Die Birmingham-Akten: Dämonenfeuer - Sonja Amatis - E-Book

Die Birmingham-Akten: Dämonenfeuer E-Book

Sonja Amatis

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Beschreibung

Ein Toter, eine Schwerverletzte, ein Vermisster: Die nächste Runde im Kampf gegen den Murphy-Fluch steht an und gleichgültig, ob Tami und Jardeen sich bereit fühlen, sie müssen sich der Herausforderung stellen. Sehr schnell geht es heiß zur Sache. Und je stärker Murphy wird, desto schwächer scheint Isolda zu sein … Dies ist Teil 6 der Reihe. Der Titel des 1. Teils lautet: Die Birmingham-Akten: Golemjammer. Teil 2: Die Birmingham-Akten: Sirenengesang Teil 3: Die Birmingham-Akten: Nymphenreigen Teil 4: Die Birmingham-Akten: Trolldebatten Teil 5: Feentanz Ca. 72.000 Wörter Inklusive ca. 2000 Wörter Index Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 360 Seiten.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ein Toter, eine Schwerverletzte, ein Vermisster: Die nächste Runde im Kampf gegen den Murphy-Fluch steht an und gleichgültig, ob Tami und Jardeen sich bereit fühlen, sie müssen sich der Herausforderung stellen. Sehr schnell geht es heiß zur Sache. Und je stärker Murphy wird, desto schwächer scheint Isolda zu sein …

 

Dies ist Teil 6 der Reihe.

Der Titel des 1. Teils lautet:

Die Birmingham-Akten: Golemjammer.

Teil 2: Die Birmingham-Akten: Sirenengesang

Teil 3: Die Birmingham-Akten: Nymphenreigen

Teil 4: Die Birmingham-Akten: Trolldebatten

Teil 5: Feentanz

 

Ca. 72.000 Wörter

Inklusive ca. 2000 Wörter Index

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 360 Seiten.

 

 

 

von

Sonja Amatis

 

 

 

        

Tierisches Vergnügen

 

Jardeen genoss es.

Das Herzklopfen.

Die Aufregung, die durch seine Muskeln pulsierte. Es war großartig! So fühlte es sich an, lebendig sein zu dürfen.

Vor Begeisterung bellte er lautstark und sprang dem Verbrecher in den Rücken, der geglaubt hatte, an einem freundlich aussehenden Irish Red and White-Setter vorbeihuschen zu können. Leichter jedenfalls als an dem Kodiakbären, der den Eingang des Lagerhauses besetzt hielt. Nikina, erst seit zwei Tagen wieder arbeitsbereit, rannte gerade in Bergziegengestalt einen weiteren armen Tropf nieder, der einem ähnlichen Irrtum aufgesessen war – zu glauben, dass ein eher kleines, nett anzusehendes Wandlertier bedeutete, dass man irgendwie lieb, sanft und kuschelig sein musste. Sie war knapp einen Meter hoch, hatte plüschiges weißes Fell. Da konnte man leicht übersehen, dass die Hörner über zwanzig Zentimeter lang waren, die Beine extrem muskulös, der kompakt gebaute Körper locker fünfzig Kilo schwer. Nein, mit Nikina wollte sich Jardeen ganz bestimmt nicht anlegen!

„Au! Verpiss dich, verdammtes Mistvieh! Lass mich in Ruhe!“, brüllte das nächste Mitglied dieser Bande von Einbrechern und Schmugglern. Tami hatte ihm in die Wade gebissen und stand nun hoch aufgerichtet in seiner – zugegeben etwas behäbig wirkenden – Singschwangestalt vor dem fassungslos erstarrten Mann, und drohte ihm laut fauchend. Ein entschlossener Tritt könnte Tami schwer verletzen, doch zum Glück war der Mann klug genug, darauf zu verzichten.

Einen Moment später lag der Kerl flach auf dem Boden. Susan kniete in menschlicher Gestalt über ihm, bohrte ihm ein Knie in den Rücken, um ihn bewegungsunfähig zu halten, und legte ihm Handschellen an. Sofort erschien John an ihrer Seite und half, den Verhafteten in Richtung Wand zu ziehen, wo bereits sechs Gefangene hockten, die gesichert worden waren. Mit überforderten Mienen verfolgten sie das Schauspiel, wie ihre vierzehn verbliebenen Gefährten umherstolperten und sich bemühten, den diversen Tieren zu entkommen.

Juliette wachte darüber, dass keiner der Jungs Dummheiten versuchte, wie etwa mit auf den Rücken gefesselten Händen einen Ausbruchsversuch zu wagen. Derweil kreisten Filo und Akim in Papageiengestalt unter der Decke. Wunderschöne Hyazinth-Aras waren sie, blaugefiedert, die größte Papageienart der Welt. Die Decke hingegen bestand aus schäbigem, porösem Beton. Das Gebäude hätte eigentlich schon vor grob geschätzt zweihundert Jahren abgerissen werden müssen, man sah die Schäden von vergangenen Überschwemmungen wie Jahresringe an den Wänden.

Stattdessen hatte man dieses Lagerhaus immer wieder aufwändig und sicherlich für hohe Kosten saniert, was wohl mit seiner ruhigen, abgeschiedenen Lage erklärt werden konnte.

Filo und Akim beteiligten sich nicht an der vergnüglichen Hetzjagd auf panische Diebe. Stattdessen bewachten sie Celestral, die ohnmächtig am Boden lag, in stabiler Seitenlage und außerhalb des unmittelbaren Geschehens. Sie hatte einiges abbekommen, befand sich allerdings laut Juliette in keiner unmittelbaren Gefahrensituation. Darum ließen Jardeen und die anderen sich auch mit viel Schwung an den Dieben aus, die es gewagt hatten, Celestral anzugreifen.

Dieser Großeinsatz hatte sich schrittweise entwickelt. Akim hatte um Hilfe gerufen, als er und sein Bruder bei einer ganz gewöhnlichen Zeugenbefragung dieses Lagerhaus betreten hatten. Es hatte den einen Moment zu lange gedauert, bis sie begriffen, dass sie gerade rund zwanzig Männer in deren Schmugglertätigkeiten störten, darum konnten sie sich nur noch verwandeln und ihr Glück unter der Decke fliegend suchen, da es ihnen auch nicht mehr möglich war, aus dem Lagerhaus zu fliehen. Douglas, Nikina und Celestral hatten sich in unmittelbarer Nähe befunden, jeweils mit eigenen Ermittlungstätigkeiten beschäftigt. Sie kamen hinzu, als diese Narrenbande Zielschießübungen auf die Papageien veranstalteten und mit Flaschen, Werkzeugen und allerlei Gebrauchsgegenständen versuchten, Akim und Filo zu treffen. Bevor jemand Celestral zurückhalten konnte, war sie bereits wutentbrannt in den Pulk der Männer gestürmt. Einen Moment später hatte sie am Boden gelegen. Douglas brüllte nach weiterer Verstärkung, die von seinen Botenfeen umgehend organisiert wurde. Zugleich zerstörte er jeden Fluchtgedanken der Bande, indem er sich in einen Kodiakbären verwandelte. Niemand, wirklich niemand war so dumm, sich mit einem solchen Tier anlegen zu wollen.

