Deutsche Geschichte - Luise Büchner - E-Book

Deutsche Geschichte E-Book

Luise Büchner

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Beschreibung

Dieser Band enthält die zwanzig Vorlesungen zur deutschen Geschichte, die die bekannte Frauenrechtlerin im Alice-Lyceum in Darmstadt hielt.

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Deutsche Geschichte

Luise Büchner

Inhalt:

Luise Büchner – Biografie und Bibliografie

Deutsche Geschichte

Vorwort

Erste Vorlesung

Zweite Vorlesung

Dritte Vorlesung

Vierte Vorlesung

Fünfte Vorlesung

Sechste Vorlesung

Siebente Vorlesung

Achte Vorlesung

Neunte Vorlesung

Zehnte Vorlesung

Elfte Vorlesung

Zwölfte Vorlesung

Dreizehnte Vorlesung

Vierzehnte Vorlesung

Fünfzehnte Vorlesung

Sechzehnte Vorlesung

Siebenzehnte Vorlesung

Achtzehnte Vorlesung

Neunzehnte Vorlesung

Zwanzigste Vorlesung

Deutsche Geschichte, L. Büchner

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849606640

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Luise Büchner – Biografie und Bibliografie

Schriftstellerin, Schwester von Georg Büchner, geb. 12. Juni 1821 in Darmstadt, lebte in Darmstadt und starb daselbst 28. Nov. 1877. Ihr erstes Schriftchen: »Die Frauen und ihr Beruf« (Frankf. a. M. 1855; 5. Aufl., Leipz. 1883), erregte um seiner gefunden Anschauungen willen ein gewisses Aufsehen. Demnächst erschienen von ihr: »Aus dem Leben«, Novellen (Leipz. 1861); der Roman »Das Schloß zu Wimmis« (das. 1864); ein Band Gedichte: »Frauenherz« (2. Aufl., Berl. 1866); »Weihnachtsmärchen« (2. Aufl., Glogau 1882); »Klara Dettin«, erzählen des Gedicht (das. 1874) u. a. In der Frauenfrage zeigte sich Luise B. höchst tätig. Sie war Vizepräsidentin des Alice-Vereins (s.d.) und Mitbegründerin des Alicelyzeums in Darmstadt. Von ihren übrigen Schriften sind anzuführen: »Praktische Versuche zur Lösung der Frauenfrage« (Berl. 1870); »Über weibliche Berufsarten« (Darmst. 1872); »Die Frau. Hinterlassene Aufsätze, Abhandlungen und Berichte zur Frauenfrage« (Halle 1878) und »Nachgelassene belletristische und vermischte Schriften« (Frankf. a. M. 1878, 2 Bde.).

Wichtige Werke:

 Das Schloss zu Wimmis. Rom. 8. (267) Ebda. 1864. Deutsche Geschichte v. 1815–1870. 20 Vorträge. 8. (627) Ebda. 1875. Dichterstimmen aus Heimat u. Fremde. 5. Aufl. 16. (593 m. H.) Halle a. S. 1876 Die Frau. Hinterlassene Aufsätze, Abhandlgn. u. Berichte zur Frauenfrage. Mit Portr. d. Verfass. in Stahlst. 8. (470) Ebda. 1878. Die Frauen u. ihr Beruf. 5. Aufl. 8. (278) Leipzig 1884 Frauenherz. Gedichte. 2. Aufl. 8. (155) Hamm 1864 Klara Dettin. Erzählendes Gedicht. 16. (94) Leipzig 1874 Nachgelassene belletristische u. vermischte Schriften. 2 Bde. 8. (736) Frankfurt a. M. 1878 Praktische Versuche zur Lösg. der Frauenfrage. 8. (80) Berlin 1870 Über Verkaufs- u. Vermittlungsstellen f. weibl. Handarbeit. 8. (27) Leipzig 1873 Über weibl. Berufsarten. In »Was willst du werden?« 8. (53) Darmstadt 1871 Weihnachtsmärchen. 2. Aufl. 8. (124 m. 8 chromolith. Bildern.) Glogau 1882

Deutsche Geschichte

Zwanzig Vorträge, gehalten in dem Alice-Lyceum zu Darmstadt

Vorwort

Die allgemeine Mangelhaftigkeit der historischen Kenntnisse unter unserer Frauenwelt, welche wohl ihren vornehmsten Ursprung in dem durchschnittlich noch sehr unzureichenden Unterricht dieses wichtigen Gegenstandes findet, bewog mich schon vor einer Reihe von Jahren, strebsamen Mädchen und auch Frauen, die sich dafür interessirten, während der Wintermonate Vorträge über allgemeine Geschichte in aufsteigender Reihenfolge von den ältesten Zeiten an, zu halten. Je mehr ich mich der Neuzeit näherte, je mehr bildete naturgemäß die deutsche Geschichte den Mittelpunkt dieser Vorlesungen, bis dann zuletzt die Darstellung des 19. Jahrhunderts, bei den jungen Hörerinnen vornehmlich, ein ganz besonderes Interesse erregte.

Dies fand sich auf's Neue bestätigt, als nach der Begründung des Alice-Lyceum in Darmstadt, diese Vorträge einem größeren Kreise zugänglich wurden, und ich, während dreier Winterhalbjahre, in je zwanzig Vorlesungen die deutsche Geschichte, von der Zeit des westphälischen Friedens bis 1870, vortrug. Auch hier zeigten sich die Hörerinnen durch die Geschichte der neuesten Zeit besonders lebhaft angeregt und so sehe ich mich durch eine zweimalige Erfahrung veranlaßt, den letzten Abschnitt meiner Vorträge, die Zeit von 1815-70 behandelnd, nach nochmaliger sorfältiger Ueberarbeitung, dem Drucke zu übergeben, von der Hoffnung geleitet, damit auch dem jüngeren Lesepublikum, sowohl weiblichen, als männlichen Geschlechts, eine willkommene Gabe zu reichen.

Noch fehlt es fast ganz in unserer populären Geschichtsliteratur an einer kurzgedrängten und übersichtlichen Darstellung jener trüben und doch auch wieder so verheißungsvollen Epoche unserer Geschichte, welche einer besseren Gegenwart voranging, die man jungen Leuten zur Selbstbelehrung in die Hand geben könnte. Das überreiche, schon verarbeitete Material jener kaum vergangenen Zeit liegt noch so bruchstückartig und weit auseinander, entweder in bandreichen Werken, die aber nur einzelne Zeitabschnitte behandeln, oder in chronikartigen Darstellungen, Monographien, Biographien u. s. w. zerstreut, daß es der Jugend kaum zugänglich ist. Auch muß der rothe Faden des Selbsterlebten noch gar oft das Fragmentarische zusammenhalten, gar manche Zeitstimmung durch die Erinnerung des Schreibenden erst neu belebt werden. Darum hoffe ich mit meinem bescheidnen Werke, bis Vollendeteres geschaffen wird, eine Lücke auszufüllen, die man schon öfter im Familienkreise, wie im Schulzimmer empfunden hat; um dessen Lesbarkeit zu fördern und die Trockenheit, die von Geschichtserzählungen oft so schwer zu trennen ist, womöglich ferne zu halten, habe ich mich entschlossen, ganz einfach die Form der Vorlesung beizubehalten, weil ich denke, daß dadurch auch der Leser zum Hörer wird, und ihm das Gesagte frischer, anregender und lebendiger vor die Seele tritt.

Daß ich für meine Arbeit keine Quellenstudien gemacht, keine gelehrten Forschungen angestellt, versteht sich fast von selbst, aber mit unermüdlichem Fleiße habe ich mich bemüht, den Stoff, den ich den besten vorhandenen Geschichtswerken1 entnommen, zu einem klaren, lebendigen Bilde zu gestalten, dabei den Pinsel mit offenen Freimuth in jene Farben tauchend, die ich in meinem eignen Denken und Empfinden vorfand. Doch gilt dies Letztere nur von der allgemeinen Auffassung, im Einzelnen war ich redlich bestrebt, die Menschen und Dinge im richtigen Verhältniß zu ihrer Zeit, ihrer Umgebung und Entwickelung zu kennzeichnen.

Mit dem Vertrauen, daß man meine Absicht nicht mißversteht, daß Niemand glaubt, ich wolle hier ein gelehrtes Werk liefern, übergebe ich mein Buch der Oeffentlichkeit, und zunächst den Händen der deutschen Jugend, wobei ich ihr den Wunsch ausspreche, daß sie gerne, trotz der Mängel, die ihm ohne Zweifel anhaften, in diesen Spiegel unserer letzten historischen Vergangenheit, den eine wahrhaftige und voll Wärme für ihr Vaterland empfindende Gesinnung vor ihr aufstellt, schauen möge. – Ja, blicke getrost hinein, deutsche Jugend, und wenn Du auch vieles Schmerzliche dabei erschaust, so erinnere Dich stets daran, wie schwer sich Deine Nation durch eine lange, dunkle Nacht zum Tage durchgerungen! Vergiß es nimmermehr, wie sie es auch für Dich gethan, und wie es darum Deine heiligste Sorge sein muß, darüber zu wachen, daß es fortan hell und licht bleibe im deutschen Vaterlande, für alle Zeit!

Darmstadt, im Februar 1875.

Luise Büchner.

