Die Chartschule - Rüdiger Götte - E-Book

Die Chartschule E-Book

Rüdiger Götte

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Beschreibung

Sie wollen an der Börse investieren und dabei die Technische Analyse, auch Chartanalyse, anwenden? Dann kommen Sie in Die Chartschule, und lernen Sie die wichtigsten Grundlagen. Rüdiger Götte, Finanzexperte und Autor zahlreicher Börsenratgeber, wählt in seiner Chartschule einen besonderen Ansatz: Statt dem Text eines trockenen Sachbuchs zu folgen, wird der Leser in eine Romanhandlung versetzt. Ort des Geschehens: Ein Volkshochschulkurs rund um die Technische Analyse. Durch diesen Kniff lässt Götte die fachlichen Ausführungen besonders lebendig erscheinen. Er nimmt seine Leser an der Seite der Protagonisten der Handlung, nämlich der anderen Chart-Schüler, mit auf eine Erkenntnisreise. Die Schüler stellen stellvertretend für den Leser naheliegende – und weniger naheliegende –Fragen, mit denen sich gerade Anfänger im Börsengeschehen häufig schwertun. Götte führt nicht nur auf innovative, einzigartige und anschauliche Weise in die wichtigsten Grundbegriffe der Technischen Analyse wie Widerstand, Unterstützung oder Trendkanal ein. Gemeinsam mit den anderen ›Schülern‹ der Volkshochschule lernen die Leser auch, wie die Werkzeuge der Chartanalyse anzuwenden sind, um erfolgreich an der Börse bestehen zu können. Götte erklärt zudem, wie aus den Chartverläufen die richtigen Schlüsse für Kauf oder Verkauf zu ziehen sind. Nach der Lektüre können die Leser erste Trades analysieren und abschließen. Das ideale Fachbuch für jeden Privatanleger!

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Seitenzahl: 407

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

1.1 Einführung in die Erzählung

2. Der Kurs – das notwendige Hintergrundwissen

2.1 Wie entsteht ein Kurs?

2.2 Warum ändert sich ein Kurs? Die erste Annahme der technischen Analyse

2.3 Die Ballkönigin bittet zum Tanz: Wie Kurse sich bewegen

2.4 Kurse haben ein Gedächtnis – sie vergessen nichts!

2.5 Dasselbe und doch nicht gleich – Kurs ist nicht gleich Kurs

2.6 Die magischen Punkte im Chart – die Pivot-Punkte

2.7 Das Bild der Märkte – Charts können unterschiedlich dargestellt werden

2.7.1 Linienchart – die einfachste Art

2.7.2 OHLC (oder Balken, Bar)-Chart

2.7.3 Kerzenchart (Candlestick-Chart)

2.7.4 Skalierung

2.7.5 Anhängsel an den Aktienchart – die Umsatzdarstellung

3. Das Trendkonzept – die Mutter aller Dinge

3.1 Dow-Theorie – die Ursprünge der technischen Analyse

3.1.1 Dow-Aussage zum Kurs: Alles ist schon enthalten!

3.1.2 Dows Aussagen zum Trend: Der Trend ist dein Freund!

3.2 Trenderkennung: The trend is your friend?

3.2.1 Diese Marken muss man kennen: Unterstützung und Widerstand

3.2.2 Trendlinie

3.2.2.1 Kurszielbestimmung – Trennlinien-Differenz-Methode

3.2.2.2 Fächerprinzip

3.2.2.3 Interne Trendlinien

3.2.3 Trendkanal

3.2.4 Speed Resistance Lines – der Geschwindigkeit des Trends auf der Spur

3.3 Prozentuale Retracements – gegen den Strom schwimmen

3.4 Elliott-Wellen-Theorie und Fibonacci-Zahlen

3.4.1 Eine kurze Einführung in die Elliott-Wellen-Theorie – eine andere Perspektive auf den Trend

3.4.2 Fibonacci-Zahlenreihe – die Mathematik der Wellen

3.4.2.1 Fibonacci-Ratio – die Basisverhältnisse der Börse

3.4.2.2 Prozentuale Fibonacci-Retracements

3.4.2.3 Fibonacci-Extension

3.4.2.4 Fibonacci-Projektion

4. Formationsanalyse – die Analyse fürs Auge

4.1 Trendbestätigungsformationen – es ändert sich nichts!

4.1.1 Dreiecke weisen die Richtung

4.1.1 Das symmetrische Dreieck

4.1.1.2 Das aufsteigende Dreieck (Aufwärtsdreieck)

4.1.1.3 Das absteigende Dreieck (Abwärtsdreieck)

4.1.2 Flaggen und Wimpel

4.1.3 Die Keil-Formation

4.1.4 Die Rechteck-Formation

4.1.5 Die gemessene Bewegung

4.2 Trendumkehrformationen – nichts hält ewig!

4.2.1 Schulter-Kopf-Schulter-Formation – der Klassiker

4.2.2 Dreifachspitze bzw. -boden

4.2.3 Doppelspitze und -boden – doppelt hält besser

4.2.4 Untertassenformationen kündigen die Kurswende an

4.2.5 V-Formationen – manches ist anders, als es zunächst erscheint

4.2.6 Gaps verstehen – Kurslücken

4.2.7 Umkehrtage

4.3 Kerzen, die jeder Trader kennen sollte – die wichtigsten Candlestick-Chartmuster

4.4 Das Umsatzwerkzeug

5. Die Mathematik der Märkte – Indikatoren und Oszillatoren

5.1 Trendfolge-Indikatoren: Die Trendversicherung

5.1.1 Gleitende Durchschnitte

5.1.2 MACD

5.1.3 Bollinger Bänder

5.1.4 AROON-Indikator – den Trend frühzeitig erkennen

5.1.5 Der Parabolic SAR – ein einfaches Handelssystem?

5.1.6 Der CCI – Zwitter zwischen Trendfolger und Oszillator

5.2 Oszillatoren – von Kursschwankungen profitieren!

5.2.1 Der Relative-Stärke-Indikator

5.2.2 Stochastik

5.2.2.1 Williams %R

5.2.3 Momentum – Beschleunigung und Verlangsamung von Trends messen

5.2.3.1 Rate of Change (ROC)

5.3 Trendstärke-Indikator – wie stark ist der Trend wirklich?

5.3.1 DMI – ADX – den Trend messen

5.3.2 Rapid Adaptive Variance (RAVI)

6. Der erste Trade – aller Anfang ist schwer

7. Abschließende Anmerkung

8. Literaturverzeichnis

Vorwort

Ursprünglich schrieb ich diese Seiten für mich selbst. Ich wollte die Erkenntnisse, die ich während des Schreibens meines Buches »Chaos an den Finanzmärkten? Finanzmarkttheorien auf dem Prüfstand« gewonnen hatte, dokumentieren. In diesem Buch hatte ich nachgewiesen, dass die technische Analyse kein Hokuspokus ist, sondern eine ernsthafte, häufig unterschätzte und manchmal sogar verspottete Finanzmarktanalyse, deren wissenschaftliche Grundlage die Chaostheorie ist.

Bei meinem Bemühen, meine Erkenntnisse zu sammeln, merkte ich schnell, dass die Aneinanderreihung aller Aspekte der technischen Analyse sehr ermüdend ist – und gleichzeitig gewinnbringend für Anleger. So wurde aus meinen persönlichen Notizen dieses Buch, das einen ganz besonderen Ansatz verfolgt. Dieser fiel mir mit dem Titel geradezu auf die Füße. Ich lade Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein, mit mir die Chartschule zu besuchen: Den Kurs »Technische Analyse« der örtlichen Volkshochschule von Herrn Hinrichs. Sehen Sie der Klasse von Herrn Hinrichs über die Schulter, während diese alles Wissenswerte über die technische Analyse erlernt. Damit hebt sich dieses Buch von üblichen Fachbüchern ab: Denn Sie können gemeinsam mit den Schülern Fragen und Gedankengänge durchspielen, die auch einmal abseits üblicher Wege führen können. Über manche Fragen werden sie vielleicht schmunzeln, bei anderen denken: »Mensch, das wollte ich auch schon immer fragen!« Die Unterrichtsstunden sind mit zahlreichen Beispielen und übersichtlichen Darstellungen versehen.