Mit einem gut gezielten Sprung brachte Jardeen den nächsten Dieb zu Fall. Es war in etwa so einfach wie Äpfel von einem Baum zu pflücken, und mindestens genauso vergnüglich. Er hielt Tami den Rücken frei, der lauthals schnatternd seinen Gegner attackierte.

So etwas könnten sie gerne jeden Tag veranstalten!

Mit einem Mal erklang ein fröhliches „Nnga!“

Brobro war es, der treueste Troll von Birmingham, dem es draußen offenkundig zu langweilig geworden war. Ohne viel Federlesen brach er durch eine Mauer, statt umständlich zu warten, bis Douglas ihm Platz machen konnte. Auf Brobros Schulter hockte Willarth, der sich ängstlich festklammerte. Brobro hielt kurz inne, um sich zu orientieren und Freund von Feind zu unterscheiden. Diese Gelegenheit nutzte Willarth für einen Kampfschrei: „DEUS VULT! Gott will es! Voran, tapfere Krieger!“

Das brauchte man Brobro kein zweites Mal zu sagen. Er warf sich glücklich brüllend auf die verbliebenen Männer, die kreischend vor Angst fortzulaufen versuchten. Mit dieser schlagkräftigen Unterstützung dauerte es keine volle Minute mehr, bis sie die gesamte Bande flach auf die Bäuche niedergezwungen hatten und sie in aller Ruhe verhaften konnten.

Aus dem Nichts kam Daphne herbeigesprungen. Sie war eine bildschöne Maine Coon mit hellbraunem Fell. Lässig, beinahe nebenbei zog sie einem der Männer die Klauen durch das Gesicht, wobei sie drei blutige Kratzer auf seiner Wange hinterließ. Keine tiefen Wunden, sie würden vermutlich keine Narben hinterlassen. Schmerzhaft war es dennoch. Der Mann, ein sommersprossiger Rotschopf, versuchte auf die Beine zu kommen. Ein Ansinnen, das von Juliette gnadenlos niedergemacht wurde, indem sie ihn mit stählerner Kraft zurückdrückte.

Daphne verwandelte sich und zischte dem Rotschopf zu: „Das ist dafür, dass du eine der unsrigen krankenhausreif geprügelt hast! Versuch ruhig, mich mit deinen hübschen Kratzern wegen Polizeibrutalität anzuklagen. Sie ist ohnmächtig und bete, dass es ihr trotzdem gut geht!“

„Es ist halt eskaliert …“, murmelte der Rotschopf niedergeschlagen. Er würde keine Anzeige versuchen, wenn er halbwegs bei Verstand war. Und Jardeen dachte nicht im entferntesten daran, seinem Job als Springerermittler nachzukommen und Daphne zu maßregeln. Mit den Kratzern war der Kerl noch viel zu gut davongekommen.

Stattdessen ging er gemeinsam mit Tami, der sich gleichzeitig mit ihm zurückverwandelt hatte, zu Celestral hinüber. Sie war inzwischen bei Bewusstsein, sah allerdings keineswegs glücklich aus. Akim und Filo knieten neben ihr.

„Ist der Sanitätstransport unterwegs?“, fragte Jardeen und hockte sich ebenfalls zu ihr nieder.

„Sollte jeden Moment eintreffen“, murmelte Akim. Er machte sich Vorwürfe, das konnte man deutlich sehen.

„Hey“, sagte Jardeen darum und legte ihm einen Arm um die Schulter. „Celestral ist sehr erfahren. Sie wird sofort erkannt haben, dass das hier keine Schwerkriminellen sind, die ohne zu zögern über Leichen gehen.“ Nicht wie die Bande, mit der sie vergangenen Monat zu tun hatten. Die Nachtclubs nutzten, um sich an niedersten menschlichen Bedürfnissen zu bereichern. Drogen, Menschenhandel, Prostitution. Dazu die Gruppe von Esoterikern, die sich einbildeten, Zugang zur Magie zu besitzen und daraus ein seltsames Gedankenkonstrukt menschlicher Überlegenheit erschaffen wollten. Basierend darauf, dass Magie in übernatürlichen Kreaturen widerwärtig und in Mischlingen vollkommen verschwendet war und nur in reinblütigen Menschen adlig und edel sein konnte. Darum hatten sie nach dem „magischen Gen“ geforscht und dabei unbeschreibliche Gräueltaten an Mischlingen begangen. Jardeen, Tami und Willarth wären beinahe umgekommen … Hastig fokussierte er sich, um die aufschäumenden Erinnerungen zu unterdrücken. Sie würden in Panik münden. In Schmerz und Todesangst. Schon kribbelte es in seinem Bein, dort, wo es begonnen hatte, bevor die Realität zerschmolz und der Horrortrip anfing und …

„Mr. Jardeen.“ Willarth landete auf seiner Schulter und schmiegte sich wie ein Kätzchen an ihn. Ausnahmsweise gab es kein Zitat irgendwelcher Weisheiten. Seine Nähe genügte dennoch, um Jardeen zurück in die Gegenwart gleiten zu lassen.

„Wie gesagt, Celestral ist eine erfahrene Ermittlerin. Sie hat aus Sorge um dich und deinen Bruder vielleicht ein bisschen versäumt, auf ihre Sicherheitsdistanz zu achten und ist in diesen Pulk aufgeheizter Kerle reingeraten. Das ist nicht deine Schuld. Auch nicht Filos. Okay?“

Er suchte bei diesen Worten Celestrals Blick, der reichlich umwölkt und benommen war. Dennoch nickte sie ihm matt zu.

Daphne gesellte sich zu ihnen.

„Der Transport steht vor der Tür. Brobro wird dich raustragen, Celestral. Akim, Filo, ihr begleitet sie. Der Rest wird hier gebraucht, damit wir die ganzen Leute ordentlich verpacken und zum Revier bringen können. Das Einbruchsdezernat ist bereits informiert, dass wir ihnen ein großes Geschenk mit Schleife übergeben wollen. Zum Glück müssen wir die Kerle nicht selbst prozessieren. Sobald wir Feierabend haben, kommen wir rüber ins Krankenhaus und belagern dich, bis uns das Pflegepersonal vor die Tür kehrt.“ Sie drückte Celestrals Hand, die zumindest ein halbes Lächeln zustande brachte.

„Das war lustig“, brummte Tami und zog Jardeen zu sich heran. „Endlich mal austoben! Das war das erste Mal überhaupt, dass wir uns fast alle in Wandlergestalt getroffen haben.“

Für gewöhnlich bestand ihre Arbeit aus sehr viel Lauferei, langweiligen Befragungen, noch langweiligeren Protokollen und gelegentlich ein bisschen Aufregung. Eine Runde Hasch mich! Mit einem Haufen dahergelaufener Diebe zu spielen, die neben Einbruchsgut in erster Linie mit illegalem Alkohol und Luxusartikeln gehandelt zu haben schienen, war tatsächlich erfrischend gewesen.

