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Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet: Welche Aussagen lassen sich über Design treffen, wenn man die Allgemeine Modelltheorie systemtheoretisch und die Theorie Sozialer Systeme modelltheoretisch betrachtet? Die gewonnenen Erkenntnisse werden am Typenstreit des Deutschen Werkbundes veranschaulicht.
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Seitenzahl: 274
Veröffentlichungsjahr: 2014
Uwe von Loh
Design als Kommunikation von Modellen
Dissertationsschrift
zur Erlangung des Grades »Doktor der Philosophie«
an der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar
vorgelegt im Januar 2014 durch
Uwe von Loh, geb. am 19. 2. 1968 in Arnstadt
Tag der Disputation: 12. Juni 2014
Gutachter:
Prof. Dr. phil. Siegfried Gronert
Prof. Dr. ing. habil. Wolfgang Jonas
Prof. Dr. phil. habil. Maren Lehmann
© 2014 Uwe von Loh
1. Auflage August 2014
Gestaltung und Satz: Uwe von Loh
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN Paperback: 978-3-8495-9598-2
ISBN Hardcover: 978-3-8495-9599-9
ISBN Ebook: 978-3-8495-9600-2
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Uwe von Loh
Design als Kommunikation von Modellen
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Methoden, Herangehensweise und Annahmen
Gültigkeit und Abgrenzung der Arbeit
Aufbau der Arbeit
1
Modelltheorie und Designmodelle
1.1 Was ist Modelltheorie?
1.2 Modelle als attributive Systeme
1.3 Die Hauptmerkmale des allgemeinen Modellbegriffs
1.3.1
Das Modellsubjekt
1.3.2
Die Ziele und Zwecke von Modellen in der Allgemeinen Modelltheorie
1.3.3
Die zeitliche Gültigkeit von Modellen
1.4 Der Vergleich von Modell und Original
1.5 Das Repertoire möglicher Attribute
1.6 Designmodelle
1.6.1
Die Zurechnung von Designmodellen zu Subjekten
1.6.2
Die Zuordnung des Modellsubjekts am Beispiel der Bauhausleuchte
1.6.3
Die Zuordnung von Zielen oder Zwecken zu Designmodellen und die Modellklassen nach Busse
1.6.4
Die zeitliche Einordnung von Designmodellen
1.6.5
Die nachträgliche Werkzeichnung der Bauhausleuchte von Wilhelm Wagenfeld in der Metallversion aus dem Jahre 1930
1.6.6
Das Holzmodell der Espressokanne von Richard Sapper aus der Werkstatt Sacchi
1.7 Die Problematik des Originals
2
Die Kommunikation der Modelle
2.1 Literaturübersicht
2.2 Luhmanns Theorie
2.3 Die Kommunikation von Designmodellen
2.4 Erwartungen
2.5 Erwartungsbeschreibungen in Modellen
2.5.1
Die Angleichung der Beschreibungen von Erwartung und Gegenstand
2.5.2
Die Symbolische Generalisierung von Modellen in Typen
2.6 Ein Modellsystem
2.6.1
Kodierung und Programmierung
2.6.2
Konzepte
2.6.3
Methoden
2.6.4
Die Beobachtungsmodi des Modellsystems
2.6.4.1
Funktion
2.6.4.2
Leistung
2.6.4.3
Reflexion
2.7 Das Design der Gesellschaft
2.7.1
Funktionale Differenzierung
2.7.2
Integration
3
Der Typenstreit von 1914
3.1 Chronologie der Kölner Werkbundtagung 1914
3.2 Abriss der Deutungen des Typenstreits
3.2.1
Zusammenfassung der Interpretationen zum Typenstreit
3.3 Der Typenstreit als Selbstbeschreibung des Modellsystems
3.3.1
Kodierung
3.3.2
Konzeptualisierung
3.3.3
Methodendefinition und -validierung
3.3.4
Leistungs- und Funktionsanspruch
3.3.5
Selbstreferenz
Diskussion
Zusammenfassung
Theorieverständnis
Ausblick
Schluss
Index
Literaturverzeichnis
Danksagung
Diese Arbeit wäre ohne die folgenden drei Personen nicht zustande gekommen:
Prof. Dr. phil. Siegfried Gronert, mein Betreuer und erster Gutachter,
Dr. phil. habil. Klaus-Peter Noack †, der mir die richtigen Bücher lieh sowie
Prof. Dr. phil. habil. Wolfgang Jonas, der mich in meiner theoretischen Arbeit seit meiner Diplomarbeit bestärkt und herausgefordert hat.
Vielen Dank!
Einleitung
Was ist das Forschungsproblem?
Design scheint sich einer klaren Abgrenzung zu entziehen, wenn man es an seinen Ergebnissen festmacht. Dinge, Gegenstände, Artefakte, heißt es, sind das Resultat von Design und alles, was sie hervorbringt, wird dann als Design bezeichnet. Nun lässt sich nicht leugnen, dass die Dinge eine gewisse Rolle spielen, wenn es darum geht, Design zu bestimmen, doch leider lassen sich aus der Menge der Dinge nicht wenige finden, die offensichtlich nicht durch Design hervorgebracht wurden, die etwa als Kunstwerk oder Naturprodukt verstanden werden oder die nicht ins Schema des Entworfenen passen, weil der Einfluss des Designers auf sie zu gering ist.
