Die Austreibung des Anderen - Byung-Chul Han - E-Book

Die Austreibung des Anderen E-Book

Byung-Chul Han

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Beschreibung

Der international als »neuer Star der deutschen Philosophie« gehandelte Byung-Chul Han legt nach seinem Bestseller »Psychopolitik« sein neues Buch über Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute vor: Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei. Der Andere als Freund, der Andere als Hölle, der Andere als Geheimnis, der Andere als Verführung, der Andere als Eros verschwindet. Er weicht dem Gleichen. Die Wucherung des Gleichen macht heute die pathologischen Veränderungen aus, die den Sozialkörper befallen. Sie gibt sich dabei als Wachstum. Nicht Entfremdung, Entzug, Verbot, Verdrängung, sondern Überkommunikation, Überinformation, Überproduktion und Überkonsumtion machen ihn krank. Nicht Repression durch den Anderen, sondern Depression durch das Gleiche ist das Zeitzeichen von heute. Byung-Chul Hans neuer Essay spürt der Gewalt des Gleichen in den Phänomenen wie Angst, Globalisierung und Terrorismus nach, die die heutige Gesellschaft kennzeichnen.

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Byung-Chul Han

Die Austreibung des Anderen

Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute

FISCHER E-Books

Inhalt

Terror des GleichenGewalt des Globalen und TerrorismusTerror der AuthentizitätAngstSchwellenEntfremdungGegenkörperBlickStimmeSprache des AnderenDenken des AnderenZuhören

Terror des Gleichen

Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei. Der Andere als Geheimnis, der Andere als Verführung, der Andere als Eros, der Andere als Begehren, der Andere als Hölle, der Andere als Schmerz verschwindet. Die Negativität des Anderen weicht heute der Positivität des Gleichen. Die Wucherung des Gleichen macht die pathologischen Veränderungen aus, die den Sozialkörper befallen. Nicht Entzug und Verbot, sondern Überkommunikation und Überkonsumtion, nicht Verdrängung und Negation, sondern Permissivität und Affirmation machen ihn krank. Nicht Repression, sondern Depression ist das pathologische Zeitzeichen von heute. Die destruktive Pression kommt nicht vom Anderen, sondern aus dem Inneren.

Die Depression als innere Pression entwickelt autoaggressive Züge. Das depressive Leistungssubjekt wird gleichsam vom Selbst erschlagen oder erstickt. Zerstörerisch ist nicht nur die Gewalt des Anderen. Die Austreibung des Anderen setzt einen ganz anderen Zerstörungsprozess in Gang, nämlich die Selbstzerstörung. Allgemein gilt die Dialektik der Gewalt: Ein System, das die Negativität des Anderen ablehnt, entwickelt autodestruktive Züge.

Die Gewalt des Gleichen ist aufgrund ihrer Positivität unsichtbar. Die Wucherung des Gleichen gibt sich als Wachstum. Ab einem bestimmten Punkt ist aber die Produktion nicht mehr produktiv, sondern destruktiv, die Information nicht mehr informativ, sondern deformativ, die Kommunikation nicht mehr kommunikativ, sondern bloß kumulativ.

Die Wahrnehmung selbst nimmt heute die Form von »Binge Watching«, Komaglotzen, an. Es bezeichnet den Konsum von Videos und Filmen ohne jede zeitliche Beschränkung. Den Konsumenten werden fortwährend jene Filme und Serien angeboten, die ganz ihrem Geschmack entsprechen, die ihnen also gefallen. Sie werden wie Konsumvieh gemästet mit dem immer neuen Gleichen. Komaglotzen lässt sich zum heutigen Wahrnehmungsmodus überhaupt generalisieren. Die Wucherung des Gleichen ist nicht karzinomatös, sondern komatös. Sie stößt auf keine immunologische Abwehr. Man glotzt bis zur Bewusstlosigkeit.

Verantwortlich für den Infekt ist die Negativität des Anderen, der ins Selbe eindringt und zur Bildung von Antikörpern führt. Der Infarkt geht dagegen auf das Zuviel des Gleichen, auf die Fettleibigkeit des Systems zurück. Er ist nicht infektiös, sondern adipös. Gegen Fett bilden sich keine Antikörper. Keine immunologische Abwehr kann das Wuchern des Gleichen verhindern.

