Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk - Jaroslav Hašek - E-Book + Hörbuch

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk Hörbuch

Jaroslav Hasek

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Beschreibung

Der Krieg als Farce Ein scheinbar naiver Tunichtgut entlarvt im bekanntesten Schelmenroman des 20. Jahrhunderts die gnadenlose Brutalität des Krieges. Josef Schwejk, vor Jahren von der einer Kommission für blöd erklärt, und daher vom Militärdienst bisher verschont, erhält nach dem Attentat von Sarajevo doch noch seine Einberufung in das österreichisch-ungarischen Herr. Von nun an erlebt man Schwejks Parforceritt gegen die Windmühlen des Militärs. Er wird von Dienstheer zu Dienstherr weitergegeben, einer unfähiger und dümmer als sein Vorgänger. Obrigkeitsdenken, Kadavergehorsam, Sterben fürs Vaterland treffen auf die Bauernschläue eines Zivilbürgers. Das ewige "Melde gehorsamst" mit dem der brave Soldat jeden zweiten Satz beginnt, wandelt sich in den Ohren des Lesers zu einem "Hör mal zu, Du dummer Lamettaträger …" Null Papier Verlag

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Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk

Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: J. Schulze, Grete Reiner 2. Auflage, ISBN 978-3-954185-55-9

null-papier.de/schwejk

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Buch und Au­tor

Vor­wort

Ers­ter Teil. Im Hin­ter­lan­de

1. Das Ein­grei­fen des bra­ven Sol­da­ten Schwe­jk in den Welt­krieg

2. Der bra­ve Sol­dat Schwe­jk auf der Po­li­zei­di­rek­ti­on

3. Schwe­jk vor den Ge­richt­särz­ten

4. Schwe­jks Hin­aus­wurf aus dem Ir­ren­haus

5. Schwe­jk auf dem Po­li­zei­kom­missa­ri­at in der Salm­gas­se

6. Schwe­jk kehrt nach Durch­bre­chung des Zau­ber­krei­ses nach Hau­se zu­rück

7. Schwe­jk zieht in den Krieg

8. Schwe­jk als Si­mu­lant

9. Schwe­jk im Gar­ni­sonsar­rest

10. Schwe­jk als Of­fi­ziers­die­ner heim Feld­ku­ra­ten

11. Schwe­jk ze­le­briert mit dem Feld­ku­ra­ten die Feld­mes­se

12. Eine re­li­gi­öse De­bat­te

13. Schwe­jk geht ver­se­hen

14. Schwe­jk als Of­fi­ziers­die­ner bei Ober­leut­nant Lu­kasch

15. Die Ka­ta­stro­phe

Epi­log des Ver­fas­sers zum ers­ten Teil »Im Hin­ter­lan­de«

Zwei­ter Teil. An der Front

1. Schwe­jks Miss­ge­schick im Zug

2. Schwe­jks Bud­wei­ser Ana­ba­sis

3. Schwe­jks Er­leb­nis­se in Kirê­ly­hi­da

4. Neue Lei­den

Drit­ter Teil. Der glor­rei­che Zu­sam­men­bruch

1. Aus Bruck an der Lei­t­ha nach So­kal

2. Quer durch Un­garn

3. In Bu­da­pest

4. Aus Hat­wan an die ga­li­zi­sche Gren­ze

5. Mar­schie­ren, marsch

Vier­ter Teil. Fort­set­zung des glor­rei­chen De­ba­kels

1. Schwe­jk als rus­si­scher Kriegs­ge­fan­ge­ner

2. Die geist­li­che Trös­tung

3. Schwe­jk wie­der­um bei sei­ner Marsch­kom­pa­nie

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Buch und Autor

Der Krieg als Far­ce

Ein schein­bar nai­ver Tu­nicht­gut ent­larvt im be­kann­tes­ten Schel­men­ro­man des 20. Jahr­hun­derts die gna­den­lo­se Bru­ta­li­tät des Krie­ges.

*

Jo­sef Schwe­jk, vor Jah­ren von der ei­ner Kom­mis­si­on für blöd er­klärt, und da­her vom Mi­li­tär­dienst bis­her ver­schont, er­hält nach dem At­ten­tat von Sa­ra­je­vo doch noch sei­ne Ein­be­ru­fung in das ös­ter­rei­chisch-un­ga­ri­schen Herr.

Von nun an er­lebt man Schwe­jks Par­for­ce­ritt ge­gen die Wind­müh­len des Mi­li­tärs. Er wird von Dienstheer zu Dienstherr wei­ter­ge­ge­ben, ei­ner un­fä­hi­ger und düm­mer als sein Vor­gän­ger. Ob­rig­keits­den­ken, Ka­da­ver­ge­hor­sam, Ster­ben fürs Va­ter­land tref­fen auf die Bau­ern­schläue ei­nes Zi­vil­bür­gers. Das ewi­ge „Mel­de ge­hor­samst“ mit dem der bra­ve Sol­dat je­den zwei­ten Satz be­ginnt, wan­delt sich in den Ohren des Le­sers zu ei­nem „Hör mal zu, Du dum­mer La­met­ta­trä­ger …“

Un­ser Held Schwe­jk leis­tet zi­vi­len Un­ge­hor­sam, in­dem er sich strikt an alle Vor­schrif­ten hält und jede Durch­hal­te­pa­ro­le für bare Mün­ze nimmt. So­mit ent­larvt er den Kriegs­fe­tisch der k. u. k., die gro­tes­ke Ver­hei­zung der Trup­pen, das staats­tra­gen­de Zack-Zack des Kom­miss.

Schwe­jk reiht in sei­nen Er­zäh­lun­gen, mit de­nen er sei­ne Ge­sprächs­part­ner nicht sel­ten zur Weiß­glut reizt, An­ek­do­te an An­ek­do­te, Pos­se an Pos­se, Zote an Zote. Und doch hält er sich streng an die Be­fehls­ket­te und kann da­durch nicht zur Re­chen­schaft ge­zo­gen wer­den; die ein­zi­ge Mög­lich­keit, le­ben­dig aus dem Ir­ren­haus der Kriegs­het­ze und Mo­bi­li­sie­rung zu ent­kom­men.

Un­be­waff­ne­te Selbst­ver­tei­di­gung

Der An­ti­held wird zum Wi­der­stands­kämp­fer bar je­den Wis­sens, schein­bar ah­nungs­los hin­ter­lässt er eine Spur der Verzweif­lung und des Cha­os un­ter sei­nen Be­fehls­ha­bern. Wür­den wir wie Schwe­jk nur noch Dienst nach Vor­schrift leis­ten, es wäre der Un­ter­gang der Zi­vi­li­sa­ti­on.

Der Ro­man, als epi­so­den­haf­te Kol­por­ta­ge kon­stru­iert, bleibt im letz­ten Teil un­voll­en­det. Das Ma­nu­skript en­det mit­ten im Satz.

Hašek be­gann An­fang 1921 mit der Ar­beit am Ro­man. Den ers­ten Teil schrieb er in Prag, zum Teil in Wirts­häu­sern, wo er den Gäs­ten sei­ne Ent­wür­fe vor­las und sich von ih­rem Ur­teil lei­ten ließ. An­fangs ver­öf­fent­lich­te Hašek den Schwe­jk in Heft­form. Erst nach ei­nem hal­b­en Jahr konn­te er einen Ver­le­ger fin­den.

Die Um­set­zung aus dem Tsche­chi­schen der Pra­ger Un­ter­schicht be­rei­te­te vie­len Über­set­zern Pro­ble­me. Kon­ge­ni­al ge­lang 1926 die deut­sche Über­set­zung von Gre­te Rei­ner. Sie schuf da­mit in der Li­te­ra­tur die be­rühmt ge­wor­de­ne Sprach­form des „Böh­ma­kelns“.

Das Buch wur­de in die »ZEIT-Biblio­thek der 100 Bü­cher« auf­ge­nom­men.

*

Das Zei­chen ' auf den Vo­ka­len be­deu­tet im Tsche­chi­schen die Deh­nung. Das Häk­chen ˇ ver­leiht dem Laut Weich­heit; in­fol­ge­des­sen wird ĕ wie je ge­spro­chen, ž wie das fran­zö­si­sche ge, ř wie rsch.

Vorwort

Eine große Zeit er­for­dert große Men­schen. Es gibt ver­kann­te, be­schei­de­ne Hel­den, ohne den Ruhm und die Ge­schich­te ei­nes Na­po­le­on. Eine Ana­ly­se ih­res Cha­rak­ters wür­de selbst den Ruhm ei­nes Alex­an­der von Ma­ze­do­ni­en in den Schat­ten stel­len. Heu­te könnt ihr in den Pra­ger Stra­ßen ei­nem schä­bi­gen Mann be­geg­nen, der selbst nicht weiß, was er ei­gent­lich in der Ge­schich­te der neu­en großen Zeit be­deu­tet. Er geht be­schei­den sei­nes Wegs, be­läs­tigt nie­man­den und wird auch nicht von Jour­na­lis­ten be­läs­tigt, die ihn um ein In­ter­view bit­ten. Wenn ihr ihn fra­gen woll­tet, wie er heißt, wür­de er euch schlicht und be­schei­den ant­wor­ten: »Ich hei­ße Schwe­jk …«

Und die­ser stil­le, be­schei­de­ne, schä­bi­ge Mann ist wirk­lich der alte, bra­ve, hel­den­mü­ti­ge, tap­fe­re Sol­dat Schwe­jk, der einst un­ter Ös­ter­reich im Mun­de al­ler Bür­ger des Kö­nig­reichs Böh­men war und des­sen Ruhm auch in der Re­pu­blik nicht ver­blas­sen wird.

Ich habe die­sen bra­ven Sol­da­ten Schwe­jk sehr lieb und bin bei der Nie­der­schrift sei­ner Aben­teu­er im Welt­krieg über­zeugt, dass ihr alle für die­sen be­schei­de­nen, ver­kann­ten Hel­den Sym­pa­thie emp­fin­den wer­det. Er hat nicht den Tem­pel der Göt­tin von Ephe­sus in Brand ge­steckt wie je­ner Dumm­kopf He­ro­stra­tes, um in die Zei­tun­gen und Schul­bü­cher zu kom­men. Und das ge­nügt.

Der Ver­fas­ser

Erster Teil. Im Hinterlande

1. Das Eingreifen des braven Soldaten Schwejk in den Weltkrieg

»Also sie ham uns den Fer­di­nand er­schla­gen«, sag­te die Be­die­ne­rin zu Herrn Schwe­jk, der vor Jah­ren den Mi­li­tär­dienst quit­tiert hat­te, nach­dem er von der mi­li­tär­ärzt­li­chen Kom­mis­si­on end­gül­tig für blöd er­klärt wor­den war, und der sich nun durch den Ver­kauf von Hun­den, häss­li­chen, schlechtras­si­gen Scheu­sä­lern, er­nähr­te, de­ren Stamm­bäu­me er fälsch­te.

Ne­ben die­ser Be­schäf­ti­gung war er vom Rheu­ma­tis­mus heim­ge­sucht und rieb sich ge­ra­de die Knie mit Opo­del­dok ein.