Kurz gesagt, soll das vorliegende Buch Ihnen einen umfassenden und grundlegenden Zugang zum Wissensgebiet der technischen Analyse geben und Sie dazu ermuntern, diese selbst auszuprobieren. Ich hoffe auch, dass Ihnen die besondere Form dieses Buches den Zugang erleichtert und Spaß beim Lesen und Lernen vermittelt.

 

Für die freundliche Unterstützung bei dieser Arbeit möchte ich Diplom-Ingenieur Hans-Jürgen Götte danken.

In diesem Buch wurden teilweise Bezeichnungen verwendet, die eingetragene Warenzeichen sind; diese unterliegen als solche den gesetzlichen Bestimmungen. Sämtliche Daten, Formeln und Ausführungen in dem vorliegenden Buch wurden mit größter Sorgfalt recherchiert und zusammengestellt. Dennoch können weder Verlag noch Autor sich für deren Richtigkeit verbürgen; jegliche Haftung seitens Verlag oder Autor für die Richtigkeit der in diesem Buch gemachten Angaben ist daher ausgeschlossen.

 

 

 

 

1. Einleitung

Dieses Buch besteht aus Erzählteilen und einer jeweils zugehörigen Einleitung. In den Erzählungen wird die technische Aktienanalyse erläutert und praktisch umgesetzt. Die Erzählungen ermöglichen es, die technische Analyse in lebendiger und lebensnaher Weise zu erklären und Fragen und Gedankengänge durchzuspielen, die sich Anleger stellen, die mit dieser Methode in Kontakt kommen – die in einem herkömmlichen Sachbuch jedoch nicht aufgegriffen werden.

Versetzen Sie sich also an den Ort des Geschehens: In den Kurs »Technische Analyse« der Volkshochschule Bodenstein (VHS). Werden Sie Teil der Klasse von Herrn Hinrichs und lassen Sie sich die technische Analyse Schritt für Schritt näherbringen, von den Grundlagen bis hin zum ersten Trade. Sie werden dabei feststellen, dass alles miteinander verknüpft ist. Deswegen empfehle ich Ihnen, jedes Kapitel zunächst einmal zu lesen. Anschließend können Sie das Inhaltsverzeichnis und das Stichwortverzeichnis nutzen, um ganz gezielt bestimmte Begriffe noch einmal nachzuschlagen.

1.1 Einführung in die Erzählung

Ort des Geschehens

Der VHS-Kursraum im Wirtschaftsgymnasium Bodenstein. Die Schule ist ein typischer Zweckbau der 1970er-Jahre. Allerdings ist die technische Ausstattung top, weil die Schule durch einen Förderverein unterstützt wird. So ist jeder Kursraum mit Computern und Whiteboards ausgestattet. Und jedes Klassenzimmer verfügt über einen Internetzugang, den Lehrer und Schüler nutzen können. Bei Bedarf erhalten die Schüler von der Schule einen Laptop oder ein iPad, damit sie im Internet forschen und dem Unterricht folgen können.

Hauptpersonen

Kursleiter Herr Hinrichs ist 60 Jahre alt und unterrichtet Wirtschaft am Wirtschaftsgymnasium Bodenstein. Daneben bietet er verschiedene Kurse an der VHS an, in diesem Jahr den Kurs »Technische Analyse«. Herr Hinrichs ist ein Lehrer von altem Schrot und Korn, sofort erkennbar an seiner Kleidung: Stets trägt er Sportsakko und Krawatte. Von einer lässigen Aufmachung hält er nichts.

Die folgenden Schüler nehmen an Herrn Hinrichs Kurs teil.

Rolf:

Er ist stets braungebrannt und immer gut gelaunt. Weiterhin ist er immer für einen Scherz zu haben. Er möchte wissen, ob die technische Analyse ihm helfen kann, bessere Entscheidungen an den Finanzmärkten zu treffen

Petra:

Eine kräftige, rotbackige Frau mit wallenden roten Haaren und einem Faible für schräge Pullover. Ihr Spitzname ist Hermine, weil sie genauso ein Bücherwurm ist wie die Freundin von Harry Potter, Hermine Granger. Sie möchte einfach nur wissen, ob die technische Analyse Humbug ist oder nicht.

Peter:

Er trägt gerne verknitterte Khakihosen und einen Pullover mit Rundhalsausschnitt. Er möchte etwas erreichen und lässt sich auch durch Niederlagen nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Sein Traum ist es, in einer großen Bank zu arbeiten. Dazu möchte er sich schon vorab Wissen über Finanzthemen aneignen.

Sabine:

Sie hat eine Rubensfigur und eine rotblonde Mähne. Sie interessiert sich sehr für das Trading.

Britta:

Die kleine, etwas nachlässig gekleidete Frau mit schwarzen Haaren und klugen braunen Augen ist eine menschliche Datenbank. Sie weiß stets alles über die Stars und Sternchen des Showbiz. Sie erhofft sich durch die technische Analyse etwas Geld nebenbei an den Börsen verdienen zu können.

Hans-Jürgen:

Der schlaksige Blonde mit dem fein geschnittenen Gesicht und den gletscherblauen Augen ist ein Computerfreak. Er interessiert sich allerdings auch fürs Trading, weil er hofft, hierdurch so viel Geld zusammen zu bekommen, dass er sich einen neuen Laptop kaufen kann. Für ihn ist die technische Analyse also nur Mittel zum Zweck.

Sie, der Leser:

Sie haben Interesse an der Materie der technischen Analyse. Sie möchten unbedingt Fachwissen erwerben. Deswegen sind Sie auch sehr ernsthaft bei der Sache.

 

 

2. Der Kurs – das notwendige Hintergrundwissen

Chartanalyse ist die Beobachtung des Kursverhaltens von Wertpapieren, um daraus die künftige Kursbewegung ableiten zu können. Deswegen blickt ein Charttechniker einzig und alleine auf den nackten Kursverlauf. Ihn interessiert ausschließlich, dass ein Kurs steigt oder fällt – und eben nie, warum. Der Kurs ist der Schlüssel zum Verständnis der technischen Analyse. Vom ihm leiten sich die Grundannahmen der technischen Analyse ab. Diese sind:

Die Marktbewegung diskontiert alles.

Kurse bewegen sich in Trends.

Die Geschichte wiederholt sich.

Solange Sie die volle Bedeutung dieser drei Annahmen nicht verstanden und akzeptiert haben, brauchen Sie sich noch nicht weiterführend mit der technischen Analyse beschäftigen. Diese Annahmen sind nämlich das Fundament, auf dem die technische Aktienanalyse aufgebaut ist. Um sie zu verstehen, ist ein umfassendes Wissen über den Kurs notwendig. Fragen Sie sie doch einmal selbst: Was ist der Kurs? Wie entsteht ein Kurs? Wissen Sie es?

Wir werfen einen Blick auf die vier Musketiere: Eröffnungs-, Höchst-, Tiefst- und Schlusskurs. Diese geben dem Trader einen Einblick in die Gemütslage des Finanzmarktes. Ganz nebenbei lernen Sie etwas Magisches kennen – die Pivotpunkte.

Um den Kurs in einer für das Auge ansprechenderen Form zu präsentieren, wurden die Charts erfunden. Das asiatische Sprichwort »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte« bewahrheitet sich auch hier: Das Auge kann durch Bilder schneller Zusammenhänge erkennen als durch reine Zahleninformationen. Allerdings gilt: Chart ist nicht gleich Chart, Kurse können auf unterschiedliche Arten grafisch dargestellt werden. Die verschiedenen Konstruktionsprinzipien von Charts führen dazu, dass sich auch ihr Aussagegehalt unterscheidet. Die am häufigsten verwendeten Chartdarstellungen sind: Linien-, OHLC (Balken)- und Kerzencharts.