Erste Vorlesung

 Einleitung und übersichtliche Darstellung der Befreiungskämpfe

Wenn ich heute den Faden meiner Geschichtsvorträge wieder aufnehme, welche, bereits zwei Jahrgänge umfassend, dazu bestimmt waren, meinen Hörerinnen ein klares, anschauliches und zusammenhängendes Bild der deutschen Geschichtsentwickelung seit dem westphälischen Frieden bis auf die Gegenwart zu geben, so thue ich es unter der Voraussetzung, daß Sie mir gerne bis an das Ende meiner Aufgabe folgen. Aber auch denen, welche das Vorangegangene nicht gehört, glaube ich doch insofern ein abgerundetes Ganze versprechen zu dürfen, als ja erst nach den Befreiungskriegen eine selbstständige innere politische Entwickelung unseres Vaterlandes sich Bahn brach, und diese Zeit somit eine Epoche für sich bildet. Auf den inneren Kämpfen, die den äußerlichen folgten, auf dem endlichen Siege der Ideen, die damals schon lebendig waren, beruht unsere Gegenwart, und diese gegenwärtige Zeit voll und richtig zu verstehen, in ihr zu leben und zu wirken mit klarem und bewußtem Geiste, dies ist ja doch wohl die Aufgabe und der höchste Lebensgenuß eines jeden gebildeten und denkenden Menschen. Jeder Einzelne nimmt Theil an der Entwicklung seiner Zeit und seines Vaterlandes, aber er wird die erstere nur vollständig verstehen und würdigen lernen, an der Hand der historischen Thatsachen, die derselben vorausgegangen sind. Wer lange gelebt, hat sie zum Theil erlebt, der jüngeren Generation aber muß man sie, sobald sie reif genug geworden ist, dieselben zu verstehen, im klaren Zusammenhange mitzutheilen versuchen, und dies ist die Aufgabe, welche ich mir hier gestellt habe. –

Nach dem Grundsatze, den ich immer befolgt, werde ich auch dieses mal wieder den Hauptnachdruck auf das kulturhistorische Moment, auf die Entwicklung der geistigen und sittlichen Anschauungen unseres Volkes legen, und in diesem Sinne auch die Literatur in den Kreis meiner Betrachtungen ziehen, in so weit dieselbe direct auf die politischen Anschauungen des Tages eingewirkt und dieselben mitbestimmt hat.

Es ist uns ja bekannt, wie die deutsche Muse lange Jahre hindurch die einzige himmlische Leuchte und Trösterin unseres gedrückten Volkes gewesen, und wie sie, durch Schiller's Mund vornehmlich, in dessen Seele die Ideen und Vorstellungen trug, welche später, als unzerstörbare Saamenkörner der Zukunft, eine höhere Ernte vorbereiten sollten. Aber diese Muse des vergangnen Jahrhunderts stand trotzdem abseits und weit getrennt von dem wirklichen Leben der Nation, während Jene des neuzehnten Jahrhunderts mit ihr gelitten und geduldet hat, und nach und nach so tief mit ihr verwuchs, daß wir heute schon im ahnungsvollen Geiste ein späteres Dichtergeschlecht zu schauen vermögen, welches dereinst die jüngsten, die Jahre von Deutschlands endlicher Wiedergeburt, – seinem endlichen erfolgreichen Aufschwung, feiern und verherrlichen wird. –

Bis zu den untersten Stufen und Anfängen dieses Aufschwungs aber führt mich nun zunächst meine Aufgabe zurück, zu der Anknüpfung an die Momente, welche die Abschüttelung der Fremdherrschaft in Deutschland herbeiführten. Gestatten Sie mir darum einen kurzen Rückblick auf jene Tage. Die furchtbaren Klänge der französischen Revolutionsglocke hatte die Völker des europäischen Continents aus dem dämmernden Traumleben erweckt, in welche sie der fürstlich-väterliche Absolutismus des 18. Jahrhunderts eingelullt hatte. – Dieses Erwachen sollte jedoch nicht sofort der seither unterdrückten und mißachteten Freiheit und Selbstregierung der Völker zu Gute kommen, sondern dem Eroberer und Despoten, der mit der Schärfe des Schwertes das Bestehende, wie das Nationale niederschlug, und dem wir es nur erst in zweiter Linie zu danken vermögen, wie er damit zugleich, und namentlich in Deutschland, alt Verjährtes und Vermodertes zu Falle brachte. – Dafür lastete aber auch auf keiner andern Nation seine Hand so schwer und vernichtend, als auf der unserigen. Unser Volk auszustreichen aus der Reihe der Nationen, war das mehrfach ausgesprochene Ziel seines unersättlichen Ehrgeizes, und mit Flammenschrift haben uns seitdem diese Jahre der tiefsten Erniedrigung immer und immer wieder zur Einheit und zum Widerstand gegen den Despotismus gemahnt. –

Aber als die Morgenröthe einer neuen Zukunft sahen wir alsdann die Flammen Moskau's emporlodern, sahen wir Napoleon rath- und muthlos auf den Trümmern der alten Czaarenstadt neue Pläne schmieden, in dem Augenblicke, wo der Wendepunkt seines Schicksals eintrat und nach göttlichen und menschlichen Gesetzen eintreten mußte.

Folgerichtig sollte ich nun an jenes erste, große Mißgeschick des Eroberers eine eingehendere Darstellung der deutschen Befreiungskämpfe anreihen, – aber diese nationale Epopöe wurde uns ja Allen schon, so zu sagen, an der Wiege gesungen, und ich werde mich darum nur darauf beschränken, in kurzem knappem Ueberfluge als Einleitung die Jahre 13 und 14 durchzunehmen, dabei namentlich jene Momente betonend, die mehr der politischen und diplomatischen als der heroischen Geschichte jener Tage angehören, weil aus den Drachenzähnen, die schon damals unter die Saat der herrlichsten und größten Heldenthaten ausgeworfen wurden, hauptsächlich jene Uebel und Schmerzen erwuchsen, durch welche die deutsche Nation, nach Außen, wie nach Innen, noch während des heißen Kampfes schon um die Hälfte ihres Siegerpreises betrogen wurde.

Mit um so leichterem Herzen aber darf man heute eine Darstellung der Kämpfe für Einheit und Freiheit von 1815- 1870 unternehmen, als es sich dabei seit zwei Jahren um eine nahezu vollendete Epoche handelt. Wir stehen heute auf dem Boden einer neuen Aera und wie ich mich bemühen werde, so weit es meiner schwachen Kraft möglich ist, mit jener Objectivität, welche die erste Pflicht des historischen Erzählers ist, eine Zeit die uns noch so nahe liegt, zur Erscheinung zu bringen, so werde ich doch zugleich offen und sonder Scheu das Verwerfliche und Unsittliche charakterisiren.

Doch wenden wir nun unsere Gedanken zu dem Jahre 1812 zurück, vergegenwärtigen wir uns die, unter den entsetzlichsten Leiden fliehende, französische Armee, die an 600,000 Mann betragend, so stolz einst ausgezogen und die nun bis zum 20. Theile zusammengeschmolzen, als ein Haufe von zerlumpten Krüppeln und Bettlern zurückkehrte. Nicht ganz so tragisch hätte sich das Ende des russischen Feldzuges zu vollziehen brauchen, wenn Napoleon nicht in verblendetem Geiste, auf einen günstigen Friedensschluß wartend, fünf kostbare Wochen neben dem zerstörten Moskau verschwendet hätte, während der russische Herbst ihm noch einen leidlichen Rückzug gestattete. Aber Kaiser Alexander, von dem dieser Friedensschluß abhing, blieb jetzt unbeugsam; neben ihm stand der edle, deutsche Patriot, der Freiherr v. Stein, und stärkte ihn im Widerstand gegen die eigne Familie, wie gegen die mit dieser verbundenen russischen Friedensparthei. Die große Frage war diese, ob Rußland nur das eigne Land vertheidigen und vom Feinde säubern, oder ob es den Krieg nach Deutschland hinüber tragen und damit einen Funken zur Flamme entfachen sollte, der überall in den Herzen der Deutschen glimmte, die nur darauf harrten, einen heiligen Volkskrieg gegen den allgemeinen Unterdrücker beginnen zu dürfen, wie ein solcher sich in Rußland soeben entzündet hatte. Aber die Entscheidung lag ja leider nicht beim Volke, sondern in den Händen der Mächtigen – in denen von Kaiser Alexander zunächst – und dann in weiterer Folge bei Franz von Oesterreich und Friedrich Wilhelm von Preußen. Gezwungen hatten die beiden deutschen Großmächte ihre Contingente zu Napoleon's Armee gestellt, um derselben den Rücken zu decken. Sollten sie nun den früher Verbündeten, den russischen Kaiser, von dem nur die Gewalt sie getrennt hatte, bekämpfen? sollten ihre Truppen jetzt unter französischen Marschällen die verfolgenden Russen aufhalten und dieselben von den deutschen Grenzen zurückdrängen?

Da war Einer unter den preußischen Generälen, der dies nicht vermochte, der die Lage klar durchschaute und der auch wußte, daß das, was er empfand, eben so lebendig in der Brust des geringsten Soldaten lebte. Graf York, der Anführer des preußischen Corps, das unter dem Befehle des Marschall Mac Donald in Kurland stand, durfte in jenen Tagen der schwersten Entscheidung und des Kampfes, der sein Innerstes durchwogte, mit Ulrich von Hutten rufen: »Ich hab's gewagt.« Keiner stand ihm schützend zur Seite, nicht sein König, nicht dessen Minister, nur sein treues deutsches Herz sprach laut und vernehmlich, und so nimmt er es auf seine eigne Verantwortung, mit dem russischen Feldherrn, mit Graf Diebitsch, zum Zwecke einer Vereinigung der Russen und Preußen, zu unterhandeln.

