Die Angst zu Lieben - Eve-Lyna Roth - E-Book

Die Angst zu Lieben E-Book

Eve-Lyna Roth

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Beschreibung

Mit nur einer Handvoll Freunde um sicher herum und einem liebenden Kater zu Hause fühlt sich Andrea Fisher seit geraumer Zeit endlich in ihrem Leben angekommen, wenn auch weitab ihres Geburtsortes. Sie kann das Leben wieder geniessen, ohne sich ständig über die Schulter zu sehen. Nichts scheint sie mehr aus der Bahn werfen zu können - nicht einmal ihr gut aussehender Nachbar Nash Tanner, mit dem sie vor dem Supermarkt einen unschönen Zusammenstoss hatte. Kein Mann würde ihr Leben mehr bestimmen und durcheinanderwirbeln, da mochte er noch so attraktiv sein. Die Angst, besessen zu werden, ist grösser als der Wunsch, Gefühle zuzulassen. Da kann kommen, was wolle - dachte sie wenigsten. Als sie jedoch eines Abend von der Arbeit im Krankenhaus, in dem sie als Ärztin arbeitet nach Hause kommt und ihren geliebten Kater tot vor der Haustür findet, erfassen sie sofort wieder bekannte Panikattacken. Bemüht, sich nach der grausigen Tat wieder auf ein normales Leben zu konzentrieren, ist sie fest entschlossen, sich nicht durch in ihr aufkommende Paranoia ängstigen zu lassen. Ihr Nachbar allerdings, der sich als Bulle entpuppt und der bereits vor diesem Vorfall Gefallen an ihr gefunden hatte, nimmt die Vorfälle ernst. Eigentlich wollte er in naher Zukunft dem weiblichen Geschlecht aus dem Weg gehen, aber wie schon so oft in seinem Leben, macht ihm sein Beschützerinstinkt, der seit Kindesbeinen in ihm schlummert, einen Strich durch die Rechnung. Andy jedoch wehrt sich mit Händen und Füssen gegen Nashs Helfersyndrom und ihre Gefühle für ihn und stösst ihn immer wieder von sich weg. Erst als auch die Besitzer der getöteten Tiere in Gefahr sind, lässt sie sich auf Anraten ihrer drei Freundinnen von dem gutaussehenden Bullen helfen.

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Ähnliche


Freunde sind wie Sterne. Du kannst sie nicht immer sehen, aber du weißt, sie sind immer für dich da.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 38

EPILOG

DIE ANGST ZU LIEBEN

Kapitel 1

Samstag, 6. Mai, 18.00 Uhr

Mit einer Einkaufsliste, die sie in Gedanken schrieb, bog Andy auf den grossen Parkplatz des Einkaufszentrums ein. Sie stöhnte laut auf, als sie die vielen Autos auf dem Parkplatz sah. Die Versuchung, einfach wieder umzudrehen, war verlockend, aber sie durfte ihr leider nicht nachgehen, denn sie brauchte unbedingt Futter für ihren geliebten Kater Tarzan. Da musste sie durch, auch wenn sie von dem anstrengenden Tag im Krankenhaus erledigt war und nur noch nach Hause wollte. Wie so oft an einem Samstag, war viel los gewesen in der Notaufnahme. Sie sehnte sich nach einer Dusche und einem Abend auf dem Sofa vor dem Fernseher. Nach geschlagenen fünf Minuten fand sie endlich eine Lücke, wo sie parken konnte. Hastig lief sie zum Eingang, schnappte sich einen Einkaufswagen und hetzte von Gestell zu Gestell. Als sie die lange Schlange an der Kasse sah, stöhnte sie innerlich auf und stellte fest, dass sie gereizt war und es keinen Sinn hatte, sich anzustellen. Sie musste sich unbedingt etwas Gutes tun, um den anstrengenden Tag abschütteln zu können. Kurz entschlossen drehte Andy um und ging Richtung Delikatessenabteilung. Vielleicht hätte sich ja in einer halben Stunde der grosse Ansturm auf die Kasse gelegt.

Auf dem Weg zur Delikatessenabteilung ging sie, wie von fremder Hand geleitet, in die entgegengesetzte Richtung und landete in der Kosmetik- und Unterwäscheabteilung. Andys Laune hellte sich sofort auf, als sie die hübsche Unterwäsche im Sonderangebot erblickte. Dessous hatten es ihr angetan; wann immer sie ein hübsches Teil sah, konnte sie ihm kaum widerstehen. Kurzerhand entschied sich Andy dafür, den orangen Spitzen-BH anzuprobieren. Als sie die Umkleidekabine verliess, huschte zum ersten Mal an diesem Abend ein Lächeln über ihre Lippen, und sie entschied, dieses hübsche Teil zu kaufen. Nachdem sie sich völlig entspannt und den schrecklichen Tag bereits weit von sich weggeschoben hatte, verliess sie nach einer Stunde das Einkaufszentrum. Der kleine Abstecher in die Damenabteilung hatte ihr nicht nur orange Unterwäsche beschert, sondern auch ein gleiches Modell in Anthrazit dazu.

Andy räumte gerade ihre Einkäufe in den Kofferraum ihres roten BMWs, als sie hinter sich Rufe hörte.

„Hey!“

Automatisch drehte sie sich um, um zu sehen ob die Rufe ihr galten, aber schnell merkte sie: Dies schien nicht der Fall zu sein. Ein Mann, gross, athletisch, verliess hastig, einen Einkaufswagen mit Kleinkind vor sich herschiebend, das Einkaufszentrum und versuchte, einem zehn Meter vor ihm davonlaufenden Kind zu folgen.

„Sam, bleib sofort stehen! Pass auf! Verdammt.“ Er liess den Wagen los, gestikulierte wild, und man konnte sehen: Er war genervt.

Andy verfolgte die Szene: Das Kind nahm keinerlei Notiz von den Rufen und Flüchen, sondern marschierte schnurgerade, seinem Gesichtsausdruck nach wütend, weiter. Man konnte förmlich sehen, wie trotzig und beleidigt die Kleine schien. Wütend blieb sie bei einem schwarzen Range Rover stehen und trat mit ihren kleinen Füssen heftig in den Hinterreifen.

Andy musste schmunzeln und war gespannt, was noch passieren würde. Der grosse Mann, wahrscheinlich der Vater der Kleinen, eilte ihr, sichtlich genauso verärgert, hinterher. Als er das Auto erreichte, sagte er etwas zu dem Mädchen, was Andy jedoch nicht verstand, dem Kind jedoch nicht zu imponieren schien. Andy konnte nur sehen, wie er sich niederkniete, damit er auf gleicher Höhe mit dem Mädchen war, die Kleine mit seinen grossen, kräftigen Händen an den Armen packte und sie schüttelte, bis sie ihn ansah.

Andy wusste nicht, was sie antrieb, aber was sie sah, liess in ihr eine Wut aufsteigen, die sie nur selten spürte. Zu oft hatte sie in den letzten Jahren Kinder verarztet, die von ihren Eltern misshandelt worden waren. Es würde ihr nicht im Traum einfallen, zuzusehen, wie es vor ihren eigenen Augen geschah. Entschlossen einzugreifen, schritt sie auf die Szene zu, und es erschreckte sie zutiefst, wie streng und böse der Mann sein Kind beschimpfte. Die Kleine war völlig verängstigt, und Tränen standen in ihrem süssen Gesicht.

„Verdammt noch mal, Sam, was ist los mit dir? Wenn du noch einmal ...“

„Lassen Sie sofort das Kind los!“

Nash liess Sams kleine Arme sofort los, als hätte er sich an ihnen verbrannt. Genauso schnell schoss sein Blick zum Ursprung der fremden, bösen Stimme, die so gar nicht zu dem femininen Gesicht passte, das ihn anfunkelte. Zwei Blicke trafen sich und erstarrten für wenige Sekunden. Andy löste sich von den stechenden, blauen Augen und schaute in kleine, mit Tränen gefüllte Augen eines Mädchens, die sie erstaunt anschauten. Andy hätte diesem groben Klotz von Mann am liebsten eine geknallt. Was konnte ein so kleines Mädchen schon getan haben, damit man es so brutal packte und anschrie! Nichts konnte so schlimm sein, um so eine Aktion zu rechtfertigen.

Der Blick des Mannes spiesste sie geradezu auf. Langsam richtete Nash sich auf und positionierte sich mit seiner gewaltigen Körpergrösse vor Andy. Automatisch wich Andy einen Schritt zurück. Nash sah kurz zu Sam, hob Erica aus dem Kindersitz und stellte sie hin. Mit erstaunlich ruhiger Stimme wandte er sich an Sam: „Steig mit Erica bitte in den Wagen und schnalle dich an.“ Beide Mädchen sahen ihn an, dann blickten sie zu Andy, die es gewagt hatte, sich einzumischen. „Na, macht schon!“

Ohne weiteres Zögern kletterten die Mädchen in den Wagen, als wären sie es gewohnt, widerspruchslos seinen Anordnungen nachzukommen. Andy sah zu und war von der wechselnden Tonlage seiner Stimme völlig perplex und bereits unsicher, sich eingemischt zu haben, aber nun war es zu spät. Sie würde sagen, was sie dachte.

