Die Amato-Schwestern: Die Naht der Liebe - Jo Kommer - E-Book

Die Amato-Schwestern: Die Naht der Liebe E-Book

Jo Kommer

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Beschreibung

Mailand, 2005: Sara Amatos Traum von einer erfolgreichen Modedesignkarriere in Mailand scheint in greifbare Nähe gerückt. Sie arbeitet hart, um sich mit ihrem kleinen Atelier endlich einen Namen zu machen. Schließlich bekommt sie die Chance, bei der Mailänder Modewoche ihre eigene Kollektion zu präsentieren. Unter Hochdruck bemüht sie sich, die Kollektion für die Fashionweek fertigzustellen. Doch dann erleidet Sara einen tragischen Unfall, und all ihre Pläne und Wünsche scheinen geplatzt.
Während Sara weiterhin an ihren Träumen festhält, lernt sie in der Reha Leonardo kennen und verliebt sich in den großen, attraktiven Italiener ...

»Die Amato-Schwestern - Die Naht der Liebe« nimmt uns mit auf eine Reise in die schillernde Modewelt Mailands voller Drama und dem unerschütterlichen Willen, Träume zu leben - trotz aller Widrigkeiten.

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Seitenzahl: 335

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelWidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51DanksagungÜber die AutorinWeitere Titel der AutorinImpressum

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Über dieses Buch

Mailand, 2005: Sara Amatos Traum von einer erfolgreichen Modedesignkarriere in Mailand scheint in greifbare Nähe gerückt. Sie arbeitet hart, um sich mit ihrem kleinen Atelier endlich einen Namen zu machen. Schließlich bekommt sie die Chance, bei der Mailänder Modewoche ihre eigene Kollektion zu präsentieren. Unter Hochdruck bemüht sie sich, die Kollektion für die Fashionweek fertigzustellen. Doch dann erleidet Sara einen tragischen Unfall, und all ihre Pläne und Wünsche scheinen geplatzt.

Während Sara weiterhin an ihren Träumen festhält, lernt sie in der Reha Leonardo kennen und verliebt sich in den großen, attraktiven Italiener …

Für Dich

Kapitel 1

Mailand, Stoffgeschäft, Mai 2005

Sara ließ ihre Finger über den Stoff gleiten. Dann schloss sie die Augen und tat es noch einmal. Sie wollte das Material nicht nur sehen, sondern auch spüren. Farben und Muster waren das eine, die Textur und das Gefühl auf der Haut das andere. Stoffe bedeuteten ihr viel. Sie war praktisch damit aufgewachsen.

Seit sie denken konnte, waren ihre Eltern, Teresa Amato und Raúl Fernández, in der Textilindustrie tätig gewesen. Erst hatten sie in Santiago de Chile bei einem großen Stoffimporteur gearbeitet, später in der eigenen kleinen Strumpfmanufaktur. Diese war mittlerweile zu einem beachtlichen Unternehmen herangewachsen und damit fast so groß wie einst die Strumpffabrik, die Saras Großvater Giuseppe Amato gegründet und erfolgreich bis kurz vor seinem Tod geführt hatte.

Sie öffnete die Augen und ließ ihren Blick auf dem glänzenden Satin ruhen. Es ist perfekt, dachte sie. In ihrem Kopf hatte sie eine konkrete Vorstellung davon, wie das Kleid einmal aussehen und wie es sich beim Tragen anfühlen und verhalten sollte. Vor ihrem inneren Auge sah Sara eine Frau in ihrer Kreation und wie der Stoff geschmeidig um ihre zarten Rundungen floss, wie er mit jedem Schritt, den sie tat, ihren Körper liebkoste.

Sara befand sich in einem Lernprozess, der womöglich nie enden würde. Sie hatte ihr Modedesignstudium noch nicht abgeschlossen. Doch das, was sie hier lernte, war der Grundstein für alles, was noch kommen würde. Sara hatte Träume und Pläne. Sie wollte etwas gestalten, die Ideen aus ihrem Kopf in echte Kreationen verwandeln, die sie anfassen und tragen konnte. Aber das war ihr nicht genug. Sie hatte Größeres vor. Ihr Großvater und ihre Mutter hatten es ihr vorgemacht, sie hatten ihre eigene Firma gegründet, und das wollte sie auch.

Seit Generationen waren die Amatos Unternehmer. Ihre Urgroßeltern hatten eine Nadelfabrik hier in Mailand gehabt. In der zweiten Generation gründete ihr Großvater Giuseppe Amato die Strumpffabrik in Santiago de Chile. Nach dem Untergang der Fabrik hatte ihre Mutter Teresa nach Giuseppes Tod den Betrieb wiederbelebt. Sara fühlte tief in ihrem Inneren, dass sie dazu bestimmt war, diese Tradition fortzuführen. Sie war auch eine Amato, Sara Fernández Amato, und ihr Herz schlug für das Modedesign.

»Den nehme ich«, sagte sie und ließ den Stoff noch einmal durch ihre Finger gleiten. Sie war sich sicher, dass sie mit diesem Projekt einen großen Schritt in die richtige Richtung gehen und ihre Professoren begeistern würde. Zufrieden lächelte sie in sich hinein. Manchmal konnte sie ihr Glück kaum fassen. Es war ein langer Weg gewesen bis hierher.

Vor sieben Jahren, als ihr Bruder Felipe überraschend verkündet hatte, dass er die Heimat Chile verlassen würde, um ein neues Leben in Europa zu beginnen, war etwas mit ihr geschehen. Damals war sie erst dreizehn gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, was sie später einmal machen wollte. Sie war noch ein Kind. Ihr Leben hatte im Hier und Jetzt stattgefunden. Doch als Felipe fortgegangen war, hatte sie angefangen, über sich und ihre Zukunft zu grübeln. Am liebsten wäre sie ihm sofort gefolgt, denn er war eine der wichtigsten Personen in ihrem Leben. Aber sie war zu jung.

Felipe war immer ihr Vorbild gewesen, obwohl sie wusste, dass er irgendwann von der richtigen Bahn abgekommen war. Er hatte kein Ziel, das er verfolgen konnte, und schlingerte mehr schlecht als recht durchs Leben. Aber Sara kannte ihren großen Bruder besser als die Außenstehenden, die sich den Mund über ihn zerrissen. Sie wusste, dass er der einfühlsamste Mensch war, den sie kannte, und er war ein begnadeter Künstler.

