Die Bibliothek der Geister - Der magische Schlüssel - D.J. MacHale - E-Book

Die Bibliothek der Geister - Der magische Schlüssel E-Book

D.J. MacHale

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Beschreibung

Als Marcus eines Nachmittags in der Schule nachsitzen muss, passieren merkwürdige Dinge: Plötzlich gehen alle Computer gleichzeitig an, ein geisterhafter Mann im Bademantel erscheint mehrmals draußen vor dem Fenster. Und auf dem Heimweg fordert eine unheimliche alte Frau die Rückgabe eines Schlüssels. Was hat das zu bedeuten?, fragt sich Marcus verwirrt. Als er zu Hause die Zeitung aufschlägt, ist er richtig geschockt: Neben einem Unfallbericht ist ein Foto abgedruckt ... es ist der Mann im Bademantel! Jetzt ist klar: Marcus muss herausfinden, welches Geheimnis hinter all dem steckt!

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Seitenzahl: 242

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D. J. MacHale

Der magische Schlüssel

Aus dem Amerikanischen

von Bettina Obrecht

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Für meine guten Freunde aus Villanova

1. Auflage 2018

© 2018 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der

Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016

unter dem Titel »The Library – Book 1 – The Curse of the Boggin«

bei Random House Children’s Books,

A division of Penguin Random House LLC, New York

© 2016 by D.J. MacHale

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: © Shutterstock (luigi nifosi, Addoro, Turn on, cornflower, Delpixel, Triff, Kuttelvaserova Stuchelova, karelnoppe, fotandy)

hf · Herstellung: UK

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-22190-4V002

www.cbj-verlag.de

»Nichts ist wirklich unheimlich –

außer Dinge in Büchern«

Jean Louise »Scout« Finch,

in »Wer die Nachtigall stört«

von Harper Lee

Prolog

ES BEFAND SICH UNTER DEM BETT. Eltern behaupten ja immer, dass sich unter dem Bett ganz bestimmt nichts Unheimliches versteckt hält, auch nicht in den tiefsten Tiefen des Kleiderschranks. Und dort drüben im schwarzen Schatten lauert auch niemand. Genau so reden Eltern immer, und sie haben damit ja auch vollkommen recht. Meistens jedenfalls.

Unter dem Bett von Alex Swenor lauerte in dieser Nacht etwas, und dabei handelte es sich nicht nur um Staubmäuse.

»Schon wieder?«, fragte seine Mutter Lillian entnervt. »Ich habe jetzt eine Woche lang jeden Abend nachgesehen und jedes Mal finde ich das Gleiche, nämlich nichts.«

»Tut mir leid«, jammerte Alex. »Ich kann doch nichts dafür, dass ich immer etwas höre.«

Alex’ Zimmer war typisch für einen Neunjährigen. Überall an den Wänden hingen »Avenger«-Plakate, auf einem kleinen Schreibtisch stand ein Computer, den er hauptsächlich benutzte, um Minecraft zu spielen. Und auf einem langen Regal standen seine Lieblingsbücher.

Nervös beobachtete er aus sicherer Entfernung, wie seine Mutter neben seinem Bett niederkniete und in die Dunkelheit starrte. Mrs Swenor beugte sich so tief hinunter, dass sich ihr Gesicht nur wenige Zentimeter über dem Boden befand. Sie hob die Jedi-Tagesdecke an, spähte darunter und …

»Aaaaah!«

Alex zuckte zusammen. »Ich hab’s dir doch gesagt!«

»Das glaube ich jetzt einfach nicht!«, rief seine Mutter.

Sie griff unters Bett und zog einen Teller mit dem Rührei von gestern hervor. Sie hielt die klumpige Masse weit von sich weg, als sei sie ansteckend.

»Du hast gesagt, du hättest dein Frühstück aufgegessen«, sagte sie ärgerlich.

Alex stieß erleichtert die angehaltene Luft aus.

»Ich hatte keine Zeit und musste mich zwischen Frühstück und Schuhebinden entscheiden.«

»Oder du hättest zehn Minuten früher aufstehen können.«

»Tut mir leid. Ich war müde. Ich habe nicht so super geschlafen.«

Mrs Swenor wirkte etwas besänftigt. »Ich weiß, mein Schatz. Aber bitte glaub mir, unter deinem Bett hält sich kein Monster versteckt.« Sie küsste Alex auf den Scheitel und machte einen Schritt in Richtung Tür. »Ich hab dich lieb, auch wenn du ein kleiner Spinner bist.«

Sie ging mit dem stinkenden Rührei aus dem Zimmer, streifte dabei ihren Ehemann Michael, der die Szene von der Tür aus beobachtet hatte und so aussah, als beunruhige ihn die ganze Sache mehr als seine Frau.