Aber mit Recht mochte er seinen Officieren, die jubelnd diesen Entschluß begrüßten, sagen: »Ihr habt gut reden, Ihr jungen Leute, mir Altem wackelt der Kopf auf den Schultern.« Er selbst jedoch wankte nicht und die Convention von Tauroggen, die er auf eigne Gefahr hin mit den Russen abschließt, sich dadurch verpflichtet auf dem Gebiete zwischen Memel und Tilsit stehen und neutral zu bleiben, wird der Grund- und Eckstein der deutschen Befreiungskämpfe. Sein König zwar verwirft den Vertrag', er entsetzt den rebellischen General seines Commandos, weil er ja äußerlich noch nicht mit Napoleon brechen durfte, vergebens, kein Anderer will den Oberbefehl übernehmen und York ergibt sich darein, für einen Augenblick als Meuterer zu erscheinen. »Mit blutendem Herzen,« so schreibt er, »zerreiße ich die Bande des Gehorsams und führe den Krieg auf eigne Hand, die Armee will den Krieg gegen Frankreich, das Volk will ihn, der König will ihn, aber der König hat keinen freien Willen! Die Armee muß ihm diesen Willen frei machen!« Es war wie er sagte; Jeder der noch deutsch dachte, wollte den Krieg und auch Alexander sprach nun das entscheidende Wort aus, daß er keinen Frieden mit Napoleon schließen werde, ehe auch Deutschland befreit sei. – Königsberg in Ostpreußen ist nun die erste deutsche Stadt, von der die Bewegung ihren Ausgangspunkt nimmt; dort sehen wir jetzt neben York die Männer stehen, die er eigentlich nicht mochte, Stein mit Arndt, deren Hülfe aber jetzt unumgänglich nothwendig ist, denn die Entfesselung der Volkskraft, von Scharnhorst schon lange in der Stille vorbereitet, muß nun die Losung werden. Vorerst wurden jetzt die alten preußischen Landstände, deren Macht einst Preußens Fürsten gebrochen, die sie lange vergessen und vernachlässigt, in dieser Stunde der Gefahr von den Volksmännern wieder herbeigerufen, um dem, was sich jetzt vorbereitete, die gesetzliche Sanction zu geben. Sie beschlossen eine Volkswehr einzurichten, den Landsturm, alle Männer bis zum 60. Jahre aufzubieten und diese mit den regulären Truppen zu vereinigen. So erinnerte man sich in dieser Stunde, als der Geist der Väter neu aufflammte, auch wieder der alten vergessenen Institutionen und sowie das Volk jetzt in Ostpreußen, auf diese gestützt, freiwillig den ersten Schritt zum Widerstande thut, nimmt es auch die ganze Verantwortung dafür auf sich, und schon zu Anfang Februar des Jahres 1813 sehen wir ganz Ostpreußen vom französischen Joche befreit. Mochte man auch am Hofe dies Alles mit Furcht und Schrecken aufnehmen, mochte selbst der König, als er von der Convention erfuhr, in die harten Worte ausbrechen: »Da möchte Einem ja gleich der Schlag rühren!« in der Nation fanden diese Vorgänge den jubelndsten Wiederhall. Napoleon hatte, natürlich im eignen Interesse, – denn noch bestand ja sein Bündniß mit Preußen, und jene muthigen Befreier erschienen als Rebellen, – eine neue Werbung gestattet, und nun bedarf es hier keiner Wiederholung, um den Enthusiasmus zu schildern, welcher sich jetzt erhob, wie Alles sich herbeidrängte, wie der Bürger sein Handwerkgeräthe, der Bauer seinen Pflug, der Gelehrte seine Bücher stehen ließ, um in den »heiligen Krieg« zu ziehen. Die Universitäten und Schulen lösten sich auf, die Frauen eilten herbei, ihren Schmuck, ihre Kostbarkeiten darzubringen, selbst das Köstlichste, was das deutsche Haus bewahrt, die Trauringe wurden geopfert, um Waffen dafür schmieden zu lassen.

Nun zeigte es sich, daß Fichte nicht vergebens an die Herzen seiner Nation angepocht, daß Arndt, Görres, Stein nicht vergebens zu ihm gesungen und gesprochen hatten für Freiheit und Recht! – Schon während dieses Aufschwungs konnte Napoleon vernichtet, konnten die späteren blutigen Kämpfe vermieden werden, wenn die leitenden Gewalten sich in gleichem Sinne thatkräftig und begeistert gezeigt hätten; aber sowie der Blick der Klapperschlange sein Opfer willenlos festhält, so fühlten sich die Fürsten noch unter dem Banne des gewaltigen Mannes. Auch ist nicht zu vergessen, daß bis jetzt nur Preußen und Rußland sich zu dem großen Kampfe entschlossen hatten, daß noch der größte Theil Deutschlands sich in Napoleon's Händen befand und die deutschen Fürsten nach wie vor seine Verbündeten blieben. Besonders hemmend war der Umstand, daß Oestreich, thatlos zuschauend, das freundschaftliche Verhältniß mit Napoleon vollständig aufrecht erhielt. –

Entscheidung brachte endlich jenes Schutz- und Trutzbündniß, welches Rußland und Preußen im März miteinander schlossen, bekannt als der: Vertrag von Kalisch, der ausdrücklich besagte, daß beide Staaten ihre alte Freundschaft erneuert hätten, um Europa frei zu machen. Wie aber die Monarchen es bereits schon bei Abschluß dieses Vertrages in's Auge faßten, auf welche Weise sie nach gewonnenem Siege die alten Gränzen zwischen sich wieder herstellen, wie sie ihre Macht gegenseitig neu regeln wollten, eben so lebhaft dachten Stein und Scharnhorst dabei an Deutschland, und es gelang ihnen denn auch, in jenem Vertrag die politischen Grundsätze geltend zu machen, nach welchen später bei Besetzung und Verwaltung der zu befreienden deutschen Länder verfahren werden sollte.

In Folge dieses Kalischer Vertrags erging nun ein Aufruf an die deutschen Fürsten, das fremde Joch abzuschütteln, verschärft durch eine Androhung des Verlustes ihrer Staaten, wenn dies nicht rechtzeitig geschähe. Die zurückeroberten Länder, deren Fürsten verjagt worden waren, sollten durch einen Centralverwaltungsrath, aus Abgeordneten Rußland's und Preußen's gebildet, vorläufig regiert werden. –

Es war Stein's Gedanke, hier eine Verwaltung zu schaffen, die an die alte Reichseinheit erinnerte, und die Sondersouveränitäten, welche Napoleon so schlau befestigt hatte, möglichst bei Seite schieben sollte. – Dem Aufrufe an die Fürsten folgte das Manifest des Königs von Preußen an sein Volk, welches die Kriegserklärung gegen Napoleon enthielt und in den Worten gipfelte: »Meine Sache ist die Sache meines Volks und aller Gutgesinnten in Europa!«

Nun war der Stein im Rollen; die wundervollen Vorbereitungen und Rüstungen Scharnhorst's, die Vermischung von Landwehr und Militär rückten rasch vorwärts und am 10. März 1813, dem Todestage der Königin Luise, wurde durch die Stiftung des eisernen Kreuzes eine Auszeichnung geschaffen, die in der eisernen Zeit Jeden schmücken sollte, der dem Vaterlande seine Opfer brachte.

Napoleon's Zuversicht jedoch blieb unerschüttert. »Ich bin für außerordentliche Abenteuer geschaffen, eine umgestürzte Welt ist mein Element. Bald werde ich wieder mit 300,000 Mann an der Weichsel stehen!« so schrieb er seinem Bruder Joseph und ordnete eine neue Aushebung von 350,000 Mann an. Die Conscribirten für das Jahr 1814 wurden im Voraus eingestellt, ob auch Frankreich halb in Verzweiflung darüber gerieth, und unübertrefflich haben die französischen Schriftsteller Erkmann-Chatrian uns in ihrem Romane: Erlebnisse eines Conscribirten, die damalige Stimmung des französischen Landvolks geschildert.

Wunderbar jedoch bleibt es immerhin, was Napoleon noch mit diesem mangelhaften Material zu leisten vermochte; dennoch waren die Tage seines Ruhms gezählt. Rasch folgten sich nun die Tage von Möckern, wo zum Erstenmale die überlegene Tapferkeit der Preußen die Franzosen zurückdrängte, von Großgörschen, wo zwar Napoleon das Feld behauptete, die Preußen jedoch mit solchem Heldenmuth gekämpft hatten, daß ein Augenzeuge erzählte: »Selbst die Todten lagen da, mit verklärtem Antlitz, sie waren mit dem Gefühle aus der Welt gegangen, daß sie ihr Vaterland und sich selbst gerächt!« –

Auch bei Bautzen blieb Napoleon Sieger, aber er konnte mit Pyrrhus sagen: Noch solch ein Sieg und ich bin verloren! – Der Abschluß eines Waffenstillstandes vom 4. Juni bis 20. Juli war die nächste Folge dieser Kämpfe, und er gab den Preußen willkommene Zeit zu neuen Rüstungen. – Falsch und zweideutig hatte sich bis dahin Oestreichs Haltung gezeigt; der kalte, engherzige Metternich, der Diplomat aus der Schule des 18. Jahrhunderts, wollte nichts, keinen Sieg, keinen Erfolg, durch das Volk. Immerhin konnte er sich nicht verhehlen, welche Gefahren für Oestreich der Vertrag von Kalisch in sich barg; der Waffenstillstand bot ihm wieder einmal die günstige Gelegenheit, die Rolle des Schiedsrichters und Vermittlers zu spielen. Die Centralverwaltung war natürlich Oestreich ein Dorn im Auge; spottend nannte man in Wien den Freiherrn v. Stein den »deutschen Kaiser«. Doch entschloß man sich endlich zum Beitritt und durch den Vertrag zu Reichenbach schloß sich Oestreich dem Bündniß Preußens und Rußlands an, für den Fall, daß kein Friede zu Stand gebracht werden könne. So mußten denn abermals die Waffen ruhen und man griff zu dem beliebten Mittel eines Congresses, der in Prag zusammentreten und bis zum 10. August die Entscheidung bringen sollte. Dieser Congreß war bereits todt in der Geburt. Napoleon wollte keinen Frieden, oder nur einen solchen, der ihm nichts von seinen Eroberungen raubte, und auch die deutschen Patrioten wollten ihn nicht. Herzklopfend sah man dem 10. August entgegen, an welchem Tage Napoleon sich entschließen mußte, und wovon Oestreichs Beitritt zu der Allianz abhing. Dieses Mal wurden alle diplomatischen Ränke durch die Entschlossenheit des preußischen und des russischen Gesandten vereitelt. Als die Mitternachtsstunde schlug, legten W. v. Humboldt und Amstett ihre Vollmachten nieder und lodernde Feuer auf den Bergen verkündeten es ringsumher, daß Deutschland von einem neuen ehrlosen Frieden gerettet sei. Stein's größere Zuversicht auf Napoleon's »Uebermuth und Brutalität«, als auf die Gesinnung des Kaiser Franz hatte sich bewahrheitet. –