Auch eine Beobachtung anhand der Zwecke und Ziele, die mit Design erreicht werden sollen, führt selten zu befriedigenden Ergebnissen. Versuche, Design als Entwurf, Gestaltung, Problemlöser, Nutzbringer, Alltagskultur oder angewandte Kunst zu deuten, enden meist fruchtlos. Sicher: all diese Bedeutungen kann der Begriff annehmen. Über die Bedingungen einer solchen Interpretation ist damit aber kaum etwas gesagt, denn Design wird dann wieder nur durch das beschrieben und eingegrenzt, was ihm mittels solcher Wortspiele vorher zugeschrieben wird. Ist in diesem Sinne gescheitertes Design kein richtiges Design? Ist ein Designer, der nicht sein Ziel erreicht, eigentlich gar kein Designer? Hier wird die Auffassung vertreten, dass auch gescheitertes Design als Design beobachtbar sein muss.
In der Tautologie, dass Design mehr oder weniger willkürlich als das bezeichnet wird, was sich selbst erzeugt oder zum Ziel hat, besteht das Forschungsproblem dieser Arbeit. Alle Aussagen über Design sind kompromittiert, wenn dieser zirkulär selbstbezügliche Standpunkt nicht berücksichtigt wird. Aus dem dargestellten Mangel an verwendbaren selbstreflexiven Beobachtungsprogrammen für Design folgt die Forschungsfrage: Wie lässt sich Design zuverlässig beobachten?
Methoden, Herangehensweise und Annahmen
Die der vorliegenden Arbeit unbewiesen vorangestellten Annahmen sind nur dadurch gerechtfertigt, dass sie sich im Verlauf als nützlich erweisen. Folglich erschließt sich der Text nur, wenn man diese Annahmen akzeptiert und ihnen logisch folgt. Die wichtigste dieser Annahmen ist, dass Design weniger durch die Dinge selbst als durch deren Thematisierung in Kommunikationen beobachtbar ist. Es ist eine wichtige These dieser Arbeit, dass solche Thematisierungen durch Modelle geleistet werden. Deshalb nimmt das Feld der Modelltheorie hier einen relativ prominenten Platz ein. Gemeint ist damit vor allem die Allgemeine Modelltheorie von Stachowiak1, die im Unterschied zum rein mathematischen Zweig dieses Fachgebiets2 auch Aussagen über nicht-mathematische Modelle trifft. Trotzdem werden von der mathematischen Modelltheorie Anleihen gemacht, ermöglicht sie doch, beliebige Beschreibungen von Strukturen zu untersuchen und Aussagen über Theorien zu verallgemeinern.
Setzt man zusätzlich voraus, dass Design als ein Prozess beschrieben werden kann, dessen Elementarereignisse ganz spezifische Kommunikationen sind und dass diese Ereignisse durch Beobachtungsprogramme erfassbar sind, die in der Regel als Systemtheorie3 bezeichnet werden, dann erscheint die Theorie sozialer Systeme von Niklas Luhmann4 wegen ihrer Fokussierung auf Kommunikationen besonders geeignet, Design in der oben genannten ereignisbasierten Art zu betrachten. Die Ausdifferenzierung einer modellarischen Sondersemantik wird dabei als notwendiges Kriterium für die Coevolution eines entsprechenden Kommunikationssystems genommen.5
Die Annahme, dass Design als Abfolge von Ereignissen zu beschreiben ist, führt zu einigen Konsequenzen. Sie versperrt zunächst die Möglichkeit, konkrete Erzeugnisse, Dinge und auch Texte, Bilder oder andere Gegenstände zu Rate zu ziehen, und erfordert stattdessen zu untersuchen, wie diese Mittel in den Ereignissen, welche die Designprozesse ausmachen, zu Akteuren des Verstehens werden. Ereignisse können aber per definitionem nicht gleichzeitig stattfinden und beobachtet werden. Es muss also einen Modus geben, jeweils aktuellen Ereignissen etwas über ihre Vorereignisse zu entnehmen. Dieses Band, das einzelne Ereignisse jeweils miteinander verbindet, das also, was ein Ereignis von seinem Vorereignis erzählt, soll hier ganz im Luhmannschen Sinne als Kommunikation bezeichnet werden - als Austausch zwischen Ereignissen und ihren Anschlussereignissen.
Peter Fuchs hat die Luhmannsche Theorie um eine interessante Facette bereichert.6 In seiner Theorie des Operativen Displacement geht er auf die Mechanismen ein, die das Verstehen von Kommunikationen modulieren. Hier werden Interventionsmöglichkeiten für Design vermutet. Deshalb wird in dieser Arbeit auch die Fuchssche Theorie hinzugezogen.
Methodologisch lässt sich zusammenfassen, dass aus der gegenseitigen Einschränkung von Allgemeiner Modelltheorie und Theorie Sozialer Systeme ein Beobachtungsprogramm für Design gewonnen werden soll. Die Forschungsfrage muss also genauer lauten: Welche Aussagen lassen sich über Design treffen, wenn man die Allgemeine Modelltheorie systemtheoretisch und die Theorie Sozialer Systeme modelltheoretisch betrachtet? Das Beobachtungsprogramms wird dann auf seine Anwendung an einem praktischen Beispiel hin geprüft.
Gültigkeit und Abgrenzung der Arbeit
Auf den folgenden Seiten wird der pragmatische Anspruch Luhmanns an eine Veröffentlichung vertreten: »Eine Publikation markiert in meinem Verständnis nicht den Abschlussbericht oder gar den Perfektionszustand einer Theorie. Es muß genügen, wenn sie so weit durchgeformt ist, daß sie den beliebigen Umgang mit ihren Thesen und Begriffen ausschließt und Korrekturen entscheidbar werden. Man kann sie pauschal ablehnen - aber das heißt dann nur: ihre Grenzen zu verlassen und in den unmarked state irgendwelcher anderer Beschäftigungen überzugehen.«7 Die resultierende Theorie über das Design und ihre Begriffe sollen hier nur so weit herausgearbeitet werden, dass sie als Ausgangspunkt weiterer Untersuchungen dienen kann.
