Die Burgherrin - Roland Mueller - E-Book
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Die Burgherrin E-Book

Roland Mueller

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Beschreibung

Sie trotzt dem Schicksal: Das historische Epos „Die Burgherrin“ von Bestsellerautor Roland Mueller jetzt als eBook bei dotbooks. Südtirol im 15. Jahrhundert: Gräfin Eleonore von Greifenberg steht vor den Trümmern ihres bisherigen Lebens – Sie hat ihren geliebten Mann verloren und muss nun die Führung der hochverschuldeten Burg und des Lehens übernehmen. Der Verlust und die neue Verantwortung lasten schwer auf ihren Schultern und ihre ungestümen Söhne bereiten ihr zunehmend Sorgen. Als dann ein erbarmungsloser Winter naht, weiß sie kaum, wie sie ihre Familie und ihre Untertanen durchbringen soll. In ihrer Verzweiflung kommt sie der Versuchung gefährlich nahe, das unmoralische Angebot eines Geldverleihers anzunehmen … Sechs Romane in einem Band! Die gesamte erste Staffel der Erfolgsserie „Der Clan des Greifen“ von Roland Mueller jetzt unter dem Titel „Die Burgherrin“ als eBook kaufen und genießen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 815

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Über dieses Buch:

Südtirol im 15. Jahrhundert: Gräfin Eleonore von Greifenberg steht vor den Trümmern ihres bisherigen Lebens – Sie hat ihren geliebten Mann verloren und muss nun die Führung der hochverschuldeten Burg und des Lehens übernehmen. Der Verlust und die neue Verantwortung lasten schwer auf ihren Schultern und ihre ungestümen Söhne bereiten ihr zunehmend Sorgen. Als dann ein erbarmungsloser Winter naht, weiß sie kaum, wie sie ihre Familie und ihre Untertanen durchbringen soll. In ihrer Verzweiflung kommt sie der Versuchung gefährlich nahe, das unmoralische Angebot eines Geldverleihers anzunehmen …

Sechs Romane in einem Band! Die gesamte erste Staffel der Erfolgsserie »Der Clan des Greifen« von Roland Mueller jetzt unter dem Titel »Die Burgherrin«.

Über den Autor:

Roland Mueller, geboren 1959 in Würzburg, lebt heute in der Nähe von München. Der studierte Sozialwissenschaftler arbeitete in der Erwachsenenbildung, als Rhetorik- und Bewerbungstrainer und unterrichtet heute an der Hochschule der Bayerischen Polizei. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Kinder- und Jugendbücher.

Bei dotbooks veröffentlicht sind bereits Roland Muellers historische Romane:»Der Goldschmied«»Das Schwert des Goldschmieds«»Im Land der Orchideenblüten«»Das Erbe des Salzhändlers«»Der Fluch des Goldes«Die beiden historischen Romane »Der Goldschmied« und »Das Schwert des Goldschmieds« sind ebenso als Sammelband unter dem Titel »Der Meister des Goldes« verfügbar.

Außerdem hat Roland Mueller bei dotbooks die historische Serie »Der Clan des Greifen« veröffentlicht, die folgende Bände umfasst:»Die Begegnung. Staffel I – Erster Roman«»Der Pakt. Staffel I – Zweiter Roman«»Das Vermächtnis. Staffel I – Dritter Roman«»Das Erbe. Staffel I – Vierter Roman«»Die Rache. Staffel I – Fünfter Roman«»Das Spiel. Staffel I – Sechster Roman«»Die Hexe. Staffel II – Erster Roman«»Der Betrüger. Staffel II – Zweiter Roman«»Der Greif. Staffel II – Dritter Roman«»Die Verfolgten. Staffel II – Vierter Roman«»Die Braut. Staffel II – Fünfter Roman«»Die Liebenden. Staffel II – Sechster Roman«Die komplette Serie ist außerdem in den drei Sammelbänden »Die Burgherrin«, »Die Kinder der Burgherrin« und »Das Vermächtnis der Burgherrin« enthalten.

Daneben hat Roland Mueller die beiden historischen Kinderbücher »Die abenteuerliche Reise des Marco Polo« und »Der Kundschafter des Königs« bei dotbooks veröffentlicht.

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eBook-Sammelband und -Neuausgabe Januar 2017

Die Einzelbände dieses Sammelbands sind bereits unter den folgenden Titeln 2015 bei dotbooks GmbH, München erscheinen:

»Der Clan des Greifen. Staffel I. Erster Roman: Die Begegnung«

»Der Clan des Greifen. Staffel I. Zweiter Roman: Der Pakt«

»Der Clan des Greifen. Staffel I. Dritter Roman: Das Vermächtnis«

»Der Clan des Greifen. Staffel I. Vierter Roman: Das Erbe«

»Der Clan des Greifen. Staffel I. Fünfter Roman: Die Rache«

»Der Clan des Greifen. Staffel I. Sechster Roman: Das Spiel«

Copyright © der Originalausgaben 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Sammelband-Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Kateryna Upit und eines Gemäldes von Franz Richard Unterberger

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-884-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Roland Mueller

Die Burgherrin

Roman

Der Clan des Greifen - die komplette erste Staffel in einem eBook

dotbooks.

Buch 1Die Begegnung

Prolog

Über Jahrhunderte hinweg bestimmten Ritter die Geschicke Europas. Überall im Abendland bauten sie ihre Burgen, führten gewaltige Kreuzzüge, dienten Kaisern und Königen, waren selbst Herzöge oder Grafen. Ritter waren die Herren der damaligen Welt.

Als das Mittelalter mit der Jahrhundertwende um 1400 allmählich zu Ende ging, bestieg mit Sigmund ein neuer König den Thron. Zu dieser Zeit war der Niedergang des Ritterstandes bereits nicht mehr aufzuhalten. Einer der Gründe dafür war sicherlich die Entdeckung des Schießpulvers. Kanonen und Musketen machten Schwert und Schild, Lanze und Eisenpanzer allmählich überflüssig. In ebendiesen Zeiten wollte König Sigmund diplomatisches Geschick zeigen und versuchen, den ramponierten Ruf der abendländischen Kirche wiederherzustellen. Die ständig drohende Spaltung der Christenheit lähmte das Denken und Handeln der Menschen. Zeitweilig gab es drei Päpste gleichzeitig, und nicht etwa Rom, sondern Avignon war seit siebzig Jahren der Sitz des Kirchenfürsten. Doch Sigmund gelang tatsächlich, was niemand mehr für möglich gehalten hatte: In Konstanz trat ein Konzil mit dem Ziel zusammen, sich auf einen einzigen Papst zu einigen. Vier Jahre sollte es dauern, bis am Ende doch ein neues Oberhaupt aller Christen gewählt wurde. Nur ein Atemzug in der Geschichte des Abendlandes, in der sich eine neue Zeit erahnen ließ. Doch weder Sigmund noch der Papst, erst recht nicht die Ritter haben die Tür dieser neuen Epoche aufgetan. Dies gelang einem böhmischen Gelehrten mit dem Namen Johannes Hus. Seine kühnen Gedanken über Gott und die Welt überlebten sogar das Feuer, das ihn in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Nach seinem Tod wurden seine Ideen für die Menschen zur Sehnsucht. Selbst als die Pest erneut in Europa wütete, selbst als sich immer wieder schreckliche Hungersnöte mit blutigen Kriegen die Hand gaben und Despoten neue Despoten ablösten, schufen die Menschen mit diesem Denken den weiteren Lauf der Welt. Alles sollte sich verändern. Schneller als je zuvor. Städte wie Florenz, Pisa, Brescia, Verona, aber auch Nürnberg und Augsburg wuchsen sich hinter ihren sicheren Mauern reich. Venedig wurde zur neuen Großmacht jener Tage, und das zu einer Zeit, als es in Paris nur ein paar wenige gepflasterte Straßen gab und man in London die Themse über gerade mal zwei intakte Brücken überqueren konnte. Das Jahrhundert endete mit der Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus. Auch er war kein Ritter mehr, obwohl er es gerne gewesen wäre.

Diese aufregende Zeit ist der Rahmen der Geschichte über die Familie von und zu Greifenberg. Der Clan eines uralten Rittergeschlechts aus dem Niederadel lebt in einem malerischen Tal irgendwo in Tirol. Natürlich kann heute niemand mit Bestimmtheit sagen, ob sich tatsächlich alles genauso zugetragen hat, wie es hier erzählt wird. Aber im Rahmen der tatsächlichen Ereignisse in der damaligen Welt wäre diese Geschichte um den Ritter und seine Nachkommen sicher möglich gewesen.

»Großmutter, sieh nur!«

Der Junge deutete aufgeregt auf das Fohlen und strahlte dabei übers ganze Gesicht. Seltsam, dachte sie, immer öfter waren es Momente wie diese, die Erinnerungen wachriefen. Er nannte sie Großmutter, und sie sah sich als blutjunge Braut oder als Mutter von vier Kindern. Oder als Herrin der Burg. Nun war sie auch noch die Großmutter, die dabei zusah, wie ihr Enkelsohn sehnsüchtig einem Fohlen nachblickte, das der Pferdeknecht mit einem Schlag auf die Kruppe in Richtung Weide gelassen hatte. Das Tier trabte ein paar Schritte und wirkte auf seinen dünnen Läufen noch etwas steif und ungelenkig. Erste Schritte – und sie war in diesem Frühjahr 38 Jahre alt geworden.