In Preußen standen nun 100,000 Mann schlagfertig! Wachsende Begeisterung zeigte sich im Heere, und so wie einst die Gesänge der Barden die alten nordischen Helden anfeuerten, so schlugen Körner, Arndt, Schenkendorf begeistert in die Saiten, Rückert schreibt seine »geharnischten Sonette«, eine Masse von Flugschriften und Spottliedern ergossen sich von allen Seiten und nur Goethe, ergriffen von der dämonischen Genialität Napoleon's, schon den Heros späterer Heldengedichte in ihm voraussehend, stand kleinmüthig zur Seite und brach in die Worte aus: »Schüttelt nur Eure Ketten, der Mann ist Euch zu groß, Ihr werdet ihn nicht klein machen!« – Und doch – wäre im Lager der Verbündeten dieselbe einheitliche Führung gewesen, wie bei den Franzosen, hätte die Diplomaten, die Minister und die auswärtigen Feldherren nur zur Hälfte die Begeisterung durchdrungen, wie sie jetzt bald das ganze deutsche Volk durchglühte, so hätte sich sein Schicksal schon in kurzer Zeit erfüllt. Gegen ihn verbündet sehen wir jetzt Preußen, Oestreich, Rußland, England und Schweden; die Hülfstruppen des letzteren Staates unter Führung des Kronprinzen Bernadotte, des früheren Waffengefährten Napoleon's. Das geistige Einheitsband aber für alle, einander noch sehr widersprechenden Elemente, waren Stein, York, Bülow, Gneisenau, Blücher und deren Freunde; Alle sahen sich überwunden und fortgerissen durch den kühnen, opferfreudigen Enthusiasmus dieser edlen Männer. Scharnhorst war leider schon ein Opfer des Kriegs geworden, aber sein Geist lebte fort in den Genossen, und unerschüttert wie jener rief Bülow dem schwachmüthigen und verrätherischen Bernadotte zu, der nur darauf bedacht war, jedes Zusammentreffen mit den Franzosen zu vermeiden: »Unsere Knochen sollen vor Berlin bleichen, nicht rückwärts!« Als jetzt wieder Napoleon mit seiner Hauptmacht gegen Berlin her vorrückte, errangen die Preußen ganz allein den herrlichen Sieg bei Großbeeren, und verlegten damit den französischen Truppen den Weg nach der Hauptstadt. Es war vornehmlich die preußische Landwehr, die sich bei diesem Treffen glänzend hervorthat und wie Bülow hier in der Brandenburger Mark, so fochten York und Blücher in Schlesien, die Russen in Böhmen. – Der Sieg an der Katzbach, den Blücher's Grenadiere errangen, die furchtbare Schlacht bei Kulm, welche die Russen, unterstützt durch Preußen und Oestreicher, lieferten, wogen die Niederlage bei Dresden auf, welche Fürst Schwarzenberg, der östreichische Feldherr, mit dem Gros der Armee dort erfahren hatte. – Fast in denselben Tagen rettete Bülow ein zweitesmal die preußische Hauptstadt, indem er Ney bei Dennewitz schlug, und Muthlosigkeit bemächtigte sich jetzt selbst der Tapfersten in Napoleon's Heere. In 15 Tagen, vom 23. August bis 6. September hatte man 8 blutige Schlachten geschlagen; selbst in Sachsen, wo der feige König fort und fort zu Frankreich hielt, war Napoleon besiegt worden, und von Baiern bis nach Neapel zeigte man sich bereit von ihm abzufallen. –

Aber alles dieses war nur das großartige Vorspiel der großen Entscheidungsschlacht, die sich nun vorbereitete.

Vor Dresden stand Napoleon beinahe gefangen, er konnte nicht vor- noch rückwärts, und in ohnmächtigem, vergeblichem Zorne knirschte er: »Les animaux ont appris quelque chose!«

Auch den kleinen Krieg hatte man inzwischen mit Glück geführt; Westphalen war gesäubert, Jérôme von Kassel verjagt, und Bremen befreit worden. Nun begann die Zeit der Thätigkeit für die Centralverwaltungsbehörde, aber sie war ja von vornherein Oesterreich ein Dorn im Auge, und auch England und Schweden sahen sauer dazu, Ersteres wegen seiner Beziehungen zu Hannover, Letzteres besorgt um die Herrschaft an der Ostsee. Schon jetzt war in den Cabinetten die Zusage gegeben worden, daß die Theilnahme der Nation an dem Kampfe möglichst ignorirt werden müsse, und Gentz, Metternich's characterloser, aber vielgewandter Geheimsecretär, durfte bald schon den Ausspruch wagen: »Nur die hohe Eintracht der Cabinette habe Deutschland seine Freiheit wiedergegeben.« – Am 9. September schlossen Oesterreich, Preußen und Rußland den Vertrag zu Teplitz, durch welchen sie sich verpflichteten, nur gemeinsam Frieden zu schließen, eine erfreuliche Kunde für Deutschland, aber sorgsam hütete man dabei das Geheimniß einer Anzahl von geheimen Artikeln. Die schwerwiegendsten von diesen betrafen die Wiederherstellung der österreichischen und preußischen Monarchien, wie sie zur Zeit vor 1805 gewesen, weiter die Auflösung des Rheinbundes, sowie die völlige und unbedingte Unabhängigkeit der zwischen Preußen und Oesterreich, wie zwischen Rhein und Alpen liegenden deutschen Gebiete. Damit war denn nun die Kleinstaaterei auf's Neue verewigt, damit eine feste, politische Verbindung Deutschlands, wie Stein und seine Freunde sie erstrebten, – bei Seite geschoben – damit einer der giftigsten Drachenzähne, den Metternich's feile Politik in die junge Saat des nationalen Aufschwungs einzustreuen sich bemühte, ausgeworfen. Er träumte jetzt schon von dem späteren »Bundestage« und äußerte sich in diesem Sinne gegen den preußischen Minister Hardenberg: »Wir haben es nur mit den Fürsten, nicht mit den Völkern zu thun!« – Es ist einer der tragischsten Momente in der Geschichte jener Tage, daß im selben Augenblick, wo Deutschland alles opferte, was es irgend besaß, wo es sein innerstes Herzblut verspritzte, ihm der Preis des Sieges bereits durch »geheime Artikel,« vorweggenommen war. – Auch fehlte es schon damals nicht an verdammenden Urtheilen darüber, der Mund des englischen Bevollmächtigten, des Grafen Münster sprach es unverhohlen mit den Worten aus: »Das Schicksal der Deutschen würde höchst zu beklagen sein, wenn sie künftig dem Willen kleiner Despoten unterworfen sein sollten. Sollte diese Souveränität für das arme Deutschland beliebt werden, so wäre ich bereit, mich auf die Seite der Revolutionärs zu schlagen. Der brave Stein hat Ursache finster auszusehen!« so äußerte sich ein Mann, der selber ein Vollblut-Aristokrat gewesen.

Noch fehlte im Bunde ein wichtiger deutscher Staat, nämlich Baiern; man gewann es durch den Vertrag von Ried –; welcher Baiern zwar verpflichtete, Truppen zu stellen, aber ihm das eigne Commando darüber gestattete, und als wichtigste Bedingung mußte ihm noch obendrein die Aufrechthaltung vollständiger Selbstherrschaft zugesagt werden. – Der Beitritt Baierns war natürlich das Signal zur Sprengung des Rheinbundes, aber durch die Bedingungen, die man diesem Staate gewährleistete, war zugleich eine Neugestaltung Deutschlands vollends unmöglich gemacht. – Ohne Ahnung von diesen Ränken waren die Kämpfer, die sich jetzt näher und näher um Leipzigs Wälle schaarten, wo in den Octobertagen von 1813 die große Völkerschlacht entbrannte, deren Erinnerung allein mehr als einmal hinreichen mußte, selbst in den trübsten Tagen der Zukunft die Hoffnung auf Deutschlands einheitliche und freiheitliche Entwicklung neu zu heben und zu kräftigen. – Es ist überflüssig, dieselbe hier wiederholt zu schildern, denn wer kennt sie nicht, diese drei Tage des größten Heldenmuthes, der zähesten Ausdauer von beiden Seiten! Ohne Einfluß auf den Gang der Schlacht war der Uebertritt der sächsischen und würtembergischen Truppen, unendlich größer jedoch der moralische Eindruck, den er hervorbrachte. Es blieben jetzt bei Napoleon nur noch die kleinen deutschen Contingente; Polen, Badenser und Hessen-Darmstädter besetzten als Nachhut die eroberte Stadt, und deckten den abziehenden Franzosen den Rücken; leider – man wollte eben Napoleon nicht ganz vernichten – wurden sie keineswegs nach dem glänzenden Siege so verfolgt, wie die Tapferen im preußischen Hauqtquartiere es verlangten. – An die furchtbaren Opfern die dieser Kampf gekostet brauche ich nicht zu erinnern; auf beiden Seiten war die Lage der Verwundeten und Kranken, die man damals noch nicht mit solchen Mitteln zu unterstützen wußte, wie heute, trotz dem Opfermuthe vieler Frauen und Männer, geradezu herzzerreißend. Sterbend lagen Tausende auf den Straßen, nicht Leipzig's allein, sondern alle die Heerstraßen entlang, welche die Franzosen in eiligster Flucht durchmaßen. Erst in Frankfurt und Mainz genossen sie einen Augenblick der Ruhe, nachdem sie noch eine letzte Schlacht im Lamboywalde bei Hanau geschlagen, wo der baierische General Wrede mit seinen Truppen Napoleon den Weg zu verlegen suchte, und ihm dabei persönlich gegenüberstand. Trotz der tapfersten Gegenwehr wurden die Baiern geworfen; Napoleon war voll des grimmigsten Zornes auf den König von Baiern, und ließ sich über ihn in den Worten aus: »Ich werde ihn nächstes Jahr wiedersehen und er soll mir an seinen Treubruch denken. Er war ein kleiner Fürst, den ich groß gemacht, ich werde wieder einen kleinen aus ihm machen!«