Nash schlug die Autotür zu, sobald die Kinder im Wagen sassen, und widmete sich voll und ganz der nervigen Lady, die die Frechheit besass, sich in seine Angelegenheiten zu mischen, von denen sie keine Ahnung hatte. Mit verschränkten Armen stand sie vor ihm und sah ihn immer noch streng und böse an, als hätte er was weiss ich getan. Er hasste es, wenn fremde Leute ihn als gewalttätig abstempelten, nur weil er laut geworden war und ihm die Nerven durchgegangen waren. Ihr Blick sagte ihm nämlich genau dies. Er baute sich noch ein wenig imposanter vor ihr auf, weil er genau wusste, wie man seinem Gegenüber Macht und Angst einflössen konnte. Unnachgiebige Überlegenheit und ein Blick, den er mit Sicherheit länger aufrechterhalten könnte, als die Blondine diesem standhielte. In wenigen Sekunden würde er wissen, ob diese Lady nur eine grosse Klappe hatte oder ob dahinter mehr Mut steckte. Als er jedoch ihre faszinierende Augenfarbe registrierte, wurde ihm kurz flau im Magen, und er musste sich zuerst sammeln.

„Haben Sie ein Problem?“

„Und ob ich ein Problem habe, wenn Sie ein Kind so schütteln.“ Sie fixierte ihn, und er musste zugeben: Die Lady hatte Mut, denn sie konnte locker mit seinem Blick mithalten. Nash hatte absolut keine Nerven mehr, sich auch noch einer antiautoritären, wahrscheinlich ledigen Besserwisserin zu stellen.

„Hören Sie zu, Silberauge, ich sag’s nicht gerne, aber was fällt Ihnen ein, sich in meine Angelegenheiten einzumischen? Wie ich mit meinen Kindern umgehe, geht Sie absolut nichts an.“ Das Silbergrau ihrer Augen färbte sich dunkler, und er konnte sehen, dass diese Frau keine Angst vor ihm hatte. Im Gegenteil, ihre Augen sprühten Funken.

„Oh nein, da liegen Sie falsch. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die wegsehen, wenn erwachsene Menschen kleine Kinder misshandeln.“

„Was? Jetzt machen Sie mal halblang, ich hab sie nicht miss...“

„Und wie nennen Sie das, wenn Sie dem kleinen Kind die Blutzufuhr in seinen Armen abdrücken, die Kleine schütteln und anbrüllen, bis sie weint?“

Die silbergrauen Augen fixierten ihn noch immer, und Nash fühlte sich auf einmal als grösster Idiot. Diese Frau hatte weder Furcht noch Hemmungen, und dies setzte ihm zu. Kaum hatte er dies begriffen, fuhr sie mit ihrer Meinung über ihn auch schon fort.

„Auch wenn die Kinder Sie vielleicht noch so genervt haben, rechtfertigt es nicht, sie so zu behandeln. Nichts rechtfertigt so was, absolut nichts.“ Sie holte Luft, und wenn er jetzt nicht seine Lippen auseinanderbringen würde, müsste er sich noch mehr anhören. Deshalb hob er abwehrend die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.

„Es ist okay, ich hab’s begriffen.“

„Gut so.“ Noch immer hielt sie seinem Blick stand.

Verdammt, die Lady war wirklich ein zäher Brocken. Er wandte den Blick von ihr ab und sah zu den Kindern. Sam sah ihn mit grossen Augen an, und er konnte noch immer Tränen in ihren Augen schimmern sehen. Sofort frass das schlechte Gewissen an ihm, aber verdammt, die Kleine hatte geklaut, und dies würde er niemals tolerieren. Er wandte sich wieder an die nervige Lady: „Sind Sie fertig? Kann ich dann gehen?“

„Sicher.“

Genervt drehte er sich, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, von ihr weg und öffnete den Kofferraum, um die Einkäufe zu verstauen. Er schloss die Hecktür und bemerkte, dass sie immer noch hinter ihm stand und ihn anstarrte. Wütend fuhr er zu ihr herum. „Ist noch was, Lady?“

„Nein.“

Andy war selber erstaunt über ihre Hartnäckigkeit, diesem Muskelprotz von Mann so standgehalten zu haben, entschied dann aber doch, sich zurückzuziehen, und marschierte, nochmals einen Blick zurückwerfend, zu ihrem Sportwagen. Sie konnte deutlich hören, wie er sie beim Einsteigen als dumme Ziege betitelte.

Sie ging weiter und sagte so laut, dass er es auch sicher hören konnte: „Blödmann.“

Andy brauste verärgert davon, nicht nur sauer über den fremden Mann, hauptsächlich war sie verärgert über sich selber. Sie hatte völlig die Kontrolle verloren. Wie konnte sie solche Anschuldigungen äussern, ohne genau zu wissen, was vorgefallen war? Ihre Arbeit in der Notaufnahme hatte sie sensibilisiert. Zu oft hatte sie schon Kinder oder Ehefrauen verarztet, die durch ihre Väter oder Ehemänner misshandelt worden waren. Die Missetäter hatten keinerlei Skrupel, die von ihnen Misshandelten danach auch noch selber in die Klinik zu bringen und den Medizinern dann irgendein Märchen aufzutischen, wie ihre Lieben zu ihren Verletzungen gekommen wären. Solche Ereignisse liessen Andy immer aufhorchen, und vielleicht urteilte sie in diesem Punkt manchmal wirklich vorschnell. Aber sie hatte schon so viele schrecklich zugerichtete Opfer gesehen. Nur selten konnten sie etwas gegen Misshandlungen unternehmen, denn die Opfer hatten viel zu grosse Angst vor ihren Peinigern. Sie wusste selber, wie schwierig es war, sich der Herausforderung zu stellen und den Angreifer anzuzeigen. Den Opfern konnte man nur beistehen, aber ihre Tyrannen mussten sie leider selber anzeigen. Bei Kindern allerdings lag die Lage etwas anders: Denen musste man helfen, die hatten ansonsten keine Möglichkeit, dieser Hölle zu entkommen. Wenn es um Kinder ging, konnte sie einfach nicht wegschauen und wurde automatisch misstrauisch. Gerade heute hatte sie einen kleinen Jungen verarztet, der innerhalb der letzten vier Wochen bereits zum zweiten Mal in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Die Mutter hatte ihnen eine Geschichte erzählt, die ziemlich weit hergeholt war, aber sie vermochten ihr das Gegenteil nicht nachzuweisen. In solchen Fällen konnte sie die Geschehnisse nur sehr genau dokumentieren für den Fall, dass später wieder etwas vorfallen würde. Erst dann hatten sie die Möglichkeit, den Sozialdienst einzuschalten, damit dieser die Geschehnisse genau abklären konnte. Es war immer ein Risiko, ob man sich einmischte oder nicht. Aber wenn sie wie eben Zeugin eines Vorfalles wurde, würde sie den Teufel tun und wegschauen. Vielleicht hatte sie eben zu heftig auf den wütenden Vater reagiert. Aber sein böser Blick und der feste Griff um die zarten Arme des Mädchens hatten sie tun lassen, was sie eben getan hatte. Vielleicht hatte er sie aus Sorgen und Angst angeschrien, wenn sie sich genau überlegte, wie unüberlegt und völlig unvorsichtig das kleine Mädchen über den Parkplatz gelaufen war. Ein kleines schlechtes Gewissen, aber nur ein kleines, kroch sich in Andys Magengrube. Verdammt, ich hab mich einfach nicht im Griff, wenn es um so was geht! Vielleicht waren die Anschuldigungen heute wirklich unberechtigt. Andy schlug wütend auf das Lenkrad. Ach was soll’s, dieser gut aussehende grobe Klotz, war schliesslich auch nicht gerade die Freundlichkeit in Person gewesen.

Eines musste sie ihm allerdings zugestehen: Er hatte sie nicht vor seinen Kindern beschimpft, dies hatte nur sie getan, und es war genau diese Eigenschaft, die sie davon überzeugte, dass es sich bei diesem Typen wahrscheinlich um einen Guten seiner Gattung handelte. Viel zu schnell wie meistens bog sie in ihre Auffahrt und wurde freudig von Tarzan erwartet, der beim vertrauten Motorengeräusch um die Ecke schoss. Das erste Lächeln an diesem Abend huschte ihr über die Lippen. Sie stieg aus, hob den Kater liebevoll hoch und drückte ihn an sich.

„Na, mein kleiner Schlingel, wo hast du dich den ganzen Tag herumgetrieben?“

Als hätte er ein schlechtes Gewissen, rieb er schnurrend das Köpfchen an ihrer Brust.

Andy musste lachen und liess ihn behutsam wieder zu Boden. Gerade als sie sich wieder aufrichtete, sah sie einen schwarzen Range Rover vorbeifahren. Zwei Häuser gegenüber bog er in die Einfahrt, hielt an, und als sich die Autotür öffnete und sich eine grosse Gestalt mit demselben roten T-Shirt, dem sie eben noch auf dem Parkplatz gegenübergestanden hatte, ausstieg, wusste nun auch Andy, wer vor vier Wochen in Mrs Tanners schönes altes Haus eingezogen war.

Na toll, der Typ war ihr Nachbar. Sein kurzer, böser Blick sagte ihr, dass auch er diese Neuigkeit gerade registriert hatte und genauso schockiert zu sein schien. Das kleine blonde Mädchen hatte sie ebenfalls erblickt und ihr schnell mit noch immer eingeschüchtertem Lächeln zugewinkt. Andy winkte zurück, und ihre Wut von vorhin hatte sie wieder voll im Griff. Die Kleine war eingeschüchtert, wahrscheinlich hatte er sie während der Heimfahrt weiter gemassregelt. Sie sah hinüber, wie er seine Einkäufe packte, die Kinder ins Haus scheuchte und ohne einen weiteren Blick zu ihr im Haus verschwand. Zornig knallte sie die Autotür ins Schloss und ging ins Haus. Freundchen, von nun an werde ich ein Auge auf dich werfen, ob dir das gefällt oder nicht!