Vor sieben Jahren war sie davon überzeugt gewesen, dass er in Europa seine Kreativität entfalten und es zu etwas bringen könnte. Nach zahlreichen schlaflosen Nächten und vergossenen Tränen war sie zu dem Schluss gekommen, dass dieser Schritt auch für sie der Richtige sein musste. Chile war ihre Heimat, aber in Europa lag ihre Zukunft. Wie Felipe wollte sie auswandern, nach Italien, und dort Modedesign studieren. Es war ein Gedanke, der ihr mit zarten dreizehn Jahren gekommen war. Keiner hatte geglaubt, dass sie daran festhalten würde, am wenigsten ihre Mutter. Doch Sara war nicht von ihrem Vorhaben abgewichen, und nun war sie hier in Mailand und verwirklichte ihren Traum.

Ihre Mutter hatte sie angefleht zu bleiben. »Du kannst auch in Chile Modedesign studieren. Du musst dafür nicht um die halbe Welt reisen.«

»Aber ich spüre es in mir, Mamá«, hatte Sara erwidert. »Das ist meine Bestimmung.«

Ihre Mutter hatte sie daraufhin nur stumm angesehen. So, als seien ihr jegliche Argumente abhandengekommen. Sie musste gewusst haben, dass es unmöglich war, Sara von ihrem Plan abzubringen. Einige Tage hatte sie kaum mit ihr gesprochen, dann hatte sie sie an den Tisch gebeten und mit ihr die Bedingungen ausgehandelt.

»Wenn es dein Wunsch ist, in Italien zu studieren, dann werde ich dich unterstützen.« Sie holte tief Luft, so als könne sie selber nicht glauben, was sie da sagte. »Dafür musst du mir aber versprechen, dass du auf dich aufpassen wirst.«

»Ja, Mamá«, hatte Sara geantwortet.

»Die Welt ist gefährlich, verstehst du, und Europa ist weit weg.«

»Ich bin erwachsen, Mamá.«

»Du bist erst achtzehn.«

»Ich bin volljährig«, sagte Sara und zuckte mit den Schultern.

Ihre Mutter hob die Augenbrauen und atmete tief durch. »Nur weil du achtzehn bist, heißt das nicht, dass du erwachsen bist. Das Leben ist komplizierter, als du denkst, du hast noch viel zu lernen.«

»Okay, wie du meinst.«

»Versprich mir einfach, vernünftig zu sein. Benutze deinen Verstand und triff keine unüberlegten Entscheidungen, wenn du dort bist, ja?«

»Ja, ist gut.« Sara sah sie liebevoll an. »Mach dir keine Sorgen, Felipe ist ja auch in der Nähe, falls was sein sollte.«

Der Blick ihrer Mutter verriet Sara, dass sie das nicht beruhigte. Im Gegenteil, es schien sie dazu zu verleiten, ihre Entscheidung, Sara ziehen zu lassen, noch einmal zu überdenken.

»Mach dir keine Sorgen, Mamá«, wiederholte sie. »Ich werde gut zurechtkommen und Felipes Hilfe nicht brauchen. Du hast mich gut erzogen und eine selbstständige, verantwortungsbewusste Person aus mir gemacht.« Sie hatte ihre Mutter angelächelt und versucht, Zuversicht auszustrahlen.

Sara seufzte leise, als sie daran zurückdachte. Dann nahm sie behutsam den verpackten Stoff entgegen und bezahlte. Auf der Straße vor dem Geschäft empfing sie reges Treiben. Sie atmete tief ein und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Es erfüllte sie jedes Mal mit Glück, wenn sie vor eine Tür trat und von der Atmosphäre der pulsierenden Metropole mitgenommen wurde. Dann gliederte sie sich ein in den Strom der Menschen, der sich durch die Gassen schob, ließ die klangvolle Sprache auf sich wirken und saugte den Duft von frischem Espresso in sich auf, der aus den Cafés drang.

Sie wusste, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es war nicht immer einfach gewesen, vor allem am Anfang nicht. Der Kulturschock war groß gewesen, und sie war in viele Fettnäpfchen getreten. Chile und Italien hatten so gut wie nichts gemeinsam. Es war eine andere Welt, in der sie sich wiedergefunden hatte.

Einige Male hatte sie das Heimweh überkommen, dann hatte sie sich gefragt, was sie hier eigentlich tat, so weit weg von zu Hause. Alles erschien ihr in solchen Situationen sinnlos, doch das währte meistens nur kurz. Die Freude über das Erreichte und das Interesse am Neuen, am Unbekannten überwogen und trieben sie voran.

Sie hatte das Gefühl, dass sie aus dem Gröbsten heraus war und Fuß gefasst hatte. Sie war in Italien angekommen und konnte sich vorstellen, auch nach dem Studium in dem Land zu bleiben. Sie war stolz darauf, wie weit sie gekommen war, und sie wollte noch mehr.

Kapitel 2

Santiago de Chile, Teresas Haus, Mai 2005

Teresa Amato war unruhig. Seit Sara Chile verlassen hatte, kannte sie kein anderes Gefühl mehr. Die Sorge um ihre Tochter war grenzenlos. Sie fraß sie beinahe auf. Teresa versuchte, ihre Gedanken beiseitezuschieben, denn sie fürchtete, sie könne damit ihre düstersten Vorahnungen heraufbeschwören.

Es war nicht einfach gewesen, Sara ziehen zu lassen. Teresa hatte sich Vorwürfe gemacht und die Schuld bei sich gesucht. »Ich hätte mich mehr um sie kümmern und weniger arbeiten sollen«, sagte sie zu ihrem Mann.

»Du warst ihr eine gute Mutter und bist es immer noch«, erwiderte Raúl.