Sie dachte an ihre morgendliche Begegnung mit Hagen, den sie bereits ihr halbes Leben lang kannte. Wieder einmal hatte sie festgestellt, dass der Ritter ein Mann war, den sie außerordentlich schätzte. Weil er sich zu benehmen wusste, wie es der Anstand verlangte, wie man es eben von einem Ritter erwartete und es in diesen Zeiten kaum noch erlebte. Hagen vom Wald  ließ sie in seiner Gegenwart spüren, dass sie eine Frau war und nicht nur die Witwe des seligen Grafen von Greifenberg oder die Herrin der Burg. Eine Frau aus Fleisch und Blut, der man Aufmerksamkeit schenkte, der man schmeichelte, Komplimente machte. Gerade jetzt, nachdem wieder einmal ein Krieg zu Ende gegangen war und das Leben wieder besser wurde, durfte sie da nicht auch etwas Zeit für sich und ein paar Träume haben?

»Großmutter, wann werde ich ihn reiten können?«

»Bald, mein Liebling, bald ...«, antwortete sie.

Seine Wangen glühten in der Vorfreude, und er beobachtete erneut aufmerksam, wie das Fohlen auf dem frischen Wiesengrund hin und her trabte. Ob es ihr noch einmal gegeben war, neu anzufangen? Sie schloss für einen Moment die Augen. Ja, damals, als an einem warmen Sonntag im Mai alles begann ...

***

Der Gottesdienst war gerade zu Ende gegangen und sie, Eleonore vom Stein, jung, hübsch anzuschauen und neugierig auf das Leben, trat aus der Kapelle hinaus in das warme Sonnenlicht. Sie blieb neben dem Eingang stehen, denn sie hatte ihn bereits erkannt. Obwohl vor der Kirche, inmitten der Edlen und Ritter, deren Knechte und Pagen, ein geschäftiges Durcheinander herrschte, stand er unter den Bäumen bei den Pferden. Allein, niemand sonst nahm Notiz von ihm. So jung war er nicht mehr, fand sie, wenn auch längst nicht alt, etwa wie der Leiner, der Verwalter in ihrem Elternhaus, oder gar der Abt des Klosters, beides steinalte Männer in ihren Augen. Schlank von Gestalt, fast hager, sein Haar dunkel und glatt, an den Schläfen ausrasiert. Diese ein wenig altmodische Haartracht trug kaum ein Mann mehr, doch zu ihm passte sie irgendwie. Besonders gefiel ihr sein schmales, gut geschnittenes Gesicht. Er trägt sein Schwert nicht am Gürtel, dachte sie, sondern am Sattel, wo auch sein Schild hing. Schwarz, mit dem blutroten Greifen darauf. Wolfram von und zu Greifenberg, ein einfacher Ritter aus dem Wengertal, eine knappe Tagesreise entfernt. Viel mehr wusste sie nicht über ihn. Nur dass er hier bei seinem Oheim zu Gast war. Offenbar merkte er, dass sie ihn betrachtete, denn er hob den Kopf und lächelte ihr zu. Noch etwas, was ihr gefiel. Sein Lächeln.

Verlegen wandte sie den Blick ab. Ein Reitknecht trat zu ihr und führte ihren Zelter. Der Knecht hob beide Hände, um ihr in den Sattel zu helfen, und sie musste insgeheim darüber lachen, wie umständlich er das anstellte. Das rührte daher, dass es nicht üblich war, dies einem einfachen Mann aus dem Volk zu überlassen. Aber ihr Vater war mit dem Gefolge bereits auf und davon, um rasch der Schwüle dieses Sonntags im Schatten der nahen Schenke zu entgehen. Sie war mit Absicht zurückgeblieben, denn sie wollte auf den Berg, allein, so wie die letzten Sonntage auch. In die kleine Hütte, ihren Lieblingsplatz, den niemand sonst kannte.

Als sie im Sattel saß, ihr Kleid geordnet und die Zügel zurechtgelegt, blickte sie sich noch einmal um. Der Graf war verschwunden wie die beiden Sonntage zuvor. Sie seufzte. Also würde sie ihn erst nächste Woche wiedersehen, wie immer in der Kirche – wo sie ihn während der Messe verstohlen in seiner Bank kniend betrachten konnte. Dabei wünschte sie sich so sehr, dass er sie ansprach! Einmal nur, dachte sie, während das Pferd munter durch den Wald trabte. Sie musste ihm ja nicht gestehen, dass sie seit ihrer allerersten Begegnung ständig an ihn denken musste. Ein paar Worte mit ihm würden ihr schon genügen. Für den Anfang wenigstens ... Genau, und sollte er nächsten Sonntag wieder kein einziges Wort sprechen, werde ich es tun. Obwohl sich das nicht schickte. Sie schüttelte unwillig den Kopf. Warum eigentlich? Es schickt sich nicht! Aber was hieß das schon? Den Kopf energisch gehoben, schnalzte sie mit der Zunge, und der Zelter ging ein wenig schneller. Nein, ihr Entschluss stand hiermit fest: Wenn er sie nächsten Sonntag wieder nur ansah und lächelte, dann würde sie ihn fragen. Eine Frage zu stellen war ja wohl erlaubt. Warum er sie immer so anblickte, würde sie lauten, denn den Grund dafür wüsste sie zu gerne!

Der Weg führte jetzt auf die mächtige graue Felswand zu. Ein paarmal war sie so weit geritten, dass sie den glatten Fels mit den Händen berühren konnte. Unten, am Fuß der fast senkrechten Wand entlang, führte der Weg noch weiter und verschwand schließlich hinter einer Biegung. Ob man dort noch weiterreiten konnte, wusste sie nicht. So weit war sie noch nie gekommen. Man erzählte sich, dass dort das Reich der Berggeister begann. Und die mochten es nicht, wenn man sie störte.

Hier oben war es einsam. Kaum jemand verirrte sich hierher. Weiter unten, am Waldrand, hüteten manchmal Kinder Ziegen und Schafe. Der Leiner zahlte jetzt sogar zwei Sommerknechte, die schon lange vor dem Fest Johanni auf die Weiden kamen und erst spät im Herbst wieder ins Tal hinabstiegen, um fein gesponnene Wolle aus Ziegenhaar und würzigen Käse mitzubringen.

An der Hütte angekommen, stieg sie vom Pferd. Nachher erst würde sie es absatteln. Über sich hörte sie den vertrauten Ruf des Steinadlers, der immer auftauchte, wenn sie die Hütte besuchte. Wie bereits im letzten Sommer flog er dabei ganz niedrig, so als wolle er sie besonders eingehend betrachten. Eleonore sah ihn nie kommen. Erst wenn er rief, so wie jetzt, oder sein Schatten auf sie fiel, wusste sie, dass er da war. Seine Schwingen breit, die Klauen scharf und ein Schnabel, aus dem er seinen Ruf weit hören ließ. Wieder und wieder. Doch da war noch ein Geräusch.

Hufschläge. Als sie dann sein Pferd sah, ihn im Sattel, klopfte ihr Herz so laut, dass sie glaubte, er müsste es hören. Wenige Schritte vor ihr zügelte er das Tier und lächelte sie an. Er trug ein Hemd, die Ärmel aufgerollt, seine nackten Arme gebräunt, dazu lange enge Beinkleider. Die Füße ohne Strümpfe in den leichten Schuhen. Sein Kopf war unbedeckt, was ungewöhnlich für die Zeiten war und nicht der Mode entsprach.

»Ich wollte Euch nicht erschrecken, edles Fräulein«, sagte er statt einer Begrüßung.

Sie hörte seine angenehme Stimme. Er lächelte sie freundlich an.

»Erlaubt Ihr mir, einen Schluck Wasser zu trinken?«

Als sie nickte, stieg er vom Pferd und führte das Tier neben die Hütte, wo das Wasser den steilen Fels hinunter über grobe Steine plätscherte und neben der Hütte ein schmales Rinnsal bildete. Das Pferd senkte den Kopf und begann zu trinken. Er kniete daneben nieder, tauchte beide Hände in das klare Wasser und benetzte sich die Arme, den Hals, seine Stirn. Dann streichelte er das Tier am Kopf und am Hals und verjagte die lästigen Fliegen. Das Pferd dankte es ihm, indem es den schönen Kopf an seiner Schulter rieb.