»Alles klar bei dir, Kumpel?«, fragte er seinen Sohn besorgt.

»Ja, schon«, erwiderte Alex verlegen.

»Willst du heute Nacht bei uns schlafen?«

»Nee, ich stelle mich nur etwas blöd an.«

»Nein, tust du nicht. Du weißt, du kannst jederzeit rufen und wir sind sofort da. Egal was ist. In Ordnung?«

»In Ordnung, Dad.«

»Gute Nacht. Ich hab dich lieb.«

»Ich hab dich auch lieb.«

Michael Swenor warf einen letzten besorgten Blick auf seinen Sohn, dann ging er hinaus und zog leise die Tür hinter sich zu.

Alex starrte auf sein Bett, das an der hinteren Zimmerwand stand. Es war ein ganz normales Bett wie andere Betten auf diesem Planeten. Es gab damit wirklich kein Problem … bis vor ein paar Tagen.

Es begann mit einem ganz leisen Kratzgeräusch, so als würden Ratten unter dem Bett hindurchhuschen. Die Wohnung der Swenors lag im obersten Stockwerk eines alten vierstöckigen Backsteinhauses mitten in New York. In so einem Haus war es nichts Ungewöhnliches, dass Ratten unter den Dielenbrettern hin und her huschten.

Dann kam das Klopfen. Ratten konnten nicht klopfen.

Wenn es klopfte, rannte Alex hinaus und zog seine Eltern in sein Zimmer. Aber bevor sie den Raum betraten, waren die Geräusche jedes Mal verstummt. Tagsüber schämte sich Alex dafür, dass er so ein Angsthase war. Aber nachts, wenn alles still war, lag die Sache anders.

Alex rannte durchs Zimmer und hechtete aus einem Meter Entfernung mit einem Satz auf sein Bett – für den Fall, dass blutgetränkte Klauen nach ihm greifen und seinen Knöchel packen wollten. Er kroch unter die Decken, zog sie bis zum Kinn und lauschte. Nichts. Er hörte nur das Heulen einer Polizeisirene in der Ferne und das Rauschen der Stadt hinter dem geschlossenen Fenster.

Seine Mutter hatte recht: Unter seinem Bett versteckte sich kein Monster. Es war albern, sich wie ein verschreckter Zweijähriger aufzuführen, anstatt wie ein vernünftiger Neunjähriger. Er kniff die Augen zu und zwanzig Minuten später schlief er ein, ohne auch nur ein einziges weiteres merkwürdiges Geräusch gehört zu haben.

Alles war gut – etwa bis kurz nach Mitternacht. Es gibt keinen logischen Grund dafür, dass merkwürdige Begebenheiten oft gerade dann ihren Anfang nehmen, wenn der neue Tag anbricht, aber das ist häufig der Fall.

Das Kratzen war wieder da.

Alex riss die Augen auf, als habe direkt neben ihm ein Orchestermusiker auf die Pauke gehauen. Er lag ganz still. Das, was sich unter seinem Bett befand – worum auch immer es sich handelte –, war wieder da. Panik erfüllte ihn, sein Mund war ganz trocken. Er wollte laut nach seinen Eltern rufen, aber seine Kehle war so zugeschnürt, dass er keinen Piep von sich geben konnte.

Und dann kam das Klopfen. Was auch immer sich da unten befand – es war lebendig. Jedenfalls lebendig genug, um Geräusche zu erzeugen.

Jetzt hielt er es nicht mehr aus. Alex musste wissen, was es war. Ganz langsam, als wäre sein Körper plötzlich tonnenschwer, schob er sich an die Bettkante, beugte sich darüber und starrte auf den Boden. Seine Jedi-Decke war heruntergerutscht und lag halb auf dem Boden. Mondlicht fiel durchs Fenster und erhellte das Zimmer so weit, dass Alex das Bild von Chewbacca erkannte, der gerade brüllend den Kopf in den Nacken legte. Es war alles normal – bis sich die Decke bewegte.

Merkwürdigerweise machte ihm das keine Angst. Nein, es bestätigte nur, dass wirklich etwas da war. Etwas Normales. Etwas Echtes. Nichts Unheimliches. Wahrscheinlich war es eine Ratte. Alex hasste Ratten, aber er hatte keine Angst vor ihnen. Genug jetzt! Er streckte die Hand aus und riss die Decke weg.