Der Sieg bei Hanau gestattete ihm, in Frankfurt zu rasten, und dort sein Hauptquartier aufzuschlagen; noch führte er 70,000 Franzosen mit sich, deren Reihen jedoch die Typhusepidemie, welche sich von da über ganz Deutschland verbreitete, furchtbar lichtete. – Immerhin gebot er noch über eine ansehnliche Macht, denn in den Festungen zwischen Rhein und Weichsel lagen 190,000 Mann mit vielem Geschütz und unermeßlichem Material, ebenso befand sich Hamburg noch in den Händen von Davoust, der dort hauste, wie der böse Feind. Auf die deutschen Verbündeten aber durfte er nicht mehr zählen, trotzdem man an den Höfen von Würtemberg, Baden und Hessen noch immer sehr napoleonisch gesinnt war. Der Großherzog von Baden drückte sogar sein lebhaftes und ausdrückliches Bedauern darüber aus, daß er wieder ein »deutscher Fürst« werden mußte. – Man wollte immer noch nicht an Napoleon's Niederlage glauben, und erst am 2. Nov. schloß Würtemberg mit Metternich seine Verträge ab, die ihm gleichfalls volle Souveränität garantirten.

Der Großherzog von Hessen blieb noch hartnäckiger; er hatte sich bei dem Heranrücken der Verbündeten nach Mannheim geflüchtet, fast unter den Schutz der Franzosen, während sein Minister Du Thil doch klugerweiser bereits mit dem baierischen General Wrede darüber unterhandelte, auf welche Weise sich der Herzog mit den Verbündeten werde vergleichen können. Die erste Bedingung war natürlich der Austritt aus dem Rheinbunde; aber der Großherzog zögerte so lange, daß nun unter dem Drange der Verhältnisse Du Thil dem General Wrede auf das Schlachtfeld von Hanau nachreisen mußte, wo man eiligst auf einer Trommel eine Militärconvention zwischen Hessen und den Verbündeten unterzeichnete, die den Bestand des Großherzogthums rettete. – Von großer und schlimmer Bedeutsamkeit aber war es, daß sich die Rheinbündler unter Metternich's, nicht unter Preußens Obhut begeben hatten, daß sie mit Ersterem ihre Verträge abschlossen. –

So sah sich nun der größte Theil Deutschlands von der französischen Herrschaft befreit; die Centralverwaltung konnte endlich ihre Thätigkeit beginnen, aber mit der Sprengung des Königreichs Westphalen kehrten jetzt die alten Regierungen, aus deren Landestheilen dieses »lustike royaume«, war zusammengewürfelt worden, zurück. – Und wie kehrten sie zurück, diese Hannoveraner, Braunschweiger und Hessen-Kasseler – einzig und allein von dem Gedanken erfüllt, das Alte, das Ungerechte und Gestürzte, wieder neu aufzurichten, ganz ebenso wie es gleich nach ihnen die Bourbonen auf dem Boden Frankreichs versuchten. In Hannover, das jetzt wieder unter einer besonderen Regierung mit England verbunden wurde, führte man die Stockprügel, den Juden-Leibzoll, das Gassenlaufen u. s. w. wieder ein. In Hessen-Kassel begegnen wir einem ähnlichen Verfahren; es ging dort jetzt schlimmer zu, als einst im alten Feudalstaate. Mit Recht jammerte Arndt der in Hannover waltete: »Die hannöver'sche Politik scheint aller Lehren, welche die letzten 13 Jahre mit so blutiger Schrift vorgezeichnet, zu vergessen, und nährt den jammervollen Glauben, sie könne einen hannövrischen Staat bilden, und ohne Deutschland, unter Englands Schutz mächtig dastehen –«, während Stein bezüglich des Kurfürsten von Hessen, schreibt: »Gebt mir Kanonen, mit Vernunftgründen ist bei dem nichts auszurichten!« –

Es war eine Sisyphusarbeit die dem Centralverwaltungsrath auferlegt war, mit diesen Elementen fertig zu werden, unter diesen Verhältnissen die Volkswehr in den neu befreiten Ländern einzurichten. Wir aber erblicken in diesem Gebahren bereits die Keime einer Politik, die Deutschland noch so lange hinaus elend und unfrei machen, und sich endlich erst in unsern Tagen selber richten sollte. – Schändlich war vornehmlich die Apathie der Rheinbundstaaten bezüglich der Lazarethe. Soldaten, die nicht zu ihrem Duodezstätchen gehörten, ließ man auf den Straßen liegen, in Hunger und Noth verkommen, und wir mögen gerne an solchen Beispielen ermessen, in welchem Grade seitdem das Humanitätsgefühl sich entwickelt hat. –

Im großen Hauptquartier in Frankfurt hatten sich inzwischen die Monarchen eingefunden; Napoleon war über den Rhein entwichen, trotz der Verzweiflung der preußischen Generale, denn man konnte, wenn man ihn rasch verfolgte, den Krieg noch im selben Jahre beenden. Nun versäumte man wieder die beste Zeit mit Friedensvorschlägen, man war thöricht genug, Napoleon als Grenzen die Pyrenäen, die Alpen und den Rhein belassen zu wollen. Es wäre entsetzlich für Deutschland gewesen, wenn er diesen Frieden angenommen. Mächtiger, als zuvor, stand er alsdann da, im Besitze eines Reiches, dessen räumliche Ausdehnung sich beherrschen und übersehen ließ. Aber dies genügte ihm nicht und sein Zaudern ließ Stein, Gneisenau, Blücher und den andern Patrioten Zeit, Kaiser Alexander zu bearbeiten. Arndt veröffentlichte damals seine berühmte Brochüre: »Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze,« und rief damit ein tausendstimmiges Echo wach; selbst England trat zuletzt den deutschen Männern bei, während Kaiser Franz und Friedrich Wilhelm die Sache gehen ließen. So wurde denn nun endlich die französische Invasion und Napoleons Entthronung beschlossen.

Blücher wollte natürlich gradewegs nach Paris marschiren, die Gesammtmacht der Verbündeten betrug 6-700,000 Mann, aber Fürst Schwarzenberg, der österreichische Feldmarschall, welcher die »große Armee« führte, konnte sich nur zu einem Zug nach dem Plateau von Langres entschließen. So brachte denn die Vielköpfigkeit im Lager der Verbündeten, ihr Zaudern, ihre Langsamkeit, die stete Beeinflussung durch diplomatische Ränke, noch ein blutiges Nachspiel des Krieges in Frankreich selbst zu Wege, und doppelt haben wir uns darum Glück zu wünschen, daß wir 1870 für uns allein kämpften, nur auf die eigne Kraft gestellt. –

In der Neujahrsnacht 1814 ging nun der wackre Marschall »Vorwärts« über den Rhein, und bis wo die Sprachgränze beginnt, empfängt ihn und seine Truppen der unermeßliche Jubel der Bevölkerung! Von der Armee aber, die er führte, konnte man mit Recht sagen, daß in diesem Augenblick ganz Deutschland in ihr enthalten war, und begeistert schrieb General Müffling einem Freunde: »In unserer Armee ist ein herrlicher Geist, selbst in den russischen Körpern fängt an, so ein Ding zu krabbeln, was am Ende Enthusiasmus werden könnte!« Von diesem Enthusiasmus war leider im Hauptquartier wenig zu spüren; desto mehr regte sich unter den unterdrückten Völkern jenes Gefühl, welches eine Sühne für die langjährigen Schmerzen verlangte. Niemand spricht dies kräftiger und drastischer aus, als der alte Blücher, wenn er auf die Vertröstung hin, daß Napoleon an den französischen Partheiungen zu Grunde gehen werde, antwortete: »Die Schlechtigkeit der Franzosen ist für uns keine Revanche! wir müssen ihn herunterwerfen, wir!« Aber noch manchen blutigen Strauß hatte bis dahin der alte Haudegen zu bestehen, noch manchmal mußten die deutschen Truppen hier und dort geschlagen vor dem genialen Feinde zurückweichen.

Am 10. und 11. Februar lieferte Napoleon die Schlacht von Montmirail, seine letzte große Waffenthat, und wieder schwoll die Friedenswoge im Lager der Verbündeten hoch an, und wieder verwarf der verblendete Cäsar die günstigsten Bedingungen, denn schon sah er sich im Geiste wieder an der Weichsel stehen, und als Schwarzenberg nun auch noch thörichter Weise einen Waffenstillstand verlangte, hoffte Napoleon auf's Neue, den Kaiser Franz zu berücken, ihn von seiner Allianz loszulösen, oder dieselbe wenigstens zu sprengen. An Kaiser Alexander scheiterte auch jetzt wieder seine Arglist, derselbe erklärte wiederholt: »Ich werde nicht Frieden schließen, so lange Napoleon auf dem Throne sitzt!« Nun endlich erlaubte man Blücher, auf eigne Hand etwas gegen Paris zu unternehmen, und dieß wurde die entscheidende Bewegung des Krieges. Auch Schwarzenberg sah sich jetzt gezwungen, auf Blücher's Plan einzugehen, und so reichten sich die beiden Heere vor Paris die Hand, welches damals, wie bekannt, noch nicht befestigt war.

