtete, sie könnten Thorhâls listige Ratgeber zu ein paar lästigen Gerüchten ermuntern.
»Seit wie vielen Jahren sind wir nun schon dem Nibelungengeschlecht zur Treue verpflichtet, Grimma? Seit vierhundert, vielleicht fünfhundert?« Es war keine Frage, auf die er eine Antwort erwartete. Als die Nibelungenfürsten sich die Zwerge vom Hohlen Berg untertan gemacht hatten, hatten sie zugleich jegliche Geschichtsschreibung des Zwergenvolkes ausgelöscht. Obwohl seither erst wenige Generationen vergangen waren, gab es längst mehrere Fassungen derselben Geschichte. Was hatte Thorhâls Vorgänger wirklich dazu bewogen, sich dem damaligen Fürsten der Nibelungen unterzuordnen? War es ein Duell gewesen, in dem der Zwergenkönig dem Fürsten Nibelung – dem ersten einer ganzen Reihe von Herrschern dieses Namens – unterlegen war? Oder war der Grund vielmehr eine misslungene Wette, wie einige behaupteten? Oder aber, und das schien manchem die wahrscheinlichste, wenn auch beschämendste Möglichkeit, hatte der Zwergenherrscher dem Fürsten diesen Pakt vorgeschlagen, um als Preis dafür eine Nacht mit Nibelungs schöner Tochter zu verbringen? Für gewöhnlich fanden Zwerge nichts an den großen, dürren Menschenweibern, doch die enge Freundschaft des alten Königs zu den Menschen war bekannt und hatte manchen Anlass für Vermutungen gegeben.
Was immer auch die wahre Ursache für die Bindung der Zwerge vom Hohlen Berg an die Nachfahren des Fürsten Nibelung war, so waren die Beziehungen zwischen beiden doch in all den Jahrhunderten niemals offen in Frage gestellt worden. Zwerge standen zu ihrem Wort, auch zu dem ihrer Urahnen, und so schürfte das Volk vom Hohlen Berg auch heute noch Tag für Tag in den Tiefen der alten Minen nach Gold und Silber, um daraus für Nibelungs Kinder und Kindeskinder den prachtvollsten aller Schätze zu fertigen. Schon jetzt war der Hort, der in der tiefsten Halle des Berges aufbewahrt wurde, der größte und herrlichste, von dem die Schreiber und Weisen je gehört hatten. Und obgleich die Nibelungen die Zwerge niemals wie Sklaven oder Leibeigene behandelt hatten, so gab es doch keinen Zweifel, dass sie in Wahrheit genau das waren – willige Arbeiter, die mit jedem Tag den Reichtum der Nachfahren Nibelungs mehrten.
Gewiss, im Geheimen hatte es gelegentlich Pläne für eine Rebellion gegeben, für friedlichen, aber auch bewaffneten Widerstand, doch keines dieser Vorhaben war je in die Tat umgesetzt worden. Das Wort des einstigen Königs galt, auch heute noch, und selbst kommende Generationen würden sich daran halten müssen.
Als Thorhâl die Frage stellte, wie lange die Zwerge schon im Dienste der Nibelungen standen, wusste Grimma, auf was er hinauswollte. Und es erschütterte sie zutiefst.
»Ihr könnt nicht ernsthaft vorhaben …«, begann sie, wurde aber vom König unterbrochen.
»Die Nordlinge sind von unten in den Hohlen Berg eingedrungen«, sagte er mit fester Stimme, und da wurde Grimma klar, dass er seine Entscheidung längst getroffen hatte. »Wir haben immer gewusst, dass es unterirdische Wege gibt, über die unsere Vorfahren einst in dieses Land kamen. Doch nie hat jemand den geheimen Zugang zur alten Zwergenstraße wiedergefunden.«
Auch das war eine unumstößliche Tatsache. Die Lage des Zugangs war längst vergessen, und selbst die besten Höhlenspäher des Zwergenvolkes hatten ihn nicht mehr finden können – und das, obwohl Zwerge bekannt waren für ihre hervorragende Nase beim Aufspüren geheimer Türen und Tunnel.
Die Nordlinge waren vor zwei Wochen vollkommen unvermittelt im Inneren des Hohlen Berges aufgetaucht, und nur deshalb war es ihnen gelungen, die Zwerge derart in Bedrängnis zu bringen. Es hatte mehrere Tage gedauert, bis auch der letzte Zweifler einsah, dass die Feinde ganz offensichtlich die unterirdische Zwergenstraße benutzt hatten, um aus ihrer Heimat hierherzugelangen. Sie hatten den verborgenen Zugang von unten aufgestoßen und waren geradewegs ins Herz des Berges einmarschiert.
