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Im August 2023 wird im Spielpark Brændesgårdshaven eine Frau mit gebrochenem Genick aufgefunden. Wer hatte einen Grund, die Mitarbeiterin einer Ferienhausvermietung zu töten? Interims-Polizeichef Jan Kofoed, Ditte Holm, Sanne Kjøller und Christian Dam bemerken schnell Spannungen innerhalb der Firma. Aber es gibt auch äußerst unzufriedene Kunden, die zum Teil sehr drastische Drohungen ausgestoßen haben. Undurchsichtig erscheint ebenfalls das Privatleben der Frau. Zusätzlich wird die Polizei durch einen bei einer Schlägerei lebensgefährlich verletzten Touristen in Atem gehalten. Und dann sorgen Aktivitäten von Umweltaktivisten auf der ganzen Insel für Unruhe. Viel Arbeit für das Team und seine neue Chefin Sofie Sonne.
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Seitenzahl: 377
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Im August 2023 wird im Spielpark Brændesgårdshaven eine Frau mit gebrochenem Genick aufgefunden. Wer hatte einen Grund, die Mitarbeiterin einer Ferienhausvermietung zu töten? Interims-Polizeichef Jan Kofoed, Ditte Holm, Sanne Kjøller und Christian Dam bemerken schnell Spannungen innerhalb der Firma. Aber es gibt auch äußerst unzufriedene Kunden, die zum Teil sehr drastische Drohungen ausgestoßen haben. Undurchsichtig erscheint ebenfalls das Privatleben der Frau. Zusätzlich wird die Polizei durch einen bei einer Schlägerei lebensgefährlich verletzten Touristen in Atem gehalten. Und dann sorgen Aktivitäten von Umweltaktivisten auf der ganzen Insel für Unruhe. Viel Arbeit für das Team und seine neue Chefin Sofie Sonne.
Carl Harry Kirkeby betrat 1967 mit seinen Eltern und seiner Schwester erstmals Bornholm. Seitdem ist er fast jedes Jahr wieder dort gewesen und das zu allen Jahreszeiten. So ist die Insel zu seiner zweiten Heimat geworden. Er verfasste unter anderem Namen Reiseführer über Bornholm, Jütland, Kopenhagen und Dänemark. 2022 bekam er die Idee für eine Krimireihe auf Bornholm, deren bereits fünfter Band „Die 10 Tage von Svaneke“ ist.
In seinem deutschen Leben arbeitet der gebürtige Lübecker Jan Scherping als Personalberater und Coach in Schwerin und veröffentlicht auf seiner Website u. a. regelmäßig Blogs zu seinem Berufsalltag.
www.nord-coach.de
Ermittler auf Bornholm
Christian Dam, aufstrebender und ehrgeiziger Ermittler auf Bornholm
Ditte Holm, studierte Psychologin und Ermittlerin bei der Polizei Bornholm
Sanne Kjøller, von der Bereitschaftspolizei in die Ermittlungsabteilung befördert
Jan Kofoed, erfolgreicher und sehr bekannter Ermittler, nun wieder auf Bornholm tätig
Bornholmer(A-Z)
Anja Andersen, Leiterin der Ferienhausvermittlung Solrig in Nexø
Lærke Dam, Volksschullehrerin und verheiratet mit Christian
Niklas Friis, der neue Chef der Bereitschaftspolizei
Lone Holm, Mitarbeiterin im Bauamt Bornholm und mit Ditte verheiratet
Ida Ibsen, Politikerin und ehemaliges Entführungsopfer
Elin Lund, Mitarbeiterin der Ferienhausvermittlung Solrig, Opfer
Eemil Pyykkö, gebürtiger Finne und jetzt Öko-Bauer in Ibsker
Terkel Rasch, Rentner in Svaneke
Jess und Irene Schrøder, Inhaber des Ferienhausvermittlers Drømmestrand
Sonja Skovgaard, Witwe (Jens-Ole † 2018) und jetzt Partnerin von Jan Kofoed
Sofie Sonne, Chefin der gesamten Polizeibehörde inklusive Verwaltung und Anklage
Dänen(Festland)
Kasper Bruun, Urlauber aus Kopenhagen und Opfer einer Schlägerei
Gert Poulsen, Inhaber eines Angelshops in Ringkøbing (Jütland)
Anne Simonsen, Ex-Schwiegermutter von Ida Ibsen
Mathias Trøst, Sprecher der Aktivister mod Overturisme (AmO)
Silas Østergaard, Ex-Mann von Elin Lund
Sie hatte sich mit einer Freundin in Kopenhagen getroffen. Als sie abends nach Hause kam, war das Haus dunkel, aber der Wagen ihres Mannes stand vor der Tür. Sie wunderte sich.
Als sie ins Wohnzimmer kam und das Licht anmachen wollte, wurde ein Spotstrahler auf sie gerichtet.
„Wo warst du?“
„Ich war in Kopenhagen, mit Silvia. Das hatte ich dir gesagt.“
„Das hattest du nicht.“
„Doch, vorgestern beim Abendbrot.“
Er kam zu ihr: „Warum lügst du mich so frech an, obwohl ich dich so sehr liebe?“ Dann knallte er ihr eine und ging zurück.
Ihre Wange brannte: „Was soll dieses blöde Licht? Ich bin doch nicht beim Verhör!“ Sie versuchte, ihren Schmerz zu ignorieren und ihre Tränen zu unterdrücken.
„Was ist in den Taschen?“
„Ich habe ein paar Klamotten gekauft. Eine Hose, zwei Blusen, etwas Unterwäsche.“
Er kam wieder vor und holte die Sachen aus den Tüten:
„Habe ich dir das erlaubt?“
„Aber wir sind verheiratet, uns gehört doch alles zusammen, warum muss ich um Erlaubnis fragen?“
„Weil es mein Geld ist.“ Dieses Mal traf er die andere Wange. Dann griff er eine Schere: „Los, zerschneide die Sachen.“
„Aber…“ Weiter kam sie nicht. Er umklammerte ihren Hals.
„Wenn ich sage, dass du die Sachen zerschneiden sollst, dann tust du das, ist das klar?“ Er roch nach Gin und Zigarette.
Sie konnte ein „Ja“ nur noch röcheln. Er ging zurück zu seinem Platz, während der Spot sie weiterhin anstrahlte. Unter Tränen zerschnitt sie ihren Einkauf.
„Braves Mädchen, jetzt heb alles auf und bring das in den Müll. Ich hasse Unordnung.“
Sie befolgte die Anweisung. Bloß keine weiteren Schläge.
Als sie zurückkam, hatte er den Gürtel seiner Hose in der Hand: „Bluse und BH aus!“
„Nein, bitte nicht.“ Die Risse auf ihrem Rücken von der letzten Woche waren noch nicht ganz verheilt.
Er trat hinter sie und riss die Bluse herunter, deren Knöpfe durch das Zimmer flogen. Er öffnete den BH, den er auf den Boden schmiss. Im selben Moment klatschte der Gürtel kräftig auf ihren Rücken. Wieder und wieder.
Sie flehte, er möge aufhören, doch er stoppte nicht. Sie schrie ohne Ende vor Schmerz, bis sie endlich das Bewusstsein verlor.
Als sie wieder aufwachte, lag sie in seinen Armen.
