Die 12 Schritte aus der Sucht - Russell Brand - E-Book

Die 12 Schritte aus der Sucht E-Book

Russell Brand

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Beschreibung

Alkohol, Zigaretten, Essen, Smartphone, Job, Beziehung – wir leben in einer Welt voller Abhängigkeiten. Und wenn man nicht gerade eine der glücklichen Ausnahmen ist, weiß man meist gar nicht, dass man abhängig ist. Fast jeder von uns hat ungesunde Gewohnheiten oder bestimmte Dinge, ohne die man scheinbar nicht leben kann. Auch Russell Brand war abhängig. Abhängig von Drogen, Alkohol, Sex, Geld, Liebe und Ruhm. In diesem Buch verrät er, wie es ihm gelungen ist, sich von den Zwängen seines Lebens zu lösen. Nur 12 Schritte sind vonnöten – jeder kann sich von seinen Abhängigkeiten befreien, ganz neue Perspektiven kennenlernen und wahre Freiheit erlangen. Wer es wirklich will, kann es schaffen!

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Seitenzahl: 391

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Russell Brand

DIE 12 SCHRITTEAUS DER SUCHT

Russell Brand

DIE 12 SCHRITTEAUS DER SUCHT

Wie du dich von deinen Abhängigkeiten befreist

Aus dem Englischen von Maria Müller-de Haën

Wichtige Hinweise

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Die Publikation enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben; für diese fremden Inhalte können wir keine Gewähr übernehmen. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung nicht erkennbar.

Auch wenn eine gendergerechte Sprache wünschenswert ist, gibt es aus Sicht des Verlages bisher keine befriedigende, gut lesbare Lösung. Der leichteren Lesbarkeit zuliebe haben wir des Öfteren von der Doppelung männlicher und weiblicher Formen Abstand genommen. Selbstverständlich liegt es uns fern, dadurch einen Teil der Bevölkerung zu diskriminieren.

Wir danken für die Genehmigung zur Wiedergabe der Passage in Kapitel 6 aus »Serenity: A Companion for Twelve Step Recovery« von Dr. Robert Hemfelt und Dr. Richard Fowler (© 1990 Thomas Nelson, Inc., www.thomasnelson.com).

Titel der Originalausgabe:

Recovery. Freedom from our Addictions.

© 2017 by Russell Brand

First published 2017 by Bluebird,

an imprint of Pan Macmillan, London, UK

www.panmacmillan.com

Deutsche Ausgabe:

© 2021 NEXT LEVEL Verlag,

ein Imprint der MOMANDA GmbH, Rosenheim

www.next-level-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung: Maria Müller-de Haën

Lektorat: Gitta Lingen; Layout: Birgit-Inga Weber

Cover: Guter Punkt, München

Gesamtherstellung: Bernhard Keller

eBook: ePUBoo.com

ISBN 978-3-949458-14-9

Gewidmet Laura Kate Brand,weil sie mich nach Hause gebracht hat

Inhalt

Einleitung

Die 12 Schritte

1 Geht es dir beschissen?

2 Könnte es dir auch nicht beschissen gehen?

3 Kannst du selbst dafür sorgen, dass es dir nicht mehr beschissen geht?

4 Schreib alles auf, durch was es dir beschissen geht oder jemals beschissen gegangen ist, und lass nichts weg

5 Erzähle einer vertrauenswürdigen Person ganz ehrlich, wie beschissen es dir geht

6 Gut, das hat eine ganze Menge beschissener Muster offengelegt. Möchtest du damit aufhören? Ganz im Ernst?

7 Bist du bereit, ein neues Leben zu führen, bei dem es nicht nur um dich und deine frühere Scheiße geht? Das musst du sein!

8 Mach dich bereit, dich bei allen für alles zu entschuldigen, was du mit deiner Scheiße angerichtet hast

9 Nun entschuldige dich – außer wenn dadurch alles noch schlimmer würde

10 Achte auf beschissene Gedanken und Verhaltensweisen und sei ehrlich, wenn so etwas passiert

11 Bleib in Verbindung mit deiner neuen Sichtweise

12 Nimm eine weniger selbstsüchtige Sicht auf das Leben ein, sei nett zu allen, hilf anderen Menschen, wenn du kannst

13 Wieder:Geburt

Zum Abschluss

Das 12-Schritte-Programm

Danksagung

Weitere Informationen

Literatur

Kommentare zum Buch

Über den Autor

Einleitung

Hier in unserer glitzernden Zitadelle voller unzähliger spiegelnder Bildschirme leben wir da draußen. Vielleicht wachen wir heute auf und strecken auf der Stelle und ohne nachzudenken die Hand nach dem Smartphone aus, dessen Schein unsere Augen noch vor der Morgendämmerung erreicht, mit Nachrichten, die in unsere Köpfe huschen, noch bevor wir diese unumstößliche und immerwährende Tatsache zur Kenntnis nehmen können: Wir werden sterben.

Du und deine Kinder und alle deine Lieben steuern auf den Friedhof zu, und ich weiß, dass du das weißt. Wir alle wissen es, aber für dieses Wissen werden wir auf Facebook kaum »geliked«, und deshalb machen wir einfach kurzsichtig weiter mit und füllen unsere Tage mit zeitweiligen Lösungen. Hier ein Kaffee, dort ein Einkauf bei eBay, oder es wird halbherzig herumgewichst oder geflirtet. Kurzzeitige glitzernde Lust, wie ein silbriger Stich auf einer Leiche, damit du über die Runden kommst. Und wahrscheinlich bist du zu clever, um »in Gott zu ruhen« oder ein verstaubtes Buch in die Hand zu nehmen, voller Gedichte, die sich hasserfüllt über Frauen oder Schwule oder sonst jemanden auslassen.

Wenn die Quantenphysik eine Kraft oder ein Netz oder einen String oder sonst etwas entdecken würde, was das Mysterium an etwas Festes, Messbares bindet, würdest du vielleicht umdenken, aber bis dahin gibt es nichts als ein leeres Grab und einen leeren Grabstein, und der Meißel ist schon gezückt. Niemand wird es dir also verübeln, wenn du auf einem Karussell aus zerstörerischen Beziehungen und nicht erfüllender Arbeit hockst, dich im Kreis drehst, nie stillstehst, nie wirklich nach innen schaust, nie wirklich heimkehrst.

Weil ich »die Gabe der Verzweiflung« hatte, weil ich mein Leben so königlich versaut hatte, hatte ich keine andere Wahl, als Hilfe zu suchen und anzunehmen. Seit ich von den offensichtlicheren Manifestationen meiner unaufhörlichen Triebe und Begierden befreit wurde, schritt ich rückwärts wie ein Lakai, der die Königin verlässt, durch eine Reihe von weniger offensichtlichen und nicht tödlichen, aber immer noch verdammt unangenehmen Süchten.

Ich glaube, dass die 12 Schritte und ihre umfassende Philosophie, die ich dir auf diesen Seiten darlegen werde, nichts weniger als eine Lösung für die Unzufriedenheit im Leben und im Sterben bieten – für alle, die den Mut haben, diese Arbeit zu tun. Und es ist Arbeit, ja es ist eine persönliche Wiedergeburt, und auf dieser Reise wirst du auf unangenehme Weise immer wieder damit konfrontiert, wer du wirklich bist.

