Dich immer wiedersehen - Jennifer E. Smith - E-Book
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Jennifer E. Smith

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Beschreibung

Stromausfall in New York: Lucy und Owen lernen sich irgendwo zwischen dem 10. und 11. Stock kennen, steckengeblieben im Fahrstuhl eines Hochhauses. Doch auch in völliger Dunkelheit sind sich die beiden gleich sehr sympathisch. Als sie nach ihrer Rettung durch die dunklen Straßen von Manhattan schlendern, steht für beide fest, dass sie ziemlich gut zusammenpassen. Doch mit dem Strom kehrt leider auch die Realität zurück: Lucy wird mit ihren Eltern in wenigen Tagen nach Europa ziehen. Wann und wo wird sie Owen wiedersehen? Ein wunderbarer neuer Schmöker von Jennifer Smith ("Geschmack von Glück") – hochromantisch, unterhaltsam und trotzdem mit Tiefgang.

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Außerdem von Jennifer E. Smith im Carlsen Verlag erschienen:

Punktlandung in Sachen LiebeDer Geschmack von GlückUmwege zum Glück Sturmbändiger

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Das Eingangszitat stammt aus: E.E. Cummings, Like a perhaps hand, Poems/Gedichte, Übersetzung und Nachwort von Lars Vollert, Verlag C.H. Beck, München, 2013, mit freundlicher Genehmigung.

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Alle deutschen Rechte bei CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016Originalcopyright © 2014 by Jennifer E. Smith Inc. Originalverlag: Poppy, Hachette Book Group, New YorkPoppy is an imprint of Little, Brown & CompanyOriginaltitel: THE GEOGRAPHY OF YOU AND MEUmschlagbild: plainpicture © és; shutterstock.com © MarkauMark; shutterstock.com © VICTOR TORRES; shutterstock.com © Mark CarrelUmschlaggestaltung und -typografie: formlaborAus dem Englischen von Ingo HerzkeLektorat: Wiebke Andersen-Oberschäfer

Satz und E-Book-Umsetzung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

ISBN: 978-3-646-92716-0

Alle Bücher im Internet unterwww.carlsen.de

Für Allison, Erika, Brian, Melissa, Meg und Joe –weil sie mir beim wirklichen Blackout so gute Gesellschaft waren

dies ist das wunderdas die sterne in ihren bahnen hältich trage dich im herzen(ich trage dein herz in meinem)e. e. cummings

Hier

Am ersten September verdunkelte sich die Welt.

Doch in dieser tiefen Schwärze, mit dem Rücken an der Metallwand einer Fahrstuhlkabine, konnte sie das Ausmaß nicht einmal ahnen.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich das Dunkel über das Gebäude hinaus erstreckte, in dem sie ihr ganzes Leben gewohnt hatte, hinaus über die Straßen, wo die Ampeln ausgegangen und das Summen der Klimaanlagen verstummt war, so dass unheimliche, pulsierende Stille herrschte. Schon strömten Menschen auf die langen Avenues, die Manhattan längs durchschnitten, und drängten nach Hause wie Lachse, die einen Strom hinaufschwimmen. Überall auf der Insel dröhnten Hupen durch die Abendluft, wurden Fenster aufgerissen, und in Tausenden und Abertausenden Kühltruhen begann Eis zu schmelzen.

Die ganze Stadt war wie eine Kerze ausgeblasen worden, doch aus dem unbeleuchteten Würfel der Fahrstuhlkabine konnte Lucy das unmöglich wissen.

Ihr erster besorgter Gedanke galt nicht dem heftigen Ruck, mit dem sie zwischen dem zehnten und elften Stock zum Halten kamen, so dass die Kabine wackelte wie eine Gondel im Riesenrad. Er galt auch nicht der Frage, wie sie hier wieder herauskommen würden, denn wenn man sich auf irgendwas in dieser Welt verlassen konnte – noch viel mehr als auf ihre Eltern –, dann war es die kleine Armee von Portiers, die das Gebäude betreuten und sie stets grüßten, wenn sie von der Schule kam, oder sie an ihren Schirm erinnerten, wenn es nach Regen aussah, und die immer gern nach oben kamen, um eine Spinne zu beseitigen oder einen verstopften Duschabfluss zu reinigen.