»Das Tor ist offen«, sagte Thorhâl, hielt Grimma am Arm zurück und blieb stehen. Eindringlich schaute er sie an. »Seit Jahrhunderten ist dies unsere erste Möglichkeit, dem Joch der Nibelungen zu entkommen, ohne mit ihnen in offenen Streit zu treten. Es wird keinen Kampf geben, kein Blutvergießen. Wir werden einfach verschwinden, auf Wegen, die sie nicht kennen und auf denen sie uns nicht folgen können. Sie haben den Hort, und wenn er auch nicht weiter anwachsen wird, so sollte er ausreichen, um zwanzig Menschengenerationen unermesslichen Reichtum zu bescheren.«
Grimma konnte es noch immer nicht glauben. »Ihr wollt tatsächlich von hier fliehen?«
»Wenn nicht jetzt, dann nie. Begreifst du denn nicht? Es ist unsere erste und einzige Möglichkeit!« Ein tatendurstiges Funkeln stand in seinen Augen, und Grimma las darin die klare Botschaft, dass er Widerspruch nicht dulden würde.
»Ihr habt mich um meinen Rat gebeten«, erinnerte sie ihn vorsichtig und kämpfte das zornige Brodeln in ihrem Inneren nieder. »Ich will ihn Euch geben, Thorhâl, ganz gleich, was Ihr darüber denken mögt.« Ihr Blick bohrte sich in seine Augen, und einen Moment lang war ihr, als zucke er unter ihrer Entschlossenheit zusammen. »Noch nie hat ein Zwergenkönig sein Wort gebrochen, ganz gleich ob gegenüber seinem eigenen Volk oder einem anderen. Noch nie, Thorhâl! Was Ihr vorhabt, ist ein Treuebruch ohnegleichen, und er wird das Geschlecht der Zwerge vom Hohlen Berg noch in Jahrhunderten wie ein böser Geist verfolgen. Selbst wenn es Euch gelingen sollte, jeden Einzelnen unserer Brüder und Schwestern von Eurem Plan zu überzeugen, so nehmt Ihr damit eine Schuld auf Euch, die in der Geschichte der Zwerge einzigartig ist.«
Er sah plötzlich müde aus, und das war nicht allein eine Folge der Schlacht. »Wenn diese Schuld der Preis für unsere Freiheit ist, Grimma, dann bin ich bereit, ihn zu zahlen.«
»Aber der Eid unserer Ahnen, das Versprechen …« Ihre Hilflosigkeit erfüllte Grimma mit immer größerem Zorn. »Die Männer Nibelungs haben jede Gefahr, die sich uns von außen näherte, zurückgeschlagen. Sie haben dafür mehr als einmal mit ihrem Blut bezahlt. Habt Ihr das vergessen?«
Thorhâl nahm seine Helmkrone ab und fuhr sich durch sein buschiges Haupthaar. »Sie haben niemals für uns gekämpft, und das weißt du genau, Grimma. Sie taten es immer nur für ihr Gold, für diesen verfluchten Hort, auf dem wir sitzen wie ein Volk von Glucken.« Plötzlich fuhr er auf: »Verdammt, es ist mir gleichgültig, was die Schreiber einst über die Ehre und den Treuebruch des Königs Thorhâl berichten werden. Ich will, dass unsere Leute wieder ein Leben in Freiheit führen können. Das allein ist es, worauf es ankommt!«
»Und Ihr glaubt wirklich, dass am anderen Ende der Zwergenstraße die Freiheit auf uns wartet? Denkt Ihr das wirklich, nach diesen zwei Wochen des Sterbens und der zahllosen Niederlagen?«
»Am Ende haben wir gesiegt.«
»Und teuer wurde dieser Sieg erkauft, Thorhâl. Mit wie vielen weggeworfenen Leben? Mit wie vielen Witwen und Tränen und wie vielen Fässern voller Blut?« Sie schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Wir wissen nicht einmal, ob oben im Norden, in der alten Heimat, noch ein einziger Zwerg am Leben ist. Was, wenn die Nordlinge längst alle ausgerottet haben? Wir würden geradewegs in unser Verderben laufen.«
»Das werden wir nicht«, erklärte der König und atmete tief durch. »Auch deshalb wollte ich mit dir reden.«
Grimma starrte ihn schweigend an. Noch bevor er es aussprach, wusste sie, was er von ihr verlangen würde.
»Wir werden Späher durch den alten Tunnel nach Norden schicken«, fuhr er fort. »Wir werden herausfinden, wie es dort aussieht und ob unser Volk dort überleben kann.«
»Eine solche Expedition könnte Jahre unterwegs sein. Sie könnte zerschlagen werden und niemals zurückkehren.«
»Das darf um keinen Preis geschehen!« Thorhâl packte sie hart an den Schultern. »Und genau deshalb will ich, dass du sie anführst, Grimma!«
Der Karren rumpelte schaukelnd den Berg hinauf. Prallgefüllte Säcke und Kisten waren auf seiner Ladefläche gestapelt, vor allem aber zahlreiche Fässer, die schon von weitem den herrlichen Duft von Wein und Bier verströmten. Obbo, der Gastwirt des Wolfswinkel, saß auf dem Kutschbock und fluchte über den langsamen Trab des Ponys, obwohl sich das Tier beileibe alle Mühe gab, den schweren Wagen den Pfad heraufzuziehen.