Mit dem Begriff »Design« wird üblicherweise eine große Menge unterschiedlicher Phänomene verbunden, die sich von Artefakten und ihrer Herstellung und Rezeption über deren Entstehungs- und Entwurfsprozesse unter den verschiedensten Aspekten bis hin zu den Auswirkungen erstreckt, die sich in ihren verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen oder auch natürlichen Umwelten daraus ergeben. In dieser Arbeit soll weder versucht werden, diese Phänomene alle aufzuzählen, noch sie erschöpfend zu behandeln. Es sollen vielmehr die Mechanismen beschrieben werden, die prinzipiell in der Lage sind, einige davon hervorzubringen. Natürlich ist damit immer die Hoffnung verknüpft, Erklärungen für die genannten Phänomene zu geben und diese auf dem Wege der vorausschauenden Berücksichtigung ins gestalterische Handeln wiedereinfließen zu lassen. Dass eine Designtheorie in irgendeiner Weise zu besserem Design führt, ist aber anzuzweifeln. Dass sie Kommunikationen beeinflusst, davon wird hier optimistischerweise ausgegangen8.
Im Rahmen dieser Arbeit soll versucht werden, die Merkmale designtypischer Kommunikationen herauszuarbeiten und sie zusammenhängend zu beschreiben. Die Theorie, welche dazu hier umrissen werden soll, beruht darauf, Design als einheitlichen, selbstreferentiellen Kommunikationszusammenhang zu betrachten. Kommunikationen werden als Eigenwerte oder Resonanzen verstanden, die sich in einem dynamischen und selbstreferentiellen Prozess sozialer Systeme herausbilden. Daher genügt es an dieser Stelle nicht, zu sagen, dass Gegenstände9 als Träger von Botschaften gemeint sind und auch nicht, dass Designer diese Botschaften für bestimmte Empfänger verfassen10 oder dass gewisse Nachrichten zwischen den Beteiligten eines Entwurfsprozesses ausgetauscht werden.11. Die Zurechnung zu Akteuren und auch die Idee, dass Kommunikation in der Übertragung von Informationen besteht, wird hier nicht verfolgt. An den oben genannten Beiträgen ist aber interessant, dass sie Selbstbeschreibungen des Designs sind. Auch durch das Reden über Design-Gegenstände12 oder durch Darstellungen rhetorischer Aspekte im Design13 werden solche Selbstbeschreibungen thematisiert, wie es auch durch das Reden über die Entstehung von Produkten und die Arbeitsweise von Designern14 geschieht. Sie alle müssen mit dem hier entwickelten Vokabular zu beschreiben sein.
Ein erst kurz vor Fertigstellung dieser Arbeit von Moebius und Prinz (2012) herausgegebener Sammelband zur Kultursoziologie des Designs trägt den vielversprechenden Titel »Das Design der Gesellschaft«, bezieht sich dabei jedoch nicht auf Kommunikationssysteme. Vielmehr enthält er Aufsätze, denen gemeinsam ist, dass sie Design als soziales Phänomen aufgreifen, welches das Verhältnis von Dingen, Objekten, Artefakten oder Gegenständen zu den sie benutzenden, wahrnehmenden oder erzeugenden Subjekten zum Inhalt hat, als auch, wie diese Dinge das Verhältnis der Subjekte zueinander beeinflussen. Damit informieren Moebius und Prinz (2012) über die Hauptströmungen des gegenwärtigen, soziologisch informierten Designdiskurses. Die Kernaussagen der einzelnen Beiträge werden deshalb hier wiedergegeben.
In einem ersten Teil von Moebius und Prinz (2012) werden theoretische Perspektiven umrissen. Hörning (2012) konstatiert dort: »Artefakte und ihr Design sind eingespannt in die sozialen und vor allem kulturellen Praktiken und Diskurse ihrer jeweiligen Zeit.«15 und es gäbe ein »Wechselspiel von Dingen und Menschen«16. Außerdem seien Dinge in einer Art Polysemantik nicht nur Mittel und Werkzeuge sondern auch Quelle von Affekterfahrungen.17
Bosch (2012) unterstellt jedem Ding »eine materiell-stoffliche und eine zeichenhaft-symbolische Seite«18. Für sie sind soziologisch relevant die Verselbständigung der Dinge als Waren (1), die Entwicklung persönlicher Identität anhand der Dinge (2), die Auslagerung von Körperfunktionen durch Dinge und die daraus resultierende Weltsicht (3), die Vorgabe von Handlungsstrukturen (4) und das Markieren von Sozialstrukturen (5) durch Dinge, die Bindung von Inhalten an Formen und die Konzentration von Aufmerksamkeit durch Ästhetik (6) - hier benutzt im Sinne des die Wahrnehmung Ordenden - sowie der Einfluss der Artefakte auf den Zusammenhalt der Gesellschaft (7).19 Letzteres thematisiert auch Yaneva (2012). In ihrer Akteur-Netzwerk-Theorie stabilisiert Design auf spezielle Weise, nämlich über Artefakte, das Soziale.
Fischer (2012) wiederum geht von einer menschlichen Gabe aus, »tendenziell alles, im Universum und Kosmos als Ausdrucksphänomen auffassen zu können«20. Er setzt dabei voraus, dass es Ausdrucksphänomene gibt, die vor und unabhängig von der menschlichen Lebenswelt existieren. Um die spezifisch menschliche Intersubjektivität zu verdeutlichen, bedürfe es einer künstlichen Gestaltung interphänomenaler Grenzen durch Design. Fischer spricht in diesem Zusammenhang von einem Design-Zwang der menschlichen Lebenswelt.21 Andererseits wirkten Fischer zufolge ausdrucksstarre oder unveränderliche Phänomene beschränkend auf die Menge universeller Ausdruckphänomene. Ihnen wäre erfahrungsgemäß keine Ausdrucks-Verstehen und damit wohl auch kein Design zuzuordnen.