Ganz ehrlich: Hast du dich jemals hingesetzt und dir all das vor Augen geführt, was dich nervt? Die Auseinandersetzungen in der Kindheit, die Stiche der kochenden väterlichen Wut, deine Wut auf die Regierung oder den Verkehr oder die globale Erwärmung oder Rassismus oder auf Apple, weil sie ständig mit neuen Ladegeräten daherkommen? Wann willst du endlich zu dem Menschen werden, der du von Geburt an werden solltest? Um deine Verbindung zu einem Weg »wiederherzustellen«, der gewollt und beabsichtigt ist. Wann? Im Urlaub? Wenn die Kinder mit der Schule fertig sind? Wenn du eine Gehaltserhöhung bekommst? Ticktack, ticktack, der Meißel ist schon gezückt.

Ich schreibe dieses Buch nicht, weil ich mich für besser halte als dich. Ich weiß, dass ich schlechter bin. Ich bin verkrampft und stotternd durchs Leben gegangen, angetrieben von unbewussten Trieben, bin meine Probleme zeitweise immer wieder auf so grobe und uneffektive Weise angegangen, dass man das Phänomen ganz einfach beobachten kann.

Im Extremfall ist der Zustand gut erkennbar, doch auch die weniger offensichtliche Version der Sucht ist schmerzhaft und wohl noch schlimmer, weil wir uns einfach daran gewöhnen, im Schmerz zu leben und niemals die schöne Wahrheit zuzulassen: Es gibt eine Lösung. Wir passen uns an ein liebloses Zuhause, eine unerfüllende Arbeit mit all ihrem Elend an. An leere Freundschaften und übertünchte Entfremdung.

Das 12-Schritte-Programm, das mein Leben gerettet hat, wird das Leben aller Menschen verändern, die es annehmen.

Ich habe oft gesehen, wie es bei Menschen mit Suchtproblemen jeder Art funktioniert: Drogen, Sex, Beziehungen, Essen, Arbeit, Rauchen, Alkohol, Technologie, Pornografie, Horten, Glücksspiel, einfach alles. Der Instinkt, der hinter dem Zwang steht, ist etwas Universelles – ein Versuch, das Problem der Trennung, der Entfremdung und der lauen Verzweiflung zu lösen, denn das Problem ist letztendlich das »Menschsein« in einer Umgebung, die seltsamerweise schlecht dafür gerüstet ist, mit den damit verbundenen Herausforderungen umzugehen. Wir befinden uns alle an einem Punkt auf der Suchtskala.

Diejenigen von uns, die ganz offensichtlich von Geburt an suchtmittelabhängig sind, sind in vielerlei Hinsicht die Glücklichen. Wir Alkoholiker und Junkies haben unser Geheimnis auf winzige Zyklen minimiert, bestehend aus Sucht und dem Erfüllen dieser Sucht. Unser Muster ist leichter zu erkennen und daher mit entsprechendem Engagement und Hilfe leichter aufzulösen.

Ist dein persönliches Muster dagegen eher so etwas wie das Suchtäquivalent des »Langzeitaustricksens« im Gegensatz zum »schnellen Ergaunern«, dauert es womöglich ewig, bis du weißt, was dein Problem ist. Wenn du süchtig nach schlechten Beziehungen bist, nach schlechtem Essen, dich ausbeutenden Chefs, Konflikten oder Pornografie, dann kann es ein Leben lang dauern, bis du das Problem erkennst, und offenbar haben wir ja nur dieses Leben. In diesem Buch geht es nicht nur um Extremisten wie mich. Nein, es ist ein Buch über dich.

Hast du das Gefühl, dass dir etwas fehlt? Ein Bauchgefühl, dass du nicht gut genug bist? Dass du dich besser fühlst, wenn du irgendetwas abhakst, egal, ob du einen Schokoriegel isst, ein paar Schuhe kaufst, einen Joint rauchst oder einen guten Job bekommst? Wenn ja, ist das kaum verwunderlich, denn ich glaube, dass wir in einem Zeitalter der Sucht leben, in dem das Suchtdenken fast überall Einzug gehalten hat. Es ist der Modus unserer Kultur. Konsumdenken ist ein Lebensentwurf aus Reiz und Reaktion darauf. Die vorherrschende Idee, dass du dein Leben irgendwie in Ordnung bringen kannst, indem du primitive materielle Ziele erreichst – ob es nun darum geht, die ideale Beziehung, den idealen Job, einen schönen Berberteppich oder Heroin für 45 Euro zu bekommen –, die zugrundeliegende Vorstellung »Wenn ich nur X, Y, Z bekommen könnte, wäre ich okay« ist völlig falsch.

Sucht bedeutet, dass natürliche biologische Notwendigkeiten, wie das Bedürfnis nach Essen, Sex, Entspannung oder Status, so stark priorisiert werden, dass sie destruktiv sind. Verschlimmert wird das zusätzlich durch eine Kultur, die diesen Mechanismus verständlicherweise ausnutzt, da das eine verdammt gute Möglichkeit bietet, Mars-Riegel und Toyotas zu verkaufen. In meiner eigenen selig-schrillen Sucht lebte ich mit jedem Verfolgen meiner Sucht die seltsame Überzeugung aus, dass die Aktion ein Problem lösen würde.

In diesem Buch werden wir – bzw. hauptsächlich ich – darüber sprechen, wie wir unsere destruktiven und bedrückenden Gewohnheiten überwinden können, von tyrannischem Denken befreit werden und aus dem unsichtbaren inneren Gefängnis der Sucht in eine neue Freiheit in der Gegenwart gelangen.

Was qualifiziert mich für eine solche Aufgabe? Eine Aufgabe, die in einem anderen Wörterbuch vielleicht Frieden, Achtsamkeit, persönliche Erfüllung oder, noch großartiger, »Erleuchtung«, »Nirwana« oder »Christus-Bewusstsein« genannt wird? Sicherlich nicht eine wie auch immer geartete persönliche, ethische Überlegenheit.

»Wenn du süchtig nach schlechten Beziehungen bist, nach schlechtem Essen, dich ausbeutenden Chefs, Konflikten oder Pornografie, dann kann es ein Leben lang dauern, bis du das Problem erkennst, und offenbar haben wir ja nur dieses Leben. In diesem Buch geht es nicht nur um Extremisten wie mich. Nein, es ist ein Buch über dich.«

Meine Autorität kommt nicht von einem steilen Berggipfel grimmiger Rechtschaffenheit und Gewissheiten. Diese Anleitung zur Selbstverwirklichung kommt nicht von hoch oben, sondern von tief unten, aus dem Dreck. Mensch zu sein ist ein »Ich auch«-Geschäft. Wir stecken alle im Dreck. Meine Qualifikation besteht darin, dass ich süchtiger, narzisstischer, mehr von Lust und dem Bedürfnis nach Macht und Anerkennung getrieben bin. Alles, was Lust und Vergnügen spendet und mir von der Wiege in Grays bis zur Chaiselongue in Hollywood in die Finger kam, wurde gepackt und geschluckt und gestreichelt und gefickt und geraucht und gelutscht – und wofür? Asche.

Fragst du dich manchmal, ob du überhaupt die Wahl bzw. das Recht hast, glücklich zu sein? Das inhaltsleere, blinde Dahinmarschieren im Strudel des Großstadtlebens fühlt sich an wie die dröhnende Bestätigung, dass Freude keine Option ist.