Da musste sie lachen, und er wandte sich um und lachte auch. Er schöpfte Wasser mit der hohlen Hand, um zu trinken, und wie er das tat, gefiel er ihr mit jedem Augenblick besser. Als er sie fragte, ob er bleiben dürfe, zögerte sie kurz. Kein Zweifel, er war ihr gefolgt, und das verwirrte sie. Was wollte er von ihr? Während er die Frage stellte, blickte er an ihr vorbei auf die andere Talseite hinüber, und sie folgte seinem Blick. Dort hingen schwere Wolken in den steilen Felswänden. Der Wetterwechsel war ihr bei ihrem Ritt durch den Wald gar nicht aufgefallen. Ein Gewitter kam hier schnell. Und galt die Gastfreundschaft einem Reisenden gegenüber nicht wie ein ehernes Gesetz? Er blickte sie, auf Antwort wartend, an, und erneut nickte sie stumm zum Einverständnis. Jetzt lächelte er wieder und begann erst sein eigenes Pferd, dann das ihre zu versorgen. Dies tat er wie selbstverständlich, und sie betrat derweil die Hütte, legte ihren dünnen Schleier ab und zog dann Schuhe und Strümpfe aus. Sie mochte es, barfuß zu laufen. Dann öffnete sie die Fensterläden, ließ Licht und die frische Luft herein und blickte sich um. Alles war so wie immer: der große, aber gemütliche Raum mit der niedrigen Decke aus massiven Holzbalken, der steinerne Kamin an der Wand, die hölzerne Tenne an der Rückseite, der kleine Tisch und die beiden hölzernen Schemel. Ihr Reich. Zufrieden trat sie an die Tür und blieb dort stehen. Er führte die Pferde in das kleine Gehege neben der Hütte, und auf einmal war sie unsagbar froh, dass er blieb.

Später dann saß er am Tisch und sah ihr zu, wie sie Eier in einer schwarzen Eisenpfanne aufschlug, Speck in Streifen schnitt und Kräuter und eine Prise Salz dazugab. Bald erfüllte ein köstlicher Duft den niedrigen Raum. Dann blitzte es, grollend laut die Donnerschläge, gefolgt vom Regen, der wie ein dichter Schleier vom Himmel fiel. Er stand auf und schloss die hölzernen Läden.

»Ein schönes Fräulein in einer einsamen Hütte.«

Es waren die ersten Worte, die er sprach, seit er mit ihr zusammensaß, und sie spürte, wie ihr auf einmal das Blut in die Wangen stieg.

»Sie gehört meinem Vater«, sagte sie. »Dem Ritter vom Stein.«

Er nickte nur, und als sie dann gemeinsam aus der Pfanne aßen, fiel zwischen ihnen kein weiteres Wort. Nachdem sie gegessen hatten, trank er noch klares Felswasser, und sie stand auf und goss etwas Wasser in einen eisernen Kessel über dem Feuer. Sie rieb die Pfanne mit Sand sauber und hängte sie wieder an die Wand. Er blieb sitzen und sah ihr dabei zu. Als das Wasser zu kochen begann, hob sie den Kessel vom Feuer und stellte ihn auf einen Schemel. Dann nahm sie ein Stück Leinen und stellte einen tönernen Krug mit frischem Wasser dazu. Sie lächelte ihn an, und er lächelte zurück. Anschließend löste sie das samtene Band in ihrem Nacken, und ihr langes Haar fiel ihr über die Schultern. Als sie nach dem Krug greifen wollte, trat er neben sie. Mit einer Hand berührte er ganz behutsam ihr Haar, dann nahm er die Kelle, schöpfte heißes Wasser in den Krug und prüfte es mit den Fingerspitzen. Sie blickte ihn an, und da deutete er auf die Schleife um ihre Brust, mit der ihr Kleid zugebunden war.

»Es wird nur nass werden«, flüsterte er.

Sie schluckte stumm. Er hatte recht, und sie ließ zu, dass er die Schleife behutsam aufband. Das Kleid glitt über ihre Schultern und blieb zu ihren Füßen liegen. Sie trug nur noch ein dünnes ärmelloses Hemd, und als sie sich ein wenig nach vorn beugte, schöpfte er behutsam so lange warmes Wasser über ihr Haar, bis es ganz und gar nass war. Dann rieb er weiße Asche und anschließend ein wenig Honig hinein. Sie spürte seine Fingerspitzen, die sanft massierend ihre Kopfhaut berührten. Er griff erneut nach dem Krug und goss behutsam noch einmal warmes Wasser über ihr Haar, bevor er es mit dem Leinen zu trocknen begann. Sie ließ ihn einfach gewähren, und als er damit fertig war, kniete er neben ihr nieder und blickte sie nur an, wieder mit diesem Blick aus seinen dunklen Augen, der ihr vom ersten Moment an so gefallen hatte. Sie beugte sich zu ihm, und als er sie küsste und dabei fest in die Arme nahm, überließ sie sich ganz dem, was geschehen würde.

Er hob sie hoch und trug sie zu der breiten Tenne mit dem großen Heubett. Erneut küsste er sie, während er die Schnüre ihres dünnen Hemds öffnete. Dann war sie nackt, und sie half ihm bei seinen Kleidern, bis auch er nackt war. Sie schmiegten sich eng aneinander, berührten sich. Plötzlich waren sein Mund und seine Hände überall, und während sie sich liebten, hatte Eleonore das Gefühl, als würde alles um sie herum stillstehen, geduldig wartend, bis sie beide diese grenzenlose Nähe gänzlich ausgekostet hatten.

Später dann lagen sie still nebeneinander, ihrem Atem lauschend. Einmal wollte sie etwas sagen, unterließ es jedoch aus Sorge, diesen besonderen Augenblick zu zerstören. Der Regen hatte längst aufgehört, aber von irgendwoher tropfte Wasser auf den Boden der Hütte. Sie roch den Duft nach Heu und den Pferden. Und seinen Geruch, der ihr bereits vertraut erschien. Er lachte leise für sich, und jetzt wollte sie ihn doch fragen, was all das bedeutete, als er bereits anfing zu sprechen.

»Eleonore ...«

»Ja?«

»Weißt du, was ich mir mehr als alles andere wünsche?«

»Nein, sag ...«

»Ich möchte dich zur Frau haben.«

Seine Worte schienen, kaum verklungen, eine Antwort zu ersehnen. Sie wandte sich zu ihm und sah ihn an. Im Dämmerlicht erkannte sie die Konturen seines Gesichts, seine kräftigen Schultern, die sehnigen Arme. In diesem Moment war sie glücklich. Weil ihr bewusst geworden war, wie sehr sie gehofft hatte, dass er genau dies sagte. Und weil sie spürte, wie sehr sie ihn mochte. War das Liebe? Sie hätte nicht sagen können, ob dieses Wort für all das stand, was sie empfand, aber ein Gefühl grenzenloser Zufriedenheit ließ sie fast zerspringen.

»Liebster ...«, flüsterte sie.

»Ja ...?«

»Ich will dich auch. Zu meinem Mann.«

Er zog sie zu sich, küsste sie erst auf die Stirn, dann sanft auf den Mund, streichelte sie dabei, und sie spürte seine warme Hand an ihren Schenkeln, spürte, wie er mit den Fingerspitzen der Rundung ihres Hinterteils folgte, und als sie sich beide wieder und wieder küssten, begannen plötzlich die Pferde zu schnauben. Sie lauschten. Die Tiere schnaubten erneut, und man konnte ihre Unruhe nebenan förmlich spüren.

»Da ist irgendwas«, flüsterte sie.

»Ja ... ja vielleicht.« Er sprang behände auf und griff nach seinem Schwert. Das Feuer war gerade hell genug, dass sie ihn in seiner Nacktheit noch erkannte. Wieder wollte sie etwas sagen, aber er schlich bereits an die Tür, öffnete sie und lauschte hinaus. Seltsam, dachte sie, eben noch war alles warm, heiter, schön. Kein Anzeichen für eine Gefahr. Aber in diesen Zeiten war es oft nur ein Augenblick, der das Glück von Tod und Verderben trennte. Sie suchte tastend nach ihrer Decke, fand sie aber nicht.

Als er wie ein Schatten in der Dunkelheit verschwunden war, stand sie auf, so wie sie war, und huschte zur Tür. Er stand draußen, sein Schwert mit beiden Händen haltend, und sah sich aufmerksam um. Es war Vollmond, aber die Wolken verdunkelten ihn. Dennoch war zu erkennen, dass die Pferde nicht mehr grasten, sondern, die Nüstern weit, bewegungslos dastanden und die Köpfe stillhielten. Er glitt an den Tieren vorbei und verschwand zwischen den Bäumen. Jetzt erst fiel ihr die Stille auf. Kein Vogel, kein Geräusch aus dem nahen Wald. Sie schlich zu den Pferden und streichelte erst ihre Stute, dann seinen Wallach. Die Tiere ließen es sich gefallen, blieben aber unruhig. An ihrem linken Fuß spürte sie einen großen Stein, und sie bückte sich danach. Er passte gerade so in ihre Hand und würde eine gute Waffe sein. Splitternackt und barfuß, das lange goldblonde Haar wie ein Schleier um ihre Schultern, schlich sie bis an die Stelle, wo der Ritter im Wald verschwunden war. Da hörte sie auf einmal ein langgezogenes unheilvolles Heulen. Wölfe! Sie wunderte sich mehr, als dass sie erschrak. Jetzt, im Sommer? Eher scheu, verließ Isegrim die schützenden Wälder in der Regel erst im Winter, um sich den Ansiedlungen der Menschen zu nähern. Das Geheul ertönte erneut, und dieses Mal klang es bereits so, als entfernte es sich von ihr.