2.1 Wie entsteht ein Kurs?

Herr Hinrichs betrachtet das Klassenzimmer. Alle Schüler sitzen auf ihren Plätzen. Es herrscht eine gespannte Ruhe in der Klasse. »Beginnen wir also«, denkt Herr Hinrichs bei sich. »Viele Trader beobachten den ganzen Tag die Kurse. Den ganzen Tag laufen die Kurse über den Computer oder über Videotext. Ständig werden sie mit dem Kauf- oder Verkaufskurs abgeglichen, und die Trader hoffen, dass am Ende des Tages ein Gewinn übrigbleibt. Wie entsteht nun aber ein Kurs?«

Spontan ruft Rolf in die Klasse: »Die Kurse werden aus einem Topf gezogen, ähnlich wie die Lotto-Zahlen.« In der Klasse erhebt sich Gelächter. Selbst Herr Hinrichs muss lachen. »Gehen wir es mal anders an: Wie, glaubt ihr, würde die fiktive Götte AG eröffnen? Sie gibt vor Handelsbeginn bekannt, dass ihr Umsatz um 10 Prozent und ihr Gewinn sogar um 20 Prozent gestiegen ist.«

Nach einer kurzen Stille fangen alle gleichzeitig zu reden und zu debattieren an. Als erster ergreift Peter das Wort: »Natürlich wird der Kurs der Götte AG steigen, bei solch guten Zahlen!« Die anderen Schüler nicken.

»Ob das tatsächlich so ist, sehen wir uns nun an«, sagt Herr Hinrichs. »Stellt euch vor, ihr seid die Börse, und es ist jetzt kurz vor 9:00 Uhr, also kurz vor Handelsbeginn. Eure Aufgabe ist es, für die Aktie der Götte AG den Eröffnungskurs zu bilden. Da ihr die Börse seid, werden die Leute direkt bei euch anrufen, um die Aktie zu kaufen. Damit wir die Anrufer und ihre Orders nicht vergessen, schreiben wir die Order in das sog. Orderbuch. Im Orderbuch werden alle Kauf- und Verkaufsaufträge gegenübergestellt.« Mit ein paar Strichen zeichnet Herr Hinrichs auf die Tafel eine große Tabelle mit drei Spalten. Über die erste Spalte schreibt er »Kurs«, über die zweite »Kauf« und über die dritte »Verkauf«. Außerdem trägt Herr Hinrichs den fiktiven gestrigen Schlusskuss der Götte AG mit 100 Euro ein und schreibt diese Zahl mittig in die erste Spalte.

Tab. 1: Orderbuch für die Götte AG – Teil 1

Kurs in €

Kauf

Verkauf

100

»Bei euch treffen jetzt die ersten Orders ein«, sagt Herr Hinrichs.

08:57 Uhr: Order zum Kauf »50 Stück mit Limit1 110 Euro«

Informationen zum Käufer: Hat die tolle Pressemitteilung gelesen und denkt, die Aktie wird nun steigen. Er rechnet schon zu Börseneröffnung mit steigenden Kursen. Er möchte aber auch nicht unendlich viel für die Aktie bezahlen, darum limitiert er den Auftrag bei 110 Euro.

Herr Hinrichs trägt diese Order in die Spalte Kauf ein, weil es sich um eine Kauforder handelt. Der limitierte Kurs von 110 Euro wird in der Spalte Kurs eingetragen. Zudem bekommt die Order den Zusatz Limit.

Tab. 2: Orderbuch für die Götte AG – Teil 2

Kurs in €

Kauf

Verkauf

90

600 Limit

95

500 Limit

100

400 Market

800 Market

110

50 Limit

200 Limit

120

1.000 Limit

Weitere Kauforders treffen ein:

8:58 Uhr: Order zum Kauf »400 Stück Market2«

Der Käufer hat von einem Arbeitskollegen einen Tipp erhalten. Er will die Aktie kaufen, egal zu welchem Preis, und platziert eine Market-Order für den Kauf von 400 Aktien. Sein Kollege hat ihm mindestens 80 bis 100 Prozent Gewinn in kurzer Zeit in Aussicht gestellt.

8:59 Uhr: Order zum Kauf »600 Stück mit Limit 90 Euro«

Der Käufer ist ein großer Fonds, der einen Teil seines Vermögens langfristig in die Götte-Aktie investieren möchte. Nach und nach werden einzelne Kaufaufträge aufgegeben. Der erste Kaufauftrag geht über 600 Aktien zu maximal 90 EUR an die Börse.

»Natürlich treffen an der Börse nicht nur Kaufaufträge ein, sondern auch Verkaufsaufträge«, erklärt Herr Hinrichs. »Und wie die Käufer haben die Verkäufer unterschiedlichste Beweggründe.«

08:56 Uhr: Order zum Verkauf »800 Stück Market«

Der Verkäufer hat vor einigen Tagen 800 Götte-Aktien für 80 Euro gekauft. Er möchte nun seine Gewinne einstreichen und verkauft seine Aktien »bestens«, also per Market-Order.

Diese Order trägt Herr Hinrichs in die Spalte Verkauf ein, da es sich um eine Verkaufsorder handelt. Da kein Kurslimit benannt wurde, wird die Order zum gestrigen Schlusskurs von 100 Euro eingetragen. Die Order erhält den Zusatz Market für Market-Order. Weitere Verkaufsorders treffen ein:

08:57 Uhr: Order zum Verkauf »200 Stück mit Limit 110 Euro«

Der Verkäufer hat gestern 200 Götte-Aktien für je 100 Euro gekauft. Er möchte seine Aktien wieder verkaufen, strebt als Kursziel jedoch mindestens 110 Euro an. Er denkt sich, dass die Pressemitteilung nur kurzfristig zu einem Kursanstieg führen wird. Diesen möchte er ausnutzen, um schnell Gewinne zu realisieren.

08:58 Uhr: Order zum Verkauf »500 Stück mit Limit 95 Euro«

Der Verkäufer verkauft seine Götte-Aktien, weil er Geld braucht. Deswegen setzt er ein Limit zum Verkauf, das tiefer ist als der gestrige Schlusskurs von 100 Euro, um sicher zu gehen, dass er seine Aktien auch loswird.

08:59 Uhr: Order zum Verkauf »1.000 Stück mit Limit 120 Euro«

Der Verkäufer hat schon vor längerer Zeit 1.000 Götte-Aktien gekauft und will in die Ferien fahren. Wegen der guten Nachrichten sollte die Aktie weiter steigen, davon geht er aus. Da er während seiner Ferien nicht auf die Aktie achten kann, limitiert er diese zum Verkauf auf 120 Euro. Schließlich haben Gewinnmitnahmen noch keinem geschadet!