Von einem formativen Designbegriff geht Delitz (2012) aus. Sie deutet ihn als materiellsymbolische Seite der Formung von Gesellschaft. Dabei bezieht sie sich auf Simondons Individuationen als eine Theorie der Emergenz des Gesellschaftlichen. Delitz schlägt vor, technische Aktivität in einer Soziologie des Designs zu berücksichtigen, weil sie weder für das Soziale noch für das Psychische exklusiv ist und damit ein gutes Abbild der sich ändernden Gesellschaft sein könnte. Ohne sich selbst auf einen Standpunkt festzulegen plädiert Selle (2012) dann für eine Pluralität der Forschungsarbeiten zum Design.
Ein zweiter Teil von Moebius und Prinz (2012) beschäftigt sich damit, wie das Soziale auf verschiedenste Art und Weise gestaltet wird. Keim (2012) und Clauss (2012) etwa untersuchen die Rolle der Dinge bei der alltäglichen sozialen Konstruktion von Geschlechtern. Mareis (2012) widmet sich den Wissenskulturen im Design. Sie unterscheidet einen durch technische Rationalität gekennzeichneten wissenschaftlichen Ansatz von praktischem Erfahrungswissen und sieht den Schwerpunkt sich zunehmend auf letzteres verlagern. In einer Art Feldforschung untersucht Krämer (2012) die Arbeit von Grafikdesignern am Computer und Julier (2012) die Benutzung von MP3-Abspielgeräten durch Jugendliche. Letzterer verweist dabei auf einen allgemeinen Begriff von Praxistheorie, ohne ihn für seine Untersuchungen jedoch weiter zu spezifizieren. Prinz (2012) geht davon aus, dass das Foucaultsche Dispositiv auch Artefakte beinhaltet und so geeignet ist, Büroeinrichtungen als Mittel von Kontrollausübung zu beschreiben.
In einem relational-soziologischen Designbegriff betont Häußling (2012) das Arrangement des Sozialen mit dem Nichtsozialen-Technischen. Als treibendes Element zitiert er dabei einen anthropologischen Mangel, den auszugleichen unter anderem durch Artefakte gelänge. Design mache dabei die technischen Objekte auf materieller und symbolischer Ebene sowie durch Vereinfachung sozial anschlussfähig. Umgekehrt müsse Design beim potentiellen Nutzer Aufmerksamkeit, Erwartungen und eine Art Benutzungswissen generieren. Eher essayistisch spricht sich Erlhoff (2012) für eine Designforschung aus, welche die wirkliche Nutzung der Dinge beschreibt, ohne sie zur strikten Grundlage des Designs zu machen. Müller (2012) findet den soziologischen Aspekt der Stadtgestaltung in der »Interaktion der Menschen mit dem Raum und den Dingen in der Stadt«22. Die sinnlicher Wahrnehmung von Gebäuden wird dabei zu einem Steuerinstrument des Sozialen. Anhand einer ausführlichen Feldstudie stellt Hieber (2012) dann die soziale Verortung von Design in seiner Milieu-Bezogenheit dar.
Rummel-Suhrke (2012) untersucht die Differenz von Selbst- und Fremddarstellung des Designs in der modernen Gesellschaft. Die Überspitzung verschiedener Diskurse und Praktiken durch die Avantgarden von Werkbund bis Bauhaus führte ihm zufolge zu einer Unterrepräsentation des Ästhetischen gegenüber dem Sozialen. Erst die HfG Ulm habe die Bedingungen der diversifizierten Konsumgesellschaft überhaupt thematisiert. Schneider (2012) plädiert daraufhin für eine ökonomische Interpretation von Design als Mittel der Tauschwertsteigerung und sieht eine Kulturgeschichte des Designs als Kommentar der Produktionsverhältnisse.
Damit ist das Theorieangebot aus Moebius und Prinz (2012) beschrieben. Es weist weder Schnittmengen zur Luhmannschen Theorie auf, noch bezieht es sich auf allgemeinere system- oder modelltheoretische Ansätze. Im Umkehrschluss zu dem weiter oben Gesagten ist die hier vorgelegte Arbeit also nicht an den Hauptströmungen der vergleichenden Kultursoziologie orientiert. Tatsächlich geht das Interesse an Design hier nur so weit, wie es sich um ein soziales Phänomen im Luhmannschen Sinne handelt. Thema sind einzig und allein ganz spezielle Kommunikationen in ihrer Umwelt. Es geht also um die Beobachtung und Beschreibung solcher Kommunikationen im Design, ihren Operationsmodus, die Bedingungen ihrer Möglichkeit. Das Umfeld wird dabei nur insoweit berücksichtigt, wie es mit Kommunikation strukturell gekoppelt ist oder auf die Beobachtung derselben hinführt. Dieser Ansatz ist keineswegs neu. Norbert Wiener erkannte schon um 1950, dass das Studium des Austausches von Nachrichten ganz entscheidend zum Verständnis der Gesellschaft beitragen kann23 und, dass Kommunikationen wohl den Kitt bilden, der die Gesellschaft zusammenhält24. Auch Siegfried Maser zieht es vor, »Modelle im größeren Kontext Kommunikation« zu betrachten, statt lediglich Modelltypologien zu entwickeln.25 Die Beschränkung auf die Betrachtung von Kommunikationen schließt dabei Sinn nicht aus, geschieht also niemals sinnfrei. Die hier gewählte Beobachtungsweise berücksichtigt Sinn als unabdingbaren Bestandteil des Prozessierens von Kommunikation, ohne ihn jedesmal konkret festmachen zu müssen. Soweit kommuniziert wird, ist zweifellos Sinn im Spiel.