„Mein kleines Häschen, das tut mir so leid, das wollte ich nicht. Ich wollte nicht böse zu dir sein. Glaubst du mir das?“
Natürlich sagte sie „Ja“. „Nein“ hatte sie nur beim ersten Mal gesagt, da war er erneut völlig ausgerastet.
„Es tut mir wirklich leid. Ich entschuldige mich. Das wird nicht wieder vorkommen.“
Wie oft hatte sie diesen Satz schon gehört.
„Ich liebe dich so sehr, weißt du. Ich will immer gut zu dir sein.“
„Ja, ich weiß.“ Hoffentlich besänftigte ihn das.
So lagen sie still eine Weile auf dem Sofa. Was jetzt kommen würde, wusste sie.
„Lass uns ins Schlafzimmer gehen, da mache ich alles wieder gut.“
„Ich bin sehr müde von dem Tag in Kopenhagen.“
„Ich weiß, aber ich muss es wiedergutmachen, dass ich dir wehgetan habe.“
Er zog sie hoch. Erst machte sie sich schwer, aber dann gab sie nach. Wie immer. Sie folgte ihm, zog sich aus und begab sich ins Bett. Er legte sich auf sie und begann. Sie schluchzte und hoffte, dass es bald vorbei sei. Ich muss hier endlich, endlich raus, dachte sie genau in dem Moment, in dem er kam.
Tag 1
Kapitel 1
Tag 2
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Tag 3
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Tag 4
Kapitel 12
Kapitel 13
Tag 5
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Tag 6
Kapitel 17
Tag 7
Kapitel 18
kapitel 19
Kapitel 20
Tag 8
Kapitel 21
Kapitel 22
Tag 9
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Tag 10
Kapitel 26
Kapitel 27
Weitere Informationen
Zum Schluss
Bornholmkrimi-Shop
Es war der dritte Tag, an dem er der Frau gefolgt war. Er musste sie in einem Augenblick erwischen, in dem ihn niemand beobachten konnte. Vorgestern war sie nach ihrer Arbeit mit einem Begleiter, schätzungsweise um die 70 Jahre, am Strand von Boderne gewesen. Sie hatte den Mann von einem Ferienhaus in Øster Sømarken abgeholt. Er war dem Paar in seinem Wagen vorsichtig gefolgt. Sie trug eine Kühltasche, sie wollten wohl etwas länger bleiben. Er hatte sich oberhalb in die Dünen verkrochen und sie gut im Blick. In Shorts saß er auf dem Handtuch, das er immer im Auto hatte. Ebenso wie zu dieser Jahreszeit die Sonnencreme.
Sie hatten mehrfach gebadet und auf den Badetüchern zaghaft Zärtlichkeiten ausgetauscht. Als die Sonne immer weiter gen Westen zog, waren sie wieder aufgebrochen. Auf dem Weg zum Parkplatz musste er etwas Abstand zu ihnen wahren, denn der Strand war schon ziemlich leer geworden. Aber natürlich gelang es ihm, ihnen zu folgen. Zurück in Øster Sømarken und dem Ferienhaus des Mannes war sie mit hineingegangen. Nein, heute würde er die Sache nicht abschließen können.
Gestern war es nicht besser gelaufen. Vor dem Ferienhaus war ihr Auto nicht mehr gewesen. Klar, sie musste ja arbeiten. In Nexø in der Nähe des Ferienhausvermieters Solrig1 hatte er morgens ihren Wagen entdeckt. Er war zurückgefahren und hatte darauf spekuliert, dass sie bis 15 oder 16 Uhr arbeiten würde. Punkt 15 Uhr parkte er in Sichtweite und blieb bei geöffneter Tür im Auto, die Sonne brannte regelrecht.
Es war wie vermutet gekommen. Kurz nach 15 Uhr war sie in ihren Wagen gestiegen und nach Svaneke gefahren. Er hatte seinen Wagen bei der Räucherei geparkt und sich in die Nähe ihres Hauses begeben. Bald hatte sie an einem Nachbarhaus geklingelt, ein alter Mann mit Gehwagen war herausgekommen und sie waren zum Einkaufen bei Brugsen gegangen. Er war leicht genervt, sehr bald musste seine Chance kommen. Nach circa einer Stunde war sie von dem alten Mann wieder in ihr Haus zurückgegangen. Blieb sie den ganzen Abend dort? Vielleicht sollte er einfach klingeln, sie ins Haus drängeln und tun, was er tun musste. Aber er hatte Angst, dass sie schreien und so die Nachbarn wecken würde. Er musste noch ein wenig Geduld haben. Bald darauf hatte eine andere Frau mit ihrem Rad vor dem Haus gestoppt und bei ihr geklingelt. Zusammen waren sie zum kleinen Hullehavn Strand am Svaneke Fyr geradelt. Wahrscheinlich würde die andere Frau sie wieder zurückbegleiten.
War sie denn nie allein? Entnervt hatte er für diesen Tag aufgegeben und den Wagen gestartet.
Aber heute. Endlich. Sie war von Solrig direkt nach Brændesgårdshaven gefahren. Er wunderte sich. Was wollte sie in dem Vergnügungspark für kleine Kinder?
Hatte sie Neffen oder gar Enkel? Oder wollte sie ins Badeland? Nein, der Mann von vorgestern am Strand wartete bereits auf dem Parkplatz auf sie. Sie trug noch etwas formale Business-Kleidung, er war lässig mit einer hellen Stoffhose und einem roten Polo bekleidet. Sein Wagen gehörte zu den teureren Modellen von Mercedes. Er folgte ihnen. Vor dem Kassenhäuschen zog er sein Basecap tiefer ins Gesicht. Sicherheitshalber zahlte er nicht mit Karte und schaute die Kassiererin auch nicht an. Die telefonierte sowieso gerade.
Sie gingen zunächst zum See hinunter, schauten auf die Enten und die Ruderboote. Spazierten zurück in die Cafeteria und tranken Kaffee. Danach standen sie eine ganze Weile bei den Affen. Bewegten sich anschließend zum Karussell hinüber, weiter zur Seilbahn. Redeten, scherzten, vorsichtige Berührungen.
Überall herrschte Kindergeschrei, wurde „Mama“, „Papa“ oder „Oma“ gerufen, wurde gelacht oder geweint. Es wirkte, als wenn das Paar sich in dem Trubel treiben ließ. Er schaute nervös auf seine Uhr. Über eine Stunde waren sie schon hier, bald würde der Park geschlossen werden. Sie setzten sich oberhalb des Sees auf eine Bank, die etwas versteckt zwischen Bäumen und Gestrüpp stand. Unterhielten sich und berührten sich hin und wieder. Aber sehr zurückhaltend.
Er hatte sich etwas entfernt von ihnen ins Gras gesetzt, sein Handy herausgeholt und so getan, als wenn er im Web surfen würde.
Nach und nach verließen die Besucher das Gelände, es war 18 Uhr, in einer halben Stunde würden die Tore schließen. Verdammt, wieder keine Chance. Vermutlich würden die zwei bei ihr oder ihm im Bett landen.