»Diese Orders sollten erstmal genügen. Wie ermitteln wir aus diesen Angaben den Eröffnungskurs für die Götte AG?«, fragt Herr Hinrichs. Die Klasse schaut etwas ratlos drein. Peter schlägt vor: »Wir könnten die Mittelwerte der Kauf- und Verkaufsseite berechnen.«

»Guter Hinweis. Es wird oft angenommen, dass Mittelwerte berechnet werden, um Kurse zu ermitteln. Das ist jedoch falsch. Die Aufgabe der Börse ist es jedoch, das Angebot (Verkaufsorders) mit der Nachfrage (Kauforders) in Einklang zu bringen. Dazu stellt sich die Börse die Frage: Wie viele Götte-Aktien stehen auf der Nachfrageseite und auf der Angebotsseite zum jeweiligen Kurs zur Verfügung? Um dies zu beantworten, arbeitet die Börse jetzt jeden im Orderbuch dargestellten Kurs ab.«

Britta erkennt: »Mal angenommen, der Kurs steht bei 90 Euro. Das ist der tiefste Kurs, den wir im Orderbuch notiert haben. Dann hätten wir die 600 Stück, die dort mit einem Kauflimit stehen. Und auf der Angebotsseite …?« Sonja wirft ein: »Moment, die anderen Orders auf der Käuferseite müssen doch auch bei einem Kurs von 90 Euro berücksichtigt werden. So liegt ein Kauflimit bei 110 Euro (Stück 50) vor. Der potenzielle Käufer würde sich ja wohl kaum beschweren, wenn er die Aktie zu 90 Euro anstatt zu 110 Euro bekommt. Außerdem haben wir noch eine Market-Order (Stück 500) zum gestrigen Schlusskurs von 100 Euro vorliegen. Da dem Käufer der Preis egal ist, würde er auch einen Preis von 90 Euro akzeptieren. Folglich werden bei einem Kurs von 90 Euro 1.050 Aktien nachgefragt.«

Herr Hinrichs notiert die errechnete Zahl in einer neuen Spalte, die er »Umsatz« nennt, und fragt: »Okay, weiter. Wie viele Aktien würden beim nächsten Kurs, also 95 Euro, nachgefragt?«

Tab. 3: Kurszettel für die Götte AG – Teil 3

Kurs in €

Kauf

Verkauf

Umsatz*

Käufe

(Nachfrage)

Verkäufe (Angebot)

90

600 Limit

1.050

800

95

500 Limit

450

1.300

100

400 Market

800 Market

450

1.300

110

50 Limit

200 Limit

450

1.500

120

1.000 Limit

400

2.500

* »Käufe« steht für die Aktienanzahl, die zu dem jeweiligen Kurs gekauft werden wollen, und »Verkäufe« steht für die Stückzahl, die verkauft werden sollen.

Bevor Hans-Jürgen antwortet, macht er sich Notizen auf einem Zettel. »Beim nächsten Kurs von 95 Euro dürfte die Kauflimit-Order von 90 Euro nicht mehr greifen, weil der Kurs von 95 Euro das Kauflimit von 90 Euro überscheitet. Aber die anderen beiden Orders (400 Stück zu 100 Euro und 50 Stück zu 110 Euro) dürften noch gültig sein. So würden bei 95 Euro noch 450 Aktien nachgefragt. Beim nächsten Kurs im Orderbuch von 100 Euro ändert sich nichts, weil die Order mit Limit 90 Euro nach wie vor rausfiele und die anderen Orders noch ausgeführt würden. Ebenfalls würde bei einem Kurs von 110 Euro die Limit-Order mit 90 Euro rausfallen und die anderen Orders bestehen bleiben, d. h. es würden immer noch 450 Aktien nachgefragt. Ganz anders sieht die Sachlage bei einem Kurs von 120 Euro aus. Dann fällt neben der Limit-Order von 90 Euro ebenfalls die Limit-Order von 110 Euro raus. Somit steht nur noch die Market-Order mit 400 Aktien zur Verfügung.«

Herr Hinrichs nickt. »Jetzt wenden wir uns der Verkaufsseite zu. Fangen wir wieder oben, bei 90 Euro, an. Wie viele Aktien stehen uns bei einem Kurs von 90 Euro zur Verfügung? Petra, was meinst du?«

Petra zieht ihren Taschenrechner aus der Tasche und führt einige Berechnungen durch. Dann sagt sie: »Dort steht uns nur die Market-Order von 800 Aktien zur Verfügung. Die anderen Limit-Orders (z. B. bei 95 Euro) kommen nicht zum Zug, da die Verkäufer mehr für ihre Aktien haben möchten als die 90 Euro. «

Herr Hinrichs: »Petra, das ist richtig. Britta, wie viel Stück stehen bei 95 Euro zum Verkauf bereit?« Britta überlegt kurz: »Jetzt kommen sowohl die Markt-Order mit 800 Stück sowie die Limit-Order bei 95 Euro mit 500 Stück zum Zug, d. h. insgesamt stehen 1.300 Aktien zum Verkauf zur Verfügung.« Rolf ruft in die Klasse: »Beim Kurs von 100 Euro ändert sich nichts, d. h. wir haben immer noch 1.300 Stück zur Verfügung. Erst bei einem Kurs von 110 Euro wird die dortige Limit-Order von 200 Stück ausgeführt. Dann stehen 1.500 Aktien zum Verkauf. Beim nächsten Kurs von 120 Euro können schließlich alle Verkaufsorders ausgeführt werden, d. h. es stehen 2.500 Aktien zum Verkauf bereit.«

Herr Hinrichs fragt: »Und nun? Wie können wir aus den Daten den Eröffnungskurs ermitteln? Was ist unser nächster Schritt?« Britta schlägt vor: »Man muss auf beiden Seiten schauen, was an Stückzahlen zur Verfügung steht, und einfach den möglichen Umsatz errechnen. Bei einem Kurs von 90 Euro haben wir 1.050 Aktien, die gekauft werden wollen, und auf der anderen Seite nur 800, die verkauft werden möchten. Dies bedeutet, dass bei einem Kurs von 90 Euro 800 Aktien umgesetzt werden können, weil den 1.050 Aktien zum Kauf nur 800 zum Verkauf gegenüberstehen.« »Britta, deine Idee ist goldrichtig«, lobt Herr Hinrichs. »Darum tragen wir die 800 Aktien in die neue Spalte ›möglicher Umsatz‹ ein. Also, weiter geht’s. Wie viele Aktien können bei einem Kurs von 95 Euro gehandelt werden?«

Tab. 4: Orderbuch für die Götte AG – Teil 4

Kurs in €

Kauf

Verkauf

Umsätze*

mögliche Umsätze

Käufe

Verkäufe

90

600 Limit

1.050

800

800

95

500 Limit

450

1.300

450

100

400 Market

800 Market

450

1.300

450

110

50 Limit

200 Limit

450

1.500

450

120

1.000 Limit

400

2.500

400

* »Käufe« steht für die Aktienanzahl, die zu dem jeweiligen Kurs gekauft werden wollen, und »Verkäufe« steht für die Stückzahl, die verkauft werden soll.

Peter schaut auf das Orderbuch und sagt: »Beim Kurs von 95 Euro sind 450 Aktien auf der Käuferseite und 1.300 Aktien auf der Verkäuferseite. Folglich können nur 450 Aktien effektiv umgesetzt werden, weil nicht mehr Aktien verkauft als gekauft werden wollen. Deswegen kommt man bei 100 Euro und 110 Euro zu demselben Ergebnis, nämlich dass effektiv nur 450 Aktien umgesetzt werden können. Da bei einem Kurs von 120 Euro die Anzahl der zukaufenden Aktien noch kleiner wird, können bei diesem Kurs nur noch 400 Aktien den Besitzer wechseln, obwohl die Anzahl der zu verkaufenden Aktien auf 2.500 Aktien angestiegen ist. Das nützt nichts, weil nur 400 Aktien zu diesem Kurs gekauft werden wollen. Insofern können nur 400 Aktien getauscht werden, die restlichen 2.100 Stück müssen auf ihren Verkauf weiterhin warten.«

»Was könnte der letzte Schritt zur Bestimmung des Eröffnungskurses sein?«, fragt Herr Hinrichs. Die Klasse sieht ratlos auf das Orderbuch. Herr Hinrichs gibt einen Tipp: »Denkt darüber nach, was ist die Aufgabe der Börse?« Britta meldet sich zu Wort: »Die Aufgabe der Börse besteht darin, auf Basis von Angebot und Nachfrage den Kurs festzustellen, zu dem der höchstmögliche Umsatz erzielt werden kann.« Bevor Britta weiter erklären kann, ergreift Peter das Wort. »Nicht ganz so schnell. Was genau meinst du mit Angebot und Nachfrage? Bisher haben wir immer von Kauf und Verkauf gesprochen.«