Immer wieder fiel sein Blick auf das Nachbarhaus, während er seine Einkäufe in den Schränken verstaute. Er konnte es einfach nicht fassen: Seit wann hatte er den Blick auf seine nächste Umgebung verloren? Die attraktive, kesse Lady von gegenüber hätte ihm doch auffallen müssen. Noch nie in seinem Leben war es ihm passiert, seine Nachbarschaft in unmittelbarer Nähe nicht zu kennen oder wenigstens optisch wahrzunehmen. Schön, seit seine Grossmutter gestorben war und ihm das Haus hinterlassen hatte, hatte er kaum Zeit hier verbracht. Erst vor vier Wochen, seit das Wohnzimmer und die Küche bewohnbar waren und ihm das Hotelzimmer endgültig auf die Nerven gegangen war, hatte er sich entschlossen, hier einzuziehen. Trotzdem hätte ihm das doch auffallen müssen. Der böse Blick, der so gar nicht in das hübsche Gesicht passte, ging ihm einfach nicht aus dem Kopf, und dies wiederum besserte seine bereits angeschlagene Stimmungslage nicht gerade. Immer wieder dröhnten ihm ihre Worte Sie klemmen dem Mädchen die Blutzufuhr in ihren Armen ab in den Ohren. So einen Schwachsinn hatte er ja noch nie gehört! Allerdings war es nicht das erste Mal, dass ihn fremde Leute für gewalttätig hielten, und dies nur, weil er gross war.

Dass ihm aber jemals jemand diese Vermutung direkt ins Gesicht gesagt hätte, war ihm noch nie passiert. Er hatte grossen Respekt vor Leuten, die einem direkt sagten, was sie von einem hielten, aber wenn es einem dann geschah – und dann noch von so einer imponierenden, hübschen Person –, war das dann allerdings einprägsam. Das zerrte gewaltig an seinen Nerven, die momentan sowieso nicht die besten waren.

Die Trennung von Liz war nicht so einfach gewesen, wie er sich das gedacht hatte. Genauer gesagt, nagte es gewaltig an ihm, die Sache vermasselt zu haben. Aber was hätte er tun sollen: ihren Liebhaber ignorieren und weiter den liebenden Ehemann spielen? Nein, die Trennung war die Konsequenz ihrer vor drei Jahren übereilt geschlossenen Ehe. Eigentlich hatte er damals schon gewusst, er sollte das sein lassen, und Liz schien es genauso gegangen zu sein, wie sie ihm unverblümt vor Monaten ins Gesicht geschrien hatte. Sie waren sich schnell einig gewesen, die Trennung wäre das Beste für alle. Die Rechnung ging zwar für Liz und ihn auf, bei den Mädchen aber sah das ganz anders aus.

Seine Mädchen fehlten ihm wahnsinnig. Da war niemand mehr, der ihm liebevoll entgegenlief und um den Hals fiel, wenn er abends nach Hause kam. Die kleinen Alltagserlebnisse mit seinen Kindern vermisste er, und das Wissen, zukünftig nur noch einen eingeschränkten Einfluss zu haben, frass ihn manchmal beinahe auf. Er sollte sich endlich mit der Tatsache abfinden, den Grossteil ihres Lebens zu verpassen, aber dies tat einfach verflucht weh. Das Allerschlimmste für ihn jedoch war, nach einem Wochenende zwei traurige kleine Gesichter verabschieden zu müssen, die die ganze Scheisse, die ihre Eltern produziert hatten, einfach nicht verstanden. Manchmal machte es ihn krank, seinen Kindern das angetan zu haben. Seine verkorkste Kindheit hatte ihn immer davon abgehalten, Vater zu werden. Seine Kindheit war in letzter Zeit präsenter, weil er wusste, wie es sich anfühlte, verlassen zu werden. Wie oft hatte er sich als Kind gewünscht, er wäre seiner Mutter wichtig, und sie würde ihn nicht bei jeder Gelegenheit zu seiner Grossmutter abschieben oder, schlimmer noch, sich ihm selbst überlassen! Noch heute hatte er seiner Mutter dieses Handeln nicht verziehen. Er war nie wichtig für sie gewesen, und genau dies war der Grund, weshalb er nie Kinder haben wollte. Der Gedanke, diese schlechte Eigenschaft womöglich von seiner Mutter geerbt zu haben, hatte ihn immer in Panik versetzt.

Als er dann aber Vater wurde und erlebte, wie sich die kleinen Menschen auf ihn verliessen und wie es sich anfühlte, bedingungslos geliebt zu werden, konnte er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Seine Befürchtungen aber waren nicht ohne Grund gewesen, wie er sich jetzt eingestehen musste. Liz und er hatten es vermasselt. Er konnte ihnen die Scheidung nicht ersparen. Dennoch würde er für sie auch in Zukunft durchs Feuer gehen, was seine Mutter für ihn nie getan hatte.

Der einzige Trost war, dass die Kinder die am Ende bösen Streitigkeiten zwischen ihm und Liz nicht mehr würden ertragen müssen – was das Ganze natürlich nicht besser machte, denn das hatte ihm Sam im Einkaufscenter gerade aufgezeigt. Seit er nicht mehr zu Hause wohnte, spielte Sam förmlich verrückt und versuchte alles, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sam wusste genau, wie sie ihn weichklopfen konnte, um ihren Willen zu bekommen, aber was sie heute im Einkaufszentrum geleistet hatte, würde er ihr nie und nimmer durchgehen lassen. Es tat ihm im Herzen weh, wenn er sie leiden sah, und eigentlich sollte er die wenige Zeit, die er mit den Mädchen hatte, geniessen und nicht mit ihnen schimpfen. Wieder schoss ihm der böse Blick seiner Nachbarin in den Sinn; und trotzdem: Er konnte der kleinen, frechen Sam nicht jeden Schwachsinn und jede Trotzerei durchgehen lassen. Sam mit ihren sieben Jahren war schlau und würde ihm in Kürze auf der Nase herumtanzen, wenn er ihr alles durchgehen liesse. Bei Liz war sie mit diesen Spielchen erfolgreich, bei ihm aber lief das anders, und Sam wusste das ganz genau. Wenn sich allerdings eine fremde Frau einmischte und ihn ausschimpfte, registrierte Sam das auch minutiös, und sie hatte haarklein gesehen, wie er ins Wanken geraten war. Wieder wanderte sein Blick zum Nachbarhaus: Es lag ruhig da, und Nash fragte sich automatisch, was seine Nachbarin wohl gerade hinter den Mauern tat.

„Du hast uns ein Eis versprochen.“

Nash drehte sich um, und da stand sie: unschuldig, reumütig und ihre kleine Schwester vorschiebend, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

„Ich auch Eis.“

Mein Gott, wie er diese Kinder liebte! Nie hätte er gedacht, dass er jemals jemandem so bedingungslos lieben könnte.

„Und du denkst, du hast das verdient?“

Sam rümpfte die Nase und sah ihn herausfordernd an. „Erica schon.“

„Ja, Erica schon, und was ist mit dir?“

„Ich will keines.“ Beleidigt verliess sie die Küche.

Nash gab Erica ein Eis, hob sie hoch und küsste sie auf die Wange, bis Erica vor Vergnügen quietschte. „Mein Gott, bin ich froh, dass du, mein kleiner Sonnenschein, mir noch nicht die Stirn bietest!“ Er liess sie wieder nieder, und sie hüpfte glücklich ihrer Schwester nach.

Einige Minuten später machte er sich auf die Suche nach Sam. Die kleine Kröte wusste genau, wie sie ihm ein schlechtes Gewissen einbläuen konnte. Ein kleines „Ich hab’s nicht absichtlich getan“ oder „Es tut mir leid“, und sie hätte ihr verdammtes Eis gekriegt, aber nein. Dieses Kind war so was von starrsinnig!

Da sass sie, auf den Verandastufen, die in den Garten führten, mit Erica und bettelte ihrer kleinen Schwester von ihrem Eis ab. Innerlich musste Nash lachen: Sie wusste genau, wie sie an ihr Ziel kam. Sam würde sich in ihrem Leben immer durchmogeln, dessen war er sich jetzt schon sicher. Sie hatte etwas Unschuldig-liebenswert-Freches an sich, was ihm damals, als er Liz kennengelernt hatte, auch zum Verhängnis geworden war. Bei ihrem ersten Treffen hatte er sich sofort in den kleinen Fratz verliebt.

„Sam, komm mal her.“

Zaghaft drehte sie sich um und sah ihn mit den gleichen grossen Augen, wie Liz sie hatte, an.

„Na, komm schon.“

Seine Stimme war weich, und Sam kannte seine Stimmung genau. Langsam erhob sie sich und ging vorsichtig auf ihn zu.

