Deutsche Märchen - Jacob und Wilhelm Grimm - E-Book

Deutsche Märchen E-Book

Jacob und Wilhelm Grimm

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Beschreibung

In diesem Band sind über 25 der großen Klassiker der deutschen Märchentradition versammelt: Ob »Rotkäppchen«, »Hänsel und Gretel«, die »Sterntaler« oder der schaurige »Ritter Blaubart«, »Dornröschen« oder »Frau Holle«. Die von Ludwig Bechstein und den Gebrüdern Grimm verfassten Nachdichtungen verhalfen den deutschen Märchen zu weltliterarischem Rang. Zu diesen gesellen sich eine Auswahl der bedeutendsten Kunstmärchen der deutschen Romantik: Etwa Wilhelm Hauffs »Kalif Storch« und »Das kalte Herz« oder Ludwig Tiecks »Der blonde Eckbert«. Die 48 schönen Illustrationen runden den Band ab.

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Seitenzahl: 349

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Deutsche Märchen

von Ludwig Bechstein, Jacob undWilhelm Grimm, Wilhelm Hauffund Ludwig Tieck

ausgewählt von Joachim Michael

mit zahlreichen Illustrationen

Anaconda

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und

enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte

Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung

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diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand

zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind imInternet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Walter Crane (1845–1915), Red Riding Hood (colour litho)© Look and Learn / Bridgeman Images

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus

ISBN 978-3-641-28388-9V001

www.anacondaverlag.de

Inhalt

Ludwig Bechstein

Schwan, kleb an

Das Märchen vom Ritter Blaubart

Die Goldmaria und die Pechmaria

Die verzauberte Prinzessin

Die Perlenkönigin

Siebenschön

Das Märchen vom Schlaraffenland

Die drei Musikanten

Der weiße Wolf

Jacob und Wilhelm Grimm

Aschenputtel

Brüderchen und Schwesterchen

Die Bremer Stadtmusikanten

Frau Holle

Rotkäppchen

Rapunzel

Hans im Glück

Rumpelstilzchen

Dornröschen

Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Hänsel und Gretel

Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich

Sneewittchen

Die Sterntaler

Tischlein deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack

Wilhelm Hauff

Die Geschichte vom kleinen Muck

Die Geschichte vom Kalif Storch

Das kalte Herz

Ludwig Tieck

Der blonde Eckbert

Bildnachweis

Ludwig Bechstein

Schwan, kleb an

Es waren einmal drei Brüder, von denen hieß der älteste Jacob, der zweite Friedrich und der dritte und jüngste Gottfried. Dieser jüngste war das Stichblatt aller Neckerein seiner Brüder und der gewöhnliche Ablenker ihres Unmuts. Wenn ihnen etwas quer über den Weg lief, so musste Gottfried es entgelten und er musste sich das alles gefallen lassen, weil er von schwächlichem Körperbau war und sich gegen seine stärkeren Brüder nicht wehren konnte. Dadurch wurde ihm das Leben sauer gemacht und er sann Tag und Nacht darauf, sein Schicksal erträglicher zu machen. Als er einst im Walde war, um Holz zu sammeln, und bitterlich weinte, trat ein altes Weiblein zu ihm, das fragte ihn um seine Not und er vertraute ihr all seinen Kummer. »Ei, mein Junge«, sagte das Weiblein darauf, »ist die Welt nicht groß? Warum versuchst du nicht anderswo dein Glück?« Das nahm sich Gottfried zu Herzen und verließ eines Morgens frühe das väterliche Haus und machte sich auf den Weg in die weite Welt, um, wie das Weiblein gesagt hatte, sein Glück zu suchen. Aber der Abschied von dem Ort, wo er geboren worden war und wenigstens eine glückliche Kindheit verlebt hatte, ging ihm doch nahe und er setzte sich auf einen Hügel nieder, um noch einmal recht das heimatliche Dorf zu betrachten. Siehe, da stand das Weiblein hinter ihm, schlug ihn auf die Schulter und sprach: »Das hast du einmal gut gemacht, mein Junge! Aber was willst du nun anfangen?« – Gottfried dachte jetzt erst daran, was er beginnen solle? Er hatte bis jetzt geglaubt, das Glück müsse ihm wie eine gebratne Taube in den Mund fliegen. Das Weiblein mochte seine Gedanken erraten, lächelte grinsend und sagte: »Ich will dir sagen, was du anfangen sollst. Warum? Weil ich dich lieb habe, und weil ich glaube, dass du auch mich nicht vergessen wirst, wenn du dem Glücke im Schoß sitzest.« Gottfried versprach dies mit Hand und Mund; die Alte fuhr fort: »Heute Abend, wenn die Sonne untergeht, gehe an den großen Birnbaum, der dort am Kreuzweg steht. Darunter wird ein Mann liegen und schlafen, an den Baum aber wird ein großer schöner Schwan angebunden sein; den Mann hütest du dich aufzuwecken und du musst deswegen gerade mit Sonnenuntergang kommen, den Schwan aber knüpfst du los und führst ihn mit dir fort. Die Leute werden in seine schönen Federn vernarrt sein und du magst ihnen erlauben, davon eine auszurupfen. Wenn aber der Schwan berührt wird, so wird er schreien und wenn du dann sagst: Schwan, kleb an!, so wird dem, der ihn berührt, die Hand fest ankleben und nicht eher wieder loswerden, bis du sie mit diesem Stöcklein antippst, das ich dir hiermit zum Geschenk ­mache. Wenn du nun so einen weidlichen Zug Menschen­vögel gefangen hast, so führe sie nur immer grad aus. Da wirst du an eine große Stadt kommen, da wohnt eine ­Königstochter, die noch nie gelacht hat. Bringst du sie zum Lachen, so ist dein Glück gemacht; aber dann vergiss auch mich nicht, mein Junge!« Gottfried gab nochmals das Versprechen und war mit Sonnenuntergang richtig an dem bezeichneten Baum. Der Mann lag da und schlief und ein großer schöner Schwan war mit einem Bande an den Baum gebunden. Gottfried knüpfte den Vogel beherzt los und führte ihn davon, ohne dass der Mann erwachte.