Ein leises Knurren ließ sie herumfahren.

Der Wolf stand keine zehn Schritte entfernt. Zuerst nur ein dunkler Schatten, erkannte sie ihn nach und nach deutlicher. Der »Graue« ging es ihr durch den Kopf. Das musste er sein, jener sagenhafte große Wolf, Anführer eines Rudels, das mehr Schaden anrichtete als jedes Raubzeug sonst weit und breit. Als nun die Wolken vor dem Mond verschwanden, fiel Eleonore der durchdringende Blick des Tieres auf.

Schlaues Biest, musste sie denken, dein Rudel lockt den Mann mit der Waffe fort, damit du mit mir allein bist. Sie zitterte. Trotz der milden Luft war ihr auf einmal kalt. Sie sah die gefletschten Zähne, hörte sein leises drohendes Knurren. Wie jeder in dieser Gegend hatte sie davon gehört, dass Wölfe einen Mann mühelos niederreißen und mit einem Biss in die Kehle töten konnten.

»Bleib, wo du bist.«

Sie flüsterte nur, aber der große graue Wolf stellte die Ohren auf. Er schien es nicht gewohnt zu sein, dass ein Opfer noch einen Laut von sich gab, bevor er es tötete. Aber dieses Wesen tat es. Und es schien keine Angst vor ihm zu haben, was ihn verwunderte. Denn alle hatten Angst vor ihm.

»Los, verschwinde! Geh deiner Wege!«

Der Wolf knurrte erneut und trat näher.

»Hörst du nicht, was ich sage? Ich, die zukünftige Herrin von Greifenberg, sagte, geh!«

Sie spürte bei aller Entschlossenheit in ihren Worten, wie ihr der Schweiß über den Rücken hinunterlief. Ihr Mund war trocken, und das Blut pochte in ihren Schläfen. Der Wolf betrachtete sie aufmerksam. Er fletschte nun nicht länger die Zähne und knurrte sie auch nicht mehr an. Stattdessen bewegte er den Kopf ein wenig, so als ob er genau beobachten wolle, was sie nun tun würde. Immer mehr verwunderte ihn dieses Wesen dort. Jetzt hob sie die Hand mit dem Stein. Als ob ihn das erschrecken könnte, ihn, den Grauen! Aber da war noch etwas, was er so nicht kannte. Dieser Blick! Darin lag eine seltsame Entschlossenheit und große Willenskraft. Wie ein stummer, aber mächtiger Befehl, sich abzuwenden und im Wald zu verschwinden. Und genau das tat er, lief den Hang hinunter in den schützenden Bergwald, der Spur seines Rudels nach.

Als Eleonore ihren Blick wandte, trat auf einmal Wolfram neben sie, das Schwert in der Hand. Er ließ die Waffe sinken und griff nach dem Stein, den sie noch immer umklammert hielt. Bevor er ihn wegwarf, wog er ihn in der Hand. Dann nahm er sie in die Arme, hob sie hoch und trug sie in die Hütte zurück. Dort legte er sie aufs Bett, lehnte das Schwert daneben an die Wand, schloss die Tür und legte sich neben sie. Sie tastete nach seiner Hand, und er nahm sie und drückte sie innig. Beide schwiegen sie, lauschten nur dem vertrauten Geräusch der nun ruhig grasenden Pferde.

»Ich hatte Angst um dich«, flüsterte er auf einmal, »aber dann, dann sah ich, wie du ..., wie du ...«

Er sprach nicht weiter.

»Ja?«

»Du warst so voller Kraft. Ich spürte, dass ich keine Angst um dich haben musste ... Eleonore?«

»Ja?«

»Wenn unser erstes Kind ein Junge wird, möchte ich ihn Wolf nennen.«

Sie lachte leise. »Warum?«

»Der Name steht für Stärke. Und Mut. Und so bist auch du: stark und ohne Furcht. Ich hoffe, dass unser Kind so stark und furchtlos wie seine Mutter werden wird.«

Sie lachte glücklich. »Also gut, nennen wir ihn Wolf.«

Er küsste sie erneut, und dann hörte sie ihn nahe an ihrem Ohr flüstern:

»Du wirst immer meine Liebe sein, Eleonore, Gräfin von Greifenberg.«

Als sie sich erneut liebten, dachte sie, dass sie vielleicht gerade ihren Ältesten zeugten. Den sie tatsächlich Wolf nannten.

***

»Großmutter ...!«

»Ja, mein Kind ...«

Der Junge riss sie zurück in die Gegenwart, und sie konnte nicht anders, als den blond gelockten Knaben zu küssen. In ihren Augen hatte er von all ihren Kindern etwas. Dazu die Begeisterung und die Zielstrebigkeit ihres seligen Mannes.

»Darf ich ihn füttern?«

»Er findet Gras genug hier ...«

»Bitte, Großmutter, bitte!«

Er sah sie wie immer mit diesem so herzerweichenden Blick an, dem sie nicht widerstehen konnte. Sie lachte. Sollte er das Pferd ruhig ein bisschen verwöhnen, denn es würde genau wie er nur allzu schnell wachsen und größer werden. Dann würde man das Tier für seine Bestimmung ausbilden, genau wie diesen Jungen. Man würde ihn die höfischen Tugenden ihres Standes lehren, das Schwert zu führen, zu reiten, zu ringen, zu kämpfen. Eben all das, was die Männer des Adels bereits seit Jahrhunderten taten.

Nachdem der Junge das Tier ausgiebig gefüttert und wieder und wieder geherzt hatte, ritten sie zurück. Sie im Damensattel auf ihrem Pferd, der Junge auf seinem eigenen Tier, darauf hatte er bestanden. Der Pferdeknecht und zwei Bewaffnete zu ihrem Schutz folgten zu Fuß.

Darauf hatte Hagen bestanden ...

Sie ritten nicht schnell, es war ja auch nicht weit in die Burg zurück. Und als der Bergfried in der kleinen Senke auftauchte, wurden weitere Erinnerungen lebendig. Die Hochzeit nur wenige Wochen nach ihrem ersten Treffen oben in der Hütte. Keine große Sache. Zwei kleine Adelshäuser vereinigten sich durch die Heirat, bei der außer alten Namen keine wirklichen Reichtümer zusammenkamen. Aber das war ihnen damals alles gleich gewesen. Die Hochzeitsnacht, in der sie gelacht und herumgealbert hatten, bevor sie sich glücklich wieder und wieder liebten. Der Morgen danach, als Hagen, der Waffenbruder und Freund ihres Mannes, ihr gesagt hatte, wie wunderbar sie aussehe als junge Gräfin. Und Wolfram, der bei diesen Worten vor Stolz beinahe platzte. Hagen. Ja, irgendwie war er immer bei ihr gewesen und doch so weit entfernt wie niemand sonst in ihrer Nähe. So viele Erinnerungen! Schmerzliche dazu.

Der erste Winter allein. Ohne Wolfram, ohne Hagen. Nur fünf Jahre nachdem sie den Grafen von Greifenberg geehelicht und ihm nacheinander vier Kinder geschenkt hatte. Wolf, den Ältesten. Dann Friedensreich, den sie alle nur Frieder nannten, gefolgt von Friederike und zuletzt Johanna. Wieder schloss Eleonore für einen Moment die Augen, und sie sah ihren Mann fortgehen. Als Lehnsmann war er in den Krieg gegen die Engländer gezogen. An seiner Seite, wie immer, Hagen, der Freund und Getreue. Gott, wie eifersüchtig sie auf den ernsten, klugen Gefährten ihres Mannes gewesen war! Die beiden zogen in die Welt, teilten ihr Leben als Krieger und Freunde und ließen sie zurück. Allein, mit vier kleinen Kindern, der Burg, den Bauern und Fischern, den Schafhirten und den Holzknechten. Dem Land. Das Lehen. Sie dachte auch daran, wie erleichtert und auch glücklich sie gewesen war, als die beiden Männer nach Jahren zurückkehrten. Müde, gealtert, übersät mit den Narben der unzähligen Wunden aus zahlreichen Schlachten. Aber zurück, lebend. Fast einhundert Jahre dauerte dieser unselige Krieg bereits, und Männer wie ihr Mann und Hagen kämpften, aber entschieden ihn nicht. Ein blutiger Krieg, über den sie nichts erzählten.

In diesen Jahren hatte sie ihren Mann nie mehr als zwei Monate am Stück gesehen, und am Ende war er beinah ein Fremder gewesen. Fremd für sie wie für die Kinder. Sie mussten sich erst wieder aneinander gewöhnen, und sie erinnerte sich noch genau daran, wie die ersten gemeinsamen Nächte mit Wolfram verlaufen waren. Wie sie diesen einst vertrauten Mann an ihrer Seite betrachtet hatte, stumm und entsetzt angesichts seiner zahlreichen Narben. Diese Vertrautheit kehrte nicht wieder zurück, und sie wusste damals wie heute, dass dafür der Krieg verantwortlich war. Und sie hasste ihn, nicht nur, weil er ihrem Mann das angetan hatte, sondern weil er in ihr Leben und in ihre Familie eingedrungen war wie ein böses Geschwür. Und nun, da alles vorbei war und die Burg wieder instand gesetzt, waren ihre beiden eigenen Söhne zu unerbittlichen Feinden geworden. Und der Grund dafür lag nicht einmal fünf Jahre zurück ...