„Nichts dagegen, wenn es lustig wird“, sagte Jardeen lächelnd. Der halbe Flashback von vorhin wirkte noch ein wenig nach, aber insgesamt ging es ihm bereits wieder deutlich besser. „Solange es nicht zu sehr ausartet, ist lustig hochwillkommen.“

„Ein lustig Herz läuft immerzu, ein schweres bleibt bald stecken, wie Shakespeare schrieb“, zitierte Willarth. Sie beobachteten, wie behutsam Brobro Celestral auf die Transportliege hob und sie zu den Sanitätern und dem Notarzt nach draußen brachte. Die Trolle, die zum Sanitätstransport gehörten, hätten diese Aufgabe selbstverständlich genauso gut erledigen können. Doch niemand hatte Brobros Recht angezweifelt, es tun zu dürfen. Celestral gehörte zu Tamis und Jardeens Team. Damit war sie Familie, was Brobros Verständnis anging. Die schlichte Denkweise eines Trolls konnte einen Menschen Demut lehren. Man musste lediglich bereit sein, zu ihnen auf- statt auf sie herabzublicken, wie die meisten Leute es leichtfertig taten – und nichts davon hatte mit Körpergröße zu tun.

„Na kommt, Jungs“, sagte John und schlug ihnen herzlich auf die Schultern, darauf bedacht, Willarth nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Wir müssen unseren Fang verwalten und ich glaube, die Polizeitrolle sind bald da. Entweder das, oder wir haben ein Erdbeben.“

Zwanzig Trolle trabten im Gleichschritt heran. Das ließ das altertümliche Gebäude gehörig wanken.

Mit einem genervt klingenden Fauchen verwandelte sich Daphne zurück in eine Katze und eilte hinaus, den Trollen entgegen. Jardeen nutzte die Gelegenheit, in der alle anderen abgelenkt waren, und stahl sich rasch einen Kuss von Tami. Er hatte ein ungutes Bauchgefühl. Das hier war eine seltsame Verstrickung von Zufällen gewesen. Wenn das geschah, dauerte es meist nicht mehr lange, bis eine Leiche auftauchte. Ein Mensch, der eindeutig ermordet worden war. Und danach wurde es regelmäßig sehr, sehr bunt in ihrem Leben … Was eben geschah, wenn sich ein bis zwei Murphy-Flüche an einem abarbeiteten. Zudem nahte die Wintersonnenwende. Einen direkten Bezug zu kosmischen Vorgängen hatten die vorherigen Ereignisse zwar nicht besessen. Da Evyngea, die Stammmutter der Geflügelten, große Ereignisse für die Tag-und-Nacht-Gleiche im Frühling vorangekündigt hatte, würde die Wintersonnenwende vielleicht auch Bedeutung haben?

Aus diesem Grund hatte Tami sich noch nicht bei seinen Eltern gemeldet, ob er mit Jardeen an den Weihnachtsfeiertagen vorbeischauen würde. Die hatten gelacht, als er meinte, man könne nicht wissen, ob sie Weihnachten noch lebend erreichen würden … Tamis Eltern hatten wirklich keine Ahnung, was ihr Adoptivsohn so machte. Dabei gab es durchaus Zeitungsberichte und wer aufmerksam zuhörte, konnte Rückschlüsse ziehen, dass sie in merkwürdige Dinge verstrickt waren. Jardeen fand es gut, dass es Menschen gab, die sich der seligen Ahnungslosigkeit hingaben und ihr eigenes Leben genossen, ohne allzu viel über den Tellerrand zu schauen. Einen solchen Luxus wünschte er sich ebenfalls. Gleichförmiges Einerlei. Keine Angst vor dem nächsten Tag. Das musste das Himmelreich sein.

Sie hockten im Aufenthaltsraum der Klinik zusammen. Alle, mit Ausnahme von Celestral. Die Ärmste hatte neben einer schweren Gehirnerschütterung auch Rippenbrüche davongetragen. Zum Glück gab es keine inneren Verletzungen und die Ärzte waren sich sicher, dass sich keine Hirnblutung entwickeln würde. Dennoch sollte sie zwei Tage zur Beobachtung dableiben und durfte in dieser Zeit ausschließlich von Filo und Akim Besuch erhalten – die beiden hatte sie als ihre Söhne ausgegeben, was niemand hinterfragt hatte. Jetzt schlief sie, und da gerade Abendessenszeit war, lag der Aufenthaltsraum von ihrer Truppe abgesehen verwaist da.

„Rotschopf hat sich mittlerweile mit jeder einzelnen seiner Botenfeen entschuldigt“, sagte Daphne zu Akim und Filo, die bis eben bei ihrer Mentorin gewesen waren und den etwas anstrengenden Aufmarsch der Holden nicht mitbekommen hatten. „Er hat im Reflex ausgeholt und zugelangt. Es wäre weniger hart ausgegangen, wenn Celestral nicht unglücklich auf einer Eisenstange gelandet wäre.“

„Die Ärzte sagen, dass sie auf jeden Fall für einige Wochen ausfällt“, murmelte Akim.

„Davon gehe ich bei gebrochenen Rippen aus“, entgegnete Daphne. „Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn wir mal wieder Vollbesetzung genießen könnten.“ Sie gab Nikina einen freundschaftlichen Klaps auf den Arm, die sichtlich unglücklich war, sich in dieser Umgebung aufhalten zu müssen. Von Krankenhäusern hatte die Ärmste mehr als genug und sie war immer noch nicht voll belastbar. Lediglich für Schreibtischarbeit hatten die Ärzte sie freigegeben. Dass sie sich in Wandlergestalt ausgetobt hatte, war definitiv nicht vorgesehen und ihr schmales Gesichtchen war dementsprechend blass. Sicherlich litt sie an Schmerzen und Erschöpfung. Andererseits dürfte es ihrer Psyche gut getan haben, darum sagte auch Daphne nichts weiter dazu.

„Wir sind jetzt die absoluten Lieblingskollegen des Einbruchsdezernats“, brummte sie stattdessen. „Dieser Bande waren sie schon einer Weile auf den Fersen. Die hatten sich ungewöhnlich geschickt darin angestellt, die Spuren zu verwischen und nie DNA zu hinterlassen. Bei ihren Einbrüchen haben sie ausschließlich Wohnungen gewählt, deren Besitzer unterwegs waren. Frech ist es, am helllichten Tag Türen aufzubrechen, und sie wurden tatsächlich nie beobachtet. Die Jungs können sich auf harte Sozialisierungsprogramme gefasst machen. Für den Angriff auf Filo, Akim und Celestral gibt es noch Nachschlag, und der Widerstand gegen die Verhaftung hilft da auch nicht weiter.“ Sie blickte in die Runde. Dass Celestral nun doch schwerer verletzt war, als sie gehofft hatten, drückte auf die Stimmung.

„Trotz des erfolgreichen Tages hat hier wohl niemand Lust, noch ein wenig feiern zu gehen?“

Nacheinander schüttelten sie alle die Köpfe. Tami wollte mit Jardeen und Willarth nach Hause. Er hatte den besorgten Blick seines Liebsten bemerkt und er teilte die Unruhe. Es war schon ein seltsamer Zufall, dass sie einfach so in eine Schmugglerbande hineingelaufen waren. Was würde als Nächstes geschehen? Einen Monat hatten sie den Frieden genießen und sich ein wenig erholen können. Es war nicht genug. Jardeen litt nach wie vor heftig unter dem, was er durchmachen musste. Sollte es jetzt wieder losgehen, dann … Herrgott, sie waren nicht bereit!

Er spürte Juliettes Blick auf sich ruhen. Sie durchschaute ihn mühelos, wie stets; und schwieg, weil sie wusste, dass Worte nichts verändern würden.