Stattdessen verspürte sie eine gewisse bange Reue, dass sie sich so beeilt hatte, ausgerechnet diesen Fahrstuhl zu bekommen, dass sie über den Marmorfußboden des Foyers gerannt war und sich zwischen den Türen hindurchgezwängt hatte, kurz bevor sie zugingen. Hätte sie auf den nächsten gewartet, könnte sie jetzt mit George unten stehen – der die Nachmittagsschicht hatte – und überlegen, woher der Stromausfall rührte, anstatt mit jemandem in diesem engen Raum eingeschlossen zu sein, den sie überhaupt nicht kannte.

Der Junge hatte gar nicht aufgesehen, als sie vor ein paar Minuten durch die Türen geschlüpft war, bevor sie sich mit einem hellen Ping! hinter ihr schlossen, er hatte weiter den burgunderroten Teppich angeschaut. Sie war zur Rückwand der Kabine gegangen, ebenfalls ohne ihn zu beachten, und lauschte auf das leise Wummern der Musik aus seinem Ohrhörer, während sein weißblonder Hinterkopf leicht nickte, wenn auch nicht ganz im Rhythmus. Sie hatte ihn schon öfter gesehen, aber jetzt fiel ihr zum ersten Mal auf, wie sehr er an eine Vogelscheuche erinnerte, groß und schlaksig und mit schlenkernden Gliedern, wie eine unbeholfene Zeichnung aus Winkeln und Linien, die einen männlichen Teenager darstellen sollte.

Er war erst im letzten Monat eingezogen, und an dem Tag hatte sie vom Café nebenan aus zugeschaut, wie er mit seinem Vater eine kleine Möbelkollektion über den von Kaugummis übersäten Bürgersteig getragen hatte. Sie hatte gehört, dass ein neuer Hausmeister eingestellt worden war, aber sie hatte nicht gewusst, dass er seinen Sohn mitbrachte, erst recht nicht, dass dieser Sohn augenscheinlich in ihrem Alter war. Als sie den Portiers weitere Informationen zu entlocken versuchte, erfuhr sie bloß, dass die beiden irgendwie entfernt mit dem Besitzer des Gebäudes verwandt waren.

Danach hatte sie ihn noch ein paarmal gesehen – bei den Briefkästen oder auf dem Weg durchs Foyer oder im Café um die Ecke –, aber selbst wenn sie dazu neigen würde, auf Leute zuzugehen und sich vorzustellen, wäre sie bei ihm bestimmt auf Ablehnung gestoßen. Vielleicht lag es an den Ohrhörern, die er eigentlich immer drinhatte, oder daran, dass er immer so rasch aus dem Gebäude und wieder hinein huschte, als wollte er vermeiden, dass ihn jemand zu fassen bekam, oder an seinem in die Ferne gerichteten Blick, wenn sie ihn auf dem anderen Bahnsteig der U-Bahn entdeckte. Was es auch war, Lucy schien es völlig abwegig, ihn jemals kennenzulernen – oder auch nur so etwas Harmloses wie Hallo zu ihm zu sagen.

Als der Fahrstuhl ruckend zum Halten kam, trafen sich ihre Blicke, und trotz der misslichen Lage überlegte sie – albern eigentlich –, ob er sie ebenfalls erkannte. Doch dann waren die Lichter über ihnen ausgegangen, und beide blinzelten sie im Dunkeln, während der Boden unter ihren Füßen immer noch zitterte. Von oben waren ein paar metallische Geräusche zu hören – zwei Mal lautes Klirren, gefolgt von einem heftigen Knall –, dann war es bis auf den leisen Beat seiner Musik still.

Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, und sie sah seine gerunzelte Stirn, als er die Stöpsel aus den Ohren zog. Er schaute kurz in ihre Richtung, bevor er sich den Bedienungsknöpfen zuwandte und ein paar davon mit dem Daumen drückte. Als sie nicht aufleuchten wollten, haute er schließlich auf den roten Notfallknopf, und beide legten sie den Kopf schräg und warteten, dass der Lautsprecher knisternd zum Leben erwachte.