Eine zentrale Frage der Arbeit ist natürlich, inwieweit Luhmanns Theorie auch eine Theorie für Designer ist. Dazu soll dem Leser eine von sicherlich vielen möglichen, funktionalen Sichtweisen auf Designprozesse plausibel gemacht werden. Die Frage, wie Design funktioniert, soll hierfür das Leitmotiv bilden. Der Schwerpunkt liegt dabei, der Interessenlage des Autors entsprechend, auf dem Produktdesign. Es wird im Verlauf der Arbeit zu zeigen versucht, dass diese Einschränkung eher willkürlich ist und, dass für alle anderen Fachgebiete des Designs prinzipiell ähnliche Beobachtungen gemacht werden können, aber auch für die Architektur, die ingenieursmäßige Konstruktion oder die Softwareentwicklung, denn überall, wo der Begriff des Designs verwendet wird, bezeichnet er ein funktionales Äquivalent.
Eine Theorie muss, um glaubwürdig zu sein, für eine nicht unerhebliche Anzahl von Fällen in ihrem Gültigkeitsbereich akzeptable Erklärungen liefern. Dieser Gültigkeitsbereich soll hier den gesamten Bereich dessen erfassen, was im Allgemeinen als Entwurf oder Designprozess bezeichnet wird. Der Anspruch Luhmanns, eine allgemeine Supertheorie der Gesellschaft zu entwickeln, wird hier insoweit übernommen, dass die vorgeschlagene Theorie sich in Luhmanns Theoriegebäude widerspruchsfrei einfügen lassen muss. Der Kontingenz der Annahmen entsprechend ist Skepsis durchaus angebracht - nicht aber als zweifelnder Falschheitsverdacht für alle Aussagen, sondern eher im Sinne des Offenhaltens von Alternativen.
Für viele Designphänomene gibt es Erklärungen, die aufgrund ihrer Einfachheit sehr effizient zu handeln erlauben. Sie zu problematisieren ist nicht Ziel dieser Arbeit, wohl aber, sie unter dem Dach einer weiter ausholenden Beschreibung zu beherbergen. Es geht um eine Art spezialisiertes Denkzeug, das neben anderen seinen Platz in der Werkzeugkiste der Designtheoretiker einnimmt und in besonderen Fällen, sozusagen konditioniert für diese, benutzt wird - dann nämlich, wenn das bisherige Theorie-Repertoir im Übergang zu ereignisbasierten Prozessbeschreibungen an Schärfe verliert. Hier stellt sich in der Regel ein Gleichgewicht ein zwischen dem Effizienzgewinn durch Nutzung der Theorie und dem Effizienzverlust durch den Lernaufwand für dieselbe. Um bei der Werkzeugmetapher zu bleiben: Die Kosten des Werkzeugs müssen durch den Effizienzgewinn bei seinem Einsatz wieder wettgemacht werden.
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Der erste Teil beginnt mit einer Einführung in die Modelltheorie mit Betonung auf der Allgemeinen Modelltheorie Stachowiaks26. Der Darstellung von Modellen als attributive Systeme folgt eine Beschreibung der Hauptmerkmale von Modellen. Das Modell-Original-Verhältnis wird untersucht und die daraus abgeleiteten Begriffe werden kurz aufgezeigt und durch zwei prominente Beispiele demonstriert. Nach einer Vertiefung der Problematik des Originals folgt ein theoretischer Schnitt: der aufgezeigte Begriffsapparat wird jetzt als Voraussetzung für die Ausbildung eines sozialen Systems verstanden und die Betrachtungen werden im zweiten Teil der Arbeit darauf gelenkt, wie Modelle in solchen ereignisbasierten Systemen wahrscheinlich werden können. Dazu werden zunächst einige Hauptbegriffe der Luhmannschen Systemtheorie27 vorgestellt. Es wird näher erläutert, wie man sich die Kommunikation von Modellen als Ereigniskette vorzustellen hat und welchen strukturbildenden Beitrag dabei den Erwartungen zukommt. Modelle werden dann als Beschreibungen von Erwartungen dargestellt und einige daraus resultierenden Begriffsverschiebungen erläutert. Ausgehend von Modellen als symbolisch generalisierten Kommunikationsmitteln wird dann vorgeschlagen, mittels eines spezifischen Codes ein Modellsystem zu beobachten. Programme, Funktion und Leistungen eines solchen Funktionssystems werden beschrieben und Mechanismen der Selbststeuerung durch Reflexion verdeutlicht. Hier ergibt sich dann eine engere Definition für Design.
Der dritte Teil dient der Anwendung der gefundenen Erkenntnisse auf ein konkretes historisches Beispiel - den Typenstreit. Dazu werden erst die Originalbeiträge zusammengefasst und dann die wichtigsten derjenigen Arbeiten ausgewertet, die sich der Interpretation der Originalbeiträge gewidmet haben. Der Teil endet mit einer Umformulierung des Typenstreits mit dem im zweiten Teil vorgeschlagenem theoretischem Vokabular.
Am Schluss der Arbeit werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst. Es wird untersucht, welche Anforderungen die aufgestellte Theorie erfüllen kann und wo ihre Grenzen liegen. Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten.
Ein Literaturverzeichnis führt alle verwendeten Quellen mit den Seitenangaben ihrer jeweiligen Verwendung auf. Zusätzlich wurde ein Index erstellt, der die Stellen wichtiger Begriffe im Text zu finden hilft. In der originalen PDF-Version sind alle Sprungmarken rot eingefärbt und automatisch verlinkt. Das betrifft das Inhaltsverzeichnis, die Literaturangaben, die Fußnoten, den Index und sonstige Verweise auf Abschnitte innerhalb des Textes.