»Was für einen Fer­di­nand, Frau Mül­ler?« frag­te Schwe­jk, ohne auf­zu­hö­ren, sich die Knie zu mas­sie­ren. »Ich kenn zwei Fer­di­n­an­de. Ei­nen, der is Die­ner beim Dro­gis­ten Pru­scha und hat dort mal aus Ver­sehn eine Fla­sche mit ir­gend­ei­ner Ha­ar­tink­tur aus­ge­trun­ken, und dann kenn ich noch den Fer­di­nand Ko­kosch­ka, der was den Hun­de­dreck sam­melt. Um bei­de is kein Schad.«

»Aber gnä’ Herr, den Herrn Erz­her­zog Fer­di­nand, den aus Ko­no­pischt, den di­cken from­men.«

»Je­sus Ma­ria«, schrie Schwe­jk auf. »Das ist aber ge­lun­gen. Und wo is ihm denn das pas­siert, dem Herrn Erz­her­zog?«

»In Sa­ra­je­wo ham sie ihn mit ei­nem Re­vol­ver nie­der­ge­schos­sen, gnä’ Herr. Er ist dort mit sei­ner Erz­her­zo­gin im Au­to­mo­bil ge­fah­ren.«

»Da schau her, im Au­to­mo­bil, Frau Mül­ler, ja, so ein Herr kann sich das er­lau­ben und denkt gar nicht dran, wie so eine Fahrt im Au­to­mo­bil un­glück­lich aus­gehn kann. Und noch dazu in Sa­ra­je­wo, das is in Bos­ni­en, Frau Mül­ler. Das ham si­cher die Tür­ken ge­macht. Wir hät­ten ih­nen halt die­ses Bos­ni­en und Her­ze­go­wi­na nicht neh­men solln. No also, Frau Mül­ler. Der Herr Erz­her­zog ruht also schon in Got­tes Schoß. Hat er sich lang ge­plagt?«

»Der Herr Erz­her­zog war gleich weg, gnä’ Herr, Sie wis­sen ja, so ein Re­vol­ver is kein Spaß. Un­längs hat auch ein Herr bei uns in Nus­le mit ei­nem Re­vol­ver ge­spielt und die gan­ze Fa­mi­lie er­schos­sen, mit­samt dem Haus­meis­ter, der nach­schaun ge­kom­men is, wer dort im drit­ten Stock schießt.«

»Man­cher Re­vol­ver geht nicht los, Frau Mül­ler, wenn Sie sich aufn Kopf stelln. Sol­che Sys­te­me gibts viel. Aber auf den Herrn Erz­her­zog ham sie sich ge­wiss was Bes­se­res ge­kauft, und ich möcht wet­ten, Frau Mül­ler, dass sich der Mann, der das ge­tan hat, dazu schön an­ge­zo­gen hat. Näm­lich auf einen Herrn Erz­her­zog schie­ßen, is eine sehr schwe­re Ar­beit. Das is nicht so, wie wenn ein Wild­dieb auf einen Förs­ter schießt. Da han­delt sichs dar­um, wie man an ihn her­an­kommt, auf so einen Herrn kann man nicht in Ha­dern kom­men. Da müs­sen Sie im Zy­lin­der kom­men, da­mit Sie nicht ein Po­li­zist schon vor­her ab­fasst.«

»Es wa­ren ih­rer he­rich mehr, gnä’ Herr.«

»No, das ver­steht sich doch von selbst, Frau Mül­ler«, sag­te Schwe­jk, sei­ne Knie­mas­sa­ge be­en­dend. »Wenn Sie einen Erz­her­zog oder den Kai­ser er­schla­gen woll­ten, möch­ten Sie sich si­cher auch mit je­man­dem be­ra­ten. Mehr Leu­te ha­ben mehr Ver­stand. Der eine rät das, der an­de­re wie­der was an­de­res, und so wird das Schwers­te leicht voll­bracht, wies in un­se­rer Volks­hym­ne heißt. Die Haupt­sa­che is, den Mo­ment ab­pas­sen, wenn so ein ho­her Herr vor­über­geht. Wie zum Bei­spiel, wenn Sie sich noch an den Herrn Luc­che­ni er­in­nern, der was uns­re se­li­ge Eli­sa­beth mit der Fei­le er­sto­chen hat. Er is mit ihr spa­zie­ren­ge­gan­gen. Dann traun Sie noch je­man­dem. Seit der Zeit geht kei­ne Kai­se­rin mehr spa­zie­ren. Und das­sel­be Schick­sal war­tet noch auf vie­le Leu­te. Sie wern sehn, Frau Mül­ler, dass auch noch der Zar und die Za­rin an die Rei­he kom­men und, was Gott ver­hü­ten mög, auch un­ser Kai­ser, wenn sie schon mit sei­nem On­kel an­ge­fan­gen ham. Er hat vie­le Fein­de, der alte Herr. Noch mehr als der Fer­di­nand. Wies da un­längs ein Herr im Wirts­haus ge­sagt hat, dass eine Zeit kom­men wird, wo die Kai­ser ei­ner nach dem an­de­ren ab­damp­fen wern und wo sie nicht ein­mal die Staats­an­walt­schaft her­aus­rei­ßen wird. Dann hat er die Ze­che nicht be­zah­len kön­nen, und der Wirt hat ihn ho­pneh­men las­sen müs­sen. Und er hat ihm eine Wat­sche hin­un­ter­ge­haut und dem Wach­mann zwei. Dann ham sie ihn in der Ge­mein­de­tru­he ab­ge­führt, da­mit er zu sich kommt. Ja, Frau Mül­ler, heut­zu­tag ge­schehn Din­ge! Das is wie­der ein Ver­lust für Ös­ter­reich. Wie ich noch beim Mi­li­tär war, hat dort ein In­fan­te­rist einen Haupt­mann er­schos­sen. Er hat sei­ne Flin­te ge­la­den und is in die Kanz­lei ge­gan­gen. Dort hat man ihm ge­sagt, dass er dort nichts zu su­chen hat, aber er is fort drauf be­stan­den, dass er mit dem Herrn Haupt­mann spre­chen muss. Der Haupt­mann is hin­aus­ge­gan­gen und hat ihm gleich einen Ka­ser­nar­rest auf­ge­brummt. Er hat die Flin­te ge­nom­men und hat ihn di­rekt ins Herz ge­trof­fen. Die Ku­gel is dem Herrn Haupt­mann durch den Rücken hin­aus­ge­fah­ren und hat noch in der Kanz­lei Scha­den an­ge­rich­tet. Sie hat eine Fla­sche Tin­te zer­schla­gen, und die hat die Amts­ak­ten be­gos­sen.«

»Und was is mit dem Sol­da­ten ge­schehn?« frag­te nach ei­ner Wei­le Frau Mül­ler, wäh­rend Schwe­jk sich an­klei­de­te. »Er hat sich an den Ho­sen­trä­gern auf­ge­hängt«, sag­te Schwe­jk, sei­nen har­ten Hut put­zend. »Und die Ho­sen­trä­ger wa­ren nicht mal sein. Die hat er sich vom Pro­fo­sen aus­ge­borgt, weil ihm he­rich die Ho­sen rut­schen. Hätt er war­ten solln, bis sie ihn er­schie­ßen? Das wis­sen Sie, Frau Mül­ler, in so ei­ner Si­tua­ti­on geht ei­nem der Kopf her­um wie ein Mühl­rad. Den Pro­fo­sen ha­ben sie da­für de­gra­diert und ihm sechs Mo­na­te auf­ge­pelzt. Aber er hat sie sich nicht ab­ge­ses­sen. Er is nach der Schweiz durch­ge­brannt und is dort heut Pre­di­ger in ir­gend­ei­ner Kir­chen­ge­mein­de. Heut­zu­ta­ge gibts we­nig an­stän­di­ge Leu­te, Frau Mül­ler. Ich stell mir halt vor, dass sich der Herr Erz­her­zog Fer­di­nand in Sa­ra­je­wo auch in dem Mann ge­täuscht hat, der ihn er­schos­sen hat. Er hat ir­gend­ei­nen Herrn ge­sehn und sich ge­dacht: Das is si­cher ein an­stän­di­ger Mensch, wenn er mir ›Heil‹ zu­ruft. Und da­bei knallt ihn der Herr nie­der. Hat er nun ein­mal oder öf­ter ge­schos­sen?«

»Die Zei­tun­gen schrei­ben, gnä’ Herr, dass der Herr Erz­her­zog wie ein Sieb war. Er hat alle Pa­tro­nen auf ihn ver­schos­sen.«

»Ja, das geht un­ge­heu­er rasch, Frau Mül­ler, furcht­bar rasch. Ich möcht mir für so was einen Brow­ning kau­fen. Der schaut aus wie ein Spiel­zeug, aber Sie kön­nen da­mit in zwei Mi­nu­ten zwan­zig Erz­her­zö­ge nie­der­schie­ßen, ma­ge­re oder di­cke. Ob­gleich man, un­ter uns ge­sagt, Frau Mül­ler, einen di­cken Erz­her­zog bes­ser trifft als einen ma­gern. Erin­nern Sie sich noch, wie sie da­mals in Por­tu­gal ih­ren Kö­nig er­schos­sen ham? Der war auch so dick. No selbst­ver­ständ­lich wird ein Kö­nig nicht ma­ger sein. – Also ich geh jetzt ins Wirts­haus ›Zum Kelch‹, und wenn je­mand her­käm um den Ratt­ler, auf den ich mir die An­zah­lung ge­nom­men hab, dann sa­gen Sie ihm, dass ich ihn in mei­nem Hun­de­zwin­ger am Land hab, dass ich ihm un­längs die Ohren ku­piert hab und dass man ihn jetzt nicht trans­por­tie­ren kann, so­lang die Ohren nicht zu­heiln, da­mit er sie sich nicht ver­kühlt. Den Schlüs­sel ge­ben Sie zur Haus­meis­te­rin.«

Im Wirts­haus »Zum Kelch« saß ein ein­sa­mer Gast. Es war der Zi­vil­po­li­zist Bretschnei­der, der im Diens­te der Staats­po­li­zei stand. Der Wirt Pa­li­vec spül­te die Tas­sen ab, und Bretschnei­der be­müh­te sich ver­geb­lich, mit ihm ein erns­tes Ge­spräch an­zu­knüp­fen.

Pa­li­vec war als or­di­närer Mensch be­kannt, je­des zwei­te Wort von ihm war Dreck oder Hin­te­rer. Da­bei war er aber be­le­sen und ver­wies je­der­mann dar­auf, was Vic­tor Hugo in sei­ner Schil­de­rung der Ant­wort der al­ten Gar­de Na­po­le­ons an die Eng­län­der in der Schlacht von Wa­ter­loo über die­ses The­ma schreibt.

»Ei­nen fei­nen Som­mer ham wir«, knüpf­te Bretschnei­der sein erns­tes Ge­spräch an.

»Steht al­les für einen Dreck«, ant­wor­te­te Pa­li­vec, die Tas­sen in den Spei­se­schrank ein­ord­nend.

»Die ha­ben uns in Sa­ra­je­wo was Schö­nes ein­ge­brockt«, ließ sich mit schwa­cher Hoff­nung wie­der Bretschnei­der ver­neh­men.

»In wel­chem Sa­ra­je­wo?« frag­te Pa­li­vec. »In der Nus­ler Wein­stu­be? Dort rauft man sich ja je­den Tag. Sie wis­sen ja, Nus­le!«

»Im bos­ni­schen Sa­ra­je­wo, Herr Wirt. Man hat dort den Herrn Erz­her­zog Fer­di­nand er­schos­sen. Was sa­gen Sie dazu?«

»Ich misch mich in sol­che Sa­chen nicht hin­ein. Da­mit kann mich je­der im Arsch le­cken«, ant­wor­te­te höf­lich Herr Pa­li­vec und zün­de­te sich sei­ne Pfei­fe an. »Sich heut­zu­ta­ge in so was hin­ein­mi­schen, das kann je­den den Kopf kos­ten. Ich bin Ge­wer­be­trei­ben­der, wenn je­mand kommt und sich ein Bier be­stellt, schenk ichs ihm ein. Aber so ein Sa­ra­je­wo, Po­li­tik oder der se­li­ge Erz­her­zog, das is nix für uns. Draus schaut nix her­aus als Pan­krêc.«1

Bretschnei­der ver­stumm­te und blick­te ent­täuscht in der lee­ren Gast­stu­be um­her.

»Da ist mal ein Bild vom Kai­ser ge­han­gen«, ließ er sich nach ei­ner Wei­le von Neu­em ver­neh­men. »Gera­de dort, wo jetzt der Spie­gel hängt.«

»Ja, da ham Sie recht«, ant­wor­te­te Herr Pa­li­vec. »Er is dort ge­han­gen, und die Flie­gen ham auf ihn ge­schis­sen, so hab ich ihn auf den Bo­den ge­ge­ben. Sie wis­sen ja, je­mand könnt sich ir­gend­ei­ne Be­mer­kung er­lau­ben, und man könnt da­von noch Unan­nehm­lich­kei­ten ha­ben. Hab ich das nö­tig?«

»In Sa­ra­je­wo hat es aber bös aus­sehn müs­sen, Herr Wirt.«

Auf die­se heim­tücki­sche di­rek­te Fra­ge ant­wor­te­te Herr Pa­li­vec un­ge­wöhn­lich vor­sich­tig:

»Um die­se Zeit is es in Bos­ni­en ver­flucht heiß. Wie ich ge­dient hab, muss­ten wir un­serm Ober­la­jt­nant Eis aufn Kopf ge­ben.«

»Bei wel­chem Re­gi­ment ha­ben Sie ge­dient, Herr Wirt?«

»An sol­che Klei­nig­kei­ten er­in­ner ich mich nicht, ich hab mich nie umso einen Dreck ge­küm­mert und war auch nie drauf neu­gie­rig«, ant­wor­te­te Herr Pa­li­vec, »all­zu große Neu­gier scha­det.«

Der Zi­vil­po­li­zist Bretschnei­der ver­stumm­te end­gül­tig, und sein be­trüb­ter Aus­druck hei­ter­te sich erst bei der An­kunft Schwe­jks auf, der bei sei­nem Ein­tritt in das Wirts­haus ein schwar­zes Bier mit fol­gen­der Be­mer­kung be­stell­te:

»In Wien ham sie heut auch Trau­er.«

Bretschnei­ders Au­gen leuch­te­ten vol­ler Hoff­nung auf. Er sag­te kurz:

»Auf Ko­no­pischt hän­gen zehn schwar­ze Fah­nen.«

»Es soll­ten zwölf dort sein«, sag­te Schwe­jk nach ei­nem Schluck.