Mit dieser Frage handelt sich Peter ein verblüfftes, verständnisloses Schweigen ein, bis Britta wieder das Wort ergreift. » Ganz einfach ausgedrückt heißt das, dass all die Aktien, die die Leute verkaufen möchten, das Angebot darstellen, während diejenigen, die die Aktie kaufen möchten, die Nachfrage ausmachen. Der Kurs, zu dem der höchstmögliche Umsatz erzielt werden kann, ist 90 Euro. Dies ist der Eröffnungskurs der Götte AG, weil die Börse zu diesem Kurs das Angebot und die Nachfrage bestmöglichst ausgeglichen hat.«

Herr Hinrichs nickt. Als er gerade sprechen will, unterbricht Hans-Jürgen: »Und was passiert jetzt, wo der erste Kurs gestellt worden ist?« Petra antwortet als erste: »Das ist doch logisch! Der Fakt, dass der Kurs gefallen ist, lässt neue Orders entstehen, da die Marktteilnehmer die Aktie der Götte AG jetzt neu bewerten. Die, die die Aktie haben, und die, die keine Aktien haben, werden durch den neuen Kurs zu möglichen Aktionen animiert. Die alten Aktienorders, die ausgeführt wurden, fallen raus, und neue Orders kommen und ergänzen die alten Orders, die noch offen sind.« »Richtig!«, sagt Herr Hinrichs. »Und was passiert dann?«

Peter räuspert sich. »Wir versuchen erneut, Angebot und Nachfrage bestmöglichst auszugleichen, d. h. ein neuer Kurs muss gebildet werden. Und der ruft wieder neue Nachfrage und Angebote auf den Plan. Es entsteht wieder ein neuer Kurs – und so geht es immer weiter. «

2.2 Warum ändert sich ein Kurs? Die erste Annahme der technischen Analyse

»Wie bereits erwähnt, kommt an der Börse Angebot und Nachfrage zusammen. Die Börse bringt diese beiden Parteien unter einen Hut, indem durch den bestmöglichen Ausgleich von Angebot und Nachfrage ein Kurs entsteht. Während des Handelstags ändert sich ständig das Angebot und die Nachfrage. Deswegen muss ständig ein bestmöglicher Ausgleich von Angebot und Nachfrage durchgeführt werden. Dies sorgt für laufend neue Kurse. Diese Kurse werden in der Time & Sales-Liste (kurz T/S-Liste) zusammengefasst. Somit enthält die Time & Sales-Liste die neuen Kurse, inklusive des Umsatzes und der Zeit. Jede einzelne Kursveränderung bezeichnet man als Tick.«

Tab. 5: Auszug aus der Time & Sales-Liste der Götte AG

Kurs

Umsatz

Zeit

Datum

90,15

1.000

14:23:15

15.06.2015

90,18

3.000

14:23:16

15.06.2015

90,17

500

14:23:17

15.06.2015

90,27

1.125

14:23:18

15.06.2015

»Wow, jede Sekunde ein neuer Umsatz und ein neuer Kurs. Wahnsinn!«, ruft Rolf. »Die Götte-Aktie kann man zu jedem Zeitpunkt kaufen und verkaufen, weil es alle paar Sekunden einen neuen Kurs gibt. Die Aktie ist also liquide«, führt Herr Hinrichs weiter aus. »Ich habe da eine Frage«, wirft Petra in den Raum. »Was genau ist ein Tick?« Sabine verdreht die Augen und sagt: »Das ist doch sonnenklar! Jeder in der Time & Sales-Liste aufgeführte Kurs ist ein Tick – also z. B. der Kurs 90,15 Euro um 14:23:15 Uhr oder der Kurs 90,27 Euro um 14:23:18 Uhr.«

»Genau, Sabine. Aber wenn man sich die Time & Sales-Liste ansieht, drängt sich förmlich die Frage auf: Warum ändert sich der Kurs gerade in diesen Moment? Glaubt ihr, dass es ein geheimes Kursbuch gibt, wo festgelegt ist, dass auf Ereignis X der Kurs so oder so reagiert?« Auf der Tafel erscheint eine Abbildung:

 

Abb. 1: Gibt es ein geheimes Kursbuch an der Börse?

Quelle: Eigene Darstellung und Voigt 2013, S. 61

Britta ruft in die Klasse: »Ja! So ein geheimes Kursbuch gibt es. Jeden Abend vor der Tagesschau kommt die ›Börse im Ersten‹. Dort berichtet der Reporter live vom Frankfurter Börsenparkett und sagt z. B., dass der DAX heute mit leichtem Minus aus dem Handel gegangen sei, weil in den USA negative Zahlen zum Arbeitsmarkt veröffentlicht wurden. Oder dass der Tagesgewinner im DAX wegen guter Absatzzahlen in China Volkswagen sei.« Alle anderen rufen nun andere Ereignisse wild durcheinander, die die Kurse bewegen. So füllt sich die Tafel schnell.

Tab. 6: Ereignisse, die die Kurse in Bewegung versetzen

Ereignis

Kursveränderung

Anstieg des Dow-Jones um z. B. 100 Punkte

Anstieg des DAX

gute Pressemitteilungen

Kursanstieg

Analystenherabstufungen

Kurse fallen

Ausbruch von Krieg

Kurse fallen

gute Konjunkturdaten

Kursanstieg

Katastrophen

Kurse fallen

»Ihr seid mir alle auf den Leim gegangen«, sagt Herr Hinrichs lächelnd. »Es gibt kein geheimes Kursbuch. Das ist einer der größten Trugschlüsse, die man an der Börse machen kann: Einer Kursveränderung direkt eine Nachricht, einem Ereignis oder sonst irgendwas zuzuordnen. Das ist Irrsinn! Man wird niemals genau wissen, wieso ein Kurs gefallen oder gestiegen ist. Dafür ist das Spiel der Börse einfach zu komplex. Merkt euch also: Nicht Ereignisse machen die Kurse, sondern nur Angebot und Nachfrage. Wer von euch hätte schon gedacht, dass der Eröffnungskurs der Götte AG im Minus liegen würde, trotz der guten Unternehmenszahlen.«

Sabine merkt an: »Niemand – aber trotzdem stimmt das nicht! Denken Sie doch einmal an den 11. September 2001. Die Börsen sind doch ganz offensichtlich wegen der Terroranschläge in den USA abgerutscht.« Alle Augen richten sich auf Herrn Hinrichs. »Nehmen wir mal an, das wäre tatsächlich so: Wenn Krieg ist, fallen die Kurse … dann müsste man sich doch fragen: Wie lange darf eine Aktie im Kriegsfall fallen? Oder: Wie tief darf eine Aktie fallen, wenn die Quartalszahlen schlecht sind? Oder: Wieso steigt eine Aktie bei guten Quartalszahlen nicht, sondern fällt stattdessen? Darf die Aktie ein Jahr, einen Monat, eine Woche oder einen Tag fallen? Darf sie um 20, 10 oder 5 Euro fallen? Wo soll das bitte genau festgelegt sein? Nirgends. Merkt euch also: Es gibt an den Börsen keine Verhaltensregel, die besagt: Auf Ereignis ›A‹ reagieren die Kurse nach dem Muster ›Z‹. Mal bricht Krieg aus und die Kurse steigen, ein anderes Mal fallen sie.« Rolf guckt ziemlich ratlos umher. »Das verstehe ich nicht. Als potenzieller Käufer oder Verkäufer interpretiere ich doch jede Nachricht und handele danach und beeinflusse somit den Kurs.«