»Aber ich war nie für sie da. Ich war immer in der Fabrik und im Laden.«

»Es war dein Traum, du hast ihn dir verwirklicht. Du bist eine erfolgreiche Geschäftsfrau und eine genauso erfolgreiche Mutter.«

»Aber sie ist weg! So weit weg. Sie konnte kaum ihren achtzehnten Geburtstag abwarten. Sie wollte einfach nur fort.«

Raúl legte ihr beruhigend die Hand auf den Rücken. »Sie ist eine selbstständige junge Frau. Du warst ihr ein gutes Vorbild«, sagte er sanft. »Sie ist wie du. Sie weiß, was sie will.«

Teresa lächelte, als er das sagte, und dachte eine Weile darüber nach – bis sie die nächsten Sorgen und Selbstvorwürfe überkamen.

»Ich hätte mich mehr um Felipe kümmern müssen.«

Raúl hob die Augenbrauen. »Was meinst du?«

»Ich habe ihn vernachlässigt.«

»Nein, das hast du nicht«, entgegnete Raúl. »Er war ein schwieriges Kind. Rebellisch und …«

»Er hatte Kummer«, unterbrach sie ihn, »er fühlte sich verloren.« Sie begann zu weinen. Raúl betrachtete sie betreten, dann legte er den Arm um sie und wischte ihr mit dem Daumen zärtlich die Tränen von den Wangen.

»Ich mag es nicht, dich weinen zu sehen«, flüsterte er.

»Ich weiß, aber ich kann nicht anders«, schluchzte sie. »Wenn ich mich mehr um Felipe gekümmert hätte, wäre er nicht kriminell geworden, und er wäre auch nicht auf die Idee gekommen, Hals über Kopf nach Europa auszuwandern.« Sie holte tief Luft, bevor sie fortfuhr. »Dann hätte sich auch Sara nie in den Kopf gesetzt, ihm nachzueifern. Sie hätte Italien niemals in Erwägung gezogen.«

»Vielleicht doch«, sagte Raúl leise. »Ihr Großvater kam aus Italien, dein Vater.«

Teresa blinzelte und tupfte ihre Augen trocken.

»Ja«, murmelte sie nachdenklich. »Ich hätte nie gedacht, dass sie sich so sehr für seine Geschichte interessiert. Ich hätte auch nicht gedacht, dass sie jemals Italienisch lernt. Sie spricht es mittlerweile besser als ich.«

Teresa lehnte sich zurück und erinnerte sich daran, wie sie Sara Giuseppes Tagebücher übergeben hatte. Damals hatte sie den Wunsch, nach Europa zu gehen, eben erst ausgesprochen. Es war der Tag gewesen, an dem Felipe nach Spanien geflogen war. Damals hatte Teresa gedacht, dass es nur ein Hirngespinst war, das Sara schnell vergessen würde. Sie war gerade einmal dreizehn gewesen. Sie hatte ihr die Tagebücher gegeben, weil sie wollte, dass sie erfuhr, wie schwierig Giuseppe es gehabt hatte.

Er war von Italien nach Chile ausgewandert und hatte eine Fabrik gegründet, die ein erfolgreiches Unternehmen geworden war. Doch es war nie so einfach gewesen, wie Außenstehende sich das vielleicht vorgestellt hatten. Giuseppe hatte nie aus Italien auswandern wollen. Aber er hatte gehen müssen, denn der Faschismus grassierte in seinem Heimatland, und das hatte ihn aufgrund seiner politischen Einstellung in Gefahr gebracht.

Er war zuerst in die Türkei gereist, wo er sein erstes Unternehmen in der Textilindustrie gründen wollte. Aber auch dieses Land hatte er verlassen müssen, denn als Italiener war er dort nicht willkommen. Daraufhin verschlug es ihn nach Ägypten. Hier traf er ebenso auf Schwierigkeiten und konnte seinen Traum einer Textilfabrik nicht verwirklichen.

Als er davon hörte, dass viele Italiener nach Argentinien aufgebrochen waren, beschloss er, sein Glück in dem fernen südamerikanischen Land zu versuchen. Und er schien es zu finden. Er lernte einen Argentinier kennen, der genauso enthusiastisch war wie er. Beide hatten den gleichen Traum, und so taten sie sich zusammen. Sie wurden gute Freunde und gründeten eine Firma. Giuseppe hatte seine wohlhabenden Eltern um Startkapital gebeten, und sie gaben es ihm. Sie waren selbst erfolgreiche Unternehmer. Mit dem Geld der Familie kauften die beiden Freunde Maschinen, mieteten eine Fabrikhalle und stellten Arbeiter ein.

Es lief alles sehr gut, und Giuseppe glaubte sich am Ziel. Doch dann geschah das Undenkbare. Der argentinische Geschäftspartner, sein vermeintlicher Freund, hinterging ihn. Aus dem Traum wurde ein Albtraum. Er verlor all seine Anteile an der Firma und blieb mit nichts in der Tasche zurück. Alles war weg, sein Startkapital, sein Unternehmen, sein Freund und seine Ehre.

Was er aber nie verloren hatte, war die Hoffnung, und so kratzte er das letzte bisschen Würde zusammen, das letzte Geld und reiste damit ins Nachbarland Chile. Dort überdachte er alles, was ihm widerfahren war, und bündelte seine Erfahrungen, damit er für das nächste Projekt gewappnet war. Er wollte es noch einmal versuchen, denn er war niemand, der aufgab. Ein weiteres Mal bat er seine Eltern um Kapital und damit gründete er die Strumpffabrik der Amatos, die ihn zu einem reichen Mann machen sollte.

Diese Odyssee hatte er in seinen Tagebüchern festgehalten, und Teresa hatte gehofft, dass Sara dadurch abgeschreckt würde. Zunächst hatte sie darauf spekuliert, dass sie die Herausforderung, Italienisch zu lernen, um Giuseppes Aufzeichnungen lesen zu können, aufgeben lassen würde. Doch ihre Tochter hatte sich durchgebissen und die Sprache erlernt. Auch die Schilderungen und herben Rückschläge ihres Großvaters konnten Sara nicht von ihrem Kurs abbringen, im Gegenteil.

Teresa hatte mit ansehen müssen, wie der Wunsch ihrer Tochter, sich durchzuboxen und ihre Träume bis zum Ende zu verfolgen, egal wie beschwerlich der Weg werden sollte, mit jeder Seite, die sie las, beständig wuchs. Die unglaubliche Geschichte ihres Großvaters hatte Sara angespornt – zusammen mit dem vermeintlich besseren Leben, das ihr großer Bruder Felipe in Spanien führte.