***

Es war bitterkalt. Fahles Sonnenlicht drang nur mühsam durch den Dunst, und der eisige Wind trieb feine Schneeschleier vor sich her, die die beiden Reiter, die auf der Straße von der Burg herab dahintrabten, fast verhüllten. Plötzlich gab der jüngere der beiden seinem Pferd die Sporen, und das Tier jagte mit weit ausholenden Sätzen über die verschneiten Felder davon. Jetzt trieb auch der ältere sein Pferd an, bemüht, dem ungestümen Reiter zu folgen. Was mache ich da?, fragte sich Hagen vom Wald. Jage ich tatsächlich wie ein dummer Junge über das gefrorene Land, nur um einem Burschen zu folgen, der seinen jugendlichen Übermut nicht im Zaum halten kann? Der Sohn des Grafen, der anstelle seines Vaters ritt, um nach dem Holz zu sehen! Und er, der alte Hagen, sollte diesen Jungen begleiten. Es war der Befehl seines Herrn und der Wunsch seiner Herrin. Hagen blickte dem prächtigen Schimmel hinterher. Auf dem hellen Schnee wirkten Pferd und Reiter wie zwei Schemen.

Der eisige Ostwind schien Wolf nichts auszumachen. Sein Hengst flog fast dahin, und Hagen hatte Mühe, nicht den Anschluss zu verlieren. Der Ritter musste seinen Kopf immer wieder zur Seite wenden, denn die kalte Luft trieb ihm die Tränen in die Augen. Dann verschwamm sein Blick, und er erkannte nichts mehr. Der Schal und die Kapuze seines Gewandes hielten die schlimmste Kälte fern. Reifkristalle bedeckten seinen Bart, und seinem Pferd wuchs ein bizarrer Schmuck aus Eis an Trense und Zaumzeug.

Einmal meinte Hagen, Wolf würde sein Pferd anhalten, aber er hatte sich getäuscht. Ohne das Tempo zu drosseln, stob der junge Graf einen Hang hinunter und verschwand dann aus seinem Blickfeld. Hagen ließ ihn gewähren. Er wusste, dass am Fuß des Hügels die weiten sumpfigen Flussauen begannen. Dort würde der Wind nicht ganz so schneidend blasen, und der dichte Weidengrund entlang des Ufers ließ auch den übermütigsten Reiter nur langsam vorankommen.

Hagen überließ also seinem Pferd die Führung, und das Tier bahnte sich vorsichtig seinen Weg durch den dicht verschneiten Auwald. Außer dem dumpfen Geräusch der Hufe war nichts zu hören. Manchmal musste Hagen tief hängenden Zweigen, schwer von der Last des Schnees, ausweichen. Er stellte fest, dass es so war, wie er vermutet hatte: Der Wind war hier tatsächlich kaum zu spüren. Dafür zog eine nasskalte Feuchtigkeit vom Wasser herauf und drang durch seine Stiefel.

Er dachte an den Morgen dieses Tages. Als wieder einmal diese seltsame Schwäche über den alten Grafen gekommen war. Weshalb nun sein Sohn Wolf an seiner statt hierherritt. Um nach dem Holz zu sehen. Festzustellen, was die Winterstürme und das hungrige Wild angerichtet hatten. Kurz, der Aufgabe eines Lehnsherrn nachzukommen, die all die Zeit der Abwesenheit des Grafen über eine Frau versehen hatte: Eleonore! Hagen atmete tief die eiskalte Luft ein, als er aus seinen Gedanken gerissen wurde. Nicht weit vom Flussufer entfernt stand Wolfs Pferd. Hagen sah, dass das Fell des Tieres im milchigen Licht der Wintersonne dampfte. Von seinem Reiter war nichts zu sehen. Bei allen Heiligen, wo war der Junge geblieben? War er etwa aus dem Sattel geworfen worden und lag jetzt irgendwo in einer Schneewehe? Gar im dichten Unterholz, vielleicht sogar verletzt? Als Hagen näher kam, erkannte er Spuren im Schnee. Kein Zweifel, Wolf musste an dieser Stelle abgestiegen sein.

»Herr Graf?«

Er stellte sich im Sattel auf.

»Herr Graf, wo steckt Ihr?«

Es blieb still. Einmal hörte er Raben über sich in den kahlen Weidenwipfeln krächzen. Er schob sich die Kapuze vom Kopf und blickte sich um. Augenblicklich spürte er die Kälte am Hals und im Gesicht.

»Was denn? Sorgst du dich etwa um mich?«

Hagen fuhr herum. Hinter einem kräftigen Weidenstamm trat Wolf hervor und nestelte an seinem Beinkleid. Er grinste breit. Hagen ließ sich erleichtert in seinen Sattel zurückgleiten.

»Ihr wart so schnell, junger Herr. War nicht einfach, Euch zu folgen.«

Er bemühte sich, in seine Worte keinen Tadel zu legen. Wolf lachte schallend.

»Das macht dein Sattel, Hagen. Ist ja ein Lehnstuhl, was du da hast.«

»Ich bin diesen Sattel gewohnt.«

»Aber sicher doch, ja«, entgegnete Wolf, »weil er sich bewährt hat, nicht? Und weil du immer schon auf ihm geritten bist, seit du jung warst. Und weil du keinen anderen Sattel ausprobieren magst und dich sowieso nicht mehr an einen anderen gewöhnst. Und so weiter und so fort. Wolltest du das alles noch sagen, ja?«

Hagen schwieg und sah sich um.

»Ihr seid zu früh in den Wald hinein, Herr. Die Brücke liegt mehr in dieser Richtung.«

Er deutete mit dem Arm flussabwärts, doch Wolf lachte wieder nur und zuckte mit den Schultern. Dann stieg er auf und trieb sein Pferd an. Wie zuvor Hagens Tier suchte Wolfs Hengst seinen Weg eher vorsichtig. Hagen folgte. Manchmal sanken die Pferde bis zum Bauch im verwehten Schnee ein. Etwas weiter wurde die Schneedecke auf einmal wieder so dünn, dass an manchen Stellen der Waldboden dunkel hervorschimmerte. Sie kreuzten immer wieder frische Wildspuren, kaum verharscht vom Schnee. Einige Bäume waren unter der Last des Schnees umgeknickt oder hatten Äste verloren. Doch die Schäden waren weit weniger schlimm als erwartet. An einer Stelle war der Wald so licht, dass sie einen weiten Blick über den Fluss hatten. Beide Seiten waren an den Ufern zugefroren. Nur in der Flussmitte glitt das Wasser ungehindert dahin. Weiter flussabwärts erkannte Hagen die Brücke. Oder besser das, was von ihr übrig geblieben war. Mächtige Eisschollen hatten sie fortgerissen, und zerborstenes, aufgestautes Eis türmte sich um die zwei einsamen steinernen Brückenpfeiler.

»Die ist weg«, stellte Hagen fest und wandte seinen Blick flussaufwärts, »wir werden uns weiter oben eine flache Stelle suchen müssen.«

Er lenkte sein Pferd behutsam die Uferböschung hinunter. Im Zwielicht der Wintersonne ließ sich das Ufer nur ahnen. Aber eine Stelle erschien ihm vielversprechend. Vorsichtig trat sein Pferd von der festen Erde auf das blanke Eis. Das stete Spiel der Ohren des Tieres zeigte Hagen, dass ihm die Absicht seines Reiters nicht geheuer war. Trotzdem tastete sich das Pferd Schritt für Schritt voran. Sein Hufschlag klang dumpf auf dem Eis. Etwa zwei Mannlängen vor ihnen schwappte das Wasser über den Rand der Eisplatte. Hagen musste nichts tun, das erfahrene Tier hielt von alleine an, um dann langsam rückwärtszutreten, bis die Stärke des Eises es erlaubte, dass sein Reiter es gefahrlos auf der Stelle wendete.

Wolf war die ganze Zeit über oben an der Uferböschung geblieben, wo er Hagens Versuch, eine Furt zu finden, beobachtet hatte. Das Fell seines Hengstes dampfte noch immer von dem scharfen Ritt durch die Kälte. Hagen hielt auf dem sicheren Uferboden an und wischte sich die Stirn. Trotz der eisigen Luft hatte er geschwitzt und es gar nicht bemerkt.

»Das Eis hier ist nicht fest genug. Wir probieren es noch ein Stück weiter oben.«

Wolf lächelte ihn an.

»Hagen, wie umständlich du bist. Dann müssen die Pferde eben schwimmen.«

Hagen ärgerte sich über dieses grüne Gerede.

»Herr, die Tiere schwitzen. Eures noch mehr als meins.«

Die letzten Worte konnte er sich nicht verkneifen, und dass ein leiser Tadel darin mitschwang, war gewollt. Wolf grunzte verächtlich.