Rolltreppen wie Förderbänder hin zu einem Massengrab, graue Straßen wie ein Hof. Gott sei Dank war ich (noch!) nicht im Gefängnis; wenn ich jedoch über die Stufen der Kategorisierung vom Schlimmsten zum am wenigsten Schrecklichen nachdenke, denke ich über Freiheit im Allgemeinen nach. Das Schlimmste – allein in einer Einzelzelle in einem Hochsicherheitsgefängnis der Kategorie A eingesperrt zu sein – über weniger Schreckliches, mit zunehmenden Leckerbissen an Freiheit durch die Kategorien B und C, mit Privilegien wie einem Küchenjob oder einem Bibliotheksjob (wenn man dem Film »Die Verurteilten« Glauben schenken darf), bis hin zu einem offenen Gefängnisvollzug, in dem die Insassen für ein paar Stunden in die Stadt radeln dürfen. Wie viel weiter auf dieser Skala der Freiheit ist das Leben eines Mannes oder einer Frau in einer tristen Wohnung, die in ihrer Drogensucht gefangen sind und von Sozialhilfe leben, oder eines Menschen, der an einen Job gefesselt ist, den er hasst, oder eines Kindes in einer Schule, aus der es am liebsten ausbrechen würde – all diese Menschen mit Angst und einem Knoten im Bauch? Oder mein Leben? Oder dein Leben?

Ich sage nicht, dass es schlimmer ist, einen Job in London zu haben, den man hasst, als ein Häftling der Kategorie C zu sein, der fröhlich mit einem Schraubenschlüssel in die Werkstatt springt; ich sage nur, dass wir alle in Gefängnissen verschiedener Kategorien sitzen.

Halte deinen Hut fest, nimm deine Zynismus-Pistole in die Hand und knall mich auf der Stelle ab, denn ich werde gleich darauf anspielen, wie mir kürzlich eine Erfahrung in meinem verwöhnten Leben das Gefühl gab, in einem erstklassigen Gefängnis gelandet zu sein.

Auf Tournee in Australien fuhr ich hermetisch abgeriegelt vom Flugzeug zum Auto, zum entzückenden Hotelzimmer, zur Arena, als ich von einem Fluchtverlangen gepackt wurde, das ich nicht ignorieren konnte. Ich kam in Brisbane in einem hoch aufragenden geschmacklosen Hotel an und wurde in ein Zimmer gebracht, das makellosen Komfort ausstrahlte; aber als sich die Tür hinter dem vollkommen freundlichen Wachmann schloss und ich allein war, konnte ich kein Fenster öffnen, denn du weißt ja, diese Gebäude sind hoch und es ist gefährlich. Vermutlich wegen der Suizidgefahr. Du kommst nicht an die Luft, die Luft, die du atmest, ist verpackt und eine der wenigen Waren unseres verschwenderischen Zeitalters, die penibel recycelt wird.

Ich hoffe, ich versuche jetzt nicht, einen Wutanfall als Offenbarung zu verkleiden, aber ich fühlte mich wie in einer Falle, aus der es keinen Weg zurück zur Natur gab, Natur wie der Himmel, Natur wie der innere Himmel; es gab keine Möglichkeit, zu atmen, ein Mensch zu sein.

Plötzlich fühlte ich, dass ich darum kämpfen musste, Zugang zu natürlichen Bedingungen zu haben, in einem aufrüttelnden Moment fühlte ich die Fliehkraft der schnellen Reise vom Jäger und Sammler zum Gejagten und Gesammelten. Kein Wunder, dass sich die Menschen nach dem Tierischen und dem rohen Nervenkitzel sehnen. Kein Wunder, dass die Leute Sex auf öffentlichen Plätzen haben, heißer Atem auf der Windschutzscheibe, Taschenlampen und Scheinwerfer auf der Suche, zusammengekauerte Fremde, die in der Dunkelheit, aneinandergeklammert, die durchdringende Erleichterung des Orgasmus suchen. Kein Wunder, dass Menschen Pornos benutzen, über einen Laptop gekauert, selbst Hand anlegend und atemlos, ernsthaft und pflichtbewusst wie ein eifriger Bediensteter bei einer nutzlosen Aufgabe.

Von dieser Form der Flucht bin ich nicht lange befreit. Meistens lache ich danach. Sobald das biologische Ziel erreicht ist, werde ich aus dem geistlosen Bann herausgeschleudert. Ich schaue an mir herab und frage manchmal laut: »Was sollte das denn?«, wie ein Affenmensch, der zu Bewusstsein kommt, und ich werfe einen transzendenten Blick zurück: »War das wirklich deine beste Idee, um deine Gefühle zu lösen? Jetzt hol mir ein paar Taschentücher und eine Bibel.«

Was tun wir, wenn wir masturbieren? Oder geistloses Essen schlucken? Oder alberne Getränke hinunterkippen? Wem dienen wir da? Was ist der Plan?

Das Gefühl, das ich im Hotel hatte, ist real. Das Bedürfnis nach Verbindung. Das Gefühl, das ich hatte, als ich Drogen nahm, war real. Das Gefühl, das Bedürfnis, ist real. Dein Gefühl, »dass da noch etwas anderes ist«, ist real.

Was passiert, wenn du dem Zwang nicht folgst? Was ist auf der anderen Seite meines Bedürfnisses, zu fressen und dann zu kotzen? Die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, besteht darin, es nicht zu tun, und das ist ein ganz neuer Glaubensakt.

Das »Problem« habe ich übrigens folgendermaßen tatsächlich gelöst: Ich verließ das Hotel bei Tagesanbruch. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich in eine »Gemeinschaft indigener Völker unten am Fluss« zog, wo wir unser eigenes Gemüse anbauten und Lieder über unsere Vorfahren sangen und ein Ältester mir ein Tattoo eines Hasengottes auf die Leiste tätowierte und mir sagte, dass ich echten Spirit hätte, und mir einen Stammesnamen gab, und da wusste ich meine Bestimmung – »mich mit dem Großen Unbekannten zu verbinden«, das Bewusstsein des Menschen und das Bewusstsein der Natur in einen perfekten Wandteppich zu weben, die Geschichte der Einheit mit einer solchen Klarheit zu erzählen, dass die Göttin selbst dem Guten zu Hilfe kommen und die Natur sich durch Sturzbäche und Äste, Flammen und Federn und Flut erheben und uns in den Himmel bringen würde. In den stillen und allgegenwärtigen Himmel im Inneren. Aber in Wirklichkeit bin ich einfach in ein besseres Hotel mit Balkon gezogen.

Der Nihilismus machte sich auf leisen Sohlen breit, eine pessimistische Akzeptanz der Sinnlosigkeit regiert in jedem und jeder Süchtigen, Lust als Defibrillator, der uns zuckend wieder auf die Sprünge hilft.