»Wa­rum mei­nen Sie zwölf?« frag­te Bretschnei­der.

»Da­mits eine run­de Zahl gibt. Aufs Dut­zend rech­net sichs bes­ser, und im Dut­zend kommt auch al­les bil­li­ger«, ant­wor­te­te Schwe­jk. Es trat Stil­le ein, die Schwe­jk selbst durch fol­gen­den Stoß­seuf­zer un­ter­brach:

»Also er ruht schon in Got­tes Schoß. Gott geb ihm ewi­gen Frie­den. Er hats nicht mal er­lebt, dass er Kai­ser wor­den is. Wie ich beim Mi­li­tär ge­dient hab, is ein­mal ein Ge­ne­ral vom Pferd ge­falln und hat sich in al­ler See­len­ruh er­schla­gen. Man woll­te ihm wie­der aufs Pferd hel­fen, ihn hin­auf­he­ben, da sieht man, dass er mau­se­tot is. Und er hat auch zum Feld­mar­schall avan­cie­ren solln. Das is bei ei­ner Pa­ra­de ge­schehn. Die­se Pa­ra­den füh­ren nie zu was Gu­tem. In Sa­ra­je­wo war auch so eine Pa­ra­de. Ich er­in­ner mich, dass mir bei so ei­ner Pa­ra­de ein­mal zwan­zig Knöp­fe bei der Mon­tur ge­fehlt ham und dass ich da­für vier­zehn Tage Ein­zel ge­fasst hab. Zwei Tage bin ich krumm­ge­schlos­sen ge­le­gen wie La­za­rus. Aber Dis­zi­plin muss beim Mi­li­tär sein. Sonst möcht sich nie­mand aus je­man­den was ma­chen. Un­ser Ober­la­jt­nant Ma­ko­vec hat uns im­mer ge­sagt: ›Dis­zi­plin, ihr Heu­och­sen, muss sein, sonst möch­tet ihr wie die Af­fen auf den Bäu­men klet­tern. Aber das Mi­li­tär wird aus euch Men­schen ma­chen, ihr Trot­teln.‹ Und is das nicht wahr? Stel­len Sie sich einen Park vor, sag mr aufn Karls­platz, und auf je­dem Baum einen Sol­da­ten ohne Dis­zi­plin. Da­vor hab ich im­mer die größ­te Angst ge­habt.« »Das in Sa­ra­je­wo«, knüpf­te Bretschnei­der an, »ha­ben die Ser­ben ge­macht.«

»Da ir­ren Sie sich aber sehr«, ant­wor­te­te Schwe­jk. »Das ham die Tür­ken ge­macht, we­gen Bos­ni­en und Her­ze­go­wi­na.«

Und Schwe­jk leg­te sei­ne An­sich­ten über die in­ter­na­tio­na­le Po­li­tik Ös­ter­reichs auf dem Bal­kan dar. Die Tür­ken hät­ten im Jah­re 1912 den Krieg mit Ser­bi­en, Bul­ga­ri­en und Grie­chen­land ver­lo­ren. Sie hat­ten da­mals wol­len, Ös­ter­reich sol­le ih­nen hel­fen, und als dies nicht ge­sch­ah, schos­sen sie Fer­di­nand nie­der.

»Hast du die Tür­ken gern?« wand­te sich Schwe­jk an Pa­li­vec. »Hast du die­se heid­nischen Hun­de gern? Nicht wahr, das nicht.«

»Ein Gast wie der an­de­re«, sagt Pa­li­vec, »und wenns auch ein Tür­ke is. Für uns Ge­wer­be­trei­ben­de gibts kei­ne Po­li­tik. Be­zahl dein Bier und setz dich hin und quatsch, was du willst. Das is mein Grund­satz. Ob un­sern Fer­di­nand ein Tür­ke oder ein Ser­be, ein Ka­tho­lik oder Mo­ham­me­da­ner, ein An­ar­chist oder Jungt­sche­che um­ge­bracht hat, is mir ganz po­wi­del.«

»Gut, Herr Wirt«, ließ sich Bretschnei­der ver­neh­men, der wie­der­um die Hoff­nung auf­gab, einen von den bei­den in die Enge trei­ben zu kön­nen. »Aber Sie wer­den zu­ge­ben, dass das ein großer Ver­lust für Ös­ter­reich ist.«

Statt des Wir­tes ant­wor­te­te Schwe­jk:

»Ein Ver­lust is es, das lässt sich nicht leug­nen. Ein furcht­ba­rer Ver­lust. Der Fer­di­nand lässt sich nicht durch je­den be­lie­bi­gen Trot­tel er­set­zen. Nur noch di­cker hätt er sein solln.«

»Wie mei­nen Sie das?« warf Bretschnei­der ein.

»Wie ich das mein?« ant­wor­te­te Schwe­jk hei­ter, »no, nur so: wenn er di­cker ge­we­sen wär, dann hätt ihn si­cher schon frü­her der Schlag ge­trof­fen, wie er die al­ten Wei­ber in Ko­no­pischt ge­jagt hat, wenn sie in sei­nem Re­vier Rei­sig und Schwäm­me ge­sam­melt ham, und er hätt nicht ei­nes so schmäh­li­chen To­des ster­ben müs­sen. Wenn ich mir das so über­leg, ein On­kel Sei­ner Ma­je­stät des Kai­sers, und sie er­schie­ßen ihn! Das is ja ein Sch­kan­dal, die gan­zen Zei­tun­gen sind voll da­mit. Bei uns in Bud­weis hat man vor Jah­ren auf dem Markt bei ir­gend­ei­nem klei­nen Streit einen Vieh­händ­ler er­sto­chen, einen ge­wis­sen Bra­tis­lav Lud­wig, der hat­te einen Sohn na­mens Bo­hus­lav, und wenn der sei­ne Schwei­ne ver­kau­fen kam, woll­te nie­mand was von ihm kau­fen, und je­der hat ge­sagt: ›Das ist der Sohn von die­sem Er­sto­che­nen. Das wird ge­wiss auch ein fei­ner Lump sein.‹ Er hat in Krum­mau von der Brücke in die Moldau sprin­gen müs­sen, und man hat ihn wie­der zu Be­wusst­sein brin­gen müs­sen, und man hat aus ihm das Was­ser her­aus­pum­pen müs­sen, und er hat in den Ar­men des Arz­tes sei­nen Geist auf­ge­ben müs­sen, wie der ihm ir­gend­ei­ne In­jek­ti­on ge­macht hat.«

»Sie zie­hen aber merk­wür­di­ge Ver­glei­che«, sag­te Bretschnei­der be­deu­tungs­voll, »zu­erst spre­chen Sie von Fer­di­nand und dann von ei­nem Vieh­händ­ler.«

»I wo«, ver­tei­dig­te sich Schwe­jk. »Gott be­wah­re, dass ich je­mand mit je­man­dem ver­glei­chen möcht. Der Herr Wirt kennt mich. Nicht wahr, ich hab nie je­man­den mit je­man­dem ver­gli­chen? Ich möcht nur nicht in der Haut der Frau Erz­her­zo­gin ste­cken. Was wird die jetzt ma­chen? Die Kin­der sind Wai­sen, die Herr­schaft in Ko­no­pischt ohne Herrn. Soll sie sich wie­der mit ir­gend­ei­nem Erz­her­zog ver­hei­ra­ten? Was hätt sie da­von? Sie wird mit ihm wie­der nach Sa­ra­je­wo fah­ren und zum zwei­ten Mal Wit­we wern. Da hat vor Jah­ren in Zliw bei Hlu­bo­kê ein He­ger ge­lebt, der hat den häss­li­chen Na­men Pin­scher ge­habt. Die Wild­die­be ham ihn er­schos­sen, und er hat eine Wit­we mit zwei Kin­dern hin­ter­las­sen, und sie hat sich nach ei­nem Jahr wie­der einen He­ger ge­nom­men, den Pepi Schaw­lo­vic aus Myd­lo­wař. Und den ham sie ihr auch er­schos­sen. Dann hat sie sich zum drit­ten Mal ver­hei­ra­tet und hat wie­der einen He­ger ge­nom­men und hat ge­sagt: ›Al­ler gu­ten Din­ge sind drei. Wenns dies­mal nicht glückt, dann weiß ich schon nicht, was ich ma­chen soll.‹ Na­tür­lich hat man ihr ihn wie­der er­schos­sen, und da hat sie mit die­sen He­gern zu­sam­men schon sechs Kin­der ge­habt. Sie is bis in die Kanz­lei vom Herrn Fürs­ten im Hlu­bo­kê ge­gan­gen und hat sich be­schwert, dass sie mit die­sen He­gern so ein Malör hat. Dort hat man ihr den Teich­wäch­ter Ja­rosch vom Ražit­zer Teich emp­foh­len. Und was sa­gen Sie dazu: den ham sie ihr wie­der beim Fisch­fang im Teich er­tränkt, und da­bei hat sie mit ihm schon zwei Kin­der ge­habt. Da hat sie sich einen Schwein­schnei­der aus Vo­dňan ge­nom­men, und er hat sie ei­nes Abends mit der Ha­cke er­schla­gen und is sich dann frei­wil­lig an­zei­gen ge­gan­gen. Wie man ihn dann beim Kreis­ge­richt in Pi­sek ge­hängt hat, hat er dem Pries­ter die Nase ab­ge­bis­sen und hat ge­sagt, dass er über­haupt nichts be­reut, und hat auch noch was sehr Häss­li­ches über un­sern Kai­ser ge­sagt.«

»Und wis­sen Sie nicht, was er ge­sagt hat?« frag­te mit hoff­nungs­vol­ler Stim­me Bretschnei­der.

»Das kann ich Ih­nen nicht sa­gen, weil sich nie­mand ge­traut hat, es zu wie­der­ho­len. Aber es war he­rich et­was so Furcht­ba­res und Schreck­li­ches, dass ein Rat vom Ge­richt, der da­bei war, da­von ver­rückt ge­worn is, und noch heut hält man ihn in der Iso­lier­zel­le, da­mit nix ans Licht kommt. Es war nicht nur eine ge­wöhn­li­che Be­lei­di­gung, wie man sie be­geht, wenn man be­trun­ken is.«

»Und wel­che Ma­je­stäts­be­lei­di­gun­gen be­geht man denn da?« frag­te Bretschnei­der.

»Mei­ne Her­ren, ich bitt Sie, spre­chen Sie von was andrem«, ließ sich der Wirt Pa­li­vec ver­neh­men. »Wis­sen Sie, ich hab so was nicht gern. Man lässt was fal­len, und das kann einen manch­mal ver­drie­ßen.«

»Wel­che Ma­je­stäts­be­lei­di­gun­gen man be­geht, wenn man be­trun­ken is?« wie­der­hol­te Schwe­jk. »Ver­schie­de­ne. Be­trin­ken Sie sich, las­sen Sie sich die ös­ter­rei­chi­sche Hym­ne auf­spieln, und Sie wern sehn, was Sie an­fan­gen wern zu spre­chen. Sie wern sich so viel über Sei­ne Ma­je­stät aus­den­ken, dass es, wenn nur die Hälf­te da­von wahr wär, ge­nü­gen möcht, um ihn für sein gan­zes Le­ben un­mög­lich zu ma­chen. Aber der alte Herr ver­dient sichs wirk­lich nicht. Be­den­ken Sie: Sei­nen Sohn Ru­dolf hat er im zar­ten Al­ter in vol­ler Man­nes­kraft ver­lo­ren. Sei­ne Ge­mah­lin Eli­sa­beth hat man mit ei­nem Dolch durch­bohrt, dann is ihm der Jo­hann Ort ver­lo­ren­ge­gan­gen; sei­nen Bru­der, den Kai­ser von Me­xi­ko, hat man ihm in ir­gend­ei­ner Fes­tung, an ir­gend­ei­ner Mau­er er­schos­sen. Jetzt ham sie ihm wie­der auf sei­ne al­ten Tage den On­kel ab­ge­murkst. Da müss­te man wirk­lich ei­ser­ne Ner­ven ha­ben. Und dann fängt ir­gend­ein be­sof­fe­ner Kerl an, ihm auf­zu­hei­ßen. Wenns heu­te zum Krieg kommt, geh ich frei­wil­lig und wer un­serm Kai­ser die­nen, bis man mich in Stücke reißt.«

Schwe­jk tat einen tüch­ti­gen Schluck und fuhr fort:

»Sie glau­ben, un­ser Kai­ser wird das so las­sen? Da ken­nen Sie ihn schlecht. Krieg mit den Tür­ken muss sein. Ihr habt mei­nen On­kel er­schla­gen, da habt ihr da­für eins über die Ku­schen. Es gibt be­stimmt Krieg. Ser­bi­en und Russ­land wern uns in die­sem Krieg hel­fen. Sa­kra, wir wern die Fein­de dre­schen.«

Schwe­jk sah in die­sem pro­phe­ti­schen Au­gen­blick herr­lich aus. Sein ein­fäl­ti­ges Ge­sicht, das lä­chel­te wie der zu­neh­men­de Mond, glänz­te vor Be­geis­te­rung. Ihm war al­les so klar.