Die Negativität des Anderen gibt dem Selben Gestalt und Maß. Ohne sie kommt es zur Wucherung des Gleichen. Das Selbe ist nicht identisch mit dem Gleichen. Es tritt immer gepaart mit dem Anderen auf. Dem Gleichen fehlt dagegen der dialektische Gegenpart, der es begrenzen und formen würde. So wuchert es zur formlosen Masse. Das Selbe hat eine Form, eine innere Sammlung, eine Innerlichkeit, die es dem Unterschied zum Anderen verdankt. Das Gleiche ist dagegen formlos. Da ihm die dialektische Spannung fehlt, entsteht ein gleichgültiges Nebeneinander, eine wuchernde Masse des Ununterscheidbaren: »Das Selbe läßt sich nur sagen, wenn der Unterschied gedacht wird. Im Austrag des Unterschiedenen kommt das versammelnde Wesen des Selben zum Leuchten. Das Selbe verbannt jeden Eifer, das Verschiedene immer nur in das Gleiche auszugleichen. Das Selbe versammelt das Unterschiedene in eine ursprüngliche Einigkeit. Das Gleiche hingegen zerstreut in die fade Einheit des nur einförmigen Einen.«[1]

Der Terror des Gleichen erfasst heute alle Lebensbereiche. Man fährt überallhin, ohne eine Erfahrung zu machen. Man nimmt Kenntnis von allem, ohne zu einer Erkenntnis zu gelangen. Man häuft Informationen und Daten an, ohne Wissen zu erlangen. Man giert nach Erlebnissen und Erregungen, in denen man aber sich immer gleich bleibt. Man akkumuliert Friends und Follower, ohne je einem Anderen zu begegnen. Soziale Medien stellen eine absolute Schwundstufe des Sozialen dar.

Die digitale Totalvernetzung und Totalkommunikation erleichtert nicht die Begegnung mit Anderen. Sie dient vielmehr dazu, an den Fremden und Anderen vorbei Gleiche und Gleichgesinnte zu finden, und sorgt dafür, dass unser Erfahrungshorizont immer enger wird. Sie verwickelt uns in eine endlose Ich-Schleife und führt letzten Endes zu einer »Autopropaganda, die uns mit unseren eigenen Vorstellungen indoktriniert«.[2]

Die Negativität des Anderen und der Verwandlung macht die Erfahrung im emphatischen Sinn aus. Mit etwas eine Erfahrung machen heißt, »daß es uns widerfährt, daß es uns trifft, über uns kommt, uns umwirft und verwandelt«.[3] Ihr Wesen ist der Schmerz. Das Gleiche schmerzt aber nicht. Der Schmerz weicht heute dem Gefällt-mir, das das Gleiche fortsetzt.

Die Information liegt einfach vor. Das Wissen im emphatischen Sinne ist dagegen ein langsamer, langer Prozess. Es weist eine ganz andere Zeitlichkeit auf. Es reift. Das Reifen ist eine Zeitlichkeit, die uns heute immer mehr abhandenkommt. Es verträgt sich nicht mit der heutigen Zeitpolitik, die zur Steigerung der Effizienz und Produktivität die Zeit fragmentiert und zeitstabile Strukturen beseitigt.

Selbst die größte Ansammlung von Informationen, Big Data, verfügt über sehr wenig Wissen. Anhand von Big Data werden Korrelationen ermittelt. Die Korrelation besagt: Wenn A stattfindet, so findet oft auch B statt. Warum es so ist, weiß man aber nicht. Die Korrelation ist die primitivste Wissensform, die nicht einmal in der Lage ist, das Kausalverhältnis, d.h. das Verhältnis von Ursache und Wirkung, zu ermitteln. Es ist so. Die Frage nach dem Warum erübrigt sich hier. Es wird also nichts begriffen. Wissen ist aber Begreifen. So macht Big Data das Denken überflüssig. Wir überlassen uns bedenkenlos dem Es-ist-so.