Plötzlich erhob sich der Mann, gab ihr einen Kuss und ging. Die Frau blieb auf der Bank sitzen. Er schaute sich um. Es waren hier kaum noch Leute unterwegs. Er checkte das Gelände. Es war ideal. Er schritt langsam in ihre Richtung, sie hatte ihm den Rücken zugewandt und blickte weiterhin auf den See. Sie stand auf, streckte sich und griff ihre Handtasche. Er drehte sich um. Niemand in der Nähe. Er streifte sich sofort zwei Einweg-Handschuhe über und stand blitzschnell hinter ihr. Er packte mit einer Hand ihre eine Schulter, mit der anderen ihr Kinn. Ein kurzes Knacken, dann war es geschafft. Er zog sie in das Gebüsch unmittelbar hinter sich, öffnete ihre Handtasche, nahm die Geldbörse und zog die Kronenscheine heraus. Die brauchte sie nicht mehr, er würde sich heute Abend das Bier zur Feier seines Erfolges davon kaufen. Er schaute nochmals nach links und rechts, dahinten näherte sich eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Er ging in die andere Richtung. Als die Familie verschwunden war, holte er sein Leatherman Multifunktionswerkzeug heraus, schnitt ein Loch in den Zaun und schlüpfte hindurch.
Er war sich nicht sicher, ob es am Ausgang Kameras gab und wollte nichts riskieren. Zu dem Parkplatz ging er über die Felder. Im Wagen klopfte er sich auf die Schenkel. Endlich, endlich. Es hatte geklappt. Sie hatte wahrscheinlich gar nichts von ihrem Tod mitbekommen, so schnell hatte er sie gegriffen.
Auf der Rückfahrt hatte er von ihrem Geld eine Kiste Bier gekauft und von dem jetzt schon etwas zu viel getrunken. Aber das hatte er sich verdient.
1 Sonnig
Der Reinigungstrupp schritt durch den Park. Sammelte Papier und Plastik auf, reinigte die Bänke vom Vogeldreck, säuberte die Plastikruderboote. Zur Eröffnung um 10 Uhr sollte der Park wieder in einem guten Zustand sein. Am Karussell waren sie schon gewesen, bei den kleinen Autos und bei der Mini-Achterbahn Mariehønen2. Ein Teil ging jetzt Richtung Affen und Cafeteria, der andere orientierte sich Richtung der gegenüberliegenden Seeseite. Routiniert wie jeden Morgen. Im Vergleich zum Besucherlärm später war es jetzt noch still, die Sonne wärmte den Park bereits auf.
Eine Mitarbeiterin schritt das kurze Stück hinauf zu einer etwas versteckt liegenden Parkbank.
Ihr Schrei Sekunden später hallte über den gesamten Park. Sofort schmiss der Rest alle Gerätschaften von sich und lief zu der Kollegin. Die stand starr vor Schreck neben der Bank und blickte in das Gebüsch. In dem lag jemand. Fassungslos starrten auch alle anderen auf die Person mit dem seltsam abgewinkelten Kopf. Eine der Frauen holte ihr Handy hervor und wählte den Notruf. Dann kehrte fassungslose Stille im Spielpark von Brændesgårdshaven ein. Nur Möwen, Enten und andere Vögel machten sich an diesem frühen Sommermorgen unbeeindruckt bemerkbar. Und natürlich die Affen. Das würde bald ganz anders sein, aber nicht so, wie die Parkleitung es sich vorgestellt hatte.
Jan hatte in seinem kurzen schwarz-blau gestreiften Schlafanzug in Sonjas Garten gesessen und seinen ersten Kaffee getrunken, während seine Partnerin gerade im Bad war. Derzeit war es ruhig und zugleich unruhig auf Bornholm. Ja, die Bereitschaft hatte mehr zu tun, schließlich waren nicht nur viele der knapp 40.000 Bornholmer zu Hause, sondern es machten sich zusätzlich zahlreiche Festlands-Dänen, Deutsche, Polen, Schweden, Holländer und andere auf der Insel gemütlich. Der Sommer war warm, die Insel brechend voll und der Alkohol bekam nicht jedem. Autounfälle, Konflikte um die raren Parkplätze in den kleinen Städten, Stress zwischen Auto- und Radfahrern, ein paar wenige Einbrüche in Ferienhäuser, kleine Kneipenschlägereien, es war alles dabei. Aber es gab keinen großen Fall.
Für Jan hatte sich auch etwas geändert. Nach dem schrecklichen Ereignis vom Februar, der Entführung einiger Prominenter durch selbsterklärte Freiheitskämpfer, hatte sich die Insel bislang nicht wieder erholt. Karen, die Polizeichefin, war seitdem in Frederiksværk in psychiatrischer Behandlung. Jan wurde ihr Nachfolger, aber nur für zwei bis drei Jahre, dann sollte Ditte diesen Job übernehmen. So hatte es Kopenhagen entschieden, Jan war damit nicht glücklich, er brauchte diese zwischenzeitliche Beförderung nicht, sah sich aber in der Pflicht. Die Konsequenz dieser Regelung war, dass er noch mehr Arbeit auf dem Tisch hatte. Er war jetzt nicht mehr nur für das Ermittler team verantwortlich, sondern auch für die Bereitschaftspolizei. Ditte musste wiederholt zu Lehrgängen nach Kopenhagen und anderswo. Christian war im April Vater einer Tochter geworden und verbrachte möglichst viel Zeit bei Lærke und der kleinen Luna. Er wollte demnächst in die Elternzeit gehen. Und Sanne, das neue Teammitglied, war mit 24 Jahren noch zu unerfahren, um die anderen gegebenenfalls zu ersetzen.
Da musste Jan sich noch etwas überlegen.
Er hatte langsam seinen Kaffee getrunken und den anbrechenden Tag genossen. Im Hafen herrschte selbstverständlich schon Betrieb. Die Hammershus war bereits aus Køge gekommen und würde um 8 Uhr gen Deutschland starten, zudem wurde am Sydhavn unüberhörbar an der Montage von Windrädern gearbeitet, die anschließend zu Offshore-Feldern gebracht werden sollten.
„Meinst du, du kannst am Nachmittag zeitig Feierabend machen, damit wir noch etwas zum Strand fahren können?“ Sonja hatte hinter ihm in ihrem rosa-silbernen Nachthemd gestanden, in der einen Hand einen Kaffeebecher und die andere auf Jans Schulter gelegt.
Und nun klingelte plötzlich sein Telefon. Um die Uhrzeit? Das verhieß nichts Gutes.
Die Zentrale im Zahrtmannsvej rief an, der landesweite Notruf hatte sich dort gemeldet. Eine Tote im Brændesgårdshaven.
„Gibt es Hinweise auf Mord?“, hatte Jan den Kollegen gefragt.
„Die Bereitschaft ist alarmiert, Berger und Knudsen sind unterwegs, danach wissen wir mehr. Die Frau, die uns angerufen hat, sprach von einem schrägen Kopf, was immer auch sie damit gemeint hat. Vielleicht ist die Frau auch nur unglücklich gestolpert.“
„Vielleicht“, hatte Jan geantwortet.
„Ich habe mir meine Frage gerade selbst beantwortet“, kommentierte eine sichtlich enttäuschte Sonja das Telefonat. Jan nickte nur und ging zu dem Kleiderschrank, den er bei Sonja hatte. Während er sich frische Sachen anzog, ahnte er, dass er auf die Ostseite der Insel fahren musste. Eine gute halbe Stunde später wurde das zur Gewissheit. Knudsen hatte angerufen. Alles hatte so merkwürdig gewirkt, es sei doch wohl besser, wenn auch Knud Rømer, der Gerichtsmediziner, kommen würde, ebenso die Spurensicherung. Eine Mitarbeiterin aus der Reinigungsfirma, die hier ihren morgendlichen Einsatz gehabt hatte, hatte inzwischen ein kleines Loch in einem Zaun entdeckt. Sie war sich ganz sicher, dass das am Tag zuvor noch nicht dort gewesen sei.