»Kann sein«, fuhr er in sei­ner Schil­de­rung der Zu­kunft Ös­ter­reichs fort, »dass uns, wenn wir mit den Tür­ken Krieg füh­ren, die Deut­schen in den Rücken falln, weil die Deut­schen und die Tür­ken zu­sam­men­hal­ten. Wir kön­nen uns aber mit Frank­reich ver­bün­den, das seit dem Jahr ein­und­sieb­zig auf Deutsch­land schlecht zu spre­chen is. Und schon wirds gehn. Es wird Krieg ge­ben, mehr sag ich euch nicht.«

Bretschnei­der stand auf und sag­te fei­er­lich:

»Mehr müs­sen Sie auch nicht sa­gen. Kom­men Sie mit mir auf den Gang, dort wer­de ich Ih­nen et­was sa­gen.«

Schwe­jk folg­te dem Zi­vil­po­li­zis­ten auf den Gang, wo sei­ner eine klei­ne Über­ra­schung harr­te, als ihm sein Bier­nach­bar den Ad­ler2 zeig­te und er­klär­te, dass er ihn ver­haf­te und so­fort zur Po­li­zei­di­rek­ti­on füh­ren wer­de. Schwe­jk be­müh­te sich, ihm klarzu­ma­chen, dass er sich viel­leicht irre, er sei voll­stän­dig un­schul­dig und habe nicht ein Wort ge­sagt, das je­man­den be­lei­di­gen kön­ne. Bretschnei­der sag­te ihm je­doch, er habe sich ei­ner Rei­he straf­ba­rer Hand­lun­gen schul­dig ge­macht, un­ter de­nen auch das Ver­bre­chen des Hoch­ver­rats eine Rol­le spie­le.

Dann kehr­ten sie in die Gast­stu­be zu­rück, und Schwe­jk sag­te zu Herrn Pa­li­vec:

»Ich hab fünf Bie­re und ein Kip­fel mit ei­nem Würstl. Jetzt ge­ben Sie mir noch einen Sli­wo­witz und dann muss ich schon gehn, weil ich ver­haf­tet bin.«

Bretschnei­der zeig­te Herrn Pa­li­vec den Ad­ler, blick­te Herrn Pa­li­vec eine Wei­le an und frag­te dann:

»Sind Sie ver­hei­ra­tet?«

»Ja.«

»Und kann Ihre Frau wäh­rend Ih­rer Ab­we­sen­heit das Ge­schäft füh­ren?«

»Ja.«

»Dann ist al­les in Ord­nung, Herr Wirt«, sag­te Bretschnei­der hei­ter, »ru­fen Sie Ihre Frau her­ein, über­ge­ben Sie ihr al­les, und abends wer­den wir Sie ab­ho­len.«

»Mach dir nichts draus«, trös­te­te ihn Schwe­jk, »ich geh nur we­gen Hoch­ver­rat hin.«

»Aber wo­für ich« stöhn­te Herr Pa­li­vec. »Ich war doch so vor­sich­tig.«

Bretschnei­der lach­te und sag­te sie­ges­froh:

»Da­für, dass Sie ge­sagt ha­ben, dass die Flie­gen auf un­sern Kai­ser ge­schis­sen ha­ben. Man wird Ih­nen schon un­sern Kai­ser aus dem Kopf trei­ben.«

Und Schwe­jk ver­ließ das Gast­haus »Zum Kelch« in Beglei­tung des Zi­vil­po­li­zis­ten, den er mit sei­nem freund­li­chen Lä­cheln frag­te, als sie auf die Stra­ße tra­ten:

»Soll ich vom Trot­toir her­un­ter­gehn?«

»Wa­rum?«

»Ich denk, wenn ich ver­haf­tet bin, hab ich kein Recht mehr, auf dem Trot­toir zu gehn.«

Als sie in das Tor der Po­li­zei­di­rek­ti­on tra­ten, sag­te Schwe­jk:

»Wie rasch uns die Zeit ver­lau­fen is! Gehn Sie oft zum ›Kelch‹?«

Und wäh­rend man Schwe­jk in die Auf­nah­me­kanz­lei führ­te, übergab Herr Pa­li­vec beim »Kelch« die Gast­wirt­schaft sei­ner wei­nen­den Frau, wo­bei er sie in sei­ner son­der­ba­ren Art trös­te­te:

»Wein nicht, heul nicht, was kön­nen sie mir we­gen ei­nem be­schis­se­nen Kai­ser­bild ma­chen?«

Und so griff der bra­ve Sol­dat Schwe­jk in sei­ner freund­li­chen Wei­se in den Welt­krieg ein.

Die His­to­ri­ker wird es in­ter­es­sie­ren, dass er weit in die Zu­kunft vor­aus­sah. Wenn sich die Si­tua­ti­on spä­ter an­ders ent­wi­ckel­te, als er beim »Kelch« aus­ein­an­der­ge­setzt hat­te, dann müs­sen wir be­rück­sich­ti­gen, dass er kei­ne di­plo­ma­ti­sche Vor­bil­dung be­saß.

Gro­ße Straf­an­stalt bei Prag.  <<<

Das Ab­zei­chen der ös­ter­rei­chi­schen Ge­heim­po­li­zis­ten.  <<<

2. Der brave Soldat Schwejk auf der Polizeidirektion

Das At­ten­tat in Sa­ra­je­wo füll­te die Po­li­zei­di­rek­ti­on mit zahl­rei­chen Op­fern. Man brach­te eins nach dem an­de­ren, und der alte In­spek­tor in der Auf­nah­me­kanz­lei sag­te mit sei­ner gut­mü­ti­gen Stim­me:

»Die­ser Fer­di­nand wird sich euch nicht aus­zah­len!«

Als man Schwe­jk in eine der vie­len Zel­len des ers­ten Stock­werks sperr­te, fand er dort eine Ge­sell­schaft von sechs Män­nern vor. Fünf sa­ßen rings um den Tisch, und in der Ecke auf dem Ka­val­lett1 saß, als woll­te er sich von ih­nen ab­son­dern, ein Mann in mitt­le­ren Jah­ren. Schwe­jk be­gann einen nach dem an­de­ren aus­zu­fra­gen, warum man ihn ein­ge­sperrt habe.

Von den fün­fen, die am Tisch sa­ßen, er­hielt er na­he­zu die glei­che Ant­wort:

»We­gen Sa­ra­je­wo!« – »We­gen Fer­di­nand!« – »We­gen die­sem Mord am Herrn Erz­her­zog!« – »We­gen Fer­di­nand!« – »Da­für, dass man den Herrn Erz­her­zog in Sa­ra­je­wo um­ge­bracht hat!«

Der sechs­te, der sich von die­sen fünf ab­son­der­te, sag­te, dass er mit ih­nen nichts zu tun ha­ben wol­le, da­mit auf ihn kein Ver­dacht fal­le, denn er sit­ze hier nur we­gen ver­such­ten Raub­mor­des an ei­nem Bau­er aus Ho­litz.

Schwe­jk setz­te sich an den Tisch in die Ge­sell­schaft der Ver­schwö­rer, die ein­an­der be­reits zum zehn­ten Mal er­zähl­ten, wie sie in die­se Af­fä­re hin­ein­ge­ra­ten wa­ren.

Alle, bis auf einen, hat­te es ent­we­der im Wirts­haus, in der Wein­stu­be oder im Kaf­fee­haus er­eilt. Eine Aus­nah­me bil­de­te ein un­ge­wöhn­lich di­cker Herr mit ei­ner Bril­le und ver­wein­ten Au­gen, der zu Hau­se in sei­ner Woh­nung ver­haf­tet wor­den war, weil er zwei Tage vor dem At­ten­tat in Sa­ra­je­wo für zwei ser­bi­sche Stu­den­ten, Tech­ni­ker, im Gast­haus die Ze­che be­zahlt hat­te und vom De­tek­tiv Brix in ih­rer Ge­sell­schaft be­trun­ken im »Mont­mar­tre« in der Ket­ten­gas­se ge­se­hen wor­den war, wo er, wie er im Pro­to­koll be­reits durch sei­ne Un­ter­schrift be­stä­tigt hat­te, eben­falls für sie ge­zahlt hat­te.

Auf alle Fra­gen bei der Vor­un­ter­su­chung auf der Po­li­zei­di­rek­ti­on jam­mer­te er ste­reo­typ:

»Ich habe ein Pa­pier­ge­schäft.«

Worauf ihm eben­falls die ste­reo­ty­pe Ant­wort zu­teil wur­de:

»Das ist kein Be­weis für Ihre Un­schuld.«

Der klei­ne Herr, den es in ei­ner Wein­stu­be er­wi­scht hat­te, war Ge­schichtspro­fes­sor und hat­te dem Wein­stu­ben­be­sit­zer die Ge­schich­te ver­schie­de­ner At­ten­ta­te er­klärt. Er wur­de ge­ra­de in dem Au­gen­blick ver­haf­tet, als er die psy­cho­lo­gi­sche Ana­ly­se al­ler At­ten­ta­te mit den Wor­ten be­en­de­te:

»Der Ge­dan­ke des At­ten­ta­tes ist so ein­fach wie das Ei des Ko­lum­bus.«

»Gen­au­so ein­fach, wie Sie Pan­krêc er­war­tet«, wur­de sein Auss­pruch wäh­rend des Ver­hörs von dem Po­li­zei­kom­mis­sär er­gänzt.

Der drit­te Ver­schwö­rer war der Vor­sit­zen­de des Wohl­tä­tig­keits­ver­eins »Do­bro­mil« in Hod­ko­witsch­ka. An dem Tage, an dem das At­ten­tat ver­übt wor­den war, ver­an­stal­te­te der »Do­bro­mil« ein Gar­ten­fest mit an­schlie­ßen­dem Kon­zert. Der Gen­dar­me­rie­wacht­meis­ter kam, um die Teil­neh­mer auf­zu­for­dern, das Fest zu be­en­den, denn Ös­ter­reich habe Trau­er, wor­auf der Vor­sit­zen­de des »Do­bro­mil« gut­mü­tig ent­geg­ne­te:

»War­ten Sie ein Weil­chen, bis man das ›Hej, Slo­wa­ne‹2 zu Ende ge­spielt ha­ben wird.«

Jetzt saß er da mit ge­senk­tem Kopf und la­men­tier­te:

»Im Au­gust ha­ben wir neue Vor­stands­wah­len, wenn ich bis zu der Zeit nicht zu Hau­se bin, kann es ge­schehn, dass man mich nicht wählt. Und ich bin schon zum zehn­ten Mal Vor­sit­zen­der. Ich über­leb die­se Schan­de nicht.«

Selt­sam hat­te der se­li­ge Fer­di­nand dem vier­ten Ver­haf­te­ten mit­ge­spielt, ei­nem Mann von lau­te­rem Cha­rak­ter und ma­kel­lo­sem Schild.

Er war vol­le zwei Tage jeg­li­chem Ge­spräch über Fer­di­nand aus­ge­wi­chen, bis er den Ei­chel­kö­nig mit der Schell­sie­ben trumpf­te:

»Sie­ben Ku­geln wie in Sa­ra­je­wo.«

Haar und Bart des fünf­ten Man­nes, der, wie er selbst sag­te, »we­gen die­sem Mord am Herrn Erz­her­zog in Sa­ra­je­wo« saß, wa­ren noch vor Schreck ge­sträubt, so­dass sein Kopf an einen Stall­pin­scher ge­mahn­te.

Die­ser Mann hat­te in dem Re­stau­rant, wo er ver­haf­tet wor­den war, über­haupt kein Wort ge­spro­chen, ja nicht ein­mal die Zei­tungs­be­rich­te über die Er­mor­dung Fer­di­n­ands ge­le­sen. Er war ganz al­lein an ei­nem Tisch ge­ses­sen, als ir­gend­ein Herr zu ihm kam, sich ihm ge­gen­über­setz­te und rasch zu ihm sag­te:

»Ha­ben Sie da­von ge­le­sen?«

»Nein.«

»Wis­sen Sie da­von?«

»Nein.«

»Und wis­sen Sie, worum es sich han­delt?«

»Nein, ich küm­mer mich nicht drum.«

»Aber es soll­te Sie doch in­ter­es­sie­ren.«

»Ich weiß nicht, was mich in­ter­es­sie­ren sollt! Ich rauch mei­ne Zi­gar­re, trink mei­ne paar Glas Bier, ess mein Abend­brot und les kei­ne Zei­tung. Die Zei­tun­gen lü­gen. Wozu soll ich mich auf­re­gen?«

»Sie in­ter­es­siert also nicht ein­mal der Mord in Sa­ra­je­wo?«

»Mich in­ter­es­siert über­haupt kein Mord, obs nun in Prag, in Wien, in Sa­ra­je­wo oder in Lon­don is. Da­für sind die Be­hör­den, die Ge­rich­te und die Po­li­zei da. Wenn man je­man­den ir­gend­wo er­schlägt, recht ge­schieht ihm, warum is der Trot­tel so un­vor­sich­tig und lässt sich er­schla­gen.«

Das wa­ren sei­ne letz­ten Wor­te in die­ser Un­ter­re­dung. Seit die­ser Zeit wie­der­hol­te er nur laut in In­ter­val­len von fünf Mi­nu­ten: »Ich bin un­schul­dig.«

Die­se Wor­te rief er auch im Tor der Po­li­zei­di­rek­ti­on, die­se Wor­te wird er auch wäh­rend der Über­füh­rung zum Straf­ge­richt in Prag wie­der­ho­len, und mit die­sen Wor­ten wird er auch sei­ne Ker­ker­zel­le be­tre­ten.