Was er nun sah, war weit merkwürdiger als eine normale Ratte. In die Dielen des Holzbodens waren Worte eingeritzt. Worte, die vorher nicht da gewesen waren. Sie sahen so aus, als hätte sie jemand grob mit einem Messer geschnitzt. Oder mit einer Klaue. Alex musste sich tief hinunterbeugen, um sie lesen zu können.

»Gib den Schlüssel heraus«, las er laut.

Er streckte die Hand nach unten aus. Er wollte die Buchstaben berühren, um zu überprüfen, ob sie echt waren oder nur eine optische Täuschung. Seine Hand sank langsam tiefer, hatte die geheimnisvolle Botschaft beinahe erreicht. Fast berührten seine Fingerspitzen die merkwürdigen Zeichen, da war unter seinem Bett ein drohendes Knurren zu hören.

Ratten konnten nicht knurren.

Hastig zog Alex seine Hand zurück und drückte seinen Rücken gegen die Wand, denn … die Jedi-Decke wurde lebendig. Sie flog bis in die Zimmermitte, hielt unvermittelt inne und fiel zu Boden. Nun war der Schuldige zu sehen.

Es war ein Hund. Ein Pitbull. Sein Kopf war beinahe so groß wie der Rest seines muskulösen Körpers. Seine breiten Kiefer sahen in seinem Schädel aus wie ein grinsender Halloween-Kürbis mit Zähnen. Reißzähnen, genauer gesagt. Das Tier wandte sich Alex zu, spannte die Muskeln an und sah Alex direkt in die Augen. Es war eindeutig kein liebes Hündchen.

»Dad!«, rief Alex gedämpft. Er hatte Angst, seine Stimme würde das Tier zum Angriff reizen.

Der Hund stand zwischen ihm und der Tür. Der Körper war angespannt wie eine Gitarrensaite. Er starrte Alex an.

Alex warf einen Blick in Richtung des Fensters über seinem Bett. Es war seine einzige Chance. Er hechtete hin, riss es auf und schwang sich hinaus auf das Metallgitter der Feuerleiter. Hinter ihm setzte der Hund zum Sprung an.

»Dad!«, schrie Alex jetzt laut.

Er knallte das Fenster gerade noch rechtzeitig zu. Da das mächtige Tier bereits losgesprungen war, donnerte es mit dem Kopf gegen die Scheibe. Ein Spinnennetz aus Rissen durchzog das Glas. Das Fenster ging nicht zu Bruch, aber das Tier gab nicht auf. Immer wieder rammte er seinen Schädel gegen die Scheibe, entschlossen, sich seinen Weg zu bahnen.

Alex musste hier raus. Die Wohnung seiner Familie befand sich im obersten Stockwerk. Schnell und ohne Schwierigkeiten würde er das Dach erreichen. Er packte die Metallsprossen der Leiter und nahm den kurzen Aufstieg in Angriff. Er war beinahe oben, als das Fenster unter ihm zerbarst und der Hund in einer Explosion von Glasscherben ins Freie schoss. Alex erstarrte und sah nach unten. Das Tier glotzte ihn mit wütenden roten Augen an.

»Lass mich in Ruhe!«, schrie er den Hund an.

Alex schwang sich über die niedrige Sicherheitsmauer auf das schwarze, mit Teerpappe gedeckte Dach und rannte um sein Leben. Es herrschte tiefste Nacht. Licht spendeten nur die Stadt, der Mond und die Sterne über ihm. Er rannte zum entgegengesetzten Ende des Dachs, in der Hoffnung, dort auf eine weitere Feuerleiter zu stoßen. Als er die Kante des Gebäudes erreichte, beugte er sich vor, um nachzusehen … keine Feuerleiter. Er fuhr herum, suchte panisch nach einer Tür, die ihn zurück ins vierte Stockwerk führen würde. Aber stattdessen entdeckte er den Pitbull, der ihn vom anderen Ende des Dachs anstarrte.

Wie ist der die Leiter hochgekommen?, überlegte Alex.

Er hatte keine Zeit, sich darüber weitere Gedanken zu machen, denn sobald das Tier ihn erblickt hatte, sprang es von der Sicherheitsmauer herunter und raste auf ihn zu.

Alex wandte sich hastig um, suchte nach einem Fluchtweg. Jetzt entdeckte er etwas, das er zuvor übersehen hatte. Es war doch eine Metallleiter an der Außenseite des Gebäudes befestigt. Wie hatte ihm das entgehen können? Egal. Es war seine einzige Hoffnung.

Der bösartige Hund hatte bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt und preschte schnell voran. Zähe Geiferfäden tropften aus seinem Maul, als er die scharfen Reißzähne fletschte. Alex musste weg. Er rannte die wenigen Meter bis zu der Stelle, an der die Metallleiter anfing, schwang die Beine über die Dachkante und wollte sich auf die erste Sprosse stellen, aber … die Leiter war weg. Verschwunden. Aufgelöst.