Nichts geschah, also drückte er den Notruf noch einmal, dann noch einmal. Schließlich hob er ratlos die Achseln. »Muss wohl das ganze Gebäude sein«, sagte er, ohne sich umzudrehen.

Lucy senkte den Blick und versuchte, nicht nach dem kleinen roten Pfeil über der Tür zu schauen, der irgendwo zwischen den Zahlen 10 und 11 hing. Sie gab sich alle Mühe, sich nicht den leeren Fahrstuhlschacht unter ihnen vorzustellen, oder die dicken, sich dehnenden Stahlseile über ihr.

»Ich bin sicher, sie arbeiten schon daran«, sagte sie, obwohl sie überhaupt nicht davon überzeugt war. Sie war schon öfter mit dem Fahrstuhl stecken geblieben, aber dabei war noch nie das Licht ausgegangen, und jetzt wurden ihr die Beine zittrig, ihr Magen verkrampfte sich. Schon jetzt kam ihr die Luft zu warm, der Raum zu eng vor.

Sie räusperte sich. »George ist ja gleich unten, also …«

Der Junge drehte sich zu ihr um, und es war zwar immer noch zu dunkel, um Einzelheiten erkennen zu können, aber je mehr Zeit verging, desto deutlicher sah sie ihn. Sie musste an ein physikalisches Experiment aus der fünften Klasse denken, als der Lehrer ihnen allen einen Pfefferminzbonbon in die Handflächen gelegt, das Licht ausgeschaltet und sie dann aufgefordert hatte, kräftig daraufzubeißen, worauf eine Reihe kleiner Funken im Klassenzimmer aufgeleuchtet hatten. So ähnlich kam es ihr jetzt vor: Wenn er redete, blitzten seine Zähne auf, und das Weiß seiner Augen leuchtete aus dem Dunkel.

»Klar, aber wenn das ganze Gebäude ohne Strom ist, kann das eine Weile dauern«, sagte er und ließ sich gegen die Wand fallen. »Und mein Vater ist heute Nachmittag nicht da.«

»Meine Eltern sind auch weg«, sagte Lucy, und sie konnte gerade so seinen Gesichtsausdruck erkennen, einen verwunderten Blick in ihre Richtung.

»Ich meine, weil er hier der Hausmeister ist«, sagte er. »Aber er ist bloß in Brooklyn, also wird er bestimmt bald wiederkommen.«

»Meinst du …«, fing sie an, schwieg dann, weil sie nicht wusste, wie sie die Frage formulieren sollte. »Meinst du, bis dahin kommen wir klar?«

»Ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen«, sagte er in beruhigendem Tonfall, doch dann fügte er leicht belustigt hinzu: »Es sei denn, du hast Angst im Dunkeln.«

»Kein Problem«, sagte sie und ließ sich an der Wand herabrutschen, bis sie auf dem Boden saß, und stützte die Ellbogen auf die Knie. Sie versuchte zu lächeln, doch das geriet ein bisschen zittrig. »Ich habe gehört, Monster sitzen lieber in Wandschränken als in Fahrstühlen.«

»Dann sind wir ja auf der sicheren Seite«, sagte er und setzte sich ebenfalls, in die Ecke gegenüber. Er zog sein Handy aus der Tasche, und im schwachen Licht glomm sein Haar grün, als er sich darüberbeugte. »Kein Netz.«

»Ist hier drin sowieso meist ziemlich schwach«, sagte Lucy und tastete nach ihrem eigenen Telefon, ehe ihr einfiel, dass sie es oben liegengelassen hatte. Sie war nur nach unten gerannt, um die Post zu holen, bloß eine kurze Fahrt ins Foyer und zurück, doch jetzt war ein besonders schlechter Zeitpunkt, so mit leeren Händen dazustehen.