Nun traf es sich, dass Gottfried mit seinem Schwan an einer Baustätte vorüber kam, wo einige Männer mit aufgestreiften Beinkleidern Lehm kneteten; die bewunderten die schönen Federn des Vogels und ein vorwitziger Junge, der über und über voll Lehm war, sagte laut: »Ach wenn ich doch nur eine solche Feder hätte.« – »Zieh dir eine aus!«, sprach Gottfried freundlich; der Junge griff nach dem Schweife des Vogels, der Schwan schrie; »Schwan, kleb an!«, sprach Gottfried und der Junge konnte nicht wieder loskommen, er mochte anfangen was er wollte. Die andern lachten, je mehr der Junge schrie, bis vom ­nahen Bache eine Magd herzugelaufen kam, die mit hoch aufgeschürztem Rocke dort gewaschen hatte. Die fühlte Mitleid mit dem Jungen und reichte ihm die Hand, um ihn loszumachen. Der Schwan schrie; »Schwan, kleb an!«, sprach Gottfried, und die Magd war ebenfalls gefangen. Als Gottfried mit seiner Beute eine Strecke gegangen war, begegnete ihm ein Schornsteinfeger, der lachte über das sonderbare Gespann und fragte die Magd, was sie denn da triebe? »Ach herzliebster Hans«, antwortete die Magd kläglich, »gib mir doch deine Hand und mach mich von dem verteufelten Jungen los.« – »Wenn’s weiter nichts ist!«, lachte der Schornsteinfeger und gab der Magd die Hand, der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!«, sprach Gottfried und der schwarze Mensch war ebenfalls behext. Sie kamen nun in ein Dorf, wo eben Kirchweih war; eine Seiltänzergesellschaft gab dort Vorstellungen und der Bajazzo machte eben seine Narreteidinge. Der riss Mund und Nase auf, als er das seltsame Kleeblatt sah, das an dem Schweife des Schwans festhing. »Bist du ein Narr geworden, Schwarzer?«, lachte er. – »Da ist gar nichts zu lachen!«, antwortete der Schornsteinfeger. »Das Weibsbild hält mich so fest, dass meine Hand wie angenagelt ist. Mach mich los, Bajazzo; ich tu dir einmal einen andern Liebesdienst.« Der Bajazzo fasste die ausgestreckte Hand des Schwarzen, der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!«, sprach Gottfried und der Bajazzo war der Vierte im Bunde. Nun stand in der vordersten Reihe der Zuschauer der stattlich wohlbeleibte Amtmann des Dorfes, der machte ein gar ernsthaftes Gesicht dazu und er ärgerte sich gar höchlich über das Blendwerk, das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Sein Eifer ging so weit, dass er den Bajazzo an der ledigen Hand fasste und ihn losreißen wollte, um ihn dem Büttel zu übergeben; da schrie der Vogel, und »Schwan, kleb an!«, sprach Gottfried und der Amtmann teilte das Schicksal der Vorgänger. Die Frau Amtmännin, eine lange dürre Spindel, entsetzte sich über das Missgeschick ihres Eheherrn und riss mit Leibeskräften an dem freien Arm desselben, der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!«, sprach Gottfried und die arme Frau Amtmännin musste trotz ihres Geschreis folgen. Hinfort hatte niemand mehr Lust, die Gesellschaft zu vergrößern.

Gottfried sah schon die Türme der Hauptstadt vor sich; da kam ihm eine wunderschöne Equipage entgegen, in der eine schöne junge, aber ernste Dame saß. Als diese den bunten Zug erblickte, brach sie jedoch in lautes Gelächter aus und ihre Dienerschaft lachte mit. »Die Königstochter hat gelacht!«, rief alles vor Freuden. Sie stieg aus, betrachtete sich die Sache noch genauer und lachte immer mehr bei den Kapriolen, welche die Festgebannten machten. Der Wagen musste umwenden und fuhr langsam neben Gottfried nach der Stadt zurück. Als der König die Kunde vernahm, dass seine Tochter gelacht habe, war er voll Entzücken und nahm selbst Gottfried, seinen Schwan und dessen wunderliches Gefolge in Augenschein, wobei er selbst lachen musste, dass ihm die Tränen in den Augen standen. »Du närrischer Gesell«, sprach er zu Gottfried, »weißt du, was ich dem versprochen habe, der meine Tochter zum Lachen bringt?« – »Nein«, sagte Gottfried. – »So will ich dir’s sagen«, antwortete der König. »Tausend Goldgulden oder ein schönes Gut. Wähle dir zwischen den beiden«. Gottfried entschied sich für das Gut. Dann berührte er den Buben, die Magd, den Schornsteinfeger, den Bajazzo, den Amtmann und die Amtmännin mit seinem Stäbchen und alle fühlten sich frei und liefen davon, als brenne die Hölle hinter ihnen her, was neues unauslöschliches Gelächter verursachte. Da wurde die Königstochter bewegt, den schönen Schwan zu streicheln und sein Gefieder zu bewundern. Der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!«, sprach Gottfried, und so gewann er die Königstochter. Der Schwan aber erhob sich in die Lüfte und verschwand in den blauen Horizont. Gottfried erhielt nun ein Herzogtum zum Geschenk; erinnerte sich aber auch des alten Weibleins, das Schuld an seinem Glücke war und berief sie als seine und seiner auserwählten Braut Haushofmeisterin in sein stattliches Residenzschloss.

Das Märchen vom Ritter Blaubart

Es war einmal ein gewaltiger Rittersmann, der hatte viel Geld und Gut, und lebte auf seinem Schlosse herrlich und in Freuden. Er hatte einen blauen Bart, davon man ihn nur Ritter Blaubart nannte, obschon er eigentlich anders hieß, aber sein wahrer Name ist verloren gegangen. Dieser Ritter hatte sich schon mehr als einmal verheiratet, allein man hatte gehört, dass alle seine Frauen schnell nacheinander gestorben seien, ohne dass man eigentlich ihre Krankheit erfahren hatte. Nun ging Ritter Blaubart abermals auf Freiersfüßen, und da war eine Edeldame in seiner Nachbarschaft, die hatte zwei schöne Töchter und einige ritterliche Söhne, und diese Geschwister liebten einander sehr zärtlich. Als nun Ritter Blaubart die eine dieser Töchter heiraten wollte, hatte keine von beiden rechte Lust, denn sie fürchteten sich vor des Ritters blauem Bart, und mochten sich auch nicht gern voneinander trennen. Aber der Ritter lud die Mutter, die Töchter und die Brüder samt und sonders auf sein großes schönes Schloss zu Gaste, und verschaffte ihnen dort so viel angenehmen Zeitvertreib und so viel Vergnügen durch Jagden, Tafeln, Tänze, Spiele und sonstige Freudenfeste, dass sich endlich die jüngste der Schwestern ein Herz fasste, und sich entschloss, Ritter Blaubarts Frau zu werden. Bald darauf wurde auch die Hochzeit mit vieler Pracht gefeiert.