Nash kniete sich zu ihr hinunter, damit er auf gleicher Höhe mit ihr war. Mein Gott, er konnte ihr ansehen, wie traurig und verwirrt sie war! Sie litt unter der Trennung mehr, als Liz und er angenommen hatten. Anfangs war es den Kindern nicht so aufgefallen, da er schon immer wenig zu Hause war. Seit er aber ein neues Zuhause hatte und Liz sich seit einigen Wochen mit einem anderen Mann traf, registrierten sie das ständige Hin und Her zwischen ihren Eltern erst richtig. Erica war noch zu klein, um das ganze Durcheinander, das entstanden war, zu verstehen, Sam jedoch wusste genau, was passieren würde. Diesen ganzen Mist hatte sie bereits vor vier Jahren schon einmal durchgemacht. Das kleine Mädchen hatte Angst, dass der Mann, der sie durch die Luft warf, sie zum Basketball mitnahm, ihr das Radfahren beigebracht hatte, wieder aus ihrem Leben verschwinden würde.

Nash sah sie an und begann: „Tut mir leid, dass ich dich angebrüllt habe.“

Sam nickte nur, der traurige Ausdruck in ihren Augen jedoch verschwand nicht. Nash wusste: Er müsste es ihr erklären.

„Hör zu, es war nicht okay, dass ich ausgerastet bin, aber es war auch nicht okay, was du gemacht hast. Wenn man etwas nicht kriegt, was man möchte, dann klaut man es nicht einfach. Das weisst du ganz genau. Oder etwa nicht?“

Sam sah ihn nur an.

„Sam?“

Sam nickte nur und fragte: „Hast du’s zurückgegeben?“

„Ich hab’s bezahlt.“

„Dann gehört’s jetzt mir.“

„Nein, es gehört mir, ich hab’s bezahlt.“

„Aber du kannst es doch gar nicht gebrauchen.“ Ihre bezaubernde Art, die er so liebte, war wieder in ihre Gestalt zurückgekehrt, und er musste sich bemühen, sich von ihr nicht aufs Kreuz legen zu lassen.

„Hör zu, Sam, du kriegst es nicht; ich hab dir eben erklärt, warum. Ich will, dass du mir versprichst, nie mehr wieder irgendetwas von irgendjemandem oder aus irgendeinem Laden zu stehlen.“

Bereits gelangweilt von seiner Rede, willigte sie langatmig ein. „Okay.“

Nash zog sie in seine Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Sam schmiegte sich an ihn und wusste: Wenn er sie so hielt, war alles wieder gut.

„Ich liebe dich, meine Süsse.“

„Darf ich jetzt ein Eis?“

Er liess sie los. „Hol dir eins.“ Schmunzelnd sah er ihr nach, wie sie blitzschnell im Haus verschwand. Er war kein Ungeheuer, der seine Kinder misshandelte. Sicher hatte er so seine eigenen Erziehungsmethoden, aber die schadeten seinen Kindern nicht. Im Gegenteil, meistens funktionierten sie sogar. Seine beiden Mäuse liebten ihn, dessen war er sich hundertprozentig sicher.

Sonntag, 7. Mai, 22.05 Uhr

Er stand wie ein gesättigtes Tier vor seiner Bilderwand im Wohnzimmer und schlürfte am Kaffee, den er in der Hand hielt. Er würde sie alle auslöschen und die zu ihnen gehörigen Tiere auch. Zuerst ihre Tiere und danach alle, die unfähig waren, ihre Arbeit richtig zu erledigen. Nur so würden sie am eigenen Leib spüren, wie es war, jemanden zu verlieren, den man liebte. Und wenn das nur ihr Haustier war. Tränen schimmerten in seinen dunklen Augen. Eigentlich dachte er, der Schmerz, der ihn seit Monaten quälte, würde durch seine Tat ein wenig gelindert werden. Als er sein Messer aus dem Bauch des kleinen Dackels gezogen hatte, war das Gefühl der Rache grossartig gewesen, nun aber verflog die Genugtuung, wenn er das Bild des uniformierten Security-Schweines mit seinem aalglatten Gesicht betrachtete. Wenn dieser Versager seinen Job korrekt ausgeübt hätte, wäre sein Leben heute noch in Ordnung. Sein Glück war im gleichen Moment verflogen, in dem dieser Versager von der Presse gekrönt wurde. Dabei war er nicht mal auf seinem Posten gewesen, als es passiert war. Nun aber würde auch er spüren, wie es war, wenn man etwas verlor, was einem ans Herz gewachsen war. Sein kleiner, kläffender Hund war nur der Anfang.

Er marschierte in die Küche, nahm das Messer, das noch immer mit dem Blut des stinkenden Dackels beschmutzt war, in die Hand und säuberte es unter dem kalten Wasserstrahl. Seine Gedanken rasten. Schon in seiner kläglichen Kindheit hatte oft ein Durcheinander in seinem Kopf geherrscht. Bilder von damals erschienen ihm, wurden von glücklichen Tagen mit Stella erhellt und verblassten wieder durch blutverschmierte Stofffetzen zwischen seinen Händen. Angestrengt schüttelte er den Kopf und versuchte, die Gedanken zu ordnen, um sich einen Plan zurechtzulegen. Er brauchte Ordnung in seinem Tagesablauf, ansonsten geriet er in Schwierigkeiten.

Säuberlich räumte er nach seiner kargen Mahlzeit alles wieder an seinen geordneten Platz. Keine Brotkrümel waren zu sehen, und wenn es etwas Positives gab an seinem plötzlichen Alleinsein, dann war das die Ordnung in seiner Wohnung. Stella war manchmal zu nachlässig gewesen, und er hatte sie oft massregeln müssen. Aber Ordnung ersparte einem viel Zeit und Mühe. Warum hatte sie das nie begriffen? Ärgerlich über Stella, setzte er sich an seinen Arbeitstisch und begann, seinen Zeitplan für den nächsten Tag aufzustellen:

5.30 Aufstehen

5.55 Frühstücken

6.15 Zur Arbeit fahren (Handy, Mittagessen, n. v.)

17.00 Nach Hause fahren

17.15 Sich ausruhen

18.00 Abendessen vorbereiten (Makkaroni mit Käse)

18.30 Essen

18.40 Küche aufräumen

19.30 E-Mails checken, gamen und fernsehen

22.30 Kleider für nächsten Tag bereitlegen

22.35 Schlafen gehen

Zufrieden legte er den Stift zur Seite und freute sich bereits auf den Tag, an dem er in seinen Plan eine weitere Abwechslung wie heute eintragen könnte.

Kapitel 2

Freitag, 12. Mai, 19.00 Uhr

Pfeifend stand Andy in der Küche und bereitete das Abendessen vor. Sie freute sich auf einen gemütlichen Abend mit ihren Freundinnen. Es kam so selten vor, dass sie sich treffen konnten. Irgendwelche Verpflichtungen oder Termine kamen immer dazwischen. Aber heute hatten sie es wieder einmal geschafft, einen gemeinsamen freien Abend zu viert zu verbringen.

Andy musste sich ranhalten, um mit dem Abendessen rechtzeitig fertig zu werden. Nach einem Neunstundentag war sie zwar erledigt, aber die Vorfreude auf einen gemütlichen Abend mit ihren Freundinnen gab ihr die nötige Energie. Bevor Andy sich in die Küche stellte, räumte sie schnell die Unordnung in ihrem Wohnzimmer auf und huschte unter die Dusche. Keine ihrer Freundinnen erwartete ein Fünfsternemenü, dennoch wollte Andy wie üblich etwas Besonderes aus ihrer Heimat auf den Tisch bringen. Beim Kochen konnte Andy sich entspannen und die oft emotional anstrengenden Klinikarbeitstage abschütteln. Auch jetzt schweifte sie ab und musste an ihre Freundinnen denken. Oft hatten sie sich in den letzten Tagen nicht gesehen, obwohl sie alle im selben Krankenhaus arbeiteten.

Da war Alice, die wahrscheinlich gerade ihren Mann anwies, er solle pünktlich ihren Sohn vom Baseballtraining abholen, damit sie noch das Dessert zubereiten konnte, das sie mitzunehmen versprochen hatte. Alice war eine unkomplizierte, etwas herrschsüchtige Frau, die immer alles perfekt im Griff hatte. Ihre zwei Männer inbegriffen. Man konnte sagen, zu Hause hatte sie das Sagen, was ihrem Bob nur recht war, da er es hasste, Entscheidungen selber zu treffen. Alice war ein Segen für die Menschheit, denn so barsch, wie sie manchmal war, so herzlich konnte sie sein. Stets hatte sie ein offenes Ohr für die Sorgen und Ängste ihrer Mitmenschen und hatte die ideale Berufswahl als Krankenschwester getroffen. Andy wünschte sich oft, sie hätte so Ordnung in ihrem Leben. Wie Dana war sie chaotisch und unorganisiert. Dies allerdings nur zu Hause. In ihrem Job war sie die perfekte Kinderärztin. Dana war die jüngste von ihnen. Andy liebte sie, sie war einfach erfrischend jung und immer gut gelaunt. Als Dana vor eineinhalb Jahren als Assistenzärztin unter ihr angefangen hatte, hatten sie gleich einen guten Draht zueinander gefunden. Dana wurde wegen ihrer unkomplizierten Art von allen geliebt. Auch an ihren Mädelsabenden war sie diejenige, die immer für einen frechen Spruch gut war. Andy war immer wieder erstaunt, wie verschieden sie doch alle waren und es dennoch genossen, befreundet zu sein. Da war die durchorganisierte, feinfühlige, manchmal barsche, verheiratete Alice das pure Gegenteil der ausgeflippten, stets lachenden und Männer tötenden Dana. Und Conny, die Stille, hatte sich vor drei Jahren durch eine Weiterbildung zur Physiotherapeutin ausbilden lassen und somit ein Stück Freiheit zurückerkämpft, das sie seit ihrer Heirat mit Daniel verloren hatte. Sie war sensibel und gefühlvoll, was Andy an ihrem ersten Arbeitstag in der Klinik sofort aufgefallen war. Sie hatte damals Conny gesehen und bereits nach wenigen Worten gewusst: Auf diese Frau war Verlass, und sie würde sie mögen.