»Ja, sie schwitzen. Und? Weißt du was, Hagen? Du wirst alt. Alt und ängstlich.« Wolf zog sein Pferd mit einem Ruck am Zügel herum, stieß ihm die Sporen in die Seite und drängte es an Hagen vorbei die Uferböschung hinunter. Der alte Ritter wusste, was der Junge vorhatte, und verachtete dieses Unterfangen sofort. Mangelnder Respekt vor einer Kreatur war ihm zuwider.

»Herr Graf, das Wasser ist eiskalt. Den Gaul wird der Schlag treffen!«

Wolf schnaubte nur spöttisch und drängte seinen Hengst auf das Eis. Als das Pferd spürte, wozu es genötigt wurde, blieb es stehen und rollte mit den Augen vor Angst. Dann begann es zu wiehern und wollte zurückgehen, doch Wolf zwang es unter Einsatz seiner Sporen weiter. Bis das Eis einbrach und das Tier bis zum Bauch im eiskalten Wasser verschwand. Sofort begann der Hengst zu schwimmen, wobei er seinen edlen Kopf heftig hin und her warf. Als sie fast die Flussmitte erreicht hatten, versuchte er, quer über den Fluss zu schwimmen.

Hagen saß stumm im Sattel und beobachtete alles.

Mehr als einmal verwünschte er die Launen dieses unberechenbaren Burschen. So war Wolf immer schon gewesen: ungestüm, selbstherrlich, rücksichtslos, notfalls eine Sache mit Gewalt angehend. Immer nur nach Aufmerksamkeit suchend. Und wehe, ihm misslang ein Vorhaben. Dann fürchtete jeder seinen heißen Zorn. Nun als gereifter Jüngling auf der Schwelle zum Mann war es eher noch schlimmer geworden.

Hagen ahnte, was passieren würde. Die gegenüberliegende Uferseite lag fast den ganzen Tag über im Schatten. Dort war das Eis viel fester als auf ihrer Seite des Flusses. Der Hengst würde mit seiner Last auf dem Rücken nicht lange schwimmen können. Tatsächlich wurden die Bewegungen des Pferdes langsamer. Kein Zweifel, das eisige Wasser lähmte das Tier bereits.

»Kehrt um, Herr Graf!«

Unbeirrt ließ Wolf den Hengst weiterschwimmen.

»Herr im Himmel, wie kann man nur so dumm sein«, murmelte Hagen für sich und dann laut genug, dass Wolf es hören konnte: »Tretet das Eis auf! Der Gaul kommt sonst nicht hinauf!«

Sein eigenes Pferd wurde unruhig. Als ob es spürte, dass es samt seinem Reiter als Nächstes an die Reihe kommen sollte. Hagen streichelte es am Hals und hielt die Zügel fest. Wenigstens tat Wolf nun, was der alte Getreue ihm zugerufen hatte, und lenkte den Hengst seitlich an die Eiskante. Dann trat er mit dem Reitstiefel darauf, so lange, bis endlich große Stücke davon abbrachen, im Wasser versanken, um sich dann unter die noch intakte Eisfläche zu schieben. Wolf trat weiter auf das Eis ein, und es brach eine größere Scholle ab, streifte Bauch und Läufe des Pferdes, um dann in der Flussmitte hinabzutreiben.

»Ja gut so! Weiter!«, rief Hagen und stellte sich im Sattel auf.

Sobald das Eis es ermöglichte, musste Wolf sein Pferd in die Lücke hineintreiben. So konnten sie zwar noch immer nicht aus dem Wasser heraus, aber wenigstens musste das Tier nicht mehr gegen die Strömung anschwimmen. Inzwischen war die Lücke groß genug. Aber Wolf wollte wohl nicht länger warten und versuchte, von seinem Pferd auf das Eis hinabzusteigen.

»Nicht, nein!«, schrie Hagen, »es trägt Euch nicht ...!«

Wolf stand bereits breitbeinig auf dem Eis, eine Hand hielt den Zügel. Er lächelte noch in Hagens Richtung, als das Eis krachend unter seinen Füßen zerbarst und er blitzschnell im eisigen Wasser verschwand. Hagen sah noch, wie er mit der Hand Halt suchend nach seinem Pferd griff. Doch der Hengst erschrak darüber und geriet sofort wieder in tieferes Wasser. Erneut musste er schwimmen. Doch dieses Mal trieb ihn die Strömung rasch ab, und er unternahm keine Anstrengungen mehr, ans Ufer zurückzukommen.

Hagen erschien es wie eine Ewigkeit, bis Wolf wieder prustend zwischen den geborstenen Eisplatten auftauchte. Heftig um sich schlagend, strampelte er im Wasser herum. Seine dicken Kleider zogen ihn in die Tiefe. Hagen sah, dass der Junge immer wieder nach dem Rand der Eisfläche griff, doch die Stelle war zu dünn, und jedes Mal brach ein großes Stück ab und versank zusammen mit dem Grafen erneut im Wasser. Hagen stieg eilig vom Pferd, trat hinunter auf das Eis, und als es anfing, laut unter seinen Füßen zu knacken, legte er sich flach darauf. So kroch er näher. Obwohl sich das Eis nun vor ihm bedrohlich neigte und das Wasser ihm in langen Zungen entgegenleckte, streckte er seine Hand aus.

»Hierher! Schwimm hier rüber, zu mir!«

»Ich kann nicht!«

»Komm schon, versuch es! Dreh dich zu mir und schwimm her!«

Wolf folgte. Er paddelte mit Händen und Füßen durch die schmale Flussrinne zurück, gab alles, als er spürte, wie die Strömung nach ihm griff. Hagen reckte sich nach vorn, den Arm ausgestreckt. Doch es reichte nicht. Mein Schal!, durchzuckte ihn ein Gedanke. Er wickelte das wollene Tuch ab und warf das Ende in Wolfs Richtung. Noch zwei Mal musste er den Wurf wiederholen, bis es dem Jungen gelang, danach zu greifen und sich festzuhalten. Mit einem kräftigen Ruck zog ihn Hagen bis an den Rand des intakten Eises, auf dem er lag.

»Halt gut fest!«

»Ich kann nicht. Meine Hände ...«

»Halt fest!«

Hagen kroch, das andere Schalende in der Hand, rasch zurück. Erst am sicheren Ufer richtete er sich ein klein wenig auf.

»Hagen ...!«

Wolfs Ruf klang schrill.

Hagen schnalzte mit der Zunge. Das Signal für sein Pferd. Erst schnaubte das Tier unwillig. Aber dann gehorchte es und trat vorsichtig näher. Dort, wo das Eis begann, blieb es stehen. Doch das genügte. Hagen griff mit seiner freien Hand nach dem herabhängenden Steigbügel, mit der anderen Hand hielt er noch immer den Schal.

»So, jetzt zurück mein Guter, los, geh. Geh!«

Wieder gehorchte das Tier und trat langsam zurück. Mit jedem Schritt kam Wolfs klatschnasse Gestalt ein Stück weiter aus dem Wasser, bis sie auf dem festen Eis lag. Er hielt den Schal so fest mit beiden Händen umklammert, dass seine blutleeren Knöchel spitz unter der Haut hervortraten. Hagen musste einen kurzen Moment verschnaufen, bevor er Wolf wie einen Hund im Nacken packte und ganz zu sich heranzog. So kauerten sie einen Moment lang beide am Uferrand, um zu verschnaufen. Hagen bemerkte, dass Wolfs Atem kaum noch zu hören war, und er wusste, was das bedeutete. Ein Feuer!, dachte er. Ich muss ein Feuer anmachen, das ihn wärmt. Doch bis er hier im tief verschneiten Weidengrund genug trockenes Holz gesammelt hätte, wären dem Jungen alle Kleider an den Leib gefroren. Einmal noch warf er den Blick zurück auf Wolfs Pferd. Der prächtige Hengst war flussabwärts getrieben und mit dem Zaumzeug an den Eisschollen vor der einstigen Brücke hängen geblieben. Hagen sah, wie das Tier versuchte, dort aus dem Wasser zu kommen. Die beiden Vorderläufe kratzten auf dem Rand der zerborstenen Eisplatten, unfähig, das steile Hindernis zu erklimmen. Der Anblick war herzzerreißend, denn die Bewegungen wurden immer schwächer, und Hagen wusste, dass das prächtige Tier in dem eisigen Wasser erfrieren würde. Er fluchte leise. Doch es half nichts, sie mussten so rasch wie möglich zurück in die Burg.

»Los, zieh alles aus!«

Wolf reagierte nicht. Er zitterte und klapperte dabei mit den Zähnen.