»Und?«, sagte der Junge und lehnte den Kopf an die Wand, »bist du öfter hier?«

Sie lachte. »In genau diesem Fahrstuhl habe ich schon einige Zeit verbracht, ja.«

»Ich fürchte, da werden noch ein paar Minuten dazukommen«, sagte er mit bedauerndem Lächeln. »Ich heiße übrigens Owen. Ich finde, wir sollten uns bekannt machen, damit ich dich nicht immer Fahrstuhlmädchen nennen muss, wenn ich die Geschichte erzähle.«

»Mit Fahrstuhlmädchen könnte ich leben«, sagte sie. »Aber Lucy geht auch. Ich wohne in 24D.«

Er zögerte einen Augenblick, dann zuckte er leicht die Schultern. »Ich im Keller.«

»Ach ja.« Sie hatte zu spät daran gedacht, und jetzt war sie froh über das Dunkel, das die Röte ihrer Wangen verbarg. Das Apartmentgebäude war wie ein eigenes Land, und diese Buchstaben und Zahlen waren die Währung: Wenn man jemanden kennenlernte, sagte man nicht nur seinen Namen, sondern auch die Wohnungsnummer, nur hatte sie vergessen, dass der Hausmeister immer in der Dreizimmerwohnung im Keller wohnte, ein Stockwerk, das Lucy noch nie betreten hatte.

»Und falls du dich fragst, wieso ich nach oben unterwegs bin«, sagte er einen Augenblick später. »Ich habe entdeckt, dass die Aussicht auf dem Dach viel besser ist.«

»Ich dachte, da oben darf niemand hin.«

Er schob sein Handy wieder in die Hosentasche und zog einen einzelnen Schlüssel heraus, den er ihr auf der flachen Hand hinhielt. »Stimmt«, sagte er mit breitem Grinsen. »Streng genommen.«

»Du hast also Verbindungen nach ganz oben, was?«

»Eher nach ganz unten.« Er steckte den Schlüssel wieder in die Tasche. »Ich wohne im Keller, schon wieder vergessen?«

Diesmal lachte sie. »Was ist denn überhaupt da oben?«

»Der Himmel.«

»Du hast den Schlüssel zum Himmel?«, fragte sie, und er verschränkte die Finger und streckte die Arme über den Kopf.

»Damit beeindrucke ich alle Mädchen, die ich im Fahrstuhl treffe.«

»Und es funktioniert«, sagte sie amüsiert. Als sie ihn in den letzten Wochen aus der Ferne beobachtet hatte, war sie zu dem Schluss gekommen, er müsse scheu und unzugänglich sein. Aber als sie jetzt hier saßen und sich im Dunkeln angrinsten, merkte sie, dass sie womöglich falschgelegen hatte. Er war witzig und ein bisschen schräg und schien im Augenblick nicht die schlechteste Gesellschaft in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl.

»Allerdings«, fügte sie hinzu, »würde es mich noch viel mehr beeindrucken, wenn du uns hier rauskriegen könntest.«

»Mich auch«, sagte er und betrachtete die Kabinendecke. »Man sollte doch meinen, sie könnten wenigstens ein bisschen Musik durch die Leitungen schicken.«

»Wenn sie irgendwas durch die Leitungen schicken, dann hoffentlich kalte Luft.«

»Oh ja, die Stadt ist echt ein Backofen«, sagte er. »Kommt einem gar nicht vor wie September.«

»Stimmt. Kaum zu glauben, dass morgen die Schule wieder losgeht.«

»Ja, bei mir auch«, sagte er. »Falls wir hier je wieder rauskommen sollten.«

»Auf welche gehst du denn?«

»Wahrscheinlich nicht auf dieselbe wie du.«

»Will ich nicht hoffen«, sagte sie grinsend. »Meine ist eine reine Mädchenschule.«

»Dann bestimmt nicht«, sagte er. »Aber das war mir sowieso schon klar.«

»Was soll das heißen?«

»Na ja«, sagte er und wedelte unbestimmt mit der Hand herum, »du wohnst hier.«

Lucy zog die Augenbrauen hoch. »Im Fahrstuhl?«

»In diesem Gebäude.« Er verzog das Gesicht.

»Du doch auch.«

»Man müsste wohl zutreffender sagen, dass ich unter diesem Gebäude wohne«, witzelte er. »Aber ich wette, du gehst zu irgendeiner schicken Privatschule, wo alle Uniformen tragen und sich Sorgen machen, ob sie statt eines A bloß ein A– kriegen.«

Sie schluckte heftig und wusste nichts zu antworten, denn er hatte Recht.