Jan hatte seinen Kaffee ausgetrunken, noch zwei schnelle Scheiben Brot gegessen und zwischendurch mit Ditte, Sanne und Christian telefoniert. Letzterer wäre gerne in seinem Home-Office namens Luna geblieben, doch Jan wollte mit Extrawürsten gar nicht erst anfangen.
Jan ging schnellen Schrittes durch den Eingang und über den Schotterweg hinunter zu dem kleinen See.
Linkerhand äußerten sich die Bewohner des Affenkäfigs schon lautstark. Rund um den See herrschte aufgeregtes Treiben. Er sah Sanne mit einem Mann sprechen. Sie hatte den kürzesten Weg gehabt, denn sie wohnte in Bølshavn. Ob allerdings weiße Sneaker, eine weiße Leinenhose und ein rosa T-Shirt für die zum Teil sehr staubigen Schotterwege eine gute Wahl waren, würde sich noch herausstellen.
Er schritt hinauf zu der Parkbank und begrüßte alle Anwesenden durch kurzes Nicken. Die Spurensicherung arbeitete bereits, ebenso Knud, der Gerichtsmediziner. Der schaute Jan mit erstaunter Miene an:
„Guten Morgen Jan, weshalb bist du hier? Habe ich etwas von Mord gesagt?“
„Guten Morgen Knud, du vergisst, dass ich jetzt für alles zuständig bin, auch für Nichtmorde. Abgesehen davon spüre ich, dass es sich hier um einen Mord handelt.“
Knuds Lächeln änderte sich in einen sehr ernsten Gesichtsausdruck: „Du hast recht, es sieht ganz so aus. Eines natürlichen Todes ist die Dame nicht gestorben.
Du siehst, dass ihr Kopf abgeknickt ist. Sie ist nicht gestolpert, sondern jemand hat ihr schlicht und ergreifend das Genick gebrochen.“
Jan nickte und schaute in die Runde: „Kennen wir schon ihren Namen?“
„Ja, sie heißt Elin Lund“, war die Antwort von Ditte.
„Berger kennt sie, sie arbeitet bei Solrig, dem Ferienhausvermittler in Nexø.“
„Und wer hat sie entdeckt?“
„Jemand vom Reinigungsdienst. Der Park wird abends nur ganz grob gereinigt, wenn die letzten Besucher gegangen sind. Morgens kommt ein größerer Trupp und räumt gründlich auf, beseitigt auch die Ergebnisse der Nacht, also Vogelkot, heruntergefallene Blätter und so weiter.“
Jan wandte sich wieder Knud zu: „Kann es sein, dass die Frau beim groben Reinemachen gestern übersehen wurde?“
„Ja, davon gehe ich aus, sie liegt mindestens zwölf Stunden hier im Gebüsch.“
„Das ist interessant. Ist schon jemand vom Park hier?“
„Ja, der Mann dort drüben in den orangefarbenen Chinos, der sich mit Sanne unterhält.“
„Was hatte sie bei sich?“
„Ein Handy haben wir nicht gefunden, im Portemonnaie fehlten die Scheine, aber einen Autoschlüssel haben wir. Dafür keinen Hausschlüssel.“
„Da heißt, dass ihr Auto noch hier steht.“
„Ja, die Bereitschaft hat den Wagen entdeckt und die Spurensicherer gehen gleich hin.“
Jan betrachtete die Frau in aller Ruhe. Vermutlich Mitte 50, mittelgroß, schlank, halblanges blondes Haar, die Kleidung, teuer und minimalistisch. Das Ge
sicht war auffallend hübsch, eine attraktive Frau. Große rote Ohrringe, an den Ringfingern steckten jeweils auffällig große Ringe. Wie sie mit diesen hohen Absätzen durch den Park flanieren konnte, blieb ihm allerdings schleierhaft.
Er ging zu dem Mann vom Park hinüber: „Guten Tag, ich bin Jan Kofoed, der Bornholmer Polizeichef.“
Der Mann schwitzte nicht nur wegen der Morgensonne, er war übernervös und wirkte etwas orientierungslos: „Guten Morgen, ich bin Martin Eskildsen, ich bin hier für den Tagesbetrieb verantwortlich.“
„Sehr schön, Martin. Hast du vorn schon abgesperrt?“
„Nein, wir haben ja noch geschlossen. Wir öffnen doch erst um 10 Uhr.“
„Aber nicht heute.“
„Nein? Seid ihr bis dahin nicht fertig?“
Jan schüttelte amüsiert den Kopf: „Nein, bestimmt nicht. Vielleicht gegen Mittag, vielleicht auch erst gegen Abend, ich weiß es nicht. Stelle bitte auf dem Parkplatz ein Schild auf, dass der Park heute geschlossen bleibt.“
„Aber wenn ihr mittags fertig seid?“
„Dann nimmst du das Schild weg. Gibt es hier Kameras, die uns weiterhelfen könnten?“
Martin Eskildsen schüttelte wortlos den Kopf, drehte sich um und lief in Richtung seines Büros.
„Der arme Kerl, der ist ja mit der Situation völlig überfordert“, blickte Sanne ihm hinterher. „Da drüben ist ein größeres Loch in den Zaun geschnitten worden, das es gestern wohl noch nicht gab. Also kann der Täter dadurch geflohen sein. Die Spurensicherung war gerade dort.“
In diesem Moment kam Christian durch den Eingang angelaufen: „Sorry Jan, aber…“
„Schon gut, komm, wir schauen uns da drüben mal das Loch an.“
Als die beiden Männer außer Hörweite waren, platzte es aus Jan heraus: „Christian, das geht nicht, dass du hier als Letzter eintrudelst.“
„Jan, Luna hatte…“
„Christian, ich habe selbst zwei Kinder, du musst mir nicht erzählen, dass die Nächte in den ersten Jahren kurz und anstrengend sind. Und wenn es sich um einen normalen Tag handelt, schaue ich auch nicht auf die Uhr. Aber wenn Alarm ausgelöst wurde, dann bedeutet das, dass man alles stehen und liegen lässt und zum Tatort fährt. Schnellstmöglich.“
Stille.
„Ja.“
Stille.
„So, nun lass uns mal den Zaun anschauen. Die Spurensicherung hat ihn gerade abgesucht. Wir sollten trotzdem vorsichtig sein.“
Die beiden betrachteten ihn erst von der Parkseite, dann stiegen sie durch das Loch.
„Da hatte wohl jemand eine Zange dabei oder ein Allzweck-Werkzeug“, stellte Christian fest. Er wollte gut Wetter machen. „Hier gibt es nicht mehr zu sehen, ich schaue mal, ob ich da vorn unterstützen kann.“ Christian trottete davon. Jan sah ihm nach. Die nächsten Wochen mit dem jungen Vater konnten anstrengend werden.
Jan streifte langsam über den Spielpark. Der hatte sich kaum verändert, seit er hier als kleiner Junge mit seinen Eltern gewesen war. Gewiss, das Badeland dahinten war dazugekommen. Aber das große Karussell mussten immer noch die Erwachsenen anschieben, die Schaukelpferde und die kleinen Holzautos waren die seiner Kindheit, auch die Seilbahn über den See, alles mechanisch. Er mochte das, Bilder von vor 50 Jahren kamen auf. Nur die schönen grau-weißen Holzboote auf dem See waren durch schmucklose knallrote aus Plastik ersetzt worden. Und die Affen waren vermutlich auch nicht mehr die von vor 50 Jahren.