»Ist es nicht vielmehr so, dass wir aus den sinnlosen Zustandsbeschreibungen des Marktes, die wir aus Funk und Fernsehen hören, nur die Gründe für unser Handeln heraushören, die wir hören wollen? Wir suchen also nach Bestätigung«, antwortet Herr Hinrichs. »Es gibt aber nicht nur eine Nachricht, die den Markt bewegt, sondern ein ganzes Füllhorn von Nachrichten, die jeder nach seinem Gutdünken auslegt. Man versucht, jede Marktbewegung anhand eines Ereignisses zu erklären – oft auch erst im Nachhinein.«

»Wenn ich das richtig verstanden habe, braucht man für das Trading nicht stundenlang Nachrichten zu konsumieren«, schlussfolgert Peter. »Wenn es aber nicht um Zahlen, Nachrichten und Ereignisse geht, um was dann?«

»Denkt daran, dass es nicht unser Ziel ist, langfristig zu investieren«, erklärt Herr Hinrichs. »Es geht also nur um die Frage, wann und wo Bewegung in den Markt kommt. Ihr verdient euer Geld durch die Bewegung, und nicht durch eine Nachricht.« »Moment«, ruft Britta in den Klassenraum, »warum sollen wir uns dann überhaupt Nachrichten anschauen und uns merken, wann welche wichtigen Termine sind, wie z. B. Zinsentscheidungen der Notenbank – wenn Sie nun sagen, dass Nachrichten unwichtig sind!«

»Überlegt doch: Wann kommt Bewegung in den Markt?«, antwortet Herr Hinrichs. Britta geht ein Licht auf: »Oh, es geht nicht um die Nachricht an sich, sondern nur darum, dass diese Nachricht um eine bestimmte Uhrzeit herauskommt. Denn es geht nur um die Bewegung, die vielleicht entstehen könnte. So könnten viele Trader z. B. auf eine Nachricht über eine Zinsentscheidung der Notenbank um 14:30 Uhr warten, um anschließend zu handeln. Ich muss also wissen, wann Bewegung in den Markt kommen könnte, wann und wo die anderen Marktteilnehmer zu reagieren gezwungen sind. Denn dann kommt Bewegung – also Angebot oder Nachfrage – in den Markt. Man muss sich also die Frage stellen, an welcher Stelle im Tagesverlauf Angebot oder Nachfrage in den Markt kommen. Die Gründe dafür sind egal. Sie spielen keine Rolle! Ich muss aber wissen, ob Nachfrage oder Angebot überwiegen werden, um die Richtung für die Bewegung abschätzen zu können.«

»Seht ihr, wie wichtig es war, sich zunächst einmal grundsätzlich klarzumachen, wie Aktienkurse tatsächlich gebildet werden?«, fragt Herr Hinrichs. »Denn so erkennt man, dass die unterschiedlichsten Interessen aufeinanderprallen. Für jeden Trade benötigt man einen Käufer und einen Verkäufer mit unterschiedlichen Beweggründen und Meinungen über die Börsenentwicklung. Ein Börsensprichwort heißt: ›Der Wert (Aktie, Future), den Sie heute kaufen, voller Gewissheit, das Richtige zutun und von dem Trade profitieren zu können, wird Ihnen von jemandem verkauft,der sich seiner Sache genauso sicher ist wie Sie und fest daran glaubt, von dem Verkaufzu profitieren.‹ Darum ist es völlig unmöglich, festzustellen, wie ein Kurs genau zustande kommt. Denn dazu müsste man alle Teilnehmer nach ihren Beweggründen befragen. Und die Teilnehmer sind so unterschiedlich: Ein großer Fonds, der Anteile kauft oder verkauft, Herr Schneider, der dringend Geld für eine Reparatur seines Autos benötigt und deshalb seine Aktien verkauft, oder der Leser eines Börsenbriefs, der dem Tipp des Autors folgt.«

Erstaunt stellt Petra fest: »Das bedeutet ja, dass alles, was möglicherweise den Kurs beeinflussen kann – fundamental, politisch, psychologisch oder sonst wie –, durch den aktuellen Marktpreis widergespiegelt wird.«

Herr Hinrichs nickt anerkennend. »Man sagt auch: ›Die Marktbewegung diskontiert alles.‹ Diese Erkenntnis ist ein Grundpfeiler der technischen Analyse. Halten wir das an der Tafel fest.«

Erste Annahme der technischen Analyse

Dreh- und Angelpunkt der technischen Analyse ist die Annahme, dass im aktuellen Kurs eines Wertpapiers sämtliche verfügbaren Informationen enthalten sind. Diese Annahme mündet in den Satz: »Der Markt hat immer recht.« Sie schließt fundamentale, politische und psychologische Einflüsse ein. Deshalb kümmert sich ein Charttechniker nicht um die Gründe, aus denen ein Kurs steigen oder fallen könnte. Warum sollte er auch, wenn sämtliche Informationen schon im Kurs enthalten sind. Er widmet sich vielmehr nur dem Studium des Kurses.

Abb. 2: Die erste Annahme der technischen Analyse

2.3 Die Ballkönigin bittet zum Tanz: Wie Kurse sich bewegen

Herr Hinrichs erklärt das Bild, das nun an die Tafel geworfen wird: »Es gibt grundsätzlich drei Arten von Händlern in einem Markt. Solche, die Long – also auf steigende Kurse – setzen, solche, die Short ausgerichtet sind, d. h. sie spekulieren auf fallende Kurse, sowie solche, die Flat sind, also an der Seitenlinie auf ihren Einstieg warten. Wir spielen das mal durch. Petra, du spielst den Händler Long – einen Fonds, Rolf, du den Händler Short, und Sabine, du den Händler Falt. Die anderen spielen die Tradinganfänger, die später ins Spiel eingreifen. Deswegen sind zunächst nur die drei Händler – Long, Short und Falt – verantwortlich dafür, dass ein Kurs entsteht, weil ihr für das Angebot und die Nachfrage sorgt. Wiederum betrachten wir die Götte-Aktie.«

Abb. 3: Die drei Arten von Händlern

Hans-Jürgen erkennt seine Chance und ruft in die Klasse: »Man sieht, dass nicht Nachrichten oder externe Ereignisse den Kurs machen, sondern die drei Händler, durch ihre Orders. Diese Orders gehen ins Orderbuch der Börse und machen den Kurs.« »Richtig!«, bestätigt Herr Hinrichs und setzt von Neuem an. »In dem Moment, in dem die Nachfrage das Angebot übersteigt, also mehr Käufer als Verkäufer vorhanden sind, steigt der Kurs.« Sofort meldet sich Petra zu Wort: »Ich bin ein Investmentfonds und kaufe die Götte-Aktie im großen Stil, sodass der Kurs unwillkürlich steigt.« Petra geht an die Tafel und zeichnet Folgendes.

Abb. 4: Kurs steigt, weil LONG (Petra) in großem Umfang kauft

»Was würde jetzt passieren?«, fragt Herr Hinrichs. Mit einer weit ausholenden Geste sagt Britta. »Wir alle werden auf die Götte-Aktie aufmerksam. Denn in der Presse – online und offline – wird von dem Kursanstieg berichtet.« Peter meldet sich: »Erst durch diese Berichterstattung werde ich auf die Aktie aufmerksam. Ich bin ein Tradinganfänger und zudem noch nicht positioniert. Allerdings erweckt dieser Anstieg mein Interesse, und ich kaufe die Götte-Aktie ebenfalls.«

»Was ist mit denen, die schon länger dabei sind, die die erste Bewegung also schon mitgemacht haben?«, fragt Herr Hinrichs. Ohne lange zu überlegen, antwortet Rolf: »Die sind natürlich mehr oder weniger im Plus. Einige von ihnen entscheiden sich, dass ihnen der Gewinn reicht, und sie verkaufen die Götte-Aktie wieder.«

»Wir haben folgende Situation: Wir haben Anfänger, die kaufen möchten, und auf der anderen Seite etliche, die verkaufen möchten, weil sie schon im Gewinn sind. Dies hat zur Folge, dass mehr Angebot als Nachfrage vorherrscht, d. h. der Kurs fällt. Genau durch diesen Wechsel entsteht ein Hochpunkt«, erläutert Herr Hinrichs. Dann zeichnet er ein neues Bild an die Tafel:

Abb. 5: Es entsteht ein Hochpunkt mit der Nummer 2

Britta ruft dem an der Tafel stehenden Herrn Hinrichs zu. »Da die Nachfrage geringer als das Angebot ist, führt dies dazu, dass der Kurs der Götte AG sinkt. Der Markt kippt also um und wird nach unten gehandelt.«

Entsetzt stellt Peter fest: »Als Tradinganfänger habe ich nahe des Hochpunkts gekauft. Ich sitze also auf Verlusten. Wie alle anderen auch, sage ich mir: Dumm gelaufen! Der Markt ist gegen mich gelaufen. Ich nehme das vorhandene Minus nicht mehr hin und biete meine Aktien wieder zum Verkauf an.«

Spontan ergreift Sabine das Wort. »Meine Gruppe, die ›Flat‹, betritt jetzt endlich das Spielfeld. Den Kursrutsch machen wir uns zu eigen und kaufen zu einem günstigen Kurs die Götte-Aktie.« Petra ergänzt: »Auch aus meiner Gruppe nutzen einige Trader den günstigen Kurs aus, und kaufen die Aktie nach.«

Als Spielführer nimmt Herr Hinrichs wieder die Zügel in die Hand. »An der Stelle, an der mehr Trader wieder bereit sind zu kaufen als zu verkaufen, bildet sich ein Tiefpunkt. Sprich: Es kommt wieder zu einem Wechsel zwischen Angebot und Nachfrage, jetzt hin zur Nachfrage.« Dabei zeichnet er folgendes Bild an die Tafel.

Abb. 6: Bildung eines Trends: Punkt (2) Hochpunkt und Punkt (3) Tiefpunkt

Herr Hinrichs wendet sich von der Tafel ab und erklärt seinen Schülern: »Es sind nun also wieder mehr Trader zu kaufen als zu verkaufen bereit. Das bedeutet, dass der Markt wieder deutlich anzieht und über das letzte Hoch hinausschießt.« Voller Stolz ruft Sabine: »Für diese Bewegung sorgen meine Leute aus der Flat-Gruppe, die bisher an der Seitenlinie standen und jetzt in die Götte-Aktie einsteigen.«

Herr Hinrichs blickte auf seine Unterlagen herab und fährt fort: »Ihr seht also, dass die Kurse sich in Trends bewegen. Es gibt drei Arten von Trends: Aufwärts-, Abwärts und Seitwärtstrends. Auf diese gehen wir später noch ausführlich ein. Für uns ist an dieser Stelle eigentlich nur wichtig, dass sich die Götte-Aktie in einem Aufwärtstrend befindet. Allgemein definiert man einen Aufwärtstrend so: Neue Hochs und steigende Tiefs. Die kurzen Abwärtsbewegungen lassen immer wieder eine Menge von Anlegern in den Handel eintreten, weil sie von weiter steigenden Kursen ausgehen. Es bildet sich ein stabiler Aufwärtstrend, weil neue, höhere Hochs und stetig ansteigende Tiefs zustande kommen. Außerdem kommt ein Gesetz der Physik zur Geltung: Eine Masse, die einmal in Bewegung ist, neigt eher dazu, diese Bewegung fortzusetzen als sie umzukehren. Stellt euch z. B. eine schwere Diesellok vor: Diese kann in voller Fahrt ihre Richtung nicht abrupt ändern. Überträgt man diese Erkenntnis auf die Finanzmärkte, bedeutet dies: Wenn einmal eine Bewegung bzw. ein Trend begonnen hat, ist die Wahrscheinlichkeit zur Fortsetzung um ein Vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit einer Umkehr.Und so setzt sich das ganze Spiel immer weiter fort ... bis es zum Trendbruch kommt. Wie sieht ein Trendbruch wohl aus?«

Britta grinst: » Ist doch klar! Es verkaufen immer mehr Trader innerhalb des intakten Trends ihre Götte-Aktien, um ihre Gewinne zu realisieren. Demgegenüber sind immer weniger Anleger bereit, zu diesen hohen Kursen einzusteigen. Das Angebot übersteigt die Nachfrage, der Markt fällt. Der Trendbruch erfolgt dann, wenn der Kurs der Götte-Aktie unter das vorhergehende Tief fällt.«

Petra meint: »Na und? Dann bildet sich eben wieder ein neuer Tiefpunkt aus und das Spiel beginnt von Neuem.« »Eben nicht, Petra«, sagt Herr Hinrichs. »Viele Trader, die den Trendhandel nach markttechnischer Definition bevorzugen, haben ihre Stopps3 unter Punkt (3) in Abb. 6 (s. S. 22), also dem Tiefstkurs, gesetzt und ziehen diesen dementsprechend nach. Fällt die Götte-Aktie unterhalb des letzten Tiefs, so werden die Stopp-Orders ausgelöst. Damit fällt der Markt noch weiter. Das Spiel beginnt tatsächlich von Neuem, aber in die andere Richtung.«

Abb. 7: Trendbruch: Die Punkte (2) sind Hochpunkte und die Punkte (3) sind Tiefstkurse eines Trends.

Herr Hinrichs schreibt etwas an die Tafel. »Das ist ein berühmtes Zitat des Traders Jesse Livermore:

›Ich denke, ich habe mit meinen Börsenerfahrungen einen großen Satz nach vorne gemacht, als ich endlich erkannte, dass Mr. Partridge mit seinen Worten: ›Sie wissen schon, wir befinden uns in einem Bullen-Markt!‹, die alle Brokerkunden stets von ihm zu hören bekamen, in Wirklichkeit sagen wollte, dass man nicht mit den einzelnen Kursschwankungen, sondern mit den großen Bewegungen des Marktes an der Börse das große Geld verdienen konnte – d.h. nicht, in dem man die Kurse, die aus dem Börsenticker kamen, las und interpretierte, sondern durch die Größenbestimmung des Gesamtmarktes und die Erfassung seiner Trends.‹ (Aachen 2000, S. 106-107)

Dies zeigt euch, wie wichtig die Erkenntnis ist, dass Kurse sich in Trends bewegen. Und es führt uns direkt zur zweiten Annahme der technischen Analyse«

Zweite Annahme der technischen Analyse

Die Kurse bewegen sich in Trends fort! Ein bekanntes Börsensprichwort lautet: »The trend is your friend.« Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Trendfortsetzung immer höher ist als die einer Trendumkehr. Die Annahme erinnert an Newtons erstes Gesetz der Bewegung. Es besagt – frei übersetzt: Ein Körper bleibt so lange in einer geraden Bewegung, bis er durch neue Kräfte zur Änderung derselben gezwungen wird. Deswegen führen nur außergewöhnliche Ereignisse zu einer Trendumkehr, die sich aber an besonderen Konstellationen des Kursverlaufes erkennen lassen. Technische Analytiker versuchen nun mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sich einstellende Trends frühzeitig zu identifizieren und in die entsprechende Richtung zu investieren. Man sagt dazu auch »traden«.