Inzwischen bin ich Gott sei Dank seit vierzehneinhalb Jahren drogenfrei, identifiziere mich aber immer noch stark, wenn ich von jemandem höre, der einfach nicht clean bleiben kann. Ich verstehe das. Ich erinnere mich, ja ich durchlebe es gelegentlich erneut. »Ich weiß, dass es nicht funktioniert, dieser Schuss, dieser Drink, dieser zerstörerische und lieblose Akt, aber er wird mir Ablenkung verschaffen vom Jetzt, für den jetzigen Moment. Und das reicht.«

Hier ist eine gute Nachricht für die Gefallenen, für diejenigen unter euch, die dies voller Verzweiflung lesen, die Junkies, die Alkies, die Crack-Süchtigen, die Magersüchtigen, die Co-Abhängigen, die Bulimiker, die Dyspeptiker, die Perversen, die Liebessüchtigen, die hoffnungslosen Fälle: Ich glaube inzwischen, dass die Sucht eine Berufung ist. Ein Segen. Ich höre inzwischen einen Rhythmus hinter dem Beat, hinter dem kratzenden, disharmonischen Sound meines ständigen Denkens. Einen echten Pulsschlag hinter dem bombastischen Paukenschlag des Ego. Dort, in der Stille, die Offbeat-Präsenz von etwas anderem. Was könnte das sein, dieses andere Bewusstsein? Nur die sublime Begleitung zu meinen wachsenden Nägeln, dem pumpenden Herzen und dem rauschenden Blut? Diese physischen und wahrnehmbaren körperlichen Phänomene – haben sie ein Gegenstück in einer weniger augenfälligen Welt? Sind wir Süchtige wie die Tiere, die offensichtlich präventiv vor dem herannahenden Tsunami flohen, weil sie eine Vorahnung verspürten? Sind wir auf kribbelnde Signale eingestimmt, die nach Betäubung verlangen? Was ist der Schmerz? Was ist er? Was will er?

Nun, wir wollen bei all der Aufregung nicht vergessen, dass dies ein Selbsthilfebuch ist, ein Leitfaden zur Bekämpfung der Sucht in all ihren Formen, ein Führer mit bestimmten Prinzipien, die dich, sofern sie befolgt werden, von dem Elend deines Zustandes, wie ruhig oder verzehrend auch immer es sein mag, befreien werden.

Ein integraler, unvermeidlicher und in der Tat einer der besten Teile dieses Prozesses ist die Entwicklung eines Glaubens an eine höhere Macht. Du musst keineswegs zu so etwas wie einem religiösen Verrückten werden. Na ja, eigentlich bist du bereits ein religiöser Verrückter, wenn du darunter verstehst, dass du dein Leben entsprechend diversen Glaubenssätzen und Prinzipien und Verhaltensregeln lebst. Die meisten Menschen im Westen gehören einem populären Kult des Individualismus und Materialismus an, wo das Streben nach der Erfüllung unserer trivialen, unbedeutenden Wünsche ein tägliches Ritual ist. Wenn du dies gerade liest, weil du Suchtprobleme hast, sei es nun die Sucht nach Drogen oder Verhaltensweisen, bist du in einer hoch entwickelten Sekte mit sehr speziellen und hingebungsvollen Praktiken, die manchmal so tief verwurzelt sind, dass sie nicht einmal explizit »gedacht« werden müssen, sondern intensiv und unreflektiert geglaubt werden. »Wenn ich meine Traumfrau finde, wird alles gut.« »Wenn ich es schaffe, mir einen runterzuholen oder gähnend ein Eis zu verschlingen, wird alles gut.«

Dieses Programm fordert uns dazu auf, die Möglichkeit der Hoffnung in Betracht zu ziehen. Hoffnung darauf, dass eine andere Perspektive möglich ist. Hoffnung darauf, dass es einen anderen Weg gibt.

Um diesen Prozess, das Streben nach Glück, Zufriedenheit, Präsentsein oder Freiheit, in Angriff zu nehmen, müssen wir glauben, dass so etwas erreichbar ist.

Durch diese eher düstere und manchmal, seien wir ehrlich, verdammt glamouröse Erforschung meines Lebens bin ich ganz unbeabsichtigt auf einige unglaubliche Menschen und Ideen gestoßen, die mich einen Tag lang, manchmal auch nur einen Moment lang, aus dem glitzernden Dreck emporheben, in die Präsenz von etwas Uraltem und Zeitlosem bringen, das, wie ich glaube, Zugang zu DER Lösung gewährt, egal, welches Problem du hast.

DIE 12 SCHRITTE

Du kennst mich ja, oder nicht? Du weißt, ich hasse Systeme, insbesondere »das System« – ein Schwindelsystem, bestehend aus Anweisungen für uns, das Volk, denen wir folgen sollen, während sich die wahrhaft Freien in Privilegien suhlen. Stell dir also meinen anfänglichen Widerstand gegen dieses System, die 12 Schritte, vor: »Sag mir nicht, was ich zu tun habe, ich bin ein Individuum, ich bin ein Außenseiter, ich bin ein Stricher, ich bin ein Dichter, der durch die windgepeitschte Wildnis wandert und sein Lied in die grimmige und verurteilende Welt schreit.«

Zumal die 12 Schritte in ihrer ursprünglichen Form das Wort »Gott« so frei und so häufig aussprechen wie jemand mit einem kirchlichen Tourette-Syndrom. Ich saß in kühlen Zimmern in England auf dem Land, gezüchtigt und verzweifelt, schaute auf diese trostlosen Edikte an der Wand und dachte: »Vielleicht für dich, aber nicht für mich.« Doch wie die spätere Erforschung dieser Prinzipien ergab, ist interessanterweise ein egozentrisches, egoistisches Denken das bestimmende Attribut des süchtigen Zustands.

Egozentrik ist eine verzwickte Sache; sie geht über bloße Eitelkeit hinaus. Das ist nicht nur Fonzie (aus der amerikanischen Fernsehserie »Happy Days«), der sich in selbstzufriedenem Staunen betrachtet und mit seinem kleinen Hintern wackelt, nein. Hier ist ein etwas weniger offensichtliches Beispiel für Egozentrik: Wenn dein Partner bzw. deine Partnerin ein wenig launisch ist, du weißt schon, egoistisch oder schwierig, und du dich selbst als die unterdrückte Bezugsperson darstellst, die hinter ihm oder ihr auf und ab geht und sagt: »Ich weiß nicht, was er/sie ohne mich tun würde«, dann ist das eine andere Form der Ichbezogenheit. Du machst dich selbst und deine Gefühle bezüglich der Situation zum ontologischen (festen!) Mittelpunkt der Welt. Könntest du auf andere Weise du selbst sein? Schließlich wissen wir doch alle, dass das Du, das du bist, und das Ich, das ich bin, das absolute Alpha und Omega der heutigen Welt ist. Du brauchst bloß den Fernseher einzuschalten, deinen Feed anzuschauen – es geht immer um mich, mich, mich, das perfekte Produkt, den Urlaub, das Haarwasser, den Telefonanbieter für mein einzigartiges Ich. Nun, das ist ja schön und gut, aber ich weiß nicht wirklich, was »ich« ist oder was »ich« will, und inzwischen frage ich mich, ob es »mir« guttut, den ganzen Tag über »mich« nachzudenken.

Als ich die 12 Schritte das erste Mal sah, dachte ich: »Hm, ein bisschen religiös, ein bisschen fromm, ein bisschen ambitioniert.« Es fühlte sich so »christlich« an. Schau dir den dritten Schritt an: »… unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes anzuvertrauen.« Ganz ruhig, alter Junge, das klingt wie eine Kuschelversion vom ISIS.

Aber inzwischen weiß ich, dass du ein gläubiger Muslim mit einem Zuckerproblem sein könntest, ein atheistischer Jude, der zu viele Pornos schaut, ein Hindu, der nicht treu bleiben kann, oder ein Humanist, der mehr einkauft, als er sich leisten kann, und dieses Programm wird sich mühelos um deine Schwächen und Eigenschaften herum formen und dich auf den Weg bringen, den du schon immer gehen solltest, und dich ganz einfach zur bestmöglichen Version deiner selbst machen. Wie du sehen wirst, umfasst das in meinem Fall eine ganze Reihe von Schwächen, etliche seltsame Gedanken und gelegentliche Verhaltensausbrüche.