Teresa seufzte. Felipe meldete sich nur alle Jubeljahre bei ihr. Dann erzählte er, wie zufrieden und erfolgreich er wäre. Sie war froh, von ihm zu hören, zu wissen, dass es ihm gut ging. Aber sie glaubte ihm nicht. Er war ihr Sohn, sie kannte ihn zu gut, als dass er ihr etwas hätte vormachen können. Sie befürchtete, dass er noch immer keinen Halt im Leben gefunden und in Spanien dort angeknüpft hatte, wo er in Chile aufgehört hatte.

Kapitel 3

Madrid, Mai 2005

Felipe Araya hatte es sich einfacher vorgestellt, als er vor sieben Jahren in diese Stadt gekommen war. Aber es war alles anders gewesen als erwartet. Er verstand die Leute nicht. In Madrid würde man Spanisch sprechen, hatte er gedacht, seine Muttersprache. Doch er hatte feststellen müssen, dass zwischen Chile und Spanien nicht nur ein Kontinent und ein Ozean lagen, sondern Welten.

Die Ähnlichkeiten beider Länder waren gering. Die Mentalität der Menschen, die Kultur und eben die Sprache waren anders als in seiner Heimat. Die Aussprache, Begriffe und die Tonlage waren unterschiedlich. Alles fühlte sich fremd an und doch vertraut. Die Straßennamen klangen so, als hätten sie in Chile sein können. Er hatte das Gefühl, alles schon einmal gehört zu haben – und das hatte er auch, denn in seiner Heimat gab es die gleichen Straßennamen. Er hatte immer geglaubt, sie wären einzigartig. Seit seiner Ankunft in Spanien war ihm aber klar, dass das nicht zutraf. Sie kamen von hier, die Konquistadoren hatten sie in Chile eingeführt, nachdem sie Südamerika erobert hatten.

Diese Erkenntnis löste eine Art Identitätskrise in ihm aus. Aber er konnte sich nicht hängen lassen, denn die Starthilfe, die ihm seine Tante Amelia für sein neues Leben in Europa gegeben hatte, war schnell aufgebraucht gewesen. Felipe hatte eine Arbeit finden müssen. Dazu hatte er sich ein gestohlenes Handy von einer chilenischen Bande gekauft und potenzielle Arbeitgeber angerufen. Er fand eine Anstellung in einer Bar, wo er Kaffee, Bier und Tapas servierte. Dieser Job war alles andere als angenehm. Er hätte sich nie träumen lassen, so einer Tätigkeit nachzugehen, und doch war er froh, ehrliches Geld zu verdienen.

Die Dankbarkeit währte nur kurz. Es widerte ihn an zu sehen, wie südamerikanische Einwanderer in unterbezahlten Jobs ausgebeutet wurden. Viele arbeiteten für zwei oder drei Arbeitgeber, um sich und ihre Familie über Wasser halten zu können. Auch Felipe kam mit seinem Gehalt kaum über die Runden. An eine eigene Wohnung war nicht zu denken. Deshalb lebte er mit Freunden zusammen, überwiegend Gleichgesinnte aus Süd- oder Mittelamerika.

Schon bald hatte er seinen ursprünglichen Plan, sich in Italien niederzulassen, aufgegeben. Er hatte zu viele alte Lasten über den Ozean mitgebracht, Gewohnheiten, die er nicht einfach abschütteln konnte.

Als er in dieser Nacht nach Hause ging, atmete er tief durch und schloss die Finger fester um die Tragetaschengriffe. Die Plastiktüten waren schwer. Die vollen Whiskyflaschen darin klimperten dumpf, wenn sie aneinanderschlugen. Er war erschöpft. Der Arbeitstag war lang und das Feiern mit seinen Kollegen danach war ausgeufert. Der Barmanager hatte absichtlich zu viele Whiskyflaschen bestellt und sie großzügig verteilt, die Kellner, wie Felipe, hatten genauso etwas bekommen wie das Personal aus der Küche.

»Die Chefin merkt das sowieso nicht«, hatte er gesagt.

Jeder wusste, dass das Restaurant, in dem Felipe nach mehreren Jobwechseln mittlerweile arbeitete, zur Geldwäsche diente. Die Kolumbianerin reiste einmal im Monat nach Bogotá.

»Was macht sie so oft in Kolumbien?«, hatte Felipe einmal gefragt.

»Sie besucht ihren Mann, der führt dort das Geschäft«, hatte ihm jemand geantwortet.

»Welches Geschäft?«

»Kokainhandel.«

Bevor Felipe seine Tragetaschen gepackt und sich auf den Heimweg gemacht hatte, hatten sie eine Flasche Jim Beam geköpft und ausgetrunken. Es war spät. Er hatte gerade noch die letzte Metro erwischt, die ihn nach Hause brachte. Die kurze Fahrt hatte dem Alkohol genug Zeit gegeben, sich in seinem Organismus auszubreiten und seine volle Wirkung zu entfalten. Zwischen der Haltestelle und seiner Wohnung lagen nur wenige Meter, doch er hatte das Gefühl, es wäre eine unüberwindbare Distanz. Die Plastiktüten wurden immer schwerer, er konnte kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen. Alles drehte sich um ihn. Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war, und irgendwann verlor er das Bewusstsein.

Als Felipe wieder zu sich kam, hatte er keine Ahnung, wo er war. Er lag mit der Stirn auf dem Bordstein. Sein Kopf schmerzte so sehr, als hätte man ihn ihm zertrümmert. Vorsichtig drehte er sich um. Im blendenden Licht der Straßenlaternen fasste er an seine Nase. Sie fühlte sich seltsam an. Sein Gesicht war klebrig, und die Lippen schmeckten nach Blut. Mühsam setzte er sich auf. Es drehte sich noch immer alles. Um ihn herum war es nass. Eine zerbrochene Flasche Jim Beam lag dort, und der Whisky durchtränkte seine Hose. Von den anderen Flaschen gab es keine Spur. Jemand musste die vollen Tragetaschen mitgenommen haben.