Als Schwe­jk alle die­se schreck­li­chen Ver­schwö­rer­ge­schich­ten an­ge­hört hat­te, hielt er es für an­ge­zeigt, den Ar­re­stan­ten die voll­stän­di­ge Hoff­nungs­lo­sig­keit ih­rer Si­tua­ti­on zu er­klä­ren.

»Ja, mit uns al­len stehts sehr schlecht«, be­gann er sei­ne Tros­tes­wor­te. »Das is nicht wahr, was ihr sagt, dass euch, uns al­len, nix ge­schehn kann. Wo­für ham wir eine Po­li­zei, als da­für, dass sie uns für un­se­re lo­sen Mäu­ler straft. Wenn eine so ge­fähr­li­che Zeit kommt, dass man auf Erz­her­zo­ge schießt, so darf sich nie­mand wun­dern, dass man ihn auf die Po­li­zei­di­rek­ti­on bringt. Das ge­schieht al­les von we­gen der Auf­ma­chung, da­mit der Fer­di­nand Re­klam hat vor sei­nem Be­gräb­nis. Je mehr un­ser hier sein wern, de­sto bes­ser wirds für uns sein, denn umso lus­ti­ger wern wirs ha­ben. Wie ich beim Mi­li­tär ge­dient hab, war manch­mal un­se­re hal­be Kom­pa­nie ein­ge­sperrt. Und wie viel un­schul­di­ge Leu­te sind schon ver­ur­teilt worn. Und nicht nur beim Mi­li­tär, son­dern auch von den Ge­rich­ten. Ein­mal is, ich er­in­ner mich noch gut, eine Frau ver­ur­teilt worn, weil sie ihre neu­ge­bo­re­nen Zwil­lin­ge er­würgt hat. Ob­gleich sie steif und fest ge­schwo­ren hat, dass sie die Zwil­lin­ge nicht hat er­wür­gen kön­nen, weil sie nur ein Mä­derl zur Welt ge­bracht hat und es ihr ge­lun­gen war, es ganz schmerz­los zu er­wür­gen, is sie trotz­dem we­gen Dop­pel­mord ver­ur­teilt worn. Oder die­ser un­schul­di­ge Zi­geu­ner in Zaběhlitz, was am Christ­tag in der Nacht in einen Bäcker­la­den ein­ge­bro­chen is. Er hat ge­schwo­ren, dass er sich nur an­wär­men ge­gan­gen is, aber es hat ihm nichts genützt. Wie das Ge­richt mal was in die Hand nimmt, stehts schlimm. Aber das muss sein. Vi­el­leicht sind nicht alle Leu­te sol­che Lum­pen, wie man es von ih­nen vor­aus­set­zen kann: aber wie un­ter­schei­dest du heut­zu­tag einen an­stän­di­gen Men­schen von ei­nem Lum­pen, be­son­ders heut, in ei­ner so erns­ten Zeit, wo sie die­sen Fer­di­nand ab­ge­murkst ham. Da hat man bei uns, wie ich beim Mi­li­tär in Bud­weis ge­dient hab, im Wald hin­term Ex­er­zier­platz den Hund von un­se­rem Haupt­mann er­schos­sen. Wie er da­von er­fah­ren hat, hat er uns alle ru­fen las­sen, hat uns an­tre­ten las­sen und hat ge­sagt, dass je­der zehn­te Mann vor­tre­ten soll. Selbst­ver­ständ­lich war ich auch der zehn­te, und so sind wir Habt­acht ge­stan­den und ham nicht mal ge­zwin­kert. Der Haupt­mann geht um uns her­um und sagt: ›Ihr Lum­pen, Schur­ken, Ka­nail­len, ge­fleck­te Hyä­nen, ich möcht euch al­len we­gen dem Hund Ein­zel auf­pel­zen, euch zu Nu­deln zer­ha­cken, er­schie­ßen und blau­en Kar­pfen aus euch ma­chen. Da­mit ihrs aber wisst, dass ich euch nicht scho­nen wer, geb ich euch al­len zehn Tage Ka­ser­nar­rest.‹ Also seht ihr, da­mals hat sichs um ein Hun­terl ge­han­delt, und jetzt han­delt sichs so­gar um einen Erz­her­zog. Und des­halb muss Schre­cken sein, da­mit die Trau­er für was steht.«

»Ich bin un­schul­dig, ich bin un­schul­dig«, wie­der­hol­te der Mann mit dem ge­sträub­ten Haar.

»Je­sus Chris­tus war auch un­schul­dig«, sag­te Schwe­jk, »und sie ham ihn auch ge­kreu­zigt. Nir­gend­wo is je­mals je­man­dem et­was an ei­nem un­schul­di­gen Men­schen ge­le­gen ge­we­sen. Maul­hal­ten und wei­ter­die­nen! – wie mans uns beim Mi­li­tär ge­sagt hat. Das is das Bes­te und Schöns­te.«

Schwe­jk leg­te sich auf das Ka­val­lett und schlief fried­lich ein.

In­zwi­schen brach­te man zwei Neue. Ei­ner von ih­nen war ein Bos­nia­ke. Er schritt in der Zel­le auf und ab, knirsch­te mit den Zäh­nen, und je­des zwei­te Wort von ihm war:

»Je­ben­ti du­schu.«

Ihn quäl­te der Ge­dan­ke, dass ihm auf der Po­li­zei­di­rek­ti­on sein Gott­scheer­korb3 ver­lo­ren­ge­hen könn­te.

Der zwei­te neue Gast war der Wirt Pa­li­vec, der sei­nen Be­kann­ten Schwe­jk, als er ihn be­merk­te, weck­te und mit ei­ner Stim­me vol­ler Tra­gik rief:

»Ich bin auch schon hier!«

Schwe­jk schüt­tel­te ihm herz­lich die Hand und sag­te:

»Da bin ich wirk­lich froh. Ich hab ge­wusst, dass je­ner Herr Wort hal­ten wird, wie er Ih­nen ge­sagt hat, dass man Sie ab­ho­len wird. So eine Pünkt­lich­keit is eine schö­ne Sa­che.«

Herr Pa­li­vec be­merk­te je­doch, dass so eine Pünkt­lich­keit einen Dreck wert sei, und frag­te Schwe­jk lei­se, ob die an­de­ren ein­ge­sperr­ten Her­ren nicht Die­be sei­en, weil ihm das als Ge­wer­be­trei­ben­dem scha­den kön­ne. Schwe­jk er­klär­te ihm, dass alle, bis auf einen, der we­gen ver­such­ten Raub­mor­des an ei­nem Bau­er aus Ho­litz hier sei, we­gen des Erz­her­zogs in ihre Ge­sell­schaft ge­kom­men sei­en.

Herr Pa­li­vec war be­lei­digt und sag­te, dass er nicht we­gen ir­gend­ei­nes ver­trot­tel­ten Erz­her­zogs hier sei, son­dern we­gen Sei­ner Ma­je­stät des Kai­sers. Und weil dies die an­de­ren zu in­ter­es­sie­ren be­gann, er­zähl­te er ih­nen, wie die Flie­gen ihm Sei­ne Ma­je­stät den Kai­ser ver­un­rei­nigt hat­ten.

»Sie ham mir ihn ver­schweint, die Bies­ter«, schloss er die Schil­de­rung sei­nes Aben­teu­ers, »und zum Schluss ham sie mich ins Kri­mi­nal ge­bracht. Ich wer das die­sen Flie­gen nicht ver­zeihn«, füg­te er dro­hend hin­zu.

Schwe­jk leg­te sich aber­mals schla­fen, aber er schlief nicht lan­ge, denn man hol­te ihn ab, um ihn zum Ver­hör zu füh­ren.

Und so trug Schwe­jk, wäh­rend er über die Trep­pe in die 3. Ab­tei­lung zum Ver­hör schritt, sein Kreuz auf den Gip­fel Gol­ga­thas, ohne et­was von sei­nem Mar­ty­ri­um zu mer­ken.

Als er die Auf­schrift er­blick­te, dass das Spu­cken auf den Gän­gen ver­bo­ten sei, bat er den Po­li­zis­ten, ihm zu er­lau­ben, in den Spuck­napf zu spu­cken, und strah­lend in sei­ner Ein­falt be­trat er die Kanz­lei mit den Wor­ten:

»Winsch einen gu­ten Abend, mei­ne Her­ren, al­len mit­einand.«

Statt ei­ner Ant­wort puff­te ihn je­mand in die Rip­pen und stell­te ihn vor den Tisch, hin­ter dem ein Herr mit ei­nem küh­len Be­am­ten­ge­sicht von so tie­ri­scher Grau­sam­keit saß, als wäre er ge­ra­de aus Lom­bro­sos Buch »Ver­bre­cher­ty­pen« her­aus­ge­fal­len.

Er schau­te blut­dürs­tig auf Schwe­jk und sag­te:

»Be­neh­men Sie sich nicht so blöd!«

»Ich kann mir nicht hel­fen«, ant­wor­te­te Schwe­jk ernst, »man hat mich beim Mi­li­tär we­gen Blöd­heit su­per­ar­bi­triert. Ich bin amt­lich von der Su­per­ar­bi­trie­rungs­kom­mis­si­on für einen Idio­ten er­klärt worn. Ich bin ein be­hörd­li­cher Idi­ot.«

Der Herr mit dem Ver­bre­cher­ty­pus knirsch­te mit den Zäh­nen:

»Das, wes­sen Sie be­schul­digt sind und wes­sen Sie sich schul­dig ge­macht ha­ben, zeugt da­von, dass Sie alle fünf Sin­ne bei­sam­men ha­ben.«

Und er zähl­te Schwe­jk eine gan­ze Rei­he ver­schie­de­ner Ver­bre­chen auf, an­ge­fan­gen vom Hoch­ver­rat und en­dend mit Ma­je­stäts­be­lei­di­gung und Be­lei­di­gung der Mit­glie­der des kai­ser­li­chen Hau­ses. In­mit­ten die­ser Grup­pe glänz­te die Bil­li­gung der Er­mor­dung Erz­her­zog Fer­di­n­ands. Da­von ging ein Zweig mit neu­en Ver­bre­chen aus, un­ter de­nen das Ver­bre­chen der Auf­wie­ge­lung strahl­te, weil sich al­les in ei­nem öf­fent­li­chen Lo­kal ab­ge­spielt hat­te.

»Was sa­gen Sie dazu?« frag­te der Herr mit den Zü­gen tie­ri­scher Grau­sam­keit sie­ges­be­wusst.

»Es is viel«, er­wi­der­te Schwe­jk un­schul­dig, »all­zu viel is un­ge­sund.«

»Na also, dass Sie das we­nigs­tens ein­se­hen.«

»Ich seh al­les ein, Stren­ge muss sein, ohne Stren­ge möcht nie­mand nir­gends hin­kom­men. Das is so wie ein­mal, wie ich beim Mi­li­tär ge­dient hab …«

»Hal­ten Sies Maul!« schrie der Po­li­zei­rat Schwe­jk an, »und spre­chen Sie erst, bis ich Sie et­was fra­gen wer­de! Ver­stehn Sie?«

»Wie sollt ich nicht ver­stehn«, sag­te Schwe­jk, »mel­de ge­hor­samst, dass ich ver­steh und dass ich mich in al­lem, was Sie sa­gen, zu­recht­fin­den kann.«

»Mit wem ver­keh­ren Sie denn?«

»Mit mei­ner Be­die­ne­rin, Euer Gna­den.«

»Und in den hie­si­gen po­li­ti­schen Krei­sen ha­ben Sie kei­ne Be­kann­ten?«

»Das schon, Euer Gna­den, ich pfleg mir das Mit­tags­blatt der Nêrod­ní Po­li­ti­ka, die Tschu­bitsch­ka4 zu kau­fen.«

»Hin­aus!« brüll­te der Herr mit dem tie­ri­schen Aus­se­hen Schwe­jk an.