DIE 12 SCHRITTE

Wenn du dir die Schritte zum ersten Mal ansiehst,

schreibe auf, was du darüber denkst.

Wir gaben zu, dass wir unserer Sucht gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten.Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes, wie wir ihn verstanden, anzuvertrauen.Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren.Wir gaben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber unverhüllt unsere Fehler zu.Wir waren völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen.Demütig baten wir Gott, unsere Mängel von uns zu nehmen.Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugefügt hatten, und wurden willig, ihn bei allen wiedergutzumachen.Wir machten bei diesen Menschen alles wieder gut, wo immer es möglich war – es sei denn, wir hätten dadurch sie oder andere verletzt.Wir setzten die Inventur bei uns fort, und wenn wir Unrecht hatten, gaben wir es sofort zu.Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott – wie wir ihn verstanden – zu vertiefen. Wir baten ihn nur, uns seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.Nachdem wir durch diese Schritte ein spirituelles Erwachen erlebt hatten, versuchten wir, diese Botschaft an Süchtige weiterzugeben und unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.

Meine Betrachtung der Schritte sieht folgendermaßen aus,

und so lade ich dich ein, sie ebenso zu betrachten. Damit werden sie ganz bestimmt entmystifiziert. Wahrscheinlich habe ich das »Sch«-Wort gar zu oft benutzt [in der englischen Originalausgabe: das »F«-Wort, nämlich »fucked« (Anm.d.Übers.)], aber damit möchte ich einfach aussagen, dass dieses System praxisorientiert ist, sodass es jede und jeder nutzen kann.

Geht es dir beschissen?Könnte es dir auch nicht beschissen gehen?Kannst du selbst dafür sorgen, dass es dir nicht mehr beschissen geht?Schreib alles auf, durch was es dir beschissen geht oder jemals beschissen gegangen ist, und lass nichts weg.Erzähle einer vertrauenswürdigen Person ganz ehrlich, wie beschissen es dir geht.Gut, das hat eine ganze Menge beschissener Muster offengelegt. Möchtest du damit aufhören? Ganz im Ernst?Bist du bereit, ein neues Leben zu führen, bei dem es nicht nur um dich und deine frühere Scheiße geht? Das musst du sein!Mach dich bereit, dich bei allen für alles zu entschuldigen, was du mit deiner Scheiße angerichtet hast.Nun entschuldige dich – außer wenn dadurch alles noch schlimmer würde.Achte auf beschissene Gedanken und Verhaltensweisen und sei ehrlich, wenn so etwas passiert.Bleib in Verbindung mit deiner neuen Sichtweise.Nimm eine weniger selbstsüchtige Sicht auf das Leben ein, sei nett zu allen, hilf anderen Menschen, wenn du kannst.

Doch wie sieht es mit meiner ach so kostbaren Individualität aus? Ich kann meinen einzigartigen, individuellen Geist doch nicht einem System unterwerfen; »das philosophische Gefängnis, das mich einsperren kann, ist noch nicht gebaut worden, Baby!«. Das mag ja sein, und sich den Autoritäten zu widersetzen ist gut und schön, aber dabei geht es doch wohl darum, sich der Unterdrückung und Ausbeutung durch diese Autoritäten zu widersetzen? Hier gibt es aber keine Unterdrückung und auch keine Ausbeutung. Und außerdem – bitte jetzt Licht dimmen und die Musik aus »Twilight Zone« abspielen: »Wer ist dieses Ich, das ich da schützen will?« Diese Frage werden wir im Lauf dieser Kapitel durchleuchten und vielleicht sogar beantworten. Obwohl ich ehrlicherweise sagen muss, das Rätsel um das Verständnis der wahren Natur des Selbst hat schon seit Menschengedenken die besten Köpfe beschäftigt. Aber ich mag ja Herausforderungen.

So wie ich das Wort »Sucht« durch »Drogen« ersetzen muss, musst vielleicht auch du dein Ersatzwort finden: Essen, Technik, Spielen, obsessive Beziehungen, Porno – was immer du eben verändern möchtest. Stell dir vor, du bist ein Computer mit einem Virus, und dies hier ist der Code, der dich bereinigt. Folgst du diesem Weg und den Empfehlungen aus diesem Buch, wird das in dir eine Veränderung bewirken.

Hast du ganz offensichtlich ein Suchtproblem, dann hast du Glück: Es gibt nämlich bereits eine unglaublich effektive Methode, dagegen anzugehen und die destruktive Energie dieses Zustands in eine neue Seinsweise, eine neue Verfassung umzulenken. Du wirst dich mit vielem in diesem Buch identifizieren können; es ist ein nützlicher Begleiter, wenn du dich mit weiteren verfügbaren Informationen und Unterstützungsgruppen beschäftigst. Ist dein Leiden eher heimtückischer Natur – eine gewisse Traurigkeit, eine Unzufriedenheit, ein Verlangen, das du nicht wirklich effektiv angehst –, dann verspreche ich dir: Wendest du dieses Programm ernsthaft auf dein Leben an, wird sich deine Wahrnehmung verändern und damit auch deine Welt.

Inzwischen zielen Hunderte von 12-Schritte-Bewegungen auf Dinge ab, die ganz ungewollt fetischisiert werden: Drogen, Spielen, Essen, Sex, Horten. Genügend Organisationen setzen diese Methode so erfolgreich ein, dass man ein allen gemeinsames Verlangen geltend machen kann, das den Suchtzyklus einleitet und antreibt.

Als ich das erste Mal mit den 12 Schritten in Berührung kam, musste ich damit gegen Drogen und Alkohol ankämpfen. Es funktionierte. Dann ging es um Sex, Essen und Arbeit. Auch das funktionierte. Heute wende ich sie auf alle meine Gedanken und Gefühle an in dem Wissen, dass sie mir helfen, meine Erfahrungen der Außenwelt und meinen Platz in dieser Welt auszuhandeln. Mein Berufsleben, mein häusliches Leben, mein spirituelles Leben und mein neues Leben als Vater – alles spielt sich entsprechend einem Plan ab, der auf Basis dieser Prinzipien erstellt wurde.

Jeder Mensch wendet die 12 Schritte auf seine individuelle Weise an; sie umfassen viele verschiedene Sätze, die sich unendlich vielfältig und individuell abwandeln lassen.

Ich fand dieses Programm insofern besonders lohnend, aber auch herausfordernd, als es meine unbestrittene Überzeugung offengelegt hat, ich sei das Zentrum des Universums und der Sinn meines Lebens bestehe darin, meine Triebe zu befriedigen bzw., wenn das nicht möglich war, deswegen auf bunte und kreative Weise darunter zu leiden.

Dieses Programm funktioniert für dich also ganz unabhängig von deinem jeweiligen Glauben und auch, wenn du an gar nichts glaubst; es klärt dich aber auch über deine bewusste sowie unbewusste Vorstellung auf, du und deine Triebe würden dein Leben bestimmen.

Ich selbst arbeitete mit den 12 Schritten, weil ich verzweifelt war. Und ich arbeite nach wie vor damit, weil sie mir klargemacht haben, dass ich auf Basis meiner früheren Weltsicht unmöglich glücklich werden kann; sie besagte, dass ich das Zentrum der Welt sei und dass das, was ich wollte, wichtig sei.