Knud kam ihm über die Wiese entgegen: „So, ich fahre jetzt zurück und schaue mir das Opfer noch genauer an. Du erhältst so schnell wie möglich die endgültige Diagnose. Aber ich bin sehr sicher, dass jemand ihr mit einem Griff das Genick gebrochen hat.“
„Danke, Knud. Schade, dass du schon fährst. Ich hatte gehofft, dass du das Karussell anschiebst, während ich auf einem der Pferde sitze.“
Knud Rømer hob die Schultern: „Ein anderes Mal, Jan. Mir sitzt dieser schreckliche neue Bornholmer Polizeichef im Nacken.“
Jan kehrte zu Ditte, Sanne und Christian zurück. Sanne berichtete, dass es keine Kameraüberwachung gäbe, man also nicht Filmaufnahmen vom Ein- und Ausgang auswerten könne. Sie hatte aber die Telefonnummer der Kassiererin von gestern Abend erhalten, die würde sie später anrufen. Vielleicht konnte sie sich an Elin erinnern.
Jan hatte Ditte in den letzten Wochen klargemacht, dass sie immer stärker die Führung übernehmen müsse, seine Aufgaben seien jetzt andere. Noch verließ sie sich zu sehr auf ihn. Er nickte ihr zu.
„Es besteht kein Zweifel, dass es sich bei der Frau um Elin Lund handelt“, begann Ditte. „Sie wohnt in Svaneke. Da werden wir gleich hinfahren. Anscheinend ist sie alleinstehend. Zumindest ist nur sie dort gemeldet. Und wir müssen uns parallel bei Solrig in Nexø über sie erkundigen. Danach werden wir überlegen, wo wir noch mehr über sie herausbekommen können.“ Ihre drei Kollegen nickten. „Mein Vorschlag ist, dass Jan und Sanne nach Svaneke fahren, sich die Wohnung anschauen und ein paar Nachbarn befragen. Christian und ich fahren nach Nexø.“
Die vier gingen gemeinsam zum Ausgang. Auf dem Parkplatz standen viele Besucher vor dem verschlossenen Tor. Ratlos liefen sie zu den Ermittlern, als sie sie sahen, und baten um Auskunft. Jan erklärte auf Dänisch, dass es ein Unglück gegeben habe, die Polizei gerade noch die Spuren sichere und Brændesgårdshaven vermutlich erst mittags öffnen könne. Vielleicht aber heute auch gar nicht mehr, das müsse man abwarten. Christian, der ausgezeichnet Deutsch sprach, übersetzte Jans Worte für die zahlreichen deutschen Familien. Da kam auch endlich Martin Eskildsen mit einem selbstgeschriebenen Plakat um die Ecke gelaufen, auf dem auf eine verspätete Öffnung hingewiesen wurde.
Jan steuerte nach Svaneke hinein. Die Stadt war bereits erwacht, Einheimische und Touristen trugen Brötchentüten oder andere erste Einkäufe heim. Noch roch Dänemarks östlichste Stadt nach Morgen, doch bald würde der Diesel der Reisebusse dominieren. Die Sonne wärmte die Besucher und ließ die überwiegend gelben und roten Häuser erstrahlen. Jan kannte diese Bilder nur zu gut, denn in dieser Stadt war er aufgewachsen.
Elin Lund besaß eine Haushälfte nahe der Räucherei und mit Blick auf den kleinen Sportboothafen. Sanne parkte dort bereits. Unsere Rennfahrerin, schmunzelte Jan. Den Hausschlüssel hatte die Spurensicherung mittlerweile in Elins Wagen gefunden, das half Jan jetzt aber nicht. Jan klingelte nebenan. Ein kleiner Junge in einem Trikot des Kopenhagener Fußballklubs Brøndby öffnete ihm mit skeptischem Blick: „Wer bist du?“
„Ich bin Jan. Ist deine Mama oder dein Papa da?“
Schon tauchte eine ältere Dame hinter dem Jungen auf: „Nein, die sind beide zur Arbeit gefahren. Ich bin die Oma. Worum geht es?“
„Ich bin Jan Kofoed von der Bornholmer Polizei.“
Die Frau kniff die Augen etwas zusammen: „Ja, ich habe schon mal ein Bild von dir in der Zeitung gesehen.“
„Das kann gut sein.“ Er zögerte. „Äh, könntest du deinen Enkel bitte nach hinten in den Garten schicken.“
„Hörst du, Alfred, geh bitte nach hinten.“
Alfred guckte Jan böse an: „Polizei ist doof.“ Dann entschwand er.
Jan nahm den Faden wieder auf: „Es geht um Elin Lund, deine Nachbarin. Wir haben sie heute früh außerhalb der Stadt tot aufgefunden und unsere Spurensicherer müssen gleich ihr Haus in Augenschein nehmen.“
„Wie schrecklich“, sagte die Frau ohne große Regung.
„Ist sie einfach so gestorben oder ist ihr etwas zugestoßen?“
„Wir gehen momentan von einem Verbrechen aus.
Kanntest du deine Nachbarin gut? Was weißt du von ihr?“
„Ich kannte sie kaum, ich wohne ja nicht hier, sondern in Aarsdale. Sie war mir nicht sehr sympathisch.“
„Habt ihr einen Schlüssel für ihre Wohnung? Dann brauche ich den Schlüsseldienst nicht kommen zu lassen.“
„Ja, ich glaube.“ Sie schaute in eine Schale auf einem kleinen Tisch. „Ich glaube, das ist der hier mit dem Anhänger von Egeskov Slot.“
Jan bedankte sich und probierte ihn gleich aus. Er passte. Alfreds Großmutter schloss lächelnd die Tür.
„Sollen wir nicht auf die Spurensicherung warten?“, fragte Sanne.
„Ja, selbstverständlich, ich will nur mal vorab von der Tür aus einen Blick hineinwerfen, ob jemand dort vielleicht etwas gesucht hat.“ Das Haus war sonnengelb gestrichen, links und rechts der Tür blühten die Stockrosen. Jan öffnete die schwarze Tür, die ganz normal abgeschlossen war. Was vermuten ließ, dass Elin Lund ihr Haus wie üblich verlassen hatte. „Dort drinnen scheint nichts umgestoßen oder herausgerissen worden zu sein. Alles steht an seinem Platz.“ Jan schloss die Tür wieder. Zwanzig Minuten später hielten die Kollegen von der Spurensicherung vor der Tür, sie waren am eigentlichen Tatort zunächst fertig geworden.
„Gebt uns eine Dreiviertelstunde, dann könnt ihr hier nach und nach vorsichtig rein“, bat Inger.
„Gut, wenn ihr vorher so weit seid, ruft bitte an, wir gehen vorn zur Räucherei.“
Sanne und Jan spazierten das kurze Stück zu den markanten Schornsteinen, wo man sich auf einen erneut turbulenten Tag vorbereitete. Noch war es hier ruhig, ein Lieferwagen hielt und brachte Getränke, frühe Besucher gingen neugierig über den Parkplatz, aber es war noch nicht 10 Uhr. Zwei Stunden später würde der Platz hier überquellen, nicht zuletzt wegen der vielen Bustouristen.