»Zieh die nassen Sachen aus, sie frieren dir am Leib fest!«

Wolfs Blick war apathisch, die Haut in seinem Gesicht ohne Farbe, und sein Atem ging flach. Hagen zog sein Messer, kniete neben dem jungen Grafen nieder und schnitt ihm die Kleider auf. Die letzten Fetzen Stoff riss er herunter, bis der junge Graf splitternackt, am ganzen Leib zitternd, vor ihm kauerte. Hagen zog seinen Umhang aus, schlang ihn um Wolfs Körper und rieb ihn damit vorsichtig trocken. Jetzt stöhnte der Junge. Also war noch Gefühl in den ausgekühlten Gliedern. Der Ritter wickelte den Umhang fest um den bleichen Körper und zog ihn hoch auf die Füße. Dann schob er ihn in den Sattel und saß hinter ihm auf. Wolf schlotterte jetzt so sehr, dass Hagen ihn festhalten musste, um zu verhindern, dass der Junge vom Pferd fiel. Das getreue Tier verstand sofort und suchte den Weg zurück durch den Weidengrund. Als sie die Flussauen hinter sich gelassen hatten, verblasste die fahle Wintersonne endgültig, und die Dämmerung setzte ein. Der eisige Wind ließ nach, und es begann zu schneien.

***

»Gott, unser armer Herr!«

Auf Schussels Klage hin wandten sich sämtliche Köpfe zu ihm um. Die Neugier ließ die Gesichter leuchten, während das Feuer in der großen, warmen Burgküche prasselte. Niemand hatte bisher Genaueres erfahren. Nur die Aufregung war keinem entgangen, als im dichten Schneetreiben der anbrechenden Nacht Hagen samt dem jungen Grafen auf die Burg zurückgekommen war. Mit einem völlig entkräfteten Pferd, das vor Erschöpfung genauso heftig zitterte wie seine beiden durchgefrorenen Reiter. Eilig hatten ihnen die Knechte aus dem Sattel geholfen und beide in die warme Badestube gebracht. Ein Raum, neben der Küche, den Eleonore den Winter über ständig heizen ließ, damit man sich dort aufwärmen konnte. In der übrigen Burg gab es nur wenige Räume, die warm genug waren, dass man sich darin lange aufhalten konnte.

»Er ist ins Wasser gefallen«, bemerkte Linus ein wenig spitz.

Niemand wollte darauf antworten, nicht einmal mit schadenfrohem Lachen.

»Ich würde mein Schandmaul halten«, entgegnete Schussel.

Er warf zwei große Holzscheite in den offenen Kamin.

»Die Herrin mag es nicht, wenn man über ihre Brut spottet.«

»Wer spottet denn? Ich doch nicht, mit keinem Wort«, wehrte Linus ab.

»Ich sag nur, was ich gehört hab.«

»Er kann von Glück sagen, dass er nicht ertrunken oder erfroren ist«, meinte eine der Mägde an einem der Tische und ließ das Messer sinken, mit dem sie gerade ein Huhn zerteilte.

»Es heißt, wenn der Herr Hagen ihn nicht ...«, fiel eine weitere Magd ein.

»Haltet endlich das Maul!«

Schussel schien ehrlich erbost zu sein.

»Kein Wort mehr, hört ihr? Macht eure Arbeit!«

Eleonore trat in die Küche, und augenblicklich widmete sich jeder der Knechte und Mägde seiner Arbeit. Sie sah sich um, doch niemand erwiderte ihren Blick.

»Sieh zu, dass wir bald essen können, Schussel.«

»Ja, Frau Gräfin.«

Eleonore verließ die Küche und machte sich auf den Weg zur Wärmekammer.

Dort war der Bader gerade damit beschäftigt, den jungen Grafen mit einem warmen, wohlriechenden Öl einzureiben. Wolfs Haut war bereits wieder rosig, und er konnte alle Glieder leicht und ohne Schmerzen bewegen. Es grenzte fast an ein Wunder, dass er keine Erfrierungen davongetragen hatte.

»Gott im Himmel, wie konnte das geschehen?«

Eleonore sah ihren Sohn an.

Er wich ihrem Blick aus. Eleonore wandte sich Hagen zu, der mit dem Rücken am warmen Kamin auf einer Steinbank saß, ein Tuch um die Hüften, eine Decke um die Schultern, die Füße in einem warmen Wasserbad. Er sagte nichts. Eleonore blickte erneut zu ihrem Sohn, der, noch immer auf dem Bauch liegend, von den Händen des Baders eingeölt wurde. Der unterbrach seine Tätigkeit jetzt und blickte respektvoll auf die Gräfin. Endlich hob Wolf den Kopf und blickte seine Mutter an.

»Ein Unglück, liebe Frau«, begann Hagen von seinem Platz aus.

Eleonore runzelte die Stirn. Das war kaum zu glauben, denn sie kannte ihren Ältesten, dessen ungestüme Art, wusste von seinem Leichtsinn. Von seinem Vater hatte er das nicht. Auch nicht von ihr. Aber so war es eben. Beim Allmächtigen, es galt, dem Jungen diesen Leichtsinn auszutreiben. Aber sie wusste längst, dass sie kaum noch in der Lage war, das oft wilde Gebaren des jungen Grafen zu mäßigen. Sie war zornig. Er hatte sich in Gefahr gebracht und Hagen dazu.

»So, also ein Unglück, ja?«, fragte sie und bemühte sich um Ruhe in ihrer Stimme.

Wolf senkte den Kopf wieder und wich so ihrem Blick aus.

»Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«, befahl sie.

Wolf folgte der Aufforderung seiner Mutter.

»Also, ich höre. Was ist geschehen?«

»Du hast es doch gehört«, antwortete Wolf aufsässig.

»Ich will es aber von dir hören!«

»Wie Hagen gerade sagte. Ein Unglück.«

Eleonore sog scharf die Luft ein und schüttelte dann kaum merklich den Kopf. Sie war sicher, dass dies nicht der Wahrheit entsprach und Hagen den Jungen deckte. Doch Eleonore liebte ihren Sohn sehr und ein scharfes Wort so wie eben kam nur selten vor. Als sie jetzt wieder sprach, war ihre Stimme fürsorglich.

»Der Herr weiß es, Wolf, ich ... ich habe mir Sorgen gemacht. Es hätte weiß Gott was passieren können.«

»Ja, Mutter.«

Er klang nicht sonderlich zerknirscht, aber sie fühlte erneut die aufkommende Zärtlichkeit, wie immer, wenn sie mit ihm sprach.

»Zum Glück war Hagen bei dir.«

»Ja, Mutter. Zum Glück.«

Eleonore blickte zu dem Getreuen, der dem Blick der Gräfin standhielt und dann müde lächelte.

»Es ist ja alles gutgegangen, liebe Frau. Ich denke, viel mehr ist nicht zu sagen«, erklärte er mit ruhiger Stimme.

Der Anblick von Hagen dauerte sie. Sie mochte diesen Mann, und sie fand es entwürdigend, dass man so mit ihm umsprang. Selbst wenn die Ursache dafür ihr ältester Sohn und erklärter Liebling war. Sie straffte die Schultern, wie immer wenn sie eine Entscheidung aussprach.

»O doch, mein Lieber, das ist es wohl.«

Wolf wandte den Kopf, um Hagen anzusehen. Er wusste, was seine Mutter nun von ihm erwartete.

»Ich danke dir, Hagen«, sagte Wolf. »Danke für deine Hilfe, ja ...«

Der alte Getreue nickte wieder nur.

»Schon recht. Nun lasst uns nicht mehr daran denken. Der Allmächtige hat geholfen.«

»Ja, das hat er. Und dafür sei ihm gedankt«, sagte Eleonore und nickte Hagen zu.

Sie würde später mit ihm darüber sprechen. Und auch wenn sie ihm jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen musste, sie würde Hagen so lange drängen, bis er erzählen würde. Eleonore von Greifenberg wandte sich zum Gehen. Eine junge Magd huschte an ihr vorbei, einen Stapel frischer Leinentücher in der Hand.

Hagen, dachte Eleonore, während sie durch den Gang zurückschritt, er muss mir alles erzählen. Auch wenn es mich noch im Nachhinein zu Tode ängstigen wird, wenn ich höre, wie nahe mein Sohn dem Tod war.

***

Eine Woche nach diesen Ereignissen stand Eleonore am Rande des Söllers und blickte über das weite Land.

Es war noch immer kalt, aber nicht mehr so eisig wie die Tage zuvor. Im hellen Licht der Wintersonne wirkte die verschneite Landschaft friedlich und schön. Doch dafür hatte sie keinen Blick. Denn dieser Frieden trog und lenkte sie nicht von ihren Sorgen und Gedanken ab. Seit sie sich erinnern konnte, musste sie kämpfen. Um alles. Um das Land, das zu klein für die vielen Menschen war. Um die kargen Böden, die längst nicht alle ernährten. Wieder einmal waren die Vorräte knapp geworden, und wenn der Frühling nicht bald kam, würde sie es nicht verhindern können, dass die Bauern hungerten. Dabei hatte sie vom ersten Tag ihrer Ehe mit Wolfram an immer nur ein Ziel vor Augen gehabt: das Erbe seiner Väter gut zu verwalten und aus dem kleinen, unbedeutenden Lehen ein starkes und blühendes Stück Land zu machen. Aber die Zeiten änderten sich. Viel zu schnell, wie sie feststellte. Längst hatten nicht mehr die Adeligen allein das Sagen. Immer mehr galt das Wort der Städter. Handwerker, Kaufleute, Menschen, die anders dachten als sie. Und die Geld hatten. Weil sie es durch den Handel und durch ihr Können verdienten. Das liebe Geld! Selbst ein so kleines Lehen ließ sich ohne Vermögen nicht halten, geschweige denn vergrößern. Ein paar Morgen Land hier, ein paar fruchtbare Äcker dort. Die Schulden bei den Geldhäusern in den Städten beliefen sich nicht auf allzu große Summen. Gott bewahre, nein! Sie war sparsam gewesen, aber es wurde immer schwieriger. Und die Anstrengungen, die Schulden samt den Zinsen zurückzubezahlen, immer größer.