Nun war endlich Gneisenau's heißer Wunsch, sein wohldurchdachter Plan erfüllt, und seine Worte bewahrheiteten sich: »Mit Paris hat man die Meinung von ganz Frankreich gefesselt; mit dessen Unterwerfung ist das ganze moralische und physische Vertheidigungssystem des Landes gelähmt!«

Als Napoleon sich jetzt auch eilends nach seiner Hauptstadt hinwendete, kam der Rasche dieses mal zu spät; schon von Weitem leuchteten ihm die Wachtfeuer der Verbündeten entgegen, die im Nordwesten Paris umlagerten, und er zog sich eiligst nach Fontainebleau zurück, während der König von Rom und die Kaiserin Maria Luise nach Tours gebracht wurden. –

Am 30. März wurde dann die Schlacht bei Paris geschlagen, welche die Stadt in die Hände der Sieger lieferte, und wobei der Hauptkampf sich um den Montmartre und das Gehölz von Vincennes bewegte. – Zwar standen dort die Arbeiter des Faubourg St. Antoine kampfbereit, aber die Pariser Bourgeoisie zitterte für ihre Häuser im Fall eines Straßenkampfes, und so wurde in Eile capitulirt und die Stadt übergeben Durch die Rue St. Antoine zogen die deutschen Kämpfer ein, in die Kapitale, von der so viel Unheil über Deutschland ausgegangen – es war ein großer, ein heiliger Moment – ein Augenblick, wo die erhabnen Gefühle der Menschheit rein und unverkümmert die Herrschaft ergreifen, und auch den Kleinlichsten und Engherzigsten davon überzeugen, daß eine höhere Sittlichkeit die Welt regiert. »Was Patrioten träumten und Egoisten belächelten, ist geschehen,« so schrieb Gneisenau in der Freude seines Herzens in die Heimath, und Häusser, der klassische Historiker jener Epoche sagt: »Es war ein Augenblick, wie sie sich im Laufe von Jahrhunderten nicht wiederholen!« Und doch sollten wir es erleben, wie ein solcher Moment noch im selben Jahrhundert, unendlich glänzender und erhebender zurückkehrte! –

Am 31. März hielten Kaiser Alexander und Friedrich Wilhelm ihren feierlichen Einzug in die Stadt; auf dem Place de la Concorde, in den Champs élysées paradirten vor ihnen die Garden in vollem Glanze. Kleist und York aber, die mit ihren Truppen das Ungeheuerste geleistet, sie mußten um die Stadt herum ziehen: »Sehen schlecht aus, schmutzige Leute,« so äußerte sich Preußens König über seine Tapferen, mit denen freilich nach so schweren Kämpfen kein Staat mehr zu machen war. –

Während nun die wankelmüthigen Pariser die Verbündeten jubelnd empfingen, und die Emigrantenparthei, die französischen Lilien mit Ostentation zur Schau tragend, sich in unanständiger Hast deren Triumphzug anhing, weilte Napoleon in Fontainebleau, seine letzte Hoffnung auf die 50,000 Mann setzend, welche Marmont noch befehligte, dabei von Stunde zu Stunde neue Hoffnungs- und Rettungspläne schmiedend.

Aber er sollte den Kelch, den er selbst sich zubereitet, bis zur Neige leeren, sollte nun an sich selbst erfahren was es heißt, Treubruch üben und den Freund verrathen. Alles fiel von ihm ab und wendete sich den neuen Sternen zu, während Marmont, der Herzog von Ragusa schon lange mit dem Feinde unterhandelt hatte. Ein Regiment nach dem Andern zog von Fontainebleau ab, nur seine Garden umringten noch den gefallnen Mann, und auch von diesen mußte er einen letzten, ergreifenden Abschied nehmen, nachdem er am 12. April, durch die eiserne Nothwendigkeit dazu gezwungen, seine Abdankung unterzeichnet und mit einem Federzug Alles vernichtet hatte, was er in unersättlichem Ehrgeiz, mit Blut und Leichen und Menschenelend zusammengekittet. Napoleon konnte der Wohlthäter der ganzen civilisirten Menschheit werden, und er ward ihre Geißel, er kam im Namen eines neuen Geistes, einer neuen Weltanschauung und er benutzte seine Macht zur Wiederherstellung und Stütze des Alten, des Verrotteten und Abgelebten. Darum wurde auch jetzt dem Gewaltigen, der die Fürsten Europen's zwar unter seine Füße getreten, sie aber zugleich, damit sie ihm wirksamer dienten, zu Satrapen und Despoten gemacht, ein verhältnißmäßig mildes Loos zu Theil, bei dessen Bestimmungen die Klugheit nicht den Vorsitz führte. Man bewilligte ihm eine Jahresrente von zwei Millionen, die Souveränität über die Insel Elba, und vierhundert Soldaten Leibgarden. Für seine Familie sollte besonders gesorgt werden. – Viel zu wenig um dem Ehrgeiz dieses Mannes zu genügen, war dies gerade genug, ihm Spielraum für neue Conspirationen und Pläne zu lassen, die nur zu bald Europa auf's Neue erschüttern sollten.

Deutschland aber hatte damit die Aufgabe seiner Befreiung von der Fremdherrschaft gelöst; wieder stand es auf eignen Füßen, nun galt es darum, sich auch innerlich frei zu machen, die geschlagenen Wunden zu heilen und neue Bahnen des Fortschritts aufzusuchen. – –

Zweite Vorlesung

 Der Wiener Congreß. Rückkehr Napoleon's. Die hundert Tage. Waterloo

Der Befreiungskampf war beendigt, Napoleon gestürzt und persönlich beseitigt, zwar, wie wir gehört, mit wenig staatsmännischer Klugheit und Voraussicht, immerhin – das Feld war rein und man konnte und mußte daran denken, in Deutschland wie in Frankreich, auf einem von zwanzigjährigen Kriegen und Schlachten ausgesogenen und zertretenen Boden, neue Bedingungen des Lebens und der Fortentwicklung hervorzurufen. Man mußte suchen, Organisches zu schaffen, welches weiter wachsen und gedeihen konnte, aber dies hatte zu geschehen in einem Augenblick, da die Ideen, welche die französische Revolution in die Welt geworfen, noch im heftigsten Kampfe mit der veralteten und erschütterten, aber noch fest bestehenden Tradition des 18. Jahrhunderts, lagen. Aufgehalten und vertagt waren diese Kämpfe worden durch die Erscheinung Napoleon's, aber wie der Samen gewisser Pflanzen sich an die Sohle des Auswanderers heftet, und an weit entfernten Stätten, wo man sie früher nicht gekannt, aufsprießt, so hatten Napoleon's siegreiche Heere den Samen der Revolutionsideen über ganz Europa getragen und nur der äußersten Gewalt konnte es gelingen, diese wieder auszurotten, das Alte, wenn auch nur theilweise, neu herzustellen, unterstützt durch die natürliche Ermattung, die auch über die Völker gekommen war. Zunächst tritt uns nun dieser Umwandlungs-Prozeß in Frankreich entgegen. – Als die Verbündeten dessen Gränzen überschritten, geschah es ohne klare und bindende Uebereinkunft zwischen ihnen, was nach Napoleon's Entfernung mit dem Lande werden sollte. »Wir führen Krieg gegen Napoleon, nicht gegen Frankreich«, war die unselige und für Deutschland bei dem Friedensschlusse so verderbliche Politik, die sich bei Kaiser Alexander, der ja die Haupttriebfeder von Napoleon's Entfernung war, geltend machte. – Als ob nicht Frankreich Napoleon's Siegen und Triumphen zugejauchzt, als ob es nicht bis zuletzt, und bis zur äußersten Erschöpfung, unter sklavische Furcht gebeugt, aber immer wieder durch das Trugbild der französischen »gloire« geblendet, ihm die Mittel für seine Schlachten und Kriege geliefert hätte. –