Ich kann persönlich bezeugen, dass die 12 Schritte bei schlimmen Suchtproblemen funktionieren. Falls du mit solchen Problemen kämpfst, solltest du dich an die geeignete 12-Schritte-Unterstützungsgruppe wenden. Wo auch immer du auf der Suchtskala stehst – chronisch krank, im Stillen besorgt oder einfach auf der Suche nach Veränderung: Ich hoffe, dank dieses Buches kannst du von diesen Schritten genauso profitieren wie ich – ehrlich, aufgeschlossen und bereit dafür.

Wenn du so bist wie ich, gehst du die Dinge gerne halb an. Ich kaufe ein Buch über gesunde Ernährung oder Meditation, und damit ist es gut. Ich befriedige ein Bedürfnis durch das soziale Instrument der Konsumkultur und belasse es dabei. Ein Buch über gesunde Ernährung, das ungelesen im Bücherregal steht, wird meinen Body-Mass-Index nicht verbessern, was auch immer das überhaupt ist. Ein Buch über Meditation, das zur Seite gelegt wird, wird weder mein Bewusstsein erhöhen noch mich auf die »große Einheit« hinter meinen Gedanken und Gefühlen einstimmen.

Wenn du die Empfehlungen in diesem Buch nicht befolgst, kannst du das Geld genauso gut für Kuchen ausgeben oder es zum Fenster rausschmeißen.

Und obwohl ich es nicht gerne sage: Es ist nicht leicht. Es ist kein »Wie du dein Leben in zehn Minuten verändern kannst, indem du auf deinem Arsch sitzen bleibst und Botschaften an das Universum schreibst und sie unter dein Kissen steckst«. Es ist verdammt schwierig, das Schwierigste, was ich je gemacht habe. Nein, eigentlich war das Schwierigste überhaupt, mich unter der irrtümlichen Vorstellung abzumühen, dass ich der materiellen Welt Lust und Freude abringen könne, sei es durch Ruhm, Geld, Drogen oder Sex, und stattdessen immer wieder niedergeschlagen und in bedrückender Unzufriedenheit am Boden landete.

Deshalb besagt der erste Schritt: »Mir geht’s beschissen, es wird nicht besser, ich will mich verändern.« Du hast bis hierher gelesen, und damit hast du diesen Schritt bereits stillschweigend gemacht.

1

Geht es dir beschissen?

Schritt 1: Wir gaben zu, dass wir unserer Sucht gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten.

Dies ist eine Einladung, dich zu verändern. Kompliziert wird das eigentlich nur, weil die meisten von uns in sich gespalten sind; ein Teil von uns will ein negatives und strafendes Verhalten verändern, ein anderer Teil will daran festhalten. Für mich ist Genesung eine Reise von der Unbewusstheit zur Bewusstheit. Ich möchte dir das anhand meiner eigenen, völlig langweiligen und konventionellen Erfahrung als 08/15-Drogensüchtiger und Alkoholiker erklären.

Ich hatte immer das Gefühl, ich sei viel zu clever für so ein »Lebensprogramm«, schon gleich gar eines mit religiösen Beiklängen. Ich hielt Religion nicht für »das Opium der Massen«; wenn dem so wäre, hätte ich mir das bestimmt reingezogen, ich liebte Opium. Ich hielt das vielmehr für dämlich. Trist, trocken, doof, reißerisch, hysterisch, doof. Doof wie die Hinterwäldler und doof wie alles Fremde, Ausländische. Das Christentum zum Beispiel: Entweder es ist so mittelalterlich und in Prunk verpackt, dass es lächerlich herumtönt, oder man versucht es zu modernisieren und macht es dadurch kitschig. Nein, danke. Nicht für mich.

Bei mir kamen zwei glückliche Fügungen zusammen: Erstens wurden mir die 12 Schritte von einem echten Atheisten vorgestellt, und zweitens war ich persönlich verzweifelt. Ich war bankrott. Ich hatte keine Ideen und keine Kraft mehr, und mich trieb nur noch die Trägheit der Masse voran. Ich dachte nicht mehr darüber nach, warum ich traurig oder hoffnungslos war oder mich anders fühlte. Ich wusste nur, dass es so war, und parkte dieses Wissen auf einer Seite meines Geistes, wo es nicht mehr genutzt, sondern ignoriert wurde und verrottete.

Zu der Zeit trank ich und hielt mich mithilfe von Drogen am Funktionieren, damit ich nicht von der Traurigkeit überrollt wurde. Hätte man mir auf die Schulter geklopft und mich gefragt: »Hey, Russell, was für einen Plan hast du denn?«, hätte ich vielleicht reflexartig und augenzwinkernd etwas Optimistisches ausgespuckt wie: »Ich warte auf meinen Durchbruch«, oder: »Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich jemand sein«, aber eigentlich wusste ich tief drinnen, dass ich keinen Plan hatte.

Jetzt frage ich dich: Hast du einen Plan? Du musst mir diese Frage nicht gleich beantworten, zumal es nur sehr wenig Sinn ergibt, mir überhaupt zu antworten, schließlich bin ich nicht bei dir (du liest diese Zeilen ja allein). Aber kannst du dir im Refugium deines Geistes sagen: »Ich habe einen Plan. Ich weiß, wohin ich unterwegs bin!«?

Ich ging gegen die stille Angst der Ungewissheit mit Ablenkungen und Vergnügungen an. Ich kam nie zur Ruhe. Ich dachte nur selten nach. Ich hielt mich mit Ablenkungen aufrecht und am Leben.

Nachfolgend wird der Suchtzyklus in fünf klinisch anerkannte Phasen heruntergebrochen. Falls dieses Modell den Aspekt deines Lebens widerspiegelt, den du verändern möchtest, sollte das auch auf die 12 Schritte zutreffen:

SUCHTZYKLUS

Der Fünf-Punkte-Leitfaden des Suchtzyklus

SchmerzenNutzung von Suchtmitteln wie Alkohol, Essen, Sex, Arbeit, abhängige Beziehungen, um die Schmerzen zu lindern und sich abzulenkenZeitweilige Betäubung bzw. AblenkungKonsequenzenScham- und Schuldgefühle, die Schmerzen bzw. ein schlechtes Selbstwertgefühl erzeugen

Und schon geht es von vorne los. Ich erzähle dir, wie das bei mir ist, und du kannst es geistig auf dein Problem übertragen. Und lass dich nicht vom Haken, nur weil ich scheinbar noch verrückter bin als du; das qualifiziert mich ja eben dazu, dieses Buch zu schreiben.

Ich litt Schmerzen. Solange ich zurückdenken kann, hatte ich nie das Gefühl, gut genug zu sein. Jetzt bin ich ein bisschen älter und denke: »Was heißt das: gut genug?« Im Vergleich wozu, wann, wo, wie? Aber damals, in meiner glucksenden, verängstigten Kindheit und meinen unbesonnenen und hektischen Teenagerjahren hatte ich einfach das Gefühl, nicht zu genügen und unvollständig zu sein. Nicht gut genug. Und das tat weh. Ich betrachtete die Welt wie aus einem Aquarium heraus und war einsam. Ich hatte auch keine Technik zur Hand, um dieses Gefühl anzugehen, also musste ich etwas erfinden. Das entspricht Punkt 2 des Fünf-PunkteLeitfadens. Ich behalf mir mit einem Suchtmittel: In der ersten Inkarnation meines Suchtverhaltens war es der ach so harmlose Giftstoff Zucker. Schokolade. Essen. Ich stopfte mir etwas in den Mund, und es ging mir besser – was ist denn daran falsch? Bitte entschuldige, wenn das etwas herablassend klingt; ich möchte einfach, dass du ein paar wirklich wichtige Punkte verstehst.