Stöhnend blickte er sich um. Er konnte weit und breit niemanden sehen. Was für ein Arsch würde ihm den Whisky stehlen und ihn hilflos auf der Straße zurücklassen? Er musste ungebremst mit der Nase auf den Bordstein gefallen sein. Er hätte sterben können. Jemand hatte ihn gefunden und einfach liegen lassen. So ein Wichser, dachte er.

Umständlich richtete er sich ganz auf und kam auf wackeligen Beinen zum Stehen. Behutsam setzte er einen Schritt vor den anderen und wankte nach Hause. Seine Mitbewohner schliefen schon. Er versuchte, so leise wie möglich das Bad zu erreichen, wo er einen Blick in den Spiegel wagte. Vor Schreck wäre er beinahe umgekippt. Er erkannte sich kaum wieder. Seine Nase war schief und geschwollen, er war von Kopf bis Fuß blutüberströmt.

Er zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Das kalte Wasser hauchte ihm wieder etwas Leben ein. Vorsichtig wusch er das Blut von seiner Haut. Er prustete und schnäuzte sich die Nase, bis er sie von sämtlichen Blutkuchen befreit hatte, die er wie lange Regenwürmer aus den Nasenlöchern zog. Dieser Prozess war so schmerzhaft, dass er am liebsten laut geschrien hätte. Doch er biss die Zähne zusammen und fiel anschließend erschöpft ins Bett.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich kaum besser. Sein Kopfkissen war blutdurchtränkt. Nach dem ersten Schock, den dieser Anblick in ihm auslöste, erinnerte er sich an das nächtliche Geschehen. Stöhnend schälte er sich aus dem Bett. Sein Kopf dröhnte. Der Kater, den er hatte, war unerträglich, und das schmerzende Gesicht machte es nicht besser.

Benommen stand er auf und wankte zur Tür. Er öffnete sie schwerfällig und trat ins Wohnzimmer. Der Sohn seiner Mitbewohnerin saß auf der Couch und kiffte. Obwohl Felipes Nase völlig zugeschwollen war, roch er das unverkennbare Aroma, das die dicken Rauchschwaden im Raum verbreiteten. Der Heranwachsende betrachtete ihn interessiert, sagte aber nichts. Felipe nickte ihm zu und setzte seinen Weg in die Küche fort.

»Joder!«, rief Esperanza bei Felipes Anblick und legte ihre Hände auf die Brust. Der Schreck stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Scheiße, was ist mit dir passiert?«

»Hilf mir!«, sagte Felipe.

»Was, was ist mit dir?«, stotterte sie und rückte einen Stuhl zurecht.

Felipe setzte sich stöhnend und fasste sich an die Nase.

»Ich weiß nicht, ich glaub, ich bin hingefallen.«

»Wann?«

»Heute Nacht.«

»Wo?«

»Auf der Straße.«

Sie starrte ihn einen Moment sprachlos an, dann fand sie wieder Worte. »Ich rufe eine Ambulanz.«

Sie eilte zum Telefon. Kurze Zeit später klingelte es. Zu aller Überraschung standen mit dem Rettungsdienst auch zwei Polizisten in Zivil vor der Tür. Als sie ihre Dienstmarken zeigten, fuhr es Felipe in die Magengrube. Sofort dachte er an die unterschlagenen Whiskyflaschen. Vielleicht kamen sie auch wegen seiner Chefin und der Geldwäsche. Womöglich dachten sie, er wüsste etwas, oder sie gingen davon aus, dass er seine Finger im Spiel hätte.

Felipe wurde schummrig, und er schnappte nach Luft. Er wusste nicht, ob die Anwesenheit der Polizisten dafür verantwortlich war oder der Sanitäter, der sein Gesicht abtastete. Womöglich beides. Alle redeten auf ihn ein, und doch nahm er nur Esperanza wahr, die im Wohnzimmer die Fenster aufriss, alles mit Raumspray einnebelte und ihren Sohn anschrie, in sein Zimmer zu verschwinden.

»Wieso sind Sie hier?«, fragte Felipe die Polizisten. Sicherlich hatten sie es ihm schon erklärt, aber er hatte es nicht mitbekommen.

»Wir sind hier, um festzustellen, ob ein Verbrechen vorliegt.«

»Ein Verbrechen?«, wiederholte Felipe und dachte an Esperanzas Sohn, der bis vor Kurzem noch kiffend nebenan gesessen hatte. Für ihn ergab alles keinen Sinn. Er wusste nicht, um welches der vielen Verbrechen es ging. »Was meinen Sie?«, fragte er.

»Ihr Gesicht, wie ist das passiert?«

Felipe zuckte mit den Achseln. »Ich bin gestürzt. Auf der Straße.«

»Waren Sie allein?«

»Ja.«

Der Polizist sah ihn prüfend an. »Hat Sie jemand zum Fallen gebracht?«

»Nein.«

»Es gab also keine Fremdeinwirkung?«

»Nein.«

»Wurde Ihnen etwas gestohlen?«

Felipe zögerte, dann schüttelte er leicht den Kopf. »Nein«, log er. »Ich war einfach betrunken und bin gestolpert. Es fehlt nichts. Ich hab noch alles.«

»Gut«, sagte der Polizist und sah ihn lange und eindringlich an. »Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt und Sie vielleicht doch geschlagen oder gestoßen worden sind, melden Sie sich bei uns.« Er reichte ihm eine Visitenkarte.

»Okay«, murmelte Felipe.

Sie begleiteten ihn noch bis zum Rettungswagen, dann verschwanden sie, und Felipe fiel ein Stein vom Herzen. Er schloss die Augen und ließ sich von den Sanitätern ins Krankenhaus fahren. Er hatte Glück gehabt. Es hätte schlimmer ausgehen können, das Stolpern im Suff und der Besuch der Polizei. Er konnte nicht so weitermachen und auf sein Glück hoffen, unbehelligt durchs Leben zu taumeln. Er musste endlich etwas ändern.