Das Denken hat Zugang zum ganz Anderen. Es kann das Gleiche unterbrechen. Darin besteht sein Ereignischarakter. Das Rechnen ist dagegen eine endlose Wiederholung des Gleichen. Im Gegensatz zum Denken kann es keinen neuen Zustand hervorbringen. Es ist ereignisblind. Ein wirkliches Denken ist dagegen ereignishaft. Auf Französisch heißt digital numérique. Das Numerische macht alles zählbar und vergleichbar. So perpetuiert es das Gleiche.

Auch die Erkenntnis im emphatischen Sinne ist verwandelnd. Sie bringt einen neuen Bewusstseinszustand hervor. Ihre Struktur gleicht der einer Erlösung. Diese leistet mehr als die Lösung eines Problems. Sie versetzt den Erlösungsbedürftigen in einen ganz anderen Seinszustand.

In seiner Schrift »Liebe und Erkenntnis« weist Max Scheler darauf hin, dass Augustinus »auf sonderbare, mysteriöse Weise« den Pflanzen ein Verlangen zuspricht, »vom Menschen angeschaut zu werden, als geschähe ihnen durch die liebegeleitete Erkenntnis ihres Seins ein Analogon der Erlösung«.[4] Wenn eine Blume in sich eine Seinsfülle hätte, würde sie nicht das Bedürfnis haben, angeschaut zu werden. Sie hat also einen Mangel, einen Seinsmangel. Der liebende Blick, die »liebegeleitete Erkenntnis« erlöst sie aus dem Zustand des Mangels. So ist sie ein »Analogon der Erlösung«. Erkenntnis ist Erlösung. Sie hat einen liebenden Bezug zu ihrem Objekt als Anderem. Darin unterscheidet sie sich von bloßer Kenntnis oder Information, der gänzlich die Dimension des Anderen fehlt.

Dem Ereignis wohnt eine Negativität inne, denn es bringt ein neues Verhältnis zur Realität, eine neue Welt, ein neues Verständnis dessen, was ist, hervor. Es lässt alles plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Heideggers »Seinsvergessenheit« bedeutet nichts anderes als diese Ereignisblindheit. Heidegger würde sagen, dass heute der Kommunikationslärm, das digitale Gestöber von Daten und Informationen uns taub macht gegenüber dem lautlosen Dröhnen der Wahrheit, gegenüber deren stiller Gewalt: »Ein Dröhnen: es ist die Wahrheit, / selbst unter die Menschen getreten, / mitten ins Metapherngestöber.«[5]

Die Anfänge der digitalen Revolution waren vor allem von utopischen Entwürfen beherrscht. Flusser etwa erhob die digitale Vernetzung zur Technik der Nächstenliebe. Mensch-Sein heißt demnach Verknüpft-Sein mit Anderen. Die digitale Vernetzung soll eine besondere Resonanz-Erfahrung möglich machen. Alles schwingt mit: »Das Netz schwingt, es ist ein Pathos, es ist eine Resonanz. Das ist die Grundlage der Telematik, diese Sympathie und Antipathie der Nähe. Ich glaube, die Telematik ist eine Technik der Nächstenliebe, eine Technik zum Ausführen des Judenchristentums. Die Telematik hat Empathie als Basis. Sie vernichtet den Humanismus zugunsten des Altruismus. Allein dass diese Möglichkeit besteht, ist schon etwas ganz Kolossales.«[6] Das Netz verwandelt sich heute in einen besonderen Resonanzraum, in eine Echokammer, aus der jede Andersheit, jede Fremdheit eliminiert ist. Die wirkliche Resonanz setzt die Nähe des Anderen voraus. Heute weicht die Nähe des Anderen der Abstandslosigkeit des Gleichen. Die globale Kommunikation lässt nur gleiche Andere oder andere Gleiche zu.

Der Nähe ist als ihr dialektischer Gegenpart die Ferne eingeschrieben. Die Abschaffung der Ferne erzeugt nicht mehr an Nähe, sondern zerstört sie. Statt Nähe entsteht eine totale Abstandslosigkeit. Nähe und Ferne sind ineinandergewoben. Eine dialektische Spannung hält sie zusammen. Sie besteht darin, dass die Dinge gerade von ihrem Gegenteil, vom Anderen ihrer selbst belebt werden. Einer bloßen Positivität wie Abstandslosigkeit fehlt diese belebende Kraft. Die Nähe und die Ferne vermitteln sich dialektisch wie das Selbe und das Andere. So ist weder die Abstandslosigkeit noch das Gleiche lebendig.