Sanne und Jan setzten sich ans Meer. Im Rücken hatten sie die Schanze, die einst mit mehreren anderen die Stadt und den Hafen schützte. Der Blick hinüber nach Christiansø war einmalig, es würde ein sonniger und klarer Augusttag werden.
„Du bist jetzt ein halbes Jahr bei uns. Bist du mit deiner Entscheidung glücklich?“, begann Jan.
Sanne schaute hinaus auf die Ostsee. Sie ließ sich mit ihrer Antwort Zeit.
Ditte war vor Christian beim Ferienhausvermieter Solrig in Nexø angekommen. Gerade hatte sie gegoogelt, dass die Bornholmer Niederlassung von einer Anja Andersen geleitet wurde. Die Lage hier direkt im Hafen war nicht die schönste, alles wirkte, als wenn jemand schlagartig das Gelände verlassen hatte und nun ein paar Pop-up-Stores eröffnet worden waren. Doch die Stadt sollte bekanntlich nach und nach aufgehübscht werden, der Abriss der stillgelegten Silos, die den Hafen prägten und die Sicht auf die Ostsee einschränkten, war wohl bereits beschlossen. Christian parkte neben Ditte und sie betraten das Lokal. Am Counter fragte Ditte nach Anja Andersen. Der junge Mann, der die Ermittler zunächst überaus freundlich begrüßt hatte und angesichts ihrer Dienstausweise erstarrt war, rief sie herbei. Eine Mittfünfzigerin in einem vermutlich teuren kurzen Kleid kam auf die beiden Ermittler zu. Typ Businessfrau, dachte Ditte.
„Hallo, ich bin Anja, was kann ich für euch tun?“
Ditte bat darum, dass sie irgendwo ungestört miteinander reden könnten. Anja nickte und bat sie in einen Raum ganz am Ende. Sie blieben stehen.
„Du hast eine Mitarbeiterin namens Elin Lund?“, begann Ditte.
„Ja, sie kommt aber erst um 13 Uhr.“
„Anja, wir haben sie heute früh tot aufgefunden. Leider.“
„Bitte? Was habt ihr?“ Sie setzte sich hin. Die beiden Ermittler taten es ihr gleich.
„Sie wurde tot aufgefunden. Wir vermuten, dass sie eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Genaueres können wir jetzt nicht sagen.“
Die Frau wirkte geschockt, aber nicht fassungslos. Im Gegenteil, sie versuchte sich zu beherrschen. Ihr war anzusehen, wie es in ihrem Kopf rotierte. Sie schaute Ditte wieder an: „Wo habt ihr sie gefunden?“
„In Brændesgårdshaven.“
„Da? Sie hat doch gar keine Kinder. Wieso da?“
„Wenn wir das wüssten, wären wir vermutlich in unseren Ermittlungen schon weiter.“
„Jaja, natürlich.“
„War sie eine gute Mitarbeiterin?“, wollte Christian wissen.
Anja zögerte einen kleinen Moment, versuchte sich zu sammeln: „Ja, das war sie. Sehr erfahren, sehr gewissenhaft, sie arbeitete sehr strukturiert und ihr Schreibtisch war immer sauber.“
„Das klingt sehr sachlich. War sie beliebt?“, fasste Christian nach.
Die Frau zögerte mit der Antwort, sie war immer noch durcheinander: „Ja, nein, ja, also, sie war sehr auf ihre Arbeit konzentriert. Sie war nicht so, wie soll ich sagen, emotional.“
„Also nicht freundlich oder herzlich?“
„Sie war zu uns hier im Büro freundlich, das schon. Auch zu den Kunden. Aber herzlich? Nein, das war sie nicht. Oh, mein Gott, wie schrecklich.“
„Wie war dein Verhältnis zu ihr?“
„Professionell. Wir waren keine Freundinnen, aber natürlich beide sehr kompetent, auf Augenhöhe sozusagen. Deshalb kamen wir gut miteinander aus. Sehr gut.“
„Gut oder professionell?“
„Eher professionell“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Die Frau hatte sich gefangen.
„Könntest du dir irgendein Motiv vorstellen, weshalb sie jemand umbringt?“
„Oh, das ist eine komische Frage, ich bin doch keine Detektivin. Nein, überhaupt nicht. Wie erwähnt, sie war eher so eine neutrale Person. Aber von einem Streit hier weiß ich nichts, auch mit Kunden gab es keinen Ärger.“
Ditte schaltete sich wieder ein: „Was weißt du über ihr Privatleben?“
„Eigentlich nichts. Ich weiß, dass sie in Svaneke wohnte. Sie reiste viel. Sie war mal verheiratet, das ist lange her. Aber sie hat nur einmal etwas von einem neuen Mann angedeutet. Der wohne in Kopenhagen, sie würden sich nur sporadisch sehen, wollten keine enge Beziehung oder zusammenziehen. Wir anderen sprechen auch über Privates, aber da hat sie sich herausgehalten.“
„Kam da nie etwas von ihr? Hat sie niemand mit diesem neuen Partner gesehen? So etwas bleibt doch auf Bornholm nicht lange geheim.“
Anja überlegte einen Moment: „Ein Kollege hat sie mal mit jemandem gesehen, einem Mann, wohl etwas älter, das war in Rønne bei Matas in der Fußgängerzone.
Er hatte den Eindruck, dass die beiden recht vertraut miteinander waren. Aber ob das dieser Kopenhagener war, weiß ich nicht.“
„Gut, vielen Dank“, Ditte erhob sich, Christian tat es ihr gleich. „Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Tagen noch einmal vorbeikommen müssen. Jetzt hast du erst einmal die schwere Aufgabe, es deinen Kollegen mitzuteilen.“
„Ja, aber dann wird gleich wieder gearbeitet, das Büro muss funktionieren, morgen ist großer Bettenwechsel.“
Die zwei Ermittler holten sich etwas Kuchen bei Bäcker Mortensen und gingen zurück zum Hafen. Dort fanden sie eine Sitzgelegenheit. Es wurde immer wärmer und an der Durchgangsstraße waren die Lkw zu hören, die ihre Ladung auf der Insel verteilten. Auch auf den Segelbooten war man aufgestanden und saß nun beim Frühstück. Der kleine wöchentliche Flohmarkt auf dem Platz neben dem großen Möbelgeschäft war ebenfalls schon aufgebaut.
„Eine merkwürdige Frau, ziemlich unterkühlt“, begann Christian. „Und bezeichnet diese Elin als gefühlsarm. Die Todesnachricht den Mitarbeitern nur kurz mitzuteilen und dann einfach weiterzuarbeiten, ist schon krass.“
„Wohl wahr. Die hat uns ohnehin nur einen Bruchteil der Wahrheit erzählt.“
„Was genau vermutest du?“
„Das kann ich dir noch nicht sagen. Das ist mehr so ein Gefühl, dass irgendetwas zwischen ihr und Elin war.“
„Ein Verhältnis?“
„Nein, das glaube ich nicht“, schüttelte Ditte den Kopf. „Das würde ich spüren, wenn sie auf Frauen steht. Nein, es ist etwas anderes.“
Die aufdringlich bettelnden Möwen vor sich ignorierten die beiden.