1Vgl. Stachowiak 1973.
2Vgl. Schwabhäuser 1971, Hodges 1993 und Rothmaler 1995.
3Wolfgang Jonas (Jonas 1992, S. 74 ff.) liefert eine ausführliche Übersicht der Geschichte des Systembegriffs. Ihm zufolge liegen die Wurzeln den neuzeitlichen Systemtheorie in der allgemeinen Systemtheorie Ludwig von Bertalanffys (Bertalanffy 1976), der Kybernetik von Norbert Wiener (Wiener 1948) und William Ross Ashby (Ashby 1956) sowie den Arbeiten der evolutionären Systemtheorie des Thermodynamikers Prigogine (Prigogine und Nicolis 1977), der Biochemiker Eigen und Schuster (Eigen und Schuster 1979) und der Biologen Maturana und Varela (Maturana und Varela 1990). Niklas Luhmann definiert den Systembegriff ganz allgemein: »Von Systemen kann man sprechen, wenn man Merkmale vor Auge hat, deren Entfallen den Charakter eines Gegenstandes als System in Frage stellen würde. Zuweilen wird auch die Einheit der Gesamtheit solcher Merkmale als System bezeichnet.« (siehe Luhmann 1984, S. 15)
4Vgl. Luhmann 1984.
5Helmut Willke geht in: Willke 2000, S.64 davon aus »…dass soziale Differenzierung und semantische Differenzierung sehr eng zusammenhängen. Schreitet die semantische Differenzierung soweit voran, dass über eine spezifische Codierung eine Sondersprache und ein eigenständiges »Sprachspiel« in dem Sinne entsteht, dass eine durch Selbstreferenz geschlossene Operationsweise dieser spezifischen Kommunikationen sich etabliert, dann kann man wohl ohne Bedenken von einem autopoietischen sozialen System sprechen. Denn nun kontinuiert es sich durch Kommunikationen, die durch Bezug auf Kommunikationen der gleichen Element-Klasse entstehen.«
6Siehe Fuchs 1993.
7Niklas Luhmann zitiert nach Krawietz und Welker 1992, S. 385 ff.
8Siehe dazu den Abschnitt über das Theorieverständnis auf Seite 127.
9George Perec hat in: Perec 2001 einen sehr interessanten Ansatz vorgestellt, bei dem (literarische) Personen durch die Dinge, die sie benutzen und besitzen, charakterisiert werden. Die Firma Amazon benutzt ein ähnliches Verfahren, um Kaufvorschläge anhand bereits gekaufter Waren abzuleiten. Falls mehrere Käufer die Waren A und B gekauft haben, ist es wahrscheinlich dass ein weiterer Käufer der Ware A auch die Ware B nehmen würde - besonders, wenn es ihm durch Vorschlag nahegelegt wird. Die Umkehrung dieses Prinzips, also Dinge durch Personen zu charakterisieren, setzt eine genaue Definition sozialer Milieus voraus, falls Rückschlüsse auf Konsumgewohnheiten gemacht werden sollen. Beschreibungen solcher Milieus werden deshalb zum Beispiel durch das Sinus-Sociovisions-Institut Heidelberg (Sinus-Milieus) oder durch die SIGMA Gesellschaft für internationale Marktforschung und Beratung mbH in Mannheim (Sigma-Milieus) angefertigt.
10Vgl. Moon 2005, die den Architekten als Modelleur von Botschaften beschreibt.
11Badke-Schaub und Frankenberger untersuchten Kommunikationen als Austausch von Nachrichten oder Representationen unter den Beteiligten des Designprozesses und stellten dabei fest, dass der verbalen Kommunikation in Designteams die größte Bedeutung zukommt. Viel geringeren Anteil am Designerfolg hatten ihnen zufolge die eigentlichen Artefakte, die von den Autoren scheinbar nicht als Kommunikationen behandelt wurden: »Thinking about external design representations we instantly associate design representations with artefacts such as sketches, drawings, or models. But whereas sketches are a basic design representation for every routine work in product development, critical situations in the design process underlie other representational conditions. In critical situations communication between colleagues is the most important design representation: engineering designers contact colleagues in nearly 90% of the critical situations identified along the design process. Therefore, the appropriateness of communication in different types of critical design situations turns out to be an important prerequisite for successful design work.« (Badke-Schaub und Frankenberger 2004, S. 124)
12Vgl. Sottsass in Duits et al. 2003.
13Vgl. Joost 2008 sowie Joost und Scheuermann 2008.
14Siehe Terrstiege 2009 oder Conran und Fraser 2004.
15Siehe Hörning 2012, S. 31.
16Siehe Hörning 2012, S. 35.
17Vgl. Hörning 2012, S. 43.
18Siehe Bosch 2012, S. 52.
19Vgl. in der hier aufgeführten Reihenfolge Bosch 2012, S.53 ff., S. 56 ff., S. 58 ff., S. 60 f., S. 61 ff., S. 66, S. 69.
20Siehe Fischer 2012, S. 93.
21Vgl. Fischer 2012, S. 99.
22Siehe Müller 2012, S. 314.
23Im Vorwort zu »The Human Use of Human Beeings« formulierte Wiener folgende Ansicht: »It is the thesis of this book, that society can only be understood through a study of the messages and the communication facilities which belong to it; and that in the future development of these messages and communication facilities, messages between man and machine, aredestined to play an ever increasing part.« (Wiener 1950, S. 16).
24»I do not mean that sociologist is unaware of the existence and complex nature of communications in society, but until recently he has tended to overlook the extent to which they are the cement which bind its fabric together.« (Wiener 1950, S. 26 f.).
25Siehe Maser 1993, S. 46 ff.
26Vgl. Stachowiak 1973.