Er nahm ihr Schweigen als Zustimmung und legte den Kopf schräg, als wollte er sagen: Hab ich doch gesagt. Dann zuckte er die Achseln. »Ich gehe zu der oben an der 112. Straße, die wie ein Bunker aussieht, wo alle durch Metalldetektoren laufen müssen und sich Sorgen machen, ob sie statt eines C bloß ein C– kriegen.«

»So schlimm wird es bestimmt nicht«, sagte sie, und sein Kiefer spannte sich an. Sogar im Dunkeln ließ seine Miene ihn viel älter wirken als noch wenige Augenblicke vorher, verbittert und zynisch.

»Die Schule oder die Stadt?«

»Klingt so, als wärst du von beidem nicht gerade begeistert.«

Er schaute auf seine Hände, die er auf den Knien verschränkt hatte. »Es ist bloß … eigentlich war das alles so nicht geplant«, sagte er. »Aber dann hat mein Vater diesen Job angeboten bekommen, und jetzt sind wir hier.«

»Ist gar nicht so schlecht«, erklärte sie. »Echt nicht. Du wirst bestimmt was finden, was dir gefällt.«

Er schüttelte den Kopf. »Es ist zu voll und zu eng. Man kriegt hier nie richtig Luft.«

»Ich glaube, du verwechselst die Stadt mit diesem Fahrstuhl.«

Sein Mundwinkel zuckte, aber dann runzelte er wieder die Stirn. »Es gibt keine Freiräume.«

»Eine Straße weiter liegt ein ganzer Park.«

»Man kann die Sterne nicht sehen.«

»Dafür kann man ins Planetarium gehen«, sagte Lucy, und da musste er einfach lachen.

»Bist du immer so gnadenlos optimistisch oder nur in Bezug auf New York?«

»Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht.« Sie zuckte die Achseln. »Es ist meine Heimat.«

»Meine nicht.«

»Deswegen musst du nicht gleich die Nummer vom missmutigen Neuankömmling abziehen.«

»Das ist keine Nummer«, sagte er. »Ich bin der missmutige Neuankömmling.«

»Gib der Stadt eine Chance, Bartleby.«

»Owen«, sagte er empört, und sie lachte.

»Ich weiß«, antwortete sie. »Aber du klingst wie Bartleby aus der Geschichte.« Sie wartete ab, ob er sie kannte, dann schob sie nach: »Herman Melville? Der Autor von Moby-Dick?«

»Den kenne ich«, sagte er. »Wer ist Bartleby?«

»Ein Schreiber«, erklärte sie. »So eine Art Sekretär. Aber in der ganzen Erzählung antwortet er auf jede Aufforderung, etwas zu tun, nur mit dem Satz ›Ich möchte lieber nicht‹.«

Er überlegte einen Augenblick. »Jep«, sagte er schließlich. »Das ist eine ziemlich gute Zusammenfassung meiner Haltung zu New York.«

Lucy nickte. »Du möchtest lieber nicht«, sagte sie. »Aber das liegt nur daran, dass es neu ist. Wenn du es besser kennenlernst, wird es dir hier gefallen, das habe ich im Gefühl.«

»Und jetzt bestehst du darauf, mir die Stadt zu zeigen, und dann ziehen wir zusammen rum und lachen und zeigen auf alle Sehenswürdigkeiten, und dann kaufe ich mir ein I ♥NY-T-Shirt und lebe glücklich und zufrieden bis ans Ende meiner Tage?«

»Das T-Shirt ist kein Muss«, sagte sie.

Einen langen Augenblick sahen sie einander im engen Raum an, bis er schließlich den Kopf schüttelte. »Entschuldige«, sagte er. »Ich benehme mich wie ein Arsch.«

»Schon in Ordnung«, sagte Lucy. »Wir können es unter Klaustrophobie verbuchen. Oder unter Sauerstoffmangel.«

Er lächelte, aber es wirkte gequält. »Es war einfach ein echt harter Sommer. Und ich glaube, ich habe mich einfach noch nicht ans Hiersein gewöhnt.«