Nach einer Zeit sagte der Ritter Blaubart zu seiner jungen Frau: »Ich muss verreisen, und übergebe dir die Obhut über das ganze Schloss, Haus und Hof, mit allem, was dazu gehört. Hier sind auch die Schlüssel zu allen Zimmern und Gemächern, in alle diese kannst du zu jeder Zeit eintreten. Aber dieser kleine goldne Schlüssel schließt das hinterste Kabinett am Ende der großen Zimmerreihe. In dieses, meine Teure, muss ich dir verbieten zu gehen, so lieb dir meine Liebe und dein Leben ist. Würdest du dieses Kabinett öffnen, so erwartet dich die schrecklichste Strafe der Neugier. Ich müsste dir dann mit eigner Hand das Haupt vom Rumpfe trennen!« – Die Frau wollte auf diese Rede den kleinen goldnen Schlüssel nicht annehmen, indes musste sie dies tun, um ihn sicher aufzubewahren, und so schied sie von ihrem Mann mit dem Versprechen, dass es ihr nie einfallen werde, jenes Kabinett aufzuschließen und es zu betreten.

Als der Ritter fort war, erhielt die junge Frau Besuch von ihrer Schwester und ihren Brüdern, die gerne auf die Jagd gingen; und nun wurden mit Lust alle Tage die Herrlichkeiten in den vielen, vielen Zimmern des Schlosses durchmustert, und so kamen die Schwestern auch endlich an das Kabinett. Die Frau wollte, obschon sie selbst große Neugierde trug, durchaus nicht öffnen, aber die Schwester lachte ob ihrer Bedenklichkeit, und meinte, dass Ritter Blaubart darin doch nur aus Eigensinn das Kostbarste und Wertvollste von seinen Schätzen verborgen halte. Und so wurde der Schlüssel mit einigem Zagen in das Schloss gesteckt, und da flog auch gleich mit dumpfem Geräusch die Türe auf, und in dem sparsam erhellten Zimmer zeigten sich – ein entsetzlicher Anblick! – die blutigen Häupter aller früheren Frauen Ritter Blaubarts, die ebenso wenig, wie die jetzige, dem Drang der Neugier hatten widerstehen können, und die der böse Mann alle mit eigner Hand enthauptet hatte. Vom Tod geschüttelt, wichen jetzt die Frauen und ihre Schwester zurück; vor Schreck war der Frau der Schlüssel entfallen, und als sie ihn aufhob, waren Blutflecke daran, die sich nicht abreiben ließen, und ebenso wenig gelang es, die Türe wieder zuzumachen, denn das Schloss war bezaubert, und indem verkündeten Hörner die Ankunft Berittner vor dem Tore der Burg. Die Frau atmete auf und glaubte, es seien ihre Brüder, die sie von der Jagd zurück erwartete, aber es war Ritter Blaubart selbst, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Frau zu fragen, und als diese ihm bleich, zitternd und bestürzt entgegentrat, so fragte er nach dem Schlüssel; sie wollte den Schlüssel holen und er folgte ihr auf dem Fuße, und als er die Flecken am Schlüssel sah, so verwandelten sich alle seine Gebärden, und er schrie: »Weib, du musst nun von meinen Händen sterben! Alle Gewalt habe ich dir gelassen! Alles war dein! Reich und schön war dein Leben! Und so gering war deine Liebe zu mir, du schlechte Magd, dass du meine einzige geringe Bitte, meinen ernsten Befehl nicht beachtet hast? Bereite dich zum Tode! Es ist aus mit dir!«

Voll Entsetzen und Todesangst eilte die Frau zu ihrer Schwester, und bat sie, geschwind auf die Turmzinne zu steigen und nach ihren Brüdern zu spähen, und diesen, sobald sie sie erblicke, ein Notzeichen zu geben, während sie sich auf den Boden warf, und zu Gott um ihr Leben flehte. Und dazwischen rief sie: »Schwester! Siehst du noch niemand!« – »Niemand!«, klang die trostlose Antwort. – »Weib! Komm herunter!«, schrie Ritter Blaubart, »deine Frist ist aus!«

»Schwester! Siehst du niemand?«, schrie die Zitternde. »Eine Staubwolke – aber ach, es sind Schafe!«, antwortete die Schwester. – »Weib! Komm herunter, oder ich hole dich!«, schrie Ritter Blaubart.

»Erbarmen! Ich komme ja sogleich! Schwester! Siehst du niemand?« – »Zwei Ritter kommen zu Ross daher, sie sahen mein Zeichen, sie reiten wie der Wind.« –

»Weib! Jetzt hole ich dich!«, donnerte Blaubarts Stimme, und da kam er die Treppe herauf. Aber die Frau gewann Mut, warf ihre Zimmertüre ins Schloss, und hielt sie fest, und dabei schrie sie samt ihrer Schwester so laut um Hülfe, wie sie beide nur konnten. Indessen eilten die Brüder wie der Blitz herbei, stürmten die Treppe hinauf und kamen eben dazu, wie Ritter Blaubart die Türe sprengte und mit gezücktem Schwert in das Zimmer drang. Ein kurzes Gefecht und Ritter Blaubart lag tot am Boden. Die Frau war erlöst, konnte aber die Folgen ihrer Neugier lange nicht verwinden.