Als man Schwe­jk aus der Kanz­lei führ­te, sag­te er:

»Gute Nacht, Euer Gna­den.«

In sei­ne Zel­le zu­rück­ge­kehrt, ver­kün­de­te Schwe­jk al­len Ar­re­stan­ten, dass so ein Ver­hör eine Hetz sei. »Bissl schreit man euch dort an, und zum Schluss wirft man euch her­aus.«

»Frü­her«, fuhr Schwe­jk fort, »da wars är­ger. Ich hab mal ein Buch ge­le­sen, dass der An­ge­klag­te auf glü­hen­dem Ei­sen gehn und ge­schmol­ze­nes Blei trin­ken muss­te, da­mit man er­kennt, dass er un­schul­dig ist. Oder hat man ihm die Füße in spa­ni­sche Stie­fel ge­steckt und hat ihn auf eine Lei­ter ge­spannt, wenn er nicht ge­stehn wollt, oder man hat ihm die Hüf­ten mit ei­ner Feu­er­wehr­fa­ckel ge­brannt, wie mans dem hei­li­gen Jo­hann Ne­po­muk ge­macht hat. Der hat he­rich da­bei ge­schri­en, wie wenn man ihn ge­spießt hätt, und hat nicht auf­ge­hört, bis man ihn von der Eli­sa­beth­brücke in ei­nem was­ser­dich­ten Sack hin­un­ter­ge­wor­fen hat. Sol­che Fäl­le hats viel ge­ge­ben, und nach­her ham sie den Be­tref­fen­den noch ge­vier­teilt oder ir­gend­wo beim Mu­se­um an den Pfahl ge­schla­gen. Und wenn man ihn nur in den Hun­ger­turm ge­wor­fen hat, war so ein Mensch wie neu ge­bo­ren.«

»Heut­zu­tag is es eine Hetz, ein­ge­sperrt zu sein«, fuhr Schwe­jk wohl­ge­fäl­lig fort, »kein Vier­tei­len, kei­ne spa­ni­schen Stie­fel, Ka­val­letts hamr, einen Tisch hamr, Bän­ke hamr, wir drän­gen uns nicht ei­ner auf den an­de­ren, Sup­pe krie­gen wir, Brot ge­ben sie uns, einen Krug mit Was­ser brin­gen sie uns, den Ab­ort hamr di­rekt vorm Mund. In al­lem sieht man den Fort­schritt. Bis­serl weit is es zum Ver­hör, das is wahr, über drei Gän­ge und ein Stock­werk hö­her, aber da­für is es auf den Gän­gen sau­ber und leb­haft. Da führt man einen her, den an­de­ren hin, Jun­ge, Alte, Män­ner und Weibs­bil­der. Man is froh, wenn man we­nigs­tens nicht hier al­lein is. Je­der geht zu­frie­den sei­nes Wegs und muss sich nicht fürch­ten, dass man ihm in der Kanz­lei sagt: ›Al­so wir ham uns be­ra­ten, und mor­gen wern Sie ge­vier­teilt oder ver­brannt, je nach Wunsch.‹ Das war si­cher ein schwe­rer Ent­schluss, und ich denk, mei­ne Her­ren, dass man­cher von uns in ei­nem sol­chen Mo­ment ganz ge­tepscht wär. Ja, heut­zu­tag ham sich die Ver­hält­nis­se zu un­sern Guns­ten ge­bes­sert.«

Er be­en­de­te ge­ra­de die Ver­tei­di­gung des mo­der­nen Ge­fäng­nis­we­sens, als der Auf­se­her die Tür öff­ne­te und rief:

»Schwe­jk, ziehn Sie sich an, Sie gehn zum Ver­hör.«

»Ich zieh mich an«, ant­wor­te­te Schwe­jk, »ich hab nichts da­ge­gen, aber ich fürcht mich, dass es ein Irr­tum is, ich bin schon ein­mal beim Ver­hör her­aus­ge­wor­fen worn. Und dann fürcht ich mich, dass sich die üb­ri­gen Her­ren, die hier mit mir sind, nicht auf mich är­gern, weil ich zwei­mal hin­ter­ein­an­der geh und sie heut noch nicht ein­mal dort wa­ren. Sie könn­ten auf mich ei­fer­süch­tig wern.«

»Kom­men Sie her­aus und quat­schen Sie nicht«, lau­te­te die Ant­wort auf die ka­va­lier­mä­ßi­ge Kund­ge­bung Schwe­jks.

Schwe­jk be­fand sich aber­mals vor dem Herrn mit dem Ver­bre­cher­ty­pus, der ihn ohne jede Ein­lei­tung hart und un­ab­weis­bar frag­te:

»Ge­stehn Sie al­les?«

Schwe­jk hef­te­te sei­ne gu­ten, blau­en Au­gen auf den un­er­bitt­li­chen Men­schen und sag­te weich:

»Wenn Sie wün­schen, Euer Gna­den, dass ich ge­steh, so ge­steh ich, mir kanns nicht scha­den. Wenn Sie aber sa­gen: ›Schwe­jk, ge­stehn Sie nichts ein‹, wer ich mich her­aus­drehn, bis man mich in Stücke reißt.«

Der ge­stren­ge Herr schrieb et­was in die Ak­ten, und wäh­rend er Schwe­jk die Fe­der reich­te, for­der­te er ihn auf, zu un­ter­schrei­ben.

Und Schwe­jk un­ter­schrieb die An­ga­ben Bretschnei­ders so­wie fol­gen­den Zu­satz:

Alle oben an­ge­führ­ten Be­schul­di­gun­gen ge­gen mich be­ru­hen auf Wahr­heit.

Jo­sef Schwe­jk

Nach­dem er un­ter­schrie­ben hat­te, wand­te er sich an den ge­stren­gen Herrn:

»Soll ich noch was un­ter­schrei­ben? Oder soll ich erst früh kom­men?«

»Früh wird man Sie ins Straf­ge­richt über­füh­ren«, lau­te­te die Ant­wort.

»Um wie viel Uhr, Euer Gna­den? Da­mit ich um Him­mels wil­len nicht ver­schlaf.«

»Hin­aus!« wur­de Schwe­jk an die­sem Tage schon zum zwei­ten Mal hin­ter dem Ti­sche an­ge­schri­en, vor wel­chem er stand.

Als er in sein neu­es ver­git­ter­tes Heim zu­rück­kehr­te, sag­te Schwe­jk dem Po­li­zis­ten, der ihn be­glei­te­te:

»Al­les geht hier wie am Schnürl.«

So­bald die Türe hin­ter ihm ge­schlos­sen war, über­schüt­te­ten ihn sei­ne Ge­fäng­nis­kol­le­gen mit ver­schie­de­nen Fra­gen, auf die Schwe­jk klar ent­geg­ne­te:

»So­eben hab ich ge­stan­den, dass ich he­rich den Erz­her­zog Fer­di­nand er­schla­gen hab.«

Sechs Män­ner duck­ten sich ent­setzt un­ter den ver­laus­ten De­cken, nur der Bos­nia­ke sag­te:

»Do­bro dosch­li.«

Wäh­rend er sich auf das Ka­val­lett leg­te, sag­te Schwe­jk: »Das is dumm, dass wir hier kei­nen We­cker ham.«

Am Mor­gen weck­te man ihn aber auch ohne We­cker, und Punkt sechs Uhr führ­te man Schwe­jk im »grü­nen An­ton« zum Lan­des­s­traf­ge­richt.

»Mor­gen­stun­de hat Gold im Mun­de«, sag­te Schwe­jk zu sei­nen Mit­rei­sen­den, als der »grü­ne An­ton« aus dem Tor der Po­li­zei­di­rek­ti­on fuhr.

In der alt-ös­ter­rei­chi­schen Mi­li­tär­spra­che Be­zeich­nung für ein Feld­bett.  <<<

Be­kann­tes tsche­chi­sches Na­tio­nal­lied.  <<<

Hau­sie­rer­korb. Vie­le Ein­woh­ner der Gott­schee, ei­ner Sprachin­sel in Slo­we­ni­en, zo­gen, be­son­ders im Win­ter, als Wan­der­ver­käu­fer durch die Län­der der al­ten Mon­ar­chie.  <<<

Spott­na­me für das ver­brei­tets­te tsche­chi­sche Ta­ges­blatt.  <<<

3. Schwejk vor den Gerichtsärzten

Die sau­be­ren, ge­müt­li­chen Zim­mer­chen des Lan­des­s­traf­ge­rich­tes mach­ten auf Schwe­jk den güns­tigs­ten Ein­druck. Die weiß­ge­tünch­ten Wän­de, die schwarz­la­ckier­ten Git­ter und auch der di­cke Obe­r­auf­se­her für die Un­ter­su­chungs­häft­lin­ge, Herr De­mar­ti­ni, mit den vio­let­ten Auf­schlä­gen und der vio­let­ten Bor­te an der ära­ri­schen Kap­pe. Die vio­let­te Far­be ist nicht nur hier vor­ge­schrie­ben, son­dern auch bei re­li­gi­ösen Ze­re­mo­ni­en am Ascher­mitt­woch und Kar­frei­tag.

Die glor­rei­che Ge­schich­te der rö­mi­schen Herr­schaft über Je­ru­sa­lem wie­der­hol­te sich. Man führ­te die Häft­lin­ge hin­aus und stell­te sie un­ten im Erd­ge­schoss vor die Pila­tus­se des Jah­res 1914. Und die Un­ter­su­chungs­rich­ter, Pila­tus­se der Neu­zeit, lie­ßen sich, statt sich in al­len Ehren die Hän­de zu wa­schen, bei »Teis­sig« Gu­lasch und Pils­ner Bier ho­len und lie­fer­ten der Staats­an­walt­schaft neue und neue Kla­gen ab.

Hier schwand zu­meist alle Lo­gik, und der § sieg­te, der § dros­sel­te, der § ver­blö­de­te, der § pras­sel­te, der § lach­te, der § droh­te und ver­zieh nicht. Es wa­ren Jong­leu­re des Ge­set­zes, Op­fer­pries­ter der Buch­sta­ben des Ge­set­zes, An­ge­klag­ten­fres­ser, Ti­ger des ös­ter­rei­chi­schen Dschun­gels, die ih­ren Sprung auf den An­ge­klag­ten nach der Num­mer des Pa­ra­gra­fen be­rech­ne­ten.

Eine Aus­nah­me bil­de­ten ei­ni­ge Her­ren (eben­so wie bei der Po­li­zei­di­rek­ti­on), die das Ge­setz nicht so ernst nah­men, denn man fin­det über­all Wei­zen zwi­schen Spreu.

Zu ei­nem sol­chen Herrn führ­te man Schwe­jk zum Ver­hör. Ein al­ter Herr von gut­mü­ti­gem Aus­se­hen, der, als er einst den be­kann­ten Mör­der Va­lesch ver­hör­te, nie­mals zu sa­gen ver­gaß:

»Bit­te, neh­men Sie Platz, Herr Va­lesch, hier ist ge­ra­de ein lee­rer Stuhl.«

Als man Schwe­jk vor­führ­te, for­der­te er ihn mit der ihm an­ge­bo­re­nen Lie­bens­wür­dig­keit auf, sich zu set­zen, und sag­te:

»Also Sie sind der Herr Schwe­jk?«

»Ich denk«, ent­geg­ne­te Schwe­jk, »dass ichs sein muss, weil auch mein Va­ter ein Schwe­jk und mei­ne Mut­ter eine Schwe­jk war. Ich kann ih­nen nicht so eine Schan­de an­tun, mei­nen Na­men zu ver­leug­nen.«

Ein freund­li­ches Lä­cheln husch­te über das Ge­sicht des Un­ter­su­chungs­rich­ters.