„Nun gut. Ich sage Sebastian Bescheid, dass ich heute mal etwas früher als gewohnt heimkomme. Genießt den Feierabend, ihr habt ihn euch verdient. Douglas.“ Daphne wies mit dem Kinn zu Nikina, was ein direkter Befehl an Douglas darstellte, seine Partnerin sicher nach Hause zu bringen. Nikinas Gesicht verdüsterte sich etwas, doch sie protestierte nicht. Sie hatte nie zu den Frauen gehört, die zickig jede Art von Hilfe ausschlugen, um zu beweisen, wie stark und unabhängig sie waren. Auf diese Art bevormundet zu werden, behagte ihr zwar nicht, aber sie nahm es sportlich.

„Ist nach wie vor alles in Ordnung mit Sebastian?“, fragte Juliette vorsichtig. Daphne war praktisch sofort mit diesem Mann zusammengezogen, nachdem sie sich lediglich dreimal auf ein Date getroffen hatten. Jeder von ihnen wusste, dass Sebastian dazu verdammt war, eines gewaltsamen Todes zu sterben. Schlicht und ergreifend deshalb, weil Daphne sich ausschließlich in Männer verliebte, denen dieses Schicksal gewiss war. Es war das erste Mal, dass sie sich bewusst ihrer genetischen Berufung als letzte Walküre dieser Welt stellte.

„Ihm geht es gut“, erwiderte Daphne mit einem mysteriösen Lächeln. „Ich denke, wir machen uns gegenseitig glücklich. Dennoch treibe ich ihn an, damit er sein Stück fertigstellt. Ich würde es hassen, wenn es unvollendet bliebe, es ist wirklich sehr gut.“

Sebastian schrieb Theaterstücke für Kinder. Vierzehn seiner Werke waren bereits auf die Bühne gebracht worden. Keines davon hatte das Potential, die Welt zu verändern, doch nach allem, was Tami bislang erfahren hatte, waren es erfolgreiche und schöne Stücke. Außerdem mochte er den feinsinnigen Mann, dem er in den vergangenen Wochen mehrfach begegnet war. Sebastian brachte Daphne zum Leuchten. In seiner Gegenwart lächelte sie, wie sie es sonst niemals tat, und bei mehr als einer Gelegenheit hatte man sie dabei erwischt, wie sie sich Tagträumen hingab. Sie alle hofften, dass Sebastian noch viel Zeit bleiben würde. Für ihn genauso wie für Daphne.

Wie sie es schaffte, das durchzuhalten, wissend, dass es jede Minute vorbei sein könnte, warten zu müssen mit der einzigen Gewissheit, dass das Ende grausam sein würde … Unglaublich, woher sie diese Kraft nahm.

Sie trennten sich, wobei Akim und Filo zu Celestral zurückkehrten, um noch ein wenig bei ihr zu bleiben. Auf dem Weg nach unten zum Hauptausgang drängte sich plötzlich Susan zwischen Tami und Jardeen und hakte sich bei ihnen beiden ein.

„Eine blöde Frage von der kleinen dicken Blondine aus der letzten Reihe“, sagte sie lächelnd. „Ich kenne Celestral nicht gut. Sie ist total nett und total unnahbar. Wir arbeiten jetzt schon ein Weilchen zusammen und trotzdem weiß ich nicht mehr über sie als am ersten Tag. Diese sehr enge Beziehung zu Akim und Filo verstehe ich. Oder ich glaube es zumindest. Sie war früher mit diesem Les verpartnert, bei dessen Namen John ständig Galle spuckt.“

„Les hat Jardeen sexuell attackiert!“, knurrte Tami angewidert.

„Was nicht seine Schuld war!“, fuhr Jardeen sofort energisch dazwischen. „Nymphische Anziehungskraft ist verwirrend für Männer, die sich als strikt hetero definieren und feststellen, dass sie eher bisexuell sein müssen. Dementsprechend aggressiv reagieren sie darauf.“

„Egal wie oft du das noch wiederholen willst, ich wünsche mir immer noch, ich hätte den Scheißkerl kastriert!“

„Mr. Ellian!“, hauchte Willarth erschrocken. „Behandle niemand mit Verachtung; ertrage schmähende Reden mit Geduld; sei nicht zornig gegen den Zornigen; gib Segnungen für Flüche. Das sind die Worte der Weisen, so gefunden in Indien.“ Willarth zitterte, er ertrug es nicht, wenn seine Freunde wütend waren. Mit schlechtem Gewissen streckte Tami die Hand nach ihm aus und nahm ihn an sich.

„Sorry“, murmelte er. Es tat ihm leid, dass der Kleine aufgebracht war. Seine Wut auf Les hingegen tat ihm nicht im Geringsten leid.

„Okay“, sagte Susan. „Celestral und Les. Ein Dreamteam mit unglaublicher Aufklärungsquote, perfekt eingespielt wie ein altes Piano. Dann ist er plötzlich weg und sie wendet sich dem Jungvolk zu, um dort ihre neue Berufung zu finden. Die Jungs wiederum sind dermaßen grün hinter den Ohren, dass ich gar nicht so genau weiß, warum man sie Ermittler sein lässt. Außer dass sie willig sind und es von der Sorte nicht genug gibt. Ist klar, dass sie sich eng an die Mentorin klammern. Aber irgendwie … Irgendwas kann ich an der Sache nicht recht packen und ich weiß nicht, was genau das ist. Macht mich nervös.“ Susan lächelte verträumt, wie es ihre Art war, während sie gemeinsam die Treppe hinuntergingen. Daphne und die anderen hatten den Aufzug genommen, dort hätten sie nicht mehr hineingepasst, ohne den hiesigen Fahrstuhltroll zu verärgern.

„Bei Celestral muss man wissen, dass sie vor etwa zwanzig Jahren verheiratet war und drei Kinder hatte“, sagte Tami. „Ihr Mann war älter als sie, ein Staatsanwalt mit großen politischen Ambitionen. Er wollte das ganze altkonservative Familienspiel. Die Mutter, die daheim bleibt, die Kinderchen schaukelt und seinen Arm schmückt, wenn er bei wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen teilnimmt. Celestral war ihm begegnet, als sie sehr jung und bildschön war und ließ sich von ihm blenden. Eines Morgens wurde sie wach und erkannte sich im Spiegel nicht mehr wieder. Sie saß da, hatte jeden erdenklichen Luxus, drei Kinder unter fünf Jahren, einen Mann, den jeder großartig fand … und sie musste dafür nichts weiter tun als zu lächeln. Um es kurz zu halten: Sie hörte auf zu lächeln und ließ sich scheiden, bevor sie daran ersticken konnte. Das Gericht sprach das alleinige Sorgerecht für die Kinder ihrem Mann zu. Celestral war damit einverstanden. Sie wusste, dass sie gegen ihren Ex nicht ankommen würde und dass sie den Kleinen nichts zu bieten hat. Stattdessen absolvierte sie die Ausbildung zur Polizeiermittlerin in Rekordzeit und steckte ihre ganze Wut, die Trauer über den Verlust ihrer Kleinen und eine gehörige Portion Hass auf mächtige Männer in ihre Arbeit. Les hat ihr gut getan. Das hat er wirklich. Er konnte sie erden, und mit ihm zusammen war sie großartig.“

Susan nickte langsam. „Filo und Akim sind jetzt so alt wie ihre eigenen Kinder, ja? Hat sie denn gar keinen Kontakt zu ihnen?“

Tami zuckte mit den Schultern. „Celestral hat diese Geschichte nur ein einziges Mal erzählt. Das war eine denkwürdige Weihnachtsfeier, sie hatte zu viel getrunken und heulte, weil ihr Mittelstück an dem Tag achtzehn geworden ist. Ob sie in irgendeiner Weise Kontakt zu ihren Kids haben kann, weiß ich nicht. Sie spricht nicht darüber und wenn man sie fragt, winkt sie bloß ab.“

„Und weiß man mehr über unsere Zwillinge und deren Familienverhältnisse?“, bohrte Susan weiter. Mittlerweile waren sie wieder im Freien angekommen. Es war ein grau-matschiger Tag. Schwül, neblig, windig. Regen drohte, bislang war noch keiner gefallen. Das übliche Frühwinterwetter also, wie es für Birmingham typisch war. Eher untypisch wirkte der Transporttroll, der geradewegs auf den Haupteingang der Klinik zueilte. Er war alt, bucklig und vernarbt und bewegte sich auf eine Art, als wäre er gar nicht sicher, was sein Ziel sein sollte.