Da Alex sich bereits über die Kante geschwungen hatte, fiel er nun. Verzweifelt fasste er nach der Dachkante und konnte sich gerade noch festkrallen. Er hing an den Fingern beider Hände. Seine bloßen Füße baumelten vier Stockwerke über dem harten Asphalt. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf: Wie konnte ich nur so dumm sein? Wie bin ich nur auf die Idee gekommen, dass hier eine Leiter ist? Beißt mir der Hund jetzt in die Finger?

Der Hund.

Alex hörte das Kratzen der Hundekrallen auf der Dachpappe, während das Tier näher kam. Er hob den Kopf und erwartete, dass nun gleich die geifernde Hundeschnauze über ihm auftauchen würde. Aber stattdessen sah er eine alte Frau, die auf ihn herunterblickte.

»Helfen Sie mir!«, rief Alex ihr zu.

Ihr graues Haar ging ihr bis zur Hüfte. Sie trug ein langes waldgrünes Kleid. Darüber hatte sie einen schwarzen Schal geschlungen, den sie sich mit einer bleichen Hand über der Brust zusammenhielt. Haarsträhnen wehten um ihren Kopf wie wild tanzende Geister. Ihr Gesicht war zwar blass und runzlig wie das einer Hundertjährigen, aber ihr Blick war klar und scharf. Wahnsinn brannte darin.

Ganz kurz hatte Alex Erleichterung verspürt, aber diese zerstob, als er in die grauenvollen Augen der alten Frau blickte.

»Dad!«, brüllte er verzweifelt.

Er hatte nicht die Kraft, sich noch lange festzuhalten.

»Retten Sie mich!«, flehte er die Frau an. »Bitte!«

Die Frau beugte sich über ihn und sah ihm direkt in die Augen.

»Aber nein«, antwortete sie mit einer dunklen Stimme, die wie aus einem leeren Grab zu ihm hallte, »das würde mir überhaupt nicht weiterhelfen. Also, wenn du nichts dagegen hast … dann fall jetzt bitte hinunter.«

»Dad!«, schrie Alex wieder und verlor den Halt.

Seine Finger rutschten von der Kante und er glitt ab … Eine Hand schoss herunter, packte ihn am Handgelenk und rettete ihn vor dem tödlichen Sturz. Rasch wurde er in die Höhe und über die Dachkante gezogen, als würde er nicht mehr wiegen als eine seiner Spielzeugfiguren. Eine Sekunde später stand er sicher und fest auf dem Dach.

»Dad!«, rief Alex und schlang seine Arme um seinen Vater.

»Es ist alles gut«, sagte Michael Swenor beruhigend und drückte seinen Sohn an seine Brust. »Versprochen.«

»Wo ist sie?« Alex sah sich furchtsam um. »Wohin ist sie verschwunden?«

»Wer denn?«

»Die alte Frau. Sie wollte, dass ich vom Dach falle. Und unter meinem Bett war ein Hund. Und da war eine Leiter, aber die ist einfach verschwunden, ich schwöre es! Ich lüge nicht!«

»Ich weiß, dass du nicht lügst«, sagte Mr Swenor. Seine Stimme brach, er kämpfte gegen die Tränen. »Komm, wir gehen runter zu deiner Mutter und reden über alles.«

Alex lockerte zögernd seine Umarmung und sah seinen Vater an.

»Weißt du denn, was passiert ist, Dad?«

Michael Swenor holte tief Luft, dann antwortete er, als würde ihm das Reden Schmerzen bereiten.

»Ja, ich weiß es, und es ist eine lange Geschichte«, sagte er schließlich. »Es wird Zeit, dass du sie hörst. Die ganze Geschichte. Und deine Mutter auch.«

»Dann glaubst du mir also?« Endlich hatte sich Alex wieder unter Kontrolle.

»Ja, tue ich.«

Michael Swenor erhob sich und hielt seinem Sohn die Hand hin. »Los, komm, wir gehen zu Mommy.«

Ihre Hände trafen sich nicht.

Plötzlich war der Pitbull wieder da. Er preschte über das Dach auf sie zu wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug.

»Pass auf!«, schrie Alex.

Michael Swenor hatte kaum Zeit, den Blick zu heben, da hatte ihn der Hund schon angesprungen. Instinktiv wich er zurück, aber er stand zu dicht an der Dachkante. Er stolperte, stieß gegen die niedrige Sicherheitsmauer und kippte hintenüber.

»Nein!«, schrie Alex.