„Vielleicht hast du recht. Wenn das so ist, dann verbietet sie vielleicht ihren Mitarbeitern, mit uns über Elin zu sprechen.“
„Davon gehe ich fest aus. Wir werden sie bestimmt noch öfter aufsuchen müssen. Wie geht es Luna und Lærke?“
„Ach, Luna hält uns nachts gut auf Trab, drei bis vier Mal wird sie wach. Aber inzwischen haben wir gelernt, schnell wieder einzuschlafen. Lærke fehlt mittlerweile die Schule. Ich gehe ja jetzt in die Elternzeit, sodass sie wieder unterrichten kann. Vermutlich wird das einen Moment länger dauern als geplant, ich will erst diesen Fall mit abschließen, das muss ich heute Abend mit ihr besprechen.“
„Ja, Christian, ich weiß, ich rede jetzt wie Jan, aber das ist dein Job und es ist wichtig, dass du uns in dieser Situation unterstützt. Ich habe leicht reden, gewiss, weil ich keine Kinder habe. Aber ich hoffe, du verstehst, was ich meine?“
„Ja, natürlich verstehe ich das und bleibe bis zur Aufklärung dabei. Aber dann werde ich mein Recht auf Elternzeit wahrnehmen, das muss ein Arbeitgeber einfach akzeptieren, das gilt auch für die Polizei. Mit Luna ist unser Leben ganz neu, ganz anders, einfach wunderschön.“
„Dann wirst du auch die Balance finden.“
„Ja, das werde ich. Wie machen wir weiter?“
„Wir werden mal schauen, was wir über Elin herausfinden. Ex-Mann, Privatleben, Wohnorte, berufliche Stationen, alles. Momentan haben wir nichts in der Hand.“
Sie gingen zu ihren Wagen.
Als die beiden Ermittler gegangen waren, hatte Anja ihre Bürotür geschlossen und sich auf ihren Stuhl fallen lassen. Das Problem Elin hatte sich erledigt, wie gut. Ja, die Schnüffler würden den Mörder sicherlich auch bei Solrig suchen. Sie würde sie dabei so wenig wie möglich unterstützen. Keine Informationen herausrücken, die sie nicht schon besaßen. Und gleich würde sie ihren Mitarbeitern einen Maulkorb verpassen.
Ditte rollte auf der Straße 38 aus der Stadt und geriet ins Grübeln. Der Autoverkehr war dicht, wie immer im Hochsommer. Am Wochenende würden die Sommerferien in Dänemark enden. Was nicht hieße, dass es auf Bornholm leerer würde. Nun würden die kommen, die nicht auf die Ferien Rücksicht nehmen mussten. Außerdem hatten die Deutschen noch frei, zumindest einige Regionen von denen, die hatten ja so versetzt ihre Ferien. Irgendwann im Herbst würde es wieder ruhiger in Nyker werden, dann würden nicht mehr alle unbedingt zu der Rundkirche wollen.
Sie folgte der Ortsumgehung von Aakirkeby und weiter Richtung Rønne. Ditte schaute ein wenig sehnsüchtig auf die Felder. Das erste Korn wurde schon gemäht, auch wenn der Sommer noch volle Kraft besaß, kündigte sich der Herbst schon vorsichtig an. Sie erreichte Lobbæk und musste an die Fußballträume des ermordeten Jesper Olsen denken. Mehr aber noch an die im Februar getötete Physiotherapeutin aus Estland, wie hieß sie noch? Ach ja, Ruta.
Christian hatte Ditte wegfahren lassen. Sie musste nicht sehen, dass er die Strecke über Snogebæk wählte. So konnte er in Rønne wie zufällig noch bei seinen beiden Frauen vorbeifahren. Hauptsache, er käme noch vor Jan ins Büro, der war heute früh schon etwas sauer auf ihn gewesen.
Die Straße nach Snogebæk war voll, alle wollten zum Balka Strand oder weiter nach Dueodde. Viele vermutlich das letzte Mal in ihren Ferien, morgen würde es für sie nach Hause gehen. Zurück zur Arbeit.
Er rauschte an Pouls Kirke und Peders Kirke vorbei, am Weingut, an dem Abzweiger nach Aakirkeby und an dem nach Boderne. Als Ditte im Februar befördert wurde, war er erst enttäuscht. Aber dieses Gefühl hatte sich gelegt. Mit Sannes Eintritt besaß er jetzt mehr Gewicht, er war nicht mehr der Benjamin im Team, der jüngste. Gleichzeitig war er froh, momentan nicht noch mehr Verantwortung übertragen bekommen zu haben. Luna erfüllte ihn voll und ganz. Welch ein Engel! Und mit Lærke war es ohnehin schön, mal schauen, wie alles funktionierte, wenn sie wieder in der Schule anfing. In zwei Jahren würde Kind Nummer zwei folgen und dann müsste er seine Karriere in Angriff nehmen. Die Rigspoliti in Kopenhagen war sein Ziel, vielleicht musste er noch einen Zwischenschritt einlegen, in Aarhus oder Aalborg vielleicht. Aber bestimmt nicht in Odense. Die verbotene Stadt.
Auf jeden Fall wollte er es besser machen als sein Vater. Seine Mutter war Bornholmerin und hatte ihren Mann auf dem Langelands Festival kennengelernt, drüben auf der gleichnamigen Insel. Er war in Assens bei einer Versicherung tätig gewesen und sie konnte ihn überzeugen, zu einer auf Bornholm zu wechseln.
Das tat er und startete bei Bornholms Brand. Sie selbst war Lehrerin. Sie heirateten und bald wurde Christian geboren. Er blieb ein Einzelkind und war der große Stolz seiner Eltern. Ein guter Schüler, insbesondere in Englisch und Deutsch, gutaussehend, groß, sportlich, ein Mädchenschwarm. Entsprechend selbstbewusst trat er auf. Seine große Liebe hieß Pernille, mit ihr konnte er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen.
Umso tiefer der Fall, als sie ihn wie ein ausgeleiertes Paar Schuhe aussortierte, um in Aarhus zu studieren, und er nicht mitkommen wollte. Manchmal fragte er sich schon, wie es ihr wohl ginge, so ganz vergessen konnte er sie nicht. Sein großes Glück traf ihn, als er zufällig Lærke in Gudhjem begegnete.
Seine Eltern waren da schon nach Frederikshavn gezogen, wo sein Vater groß geworden war. Als Christian sich während seiner Pubertät von seinen Eltern löste, wurde das Verhältnis zu ihnen kühler. Er war nicht mehr der süße kleine Christian mit den blonden Haaren, der umsorgt und verwöhnt werden musste. Als er die Schule beendete und in den Polizeidienst eintrat, teilten seine Eltern ihm eines Tages mit, dass sie ein Haus in Frederikshavn gekauft hätten und nach Jütland ziehen würden. Seinem Vater war dort eine Führungsposition bei einer Versicherung angeboten worden. Sie hatten im Vorwege nie über diesen Schritt mit ihm gesprochen, entsprechend groß war seine Enttäuschung.
Sie hielten zwar weiterhin Kontakt, telefonierten gelegentlich und einmal jährlich fuhren Lærke und er zu seinen Eltern. Aber es war mehr Pflicht als Freude. Die Führungsposition war sein Vater schon nach einem Jahr wieder los. Die Versicherung wurde umstrukturiert, wollte moderner, kundenorientierter und schneller werden, wie es immer hieß, wenn Firmen sich veränderten. Und nun saß er auf einem Job, der nicht besser war als der einst auf Bornholm. Er war unglücklich, verbreitete schlechte Stimmung. Bis Lego Bausätze für Erwachsene anbot, nun hatte er zumindest ein Hobby. Welch ein unambitioniertes Leben, Christian schüttelte sich innerlich. Nein, so wollte er nicht enden, er wollte nach oben, nach ganz oben. Und obendrein ein toller Vater und ein guter Ehemann sein.