Das Telefon riss Andy aus ihren Gedanken. Schnell trocknete sie die Hände ab und hoffte, es wäre nicht das Krankenhaus, das ihr eine weitere Schicht aufdrücken wollte.

„Hi, Conny, bin ich erleichtert, dich zu hören. Ich dachte schon, es wäre das Krankenhaus.“

„Du hast doch nicht etwa Bereitschaft?“

Es kam keine Antwort.

„Ich glaub das nicht, du hast tatsächlich Bereitschaft?“

„Das war ein Notfall.“

„Bei euch Ärzten ist es immer ein Notfall.“

„Ich musste übernehmen, da Doktor Segelohren sich ja, wie du weisst, so ungeschickt in die Finger geschnitten hat, dass er zurzeit unmöglich ein Skalpell halten kann.“

„Ist schon gut, ich hab von diesem Trottel gehört. Es ist ja nicht das erste Mal, dass er uns den Abend versaut.“

„Er versaut uns unseren Abend nicht, ich muss nur hin, wenn die erste Bereitschaft ausfällt. Also beruhige dich wieder, das kam noch nie vor.“

„Na, dann hoffen wir mal auf gute Sterne. Aber eigentlich wollte ich nur schnell fragen, ob es dir was ausmacht, wenn ich Coco mitnehme. Du weisst doch, ich will sie nicht alleine lassen, falls sie heute wirft.“

„Na toll! Mir wäre eigentlich lieber, wenn sie ihre Welpen nicht in meinem Wohnzimmer bekäme. Was ist mit Daniel?“

„Der hat einen seiner heiligen Pokerabende, und da ich bereits gestern weg war, war er der Meinung ich sei heute dran mit Babysitten.“

„Na gut, okay, ich werde sehen, dass ich Tarzan irgendwie draussen halten kann.“

„Andy, du bist ein Schatz. Also dann bis acht.“

Andy konnte sich nicht einmal verabschieden, so schnell hatte Conny aufgelegt. Conny und Daniel waren schon ein seltsames Paar. Seit acht Jahren waren sie nun verheiratet, und seit Andy die beiden kannte, und dies war nun auch bereits fast drei Jahre, waren sie ständig am Streiten. So, wie Conny es immer erklärte, war es harmlos, aber Andy und ihre Freundinnen wussten: So harmlos, wie sie es immer abtat, waren ihre Streitigkeiten bei Weitem nicht. Conny, das wussten sie alle, hätte gerne Kinder, Daniel dagegen fühlte sich noch zu unreif fürs Vatersein. Dem konnte Andy nur beipflichten. Daniel war nicht gerade ein Volltreffer von einem Mann. Wenn er nicht vor dem Fernseher herumhing, dann hing er mit seinen sogenannten Kumpels in der Kneipe und spielte Poker. Conny fand diese Abende, die sie einsam zu Hause war und wartete, bis ihr Göttergatte endlich nach Hause kam, zum Schreien. Die Abende, die sie mit den Mädels verbrachte, genoss sie umso mehr, und sie waren stets eine erfreute Abwechslung für sie. Andy konnte oftmals nicht begreifen, warum Frauen bei einem Mann blieben, der einem das eigene Leben nicht mehr bereicherte. Aber sie selber hatte ja vor Jahren auch zu lange gewartet, bis sie Carl endlich verlassen hatte. Andy verscheuchte die aufkommenden Gedanken an Carl sofort und widmete sich wieder dem Gemüse. Wie immer traf Dana als Letzte im Kreise des Mädelsabends ein. Sie erschien strahlend schön und gut gelaunt.

„Na, Mädels, habt ihr mich schon vermisst?“

„Nicht dich, die zwei Flaschen Wein, die du hoffentlich nicht vergessen hast“, fauchte sie Alice an, die es nicht ausstehen konnte, dass Dana immer eine halbe Stunde zu spät kam.

Dana aber schwenkte die beiden Flaschen fröhlich in den Händen. „Reg dich ab, Alice, ich bin nur 15 Minuten zu spät. Und im Übrigen stehe ich bereits seit fünf Minuten vor der Tür und habe Andys neuen Nachbarn beobachtet. Süsser Typ!“

„Welchen meinst du denn, Mr Summer oder Mr Jackson? Ich wusste ja gar nicht, dass du seit Neuestem auf ältere Semester stehst.“

Conny und Alice lachten. „Oh ja, die sind wirklich süss!“

„Ich rede von dem gut aussehenden Nachbarn schräg gegenüber, von dem Andy uns noch nie erzählt hat. Seit wann wohnt in dem alten Haus wieder jemand?“

Alle sahen zu Andy, die aus unerklärlichen Gründen rot anlief und verlegen wurde. „Was seht ihr mich so an? Ich kenne den Kerl nur flüchtig, und das nicht gerade im positiven Sinne.“

„Und das soll heissen?“

Andy hatte wirklich keine Lust, sich den gemütlichen Abend durch das Thema „Neuer Nachbar“ verderben zu lassen. „Mädels, muss das jetzt sein?“

„Ja!“, kam es wie aus einem Munde geschossen, und Andy sah ein Schmunzeln auf allen drei Gesichtern.

„Okay, ganz kurz: Der gut aussehende Typ hat schlechte Manieren und behandelt seine Kinder jämmerlich.“

„Ist er verheiratet?“ Dana wollte wie immer alles genau wissen.

„Wahrscheinlich geschieden, nehme ich wenigstens an, oder vielleicht behandelt er ja seine Frau auch beschissen und sperrt sie den ganzen Tag ein.“

Alice konnte spüren, wie es in Andy anfing zu brodeln – wie immer, wenn sie der Ansicht war, jemand behandle seine Mitmenschen schlecht. „Darf man wissen, was zwischen euch vorgefallen ist?“

„Wie kommst du denn darauf, dass zwischen uns etwas vorgefallen wäre?“ Andy war es unangenehm. Sie wollte die Geschehnisse vom Einkaufszentrum nicht preisgeben, da sie ihr peinlich waren.

„Weil du dich sonderbar benimmst, wenn es um deinen neuen Nachbarn geht, deine Meinung über ihn nicht gerade schmeichelhaft ist und dies im Normalfall überhaupt nicht deine Art ist“, mischte sich nun auch Conny ein.

„Erzähl schon, was hat er den so Schreckliches getan?“, drängte sie Dana.

Andy fühlte sich in die Enge getrieben und gab sich geschlagen. Mit kurzen Worten erzählte sie die Begebenheit vom Einkaufszentrum. „Seit da allerdings hab ich ihn nicht mehr gesehen. Weiss der Geier, was für ein Job er ausübt, denn oft kommt er spät in der Nacht nach Hause. Es wäre kein Wunder, wäre er geschieden.“

„Vielleicht ist er ja Arzt.“ Alle mussten sie lachen.

„So egal scheint er dir also doch nicht zu sein, wenn du ihn bereits heimlich beobachtest.“ Die drei Frauen lachten, was Andy überhaupt nicht witzig fand.

„Ach, Quatsch, ich behalte ihn nur im Auge, falls an meiner Vermutung doch was dran ist.“

Conny stöhnte auf: „Nein, ehrlich, Andy, hör auf damit. Nicht jeder misshandelt seine Kinder, nur weil er sie mal anbrüllt oder sauer auf sie ist. Stimmt doch, nicht wahr, Alice?“

„Kommt darauf an, was Andy als Misshandlung ansieht. Wenn ein Klaps auf den Hintern dazugehört, hab ich, ehrlich gesagt, meinen Sohn öfters misshandelt.“

„Das tue ich nicht, und das wisst ihr genau. Ihr alle habt schon zur Genüge Misshandlungsopfer gesehen, und ihr wisst ganz genau, was ich meine. Ich sag ja nicht, er misshandle seine Kinder, aber er hat sie eben auch nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. Ich schlage vor, wir lassen das Thema, denn ich habe gehofft, einen netten Abend mit euch zu verbringen.“

„Von mir aus, aber wenn ich du wäre, würde ich mir dieses imposante Mannsbild mal genauer unter die Lupe nehmen. Er ist süss.“ Dana zwinkerte ihr zu, und dies war typisch für sie. In Sachen Männer hatte sie noch nie etwas anbrennen lassen und sämtliche Unverschämtheiten ausprobiert. Seit drei Monaten jedoch war sie in einen fünf Jahre jüngeren Landschaftsgärtner verliebt.

„Und wie geht’s deinem Gärtner?“, fragte Andy daher unschuldig.