Im Zimmer darunter hörte Lillian Swenor den Schrei. Ihr Körper wurde so steif, als wäre sie mit einem Elektroschocker berührt worden. Einen Moment lang konnte sie sich nicht bewegen und wusste nicht, was sie tun sollte. Tief in ihrem Herzen war ihr aber klar, dass es nichts mehr zu tun gab. Sie sah sich in Alex’ Zimmer um, als würde sie dort die Antwort finden. Das Fenster stand offen, aber nirgendwo lagen Glassplitter. Ihr Mann Michael hatte das Fenster aufgerissen, als sie Alex’ entsetzte Schreie gehört hatten, und war in sein Zimmer gerannt. Es gab keinen Hinweis darauf, was bei Alex eine solche Panik ausgelöst und ihn hinaus aufs Dach getrieben hatte.

Nur eine Spur war von dem geheimnisvollen Vorfall zurückgeblieben. Durch einen Tränenschleier betrachtete Mrs Swenor den Boden. Sie ließ ihre Finger über die Worte gleiten, die ins Holz der Dielen eingeritzt waren:

Gib den Schlüssel heraus.

Die Worte waren noch immer da.

»Oh, Michael«, flüsterte sie in die Leere des Zimmers. »Was hast du getan?«

Kapitel 1

»Leute, benutzt zur Abwechslung mal euer Gehirn!« Ungeduldig schritt Mr Winser, der Sozialkundelehrer, in der dritten Stunde durch die Reihen der Schüler und hielt Ausschau nach seinem nächsten Opfer.

Winser hatte bereits Sozialkunde unterrichtet, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Vielleicht sogar schon, als meine Eltern noch nicht geboren waren. Er war ein Fossil, das breite Krawatten trug, die so hässlich waren, dass ich nicht erkennen konnte, ob die widerwärtigen Muster beabsichtigt waren oder von verkleckerten Mahlzeiten herrührten.

»Könnte mir bitte jemand eine intelligente Antwort anbieten?«, fragte er mit abgrundtiefer Verachtung. »Nennt mir einige negative Auswirkungen der Evolution von der Periode des Homo erectus bis zur Periode des Homo sapiens!«

Winser wandte sich um und deutete mit dem Finger auf ein nichts ahnendes Mädchen.

»Miss Oliver!«, kläffte er.

Gwen Oliver setzte sich kerzengerade hin, als hätte ein Blitz aus Winsers Fingerspitze sie getroffen. Gwen war kein Sozialkunde-Genie. Auch kein Mathe-Genie. Genau genommen war sie auf keinem Gebiet ein Genie. Sie gehörte einfach zu der Sorte Mädchen, die sich größte Mühe geben, irgendwie durchzukommen, ohne allzu viel nachdenken zu müssen.

»Ähm …«, sagte sie zögernd, in der Hoffnung, Winser würde weitergehen.

»Inakzeptabel!«, rief er. Diesen Begriff verwendete er oft. »Steh auf. Sorge dafür, dass dein vernachlässigtes Hirn endlich mal durchblutet wird.«

Gwen warf ihm einen ratlosen Blick zu. Sie rührte sich nicht.

»Ich habe gesagt, du sollst aufstehen!«, blaffte Winser.

Sie erhob sich sehr langsam, stand mit hängenden Schultern da und zupfte nervös an ihrer langen, kastanienbraunen Mähne. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Wenn das nicht ihr schlimmster Albtraum war, dann kam er ihm sicherlich sehr nahe.

»So, nun erfülle den Raum mit deinem Wissen. Erleuchte uns alle mit deinen Gedanken zu den Fragen der Evolution.«

Er hätte von ihr genauso gut verlangen können, die Kernfusion zu erklären.

»Ich … ich weiß nicht.« Ihre Stimme war so leise, dass nur ein hervorragend ausgebildeter Rettungshund sie hätte vernehmen können.

»Inakzeptabel!«, blaffte Winser. »Hast du den Stoff durchgearbeitet?«

Gwen nickte und zuckte gleichzeitig mit den Schultern.

»Und was soll das jetzt heißen?« Mr Winser äffte sie nach, indem er übertrieben mit den Schultern zuckte.

Gwen zuckte noch einmal mit den Schultern. Sie sah so aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

»Dann werde ich für dich antworten«, sagte Winser. »Du hast es gelesen, aber nichts verstanden. Kommt das in etwa hin?«

Gwen schenkte ihm ein trauriges Lächeln. Sie nickte.