Die Goldmaria und die Pechmaria

Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter, eine rechte Tochter und eine Stieftochter; beide hießen Maria. Die rechte Tochter war nicht gut und fromm, dagegen war die Stieftochter ein bescheidenes, sittiges Mädchen, das aber gar viele Kränkungen und Zurücksetzungen von Mutter und Schwester erdulden musste. Doch sie war stets freundlich, tat die Küchenarbeiten unverdrossen, und weinte nur manchmal heimlich in ihrem Schlafkämmerlein, wenn sie von Mutter und Schwester so viel Unbilliges zu leiden hatte. Aber bald war sie dann allemal wieder heiter und frischen Mutes, und sprach zu sich selbst: »Sei ruhig, der liebe Gott wird dir schon helfen.« Dann tat sie fleißig ihre Arbeit, und machte alles nett und sauber. Ihrer Mutter arbeitete sie immer nicht genug; eines Tages sagte diese sogar: »Maria, ich kann dich nicht länger zu Hause behalten, du arbeitest wenig und issest viel, und deine Mutter hat dir kein Vermögen hinterlassen, auch dein Vater nicht, es ist alles mein, und ich kann und mag dich nicht länger ernähren, daher du ausgehen musst, dir einen Dienst bei einer Herrschaft zu suchen.« Und sie buk von Asche und Milch einen Kuchen, füllte ein Krüglein mit Wasser, gab beides der armen Maria und schickte sie aus dem Hause.

Maria war sehr betrübt ob dieser Härte; doch schritt sie mutig durch die Felder und Wiesen, und dachte: Es wird dich schon jemand als Magd aufnehmen, und vielleicht sind fremde Menschen gütiger als die eigene Mutter. Als sie Hunger fühlte, setzte sie sich ins Gras nieder, zog ihren Aschenkuchen hervor und trank aus ihrem Krüglein, und viele Vöglein flatterten herbei, pickten an ihrem Kuchen, und sie goss Wasser in ihre Hand und ließ die munteren Vöglein trinken. Und da verwandelte sich unvermerkt ihr Aschenkuchen in eine Torte, ihr Wasser in köstlichen Wein. Gestärkt und freudig zog die arme Maria weiter, und kam, als es dunkel wurde, an ein seltsam gebautes Haus, davor waren zwei Tore, eins sah pechschwarz aus, das andere glänzte von purem Gold.

Bescheiden ging Maria durch das minder schöne Tor in den Hof und klopfte an die Haustüre. Ein Mann von schreckbar wildem Ansehen tat die Türe auf und fragte barsch nach ihrem Begehren. Sie sprach zitternd: »Ich wollte nur fragen, ob ihr nicht so gütig sein möchtet, mich über Nacht zu beherbergen?«, und der Mann brummte: »Komm herein!« Sie folgte ihm, und bebte noch mehr zusammen, als sie drinnen im Zimmer nichts weiter sah und hörte als Hunde und Katzen, und deren abscheuliches Geheul. Es war außer dem wilden Thürsche­mann (so hieß dieser Mensch) niemand weiter in dem ganzen Hause.

Nun brummte der Thürschemann der Maria zu: »Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?« Maria sprach: »Bei Hunden und Katzen.« Da musste sie aber gerade neben ihm schlafen, und er gab ihr ein schönes weiches Bette, dass Maria ganz herrlich und ruhig schlief. Am Morgen brummte Thürschemann: »Mit wem willst du frühstücken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?« Sie sprach: »Mit Hunden und Katzen.« Da musste sie mit ihm trinken, Kaffee und süßen Rahm. Wie Maria fortgehen wollte, brummte Thürsche­mann abermals: »Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?«, und sie sprach: »Zum Pechtor.« Da musste sie durchs goldene gehen, und wie sie durchging, saß Thürschemann oben darauf und schüttelte so derb, dass das Tor erzitterte und dass Maria ganz von Gold überdeckt war, das von dem Goldtore auf sie herabfiel.

Nun ging sie wieder heim, und ins elterliche Haus eintretend kamen ihre Hühner, die sie sonst immer gefüttert, ihr freudig entgegen geflogen und gelaufen, und der Hahn schrie: »Kikiriki, da kommt die Goldmarie! Kikiriki!« Und ihre Mutter kam die Treppe herunter und knickste so ehrfurchtsvoll vor der goldenen Dame, als wenn es eine Prinzessin wäre, die ihr die Ehre ihres Besuches schenkte. Aber Maria sprach: »Liebe Mutter, kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin ja die Maria.«

Jetzt kam auch die Schwester ganz erstaunt und verwundert, wie die Mutter, und beide voll Neides, und Maria musste erzählen, wie wunderbar es ihr ergangen, und wie sie zu dem Golde gekommen war.

Nun nahm sie ihre Mutter wohl auf, und hielt sie auch besser wie zuvor, und Maria wurde von jedermann geehrt und geliebt; bald fand sich auch ein braver junger Mann, der Marien als Gattin heimführte und glücklich mit ihr lebte.

Der andern Maria aber wuchs der Neid im Herzen, und sie beschloss, auch fortzugehen und übergoldet wiederzukommen. Ihre Mutter gab ihr süßen Kuchen und Wein mit auf die Reise, und wie Maria davon aß und Vöglein geflogen kamen, um auch mit zu schmausen, jagte sie dieselben ärgerlich fort. Ihr Kuchen aber verwandelte sich unvermerkt in Asche, und ihr Wein in mattes Wasser. Am Abend kam Maria ebenfalls an Thürschemanns Tore; sie ging stolz zu dem goldenen hinein, und klopfte dann an die Haustüre. Wie Thürschemann auftat und nach ihrem Begehren fragte, sagte sie schnippisch: »Nun, ich will hier übernachten.« Und er brummte: »Komm herein!« Dann fragte er auch sie: »Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?« Sie sagte schnell: »Bei euch, Herr Thürschemann!« Aber er führte sie in die Stube, wo Hunde und Katzen schliefen und schloss sie hinein. Am Morgen war Mariens Angesicht hässlich zerkratzt und zerbissen. Thürschemann brummte wieder: »Mit wem willst du Kaffee trinken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?« »Ei, mit euch«, sagte sie, und musste nun gerade wieder mit Katzen und Hunden trinken. Nun wollte sie fort. Thürschemann brummte abermals: »Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?«, und sie sagte: »Zum Goldtor, das versteht sich!« Aber dieses wurde sogleich verschlossen und sie musste zum Pechtor hinaus, und Thürschemann saß obendrauf, rüttelte und schüttelte, dass das Tor wackelte und da fiel so viel Pech auf Marien herunter, dass sie über und über voll wurde.