27Vgl. vor allem Luhmann 1984 und 1998.
1 Modelltheorie und Designm/bodelle
1.1 Was ist Modelltheorie?
Als Modelltheorie wird ein Zweig der Mathematik bezeichnet, der Aufbau und Klassifikation von Strukturen untersucht, die selbst wiederum bestimmten, jeweils durch den Untersuchenden benannten Strukturenklassen zuzuordnen sind1. So können in der Mathematik Aussagensysteme wie Theorien, Beweise oder Schlussfolgerungen verallgemeinert werden, um zum Beispiel etwas über ihre Gültigkeit für konkrete Anwendungsfälle zu erfahren oder um sie in bisher unerschlossenen Gebieten einsetzen zu können. Gemeinsam ist allen Richtungen dieser mathematisch-logischen Modelltheorie, dass sie sich eines Hilfsmittels bedienen, dass Modell genannt wird. Als solches wird ein Gebilde bezeichnet, das eine Menge von Aussagen bündelt, die in einem anderen Gebilde ebenso gültig sind. Ein Modell ist demnach eine Form, die Aussagen aus einem Sprachsystem in einem anderen Sprachsystem abbildet2. Diese Modelldefinition geht auf Tarski (1954) zurück und bildet auch die Grundlage der Allgemeinen Modelltheorie von Stachowiak (1973), die aus heutiger Sicht als relativ abgeschlossen angesehen wird. Da sie den Sprachgebrauch über Modelle seit ihrem Erscheinen in den 1970er Jahren geprägt hat und auch die Grundlage der hier angestellten Betrachtungen bildet, soll sie auf den folgenden Seiten kurz vorgestellt werden.
Ausgehend von Objektbeschreibungen als attributive Systeme und deren Vereinfachung als Eigenschaftengruppen werden die Hauptmerkmale von Modellen näher erläutert und für Designmodelle aufgezeigt. Es folgt eine Beschreibung der wichtigsten Designmodellklassen und ihre Demonstration an zwei konkreten Beispielen - einer Zeichnung von Wilhelm Wagenfeld und einem Holzmodell von Richard Sapper aus der Werkstatt von Giovanni Sacchi. Abschließend werden einige Anwendungsprobleme der Allgemeinen Modelltheorie für Designmodelle aufgezeigt.
1.2 Modelle als attributive Systeme
Beliebige Objekte, seien es nun Modelle oder Originale, lassen sich nach Stachowiak als Individuen beschreiben, denen eine endliche Zahl von Attributen zukommt. Unter solchen »Attributen sind Merkmale und Eigenschaften von Individuen, Relationen zwischen Individuen, Eigenschaften von Eigenschaften, Eigenschaften von Relationen usw. zu verstehen.«3 Die Individuen selbst bezeichnet Stachowiak auch als uneigentliche Attribute oder Attribute nullter Stufe. Sie werden durch die eigentlichen Attribute erster Stufe näher bezeichnet, die also die Eigenschaften von Individuen darstellen. Attribute zweiter Stufe charakterisieren wiederum die Eigenschaften dieser Eigenschaften usw.4. Immer sollen dabei »nur solche Attribute zugelassen werden, für deren jedes wenigstens eine konventionalisierbare Methode angebbar ist, nach der über sein Vorliegen oder Nichtvorliegen entschieden werden kann«5. Attribute, die nicht sicher beobachtet werden können, sind also nicht Gegenstand der Allgemeinen Modelltheorie. Attribute werden durch Prädikate symbolisiert und kommunikabel gemacht6.
Das relative aufwändige Stufensystem von Attributen ermöglicht es, in der Allgemeinen Modelltheorie mit den gut ausgearbeiteten Begriffen der Prädikaten- und Klassenlogik zu operieren.7 Für die Zwecke dieser Arbeit ist das jedoch nicht erforderlich. Aus beschreibungsökonomischen Gründen werden hier deshalb alle mehrstufigen attributiven Systeme durch eine Vereinfachung ersetzt: die Attribute sämtlicher Stufen werden als Eigenschaften auf die erste Stufe projiziert und auf den jeweiligen Modellgegenstand bezogen, der selbst wieder als Eigenschaft dargestellt wird. Das geschieht in der Annahme, dass der Vorteil, die Problematik klarer darstellen zu können, den Nachteil des Präzisionsmangels mehr als ausgleicht und dass eine prädikatenlogisch aufwändigere Betrachtung, wenn sie überhaupt erschöpfend durchgeführt werden kann, sehr wahrscheinlich zu ähnlichen Ergebnissen führt.. Wenn man also etwa die Farbe eines Autos als blau beschreibt, so hat man damit die Eigenschaften »Farbe« und »Gegenstandsklasse« sprachlich kodiert oder beschrieben. Gleichzeitig, ist damit zwar auch die Eigenschaft »Auto« als Modellgegenstand bezeichnet, die Attribute »Auto« und »blau« können jedoch nun miteinander vertauscht werden. Es spielt also erst einmal keine Rolle, ob man sagt, »das Blaue ist Auto« oder »das Auto ist blau«. Diejenigen Eigenschaftenkomplexe, die durch das hierarchische Stufensystem von Attributen elegant zu bezeichnen sind, müssen deshalb nun einzeln aufgelistet werden. Im Beispiel des blauen Autos hieße das, durch weitere Attribute festzulegen, welches der beiden Eigenschaften den Gegenstand bezeichnet und welches wiederum dessen Eigenschaften oder die Eigenschaften dieser Eigenschaften und so weiter. Mit der hier vorgeschlagenen Vereinfachung von Modellen auf gleichrangige Mengen von Eigenschaften geht also eine Erhöhung der absoluten Zahl benötigter Eigenschaften einher. Der Vorteil der Koordinatentransformation hierarchischer Systeme auf flache, ungeordnete Mengen liegt in der vereinfachten, dem Sprachgebrauch angepassten Bezeichnungsmöglichkeit für Begriffe wie Ähnlichkeit und Vollständigkeit. Außerdem lassen sich so inhaltlich-materiale und formal-strukturelle Attribute ähnlich behandeln8. Auf den im folgenden beschriebenen Begriffsapparat der Allgemeinen Modelltheorie ist die beschriebene Vereinfachung ohne weiteres anwendbar. Sie ermöglicht es, Objekte durch die einfache Aufzählung ihrer Eigenschaften zu beschreiben. Geht man davon aus, dass beliebige Gruppen von Eigenschaften durch einfache Symbole vertreten werden können, ergibt sich hier ein fast umgangssprachlicher Gebrauch solcher Beschreibungen. Man spricht zum Beispiel dann von »Auto«, wenn man ein selbstfahrendes, meist vierrädriges Beförderungsmittel mit einer bestimmten Größe meint.