»Erbärmlich. Sitz!«, kommandierte Winser, als redete er mit einem Hund. »Es sind wirklich keine sehr komplizierten Gedankengänge – höchstens für dich.«

Gwen setzte sich, gleichzeitig erleichtert und gedemütigt. Sie hatte das Kapitel über die Evolution vielleicht nicht verstanden, aber sicherlich hatte sie es nicht verdient, dass man sie so behandelte.

Winser drehte sich um und deutete direkt auf mich.

»Marcus O’Mara!«

Ich zuckte mit keiner Wimper. Ich hatte darauf gehofft, dass er mich ansprechen würde.

»Das ist ein Geschenk für Sie, Mr O’Mara!«, rief Mr Winser. »Nach dem unbefriedigenden Auftritt von Miss Oliver haben Sie jetzt leichtes Spiel.«

Er schmunzelte, weil er so eine geniale Bemerkung gemacht hatte. Aber niemand außer ihm lachte. Ich starrte ihm direkt in die Augen und antwortete nicht.

»Also?«, hakte Winser ungeduldig nach.

Ich sah ihm in die Augen und sagte kein Wort.

»Haben Sie mich gehört, Mr O’Mara? Oder sind Ihre Ohren etwa genauso außer Betrieb wie Ihr Gehirn?«

Ich stand da wie eine Statue.

»Soll ich Ihr Schweigen etwa als Beweis dafür deuten, dass Sie den Stoff ebenfalls nicht verstanden haben?«

Ich gönnte ihm kein Zucken, kein Blinzeln. Winser fing an, nervös zu zappeln. Er war es eigentlich gewöhnt, dass jeder Schüler vor Angst zitterte, wenn er vor ihm stand.

»Ich warte immer noch auf Ihre Antwort, Mr O’Mara«, sagte Mr Winser.

Leichte Unsicherheit lag in seiner Stimme.

Ich erhob mich langsam und ging mit sehr bedächtigen Schritten nach vorne. Ich glaube, alle hielten in diesem Moment den Atem an, denn abgesehen vom Geräusch meiner Schritte war nichts zu hören. Ich marschierte zum Whiteboard, nahm mir einen Marker und schrieb in dicken blauen Buchstaben:

Als ich mit dem Marker schwungvoll den zweiten Punkt gesetzt hatte, brach die Klasse in lautes Jubeln aus. In Winsers Gesicht stieg Zornesröte. Er hob die Hände, die Klasse beruhigte sich und wartete ab, wie es nun weitergehen würde.

»Das verschafft dir zwei Tage Nachsitzen«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen.

Ich wandte mich wieder der Tafel zu und schrieb:

Die Klasse reagierte mit wildem Applaus und Pfiffen. Ich hielt Winser den Marker hin, sah ihn so durchdringend an, dass er den Blick abwenden musste, und ließ den Stift dann zu Boden fallen. Klack!

Die Schüler sprangen von den Stühlen und jubelten. Selbst Gwen Oliver grinste von einem Ohr zum anderen.

Am Nachmittag nach Unterrichtsende saß ich im leeren Klassenzimmer. Es war der erste von fünf Tagen, an denen ich nachsitzen sollte. Mir war das egal. Ständig hielt man uns Vorträge darüber, wie schlimm es ist, jemanden zu mobben, und dass man das nicht tun sollte. Ich bin der Meinung, das gilt auch für Lehrer.

Also ehrlich gesagt, fand ich Nachsitzen gar nicht schlimm. Immerhin hatte ich so die Gelegenheit, meine Hausaufgaben zu machen. Genau genommen war ich sogar gezwungen, meine Hausaufgaben zu machen. Immerhin hatte ich dann schon alles erledigt, wenn ich nach Hause kam, und konnte fernsehen. Man muss Dinge immer positiv sehen.

»Im Ernst jetzt?«, sagte eine Stimme vor dem Fenster. »Du hast den Marker fallen lassen und bist einfach weggegangen?«

»Du bist wohl verrückt geworden«, sagte eine zweite Stimme.

Vor dem offenen Fenster standen meine beiden Freunde, Annabella Lu und Theo McLean.

Lu war nicht zu übersehen. Sie war chinesischer Abstammung und trug ihre glatten, pechschwarzen Haare in einem kinnlangen Pagenkopf und einem Pony, der gerade noch so die Augen frei ließ. Während die meisten anderen Mädchen nur etwas Lipgloss auftragen, sind Lus Lippen grundsätzlich grell rot geschminkt. Ihre blasse Haut machte sie noch auffälliger. Damit gleicht sie einer sprechenden Verkehrsampel. Lu trug ein rotkariertes Hemd über einem schwarzen T-Shirt und abgeschnittene Jeans. Keines der anderen Mädchen sah auch nur entfernt so aus wie Lu. Und genau das war ja Lus Absicht. Ich nannte sie Lu, weil Annabella einfach viel zu viele Silben hatte.