„Mr. Jardeen, ich höre alarmierende Geräusche aus dem Transportkorb“, rief Willarth erschrocken. Er löste sich aus Tamis Armen, sprang zu Boden und rannte dem Troll entgegen.

„Graa! Ngaa guuu!“, brüllte er, so laut ein solch kleiner Golem eben brüllen konnte. Der Troll kam schlitternd zum Stehen und glotzte verwirrt auf Willarth herab.

„Ngruu?“, fragte er verwirrt.

„Nimm den Korb ab! Sofort“, kommandierte Willarth ungewohnt herrisch.

Aus der Nähe hörte nun auch Tami das schmerzliche Wimmern, das aus dem Inneren des Korbs erklang.

Der Troll gehorchte umständlich und quälend langsam. Man hörte regelrecht, wie schwierig es für ihn war, gegen den Schmerz in den arthritischen Gelenken anzugehen. Der Korb landete auf dem Boden. Blitzschnell war Jardeen heran, riss am Verschluss. Zum Vorschein kam eine junge Frau. Sie war kaum bei Bewusstsein. Ihre Arme, Oberkörper und Hals waren entsetzlich verbrannt, teilweise war die Kleidung mit der Haut verschmolzen.

„Botenfeen!“, rief Tami scharf. Sofort erschienen ein halbes Dutzend der Holden. „Holt Hilfe!“

„Willarth, bring den Troll zum Parkstall“, bat Jardeen, während er gemeinsam mit Tami und Susan den Korb vorsichtig und so langsam wie möglich umkippte, um der verletzten Frau eine angenehmere Position zu ermöglichen. „Sorge dafür, dass er Essen und Wasser bekommt und frag ihn aus. Wir müssen herausfinden, wo er sie aufgenommen hat. Falls es weitere Opfer gibt, müssen wir das sofort klären!“

Tamis und Jardeens Blicke trafen sich. Von hinten kamen Krankenschwestern herbeigelaufen. Vor ihnen lag eine Schwerverletzte, wenige Stunden, nachdem Celestral unglücklich verwundet worden war.

Es ging wieder los.

Gleichgültig ob sie bereit waren oder nicht, es ging wieder los.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Un-)spannende Grillpartys

 

„Ihr Name lautet Claudine. Claudine Anjelica Bishop.“

Jardeen blickte auf die Informationen, die gerade von einer Botenfee der Klinik geschickt worden war. „Sie liegt inzwischen auf Intensivstation und wird für das künstliche Koma vorbereitet. Fünfundfünfzig Prozent ihrer Haut sind verbrannt. Prognosen können im Moment noch keine gestellt werden, weil die betroffene Fläche zwar mengenmäßig nicht zu viel ist, dafür ist es ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Verbrennung der Stufe drei, also totes Gewebe.“

Tami nickte und schickte sofort eine eigene Botenfee los, um weitere Informationen über Claudine Bishop anzufordern, sowie eine weitere, die die Wohnung aufsuchen sollte, um dort nach Brandspuren zu fahnden. Letztere kehrte innerhalb von Sekunden zurück, auch das war nicht der Ort, wo das Opfer attackiert wurde.

Eineinhalb Stunden war es her, dass sie die junge Frau aus dem Transportkorb geholt hatten. Seither hatten sie nach Spuren geforscht und ungeduldig auf dem Revier gewartet, bis jemand Zeit hatte, die DNA des Opfers abzugleichen. Krakitüll, der Troll, der sie zur Klinik gebracht hatte, konnte ihnen zwar sagen, wo er sie aufgesammelt hatte, leider hatte das wenig geholfen. Es war eine leere Kelpiegondel gewesen, in einem weniger lebhaften Seitenkanal treibend, die zu beschädigt war, als das ein stolzer Kelpie sie noch benutzen würde. Normalerweise sammelten Kobolde diese kaputten und herrenlosen Gondeln täglich ein und sorgten dafür, dass sie wieder hergerichtet wurden. Leider funktionierten diverse Serviceabteilungen nicht mehr wie gewohnt, seit Evyngea zu ihrem Volk gesprochen hatte. Zwar gab es keine laute Rebellion mehr, keine Bestellungen wurden ahnungslosen Bürgern vor die Füße geworfen, niemand wurde beschimpft oder angeschrien. Die Kobolde benahmen sich freundlich und höflich wie gewohnt. Doch eine recht große Gruppe weigerte sich neuerdings zu arbeiten. Das war in Ordnung, niemand wurde zur Arbeit gezwungen. Da es zu Ausfällen im öffentlichen Dienstsektor kam, versuchte man sowohl andere magische Wesen als auch Menschen zu überzeugen, als Ersatz einzuspringen. Der Erfolg dieser Maßnahmen war eher mäßig zu nennen.

Aufgrund dieser Einschränkungen war es vorerst leider unmöglich zu sagen, wo genau Claudine angegriffen worden war. Jardeen hatte sorgfältig die nähere Umgebung in Hundegestalt abgeschnüffelt, ohne Erfolg. Krakitüll hatte dort das halb bewusstlose Wimmern der jungen Frau gehört und sie in seinen Transportkorb gesteckt. Sein zögerliches Verhalten war dadurch zustande gekommen, dass er keinen direkten Auftrag hatte, wohin es gehen sollte. Leider wurden Trolle im Alter stetig dümmer. Dass es dennoch für ihn gereicht hatte, die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Klinik anzusteuern, war praktisch eine Heldentat, für die sie ihn ausgiebig gelobt und mit Essen versorgt hatten.

Rund dreißig Botenfeen waren nun unterwegs, um den Tatort aufzuspüren. Kobolde wären für diesen Job besser geeignet, da Botenfeen lediglich Lebewesen magisch aufspüren konnten. Aus bekannten Gründen versuchten sie es gar nicht erst, einen Kobold zu diesem Dienst zu überreden, sondern warteten hoffnungsvoll, dass die Feen erfolgreich sein würden.

„Das Leben könnte so viel einfacher sein, wenn die Kobolde nicht beschlossen hätten, dass wir Menschen allesamt bösartige Sklaventreiber sind“, brummte Jardeen verärgert. „Oder wenn diejenigen, die sie jetzt ersetzen sollen, wenigstens halb so fähig wären wie der arme alte Krakitüll.“

„Kein Amt zu haben ist nicht schlimm. Aber schlimm ist es, keine Fähigkeit für ein Amt zu haben, das man innehält. Das hat Konfuzius gesagt. Inkompetenz am Arbeitsplatz ist ein besonders großes Ärgernis“, sagte Willarth und strahlte dabei, als würden seine Zitate schon genügen, um die schlimmsten Probleme aus der Welt zu schaffen.