Die digitale Abstandslosigkeit beseitigt alle Spielformen von Nähe und Ferne. Alles ist gleich nah und gleich fern: »Spur und Aura. Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft.«[7] Der Aura wohnt die Negativität des Anderen, des Fremden, des Rätsels inne. Die digitale Transparenzgesellschaft entauratisiert, entmystifiziert die Welt. Übernähe und Überbelichtung als allgemeine Bildwirkung des Pornos zerstören jede auratische Ferne, die auch das Erotische ausmacht.

Im Porno gleichen sich alle Körper. Sie zerfallen auch in gleiche Körperteile. Jeglicher Sprache beraubt, wird der Körper auf das Sexuelle reduziert, das außer geschlechtlicher Differenz keinen Unterschied kennt. Der pornographische Körper ist kein Schauplatz, keine »prunkvolle Bühne«, keine »märchenhafte Oberfläche« mehr, »in die sich Träume und Gottheiten einschreiben«.[8] Er erzählt nichts. Er verführt nicht. Der Porno betreibt eine totale Entnarrativierung und Entsprachlichung, nicht nur des Körpers, sondern auch der Kommunikation überhaupt. Darin besteht seine Obszönität. Es ist nicht möglich, mit dem nackten Fleisch zu spielen. Das Spiel bedarf eines Scheins, einer Unwahrheit. Die nackte, pornographische Wahrheit lässt kein Spiel, keine Verführung zu. Auch die Sexualität als Leistung verdrängt jede Spielform. Sie wird ganz maschinell. Der neoliberale Imperativ von Leistung, Sexyness und Fitness nivelliert den Körper letztlich zu einem Funktionsobjekt, das es zu optimieren gilt.

Das Wuchern des Gleichen ist eine »Fülle, in der nur noch die Leere durchscheint«.[9] Die Austreibung des Anderen bringt eine adipöse Leere der Fülle hervor. Obszön ist die Hypervisibilität, die Hyperkommunikation, die Hyperproduktion, die Hyperkonsumtion, die zu einem rasenden Stillstand des Gleichen führt. Obszön ist die »Verbindung des Gleichen mit dem Gleichen«.[10] Die Verführung ist dagegen die »Fähigkeit, dem Gleichen das Gleiche zu entreißen«, es von sich abweichen zu lassen.[11] Das Subjekt der Verführung ist der Andere. Ihr Modus ist das Spiel als Gegenmodus zur Leistung und Produktion. Heute wird selbst das Spiel in eine Produktionsform verwandelt. Die Arbeit wird nämlich gamifiziert.

Charlie Kaufmanns Puppentrickfilm »Anomalisa« bildet schonungslos die heutige Hölle des Gleichen ab. Der Film hätte auch Sehnsucht nach dem Anderen oder Lob der Liebe heißen können. In der Hölle des Gleichen ist kein Begehren des Anderen möglich. Der Protagonist Michael Stone ist ein erfolgreicher Motivationstrainer und Autor. Sein Erfolgstitel heißt How Can I Help You Help Them? Ein typischer Ratgeber der neoliberalen Welt. Sein Buch wird überall gefeiert, weil es die Produktivität erheblich steigert. Trotz seines Erfolges gerät er in eine schwere Existenzkrise. Er wirkt einsam, verloren, gelangweilt, desillusioniert, orientierungslos in der sinnentleerten, eintönigen, glattpolierten Konsum- und Leistungsgesellschaft. Hier haben die Menschen alle das gleiche Gesicht und sprechen mit gleicher Stimme. Die Stimme des Taxifahrers, der Kellnerin oder des Hotelmanagers ist identisch mit der seiner Frau oder seiner Exgeliebten. Das Gesicht eines Kindes unterscheidet sich nicht von dem eines Erwachsenen. Klone bevölkern die Welt, in der jeder paradoxerweise anders sein will als andere.