»Der Typ hat doch eine Meise«, sagte ich achselzuckend.

»Und du bist jetzt ein Held«, sagte Lu.

»Ich möchte gar kein Held sein.«

»Dann sei vorsichtig. Sonst könnte es sein, dass die Leute dich plötzlich mögen.«

»Damit hast du Winser einen Vorwand geliefert«, sagte Theo. »Jetzt wird er dich das ganze Jahr lang nicht aus den Augen lassen.«

Theo redete immer wie ein Professor, der eine Vorlesung hält. Er war dunkelhäutig und stets so gekleidet, als käme er gerade vom Brunch in einem vornehmen Country Club. Seine Hemden und seine Khakishorts waren grundsätzlich so glattgebügelt, dass kein Fältchen zu sehen war. Und er trug Krawatten. Besser gesagt: Fliegen. Alles in allem sah er genauso aus wie ein Schüler, der jeden Tag von den anderen verprügelt wird. Dass dies nicht geschah, verdankte er seiner Lebensversicherung … Mit mir legte sich so schnell keiner an.

»Es ist erst Oktober«, sagte Theo. »Das Schuljahr dauert noch ziemlich lang.«

»Ja, für Winser auch«, sagte ich. »Wenn er nicht lockerlässt, tue ich das auch nicht.«

»Das gefällt mir nicht.« Theo runzelte die Stirn. »Das kann doch nur noch schlimmer werden.

»Fünf Nachmittage Nachsitzen!«, sagte Lu. »War es das wert?«

»Wie siehst du das?«, fragte ich.

»Wie ich das sehe?«, fragte Lu überrascht. »Musst du wirklich fragen? Kennen wir uns? Klar, war es das wert.«

»Dankeschön«, sagte ich.

»Ich muss los«, sagte Lu. »Ich habe Training.«

Sie stieß sich ab und sauste auf ihren Rollerskates den Gehweg entlang. Lu spielt in der Rollerderby-Mannschaft. Sie flitzte so schnell, dass ihr Hemd und ihre Beine zu einem einzigen roten Farbfleck verschwammen.

»Brauchst du was?«, fragte Theo.

»Mann, Theo, mach dich locker. Das hier ist Nachsitzen, nicht der Knast.«

»Klaro.«

Ja, Theo sagt sehr häufig »klaro«. Wenn er nicht mein bester Freund wäre, würde ich ihn dafür vermutlich verprügeln.

»Wir sehen uns morgen«, sagte er und machte sich in die andere Richtung davon.

In der Stony-Brook-Mittleschule hatte ich nicht viele Freunde. Genau genommen waren es zwei. Lu und Theo. Cliquen lagen mir nicht. Wir drei legten keinen besonderen Wert darauf, zu den angesagten Leuten zu gehören. Das hätte ja bedeutet, dieselben Klamotten zu tragen wie alle anderen und sich über die Leute lustig zu machen, die sich nicht anpassten. Wir machten, was wir wollten, weil es uns egal war, was jemand anderes über uns dachte. Wir genossen also die absolute Freiheit.

Ich sah auf die Uhr. Zwanzig Minuten waren von meinem ersten Nachsitz-Nachmittag noch übrig. Ein Klacks für mich. Ich zog mein Erdkundeheft hervor und wollte mich gerade auf die wundersame Welt des vulkanischen Magmas einlassen, als mich so ein merkwürdiges Gefühl beschlich … als würde mich jemand beobachten. Ich sah wieder zum Fenster. Waren Lu oder Theo vielleicht zurückgekommen? Fehlanzeige. Aber ich war nicht allein.

Ich sah zur offenen Klassenzimmertür und stellte fest, dass dort ein Mann stand. Er starrte mich mit ausdrucksloser Miene an. Und als wäre das nicht seltsam genug, trug er einen Schlafanzug und einen Bademantel. Mir lief ein Schauer über den Rücken.

»Suchen Sie jemanden?«, fragte ich.

Crash! Aus dem Flur war das Geräusch von zersplitterndem Glas zu hören. Es war so laut und kam so überraschend, dass ich zusammenzuckte.

Der Mann, der in der Tür stand, reagierte kaum. Er schaute den Flur entlang, dann drehte er sich um und ging langsam in die entgegengesetzte Richtung.

Ich sprang hoch und rannte los, um nachzusehen, was passiert war. Ich sah in den Flur und rief dem Mann nach: »Hey! Was war …?«

Der Mann war verschwunden. Wie bitte? Er konnte doch eigentlich erst ein paar Schritte entfernt sein, aber er war nicht mehr zu sehen. Vielleicht hatte er sich im angrenzenden Klassenzimmer versteckt. Merkwürdig.