Tamis Botenfee kehrte zurück.

„Claudine Anjelica Bishop, Sir!“, meldete sie zackig und überreichte Tami einen Datenkristall. Rasch las er die Informationen aus und brachte Jardeen auf neuesten Stand, während sie bereits aus dem Büro hetzten, um mit Brobros Hilfe die Adressen aufzusuchen, die sie erhalten hatten.

„Sie ist neunzehn und lebt seit einem halben Jahr in der Wohnung, die wir gerade haben kontrollieren lassen. Sie studiert Lebensmitteltechnik an der Uni. Reginald Cajus Bishop, der Vater, ist in Frührente, nachdem er einen Unfall in einem Chemielabor knapp überlebt hat. Die Mutter, ihr Name lautet Filia Arboris, arbeitet als Elektromechanikerin in einem Wasserwerk.“

„Botenfeen: Eine sucht bitte diese Filia Arboris auf und sieht dort nach dem Rechten!“, kommandierte Jardeen.

Sie hetzten die Treppen hinunter, da Zitterfinger, der Fahrstuhltroll, gerade in einem anderen Stockwerk unterwegs war. Das alles kostete Zeit, verdammt! Falls weitere Verletzte irgendwo herumlagen, konnten das die entscheidenden Minuten sein, die zwischen Überleben und Tod lagen. „Bitte fliegt mit Vollbesetzung zum Universitätsgelände und schaut dort in jeden Raum sämtlicher Gebäude und Nebengebäude. Auch Keller und Dachböden. Wir machen das wieder gut, versprochen!“

„Ich singe, was immer ihr wollt“, fügte Tami hinzu. Ein schöneres Versprechen konnte er gar nicht leisten: Sämtliche Botenfeen, die Tami, Jardeen und Willarth bei sich trugen, stoben auf und verschwanden unter Jubelschreien. Ein einzelner Feenmann blieb zurück, schaute etwas verloren um sich und wurde ebenfalls unsichtbar. Nach wenigen Sekunden kehrte er zurück und setzte sich auf Jardeens Schulter. Ihm zuliebe blieben sie einen Moment lang stehen, mitten im Treppenhaus, Höhe erstes Stockwerk.

„Filia Arboris ist gesund und wohlauf, Sir“, meldete der Kleine und salutierte etwas träger, als sie es sonst von Feen gewohnt waren. „Sie befindet sich daheim mit ihrem Gatten, beide schauen gemütlich Holo-Fernsehen. Kein Zeichen für ein Verbrechen in der Wohnung, dem Haus oder dem umliegenden Gelände.“

„Vielen Dank. Möchtest du dich den anderen anschließen?“, fragte Tami und reichte dem Feenmann einige Honigperlen.

„Nein … nein. Ich genieße mal die Ruhe“, murmelte der Kleine. Er hatte wunderschönes hellblaues Haar. Wie es bei Feen üblich war, trug er überreichlich geschmückte bunte Kleidung mit Federn und Perlen und allerlei Zierrat und Tand. Weibliche Feen liebten es einfach, gut auszusehen. Von männlichen Feen wurde hingegen erwartet, dass sie ihr Bestes gaben, um die Damen zu beeindrucken. Es herrschte ein striktes Matriarchat. Die Männer waren in der Regel kleiner, eher schwach gebaut und ziemlich unterwürfig. Irgendetwas an ihm provozierte anscheinend Willarth‘ Interesse; jedenfalls fragte er freundlich lächelnd: „Wie ist dein Name?“

Der Feenmann blinzelte irritiert, an solche Fragen schlichtweg nicht gewöhnt.

„Yigo“, erwiderte er dann. „Kann ich noch etwas für euch tun?“

Jardeen verneinte rasch und sie setzten ihren Weg zum Trollstall fort.

„Das war merkwürdig“, murmelte er vor sich hin.

„Wirklich merkwürdig ist der Name Filia Arboris“, entgegnete Willarth. „Wer nennt sein Kind Tochter des Baums?“

„Esoterische Baumkuschler und jede Art von Pseudointellektuellen“, rief Tami, während sie durch die große Vorhalle hetzten, wo jeder, der in das Innere des Gebäudes treten wollte, von einer Sphinx geprüft wurde. „Vielleicht wussten die noch nicht einmal, was es bedeutet und fanden bloß, es klingt gut.“

Unmittelbar bevor sie den Parkstall erreichten, ploppten rund einhundert Botenfeen vor ihnen auf. Ihre sicht- und spürbare Aufregung verriet bereits, wie ihre Botschaft lauten würde:

„Wir haben den Tatort gefunden, die Herren! Eine verborgene Stelle auf dem Universitätsgelände. Dort liegt eine weitere Leiche.“

Wunderbar … Ganz und gar wunderbar.

„Ich danke euch herzlich“, brachte Jardeen mühsam beherrscht hervor. „Könnte nun bitte eine von euch zu Daphne fliegen und sie aus ihrem wohlverdienten Feierabend scheuchen? Oder wartet – fliegt bitte zu Juliette. Daphnes Prioritäten liegen gerade woanders und das muss respektiert werden. Trotzdem muss jemand Bescheid wissen, dass wir mindestens einen Todesfall unter verdächtigen Umständen haben. Außerdem muss dringend jemand mit den Eltern von Claudine sprechen. Es geht nicht an, dass die armen Leute ahnungslos fernsehen, während ihre Tochter sterbend im Krankenhaus liegt.“

„Wird erledigt, Sir!“, rief eine der Feen. Ein blauhaariger Feenmann flog näher heran. Es war Yigo.

„Sicherlich benötigen Sie auch die Spurensicherung. Soll ich das erledigen?“, fragte er und verneigte sich – womöglich, um seinen etwas forsch klingenden Tonfall zu verschleiern.

„Ja, bitte“, entgegnete Jardeen. Sobald Yigo verschwunden war, begannen die übrigen Feen missbilligend zu zischen.

„Verzeiht bitte, dass er euch belästigt hat“, rief eine der Feen. „Der Junge weiß einfach nicht, was sich für das schwache Geschlecht ziemt. Eine männliche Fee muss man weder sehen noch hören und sollte sich niemals in den Vordergrund drängeln.“

„Was ist mit Gleichberechtigung?“, fragte Tami verblüfft.

„Feenmänner sind gleichberechtigt“, antwortete die Holde, mindestens ebenso verblüfft. „Wir respektieren und lieben unsere Männer zutiefst! Trotzdem gibt es Dinge, die gehören sich nicht. Wie etwa, sich als Mann mit Fragen einfach so an Menschen aufdrängen. Das ist Frauenarbeit. Manieren sind wichtig!“

„Davon bin ich überzeugt!“, rief Jardeen und zupfte Tami am Hemdsärmel. Gesellschaftliche Normen andersartiger Kulturen waren faszinierend, mussten jetzt aber warten. Er schickte eine weitere Fee los, um die Campusaufsicht der Universität zu alarmieren. In der Hoffnung, dass die Leute dort fähig waren und den Tatort absperrten, statt alles zu zertrampeln. Hoffnung, dass dies ein tragischer Unfall gewesen sein könnte, hegte er keine mehr. Es galt abzuwarten, was ihnen heute noch bevorstand …

„Ihr habt immer die besonders spannenden Leichen.“

Tami wandte sich um und grüßte die Spurensicherungstruppe.