Kapitel 4

Mailand, Hauptsitz von Mio Milan, November 2008

Saras Herz raste. Ihr Mund war so trocken, dass sie das Gefühl hatte, kein Wort sagen zu können. Sie presste die Lippen aufeinander und sammelte ihre Gedanken, dann wagte sie den Schritt durch die Tür. Mit einem aufgesetzten Lächeln trat sie an den Empfangstresen, hinter dem ein junger Mann saß.

»Buongiorno!«, begrüßte er sie freundlich. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich fange heute hier an.«

»Ah, Signora Fernández.«

Sara nickte und versuchte, ihre Nervosität zu verbergen.

»Nehmen Sie doch gerne hier drüben Platz, ich sage Bescheid, dass Sie da sind.«

Sara setzte sich auf ein bequemes Ledersofa, das in Gesellschaft eines passenden Sessels im Empfangsbereich stand. Angespannt knetete sie ihre Hände, obwohl sie souverän wirken wollte.

Mit dem Masterabschluss in der Tasche hatte sie den ersten Meilenstein erreicht. Sie war eine der Besten ihres Jahrgangs gewesen. Jetzt wollte sie Arbeitserfahrung sammeln. Am liebsten hätte sie sich sofort selbstständig gemacht und ihr eigenes Atelier eröffnet, vielleicht sogar ein Label gegründet, aber ihre Mutter hatte sie gebremst.

»Die Praktika, die du in deinem Studium gemacht hast, sind nicht dasselbe wie richtige Arbeitserfahrung.«

Wie gerne hätte Sara das einfach überhört und ihre Träume in die Tat umgesetzt. Aber sie besann sich eines Besseren, denn sie wusste, dass ihre Mutter recht hatte. Sara war selbstbewusst und überzeugt von ihrem Können, aber nicht so überheblich und arrogant, um den Rat einer gestandenen Geschäftsfrau, wie ihre Mutter eine war, zu ignorieren. Außerdem war durch die weltweite Finanzkrise ohnehin nicht der ideale Zeitpunkt, um eine Firma zu gründen. Also hatte sie einen Job gesucht und bei dem Mailänder Modelabel Mio Milan landen können. Es war ein großer Name und für eine junge Designerin eine Riesenchance. Sara wusste, dass sie viele ihrer früheren Kommilitonen um diesen Einstieg in die Branche beneideten.

Sie hatte kaum Zeit, alle Eindrücke der Eingangshalle auf sich wirken zu lassen, denn es dauerte nicht lange, bis eine elegant gekleidete Frau auf sie zukam und freundlich begrüßte. Sie hätte ein Model sein können, war aber die Assistentin des Chefdesigners und brachte Sara an ihren neuen Arbeitsplatz. Sie führte sie durch das Atelier, zeigte ihr die Besprechungsräume, Showrooms und die Räumlichkeiten für kreative Pausen.

Sara folgte ihr mit offenem Mund. Sie hatte durch ihre Praktika viele Eindrücke von verschiedenen Modeunternehmen gesammelt, aber keines war so innovativ, wie dieses auf den ersten Blick wirkte. Es war deutlich zu sehen, dass hier Design gelebt wurde. Nicht nur Modedesign, sondern Design im Allgemeinen. Die Farben, das Licht, die Einrichtung, die gesamte Innenausstattung schienen bis ins kleinste Detail durchdacht zu sein.

Sara fühlte sich sofort willkommen, als ob das Gebäude sie in die Arme genommen hätte. Sie spürte, wie die stimmige Atmosphäre ihre Kreativität anregte. Eine unerwartete Euphorie überkam sie, die ihre Nervosität neutralisierte. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Ideen einzubringen und einzigartige Mode zu entwerfen.

Doch bis zur eigenen Kollektion war es noch ein weiter Weg. Obwohl sie vom Team herzlich empfangen worden war, begann ihre Karriere auf der untersten Sprosse der Leiter. Sie war eine Jungdesignerin, und sie war neu in der Firma. Bevor sie die Chance bekam, überhaupt einen Stift in die Hand zu nehmen und damit etwas zu entwerfen, war sie dazu verdammt, die gesamte Belegschaft mit Espresso zu versorgen. Am liebsten hätte sie nach den ersten Tagen das Handtuch geworfen.

»Ich durfte in meinen Praktika als Studentin mehr machen als jetzt.« Sara war außer sich. Ihre Stimme bebte und die Hand, in der sie den Hörer hielt, zitterte.

»Mija«, sagte ihre Mutter ruhig, »du hast gerade erst angefangen.«

»Ich bin Designerin, Mamá, keine Barista.« Tränen schossen in ihre Augen. Sie hatte nicht jahrelang auf ihren Traum hingefiebert und -gearbeitet, studiert und sich alles von ihren Eltern finanzieren lassen, damit sie nun Kaffee kochte.

»Das ist nicht fair, Mamá«, schluchzte sie ins Telefon.

»Sara«, hörte sie ihre Mutter in strengem Ton sagen, »du musst dich zusammenreißen.«

»Wofür denn?«

»Unterschätze nie die Person, die dir Kaffee bringt, hinter dir her wischt oder einfach nur zusieht, wie du arbeitest. Diese Person kennt dich vielleicht besser als du selbst. Sie kennt alle besser, als sie denken. Und wenn der Moment kommt, kann sie das für ihren großen Coup nutzen.«

Sara hatte aufgehört zu schluchzen und mit angehaltenem Atem zugehört, jedoch nichts verstanden. »Wovon redest du?«, fragte sie deshalb.

Ihre Mutter lachte und machte eine Pause. Es war still am anderen Ende der Leitung. Sara hatte das Gefühl, dass sie in Erinnerungen schwelgte. »Weißt du«, sagte sie dann, »meine erste Anstellung war genauso. Es war in einer Hemdenfabrik. Ich war ausgebildete Sekretärin, und trotzdem schickte man mich nur von einer Ecke in die andere, um Kleinigkeiten zu besorgen. Sie trugen mir auf, zu putzen – und Kaffee zu kochen. Ich habe viel Kaffee gekocht.« Sie lachte. »Aber all die Zeit, obwohl sie sinnlos erschien, war keinesfalls verloren.«

»Nein?«, fragte Sara erstaunt.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich habe mein erstes eigenes Geld verdient«, erklärte ihre Mutter. »Und ich habe sehr viel gelernt. Ich habe nämlich alles beobachtet. Am Ende waren mir die Abläufe in der Fabrik vertrauter als jedem anderen. Ich kannte jeden Mitarbeiter und jede Eigenschaft, die er hatte. Ich habe beobachtet und analysiert.«

»Und was hat dir das gebracht?«, erkundigte sich Sara.