»Sie ha­ben sich aber eine hüb­sche Ge­schich­te ein­ge­brockt. Sie ha­ben hübsch viel auf dem Ge­wis­sen.«

»Ich hab im­mer viel auf dem Ge­wis­sen«, sag­te Schwe­jk, in­dem er noch freund­li­cher lä­chel­te als der Herr Un­ter­su­chungs­rich­ter, »ich hab viel­leicht noch mehr auf dem Ge­wis­sen als Sie, Euer Gna­den.«

»Das geht aus dem Pro­to­koll her­vor, das Sie un­ter­schrie­ben ha­ben«, sag­te in nicht min­der freund­li­chem Ton der Un­ter­su­chungs­rich­ter, »hat man auf der Po­li­zei kei­nen Druck auf Sie aus­ge­übt?«

»Aber wo­her denn, Euer Gna­den. Ich selbst hab sie ge­fragt, ob ichs un­ter­schrei­ben soll, und wie sie ge­sagt ham, ich solls un­ter­schrei­ben, hab ich ih­nen ge­folgt. Ich wer mich doch nicht mit ih­nen we­gen mei­ner ei­ge­nen Un­ter­schrift rau­fen. Da­mit möcht ich mir ganz be­stimmt nicht nüt­zen. Ord­nung muss sein.«

»Füh­len Sie sich ganz ge­sund, Herr Schwe­jk?«

»Ganz ge­sund grad nicht, Euer Gna­den Herr Rat. Ich hab Rheu­ma, ich ku­ri­er mich mit Opo­del­dok.«

Der alte Herr lä­chel­te wie­der­um freund­lich: »Was wür­den Sie dazu sa­gen, wenn wir Sie von Ge­richt­särz­ten un­ter­su­chen las­sen wür­den?«

»Ich denk, dass es mit mir nicht so arg is, dass die Her­ren mit mir über­flüs­si­ge Zeit ver­lie­ren müss­ten. Mich hat schon ir­gend­ein Herr Dok­tor auf der Po­li­zei­di­rek­ti­on un­ter­sucht, ob ich kei­nen Trip­per hab.«

»Wis­sen Sie was, Herr Schwe­jk, wir wer­den es halt doch mit den Ge­richt­särz­ten ver­su­chen. Wir wer­den hübsch eine Kom­mis­si­on zu­sam­men­stel­len, wer­den Sie in Un­ter­su­chungs­haft be­las­sen, und in­zwi­schen ru­hen Sie sich hübsch aus. Vor­läu­fig noch eine Fra­ge: Sie sol­len nach dem Pro­to­koll er­klärt und ver­brei­tet ha­ben, dass bald ein Krieg aus­bre­chen wird?«

»Das bit­te ja, Euer Gna­den, er wird in der al­ler­nächs­ten Zeit aus­bre­chen.«

»Und wer­den Sie nicht von Zeit zu Zeit von An­fäl­len ge­packt?«

»Nein, bit­te sehr, nur ein­mal hätt mich fast ein Au­to­mo­bil aufm Karls­platz ge­packt, aber das is schon paar Jah­re her.«

Da­mit war das Ver­hör be­en­det. Schwe­jk reich­te dem Un­ter­su­chungs­rich­ter die Hand. Als er in sei­ne Zel­le zu­rück­kehr­te, sag­te er sei­nem Nach­bar:

»So wern mich also we­gen dem Mord am Herrn Erz­her­zog Fer­di­nand die Ge­richt­särz­te un­ter­su­chen.«

»Ich bin auch schon von den Ge­richt­särz­ten un­ter­sucht wor­den«, sag­te ein jun­ger Mann, »das war da­mals, als ich we­gen der Tep­pi­che vor die Ge­schwo­re­nen ge­kom­men bin. Man hat mich für schwach­sin­nig er­klärt. Jetzt hab ich eine Dampf­dresch­ma­schi­ne ver­un­treut, und man kann mir nichts ma­chen. Mein Ad­vo­kat hat mir ges­tern ge­sagt, wenn ich schon ein­mal für schwach­sin­nig er­klärt wor­den bin, so muss ich da­von schon fürs gan­ze Le­ben einen Vor­teil ha­ben.«

»Ich glaub die­sen Ge­richt­särz­ten nichts«, be­merk­te ein Mann von in­tel­li­gen­tem Aus­se­hen. »Wie ich ein­mal Wech­sel ge­fälscht hab, hab ich für alle Fäl­le die Vor­le­sun­gen vom Dok­tor He­ver­och1 be­sucht, und wie sie mich er­wi­scht ha­ben, hab ich einen Pa­ra­ly­ti­ker si­mu­liert, ge­nau­so wie ihn Dok­tor He­ver­och ge­schil­dert hat. Ich hab einen Ge­richts­arzt von der Kom­mis­si­on ins Bein ge­bis­sen, hab die Tin­te aus dem Tin­ten­fass aus­ge­trun­ken und hab mich, mit Ver­ge­ben, mei­ne Her­ren, vor der gan­zen Kom­mis­si­on in ei­nem Win­kel aus­ge­macht. Aber da­für, dass ich ei­nem die Wade durch­ge­bis­sen hab, ha­ben sie mich für voll­kom­men ge­sund er­klärt, und ich war ver­lo­ren.«

»Ich fürcht mich nicht ein bissl vor die­sen Herrn«, ver­kün­de­te Schwe­jk, »wie ich beim Mi­li­tär ge­dient hab, hat mich ein Tier­arzt un­ter­sucht, und es is ganz gut aus­ge­falln.«

»Die Ge­richt­särz­te sind Schuf­te«, ließ sich ein klei­ner ver­hut­zel­ter Mensch ver­neh­men, »neu­lich hat man durch einen Zu­fall auf mei­ner Wie­se ein Ske­lett ge­fun­den, und die Ge­richt­särz­te ham ge­sagt, dass die­ses Ske­lett vor vier­zig Jah­ren durch den Hieb ei­nes stump­fen Ge­gen­stan­des in den Kopf er­schla­gen wor­den ist. Ich bin achtund­drei­ßig Jah­re alt, und man hat mich ein­ge­sperrt, ob­wohl ich einen Tauf­schein, einen Aus­zug aus der Ma­trik und einen Hei­mat­schein hab.«

»Ich denk«, sag­te Schwe­jk, »wir soll­ten al­les von ei­ner bes­sern Sei­te be­trach­ten. Je­der kann sich ir­ren, und er muss sich ir­ren, je mehr er über et­was nach­denkt. Die Ge­richt­särz­te sind Men­schen, und Men­schen ham ihre Feh­ler. So wie ein­mal in Nus­le, grad bei der Brücke über den Bo­titsch­bach, da is ein­mal in der Nacht ein Herr zu mir ge­kom­men, wie ich vom ›Ban­zet‹ nach Haus ge­gan­gen bin, und hat mir mit ei­nem Och­sen­zie­mer eins übern Kopf ge­ge­ben, und wie ich am Bo­den ge­le­gen bin, hat er auf mich ge­leuch­tet und sagt: ›Das is ein Irr­tum, das is er nicht.‹ Und is dar­über so in Wut ge­ra­ten, dass er sich ge­irrt hat, dass er mir noch eins übern Rücken ge­haut hat. Das liegt schon so in der mensch­li­chen Na­tur, dass sich der Mensch bis zu sei­nem Tod irrt. Wie der Herr, was in der Nacht einen halb er­fro­re­nen tol­len Hund ge­fun­den hat. Er nimmt ihn mit nach Haus und steckt ihn der Frau ins Bett. Wie sich der Hund er­wärmt hat und zu sich ge­kom­men is, hat er die gan­ze Fa­mi­lie ge­bis­sen, und den Jüngs­ten in der Wie­ge hat er zer­ris­sen und auf­ge­fres­sen. Oder wer ich euch ein Bei­spiel er­zähln, wie sich bei uns im Haus ein Drechs­ler ge­irrt hat. Er hat sich mit dem Schlüs­sel die Po­do­ler Kir­che auf­ge­macht, weil er ge­glaubt hat, dass das sei­ne Kü­che is, und hat sich auf den Al­tar ge­legt, weil er ge­glaubt hat, dass er zu Haus im Bett liegt, und hat paar von die­sen Deckerln mit hei­li­gen In­schrif­ten auf sich ge­legt und un­tern Kopf das Evan­ge­li­um und noch an­de­re ge­weih­te Bü­cher, da­mit ers hoch un­term Kopf hat. Früh hat ihn der Küs­ter ge­fun­den, und er sagt ihm ganz gut­mü­tig, wie er zu sich ge­kom­men is, dass es ein Irr­tum is. ›Hüb­scher Irr­tum‹, sagt der Küs­ter, ›wenn wir we­gen so ei­nem Irr­tum die Kir­che von Neu­em ein­wei­hen las­sen müs­sen.‹ Dann is die­ser Drechs­ler vor Ge­richt­särz­te ge­kom­men, und die ham ihm be­wie­sen, dass er ganz zu­rech­nungs­fä­hig und nüch­tern war. Wenn er be­sof­fen ge­we­sen wär, so hätt er he­rich mit dem Schlüs­sel nicht ins Schloss von der Kir­chen­tür ge­trof­fen. Dann is die­ser Drechs­ler in Pan­krêc ge­stor­ben. Oder noch ein Bei­spiel, wie sich in Klad­no ein Po­li­zei­hund ge­irrt hat, der Wolfs­hund von dem be­kann­ten Wacht­meis­ter Rot­ter. Wacht­meis­ter Rot­ter hat sol­che Hun­de ge­züch­tet und hat Ver­su­che mit Land­strei­chern ge­macht, bis alle Land­strei­cher an­ge­fan­gen ham, dem Klad­no­er Kreis aus­zu­wei­chen. Da hat er den Be­fehl ge­ge­ben, dass die Gen­darmen, kosts was kost, einen ver­däch­ti­gen Men­schen brin­gen solln. Da ham sie ihm ein­mal einen ziem­lich an­stän­dig an­ge­zo­ge­nen Mann ge­bracht, den sie in den La­ner Wäl­dern auf ei­nem Holz­stamm sit­zen ge­sehn ham. Gleich ham sie ihm ein Stückerl vom Rock­schoß ab­schnei­den las­sen, den hat man den Gen­dar­me­rie­po­li­zei­hun­den zu rie­chen ge­ge­ben, und dann ham sie die­sen Mann in eine Zie­ge­lei hin­ter der Stadt ge­führt und die­se dres­sier­ten Hun­de auf sei­ne Spur los­ge­las­sen. Die ham ihn ge­fun­den und wie­der zu­rück­ge­bracht. Dann hat der Mann über eine Lei­ter auf den Bo­den krie­chen, über die Mau­er klet­tern und in den Teich sprin­gen müs­sen und die Hun­de hin­ter ihm. Zum Schluss hat sichs her­aus­ge­stellt, dass der Mann ein tsche­chi­scher ra­di­ka­ler Ab­ge­ord­ne­ter war, der einen Aus­flug in die La­ner Wäl­der ge­macht hat, wie er vom Par­la­ment ge­nug ge­habt hat. Des­halb sag ich euch, dass alle Men­schen Irr­tü­mern un­ter­lie­gen, dass sie sich ir­ren, obs nun ein Ge­lehr­ter oder ein blö­der un­ge­bil­de­ter Trot­tel is. So­gar Mi­nis­ter ir­ren sich.«

Die Kom­mis­si­on der Ge­richt­särz­te, die dar­über ent­schei­den soll­te, ob der geis­ti­ge Ho­ri­zont Schwe­jks all den Ver­bre­chen, de­ren er an­ge­klagt war, ent­spre­che oder nicht, be­stand aus drei un­ge­wöhn­lich erns­ten Herrn, de­ren An­sich­ten be­deu­tend aus­ein­an­der­gin­gen.

Sie ver­tra­ten drei ver­schie­de­ne wis­sen­schaft­li­che Schu­len und psych­ia­tri­sche An­schau­un­gen.

Wenn es im Fal­le Schwe­jk zwi­schen die­sen ent­ge­gen­ge­setz­ten wis­sen­schaft­li­chen La­gern zu ei­ner völ­li­gen Über­ein­stim­mung kam, lässt sich dies nur durch den nie­der­schmet­tern­den Ein­druck er­klä­ren, den Schwe­jk auf die gan­ze Kom­mis­si­on mach­te. Beim Be­tre­ten des Zim­mers, in dem sein Geis­tes­zu­stand ge­prüft wer­den soll­te, rief er näm­lich aus, als er auf der Wand das dort hän­gen­de Bild des ös­ter­rei­chi­schen Mon­ar­chen be­merk­te:

»Mei­ne Her­ren, es lebe Kai­ser Franz Jo­sef I.«

Die Sa­che war voll­kom­men klar. Durch die spon­ta­ne Kund­ge­bung Schwe­jks ent­fiel eine gan­ze Rei­he von Fra­gen, und es be­durf­te nur noch ei­ni­ger der wich­tigs­ten, um aus den Ant­wor­ten auf Grund des Sys­tems des Psych­ia­ters Kal­ler­son, des Dok­tors He­ver­och und des Eng­län­ders Wei­kin die wah­re Geis­tes­ver­fas­sung Schwe­jks fest­zu­stel­len.

»Ist Ra­di­um schwe­rer als Blei?«

»Ich habs, bit­te, nicht ge­wo­gen«, ant­wor­te­te Schwe­jk mit sei­nem freund­li­chen Lä­cheln.

»Glau­ben Sie an das Ende der Welt?«

»Zu­erst müsst ich das Ende der Welt sehn«, warf Schwe­jk gleich­mü­tig hin, »ganz be­stimmt wern wirs aber mor­gen noch nicht er­le­ben.«

»Könn­ten Sie den Durch­mes­ser der Erd­ku­gel aus­mes­sen?«

»Das möcht ich, bit­te, nicht tref­fen«, ant­wor­te­te Schwe­jk, »aber ich selbst möcht ih­nen, mei­ne Her­ren, auch ein Rät­sel auf­ge­ben: Es is ein drei­stö­cki­ges Haus, in die­sem Haus sind in je­dem Stock acht Fens­ter. Auf dem Dach sind zwei Gie­bel und zwei Ka­mi­ne. In je­dem Stock sind zwei Mie­ter. Und jetzt sa­gen Sie mir, mei­ne Herrn, in wel­chem Jahr is dem Haus­meis­ter sei­ne Groß­mut­ter ge­stor­ben?«

Die Ge­richt­särz­te blick­ten ein­an­der be­deu­tungs­voll an, nichts­de­sto­we­ni­ger stell­te ei­ner von ih­nen noch die Fra­ge:

»Ken­nen Sie nicht die größ­te Tie­fe im Stil­len Ozean?«

»Bit­te nein«, lau­te­te die Ant­wort, »aber ich denk, dass sie ent­schie­den grö­ßer sein wird als die von der Moldau un­term Wy­schehr­a­der Fel­sen.«

Der Vor­sit­zen­de der Kom­mis­si­on frag­te kurz: »Ge­nügt?« aber ei­nes der Mit­glie­der er­bat sich doch noch fol­gen­de Fra­ge:

»Wie viel ist 12897 mal 13863?«

»729«, ant­wor­te­te Schwe­jk, ohne mit der Wim­per zu zu­cken.