1.3 Die Hauptmerkmale des allgemeinen Modellbegriffs
Ob es sich bei beobachteten Phänomenen überhaupt um Modelle handelt, ist bei Stachowiak davon abhängig, ob die drei Hauptmerkmale des Modellbegriffs9nachgewiesen werden können - Abbildungsmerkmal, Verkürzungsmerkmal und pragmatisches Merkmal. Nach eigenen, späteren Aussagen nimmt Stachowiak hier eine Rekonstruktion der Peircesche Triade von Objekt, Zeichen und Interpretant vor, wobei der Peircesche Interpretant in ein »System pragmatischer Variablen«10 umgewandelt wird.11
Das Abbildungsmerkmal beruht auf dem mengentheoretischen bzw. algebraischen Begriff der Abbildung. Einer endlichen Menge von Original-Attributen wird dabei auf eine ebenso endliche Menge von Modell-Attributen abgebildet. Als Original kann dabei jede beliebige Entität aufgefasst werden aus »dem Bereich der Symbole, der Welt der Vorstellungen und der Begriffe oder der physischen Wirklichkeit«12. Vereinfacht werden also die Eigenschaften eines Originals abgebildet durch die Eigenschaften eines Modells. Die Lackierung eines Automobils kann etwa durch ein Materialmuster abgebildet werden oder die Maße eines vorgestellten Stuhls durch eine technische Zeichnung. Jedes Modell kann auch selbst wieder als Original aufgefasst und zum Gegenstand einer Abbildung werden. Das passiert zum Beispiel, wenn das obige Materialmuster durch ein alphanumerisches Zeichensystem dargestellt wird, um so das genaue Mischungsverhältnis des Lackes festzuhalten oder ihn in einem Warenwirtschaftssystem zu identifizieren. Auch die Zeichnung eines Stuhls kann weitere Abbildungen erfahren, sei es als Reproduktion in einem Fachbuch oder als einfache Fotokopie zur Schonung des Originaldokuments. Dass Modelle selbst wieder abgebildet werden können sei an dieser Stelle als ein Hinweis auf den immanenten Prozesscharakter der Modellentstehung hervorgehoben.
Nicht alle Attribute des Originals werden im Modell abgebildet, »sondern nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/oder Modellbenutzern relevant erscheinen«. Diese Eigenschaft bezeichnet Stachowiak als Verkürzungsmerkmal13. Modelle reduzieren damit die Komplexität der Originale auf einige vom Modellerschaffer für wesentlich erachtete Eigenschaften. Das Holzmodell einer Espressokanne beschränkt sich auf die Abbildung geometrischer Formzusammenhänge. Ein Contentogramm stellt nur die möglichen Aneinanderreihungen einzelner Inhalte einer Website dar. Architekturfotos reduzieren das jeweils abgebildete Bauwerk auf die flächige Projektion einer Einzelperspektive. Um Verkürzungen feststellen zu können, müssen alle Eigenschaften von Original und Modell bekannt sein. Nur so können sie miteinander verglichen werden. Die genaue Kenntnis von Original und Modell kann laut Stachowiak am ehesten denen unterstellt werden, »die in Personalunion Original und Modell geschaffen, d.h. gedanklich, zeichnerisch, technisch, sprachlich usw. reproduzierbar hervorgebracht haben«14.
Das pragmatische Merkmal bezieht sich auf den Gültigkeitsbereich von Modellen: »Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion a) für bestimmte - erkennende und/oder handelnde, modellbenutzende - Subjekte, b) innerhalb bestimmter Zeitintervalle und c) unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder tatsächliche Operationen.«15 Modelle sind also nicht für alle Subjekte gleich. Sie sind weder zeitlich unbeschränkt gültig noch zweckfrei. Immer ist mit ihnen verknüpft, für wen sie wie lange und zu welchem Zweck ein Modell sind. Das System der drei Variablen Modellierer, Zeitspanne der Repräsentation des Originals durch das Modell und Ziel der Modelloperationen wurden von Stachowiak zunächst16 als Subjektivierungsmerkmal bezeichnet. In der Allgemeinen Modelltheorie17 fasst er sie als Pragmatisches Merkmal zusammen und später18 als Subjektoperator S der Original-Modell-Relation19 Da die pragmatischen Modellmerkmale eng miteinander verflochten sind, erlaubt die Kenntnis von Erwartbarkeiten des einen Merkmals die jeweils anderen besser zu rekonstruieren. So kann die Bestimmung des Modelldatums zur Aufklärung beitragen, wer der Autor war oder zu welchem Zweck das Modell entstand.
Eine Umformulierung des pragmatischen Merkmals, die zumindest für wissenschaftliche Theorie-Modelle behauptet wird, haben Balzer und Sneed vorgenommen.20