„Sehr gut.“ Sie strahlte übers ganze Gesicht. „Ehrlich gesagt, habe ich ja gedacht, es wäre nur eine Sexgeschichte, doch langsam, aber sicher entwickelt es sich zu etwas wirklich Grossem. Ob das in Anbetracht unseres Altersunterschieds was Gutes ist, weiss ich allerdings noch nicht.“

„Und in Anbetracht eures Klassenunterschiedes“, konterte Conny. Jeder in der Stadt kannte die Familie Cooper. Der Vater Chefarzt an der Klinik, an der sie alle arbeiteten, und die Mutter eine bekannte Anwältin, die einen Landschaftsgärtner in der Familie nur ungern sehen würde. Da sie aber die Wankelmütigkeit ihrer Tochter mittlerweile kannten, machten sie sich noch keine grossen Gedanken über ihre jetzige Bekanntschaft.

„Vielleicht ja, aber darüber mach ich mir momentan keine Gedanken. Der Sex ist gut, sein Humor grossartig und sein Einfühlungsvermögen einfach liebenswürdig.“ Man konnte ihr ihre Begeisterung von Gary ansehen, und wenn sie ehrlich waren, beneideten sie sie alle ein wenig darum.

„Einen Typen mit diesen Eigenschaften sollte man eigentlich so schnell wie möglich vor den Traualtar zerren“, frotzelte Alice.

Alle lachten sie und stiessen auf einen gelungenen Beginn eines unbeschwerten Abends an.

Samstag, 13. Mai, 4.30 Uhr

Nash sehnte den Tag herbei, an dem er wieder einmal mehr als nur fünf Stunden Schlaf bekam. Seit Wochen observierten und recherchierten sie hinter einer Drogenbande her. So, wie die Dinge zurzeit standen, müssten sie den Drogenring in kürzester Zeit sprengen können. Einer seiner fähigsten Leute hatte sich geschickt als Undercoveragent in die Bande eingeschlichen und belieferte sie regelmässig mit detaillierten Informationen. Gerade eben kam er von einem Treffen mit Luke, der ihm Zeit und Ort des nächsten Riesendeals bekanntgegeben hatte. Der Gedanke daran, wie Luke zurzeit mit dem Leben spielte, beschlich ihn oft mit Unbehagen, und dennoch wusste er, wie man als Undercoveragent die Adrenalinschübe liebte. Er war selber mal einer von ihnen gewesen. Jahrelang hatte er verdeckt gearbeitet und ein Leben geführt, wie es kein normaler Mensch eigentlich führen sollte. Aber die Anspannung und die Herausforderungen liessen ihn in seinen Undercoverjahren hochleben, und er hätte sich zu jenem Zeitpunkt kein anderes Leben gewünscht. Luke war ähnlich wie er, und seit er als Leitender Lieutenant die Truppe Drug Enforcement Administration (DEA) vor drei Jahren übernommen hatte, war auf Luke immer hundertprozentig Verlass gewesen. Sein Job machte Nash Spass, auch wenn er manchmal zu oft an den Schreibtisch gebunden war und nur noch bei Grosseinsätzen zum Einsatz kam. Die jetzige Arbeit hatte so ihre Vor- und Nachteile, einerseits war sie regelmässiger und familienfreundlicher, andererseits fehlten ihm eben die sogenannten Adrenalinschübe. Wenn er dann aber an seine beiden Mädchen dachte, war dieser Verzicht ein kleiner, und vor allem war er nicht gefährlich. Wenn nichts dazwischenkam, würden ihn seine Töchter, er schaute auf die Uhr, in genau vier Stunden für zwei Tage besuchen. Es blieben ihm also beschissene vier Stunden, die er sich aufs Ohr legen konnte, bevor ihn die zwei Wirbelwinde in Beschlag nehmen würden.

Er bog in seine Strasse ein, und sein Blick fiel, wie immer seit der Bekanntschaft mit seiner impulsiven Nachbarin, auf ihr Haus. Er wusste selber nicht, wieso, aber die Neugier, ob sie zu Hause sei oder nicht, wurde von ihm aufs Genaueste registriert. Er konnte nicht glauben, was er sah: Wie es schien, war ihr Besuch noch immer da. Als er um zwei Uhr früh aufgebrochen war, um sich mit Luke zu treffen, wagte er im Vorbeifahren einen Blick durch die hell erleuchteten Fenster. Vier Frauen waren in nicht zu übersehender Ausgelassenheit am Tanzen und lachen. Er hatte Silberauge genau erkennen können, wie sie ihre Hüften schwang und herzlich lachte. Sein Interesse an seiner Nachbarin und seine Neugier irritierten ihn. Warum sie ihm seit dem Zusammenstoss auf dem Parkplatz nicht mehr aus dem Kopf ging, wusste er selber nicht.

Was zum Geier trieben Frauen von abends um acht bis morgens um halb fünf Uhr früh eigentlich? So viel Gesprächsstoff gab’s doch nicht einmal, wenn alle vier sich über ihre Männer beklagten. Oder etwa doch? Seit Sex in the City wurde die Männerwelt ja eines Besseren belehrt. Es standen ihm heute noch die Haare zu Berge, wenn er an den Streit mit seiner damaligen Freundin dachte, nur weil sie eine der Folgen verpasst hatte, weil sie zu spät von ihrem Ausflug zurückgekommen waren. Auch Liz hatte sich die Wiederholungen der Serie immer wieder reingezogen, und wenn er dann eine Bemerkung hatte fallen lassen, hatte sie ihm Unverständnis vorgehalten. Solch kleine Bemerkungen waren dann oft zu einem unnötigen Streitpunkt geworden, als hätte sie auf ein falsches Wort seinerseits gewartet. Nash hatte sich oft gefragt, ob er wirklich drei Jahre bei ihr geblieben wäre, wenn da nicht Erica gewesen wäre. Wahrscheinlich nicht, denn wenn er ehrlich mit sich war, hatte er Liz nie richtig geliebt. Wäre sie nicht nach fünf Wochen schwanger geworden, hätten sich ihre Wege wahrscheinlich schon nach wenigen Wochen getrennt. Heute wusste er: Die Liebe, die er damals gemeint hatte zu empfinden, hatte nie gereicht für eine Ehe, bis das der Tod einen scheidet. Zu ihrer damals vierjährigen Tochter jedoch hatte er gleich die Verbundenheit gespürt, die einen alles tun liess, damit man sie nicht verlöre. Das Kind hatte ihm regelrecht den Kopf verdreht und ihn als Vater akzeptiert, als hätte es nie einen anderen gehabt. Sein Herz war aufgesprungen wie eine Muschel, als die Kleine ihm zum ersten Mal ihre kleinen Arme um den Hals gelegt hatte, um Schutz und Liebe zu empfangen, die er ihr bedingungslos geschenkt hatte. Der Kinder wegen war er bei Liz geblieben, obwohl er wusste, wie falsch das war. Als er sie dann aber vor einem halben Jahr mit diesem Jüngling Frank, den sie ihm Fitnesscenter kennengelernt hatte, knutschend auf seiner Couch vorgefunden hatte, war das Mass voll gewesen. Der Punkt war gekommen, ihre nicht mehr existierende Ehe aufzulösen. Sie waren sich darüber beide einig gewesen, und er hatte sich im Nachhinein gefragt, wie lange sie schon fremdgegangen sei. Er war ihr immer treu gewesen, und es hatte gewaltig an seinem Ego gekratzt, dass sie anscheinend nicht ebenso tugendhaft gewesen war. Aber es war das Beste, wenn auch nicht für die Kinder. Die Entscheidung, getrennte Wege zu gehen, lehrte sie, wieder normal miteinander zu kommunizieren, was ihm wichtig war. Auch wenn sie regelmässig noch ein Riesentheater veranstaltete, wenn mal etwas nicht so lief, wie es geplant war. Eines jedoch wusste er: Sie war seinen Kindern eine gute Mutter.

Nachdenklich bog er in seine Einfahrt und stieg aus. Noch einmal wagte er einen Blick in Richtung Nachbarhaus, schüttelte den Kopf und verschwand dann nach drinnen.

Kapitel 3

Samstag, 13. Mai 8.30 Uhr

Kinderlachen weckte Andy. Müde drehte sie sich zum Wecker und stöhnte, halb neun. Die Sonne schien durch die Lamellen am Fenster und dämpfte die Helligkeit, die ihr einen rasenden Schmerz im Kopf verursachte. Mein Gott, sie hatten es wirklich wieder einmal übertrieben. Es kam selten vor, dass einer ihrer seltenen Frauenabende so aus dem Ruder lief und erst um fünf Uhr am Morgen endete. Eigentlich war es nicht zu verantworten, schliesslich stand sie an zweiter Stelle des Bereitschaftsdienstes. Wenn die Erste ausfiel, was allerdings eher selten der Fall war, müsste sie mit ihrem vernebelten Kopf zum Dienst. Sie wäre wohl in diesem Moment kaum in der Lage, irgendjemanden fachmännisch zu versorgen, geschweige denn, mit einem Skalpell umzugehen. Vor Stunden wäre nicht mal daran zu denken gewesen. Wie konnten sie alle so unverantwortlich gewesen sein? Sie und auch ihre Freundinnen waren, was ihren Beruf anbelangte, sehr verantwortungsbewusst. Aber was soll’s, Andy hoffte auf keinen Anruf aus dem Krankenhaus, und wenn sie an den lustigen Abend zurückdachte, waren ihre Kopfschmerzen das allemal wert.