Als nun Maria voll Wut ob ihres hässlichen Ansehens nach Hause kam, krähte der Gluckhahn ihr entgegen: »Kikiriki, da kommt die Pechmarie! Kikiriki!« Und ihre Mutter wandte sich voll Abscheu von ihr, und konnte nun ihre hässliche Tochter nicht vor Leuten sehen lassen, die hart gestraft blieb, darum, dass sie so auf Gold erpicht gewesen.

Die verzauberte Prinzessin

(Nach mündlicher Überlieferung)

Es war einmal ein schlichter Handwerksmann, der hatte zwei Söhne, die hießen Hellmerich und Hans; dieser ging einst aus seinem Dörflein in die nahe Stadt, um Geschäfte mancherlei Art abzutun. Als er am Abend, schon auf dem Heimweg begriffen, in der äußern Schenke noch einen stärkenden Trunk tat, machte ihn ein höchst lebhaftes Gespräch, das einige junge zechende Männer führten, aufmerksam; er lauschte mit Augen und Ohren, denn die Rede jener Leute ging von nichts Geringerem als davon, dass ein herrliches Schloss mit unermesslichem Gold und Gütern zu gewinnen sei. In diesem Schlosse schmachte eine holde Prinzessin verzaubert nach Erlösung, welche Prinzessin dem Glücklichen, der sie durch pünktliche Erfüllung dreier Proben, die ihm auferlegt würden, erlösen würde, die königliche Hand reiche und ihn zu ihrem Gemahl erhebe. Derjenige, dies war aber der Zusatz, der die drei Aufgaben nicht löse, so er doch die Prinzessin begehrt, müsse das Leben lassen und kehre nimmer wieder.

Nachdenklich und mit hochschlagendem Herzen schritt der ehrliche Meister über die vom Abenddämmer umsponnene Heimatflur seinem Dörflein zu. Schon sah er in Gedanken seinen ältesten Sohn, Hellmerich, den er ungleich mehr liebte als seinen andern, Hans, im Königs­schloss, und die holde Prinzessin als seine hochverehrteste Schnur.

Daheim teilte er nun seinem lieben Weibe und seinen Söhnen die goldene Neuigkeit mit, und alle waren ganz erstaunt über diese Mär. Der Vater gebot nun gleich seinem Lieblingssohn Hellmerich, sich aufzumachen, und das Wagestück zu bestehen; die Sache litt keinen Aufschub; sollte Hellmerich das schöne Schloss gewinnen und die Prinzessin einnehmen, so musste das Werk rasch unternommen und ausgeführt werden, denn es leuchtete dem klugen Meister als ganz natürlich ein, dass viele andere sich auch daran wagen könnten und würden. Und Hellmerich war auch so entzückt und begierig, und bereits in seinem stolzen Herzen des Sieges so gewiss, dass er schon mit Hoffart und verächtlichen Blicken die kleinliche Welt um sich her maß, und ungeduldig der Stunde entgegen harrte, da er auf einem schön gezäumten Ross davonfliegen und dem ihm bestimmten Glück in die Arme eilen sollte. Endlich schlug die ersehnte Stunde. Scheidend verhieß Hellmerich, schon im Gefühl seiner Königswürde voll unaussprechlicher Huld und Güte, seinen armen Eltern, deren ganzes Vermögen sich in das stolze Ross verwandelt hatte, er wolle sie, samt seinem dummen Bruder Hans, in einem sechsspännigen Wagen abholen lassen, sobald er die Prinzessin erlöset habe.

Hans weinte, denn er fühlte sich gar sehr zurückgesetzt und gekränkt. Indessen, er arbeitete treulich und bald wieder fröhlich für den Unterhalt seiner lieben Eltern.

Hellmerich reiste stattlich von Ort zu Ort, des Sommers blumenreiche Gefilde breiteten sich immer lieb­licher und erquickender vor seinen Blicken aus; je mehr er sich dem herrlichen Ziele näherte, je zauberischer und prächtiger gestaltete sich die Natur; rauschende Wälder und trauliche Bäche, klarduftende Wiesen, spiegelnde Teiche, anmutige Höhen und wogende Saatfelder wechselten auf das Angenehmste miteinander ab; hier schien es so paradiesisch, dass Hellmerich keinen Zweifel hegte, das zu gewinnende Königsgebiet bereits betreten zu haben. Und wirklich schimmerte endlich in der sonnenlichten Ferne ein goldglänzender Punkt. Da zitterte die wildeste Freude durch Hellmerichs Herz. Er jauchzte laut, und schlug mit der Reitgerte weit um sich. So trabte er am Saume eines frischen Laubwäldchens hin und scheuchte die Vöglein, die goldgefiederten, harmlosen Sänger von den Zweigen. Bald kam er an einen großen Ameisen­hügel, der im Wege lag, und er ließ ihn mutwillig von seinem Ross zertreten und zerstampfen, sodass die erzürnten Geschöpfe an sein Pferd und an ihn selbst krochen und ihre Rache mit Schmerz erregenden Bissen ausließen, bis Hellmerich wütend sie alle zerschlug und zertrat. Und weiter kam er an einen silberhellen Teich, da schwammen zwölf weiße Entchen. Der böse Hellmerich lockte sie ans Ufer und trat sie tot; nur ein einziges entkam. Dann kam er an einen schönen Bienenstock, und tötete aus purem Frevelmut auch die kleinen fleißigen Künstler. So übte er an allem, was ihm aufstieß, die Tücke eines bösen Herzens.

Immer herrlicher erhob sich in der Ferne das Königsschloss, sein Dach war gülden, auf den zierlichen Türmen wehten hell schimmernde Fahnen. Das Gebäude war von Marmor aufgeführt, die hohen Fenster blinkten wie Flammenspiegel, und rings war es umrauscht von schattenden Myrtenbäumen, umblüht von den herrlichsten Blumen und Rosenbüschen. Doch immer geheimnisvoller wurde das Schweigen, das sich über diesem Zauber verbreitete.