Mütterchen Mitternacht stand vor dem eisernen Portal des Hohlen Berges und blinzelte dem schwankenden Karren entgegen. Nach den Wochen im Inneren des Berges blendete sie das Tageslicht. Trotzdem lächelte sie, als sie sah, dass Obbo der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief, ganz so, als sei er selbst es, der die Last des Wagens zu ziehen hätte. Der dicke Wirt trug seine lederne Schürze und einen aus der Form geratenen Hut, von dem er behauptete, er würde die Mücken vertreiben; dabei war doch jedem seiner Freunde im Hohlen Berg klar, dass er damit nur sein schütteres Haar verbarg, mochte der Teufel wissen, vor wem.
Einmal in jedem Mond, manchmal auch öfter, kam Obbo und versorgte sie mit allem, was die vier Verteidiger des Nibelungenhortes nötig hatten: Gemüse, Pökelfleisch, Süßigkeiten für Löwenzahn und natürlich Kostproben aus Obbos vortrefflichem Weinkeller, dazu das würzige Bier, das er eigenhändig im Hinterhaus seines Gasthofs braute. Ohne ihn hätten die vier längst aufgeben müssen, vor allem während des ersten Jahres ihrer Wache im Hohlen Berg, als kaum ein Tag vergangen war, an dem nicht ein neuer Räuberhauptmann am Portal geklopft und die Herausgabe der Schätze verlangt hatte.
Heute, fast zwei Jahre nach dem Raub der Tarnkappe durch Siegfried von Xanten und der Suche der vier Gefährten nach dem Leichnam des letzten Drachen, waren die Angriffe auf den Berg seltener geworden. Dennoch war es nicht allein loses Geröll, das den Weg für Pony und Karren so beschwerlich machte. Der dichte Tannenhain vor dem Tor des Berges war übersät mit Teilen alter Rüstungen, mit alten Gerippen und den Kadavern der letzten Übermütigen, die Einlass in den Berg gefordert hatten. Immer wieder holperten die Karrenräder über einen Helm oder leeren Brustpanzer, immer wieder stießen die Hufe des Tieres gegen modrige Schädel und verrostete Schilde. Obbo hatte seine Freunde oft angefleht, diesen ›Unrat‹, wie er es nannte, fortzuräumen, doch Alberich, der Horthüter, bestand darauf, alles liegen zu lassen. Zur Abschreckung, meinte er, und Mütterchen gab ihm recht. Das hohe Eisenportal des Berges schützte sie vor dem erbärmlichen Kadavergestank des Schlachtfeldes, und Obbo wurde reichlich dafür entlohnt, dass er hier heraufkam; ein wenig Übelkeit musste er dafür in Kauf nehmen.
»Obbo!«, rief Mütterchen dem fluchenden Wirt entgegen, als er dem Pony mit einer Rute aufs Hinterteil klatschte. »Wann wirst du Geizkragen dir endlich ein Lastpferd kaufen? Der alte Rohland ist für solche Ausflüge zu alt geworden.«
Rohland, das Pony vor Obbos Karren, hatte ihnen vor zwei Jahren während ihrer Reise zum toten Drachen gute Dienste geleistet, und Mütterchen hatte das Tier ins Herz geschlossen. Sie hätte es dem Wirt längst abgekauft, wenn es denn eine Möglichkeit gegeben hätte, es im Hohlen Berg auf angemessene Weise zu halten. Doch in den unermesslichen Tiefen des verlassenen Zwergenreiches gab es weder Gras noch Sonnenlicht, und sie hätte dem Tier schwerlich einen Gefallen getan, hätte sie es dort hinabgeführt.
Obbo hatte das Portal fast erreicht. Er grummelte irgendeine Antwort auf Mütterchens Zuruf, die sie nicht verstand, und das war wahrscheinlich gut so.