„Besonders spannend wäre jetzt nicht das Erste, was mir zu der Grillparty hier einfällt“, entgegnete er grimmig und beobachtete, wie die Leuchtstrahler aufgestellt wurden, damit auch in der Dunkelheit alles zu erkennen war.

Die sterblichen Überreste des Opfers waren kaum noch als menschlich zu identifizieren. Hier waren Brandbeschleuniger beteiligt gewesen, so viel stand fest. Das Feuer hatte in einem gepflasterten Hinterhof gebrannt, umgeben von hohen Mauern.

Früher war dieser Bereich für die Mülltrennung genutzt worden, in diesen längst vergessenen Zeiten, als noch keine Wichtelputzbrigaden für Ordnung und Reinlichkeit an jedem Ort gesorgt hatten. Heutzutage hatte der Bereich keine Funktion mehr und wurde gereinigt, damit er nicht von Bäumen überwuchert wurde. Zudem lag er mehrere hundert Meter vom nächsten Universitätsgebäude entfernt, und noch viel weiter von den Sport- und Freizeitanlagen sowie den Gewächshäusern, in denen mit Nutz- und Zierpflanzen experimentiert wurde. Dies war totes Gelände ohne jeden Nutzen, laut der Campusaufsicht noch nicht einmal für Pärchen attraktiv, die ungestört allein zu zweit sein wollten. Dazu waren die Steinplatten zu uneben, wodurch sich große Pfützen bei dem beständigen Regen ansammelten. Es roch feucht und schimmelig, überall dort, wo der beißende Rauchgestank es nicht überlagerte. Zum Kanal hin waren die Mauern teilweise eingestürzt, man konnte sich also tagsüber nicht völlig ungestört fühlen. Nachts hingegen war es hier sicherlich unheimlich, wenn nicht wie jetzt überall Flutscheinwerfer aufgestellt waren. Darum verwunderte es nicht, dass niemand etwas bemerkt hatte.

„Die Frage stellt sich: Was haben Claudine und unser Unbekannter hier zu suchen gehabt?“, fragte Jardeen. Die Spuren waren eindeutig, hier waren zwei Menschen attackiert worden. Der Rückschluss, dass das zweite Opfer Claudine gewesen war, durfte auch jetzt schon gezogen werden, obwohl die Laborbefunde zur Bestätigung noch ausstanden.

Der einzige Trost war wohl, dass sie dem Toten auch dann nicht mehr hätten helfen können, wenn sie ihn zeitgleich mit Claudine gefunden hätten. Ihre lange Suche nach dem Tatort hatte also zumindest keinen offensichtlichen Schaden mit sich gebracht.

„Das Feuer ist vor etwa zwei Stunden erloschen“, verkündete Baxaris, die Brandexpertin von der Spurensicherung. Sie hielt ein Teströhrchen in der Hand, mit dem die entsprechende Messung durchgeführt werden konnte. Worauf das Ganze basierte, wusste Tami nicht, aber er verließ sich gerne auf den Aussagen von Experten, mit denen er seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitete.

„Hier sind DNA-Spuren von eurem ersten Opfer! Es ist Claudine Bishop“, sagte Michael-Andres, ein bulliger, dunkelhäutiger Mann mit hawaiianischen Wurzeln. Es war leichter, wenn man bereits einen Verdacht hatte, wem die DNA zugeordnet werden konnte, dadurch beschleunigte sich entsprechend der Abgleich mit der Datenbank.

Eine Botenfee ploppte aus dem Nichts herbei.

„Nachricht von Juliette, Jungs!“, zirpte sie respektlos, aber freundlich an Tami und Jardeen gewandt. „Sie befindet sich mit den Eltern von Claudine Bishop in der Klinik und bittet darum, dass ihr weitere Befunde deshalb vorerst zurückhaltet. Die Herrschaften sollen nichts hören, was nicht für sie bestimmt ist. Claudine liegt inzwischen im künstlichen Koma und scheint stabil. Ob sie Überlebenschancen hat, wird die Nacht zeigen.“

„Vielen Dank, Holdeste“, erwiderte Jardeen. „Sobald sie wieder empfangsbereit ist, könntest du ihr bitte ausrichten, wo wir den Tatort gefunden haben und dass es ein zweites Opfer gibt.“

„Ay!“ Die Kleine salutierte und verschwand.

„Die Asche macht alle gleich, sagte Seneca der Jüngere“, murmelte Willarth traurig, der auf Jardeens Schulter saß und beobachtete, wie man sich bemühte, den Leichnam dergestalt mit Spezialchemikalien zu präparieren, dass man ihn transportieren konnte, ohne ihn zu beschädigen und damit forensische Beweise zu verlieren. Geringste Berührungen genügten bereits, um Körperteile vollständig auseinanderbröseln zu lassen.

Diese auf Natriumchlorid – sprich, Kochsalz – beruhende Chemikalie veränderte zwar auch die Laborwerte und konnte manche Beweise unbrauchbar machen. Doch das Risiko musste man eingehen, wenn man dafür eine extrem fragile Leiche transportieren konnte.

„Könnt ihr uns irgendetwas sagen?“, fragte Tami an den hauptverantwortlichen Pathologen gewandt.

„Männlich. Und menschlich. Und verdammt gut durchgebraten. Alles weitere wäre Spekulation“, lautete die gegrollte Antwort, die jede weitere Frage rigoros unterband.

„Das Feuer wurde von einer Chemikalie initiiert“, sagte Baxaris. „Welche, muss ich noch herausfinden. Es hat unglaublich heiß gebrannt, also knapp vor Höllenniveau, dazu vermutlich unglaublich schnell. Nicht auszuschließen, dass der arme Teufel schon tot war, bevor er einen zweiten Atemzug schnappen konnte.“

„Dann hoffen wir mal, dass noch einzelne Partikelchen von seinen inneren Organen übrig sind, um etwas über ihn sagen zu können“, knurrte der Chefpathologe ungehalten.

Warum der Mann derartig übellaunig aufgelegt war, ließ sich nicht sagen, Tami kannte ihn nicht. Anscheinend war er neu, vielleicht auch eine Urlaubs- oder Krankheitsvertretung aus einer anderen Stadt.

„Entschuldigung …“ Sie wandten sich zu dem Mann um, der sich in Begleitung eines uniformierten Polizisten annäherte und abseits des Tatorts stehenblieb. Ein Mittfünfziger war er, grob geschätzt, der von Afro-Asiatischer Abstammung zu sein schien. „Ich bin Kingsley Yatu, der Leiter dieser Universität.“ Scheu blickte er auf die sterblichen Überreste des Opfers, die mittlerweile fast vollständig von einer harten weißen Kruste überzogen waren und entsprechend irreal wirkten.