Er passierte den Flugplatz und hielt wenige Minuten später vor seinem Haus. Drinnen war es ruhig, er ging durch zur Terrasse. Lærke schlief auf der Liege unter der Markise und hatte Luna ganz dicht an ihrem Körper. Welch ein wunderschönes Bild! Er schlich zurück, schloss leise die Haustür. Draußen ging gerade Dorthe Pihl vorbei und grüßte ihn. Die vermögende Witwe wohnte ganz in der Nähe, er begegnete ihr öfter. Sie war für ihn die Hauptverdächtige in dem allerersten Fall gewesen, den er mit Jan und Ditte gelöst hatte. Er hatte damals immer das Gefühl gehabt, dass sie ihn recht attraktiv fand. Er mochte sie auch. Aber der Altersunterschied war viel zu groß, selbst für nur eine Nacht. Und inzwischen war er auch ruhiger geworden. Lærke und keine andere. Er startete Richtung Zahrtmannsvej.
„Weißt du, Jan“, begann Sanne nach einer längeren Pause in der wärmenden Morgensonne, „eigentlich hält mich nichts auf Bornholm. Meine Eltern sind nach Kopenhagen gezogen, sobald ich mit der Schule fertig war. Meine Mutter ist eine erfolgreiche Rechtsanwältin und zwischen der Hauptstadt und Bornholm gependelt. Mein Vater ist Physiotherapeut und hatte seine Praxis in Rønne. Sie hatten den Deal, dass ich hier aufwachsen soll. Und sobald ich das Nest verlasse, ziehen sie komplett nach Kopenhagen. Ich habe auch ein paar Freunde, klar, aber eigentlich könnte ich auch woanders hingehen. Und da ist mein Hobby Autofahren. Ich möchte gerne regelmäßig Rennen fahren, das fixt mich total an. Ich war eigentlich gerade dabei, mich mit einem Umzug nach Silkeborg zu beschäftigen, da ist doch der Jyllands-Ring, unser aller große Rennstrecke. Und dann kamst du.“
„Und das wog für dich schwerer?“
„Ja und nein. Die Polizei in Silkeborg oder da irgendwo in der Nähe würde mir sicherlich auch Chancen bieten.
Aber natürlich ist die Konstellation hier besonders. Du bist einer der erfolgreichsten dänischen Polizisten.
Ditte ist eine kluge und eindrucksvolle Frau, die sicherlich eine großartige Führungskraft wird. Christian ist ein supernetter Kollege, ihn mochte ich vom ersten Augenblick an. Ihr seid so besonders, weißt du? Und diese ganze Situation nach diesem Mist im Februar ist so speziell. Das mitzubekommen und daraus zu lernen, ist für mich eine einmalige Chance. Ja, ich trauere momentan noch dem Jyllands-Ring hinterher. Aber nicht mehr so doll wie vor vier Monaten.“
Komisch, dachte Jan, von ihrem Freund hat sie gar nichts gesagt. Aber ich will sie auch nicht fragen, das wird schon seinen Grund haben.
Das Telefon klingelte, die Spurensicherung meldete sich. Sanne und Jan standen auf und traten den Rückweg an. Der Parkplatz vor der Räucherei hatte sich etwas stärker gefüllt. Aber noch wurden mehr Fotos geschossen als Fisch gegessen.
„Wir sind noch nicht fertig, aber ihr könnt in die ersten ein, zwei Räume“, begrüßte Inger die beiden.
„Habt ihr etwas gefunden, was uns weiterhilft?“, erwiderte Jan.
„Nein, wir haben nur einige wenige Fingerabdrücke und Haare, da müssen wir abwarten, ob wir die einordnen können. Es gibt eine Auffälligkeit. Die Frau lebte erkennbar allein, nichts deutet auf einen Mitbewohner hin. Keine anderen Klamotten, in der Spülmaschine stehen noch ein Frühstücksteller und ein Kaffeebecher und ein großer Teller vom Abendessen und ein Glas.“
„Dann werden wir dem noch weiter nachgehen. Sanne, könntest du bitte bei den Nachbarn klingeln und sie befragen? Ich schaue mir die Wohnung intensiver an.“
„Ja, natürlich.“
Jan ging als Erstes zu dem großen Bild. Tatsächlich, ein echter Oluf Høst. Das Bild war ihm sofort aufgefallen, als er hineinkam. Der berühmteste aller Bornholmer Maler. Das Bild da an der Wand, das dessen Lieblingsmotiv, den Bauernhof Bognemark bei Gudhjem, im Winter zeigte, hatte bestimmt mindestens 300.000 Kronen gekostet. Zumindest bei einer Auktion, im Handel war es teurer. Er war mit Tove oft genug in der Kopenhagener Bredgade bei den Auktionen von Bruun Rasmussen gewesen und kannte die Preise des ein oder anderen Künstlers. Die Frau schien Geld gehabt zu haben.
Er ging weiter. Klar, das klassische Musselmalet Geschirr von Royal Copenhagen, das berühmte Bernadotte Besteck von Georg Jensen, Lampen von PH, zwei Sessel von Kaare Klint, ein neueres großes Sofa, das konnte von Eilersen sein, schöne alte Gläser von Holmegaard. All die großen dänischen Designnamen.
Die Frau hatte nicht nur Geld gehabt, sondern auch Geschmack. Aber das als Mitarbeiterin einer Ferienhausvermietung? Unmöglich. Vielleicht hatte sie viel geerbt. Vielleicht war sie auch einmal reich verheiratet gewesen und so zu Geld gekommen. Oder sie hatte früher einmal einen höchst lukrativen Job gehabt.
Oder erfolgreich an der Börse spekuliert.
Im Bücherregal stieß er auf die dänischen Klassiker Johannes V. Jensen, Jeppe Aakjær, Jens Peter Jacobsen, Hermann Bang. Und die großen Skandinavier wie Henrik Ibsen und August Strindberg natürlich, aber auch Halldór Laxness aus Island. Eine typische Bildungsbürger-Bibliothek. Jan nahm ein paar Bücher heraus, kein einziges davon war gelesen worden, wie er unschwer an den Bücherrücken erkennen konnte.
Das galt eher schon für die Illustrierten, die in einem Korb neben dem Sofa lagen. Allmählich verfestigte sich bei ihm der Eindruck, dass dieses die Wohnung einer Blenderin war. Einer Frau, die nur das Teuerste kaufte, aber nicht in ihm lebte. War er ungerecht? Ja, sicherlich, er wusste ja noch nichts über Elin Lund und verurteilte sie schon.
Der Kühlschrank war gut gefüllt. Selter, Bier, Saft, Obst, Gemüse, Marmelade, Käse, nur eine Sorte Wurst, ein noch eingeschweißtes Hähnchen, Fischfrikadellen in einer Tüte der Räucherei, Weißwein. Keine Überraschungen. Im Schlafzimmer ein ähnliches Bild. Er schaute sich die Klamottenmarken im Kleiderschrank an. Gewiss keine Billigware, aber auch nicht so teuer wie die Sachen von Sofie Sonne, seiner neuen Chefin.