Ihre Gedanken schweiften zum Abend zurück, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie daran denken musste, wie sie sich alle vor Lachen den Bauch gehalten hatten, als Alice ihnen erzählt hatte, wie ungeschickt Benny sich angestellt habe, als sie ihm die Anwendung eines Kondoms an einer Banane habe beibringen wollen. Sie konnten nicht fassen, dass Alice ihren Sohn in eine so peinliche Situation gebracht hatte. Alice erzählte ihnen die Geschichte so ernsthaft, dass sie einfach nicht anders konnten als lachen. Alice konnte nicht verstehen, warum ihre Freundinnen dies so witzig fanden, schliesslich habe ihr Sohn jetzt eine Freundin, und sie würde ihm nicht verbieten, mit ihr zu schlafen, aber sie würde dafür sorgen, dass er sich dabei schützte.

Andy lächelte zufrieden, als sie an die Geschichten dachte, die sie einander erzählt hatten. Diese Abende gaben ihr einfach viel und liessen die anstrengenden Tage in den Hintergrund rücken. Mit grosser Anstrengung stieg sie aus dem Bett und ging ins Badezimmer, wo sie aus dem Fenster schaute. Von da hatte sie die beste Sicht auf die Einfahrt ihres Nachbars.

Da stand er, warf seinen Töchtern den Ball zu und lächelte. Der Mann konnte ja lächeln! Kaum zu glauben. Er hatte ja sogar Spass, wie sie sehen konnte. Sie schaute ihnen einige Minuten zu, und in Andy kroch ein Gefühl der Eifersucht auf. Immer hatte sie sich eine Familie gewünscht und hatte vor Jahren diese Sehnsucht begraben, weil sie ehrlich mit sich sein musste. Sie war nicht fähig, mit einem Mann zusammenzuleben. Einmal hatte sie es seit Carl versucht, was in einer Katastrophe geendet war, danach waren ihre kurzen Bekanntschaften immer kläglich nach kurzer Zeit gescheitert – was, das wusste sie, mit dem Carl-Desaster zusammenhing. Natürlich könnte sie alleine ein Kind grossziehen, aber das wollte sie nicht. Ein Kind brauchte auch einen Vater, da war sie ganz altmodisch. Trotzdem erfasste sie immer mal wieder, zu den unmöglichsten Zeiten und völlig unvorbereitet wie jetzt, ein tiefer Schmerz. Abrupt drehte sie sich vom Fenster weg und ging auf die Toilette, um sich zu erleichtern.

Müde schleppte sie sich wieder zu Bett und versuchte, noch ein wenig zu schlafen. Ihre Gedanken kreisten um allerlei Dinge, die Arbeit, ihre Freundinnen. Waren sie bereits auf? Alice bestimmt. Dana sicherlich nicht, und Conny, die Ärmste, hatte heute die ganze Sippe ihres Mannes zum Abendessen eingeladen und war bestimmt bereits beim Einkaufen. Andy dachte, wie gut es ihr doch gehe, so ungebunden und ohne Verpflichtungen. Da war einzig und alleine Tarzan, den sie versorgen musste. Wieder hallte Gelächter von gegenüber durch das Fenster, und sie musste sich eingestehen, ab und zu wären mehr Verpflichtungen erstrebenswert.

An Schlaf war nicht mehr zu denken: Mr Jacksons Rasenmäher ertönte von nebenan durch ihr Fenster, und sie konnte Mrs Miller hören, wie sie lautstark nach ihrem Kater Max rief und sich dann mit irgendjemandem unterhielt. Die Geräusche erinnerten sie an ihre Jugend. Damals war an den Samstagen auch das Leben rund um ihr Elternhaus erwacht, und es hörte sich im fernen Amerika in einem kleinen Stadtviertel von Racine genauso an. Manche Dinge schienen überall gleich zu funktionieren. Noch immer völlig erledigt, entschloss sie sich aufzustehen und wurde auch schon, kaum kam sie die Treppe heruntergestiegen, von Tarzan miauend begrüsst. Glücklich über eine freudige Begrüssung, füllte sie ihm seinen Futternapf und stellte die Kaffeemaschine ein. Andy sah Tarzan zu, wie er sich genüsslich an das Fressen machte, und überlegte sich, was sie die beiden freien Tage alles erledigen musste. Sie würde die frischen Blumensetzlinge pflanzen, die sie vor zwei Tagen gekauft hatte, danach würde sie wie immer in ihrer Freizeit ein wenig Sport treiben, und ansonsten würde sie nur faul herumhängen und sich wieder einmal richtig entspannen. Es gab Tage wie heute, da freute sie sich darüber, nichts anderes zu tun, es gab aber seit dem Tod ihrer geliebten Tante oft freie Tage und auch Abende, da wünschte sie sich, es würde mehr Trubel um sie herum herrschen. Das Leben jedoch hatte wahrscheinlich für sie nichts anderes vorgesehen, und wenn sie ehrlich mit sich war, war das von ihr ja oft selbst so gesteuert worden. Immer wenn ihr ein Mann nähergekommen war, blockte sie innerlich ab und fand die absurdesten Ausreden, um weitere Dates platzen zu lassen. So wurde es den Männern schnell zu anstrengend, und sie war jedes Mal erleichtert darüber, wieder unabhängig und frei zu sein. Sie konnte es sich manchmal selber nicht erklären, aber die schreckliche Vergangenheit hatte sie aus ihrem Heimatland vertrieben und nie mehr ein Urvertrauen zu einem Mann aufbauen lassen. Sie hatte sich oft überlegt, ob ihre Tante Nora recht gehabt haben mochte, die immer wieder versucht hatte, sie zu einer Therapie zu überreden, damit sie ihre Ängste bewältigen könne. Andy bezeichnete sich als stark, und eine Therapie war in ihren Augen verschwendete Zeit. Sie hatte einen Selbstverteidigungslehrgang absolviert und wusste, was zu tun war, wenn sie in eine unangenehme Situation geraten würde. Der Lehrgang hatte sie gelehrt, ihre Ängste unter Kontrolle zu halten und sich ihnen zu stellen. Wer Angst hat, hat verloren, war ihre Devise. Es war gut so, wie es jetzt war: Sie war gesund, sie hatte eine gute Arbeit, die sie liebte, und sie hatte Freunde, auf die sie in einer Krise immer zählen konnte. Was also wollte sie mehr?

Andy hüpfte unter die Dusche und zog danach ihre alte Latzhose an, in der sie stets ihre Gärtnerarbeit verrichtete. Behutsam und überlegend platzierte sie die Rosenbuschsetzlinge und betrachtete die Wirkung aus Distanz. Ja, so würden sie exzellent zur Geltung kommen. Mit Freuden machte sie sich an die Arbeit und musste einmal mehr feststellen, wie gerne sie ihre Hände in weiche Erde tauchte und darin herumwühlte. Die Erde fühlte sich kühl an und verlieh ihr eine Entspannung und Erdung, die sonst nur von einem heissen Bad übertroffen werden konnte. In die Arbeit versunken und mit ihren Gedanken weit weg, hatte sie die Schritte hinter ihr nicht wahrgenommen.

„Was machst du da?“

Andy war so in Gedanken, dass sie die zarte Stimme fast ein wenig erschreckte. Sie hob den Kopf und erkannte das blonde Mädchen vom Supermarkt sofort wieder. Die Kleine sah viel fröhlicher aus als bei ihrer ersten Begegnung, und Andy konnte ihr ansehen, dass ihre Welt heute in Ordnung war.

„Hi, Sam. Ich pflanze Rosen.“

„Wieso weisst du, wie ich heisse?“

„Dein Daddy hat dich neulich so genannt.“

„Eigentlich heisse ich Samantha. Er sagt aber immer Sam zu mir, ausser wenn er böse ist.“

Wie um alles in der Welt verhielt sich der Mann, wenn er böse war? Dies ging Andy sofort durch den Kopf, denn sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er sie Samantha gerufen hätte, als er sie gepackt hatte. Obwohl sie diese Wortspiele kannte, ging es ihr doch mit ihrem Namen genauso.

„Dann sag ich Sam.“

Eifrig nickte sie mit dem Kopf. „Wie heisst du?“

„Ich heisse Andrea. Freunde sagen Andy zu mir. Wenn du willst, kannst du mich Andy nennen.“

Zum ersten Mal sah sie Sam lächeln und konnte die grosse Zahnlücke sehen, die sie noch reizender aussehen liess.

„Das ist auch ein Jungenname. Als ich in die Schule kam, sagte meine Lehrerin, sie hätte gedacht, ich wäre ein Junge. Ist dir das auch schon passiert?“

„Ja, schon oft. Das ist lustig, nicht?“

„Ja. Wir haben keine Blumen. Mein Daddy sagt, das blöde Grünzeug mache nur Arbeit.“

Andy musste lächeln. Das passte zu dem Mann, genau so hatte sie ihn eingeschätzt. „Mir gefallen Blumen, ich finde, sie verschönern meine Einfahrt. Was meinst du?“

Sam stemmte ihre kleinen Arme in die Hüften und betrachtete ihre Einfahrt, die von beiden Seiten von Blumen eingezäunt war, kritisch.

„Mir gefällt’s auch, es ist hübsch. Darf ich dir helfen?“

„Sicher, wenn du willst und dein Daddy nichts dagegen hat.“

„Hat er bestimmt nicht.“

„Es ist mir doch lieber, wenn du ihn fragen gehst.“ Andy wollte nicht erneut Ärger mit dem Mann, der bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.

„Okay.“ Sam hüpfte los.