»Ich glau­be, das ge­nügt voll­kom­men«, sag­te der Vor­sit­zen­de der Kom­mis­si­on. »Sie kön­nen den An­ge­klag­ten wie­der ab­füh­ren.«

»Ich dan­ke Ih­nen, mei­ne Her­ren«, sag­te Schwe­jk ehr­er­bie­tig, »mir ge­nügts auch voll­kom­men.«

Nach­dem er ge­gan­gen war, kam das Kol­le­gi­um der drei über­ein, dass Schwe­jk ein no­to­ri­scher Blö­di­an und Idi­ot nach al­len von den psych­ia­tri­schen Wis­sen­schaf­ten er­fun­de­nen Na­tur­ge­set­zen sei.

In dem an den Un­ter­su­chungs­rich­ter ab­ge­sand­ten Be­richt stand un­ter an­de­rem: »Die en­des­ge­fer­tig­ten Ge­richt­särz­te stüt­zen sich in ih­rem Ur­teil be­züg­lich völ­li­ger geis­ti­ger Stumpf­heit und an­ge­bo­re­nem Kre­ti­nis­mus des der oben an­ge­führ­ten Kom­mis­si­on zu­ge­wie­se­nen Jo­sef Schwe­jk auf den Auss­pruch: Es lebe Kai­ser Franz Jo­sef I., der voll­kom­men ge­nügt, um den Geis­tes­zu­stand Jo­sef Schwe­jks als den ei­nes no­to­ri­schen Idio­ten er­ken­nen zu las­sen. Die en­des­ge­fer­tig­te Kom­mis­si­on be­an­tragt da­her: 1. Ein­stel­lung der Un­ter­su­chung ge­gen Jo­sef Schwe­jk; 2. Über­füh­rung Jo­sef Schwe­jks zur Beo­b­ach­tung in die psych­ia­tri­sche Kli­nik zwecks Fest­stel­lung, wie weit sein Geis­tes­zu­stand für sei­ne Um­ge­bung ge­fähr­lich ist.«

Wäh­rend die­ser Be­richt ab­ge­fasst wur­de, er­klär­te Schwe­jk sei­nen Haft­ge­nos­sen: »Auf den Fer­di­nand ham sie ge­pfif­fen und ham sich mit mir von noch grö­ße­ren Un­sin­nen un­ter­hal­ten. Zum Schluss hamr uns ge­sagt, dass uns das voll­kom­men ge­nügt, was wir uns er­zählt ham, und sind aus­ein­an­der­ge­gan­gen.«

»Ich glaub nie­man­dem«, be­merk­te der ver­hut­zel­te, klei­ne Mensch, auf des­sen Wie­se man zu­fäl­lig ein Ske­lett aus­ge­gra­ben hat­te, »es is al­les eine Ban­de.«

»Auch die­se Ban­de muss sein«, sag­te Schwe­jk und leg­te sich auf den Stroh­sack, »wenns alle Men­schen mit den an­de­ren Men­schen gut mei­nen möch­ten, tät bald ei­ner den an­de­ren er­schla­gen.«

Be­kann­ter Psych­ia­ter.  <<<

4. Schwejks Hinauswurf aus dem Irrenhaus

Wenn Schwe­jk spä­ter sein Le­ben im Ir­ren­haus schil­der­te, ge­sch­ah dies un­ter un­ge­wöhn­li­chen Lob­prei­sun­gen: »Ich weiß wirk­lich nicht, warum die Nar­ren sich är­gern, wenn man sie dort ein­sperrt. Man kann dort nackt auf der Erde krie­chen, heu­len wie ein Scha­kal, to­ben und bei­ßen. Wenn man das ir­gend­wo auf der Pro­me­na­de ma­chen möcht, möch­ten die Leu­te sich wun­dern, aber dort is es selbst­ver­ständ­lich! Dort gibts so eine Frei­heit, wie sich sie nicht mal die So­zia­lis­ten träu­men las­sen. Man kann sich dort so­gar für den Herr­gott oder für die Jung­frau Ma­ria aus­ge­ben, oder für den Papst, oder für den Kö­nig von Eng­land, oder für Sei­ne Ma­je­stät den Kai­ser, oder für den hei­li­gen Wen­zel, ob­zwar der letz­te­re dort ge­fes­selt und nackt war und in der Iso­lier­zel­le ge­le­gen is. Ei­ner war auch dort, der hat ge­schri­en, er is ein Erz­bi­schof, aber der hat nichts an­de­res ge­macht als nur ge­fres­sen, und noch was hat er ge­macht, mit Ver­ge­ben, Sie wis­sen schon, was sich so bissl dar­auf reimt, aber dort schämt sich kei­ner da­für. Ei­ner hat sich dort so­gar für den hei­li­gen Cy­rill und Method aus­ge­ge­ben, da­mit er zwei Por­tio­nen kriegt. Und ein Herr war dort schwan­ger und hat je­den zur Tau­fe ein­ge­la­den. Dann hats dort viel ein­ge­sperr­te Schau­spie­ler, Po­li­ti­ker, Fi­scher und Skau­ts,1 Mar­ken­samm­ler und Fo­to­gra­fen und Ma­ler ge­ge­ben. Ei­ner war dort we­gen al­ten Töp­fen, die er Aschenur­nen ge­nannt hat. Ei­ner war dort in der Zwangs­ja­cke, da­mit er nicht aus­rech­nen kann, wann die Welt un­ter­gehn wird. Auch mit paar Pro­fes­so­ren bin ich dort zu­sam­men­ge­kom­men. Ei­ner von ih­nen is mir fort nach­ge­gan­gen und hat mir er­klärt, dass die Wie­ge der Zi­geu­ner im Rie­sen­ge­bir­ge ge­stan­den is, und der an­de­re hat mir aus­ein­an­der­ge­setzt, dass im In­nern der Erd­ku­gel noch ein viel grö­ße­rer Erd­ball is als oben­auf.

Je­der hat dort spre­chen kön­nen, was er ge­wollt hat und was ihm grad auf die Zun­ge ge­kom­men is, wie wenn er im Par­la­ment wär. Manch­mal ha­ben sie sich dort Mär­chen er­zählt und sich bissl ge­rauft, wenns mit ei­ner Prin­zes­sin sehr schlecht aus­ge­falln is. Am wil­des­ten war ein Herr, der sich für den 16. Band von Ot­tos Le­xi­kon aus­ge­ge­ben hat; der hat je­den ge­be­ten, er soll ihn auf­ma­chen und das Schlag­wort ›Kar­to­na­gen­nä­he­rin‹ fin­den, sonst is er he­rich ver­lo­ren. Er hat sich erst be­ru­higt, wenn sie ihm die Zwangs­ja­cke ge­ge­ben ham. Dann war er ru­hig, weil er ge­glaubt hat, dass er in die Buch­bin­der­pres­se ge­kom­men is, und hat ge­be­ten, dass sie ihn mo­dern be­schnei­den solln. Über­haupt hat man dort ge­lebt wie im Pa­ra­dies. Man kann dort schrei­en, brül­len, sin­gen, wei­nen, me­ckern, stöh­nen, sprin­gen, be­ten, Pur­zel­bäu­me schla­gen, auf al­len vie­ren gehn, auf ei­nem Fuß hüp­fen, im Kreis lau­fen, tan­zen, den gan­zen Tag auf der Erde kau­ern und auf den Wän­den krie­chen. Nie­mand kommt zu euch und sagt: ›Das dür­fen Sie nicht ma­chen, Herr, das passt sich nicht, Sie könn­ten sich schä­men, Sie wolln ein ge­bil­de­ter Mensch sein?‹ Wahr is aber, dass auch ganz stil­le Nar­ren dort sind. So war dort ein ge­bil­de­ter Er­fin­der, der hat sich dort in der Nase ge­bohrt und hat nur ein­mal im Tag ge­sagt: ›So­eben hab ich die Elek­tri­zi­tät er­fun­den.‹ Wie ich sag, sehr hübsch wars dort, und die paar Tage, die ich im Ir­ren­haus ver­bracht hab, ge­hö­ren zu den schöns­ten mei­nes Le­bens.«

Und wirk­lich, schon der Empfang selbst, der Schwe­jk im Ir­ren­haus zu­teil ge­wor­den war, als man ihn vom Straf­ge­richt zur Beo­b­ach­tung ein­lie­fer­te, über­traf sei­ne Er­war­tun­gen. Zu­erst zog man ihn nackt aus, dann gab man ihm ir­gend­ei­nen Schlaf­rock und führ­te ihn ins Bad, wäh­rend ihn zwei Wär­ter ver­trau­lich un­ter den Ar­men fass­ten, wo­bei ihn ei­ner mit der Wie­der­ga­be ei­ner jü­di­schen An­ek­do­te un­ter­hielt. Im Ba­de­zim­mer steck­te man ihn in eine Wan­ne mit war­mem Was­ser, zog ihn dann her­aus und stell­te ihn un­ter eine kal­te Du­sche. Das wie­der­hol­te man drei­mal, und dann frag­te man ihn, wie ihm das ge­fal­le. Schwe­jk sag­te, dass er sehr gern bade. »Wenn Sie mir noch die Nä­gel und die Haa­re schnei­den wern, so wird mir nichts zu mei­nem voll­kom­me­nen Glück fehln«, füg­te er lä­chelnd und lie­bens­wür­dig hin­zu.

Auch die­ser Wunsch wur­de er­füllt, und nach­dem sie ihn noch gründ­lich mit ei­nem Schwamm ab­ge­rie­ben hat­ten, wi­ckel­ten ihn die Wär­ter in ein Lein­tuch und tru­gen ihn in die ers­te Ab­tei­lung ins Bett, wo sie ihn nie­der­leg­ten, mit ei­ner De­cke zu­deck­ten und ihn ein­zu­schla­fen ba­ten.

Schwe­jk er­zählt noch heu­te mit Lie­be da­von: »Stelln Sie sich vor, dass sie mich ge­tra­gen ham, wirk­lich weg­ge­tra­gen ham, ich war in die­sem Au­gen­blick voll­kom­men glück­lich.«

Und er schlief auch glück­lich im Bett ein. Dann weck­te man ihn, um ihm einen Topf Milch und eine Sem­mel vor­zu­set­zen. Die Sem­mel war be­reits in klei­ne Stück­chen zer­schnit­ten, und wäh­rend ei­ner von den Wär­tern Schwe­jk an bei­den Hän­den hielt, tunk­te der an­de­re die Sem­mel­stück­chen in die Milch und füt­ter­te ihn, wie man eine Gans mit Klö­ßen füt­tert. Als sie ihn ge­füt­tert hat­ten, fass­ten sie ihn un­ter den Ar­men und führ­ten ihn auf den Ab­ort, wo sie ihn ba­ten, sei­ne klei­ne und große Not­durft zu ver­rich­ten.

Auch von die­sem schö­nen Au­gen­blick er­zählt Schwe­jk mit Lie­be, und ich muss si­cher­lich nicht mit sei­nen Wor­ten wie­der­ge­ben, was sie dann mit ihm ta­ten. Ich er­wäh­ne nur, dass Schwe­jk er­zählt:

»Ei­ner von ih­nen hat mich da­bei in den Ar­men ge­hal­ten.«

Nach­dem sie ihn zu­rück­ge­bracht hat­ten, leg­ten sie ihn wie­der­um ins Bett und ba­ten ihn aber­mals, ein­zu­schla­fen. Als er ein­ge­schla­fen war, weck­ten sie ihn und führ­ten ihn ins Or­di­na­ti­ons­zim­mer, wo Schwe­jk, völ­lig nackt vor zwei Ärz­ten ste­hend, der glor­rei­chen Zeit sei­ner As­sen­tie­rung2 ge­dach­te. Un­will­kür­lich ent­schlüpf­te es sei­nen Lip­pen:

»Taug­lich.«

»Was sa­gen Sie?« frag­te ei­ner der Ärz­te. »Ma­chen Sie fünf Schrit­te nach vorn und fünf Schrit­te zu­rück.«

Schwe­jk mach­te zehn.