Ich bekam meine Gefühle mit äußeren Mitteln in den Griff, und das ist an und für sich nichts Schlechtes. Man muss nicht die Schokokekse verteufeln, sie sind nicht das eigentliche Problem. Sie werden nicht aus eigenem Willen deine Vordertür eintreten, dir mit einer Taschenlampe ins Gesicht leuchten, während du schläfst, dich aus dem Bett zerren und sich in deinen Hals zwängen. Das Bewusstsein muss daran beteiligt sein. Für manche Leute ist ein Schokokeks ein harmloser Genuss, für andere ist ein Schlückchen Rum oder ein bisschen Heroin ein Tonikum. Mit Heroin wird die Krise schneller erreicht als mit einem Schokokeks, doch das Wichtige dabei ist, welchen Zweck dieses externe Suchtmittel in deinem Leben erfüllt. Beim Punkt Nummer 3 geht es um zeitweilige Betäubung, den Augenblick des dankbaren Ausatmens und der Erleichterung nach dem Keks, nach dem Koitus, nach der erfreulichen Nachricht vom Objekt deiner Begierde, nach dem eben, womit du deine Sucht befriedigst. Punkt 4, die »Konsequenzen«, dreht sich um den Preis, den du dafür bezahlst.

Ich fühlte mich als Kind schrecklich, wenn ich auf einen Schlag völlig geistesabwesend eine Wochenration Kekse vertilgt hatte. Ich glaube, es gibt wirklich keinen Menschen, der sich nach einem einsamen Orgasmus nicht für einen Moment Vorwürfe macht. Und erst als ich mir Drogen einwarf, als ich am Ende meines Drogenmissbrauchs angekommen war, konnte ich mich dazu bringen, damit aufzuhören. Punkt Nummer 5 sind die »Schmerzen«, und damit sind wir wieder am Anfang des Zyklus.

Eckhard Tolle sagt: »Sucht beginnt mit Schmerz und endet mit Schmerz.« Hier ist das in Punkte heruntergebrochen. Der Zyklus der Sucht verläuft immer wieder im Kreis und gewinnt an Dynamik wie ein außer Kontrolle geratenes Karussell, wie mein schwindliger Kopf, in dem sich alles dreht, wenn ich betrunken bin. In Großbritannien ist Alkoholkonsum gesetzlich ab achtzehn erlaubt; als ich neunzehn war, hatten Ärzte und die Lehrer an meinem College erkannt, dass ich ein Problem hatte, und sagten mir, ich würde Hilfe benötigen. Rückblickend war das schon viel früher offensichtlich – an meinem Essverhalten, meinen Beziehungen zu anderen Menschen, meinen Gedanken über mich und meine Sexualität.

Ich wünschte, ich hätte diese Muster, diese Tendenz früher erkennen können, sodass ich hätte beginnen können, die in diesem Buch beschriebenen Methoden anzuwenden. Für mich musste es aber noch schlimmer kommen, ich musste dieses Muster zehn Jahre lang wiederholen, mit Konsequenzen, die mit jedem wirbelnden Peitschenschlag schlimmer wurden. Ich wusste nicht, dass es einen anderen Weg gibt. Ich war ein Kind, und dann war ich ein Süchtiger, und als ich mich schließlich mit der Vorstellung beschäftigte, an einem Programm teilzunehmen, das bei Drogen Abstinenz bedeutet und bei Verhaltensweisen und Essen Strukturierung, war ich siebenundzwanzig Jahre alt, heroinabhängig und hatte ernsthafte Probleme.

Schritt 1 ermuntert uns dazu, einzugestehen, dass wir etwas Äußeres, eine Beziehung, eine Droge oder ein Verhalten als »Kraft« benutzen, die unser Leben lebenswert macht, und stellt die Frage, ob diese Technik unser Leben schwierig macht. Indem wir zugeben, dass wir »machtlos« gegenüber diesem äußeren Faktor sind, was auch immer es ist, sagen wir, dass wir eine neue Kraft brauchen, dass diese aktuelle Kraftquelle mehr Ärger bereitet, als sie wert ist.

Ich habe dieses Eingeständnis viele Male gemacht, und ich mache es immer noch jeden Tag. Es begann mit dem Eingeständnis, dass ich über Drogen und Alkohol machtlos war; sie waren die offensichtlichsten und lästigsten Kraftquellen, die ich benutzte. Machtlosigkeit und Unkontrollierbarkeit bedeutete in diesem Fall, dass die negativen Konsequenzen in meinem Leben zunahmen; und was auch wichtig ist: Wenn ich erst einmal mit Alkohol und Drogen anfange, weiß ich nicht, wann oder ob ich damit wieder aufhören werde.

Schon allein mit dem Akt des Trinkens oder des Drogenkonsums schlage ich einen Weg ein, auf dem es vielleicht kein Halten mehr gibt. Auf Pornografie und übermäßiges Essen angewandt, ist das zwar sicherlich subtiler, aber auch dann ist klar, dass ich mein Denken um diese Verhaltensweisen herum strukturieren muss und dass zwanghaftes Verhalten für diese Struktur keine Basis sein kann.

Um auf meinen Punkt mit den »zwei Köpfen«, dem geteilten Selbst, zurückzukommen: Damit habe ich folgende Erfahrung gemacht. Als ich zum ersten Mal von dem Programm hörte und mit der Vorstellung von Abstinenz bekannt gemacht wurde, dachte ich einerseits: »Scheiß drauf«; andererseits spürte ich Resonanz und akzeptierte, dass Abstinenz mein Weg sein würde.

»Ich war ein Kind, und dann war ich ein Süchtiger, und als ich mich schließlich mit der Vorstellung beschäftigte, an einem Programm teilzunehmen, das bei Drogen Abstinenz bedeutet und bei Verhaltensweisen und Essen Strukturierung, war ich siebenundzwanzig Jahre alt, heroinabhängig und hatte ernsthafte Probleme.«

Eines der vielen Paradoxe des spirituellen Lebens, dem ich hier begegnete, liegt in der banalen Maxime »Ein Tag nach dem anderen«, wie in »Versuch einfach, heute nicht zu trinken«, »Versuche, heute nicht ungesund zu essen« und »Versuche, heute keinen Sex zu haben«.

Ich wusste, sie meinten: »Du darfst nie wieder trinken«, »Keine Schokolade mehr, nie wieder«, und: »Du lebst jetzt zölibatär«, »Der Spaß ist vorbei, Baby.« Genau das meinten sie. Wenn du ein echter Alkoholiker bist, darfst du nicht trinken. Wenn du Probleme mit dem Essen hast, wirst du immer eine Struktur rund ums Essen brauchen.