»Dann kam mein großer Moment«, sagte ihre Mutter geheimnisvoll.

»Was war das?« Sara hielt den Atem an, und sie spürte, wie ihr Herz vor Erwartung bis zum Hals schlug.

»Als ich genug Informationen und vor allem Selbstbewusstsein gesammelt hatte, habe ich dem Chef die Schwachstellen seines Unternehmens aufgezeigt und eine Lösung dafür präsentiert.«

»Was war das?«

»In der Fabrik wurde gestohlen. Die Mitarbeiter heimsten alles ein, was nicht niet- und nagelfest war. Stoffe, Schnittmuster, Knöpfe, Nadeln, Garn, alles.«

Sara war erstaunt.

»Nachdem mein damaliger Chef ganz Ohr war, habe ich die Abläufe in der Produktion umgestellt, sodass es den Arbeitern unmöglich war, weiterhin zu stehlen.«

Sara hörte mit offenem Mund zu. Sie wusste nichts von alldem. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie ihre Mutter so erfolgreich geworden war. Sie wusste, dass sie und ihr Vater in einer großen Firma für Stoffe gearbeitet hatten. Sara konnte sich aber nicht daran erinnern. Seit sie denken konnte, war da die kleine Strumpffabrik ihrer Mutter mit dem Laden. Später war ihr Vater mit in das Geschäft eingestiegen. Danach wuchs das Unternehmen und wurde zu dem, was es heute war. Aber sie hatte nie die Geschichte gehört, wie alles angefangen hatte.

»Das war der Beginn meiner Karriere«, hörte sie ihre Mutter fortfahren. »Danach konnte ich endlich als Sekretärin arbeiten und schließlich meinen großen Traum von der eigenen Fabrik verwirklichen.«

Sara schwieg überwältigt und gerührt.

»Was ich damit sagen möchte, ist, dass der Weg zum Erfolg lang ist. Und dass er oft ganz unten anfängt. Das muss aber nicht schlecht sein. Im Gegenteil. Es stärkt dich, gibt dir Rückgrat für die Zukunft. Ein hart erkämpfter Erfolg schmeckt oft süßer als einer, der einem geschenkt wird.«

Sara dachte über die Worte nach. Sie klangen vernünftig und kamen aus dem Mund einer Frau, die es wissen musste.

»Was soll ich jetzt tun?«, fragte sie.

»Mach Espresso. Den besten, den die Leute dort je getrunken haben. Mach ihn so gut wie die Barista der edelsten Espressobar der Stadt.«

Sara lachte verlegen.

»Sei freundlich, trage immer ein Lächeln auf den Lippen und beobachte alles um dich herum. Lerne deine Kollegen kennen, deine Vorgesetzten und die Kunden. Zeige Interesse, biete dich an, wenn Hilfe benötigt wird, und sei im richtigen Moment bereit.«

»Und welcher Moment ist das?«, hakte sie nach.

»Der Moment, in dem man dich nach deiner Meinung fragt. Der Moment, in dem man dir den Stift in die Hand gibt und dich auffordert, etwas zu entwerfen.«

»Okay«, hauchte Sara.

»Oder der Moment, in dem keiner weiterweiß, außer dir, in dem alle in ihrer Engstirnigkeit keinen Ausweg sehen, dir als Außenstehende aber die Lösung vor Augen schwebt. Dann ist der Moment gekommen, etwas zu sagen, obwohl du nicht gefragt wurdest.«

Saras Herz klopfte. Sie wusste, dass sie das Zeug dazu hatte. Auf einmal fühlte sie sich so motiviert, wie schon lange nicht mehr. Sie musste Geduld haben, das war ihr klar geworden.

»Danke, Mamá«, murmelte sie.

»Du schaffst das schon«, sagte ihre Mutter sanft, »und pass auf dich auf, mija.«

»Ja, natürlich.« Sara verabschiedete sich und legte den Hörer auf. Ein warmes Gefühl hatte sich in ihr ausgebreitet. Die Worte ihrer Mutter waren wie Streicheleinheiten für ihre Seele gewesen. Sie verstand sie und wusste genau, was sie brauchte, wenn sie an sich zweifelte oder nicht mehr weiterwusste. Sie war froh, immer auf sie zählen zu können, obwohl sie nie begeistert gewesen war, dass sie so weit von zu Hause wegziehen musste.

Sara ging in die Küche und bereitete sich eine Tasse Tee zu. Dann setzte sie sich damit aufs Sofa und kuschelte sich in eine Decke. Sie würde es schaffen, eines Tages eine große Designerin zu werden, da war sie sich sicher. Sie brauchte nur Geduld.

Kapitel 5

Mailand, Juni 2009

Sara ging jeden Tag tapfer zur Arbeit. Sie befolgte den Rat ihrer Mutter. Das erhoffte Erfolgserlebnis blieb jedoch aus. Der Moment, in dem sie aus dem Nichts als Retterin auftreten und wie ein Stern leuchten konnte, kam einfach nicht. Stattdessen durfte sie sich nach und nach in den kreativen Prozess mit einbringen. Es war gut, sie lernte viel. Endlich bekam sie die Gelegenheit, die gelernte Theorie in der Praxis zu erleben und umzusetzen.

Die Seniordesigner, mit denen sie arbeitete und die sie anleiteten, hatten teilweise andere Ansichten als ihre Professoren an der Universität. Zu Beginn war das ein Schock für Sara. Die gelernten Strukturen und Regeln wurden von ihnen plötzlich über den Haufen geworfen. Saras Herangehensweise fanden die Leute hier zuweilen stumpf und überholt. Es fehle ihnen das gewisse Extra, erklärten sie.