Wie sehr also Frankreich geschont wurde, werden wir gleich bei dem Abschlusse des Pariser Friedens sehen; im Uebrigen gab Paris jetzt den Ausschlag für das Verhalten des ganzen Landes, bezüglich der Persönlichkeiten, die das Erbe des Kaiserreichs antreten sollten. Die Würfel fielen zu Gunsten der Bourbonen, der Brüder und des Neffen des hingerichteten Königs Ludwig XVI. Man kann nicht sagen, daß die Verbündeten unter dem Schutze ihrer Waffen Frankreich die alte Dynastie geradezu aufgedrängt hätten; dieselben wußten nur die Umstände schlau für sich zu benutzen. – Zuerst war beabsichtigt, eine Regentschaft der Kaiserin für den kleinen Sohn Napoleon's, und Enkel des Kaisers von Oestreich, den König von Rom, einzusetzen, nur mußte man schnell einsehen, wie schwankend solche Regentschaftsregierungen sind, und Rußland hatte überdem seinen besonderen Throncandidaten in der Person Bernadotte's, des schwedischen Kronprinzen, der nicht umsonst die feindlichen Berührungen mit seinen Landsleuten so sehr gescheut hatte –, denn seinem Ehrgeize däuchte die Kaiserkrone ganz eben so erreichbar, wie sie es Napoleon gewesen war. Aber bald wurde seiner kaum noch gedacht, denn als es zu ernstlichen Verhandlungen über die Thronfolge kam und dabei auch Bernadotte genannt wurde, meinte Talleyrand mit Recht, wenn man einen Soldaten zum Regenten wolle, so werde man den Größeren vorziehen. – Mit Talleyrand habe ich nun die Persönlichkeit genannt, welche jetzt die Karten mischte, und die sich vollkommen als der Mann der Situation herausstellte, mit dem schlauen, verschlagenen Wesen, das ihn charakterisirte und das schon seit den Tagen der großen Revolution, mit jeder Welle zu treiben, mit jedem Winde zu segeln wußte. So hatte der jugendliche Bischof von Antun einst die Messe am 14. Juli 1791 celebrirt, bei dem großen Constitutions- und Föderativfeste, welches das neue Band zwischen Ludwig und seinem Volke besiegeln, den Krater der Revolution schließen sollte; aber als es dann so ganz anders kam, wußte der frivole Mund, der jene Messe gelesen, sich stets mit geschmeidigem Wort oder mit undurchdringlichem Schweigen durch alle Phasen der schrecklichen Zeit durchzuschmeicheln, die jenem Feste folgten, bis er endlich dem siegreichen Consul Bonoparte im Palaste des Luxemburg, nach dessen Rückkehr von Aegypten, wieder die überschwenglichste Lobrede halten konnte, und von da an dessen schlauester und ergebenster Rathgeber blieb. Kam es trotzdem im Jahre 1809 zum Bruche zwischen Talleyrand und dem Kaiser, so fürchtete und schätzte ihn doch der Letztere genügend, um ihn in der Stunde der Gefahr in seinen neuen Regentschaftsrath zu berufen. Jetzt aber, da für Napoleon Alles verloren war, und die Kaiserin gegen Talleyrand's ausdrücklichen Willen Paris verlassen hatte, erblickte er nur noch in der Herrschaft der Bourbonen, nicht so sehr die Rettung für Frankreich, als diejenige für sich selbst und für Alle, die ihm ähnlich waren. Es ist interessant, wie Talleyrand noch am Ende seines sehr langen Lebens, seine verschiedenen Wandlungen mit den Worten zu beschönigen suchte: »Er habe keine Regierung früher verlassen, als diese sich selbst,« wozu er noch den Witz fügte, »nur ein wenig früher als die Andern, da meine Uhr etwas vorging.« – Sein Scharfsinn, der ihn manchmal die Sprache der Kassandra gegen Napoleon hatte erheben lassen, brachte ihn nun nach dessen Sturz vollends in den Ruf eines Orakels, und so stand man auch jetzt nicht an, seine Stimme, die sich für die Bourbonen erhob, als die Stimme Frankreichs zu betrachten. Der Senat, nachdem er Napoleon's Absetzung beschlossen, rief die Bourbonen zurück, durch »die Stimme des Volks«, wie man sich ausdrückte, und sie kamen, mit Freuden, aber so wie es ihrem Sinn entsprach, nicht auf den Ruf des Volkes, sondern nach ihrem »heiligen, angestammten Recht«. Kraft dieses Rechtes, keineswegs durch »freie Wahl«, glaubten sie sich zu neuer Herrschaft berufen. – Zuerst erschien der Graf Artois, und, der Sachlage entsprechend, ließ er sich noch durch Rußland bestimmen, wenigstens seine eigne Ernennung zum Reichsstatthalter durch den Senat, anzuerkennen. Dies war der vorbereitende Schritt zur Herstellung des bourbonischen Königshauses, und war er auch nicht geradezu von den Verbündeten ausgegangen, so hatte ihnen doch die Verkettung der Umstände kaum einen andern Ausweg gelassen, als den, auf das alte Königshaus zurückzugehen, dessen Repräsentanten leider nichts gelernt und nichts vergessen hatten. Die Extravaganzen seiner fanatischsten Anhänger hatten schon bei dem Einzug der Monarchen zur Genüge gezeigt, welche Elemente sich jetzt wieder in den Vordergrund drängten. Die Herzogin von Dino auf der Croupe eines Kosaken reitend, das Kreuz der Ehrenlegion an den Schwanz eines Pferdes gebunden, auf dem ein vornehmer Emigrant paradirte, die Schaustellung der Lilien und die der weißen Fahne des heiligen Ludwig, welche das französische Volk im heiligen Feuer mit der Tricolore vertauscht hatte –, dieß Alles stimmte mit der Weigerung des Grafen von Artois, diese Tricolore, unter der Frankreich seine Freiheit und seine »gloire« erfochten hatte, aber unter der seine Verwandten geblutet hatten, anzunehmen.

Indessen wurde jetzt mit dem Grafen, während dessen älterer Bruder, der Graf von Provence sich nach und nach anschickte, als Ludwig der Achtzehnte sein Königreich anzutreten, ein Waffenstillstand und dann der erste Pariser Friede abgeschlossen, ein Friede, der Deutschland in keiner Weise zufrieden stellen konnte. – Rußland wie England war es bei diesem Friedensschlusse sehr gleichgültig, ob Deutschland dadurch wieder zu seinen, im Revolutionskriege, im Elsaß sowohl wie in Lothringen verlornen Gränzen kommen sollte, überdem hofften die beiden Mächte, die schwierige Lage des neuen Königthums sicherer zu befestigen, wenn Frankreich einen Theil seiner Eroberungen behielte. – Hatte man in Paris Napoleon auch fallen lassen, das was er gewonnen und erobert, wollten die Franzosen darum doch nicht wieder herausgeben. Eben so wenig dachten die beiden genannten Mächte daran, Entschädigung für die ungeheueren Requisitionen, die Plünderung der deutschen Hauptstädte, die furchtbaren Kriegssteuern, die unserm Vaterlande auferlegt waren, zu fordern; nicht einmal die geraubten Kunstschätze holte man zurück. Einzig und allein die Trophäen, welche den Dom der Invaliden schmückten, die Bücher und Handschriften der Wiener Bibliothek, sowie die Victoria vom Brandenburger Thore zu Berlin wurden wieder nach Hause gebracht. Heute noch besitzt Paris auf seiner Bibliothek eines der kostbarsten Monumente mittelalterlicher deutscher Kunst, jene Gedichtsammlung unserer alten Minnesänger mit Miniaturmalereien auf Pergament, bekannt unter dem Namen der Manesse'schen Sammlung, welche die Franzosen gleichfalls weggeraubt. –

Preußen, das in diesem Kriege die größten Opfer gebracht, das die treibende Kraft desselben gewesen war, hatte am meisten Ursache, sich zu beklagen. Seine Staatsmänner wünschten und verlangten eine Entschädigung Preußens durch Abtretung des Königreiches Sachsen, dessen König durch sein verblendetes Festhalten an Napoleon auch noch nach dem Manifest von Kalisch sein Land offenbar verwirkt hatte. In leichtsinnigster Weise jedoch versäumte der Staatskanzler Fürst Hardenberg, dies allsogleich geltend zu machen, und als Preußen nun endlich für die furchtbaren Erpressungen Napoleon's 140 Millionen Franken Entschädigung forderte, sowie einen Ersatz von 132 Millionen für die furchtbare Bürde des Truppen-Durchmarsches im Jahre 1812, geberdete sich das neue französische Königthum so trotzig, daß die übrigen Mächte Preußen mit seiner Forderung allein stehen ließen. So wurden denn auch schließlich, bei dem Friedenstractat Frankreich die Gränzen von 1792 bewilligt, nebst einer Abrundung an der belgischen, deutschen und savoyischen Gränze. Es verblieb ihm somit gegen früher eine Vergrößerung von 150 Quadratmeilen mit 450,000 Einwohnern. – Anstatt wenigstens Straßburg zurück zu nehmen, überließ man Frankreich auch noch alle jene Besitzungen, welche die geistlichen und weltlichen Herren am Rhein und Main vor der Revolution im Elsaß und in Lothringen besessen hatten. Endlich wurde bezüglich der inneren Verhältnisse Deutschlands bestimmt, daß die deutschen Staaten, Jeder für sich unabhängig bleiben und daß sie nur durch ein föderatives Band geeinigt werden sollten. – Zwei Monate nach dem Friedensabschluß war ein Congreß sämmtlicher Mächte in Wien zusammenberufen, um den Pariser Vertrag, dessen Grundlagen wir soeben kennen gelernt, zu vervollständigen und zu ratificiren. –

Ehe dann die Verbündeten Paris verließen, wurden die preußischen Feldherren noch durch Dotationen und Standeserhöhungen belohnt, sowie die Staatsminister Hardenberg und Metternich in den Fürstenstand erhoben.

Nun folgten Alexander und Friedrich Wilhelm einer Einladung des Prinz-Regenten nach England und begaben sich mit einem glänzenden Gefolge über den Kanal, von dem englischen Volke mit Frohlocken empfangen, und, in der That England mochte sich des Sieges freuen, nach dem unerschütterlichen Widerstand, den es 20 Jahre lang Napoleon auf allen Meeren und in allen Welttheilen entgegengesetzt hatte. – Feste folgten auf Feste, ein wahrer Taumel des Glückes hatte das ganze Land ergriffen und der Held des Tages, den man mehr feierte, als alle Monarchen und Staatsmänner, war »Vater Blücher«, wie er sich lieber nennen hörte, als mit seinem neugebacknen Titel: »Fürst von der Wahlstatt.« –

Steinfolgte der Einladung nach London nicht: »Ich mag nicht nach England, um mich von dem Prinz-Regenten – dem späteren Georg IV. – begaffen zu lassen,« so äußerte er sich. Trotz aller Erfolge war das Herz ihm schwer; der Feind lag am Boden, aber sollte nun auch das theure Vaterland sich so erheben und sich so entwickeln, wie seine treue Seele es wollte? Nein, nicht einmal amtlich schaffen und wirken konnte er in seinem Sinne dafür, weil ihm jedes bestimmte Dienstverhältniß fehlte. Preußen hatte ihm keine neue Stellung angetragen, die Anerbietungen des Czaaren schlug er aus, denn er wollte seinem Vaterlande und nicht dem Fremden dienen. Wie nöthig aber waren diesem Vaterlande solche Männer, wie Stein, denn das alte Chaos, die alte Unklarheit über das, was nun geschehen sollte und mußte, trat schon wieder an die Stelle frischer Triebkraft und höherer Entschlüsse. Ueberall, in den Kreisen der Gebildeten, herrschte Unzufriedenheit wegen des milden Friedens, und wie richtig bewährten sich die Worte, die damals ein verständiger Zeitgenosse aussprach: »Mag immerhin die Politik fordern, daß Frankreich ein bedeutender Staat bleibe; gewiß fordert sie noch mehr, daß das eigne Vaterland es sei und sicher bleibe gegen die Franzosen. Warum hat Frankreich seit Jahrhunderten Frieden im Innern? weil eine feste Gränze es deckte. Und führte nicht der Friede den Franzosen 200,000 geübte, sieggewohnte Krieger zurück? Mittel genug, um den Kampf gegen das ungeschützte Deutschland zu erneuern!«

Es ist gut, sich solcher Worte zu erinnern, um es recht deutlich daran zu erkennen, wie gerechtfertigt in jedem Sinne es gewesen, daß der Friedensschluß von 1871 uns endlich diese richtige Gränze gegeben..