Trotzdem verspürte sie so etwas wie leisen Optimismus. Vielleicht weil sie an den nahen Frühling glaubte und an all die Veränderungen, die dieses noch junge Jahr bringen würde? Dann würde sie das Land und seine Bewohner in bessere Zeiten führen. Wolfram hatte sie immer wieder beschworen: Sollte er eines Tages nicht mehr sein, würde ihr Name doch stark und mächtig bleiben. Die Herren von Greifenberg! Allen neuen Zeiten zum Trotz. Doch an seinen Tod mochte sie am allerwenigsten denken. Wenn er nur endlich wieder gesund werden würde. Zwar ging es ihm heute spürbar besser, doch diese seltsame Müdigkeit blieb, und sie quälte ihn seit dem Fest Christi Geburt. Das war inzwischen drei Monate her. Eleonore seufzte. Jetzt hatte sie doch wieder daran gedacht. Aber Gott im Himmel, ihr Mann war noch kein Greis und würde am liebsten den ganzen Tag nur schlafen.

Sie kniff ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und beobachtete, wie im aufziehenden Dunst das Sonnenlicht allmählich verblasste. Die Täler ringsum lagen bereits im Schatten. Nun kroch die Kälte wieder die Mauern herauf, wie jeden Tag in diesem langen Winter. Es fröstelte sie.

»Frau Gräfin?«

Sie wandte sich um.

»Hagen, du bist es. Schleichst dich an wie eine Katze.«

»Verzeiht, Frau Gräfin, das war nicht meine Absicht.«

»Weiß ich doch, war ja auch nur so geredet. Sag schon, was ist?«

»Euer Gemahl und die Kinder sind alle da und erwarten Euch.«

Sie nickte stumm. Ihre Finger waren steif vor Kälte und taten weh. Wie lästig, dachte sie. Stumm betrachtete sie ihre Hand, drehte und wendete sie. Mit der Kälte gingen die Menschen genauso um wie mit all den anderen Widrigkeiten dieses Lebens. Ergaben sich ihr einfach und versuchten, das Beste daraus zu machen. Immer in der Hoffnung auf die Fürsorge des Herrn, wie sie ihnen von den Geistlichen wieder und wieder gepredigt wurde. Genau wie sie es sagten: Der Herr hat jeden auf seinen Platz gestellt, und niemand kann dagegen an. Doch manchmal gab es ein kleines Stück Glück. Eleonore musste für sich lachen. Denn was war schon die Kälte am Ende dieses eisigen Winters gegen das Glück? Zum Beispiel das Glück ihres Ältesten nach seinem Malheur im Fluss? Ja, war das nicht ein großes Glück gewesen, dass Wolf nichts passiert war? Seitdem war der Junge in sich gekehrt und zeigte sich nur bei Tisch und bei den Übungen auf dem Waffenhof. Eleonore musste unwillkürlich schmunzeln. Natürlich war Wolf wütend darüber, dass er sich vor Hagen blamiert hatte. Der ihn in der Burg abgeliefert hatte, völlig durchfroren und splitternackt. Jeder wusste davon, und alle ahnten, dass er ohne Hagen wohl kaum noch am Leben wäre. Das sollte dem Bengel eine Lehre sein, dachte sie. Noch einmal warf sie einen Blick auf das ringsum verschneite Land. Doch ja, manchmal half einem der Himmel. Oder Hagen. Nur dass der kostbare Hengst ertrunken war, hatte sie und ihren Mann tief getroffen, wesentlich mehr als den Jungen.

Eleonore von Greifenberg trat in den großen Saal und ließ sich auf einem Sessel nieder. Die eiskalten Hände schob sie unter ihre Schürze. Hagen trat neben sie und ihren Mann. Der Graf saß auf einem bequemen Stuhl und blickte der Reihe nach auf seine vier Kinder. Wie immer ruhte sein Blick zuerst auf Wolf, dem Ältesten. Dann auf Friederike, einer schönen jungen Frau. Ihre jüngere Schwester Johanna kauerte neben ihr auf der hölzernen Bank, ganz nah an sie gedrückt. Nicht einmal ein Jahr lag zwischen den beiden, und die Ähnlichkeit war unübersehbar. Johanna, nicht weniger hübsch als ihre ältere Schwester, wirkte zarter, fast durchscheinend in ihrer Gestalt, und jeder, der sie sah, wollte sie augenblicklich beschützen. Dicht bei seinen Schwestern saß auch Frieder, der jüngere Sohn. Ja, doch, Gott der Herr hatte es bei allen Widrigkeiten doch ganz gut mit ihm gemeint. Er seufzte zufrieden.

»Ich ... wir werden euch nun sagen, wie wir uns entschieden haben«, begann Wolfram und warf einen Seitenblick auf Eleonore.

Als sie ihm lächelnd zunickte, holte er tief Luft und deutete dann auf das ältere der beiden Mädchen.

»Friederike, es wird keine Überraschung für dich sein, was ich dir jetzt sage: Du wirst Urs von Weil heiraten. Und zwar noch in diesem Jahr.«

Alle sahen ihr an, dass sie gern etwas gesagt hätte. Doch sie schwieg. Als Wolfram seinen Blick nicht von ihr nahm, hauchte sie schließlich nur: »Mein Vater, wenn Ihr das wünscht.«

»Ja, ich wünsche es. Und deine Mutter auch.«

Eleonore senkte kurz den Blick, bevor sie wieder zu ihrer Tochter sah. Friederikes Augen füllten sich mit Tränen. Sie kämpfte zwar dagegen an, jedoch vergebens. Als sich ihre jüngere Schwester zu ihr beugte, ihr ein kleines Tüchlein reichte und dabei ihre Hand nahm, begann sie zu schluchzen.

»Was denn?«

Wolframs Frage kam unwirsch.

»Du hast dir doch denken können, dass der Etscher nach all seinem Werben endlich eine Antwort bekommen muss, oder?«

Friederike antwortete nicht, sondern weinte still vor sich hin. Ihren Kopf hatte sie an die Schulter ihrer Schwester gelehnt. Das fängt ja gut an, dachte Eleonore. Wolf war von seinem Platz aufgestanden und zum Fenster getreten. Er blickte hinaus. Friederike weinte noch immer still vor sich hin, und jetzt versuchte auch Frieder, seine Schwester zu trösten. Er strich ihr erst mit der Hand über den Rücken, legte dann den Arm um sie und zog sie sanft zu sich.

»Gott im Himmel, jetzt hör schon mit dem Geflenne auf!«, grollte Wolfram unwirsch. »Du tust ja gerade so, als wollten wir dich mit einem Ungeheuer verheiraten.«

»Na ja, viel fehlt dazu nicht, Vater.«

Wolfs Bemerkung von seinem Platz am Fenster aus ließ Friederike mit tränennassem Gesicht ebenso wie die übrigen Geschwister aufschauen. Auch Eleonores Blick traf die Gestalt des jungen Mannes. Wenn sich jemand so eine Bemerkung erlauben durfte, dann nur er, Wolf, der erklärte Liebling. Trotzdem war die Bemerkung ungezogen gewesen.

»Beleidige nur deinen zukünftigen Schwager«, entgegnete der Graf leise, »aber der Mann ist nobel und hat ein gutes Herz.«

»Ja und ein schiefes Gesicht mit nur einem Auge.«

Wolfs Antwort veranlasste Hagen, sich zu räuspern, bevor er laut zu sprechen begann.

»Der Ritter hat im Feldzug tapfer gegen die Engländer und ihre Knechte gekämpft. In einem Krieg kommen Männer zu Schaden. Knochen brechen, und so mancher verliert eine Hand oder ein Bein. Oder ein Auge.«

Hagen schwieg. Seine Worte waren ruhig und beherrscht gewesen. Genau das war es, was seinen Tadel besonders wirksam machte. Die Ruhe in seiner Stimme war die härteste Maßregel für den jungen, stolzen Wolf.

»Hagen hat recht«, sagte der Graf. »Denk daran, den Etscher zu beleidigen, können wir uns nicht erlauben.«

»Ja, Vater«, entgegnete Wolf schnell, »es war ungehörig von mir. Bitte verzeiht.«

Er sah erst seinen Vater, dann seine Mutter an, und etwas in seinem Blick ließ beide dahinschmelzen. Eleonore lächelte zärtlich, und auch Wolfram konnte nicht anders und lächelte nachsichtig, bevor er sich an die übrigen Kinder wandte.