Seine Augen fanden ihre im Dunkeln, und die Fahrstuhlkabine wirkte plötzlich kleiner als noch vor wenigen Minuten. Lucy dachte an die vielen anderen Male, als sie im Lauf der Jahre hier eingezwängt gewesen war: mit Frauen in Pelzmänteln und Männern in teuren Anzügen; mit kleinen weißen Hündchen an rosa Leinen und mit Portiers, die schwere Kisten auf Gepäckwagen schoben. Einmal hatte sie einen ganzen Tetrapak Orangensaft auf den Teppich geschüttet, genau da, wo Owen jetzt saß, und die Kabine hatte tagelang danach gestunken, und als sie noch klein war, hatte sie zum Entsetzen ihrer Mutter ihren Namen mit grünem Filzstift an die Wand geschrieben.

Hier hatte sie die letzten Seiten ihrer Lieblingsbücher gelesen, die ganze Fahrt nach oben geweint und die ganze Fahrt nach unten gelacht, hatte an tausend verschiedenen Tagen mit tausend verschiedenen Nachbarn geplaudert. Sie hatte mit ihren älteren Brüdern gestritten, mit Zähnen und Klauen gekämpft, bis die Tür unten mit einem Ping! aufging und sie wie die reinsten Engel ins Foyer hinausmarschierten. Sie war darin nach unten gefahren, um ihren zurückkehrenden Vater nach jeder einzelnen Geschäftsreise zu begrüßen, und einmal war sie sogar in der Ecke eingeschlafen, als sie darauf wartete, dass ihre Eltern von einer Benefizauktion nach Hause kamen.

Und wie oft waren sie alle zusammen hier drinnen eingezwängt gewesen? Dad mit der Zeitung unterm Arm, immer dicht an der Tür, fluchtbereit; Mom mit schmallippigem Lächeln, wie alle anderen zwischen Heiterkeit und Ungeduld schwankend; die Zwillinge, die sich gegenseitig grinsend die Ellbogen in die Seiten stießen; und Lucy, die Jüngste, in eine Ecke gedrückt, immer ein Stück hinter der Familie hertrottend wie drei Pünktchen am Ende eines Satzes.

Und jetzt saß sie hier in diesem Kasten, der viel zu klein schien, um so viele Erinnerungen zu beherbergen. Die Wände bedrängten sie, und niemand kam, sie zu retten. Ihre Eltern waren in Paris, jenseits des Atlantiks, wie üblich, auf der Art Reise, die sie immer nur zu zweit machten. Und ihre Brüder – die einzigen richtigen Freunde, die sie hatte – studierten Tausende Kilometer weit weg.

Als sie vor ein paar Wochen ausgezogen waren – Charlie nach Berkeley, Ben nach Stanford –, hatte Lucy das Gefühl, plötzlich Waise geworden zu sein. Dass ihre Eltern weg waren, war nichts Besonderes; sie reisten gerne allein in schneebedeckte europäische Städte oder auf exotische tropische Inseln. Aber das Zurückbleiben war nicht so schlimm, solange sie zu dritt waren. Ihre beiden Brüder waren ihre Beschützer, ihre Freunde und für jeden Spaß zu haben. Sie hatten immer dafür gesorgt, dass alles zusammenhielt.

Bis jetzt. Sie hatte sich daran gewöhnt, elternlos zu sein, aber ohne Brüder – und damit praktisch ohne Freunde –, das war etwas ganz Neues, und beide auf einmal zu verlieren, kam ihr sehr unfair vor. Jetzt war die ganze Familie rettungslos verstreut, und von ihrem Platz aus, ganz allein in New York, spürte Lucy wie zum allerersten Mal die Größe der Welt, ihr schieres Ausmaß.

Auf der anderen Seite des Fahrstuhls lehnte Owen wieder den Kopf an die Wand. »Es ist, wie es ist«, murmelte er und ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen.