Hellmerich stand jetzt an der hohen Pforte und klopfte ungeduldig, bis ein altes Mütterlein, mit spinnenweb­farbigem Gesichte und schreckendem Gespensterputz, erschien, und mit Widerwillen nach seinem Begehren fragte. »Nun, die Prinzessin will ich erlösen«, war Hellmerichs kecke Antwort: »Sage, was soll ich tun, altes Weib?« »Da musst du morgen früh neun Uhr wiederkommen«, sprach das Mütterlein, »wo ich dich hier erwarten, und das Weitere mit dir vornehmen werde.«

Zur bestimmten Zeit stellte sich Hellmerich ein; das Mütterlein erschien, und trug ein kleines Fass voll Leinsamen, den sie bald auf einer schönen Wiese ausstreute, und zu Hellmerich sagte: »Lese alle Körner wieder zusammen, auf dass nicht eins fehle, in einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muss diese Aufgabe gelöst sein.« Aber der hochfahrende Hellmerich mochte sich nicht bücken in seinem modisch engen Gewande und spottete der albernen Aufgabe. Er spazierte auf und ab, bis das Mütterlein wieder kam, und mit hohnlächelnden Mienen das leere Fässlein anblickte. Nun hatte sie zwölf goldene Schlüssel, die sie in den nahen spiegelnden Teich warf, und sie sagte zu Hellmerich: »Diese Schlüssel sollst du wieder herausholen, auf dass kein einziger fehle, in einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muss diese Aufgabe gelöst sein.«

Hellmerich spähte hinein in das Wasser, er schnitt Baumzweige ab und häkelte hinein, aber er brachte keinen einzigen Schlüssel heraus. Er stieg selbst ins Wasser, und kam nur mit Mühe wieder ans Ufer, ohne einen Schlüssel gefunden zu haben. Mütterlein kam, und Hellmerich hatte seine Aufgabe nicht gelöst. Da führte sie ihn die schöne Marmortreppe hinan, und öffnete des Schlosses hohe goldene Pforte, dann schritt sie weiter voran durch herrliche Zimmer und Säle, bis sie endlich in ein anmutiges Gemach traten, wo tiefschweigend drei verschleierte Frauen saßen. Eine war wie die andere gekleidet. »Nun wähle dir eine von diesen Frauen«, sprach das Mütterlein, »zwei davon sind böse und eine ist gut; wählst du die gute, so bist du ewig glücklich, wählst du aber eine böse, so befiehl deine arme Seele. In einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muss diese Aufgabe gelöst sein.«

Nun stand Hellmerich schwankend und unschlüssig, bis es zwölf Uhr schlug, und das Mütterlein hereintrat. Da deutete er flugs nach der Rechten. Die Zaubergestalten erhoben sich, und die Schleier rauschten zur Erde. Die Mittelste war ein holdseliges Mägdlein, ihr schöner Lilien­nacken war umwallt von reichen Locken, ihre Hände und Brust waren mit funkelndem Geschmeide behangen, und auf dem Haupte trug sie eine goldene Krone. Ihr wehmütiger, tränender Blick haftete eine kurze Minute auf Hellmerichs Angesicht, dann senkte sie das Tränenauge, und der Schleier sank wieder leise über die zarte, holde Gestalt hin. Die beiden aber zur Rechten und Linken waren hässliche Furien, ihre Augen sprühten feurige helle Flammen, ihre Zähne schlugen knirschend aneinander und an ihren Häuptern wuchsen Hörner hervor und an den Händen abscheuliche Krallen. So stürzten sie mit höllischer Freude nach dem Unglücklichen, und schleuderten ihn zum Fenster hinaus, wo er in einem dunklen Abgrund auf immer verschwand. Und dann verschwand auch alles ­Übrige, Schloss, Prinzessin und Zauberhain.

Ein Jahr war verflossen, und wieder schmückten des Frühlings rosige Blüten die Erde, aber bei dem armen Handwerksmann war noch kein sechsspänniger Wagen angekommen, und auch keine Kunde, dass die Prinzessin erlöst sei. Die Eltern gaben schmerzlich ihren Sohn Hellmerich auf. Und Hans fühlte heimlich eine herzliche Lust, auch einmal sein Glück zu versuchen, wiewohl er dies Vorhaben sorglich vor seinen Eltern verbarg. In einer hellen Mondnacht schlich er sich davon, ohne Ross und ohne Reisegeld, und wanderte wohlgemut durch Länder und Städte. Er nährte sich von Waldbeeren und Wurzeln, trank aus der klaren Quelle, sang mit den frommen Vögeln, und schlief sorglos und harmlos auf dem weichen Moose des dunkeln Waldes.

So wanderte er fröhlich fort, bis er eines Mittags an ein schattiges Laubwäldchen kam; dort begann das Gebiet des Zauberschlosses. Wie selig schlug sein Herz als er dieses paradiesische Land überschaute. Verklärt von röt­lichem Schimmer lag es vor seinen Blicken ausgebreitet, und von mächtigem Zauberreiz war er also ergriffen, dass er trunkenen Sinnes auf seine Knie sank. Es umfing ihn ein süßer Schlummer, und er träumte lange, auf dem kühlen Waldmoose ruhend. Eine holde Frau, umwallt von hell schimmerndem Gewande, stieg zu ihm hernieder und reichte ihm eine Schale voll süßen Wassers, das er trank, und welches ihn himmlisch erquickte; und weiter taten sich goldene Herrlichkeiten vor seinem Traumblicke auf, liebliche Mägdlein in blumigen Gewändern umtanzten ihn und trugen ihn empor auf einen goldenen Thron, wo die holde Frau saß, die ihm lächelnd und liebeseligen Blickes eine blitzende Krone überreichte.

Also ward Hansens gutes, frommes Herz im Traume von Seligkeiten erquickt.

Als er erwachte, trat die Morgensonne in rosigem Schimmer aus den dunkeln Pforten der Nacht; er wanderte rasch von dannen, und kam bald an einen großen Ameisenhügel, der halb zertreten und zerrissen im Wege lag, und er blickte sinnend den fleißigen Tierchen zu, wie sie emsig zusammentrugen und an ihrem Bau arbeiteten. Er selbst wollte helfen; allein bald krochen die Tierchen an ihn und bissen ihn. Da las er sie alle von sich herunter und tötete keines.