„Mr. Yatu.“

Jardeen nahm es auf sich, die Untersuchungshandschuhe abzustreifen und auf den Mann zuzugehen, um ihn zu begrüßen. „Sie sind informiert, dass es neben dem noch unbekannten Toten ein weiteres Opfer gab? Eine Ihrer Studentinnen mit dem Namen Claudine Bishop. Sie wurde durch das Feuer schwer verletzt und ringt zur Stunde auf der Intensivstation um ihr Leben.“

„Das wusste ich nicht!“ Mr. Yatu erschauderte sichtlich erschüttert. „Jemand hat die beiden also angegriffen und … und dann?“

„Das ist ein Szenario, das wir derzeit verfolgen, Sir“, entgegnete Jardeen ausweichend. Er führte nicht aus, dass Claudine durchaus auch die Angreiferin gewesen sein könnte.

Mit einer bisher unbekannten Chemikalie war hantiert worden – brennbare Chemikalien waren unberechenbar. Genauso gut konnte auch der Tote der Angreifer gewesen sein, oder eine beliebige Anzahl von Fremden, von denen sie noch keine Spuren entdeckt hatten.

„Claudine Bishop …“ Mr. Yatu zog sein Notepad hervor und tippte auf dem Display herum. „Mein Gott, ein neunzehnjähriges Erstsemester … Lebensmitteltechnik. Gute Noten noch dazu. Ihre letzte Facharbeit wurde als herausragend bewertet. So jung noch! Das ist entsetzlich … Wird sie es schaffen?“ Er blickte sie hoffnungsvoll an, bleich, die Hand, mit der er das Notepad hielt, zitterte leicht.

„Wir wissen es nicht, Sir. Natürlich hoffen wir das Beste. Aber es liegt nicht in unserer Hand, ob Ms. Bishop durchkommen wird“, sagte Tami sanft.

„Ja. Ja.“ Er nickte mehrfach, den Blick ins Leere gerichtet, bevor er sich einen Ruck gab. „Wie kann ich Ihnen helfen, meine Herren?“

„Wir müssen mit Leuten reden, die Claudine kennen. Dozenten, die den engsten Kontakt mit ihr hatten, nach Möglichkeit auch Freunde von ihr. Solange wir nicht wissen, wer der Tote ist, bleibt Claudine und ihr Leben unser einziger Anhaltspunkt. Wir würden uns dafür morgen oder spätestens übermorgen melden, um diese Gespräche anzugehen.“

„Wissen ihre Eltern schon Bescheid?“, fragte Mr. Yatu und nickte erleichtert, als sie bestätigten. „Ich werde gleich morgen früh die Kollegen versammeln, jeder, der sie unterrichtet hat. Und in ihren Studienkursen fragen, wer mit ihr engeren Kontakt hat.“

„Vielen Dank“, sagte Tami.

„Jungs!“, rief jemand aus dem Spurensicherungsteam und winkte ihnen zu. Sie entschuldigten sich bei Mr. Yatu und gingen zu ihm hinüber.

„Wir haben Glück gehabt und einen Soforttreffer beim DNA-Abgleich. Einer der herausgefallenen Zähne hatte tiefe Wurzeln besessen und uns etwas hergegeben. Der arme Teufel in Salzkruste heißt Bastian Tharington.“

Eine rasche Rückfrage bei Mr. Yatu ergab, dass Bastian Tharington nicht an der Universität studiert oder gearbeitet hatte.

Jardeen schickte eine Botenfee los. Weil sie aktuell nichts mehr vom Tatort erfahren konnten und warten mussten, bis die Experten ihren Job erledigt hatten, folgten sie den Spuren, die Claudine auf ihrer Flucht hinterlassen hatte. Sie verloren sich rasch in der Dunkelheit, doch Jardeen musste sich nicht verwandeln, um seine Superspürnase einzusetzen. Es war klar, dass die junge Frau strikt geradeaus gelaufen sein musste, denn das war es, was jedes Lebewesen in Todesangst tat.

Außerdem befand sich in gerade Linie vor ihnen, keine zweihundert Meter vom Tatort entfernt, ein wenig genutzter Kanal.

„Von hier aus sind es rund vier Meilen bis zu der Stelle, wo Krakitüll sie aufgelesen hat. So schnell kann sie in diesem Zeitfenster von gerade einmal einer halben Stunde nicht von der Strömung dorthingetragen worden sein“, sagte Jardeen.

„Es gibt auch keine direkte Verbindung, Mr. Jardeen“, warf Willarth ein. „Ich habe die Stadtkarte von Birmingham erst neulich aufgefrischt, also die neueste Ausgabe verspeist, will ich sagen. Man muss von hier aus erst einmal zwei Meilen nach Süden, bevor man in den Kanal abbiegen kann, wo sie gefunden wurde.“

„In Ordnung. Wir müssen die exakte Stelle finden, wo sie in die Gondel eingestiegen oder wohl wahrscheinlicher gestürzt ist“, murmelte Tami. „Und der unvermeidliche Job, den musst du leider übernehmen.“

Jardeen seufzte und fuhr sich mit beiden Händen über die Wangen.

„Ich wünschte, es wäre nicht notwendig. Wetten, dass wir gleich wieder Loretta hier stehen haben?“

„Vielleicht kommt aber auch Isolda“, rief Willarth mit leuchtenden Augen. Er war mit absoluter Sicherheit das einzige Geschöpf auf dieser großen weiten Welt, das eine Hexe bedingungslos liebte. Nicht einmal andere Hexen würden jemals so etwas wie Zuneigung für ihresgleichen aufbringen. Wobei Isolda durchaus die erträglichste Hexe war, die Tami kannte.

Von Zuneigung würde er keinesfalls sprechen. Tiefer Respekt, das war es wohl eher, was er empfand.

Doch gleichgültig, welche Gefühle sie umtrieben, sie mussten die OPMK einschalten. Irgendjemand oder -etwas hatte die Gondel meilenweit transportiert, in der Claudine gelegen hatte. Selbst wenn es keine übernatürliche Kreatur gewesen sein sollte, war es praktisch zwingend, dass Kelpies diese Gondel bemerkt haben mussten – sie waren diejenigen, die den gesamten Wasserverkehr beherrschten. Darum musste die OPMK dazukommen, denn für die Befragung von Übernatürlichen im Zusammenhang mit einer menschlichen Morduntersuchung waren nun einmal die offiziellen Mystikbehörden zuständig. Und Jardeen, der arme Kerl, er war als Springerermittler der OPMK direkt unterstellt.

„Botenfee, bitte“, rief Jardeen. Sofort erschien eine der Holden und umflatterte ihn gut aufgelegt. Zumindest bis sie hörte, wohin sie fliegen sollte; das sorgte für den unmittelbaren Niedergang der Fröhlichkeit und sie verschwand mit hängenden Schultern und trüber Miene.

Sekunden später kehrte sie zurück. Im Schlepptau hatte sie Loretta, die Genetikexpertin der OPMK, zweitmächtigste Hexe nach Isolda und berühmt-berüchtigt für ihre extreme Launenhaftigkeit. Das Pendel schlug bei ihr praktisch immer in die negative Richtung, mit einer Vehemenz, die selbst für eine Hexe erstaunlich war. Schmallippig musterte sie Tami, Willarth und Jardeen, ihre riesige Nase zuckte missbilligend.

„Also?“, fauchte sie. „Wofür habt ihr mich hergeordert, hm? Was ist so kompliziert, dass ihr dafür mystische Unterstützung benötigt?“

„Auch dir einen schönen guten Tag, Loretta“, entgegnete Jardeen charmant lächelnd, bevor er rasch erklärte, worum es ging.

---ENDE DER LESEPROBE---