Andy konnte sich vorstellen, dass sie nicht wieder auftauchen würde, so, wie sie den Mann kennengelernt hatte. Wahrscheinlich war es ihm ein Dorn im Auge, wenn seine Tochter nur mit ihr redete. Nach nur einer Minute jedoch stand Sam mit glücklichen Augen wieder vor ihr und verkündete freudestrahlend: „Ich darf, um zwölf muss ich aber nach Hause. Wir gehen zu einem Baseballspiel.“

„Das ist ja toll. Willst du mir helfen, diese Rosen einzupflanzen?“

„Oh ja, ich wühle gerne im Dreck.“

Andy musste lachen und konnte sich das gut vorstellen. Wie drollig sie doch war! Sam liess sie an ihre eigene Kindheit denken. Wie unbeschwert und glücklich sie doch in einem Fünfhundert-Seelen-Dorf aufgewachsen war! Sie war genauso zutraulich gegenüber den Menschen gewesen, wie Sam es ihr gegenüber war. Niemals hatte Andy als Kind Scheu oder gar Angst empfunden, wenn sie jemand Neuem begegnet war. Diese Zutraulichkeit und dieses Urvertrauen zu den Menschen hatte ihr jedoch ein Mann genommen, von dem sie es nie gedacht hätte. Dieser Vertrauensbruch hatte sie so sehr geprägt, dass sie nach all den vielen Jahren immer noch nicht in der Lage war, den Menschen so unbekümmert, wie Sam es tat, gegenüberzutreten. Sie schimpfte oft selbst mit sich, weil sie zu häufig und zu schnell Menschen zu Unrecht verurteilte. Ihre drei Freundinnen jedoch hatten in den letzten zwei Jahren einen besseren Menschen aus ihr gemacht, indem sie sie immer wieder ermahnten und mit ihr schimpften, wenn sie in der Notaufnahme oder unterwegs Leute mit bösen Blicken und manchmal sogar mit Worten zurechtwies, wie sie es bei ihrem Nachbar getan hatte. Sam schien ihr jetzt überhaupt nicht unglücklich, sie strahlte im Gegenteil eine Fröhlichkeit aus, zu der ein misshandeltes Kind, so glaubte Andy wenigstens, nicht fähig wäre. Aber vielleicht täuschte sie sich ja auch, denn sie hatte sich in ihrem Leben schon so oft getäuscht. Besonders in der Notaufnahme, da hatten ihr ihre Patienten schon so oft eine erfundene Geschichte erzählt, die sie ihnen abgekauft hatte, wobei sich später dann herausgestellt hatte, dass ihre Geschichten erfunden und erlogen waren. Wie es schien, war sie einfach keine gute Menschenkennerin, was sie wiederum vorsichtig machen sollte.

Andy schaute zu Sam, die mit ihren kleinen Händen geschickt die Rosen in die Löcher setzte, die sie ihr vorgegraben hatte, und immerzu plauderte. Sie hatte in der Stunde bereits einiges über die Familienverhältnisse der Familie Tanner erfahren. So wohnten die Mädchen mit ihrer Mutter, die frisch verknallt war, in einer Wohnung am anderen Ende der Stadt. Nur wenn ihr Daddy Zeit hätte, dürften sie zu ihm kommen, was Sam unheimlich doof fand, da es ihr in dem Haus hier an der Sunset Street viel besser gefalle. Und mit Daddy würden sie immer etwas unternehmen, so wie heute, wenn ihre kleine Schwester geschlafen hätte. Das einzig Blöde sei, bei Daddy immer aufräumen zu müssen und nur eine Stunde fernsehen zu dürfen. Andy wurde der Mann nach den Erzählungen immer sympathischer. Sie wusste jedoch, wie Kinder zu glorifizieren begannen, wenn die Lebensumstände nicht den normalen entsprachen, und dies taten sie bei geschiedenen Ehepaaren nie. Die Kinder waren oft von verwirrenden Gefühlen geleitet.

„He, ist das deine Katze?“ Sam rannte zu Tarzan, der sich immer verzog, wenn sich Kinder in der Nähe befanden. Wahrscheinlich mochte er es nicht, wenn sie ihm ständig über die Schnurhaare strichen oder am Schwanz zogen. Er scheute jedoch nicht zurück vor Sam, sondern liess sich sogar von ihr hochheben. Freudestrahlend kam sie mit der Katze auf dem Arm wieder zu Andy. „Wie heisst sie?“

„Das ist ein Kater, und er heisst Tarzan.“

„So wie der Mann im Dschungel?“

„Genau.“

„Cool.“

Sam setzte sich auf die Wiese und spielte mit Tarzan, der es zu geniessen schien, nach drei Tagen ohne Aufmerksamkeit endlich wieder von jemandem beachtet zu werden. „Darf ich Tarzan Erica zeigen?“

„Ich denke, sie schläft.“

„Wenn sie wach ist.“

„Sicher, wann immer du willst.“

„Tarzan hat Hunger.“

„Ach ja, woran siehst du das?“

„Er hat’s mir gesagt.“ Sie lachte, und Andy wurde das kleine Mädchen immer sympathischer mit ihrer reizenden Art. „Na, dann sollten wir ihm was geben.“

„Darf ich ihn füttern?“

„Ja, komm, du kannst ihm seine Lieblingscracker geben. Wir holen welche.“

Sam folgte ihr in die Küche und rief ständig nach Tarzan, der ihr folgte.

Nach reichlicher Fütterung durchkreuzten die beiden das ganze Haus, und Sam stellte erstaunt fest, dass Andys Haus schön sei. Es sei sogar besser als das von Daddy, weil sie auch in ihrem Schlafzimmer einen Fernseher habe. Andy musste über die kindlichen Komplimente lachen und spürte eine tiefe Zuneigung zu Sam. Punkt fünf vor zwölf jedoch machte sie Sam darauf aufmerksam, dass sie nach Hause müsse.

„Schon?“

„Ja, es ist gleich zwölf.“

„Aber ich muss erst um zwölf gehen.“

„Bis du zu Hause bist, ist es zwölf, und wir wollen deinen Daddy nicht ärgern.“

Sam stöhnte: „Ja, okay, sonst motzt er wieder.“

Andy liess sich ihr Unbehagen nicht anmerken und begleitete sie zur Tür.

„Darf ich wiederkommen?“

„Sicher, ein andermal.“

Sie strahlte übers ganze Gesicht und hüpfte davon. Am Gartenzaun schaute sie zurück und fragte mit grossen Augen: „Willst du meine Freundin sein?“

„Gerne.“

Das kleine Gesicht erhellte sich. „Cool.“

Kapitel 4

Montag, 15. Mai, 15.45 Uhr

Dana liess sich im Pausenraum neben Andy auf den freien Stuhl plumpsen und vergrub die Hände genervt in ihrem schokoladenbraunen Haarschopf.

„Mann, manchmal könnte ich meine Eltern mit blossen Händen erwürgen.“

„Mit einem Skalpell geht’s leichter, und du bist geübt darin.“ Andy wollte sie aufheitern, aber als sie Danas gequältes Lächeln sah, erkannte sie, dass ihre Freundin diesmal wohl wirklich ein Problem mit ihren snobistisch veranlagten Eltern hatte. Liebevoll streckte Andy die Hand aus und tätschelte ihr den Arm. „Was ist los?“

Dana sah sie mit funkelnden, zornigen Augen an und erwiderte: „Man sollte doch meinen, ein Chefarzt und eine Anwältin, beide hochgebildet und weltoffen, seien nicht so konservativ, findest du nicht auch?“

Andy hatte so eine Ahnung: „Geht’s um Gary?“

Betrübt liess Dana den Kopf hängen. „Worum sonst? Ich könnte ihnen einen erfolgreichen Hockeyprofi anschleppen, er würde nach ihrer Meinung natürlich auch nicht zu mir passen; und weisst du, warum?“ Sie wartete Andys Antwort gar nicht ab, sondern fuhr aufgebracht fort: „Weil so ein Hockeyprofi zwar einen Haufen Geld verdienen würde, aber nach ihnen nur Stroh im Kopf hätte. Weil sie natürlich in ihrer versnobten Welt nur Menschen um sich ertragen, die einen akademischen Grad vorweisen können. Ich kann dir sagen: Dieses grosskotzige Gehabe geht mir so was von auf die Nerven!“

Dana holte Luft und wollte gerade mit ihrer Schimpftirade fortfahren, als Andy ihr das Wort abschnitt, da sich offenbar in Danas Leben in der letzten Woche etwas geändert hatte: „Was ist mit Gary? Habt ihr Schluss gemacht? Und von was für einem Hockeyspieler redest du?“

„Nein, natürlich nicht. Der Hockeyspieler war nur so ein Beispiel, um dir klarzumachen, wie verdreht meine Eltern denken. Mit Gary und mir ist alles in Ordnung. Das heisst, so in Ordnung auch wieder nicht. Der Blödmann setzt mich auch unter Druck. Ich sag dir, momentan würde ich am liebsten alles stehen und liegen lassen und auf eine einsame Insel auswandern.“

„Und was stimmt mit Gary nicht? Vor drei Tagen sprudelten deine Augen noch Glückssterne aus, wenn sein Name nur fiel?“

Dana seufzte. „Er ist sauer, weil ich immer wieder ein Treffen mit ihm und meinen Eltern hinausschiebe und er jetzt der Meinung ist, ich schämte mich seinetwegen.“

„Und ist es so?“

„Nein! Natürlich nicht.“

„Und warum schiebst du es auf?“