Wir müssen das akzeptieren. Die »Ein Tag nach dem anderen«-Weisheit – danke, Oma! – geht mit der ziemlich Zen-artigen und unumstößlichen Wahrheit Hand in Hand, dass das Leben in der Gegenwart erlebt wird; alles, was über den heutigen Tag hinausgeht, sind deine Konzepte und Projektionen des Lebens. Es geht nicht darum, dass du von heute an zwanzig Jahre lang keinen Alkohol mehr anrührst. Du musst auch nicht auf der Stelle für immer und ewig den Verzehr von Weißbrot aufgeben. Und wenn du den heutigen Tag überstehst und morgen aufwachst, was spielt es dann für eine Rolle, dass du gestern nicht gehandelt hast? Ich meine, du sammelst keine Marken für strafbare Lust an. Das Klischee »Immer eins nach dem anderen« ist eigentlich nicht weniger profund als jegliche östliche Weisheit vom »Im Moment sein«, auf die ich inzwischen gestoßen bin. Das Heute ist alles, was ich habe.

Inzwischen bin ich seit vierzehneinhalb Jahren clean und spiele mit diesem Konzept gerne herum, als wäre ich Charlie Parker oder Foucault. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich sexuell ausleben will, dann lasse ich es sein, ich tue es nicht. Am nächsten Tag oder auch eine Stunde später denke ich dann: »Und wenn ich es getan hätte? Dann wäre es jetzt sowieso vorbei und ich hätte meine Familie gesprengt.«

Schritt 1 bedeutet, dass du dich ändern kannst, dass du die Landschaft deines Lebens, deine familiären Beziehungen, dein Arbeitsleben, dein Sexualverhalten, dein Essen, deinen Gebrauch von Telefon, Drogen und Alkohol, die Art und Weise, wie du dein Geld ausgibst, unter die Lupe nimmst und dich fragst: »Bin ich damit glücklich? Möchte ich so leben?« Wenn ein Verhalten oder ein Problem deutlich hervorsticht bzw. deine Überprüfung eine drohende Katastrophe offenbart, kannst du an diesem Punkt Schritt 1 anwenden: Ich bin »machtlos« dagegen, und ich habe mein Leben nicht mehr im Griff, ich kann es nicht mehr meistern.

Dieses Konzept der Unkontrollierbarkeit ist ebenfalls interessant, und neben der offensichtlicheren Interpretation von Chaos und Unordnung gibt es eine tiefere, erschreckendere Bedeutung.

Der erste Aspekt war in meinem Fall deutlich zu beobachten: unbezahlte Schulden, Krankenhausaufenthalte, verlorene Jobs, verlorene Beziehungen, Freunde, die nichts mehr mit mir zu tun haben wollten und sich aus meinem Leben zurückzogen. Ich erzeugte Chaos. Ich war einem anderen bekannten Klischee der 12 Schritte gefolgt: »Zuerst hatte ich Spaß beim Konsum meiner Droge, dann Spaß und Probleme, dann nur noch Probleme.« Die positiven Seiten meines Charakters zählten nicht mehr; es spielte keine Rolle, dass ich klug, freundlich oder talentiert war; diese Eigenschaften wurden durch die alles durchdringende Negativität meiner Sucht so verwässert, dass sie nichts mehr bedeuteten. Die Unkontrollierbarkeit geht jedoch mit einer beunruhigenden und in meinem Fall nachweisbaren Bedingung einher: Wenn ich diesem Teil von mir die Kontrolle überlasse, wenn ich trinke oder Drogen nehme oder bei jedem destruktiven Verhalten »Scheiß drauf« sage, weiß ich nicht, wann ich mein Leben zurückbekomme oder in welchem Zustand es dann sein wird.

»Es geht nicht darum, dass du von heute an zwanzig Jahre lang keinen Alkohol mehr anrührst. Du musst auch nicht auf der Stelle für immer und ewig den Verzehr von Weißbrot aufgeben. Das Klischee ›Immer eins nach dem anderen‹ ist eigentlich nicht weniger profund als jegliche östliche Weisheit vom ›Im Moment sein‹, auf die ich inzwischen gestoßen bin. Das Heute ist alles, was ich habe.«

Die Unkontrollierbarkeit bedeutet im Wesentlichen, dass in mir eine Bestie lebt, und zwar nach wie vor. Ich lebe in Verhandlung mit einer Schattenseite, die es zu respektieren gilt. Da ist eine Wunde. Ich glaube, dass dies mehr als ein Merkmal der Sucht ist. Ich denke, es gehört zum Menschsein, eine Wunde, einen Makel in sich zu tragen, und wir können paradoxerweise nur vorankommen, indem wir diese Wunde annehmen.

Ich unternahm Schritt 1, als ich eingestand, dass ich meiner Sucht machtlos gegenüberstand und mein Leben nicht mehr meisterte. Dass ich keine Kontrolle hatte, ganz egal, was ich mir selbst und anderen einredete, und dass es immer schlimmer wurde. Ich wusste, es gab keinen Ausweg; ich wollte mich nicht mit meinen Ängsten und meiner Scham konfrontieren, ich hoffte, das müsste ich nie tun und ich könnte mit Willenskraft die Welt so hinbiegen, dass es mir irgendwie gut gehen würde.

Chip Somers – ich weiß, ein echt lächerlicher Name –, der Leiter des Behandlungszentrums, in dem ich mich von meiner Sucht befreite, war das erste Mitglied des 12-Schritte-Programms, mit dem ich mich unterhielt. Er sprach nie von »Gott« oder einer »höheren Macht«; er ist sozusagen ein Hardcore-Atheist, und neben ihm sieht Richard Dawkins wie Uri Geller aus. Er sagte mir ganz direkt: »Du bist am Arsch, dir geht’s beschissen. Wenn du so weitermachst, bist du in sechs Monaten im Gefängnis, im Irrenhaus oder unter der Erde.« Das schockierte mich ein bisschen, aber ich wusste auch, dass er recht hatte.

Du bist vielleicht nicht crack- oder heroinsüchtig, wie ich es war, und das oben Gesagte klingt für dich womöglich tröstlich fremd, deshalb möchte ich dir Folgendes sagen: Seitdem habe ich Schritt 1 viele Male durchlaufen. Mit Essen zum Beispiel; ich bin Essen gegenüber machtlos. Wenn ich anfange, Schokolade zu essen, weiß ich nicht, wann ich damit aufhöre. Und Sex. Wenn ich Sex zum Allheilmittel, zur Salbe gegen diesen Schmerz mache, von dem die Rede war, verliere ich schnell die Kontrolle über mein Sexualverhalten und erleide am Ende noch mehr Schmerzen. Oder die Arbeit. Oder meine Beziehung.

Ich wende dieses Programm inzwischen tatsächlich rundum an. Ich habe keinerlei Macht über Menschen, Orte und Dinge, und wenn ich jemals auch nur für einen Augenblick dem Irrglauben anhänge, ich hätte die Kontrolle – und mich so verhalte, als wäre das der Fall –, lässt der Schmerz nicht lange auf sich warten.

Gibt es etwas in deinem Leben, das dir Probleme beschert, und dir ist das bewusst? Dann hast du bestimmt versucht, mit Willenskraft, Kristallen, Hypnose und Pillen dagegen anzugehen. Ich habe den Verdacht, dass das nicht funktioniert hat, und nach meiner Erfahrung wird es auch nie funktionieren. Seltsamerweise und entgegen unserer Intuition können wir in unserer individualistisch geprägten Kultur mit ihrem egozentrischen Heldenmut dann Erfolg damit haben, wenn wir uns ergeben und kapitulieren. Wenn wir »eingestehen, dass wir keine Macht haben«, können wir damit beginnen, auf alle Macht und Kraft zuzugreifen, die wir jemals brauchen.