Weiter wandernd kam er an einen schönen Teich, und es schwammen abermals zwölf weiße Entchen darauf; ihre Federn glänzten wie Silber. Und sie schwammen ans Ufer, und er streute ihnen Futter, hatte so seine herzliche Freude an ihnen.

Bald auch kam er an einen großen Bienenstock, und freute sich über den Fleiß der Tierchen und über ihre Kunst. Still betrachtend pries er die Größe, Weisheit und Güte des liebevollen Schöpfers.

In goldener Klarheit lag nun das wundersam herrliche Schloss vor ihm, seine Augen vermochten kaum den Glanz zu ertragen, der es rings umstrahlte. Zagend schritt er näher und zweifelte gänzlich an der Erfüllung seines vermessenen Vorhabens; doch stärkte ihn mächtig der Gedanke an seinen wundersamen Traum, und es trieb ihn vorwärts, ob er auch zagte und zitterte. So stand er an der Pforte des Schlosses und klopfte leise, bis das Mütterlein erschien und nach seinem Begehr fragte. Bescheiden sprach er: »O Mütterlein, glaubst du, dass ich die Prinzessin erlösen kann? Sieh, ich bin ein armer Knecht, so du meinst, ich sei zu geringe, will ich das schöne Schloss nur anschauen und wieder heimwandern.« Mütterlein aber nahm freundlich des Jünglings Hand, und strich ihm mit ihren kalten knöchernen Fingern die Locken von der Wange, und musterte seine schöne Gestalt und bescheidene Kleidung. »So du drei Proben bestehst«, sagte sie, »ist die Prinzessin und das reiche schöne Schloss dein, und du bist König über dieses holde Land. So du sie nicht bestehst, da du sie doch begehrt, wird es dich dein Leben kosten.«

Mit dem Mute eines reinen Herzens blickte Hans empor und sprach: »Wohlan, Mütterlein, sage was ich tun soll.« Und die Alte brachte das Fässlein voll Leinsamen, und streute ihn rings auf die grünende Wiese aus, und sprach: »Lese alle Körnlein wieder zusammen, auf dass nicht eines fehle, in einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muss diese Aufgabe gelöst sein.«

Wie unendlich fleißig las Hans die Körnlein von der Wiese; aber es schlug schon dreiviertel und er hatte das Fässlein nicht halb voll. Da verzagte er schier, doch erwartete er das gestrenge Urteil mit Ergebung. Aber siehe, plötzlich kroch eine Schar schwarzer Ameisen heran, die trugen alle Körnlein zusammen in das Fass, dass es in wenigen Minuten so voll war wie vorher. Das Mütterlein kam; o wie freudig trug ihr Hans das Fässlein entgegen! Darauf warf sie die zwölf Schlüssel in den nahen Teich und sprach: »Diese Schlüssel sollst du wieder herausholen, auf dass kein einziger fehle, in einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muss diese Aufgabe gelöst sein.« Nun gab sich Hans die größte Mühe, brachte aber keinen einzigen Schlüssel aus der Tiefe. Verzagend saß er am Ufer und sah schon das furchtbare Gericht über sich ergehen. Und siehe, da schwammen zwölf silberweiße Entchen heran, und ein jedes trug einen goldenen Schlüssel in seinem Schnäbelein, und warfen sie an das frischgrüne Ufer. – Glückselig trug Hans die goldenen Schlüssel dem Mütterchen entgegen und sandte still ein Dankgebet zum Himmel empor, dass ihm so wunderbare Hülfe widerfahren.

»Nun kommt die letzte Probe, mein Sohn, doch auch die schwerste«, sagte das Mütterlein und führte den Jüngling in das Zauberschloss, durch hohe herrliche Säle und Zimmer, bis sie in das Gemach der drei Schleierfrauen gelangten. »Nun wähle dir eine von diesen Frauen«, sprach das Mütterlein, »zwei davon sind böse, und eine ist gut; wählst du die gute, so bist du ewig glücklich, wählst du aber eine böse, so befiehl deine arme Seele. In einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muss diese Aufgabe gelöst sein.«

Wie zitternd und zagend blickte Hans die drei schweigsamen Zaubergestalten an! Eine wie die andere saß ruhig und geheimnisvoll. – Sein Auge verdunkelte sich, seine Seele schwebte zwischen Todesangst und glückseliger Hoffnung. Da sank er auf die Knie und betete. Ein leises Summen um sein Haupt – unterbrach die angstvolle Totenstille, es umflüsterte ihn eigentümlich, wie Geisterstimmen. Da blickte er empor und sah unzählige Bienen sein Haupt umkreisen, und es schwirrte ganz leise aus jeglichem Bienenmund: »Die Mitt’le, die Mitt’le, die Mitt’le.« Da trat Mütterlein herein, und Hans deutete auf die mittelste Zaubergestalt.

Rauschend fielen die Schleier der Frauen zu Boden. Zu beiden Seiten standen die hässlichen Furien, und mitten innen das holdselige Mägdlein. Ein Donnerschlag erschütterte die Luft, durchbebte die Erde; und die scheußlichen Furien stürzten heulend zum Fenster hinaus, in den furchtbaren Abgrund.

Aber die Prinzessin voll unaussprechlichem Liebreiz umfing den glücklichen Jüngling, und lispelte wonneselig: »Habe Dank, du Teurer! Siehe, dein reines, frommes Herz, hat mich befreiet, und nur ein reines, frommes Herz konnte mich befreien. Du bist nun mein und ich bin dein, mein süßer Bräutigam!«

Darauf hatte Hans in seiner Freude nichts Eiligeres zu tun, als einen goldnen Wagen mit sechs Pferden bespannt in seine Heimat zu senden, und seine Eltern holen zu lassen. Und alle lebten glücklich in dem Zauberschloss bis an ihr Ende.