Beinahe entmutigt, kam Sara im letzten Moment die Erleuchtung. Sie fand eine Erklärung, eine eigene Definition. In ihrem Beruf ging es um Kreativität. Um Innovation und manchmal um Provokation. Das erreichte man nicht, indem man sich an Regeln und das Schema F hielt. In ihrem Studium hatte sie viel über Modedesign gelernt. Handwerk, Techniken, alles. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, die Kreativität auszuleben und Grenzen zu überschreiten. Das Studium hatte sie nur mit dem Werkzeug vertraut gemacht. Es war an der Zeit, damit etwas Neues, nie Dagewesenes zu erschaffen. Dinge und Kreationen, von denen Saras Professoren noch nie gehört hatten und im Traum nicht daran gedacht hätten, dass sie jemals entworfen werden könnten. Sara war dabei, sich zu finden. Ihren Weg und ihren Stil. Sie war ein ungeschliffener Edelstein. Ein Rohdiamant, der seine Form annehmen musste, um sein ganzes Potenzial zu entfalten und die Welt zu verzaubern.

Als sie das erkannt hatte, konnte sie ihren Frieden mit dem Job bei Mio Milan schließen. Sie sah ein, dass sie noch viel lernen musste, und tat das jeden Tag geduldig. Dabei verdiente sie zum ersten Mal ihr eigenes Geld, und das fühlte sich gut an.

Ihre Eltern waren wohlhabend. Sie hatten ihr die Privatuniversität bezahlt und aus Chile Geld überwiesen, damit sie ihr WG-Zimmer und alles andere, was sie zum Leben brauchte, bezahlen konnte. Auch für die Flüge in die Heimat zu Weihnachten und anderen Gelegenheiten waren sie immer aufgekommen. Sara hatte niemals sparen müssen. Sie wusste, dass das ein großes Privileg war, und sie war ihren Eltern für die Unterstützung unendlich dankbar. Sie wollte ihnen aber nicht ewig auf der Tasche liegen, und so war sie stolz darauf, nun ein solides Gehalt zu bekommen, das ihr ohne schlechtes Gewissen erlaubte, sich die Dinge zu leisten, auf die sie Lust hatte.

Als Erstes kaufte sich Sara eine Vespa. Das war italienisches Lebensgefühl, und sie hatte den Eindruck, dieses Gefährt zu brauchen, um richtig anzukommen und sich vollständig in die Kultur zu integrieren. Als Nächstes wollte sie endlich ihren Bruder Felipe in Spanien besuchen. Er war ein paarmal in Mailand gewesen. Dabei hatte er einen gefestigten Eindruck gemacht. Er hatte sich für ihren Alltag interessiert, sich von Sara durch die Stadt führen lassen und sie mehr als einmal zum Essen ausgeführt. Sie selbst hatte es noch nicht geschafft, nach Madrid zu reisen, wo er lebte, weil sie in ihrem Studium so eingebunden gewesen war und die freie Zeit in den Semesterferien dafür genutzt hatte, in die Heimat nach Chile zu fliegen.

Sara hatte immer gehofft, dass ihr Bruder bald nach Italien ziehen würde, denn das war sein ursprünglicher Plan gewesen. Irgendwie war er aber in Madrid, wo ihn der Flug aus Santiago de Chile hingebracht hatte, hängen geblieben.

Wenn Sara daran dachte, breiteten sich Sorgenfalten auf ihrer Stirn aus. Sie war die kleine Schwester, aber sie hatte den Eindruck, fester im Leben zu stehen als er. Sie war verantwortungsbewusster und zielorientierter. Sie telefonierten oft, doch Sara hatte das Gefühl, das Felipe ihr dann nicht alles erzählte. Wenn er von sich sprach, beschränkte er sich auf Oberflächlichkeiten, vage Schilderungen und ausschließlich Positives, so als wolle er sie nicht beunruhigen. Sie befürchtete, dass er alles rosiger ausmalte, als es war.

Das machte sie traurig, denn sie liebte ihn über alles. Er war ihr Vorbild gewesen, als sie klein war. Er war ein begnadeter Künstler, und seine Zeichnungen und Malereien waren das Schönste, was Sara je gesehen hatte. Jedes Mal, wenn er ihr ein Bild geschenkt hatte, hatte Sara es ehrfürchtig entgegengenommen und tagelang ausgiebig betrachtet, so lange, bis sie jedes Detail entdeckt hatte. Dann hängte sie es an die Wand und ließ es aus der Ferne auf sich wirken. Die Farbkompositionen und die Zusammenspiele der einzelnen Elemente waren inspirierend. Die Faszination durch seine Werke war es gewesen, die Sara dazu animiert hatte, zum ersten Mal einen Stift in die Hand zu nehmen und auch etwas so Magisches zu erschaffen. Es war die Grundlage für ihr Talent, Modeentwürfe zu zeichnen.

Sara wollte ihren Bruder unbedingt sehen und erfahren, wie er heute lebte. Sie fieberte auf den Tag hin, an dem ihr Flugzeug ging. Gleichzeitig hatte sie Angst vor dem, was sie erwarten würde. Mit ihrer Mutter sprach sie nicht über Felipe, auch nicht mit ihrem großen Bruder Joaquín, denn er hatte seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm. Sie befürchtete, in Madrid eine Wahrheit vorzufinden, die nicht dem entsprach, was Felipe ihr über sein Leben erzählt hatte.

Sara hatte Angst, enttäuscht zu werden und Felipe in einer Situation vorzufinden, für die er sich vor ihr vielleicht schämte. Auf keinen Fall wollte sie ihn in Verlegenheit bringen, und sie wollte die guten Erinnerungen nicht verlieren. Die Erinnerung an das große Vorbild aus ihrer Kindheit.

Kapitel 6

Madrid, August 2009

Sara war jedes Mal froh, wenn sie ein Gebäude mit Klimaanlage betraten. Die Hitze in dieser Stadt raubte ihr fast den Atem. Die Sonne brannte auf ihrer Haut, und die Luft war trocken wie in der Wüste. Felipe führte Sara herum und zeigte ihr seine Stadt. Sie konnte sehen, dass er hier Wurzeln geschlagen hatte.

»Was ist mit deinen Plänen, nach Italien zu ziehen?«, erkundigte sie sich.

Er lächelte so charmant wie immer. Sie hatte das vermisst.