In gleicher Weise vernehmen wir denn auch schon damals die Mahnungen der bedeutendsten Männer, diesen Zeitpunct zu benutzen, um Deutschland zur Einheit zu verhelfen. Leider waren diese Mahnungen mehr die Aeußerungen eines richtigen Gefühls, als klaren Verständnisses über die Art und Weise, in der zu handeln sei. Ein Volk, welches wie das deutsche, seit so langer Zeit des Gebrauchs seiner eignen Kräfte entwöhnt war, welches nur regiert wurde und seit lange kaum noch irgend einen selbstthätigen Antheil an seiner Gesetzgebung und Verwaltung genommen hatte, konnte es nicht über Nacht lernen, seine eignen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen. Als die Wucht des Bedrückers zu groß geworden, da war dieses Volk aufgestanden, wie ein Löwe und hatte die äußere Gewalt durch äußere Gewalt zurückgestoßen, nun legte es sich wieder nieder und wartete auf den Lohn, der ihm kommen sollte. Den Fürsten und Diplomaten blieb somit wieder das Feld offen, aber diese dachten gar nicht daran, den in der Stunde der Gefahr versprochnen Lohn auszuzahlen; im Gegentheil, schon jetzt galten die höflichsten und zahmsten Vorschläge, die man im Interesse der Nation machte, für »demagogische Umtriebe!« –

Unter solchen Stimmungen und Verhältnissen bereitete sich jetzt in Wien das glänzende Schauspiel vor, welches wir als den Wiener Congreß, unseligen Angedenkens, kennen. – Im Jahr 1814 war Kaiser Franz, genau nach Abwesenheit eines Jahres, wieder in seiner Residenz eingezogen, er hatte weder den Einzug in Paris, noch die Reise nach England mitgemacht, aber er bereitete sich jetzt vor, an seinem Hofe alles zu empfangen, was damals Europa in den Spitzen der Gesellschaft an Talent, Geist, Schönheit, Liebenswürdigkeit, aber auch an Verdorbenheit und Verschlagenheit aufzuweisen hatte. Seit Jahrhunderten hatte man keine so glänzende Versammlung gesehen, die zugleich einen Gerichtshof bildete, vor dem sich Alles, was seit Jahren von Napoleon war geschädigt worden, vom Größten bis zum Kleinsten, zusammenfand. – Die Illumination Wiens, begleitet von einem Feuerwerk, wie man es glänzender noch nie gesehen, empfing die Gäste und bildete zugleich den Ausgangspunkt einer wirbelnden Kette von Festen und Vergnügungen, unter derem Geräusch nicht allein der hohe Ernst vergessen wurde, welcher hier am Platz gewesen wäre, sondern die auch den besten Deckmantel abgaben für Intriguen und Ränke aller Art, welche den Congreß zu keinem Resultate kommen ließen. »Le congrès danse, mais il ne marche pas«, dieses bekannte Witzwort des alten Fürsten von Ligne, ist die beste Characteristik jener glänzenden, aber unfruchtbaren und unsäglich frivolen Tage. –

Unsere vaterländischen Interessen nun, die dort sollten berathen werden, bewegten sich hauptsächlich um zwei Fragen, deren Wichtigkeit damals schon vollständig klar eingesehen wurde, die aber dennoch erst 50 Jahre später gelöst werden sollten. – Erinnern wir uns hier einen Augenblick daran, wie 1806 das alte heilige, römische Reich klanglos zur Grube gefahren war, wie der deutsche Kaiser Franz II., sich aus einem östreichischen Erzherzog in einen östreichischen Kaiser verwandelt hatte.

Seitdem fehlte den deutschen Staaten jedes einheitliche Band, und nun handelte es sich darum, ein solches neu zu schaffen, die deutschen Landesgebiete neu zu vertheilen. Nirgends sonst, wie in Frankreich, hatte die französische Revolution so tiefe Spuren zurückgelassen, als in Deutschland. Die siegreiche Republik hatte dort, so weit ihr Arm reichte, die geistlichen Ländereien eingezogen und an weltliche Fürsten vergeben; sie hatte die kleinen weltlichen Fürsten schockweise mediatisirt; sie hatte die Umstürzung aller Feudalrechte bei den Standesherren, die unter ihre Herrschaft geriethen, ganz ebenso vollzogen, wie bei den adeligen Grundbesitzern Frankreichs. – Alle diese Beraubten kamen nun schaarenweise heran und verlangten von Kaiser Franz, wieder in ihre Rechte eingesetzt zu werden. Wie konnte dieß geschehen ohne eine vollständige Rückkehr zum Alten? Aber auch vernünftige, treffliche Vorschläge ließen sich hören und ich betone, namentlich in Hinblick auf unsere neueste Tagesgeschichte, den Antrag des edlen und freisinnigen Wessenberg, des Bischofs von Constanz, auf Bildung einer deutschen, katholischen Kirche, unabhängig von Rom, unter einem deutschen Primas. Damit sollte sich eine gesetzliche Ordnung der Verhältnisse zwischen Staat, Kirche und Schule vereinigen. – Kehrte hier doch derselbe Gedanke wieder, der bereits im Mittelalter unsre kräftigsten Kaiser, und namentlich den Hohenstaufen Friedrich I.2 beschäftigt hatte, der jedoch immer an dem Geist der Zeiten nicht so sehr, als an der Eifersucht der deutschen Fürsten unter einander scheitern sollte. – So langsam reifen oft die Ideen der Geschichte, daß wir erst heute einem vernünftigen Ziele mit Entschiedenheit entgegen zu gehen scheinen.

Die leitenden Staatsmänner in Wien waren eben durchaus nicht dazu angethan, solchen und ähnlichen Gedanken Sympathie und guten Willen entgegen zu bringen. – Fürst Metternich, der glatte, listige Salonmensch, wurde wieder sehr bald der Mittelpunkt aller Verhandlungen und Intriguen, und schnell gesellte sich zu ihm, als verwandtes Element, der Bevollmächtigte Frankreichs, Talleyrand. Beide theilten mit einander die Trägheit und Gleichgültigkeit des Herzens gegen alles Große und Wahre; die Oberflächlichkeit, Sittenlosigkeit und Genußsucht der Kreise, in denen sie sich bewegten, nicht weniger auch den Mangel an jeder fruchtbaren politischen Schöpferkraft. – Kaiser Franz, durch Metternich vollständig beherrscht, war bekanntlich in allen geistigen Dingen eine Null; denk-und arbeitsfaul und stets nur zu kleinlichen Spielereien aufgelegt. Die zahllosen Audienzen, die er ertheilte, die Möglichkeit, daß Jeder zu ihm gelangen konnte, erwarben ihm das Epitheton: Der gute Kaiser Franz! welches hier schlecht genug angebracht war, denn wenn ihn auch zuweilen das Geschick eines Einzelnen zu rühren vermochte, so konnte er doch mit stumpfer Gleichgültigkeit das Schicksal ganzer Völker preisgeben. Dabei hatte sich in ihm mehr und mehr die Frucht seiner italienischen Erziehung entwickelt; die Falschheit, das Mißtrauen, selbst gegen seine eigne Familie –, und so paßte ihm ein Minister, wie Metternich, der in nichts so wohl erfahren war, als in Polizeikünsten aller Art, wie der Handschuh auf die Hand. Alle Zeitgenossen Metternich's stimmen darin überein, daß derselbe im Ganzen ein mittelmäßiger Kopf, von oberflächlichster Bildung gewesen, dagegen ein Meister in allen feinen Formen der Geselligkeit und des Verkehrs, und immer da, wo es sich um tiefer eingehende Fragen handelte, ein »Schweiger«, eine Sorte von Menschen, die, wie wir uns täglich selbst zu überzeugen vermögen, gewöhnlich imponiren, weil man annimmt, sie schwiegen entweder aus überlegner Zurückhaltung oder einem besser unterrichteten Urtheil, die aber nur darum schweigen, weil sie nichts zu sagen wissen. »Einen lackirten Staub«, so nannte Metternich zur Wiener Zeit der Schweizer Merian, aber dieser Staub verbrauchte unsinnige Summen, um seiner Verschwendung und Genußsucht Genüge zu leisten, und es war bekannt, in welchem Grade er darum der Bestechung zugänglich war; nicht weniger empfänglich zeigte er sich für die Einflüsterungen schöner Frauen, die nur zu oft durch seinen Einfluß regierten, und gerade auf dem Wiener Congreß interessirte ihn sein Liebesverhältniß zu der reizenden Herzogin von Sagan weit mehr, als die ernsten Fragen des Tages. Ich mußte etwas eingehender bei der Characteristik dieses Mannes verweilen, denn sie ist zugleich der Stempel einer Politik, die sich bald nur zu verhängnißvoll über die deutschen Geschicke lagern sollte – jeder tieferen staatsmännischen Einsicht, jeder sittlichen Anschauung und Erwägung bar. Mit gerechtem Schmerze schrieb damals Stein