»Ich hasse diesen Satz«, sagte Lucy ein wenig heftiger, als sie wollte. »Nichts ist, wie es ist. Alles ändert sich dauernd. Alles kann immer besser werden.«

Er schaute zu ihr herüber, und sie sah, dass er lächelte, obwohl er den Kopf schüttelte. »Du bist total verrückt«, sagte er. »Wir stecken in einem Fahrstuhl fest, in dem es heiß und stickig ist und uns wahrscheinlich bald die Luft ausgeht. Wir hängen an einem Seil, das bestimmt dünner ist als mein Handgelenk. Deine Eltern sind wer weiß wo, und mein Vater ist auf Coney Island. Und wenn uns bis jetzt noch niemand rausgeholt hat, kann es sehr gut sein, dass sie uns komplett vergessen haben. Also im Ernst, wie kannst du immer noch so zuversichtlich sein?«

Lucy rutschte von der Wand weg, winkelte die Beine zur Seite an und beugte sich vor. »Wieso ist dein Vater auf Coney Island?«, fragte sie, ohne auf seine Frage einzugehen.

»Das tut nichts zur Sache.«

»Wegen der Achterbahnen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Wegen der Hotdogs?«, fragte sie. »Wegen des Meeres?«

»Machst du dir gar keine Sorgen, dass niemand uns retten kommt?«

»Das hilft doch nicht weiter«, sagte sie. »Sich Sorgen machen.«

»Eben«, sagte er. »Es ist, wie es ist.«

»Nein«, sagte sie. »Nichts ist, wie es ist.«

»Na gut«, sagte er. »Es ist nicht, wie es nicht ist.«

Lucy sah ihn lange an. »Ich habe keine Ahnung, was du meinst.«

»Oder vielleicht möchtest du nur lieber nicht«, sagte er und beugte sich vor, und sie lachten beide. Die Dunkelheit zwischen ihnen fühlte sich plötzlich dünn und zart wie ein Papiertaschentuch an, noch weniger haltbar. Seine Augen leuchteten durch die Schwärze, während das Schweigen sich zwischen ihnen dehnte, und als er es endlich brach, klang seine Stimme erstickt.

»Er ist auf Coney Island, weil er dort meine Mutter kennengelernt hat. Er hat Blumen gekauft, um sie auf der Promenade niederzulegen. Dabei wollte er allein sein.«

Lucy machte den Mund auf, um etwas zu sagen – vielleicht eine Frage zu stellen oder ihm zu sagen, dass es ihr leidtat, doch jedes Wort erschien ihr viel zu klein, um in einem solchen Moment irgendwas zu bedeuten. Plötzlich fühlte sich die Stille so zerbrechlich an, und ihr fiel nichts ein, was es wert gewesen wäre, sie zu zerstören.

Er hatte den Kopf gesenkt, so dass sein Gesichtsausdruck schwer zu erkennen war, und sie kam sich überflüssig vor, hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Doch dann vernahm sie ein leises Klopfen und spürte ihr Herz im Hals schlagen, und seine Augen fanden ihre im Dunkeln wieder.

Erneut ertönte das Klopfen, und diesmal stand Owen auf, ging zur Tür und presste das Ohr dagegen. Er klopfte zur Antwort, und beide lauschten. Selbst vom Fußboden, auf dem sie immer noch wie betäubt saß, hörte sie draußen nun gedämpfte Stimmen, gefolgt von metallischem Knirschen. Einen Augenblick später erhob auch sie sich, und ohne zu sprechen, ohne sich überhaupt anzusehen, standen sie da, Schulter an Schulter, wie zwei Astronauten am Ende einer langen Reise, die darauf warten, dass die Türen aufgehen und sie in eine überwältigende neue Welt hinaustreten können.

Der Tag hatte schon im Dunkeln begonnen. Owen war vor Sonnenaufgang erwacht, war wie in den letzten zweiundvierzig Tagen aus dem Schlaf gerissen worden von einem Druck auf der Brust, der ihn wie eine Faust niederpresste. Er blinzelte die unbekannte Zimmerdecke an, die dünnen Risse, die eine Art Landkarte ergaben, und die Fliege, die darüber kreiste, als wolle sie einen nicht erkennbaren Ort markieren.

Nebenan hörte er einen Kaffeebecher klirren und wusste, auch sein Vater war wach. In den letzten sechs Wochen hatte sie beide die Schlaflosigkeit gequält, Tage und Nächte unterschieden sich kaum noch, flossen ineinander. Wie treffend, dass sie jetzt unter der Erde lebten; was konnte zu zwei Geistern besser passen?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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