Ich schaute in die andere Richtung und erkannte den Grund für das berstende Geräusch. Etwa in der Mitte des Flurs war eine Glasvitrine mit Sporttrophäen vollkommen zerstört. Hoppla.

»Mrs Holden?«, rief ich laut.

Mrs Holden war stellvertretende Schulleiterin und beaufsichtigte mein Nachsitzen. Erst vor einer kurzen Weile hatte sie meinen Klassenraum verlassen, um zu erledigen, was stellvertretende Schulleiter nach dem Unterricht so alles erledigen. Wo auch immer sie sich jetzt aufhielt, sie antwortete nicht.

Ich ging auf die kaputte Vitrine zu und als ich näher kam, erzeugten meine Turnschuhe auf den Glassplittern ein knirschendes Geräusch. Die Vitrine enthielt Pokale und Medaillen, die längst vergessene Sportmannschaften im Laufe vieler Jahre errungen hatten. Die Teile der Vitrine lagen überall verstreut. Manche Trophäen waren in zwei Teile zerbrochen, andere komplett zerstört. Die Glasscheibe, die sie geschützt hatte (haha!), lag in einer Million winziger Glassplitter auf dem Boden. Derjenige, der das hier verbrochen hatte, würde nicht ungestraft davonkommen. Der Typ im Schlafanzug musste alles beobachtet haben.

Ich ging noch einen knirschenden Schritt näher heran und sah vor mir auf dem Boden etwas, was eigentlich überhaupt nicht da sein konnte. Winzigste Glassplitter lagen überall, aber direkt unter der Vitrine waren die Scherben zu einem Muster zusammengelegt, das Worte ergab. Worte aus Abertausenden kleiner Glassplitter wie ein Mosaik.

»Gib den Schlüssel heraus!«, las ich laut.

Meine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Wie konnte das sein? War es möglich, dass die Glassplitter zufällig so gefallen waren? Undenkbar. Aber es hatte doch niemand Zeit gehabt, die Buchstaben so hinzulegen.

Crash!

Der Zerstörer tobte immer noch. Jetzt kam das Geräusch aus einem Teil des Flurs, der um die Ecke lag. Ich spurtete los, bog um die Ecke und entdeckte den Übeltäter. Meine Knie wurden weich. Einige Meter vor mir stand ein riesiger, schwarzer Stier. Jawohl, ein Stier.

»Meine …«

Das Tier schwang seinen Kopf wütend hin und her. Seine langen, spitzen Hörner blitzten. Das Vierhundert-Kilo-Monster wirkte gar nicht wie ein lebendiges Tier, eher wie ein Schatten.

Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Dann fiel der Blick des Stiers direkt auf mich. Das Tier erstarrte, schnaubte und grub seinen Vorderhuf in den Boden. Ich hatte genügend Filme über Stierkämpfe gesehen, um zu erkennen, dass das kein gutes Zeichen war. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, aus Angst, einen wütenden Angriff des Ungeheuers auszulösen. Einen Angriff auf mich.

»Mr O’Mara?«

Ich blickte rasch nach links. Da stand Mrs Holden direkt neben der Tür meines Klassenzimmers. Keine gute Idee. Denn sobald ich den Blick abwandte, ging der Stier zum Angriff über. Ich konnte nur eines tun … rennen.

»Schnell weg!«, rief ich Mrs Holden zu, während ich auf sie zu spurtete.

Mrs Holden kam einen Schritt auf mich zu und machte ein verwirrtes Gesicht.

»Was machst du denn da?«, fragte sie.

Der Stier erreichte die Ecke hinter mir. Um nicht auszurutschen, bohrte er seine Hufe ins Linoleum, aber er kam nicht um die Kurve. Er rutschte und krachte mit schmerzerfülltem Stöhnen in die gegenüberliegende Wand. Der ganze Boden bebte von dem Aufprall. Aber das bremste das Tier nicht, sondern steigerte seinen Zorn noch. Es stieß ein wütendes Gebrüll aus, von dem sich meine Nackenhaare aufstellten. Ich raste durch die Glassplitter vor der Pokalvitrine. Meine Schritte knirschten. Ich fürchtete schon, ich würde ausrutschen und fallen. Der Stier hatte sich wieder hochgerappelt und holte jetzt schnell auf.

Mrs Holden ging immer noch auf mich zu, sie hatte die Arme ausgestreckt und die Handflächen nach oben gedreht: »Was ist denn los?«, hieß diese Geste.