Die Perlenkönigin

(Mündlich, in Franken)

Nicht weit von einem friedsamen Dörflein welches am Seegestade lag und meist von Fischern bewohnt war, ließ sich alle Jahre zu etlichen bestimmten Malen eine überirdisch schöne Jungfrau am Ufer sehen; dieselbe kam allemal in einem wunderschönen Schifflein, welches gerade aussah wie von puren hell farbigen Perlen zusammengefügt, daher gesegelt, und niemand wusste woher sie kam, oder wohin sie wieder zurückkehrte, wenn sie verschwand. Die treuherzigen Fischersleute hatten sie aber gar lieb, zumal die Kinder, denen sie jedes Mal schöne Perlen die Menge ans Ufer streute und ihnen zuwinkte, dieselben aufzulesen. Da waren die Kleinen dann geschäftig und lasen die Perlen auf, und erfreuten sich an deren Farbenglanz. Und dann kamen die Fischer und Fischerinnen und trugen der guten schönen Perlenkönigin eine Mahlzeit zusammen: Fische und Brot und guten Wein, und die holde Jungfrau war gegen alle freundlich, und aß einige Bissen, und trank ein wenig Wein.

Oft auch zur Zeit, da die schöne Unbekannte dort am Ufer zu landen pflegte, kamen aus andern fremden Ländern Prinzen und viele Edle herbei, um die schöne Jungfrau zu sehen und vielleicht zu freien; denn es ging von ihr weit und breit die Rede, dass sie ebenso reich an Erdenschätzen, wie an Leibesschönheit sei. Aber alle mussten auch wieder unbefriedigt von dannen ziehen. Die hohe Jungfrau verlangte von jedem, der um sie warb, dass er zuvor drei Proben bestehe, die sie ihm aufgegeben. Und diese waren bisher für alle zu schwer und hoch. Keiner vermochte sie zu lösen, und so mussten die hohen Bewerber dann zurückstehen und ein wenig beschämt und verstimmt wieder abziehen. Das erste war, was die Jungfrau aufgab, zu erraten, was für Haare sie habe; denn sie trug stets das Haupt ganz dicht verschleiert; das hatte noch keiner erraten, wiewohl schon alle Farben – schwarz, rot, blond, braun, weiß, grün, grau, blau geraten worden war. Das zweite war, die Halskette der Jungfrau umzuhängen. Wurden dann die glänzend hellen Perlen davon trübe, so war’s ein böses Zeichen, dann weinte die schöne Dame allemal, und ihre Tränen wurden eine ebenso helle Perle wie die an der Kette und fügten sich derselben an. Und so wie die Perlenschnur wieder am Halse der Jungfrau hing, glänzte sie auch wieder hell und wundersam. Das dritte war, zu erraten, was die Jungfrau auf der Brust trage. Und dies erriet keiner. Und so gewann auch keiner, und wäre er auch der reichste Fürst gewesen, die Gunst der Jungfrau, also dass sie ihm Hand und Herz schenke. Sie blieb geheimnisvoll. Alle List, um etwas Näheres über sie selbst und über ihre Heimat zu erfahren, blieb fruchtlos; denn allzu schnell war das Perlenschifflein allemal vor den Blicken der Menschen auf dem Gewässer verschwunden. Doch zur bestimmten Zeit kam sie wieder, so freundlich und liebreich wie zuvor, und streute Perlen aus am Ufer.

Und da war ein Knäblein, das hatte sie unter allen Kindern am liebsten, das nahm sie allemal in ihre Arme und drückte es herzlich, und der Knabe hatte die schöne gütige Dame auch gar sehr lieb; doch als er größer wurde, wurde er verschämt und schüchtern, und wagte zuletzt gar nicht mehr Perlen aufzulesen, musste auch meist mit seinem Vater auf die See fahren und fischen.

So war die Jungfrau schon mehrere Male dort ans Ufer gestiegen und hatte ihren lieben Fischerknaben nicht gesehen; da wurde sie betrübt, denn ach, ihr Herz hatte sich gerade diesen Jüngling auserwählt, und sie wünschte nichts mehr, als dass einst dieser schöne Fischer imstande sein möge, die drei Aufgaben zu lösen, und ihr dann auf immer nach der schönen Perlen-Insel, ihrer Heimat, zu folgen. Sie beschloss im Stillen, als sie wieder einmal, ohne den geliebten Fischerjüngling gesehen zu haben, mit ihrem Schifflein vom Ufer abstieß, am selbigen Abend wiederzukommen, um dem Teuren unsichtbar nahe zu treten. Und ja, als der goldne Mond aufgegangen war, und sich auf den Wassern spiegelte, fuhr das Perlenschifflein wieder durch die Wellen dem befreundeten Ufer zu, wo dort in der kleinen Fischerhütte der Geliebte längst entschlummert ruhte. Die holde Jungfrau trat ein in das kleine Gemach und beugte sich sanft zu dem Schläfer, dem nur Moos zum Lager diente. Und sie lösete ihre Perlenschnur vom Hals und hing sie dem Jüngling um, und die Perlen blieben so hell und klar wie zuvor, o welche Freude durchströmte da ihr liebendes Herz! Sie küsste den Teuren segnend, und schied, und kehrte alle Abende wieder und hing allemal die Perlen um des Jünglings Hals, und die Perlen blieben allemal hell und glänzend. Der Jüngling war aber in seinem Herzen ebenfalls in Liebe zur schönen Perlenkönigin entbrannt und war dabei fromm und gut, nur war er allzu schüchtern und verzagt, um ihr öffentlich zu nahen.

Als sie nun wieder einmal des Nachts an des Jünglings Lager weilte, erwachte derselbe, blieb aber ruhig, sodass sie wähnte, er schlafe. Da nahm sie wieder die Perlenschnur vom Hals und hing sie ihm um, und weinte warme Tränen auf seine Wangen, und warf den Schleier zurück und nahm ihre Haare und trocknete die Tränen damit ab. Da sah der Jüngling, dass ihre Haare golden waren. Dann schlug sie das Busentuch zurück, da glänzte ein heller Spiegel auf ihrer Brust, aus welchem des Jünglings Bild sanft und schön herausblickte. Doch wann sie schied, wurde sie allemal betrübt und traurig; denn sobald die helle Perlenschnur nur ein einziges Mal trüb werden mochte am Halse ihres geliebten Fischers, hätte sie nimmer wieder ihm nahen dürfen.