Der Wolfswinkel lag in den Wäldern am Ostufer des Rheins. Der Hohle Berg dagegen bildete, gemeinsam mit seinem Zwillingsgipfel, auf dem sich die verlassene Burg der toten Fürsten Nibelung und Schilbung erhob, eine Halbinsel mitten im Fluss, die nur über eine bewaldete Landbrücke zu erreichen war. Vor zwei Jahren hatte Siegfried die beiden Nibelungenfürsten und ihre tapfersten Ritter erschlagen und den Hort im Hohlen Berg für sich beansprucht. Alberich aber, der letzte Zwerg am Rhein, war weiterhin Hüter des Schatzes geblieben, bis zu jenem Tag, an dem Siegfried zurückkehren und den Hort abtransportieren würde. Der Xantener hatte dem Zwerg die magische Tarnkappe gestohlen, was Alberich vor die Schwierigkeit stellte, den Schatz ohne Zauberwerk verteidigen zu müssen. Drei Gefährten hatten sich ihm zur Seite gesellt: zum einen Mütterchen Mitternacht, ehemalige Räuberbraut und einstmals das schönste Weib der Wälder, heute eine rüstige Greisin – ein Wort, für das manch einer schon ein Ohr, einen Finger oder gar das Leben eingebüßt hatte. Dann war da Löwenzahn, ein tumber, aber liebenswerter Hüne, in dessen Adern ein Anteil Hunnenblut floss. Und zuletzt Geist, das rätselhafte Moosfräulein, auf das die Magie des toten Drachen übergegangen war; keiner vermochte genau zu sagen, ob in ihrem Inneren wirklich nur der Zauber oder auch ein Stück vom Drachen selbst weiterlebte.
»Ho!«, rief Obbo aus und brachte den Karren vor dem haushohen Portal zum Stehen. Die mächtigen Torflügel waren mit filigranen Einlegearbeiten verziert. Albenschmiede hatten den einzigen Eingang des Hohlen Berges vor vielen Jahrhunderten geschaffen, damals, als noch ein ganzes Zwergenvolk in den unterirdischen Hallen und Fluren lebte.
Doch das war lange her. Heute hauste hier nur noch ein einziger Zwerg, und der drängte sich in eben diesem Augenblick auf höchst unhöfliche Art und Weise an Mütterchen vorbei und trat aus dem Schatten des Torbogens. Seine gespannte Armbrust wies auf Obbos Wanst, sodass der arme Wirt ganz fahl um die Nase wurde.
Obbo hob die Hände und stotterte: »Freund Alberich, ich bitte dich allerfreundlichst, dich zu …«
Alberich raunzte mit grimmiger Miene dazwischen: »Hast du alles dabei, so wie ich es dir aufgetragen habe?«
Mütterchen verzog hinter dem Rücken des Zwerges das Gesicht. Wie ich es dir aufgetragen habe – pah! Hätte sie nicht regelmäßig Listen geschrieben und hinab zu Obbo ins Wirtshaus gebracht, würde ihnen allen schon längst der Magen knurren. Alberich hatte sich nie um dergleichen gekümmert. Aber sie wusste auch, dass es dem Zwerg gefiel, mit seiner Wildheit und Kratzbürstigkeit zu prahlen.
Mit einem Blick über Alberichs Schulter vergewisserte sie sich, dass die Armbrust gesichert war. Der Zwerg mochte damit noch so aufgebracht vor Obbos Nase fuchteln, der Bolzen würde sich nicht lösen. Alberich wollte Obbo nur einen Schrecken einjagen, wie er es regelmäßig tat, um den Preis zu drücken. Dabei spielte es für ihn keine Rolle, dass er über einen Schatz von unermesslicher Größe verfügte. Er knauserte mit jeder Münze, vor allem dem armen Obbo gegenüber.
»Ich habe alles dabei«, versicherte der Wirt. Das Pony stieß ein Schnauben aus, und Obbo zuckte zusammen, als hätte er das Geräusch mit dem Pfeifen der Armbrustsehne verwechselt.
Alberich lachte schadenfroh und senkte die Waffe. »Tut mir leid, Freund Obbo, aber es könnte immerhin sein, dass du Räuber an unser offenes Tor führst.«
»Das glaubst du nicht wirklich!«, empörte sich der Wirt.
Der Zwerg stieß ein knarrendes Kichern aus. Mütterchen hatte allmählich Mitleid mit Obbo, der Alberichs Attacken nicht gewachsen war. Natürlich würde der Wirt sie niemals betrügen, ganz gewiss nicht freiwillig, und falls ihn irgendwer dazu zwingen sollte, würde man es ihm mit Sicherheit schon von weitem ansehen. Er war viel zu sehr Wirt mit Leib und Seele, um ein Geheimnis für sich behalten zu können, sogar mit einer Dolchspitze im Rücken.
Zu dritt luden sie die Waren vom Karren und trugen sie durch den offenen Spalt des Tores. Mütterchen verfluchte die Tatsache, dass Löwenzahn mit seinen Bärenkräften nicht bei ihnen war, doch der Halbhunne hatte sich mit Geist in die Tiefen des Berges zurückgezogen, um ein verstopftes Aquädukt zu bereinigen. Löwenzahn war gerne allein mit Geist, und manchmal hänselte Alberich ihn mit seiner Verliebtheit.