2.4 Kurse haben ein Gedächtnis – sie vergessen nichts!

»Vorhin haben wir gelernt, dass sich Kurse in Trends bewegen. Was glaubt ihr, warum machen die Kurse das?«, fragt Herr Hinrichs die Klasse. Rolf ruft: »Meine Mutter sagt immer: ›Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.‹ So kauft sie immer in denselben Läden ein und mein Vater bestellt in der Kneipe grundsätzlich sein Lieblingsbier und nie etwas anderes.« Britta wirft ein: »Rolf, das ist doch Blödsinn! Dieser Psycho-Kram hat doch nichts mit der Börse zu tun. Da zählen nur harte Fakten!« Rolf entgegnet: »Eben nicht. Menschen verändern ihre Verhaltensweisen nur selten und wenn, dann nur sehr langsam. Deshalb lassen sich in Charts ähnliche und immer wiederkehrende Verläufe (Trends) oder Muster erkennen.«

»Rolf, das hast du gut beobachtet«, bestätigt Herr Hinrichs. »Das Studium von Marktbewegungen hat viel mit dem Studium der menschlichen Psychologie zu tun. Kursmuster in den Charts reflektieren dabei bestimmte optimistische oder pessimistische Verhaltensweisen der Marktteilnehmer. So wurde beobachtet, dass sich die Akteure in gleichen bzw. sehr ähnlichen Situationen gleich verhalten, und zwar so, wie sie auf diese Situation schon einmal reagiert haben. Dadurch treten bestimmte Kursverläufe wiederholt auf. Anders ausgedrückt: Am Finanzmarkt kann sich die Geschichte wiederholen und ggf. gewinnbringend genutzt werden. «

Dritte Annahme der technischen Analyse

Geschichte wiederholt sich! Deswegen wurden in den letzten hundert Jahren viele Chartbilder identifiziert und kategorisiert. Diese Chartbilder sind ein Abbild der psychischen Verfassung der Marktteilnehmer, sie zeigen also das Ausmaß von Gier und Angst. Anschließend werden sie auf die aktuellen Charts projiziert, um eine Annahme für die Zukunft treffen zu können. Weil diese Muster in der Vergangenheit funktioniert haben, wird angenommen, dass sie auch in Zukunft wieder funktionieren werden, weil der Mensch sich in gleichen Situationen ähnlich verhält. Der Schlüssel zum Erfolg in der Zukunft liegt also im Studium der Vergangenheit!

2.5 Dasselbe und doch nicht gleich – Kurs ist nicht gleich Kurs

»Wir haben bis jetzt immer von dem Kurs gesprochen. Jetzt müssen wir ihn genauer spezifizieren.« Rolf fällt Herrn Hinrichs ins Wort: »Wir haben doch gelernt! Die Kursänderungen entstehen wegen des bestmöglichen Ausgleichs von Angebot und Nachfrage. Je nach den vorhandenen Orderzusätzen – Market, Limit oder Stopp – und den jeweiligen Volumina der Orders entsteht ein neuer Kurs, der die Angebots- und Nachfrageseite mit dem größten aktuell möglichen Umsatz ausgleicht. Was gibt es denn da noch mehr zu sagen? Können wir das nicht überspringen, um endlich zu den spannender klingenden Analysetechniken zu gelangen?«

Herr Hinrichs beschwichtigt: »Immer mit der Ruhe. Nur wer den Kurs zu deuten weiß, kann den Unterschied zwischen einem gewinnbringenden Trade und einer traurigen Überraschung erkennen. Dazu müssen wir unseren Horizont erweitern. Es gibt vier Kurse, die ein Anleger beachten sollte – vielmehr geht es um die Stimmung, die hinter den Kursen steht.« Während Herr Hinrichs dies sagt, schreibt er Folgendes an die Tafel:

Name des Kurses

Kurzbeschreibung

Eröffnungskurs (eng. Open)

Dies ist der allererste Trade zwischen einen Käufer und einem Verkäufer an einen Handelstag.

Höchstkurs (eng. High)

Es ist der höchste Kurs, zu dem ein Käufer und ein Verkäufer das Wertpapier getauscht haben.

Tiefstkurs (eng. Low)

Der Tiefstkurs ist der niedrigste Kurs, zu dem ein Käufer und ein Verkäufer das Wertpapier gehandelt haben.

Schlusskurs (eng. Close)

Dies ist buchstäblich der letzte Kurs vor dem Läuten der Schlussglocke, zum dem das Wertpapier gekauft bzw. verkauft wurde.

»Dieser Satz von Kursen wird oft auch als OHLC4 bezeichnet«, erklärt Herr Hinrichs das Tafelbild. »Wie würdet ihr die Stimmung beim Eröffnungskurs beschreiben?« Spontan sagt Britta: »Der Eröffnungskurs gibt den Ton an. Er spiegelt die Hoffnungen und Ängste der Trader für den neuen Handelstag wider.« »Exakt!«, erwidert Herr Hinrichs. »Das Zusammenspiel mit den anderen Kursen offenbart sogar noch mehr. Hier ist die Beziehung zum Schlusskurs des Vortages und dem Eröffnungskurs am folgenden Handelstag von besonderer Bedeutung. Wenn der Eröffnungskurs höher als der vorherige Schlusskurs ist, bedeutet dies, dass der erste Trader des Tages vorteilhafte Meldungen über die Aktie hat bzw. erwartet, sein Kauf werde einen Gewinn abwerfen. Dies animiert andere Trader, auch zu kaufen. Liegt dagegen der Eröffnungskurs unter dem gestrigen Schlusskurs, sollten die Alarmglocken läuten! Vielleicht sind nämlich nach der Schlussglocke im Laufe der Nacht schlechte Nachrichten eingetroffen, die uns nur noch nicht bekannt sind. Da wir schon den Schlusskurs angesprochen haben, wie würdet ihr diesen beschreiben?«

»Der Schlusskurs fasst die Stimmung des Handelstages zusammen«, beginnt Hans-Jürgen, bevor er den Faden verliert. Peter knüpft an: »Wenn der heutige Schlusstag höher als der gestrige Schlusskurs ist, so fragen die Trader die Aktie immer stärker nach und sind auch bereit, dafür immer höhere Kurse zu bezahlen. Es liegt ein Gewinntag5 vor. Falls jedoch der Schlusskurs niedriger als der Schlusskurs vom Vortag ist, so ist dies ein Signal dafür, dass die Trader bereit sind, die Aktien zu immer niedrigeren Kursen zu verkaufen. Es liegt demnach ein Verlusttag6 vor.«

Herr Hinrichs nickt und fragt weiter: »Wie sieht es mit dem Höchstkurs aus?« Britta wedelt mit ihren Unterlagen und stellt fest: »Schließt der Kurs zum Höchstkurs, sind die Trader außerordentlich optimistisch. Sie erwarten, dass weitere Gewinne ins Haus stehen. Liegt der Höchstkurs jedoch nahe dem Eröffnungskurs, sind die Trader pessimistisch und erwarten weitere Verluste.«

»Kommen wir zum Tiefstkurs«, sagt Herr Hinrichs. Sofort meldet sich Peter zu Wort: »Fällt der Schlusskurs mit dem Tiefstkurs zusammen, so haben an diesem Tag schlechte Nachrichten bzw. Stimmung vorgeherrscht. Wenn hingegen der Tiefstkurs niedriger als der Eröffnungskurs ist, überwiegt die Anfangsstimmung des Tages.«

Völlig verwirrt sieht sich Rolf seine Unterlagen an. »Wie soll ich denn vier Kurse im Auge behalten? Da verliert man doch den Überblick!« »Um das Handling mit diesen vier Kursen zu vereinfachen, wurde der Kursbalken erfunden. Er sieht so aus«, antwortet Herr Hinrichs.

Abb. 8: Standardkursbalken

Weiter führt Herr Hinrichs aus: »Die beiden kleinen horizontalen Linien mit der Beschriftung Eröffnungs- und Schlusskurs werden im Tradingjargon auch als Tick-Marken bezeichnet. Dagegen brauchen Höchst- und Tiefstkurs keine Tick-Marken, weil diese Information die Enden des Balkens liefert.« Hans-Jürgen unterbricht Herrn Hinrichs: »Was beschreibt der Kursbalken denn genau?«

»Der Kursbalken beschreibt die Tradingaktion in einem Wertpapier für eine gegebene Zeitspanne, z. B. für einen Handelstag7,8. Der Balken erfasst aber nur die Trades, die tatsächlich abgewickelt wurden, und nicht die, die sich jemand gewünscht oder vorgestellt hätte. Von besonderer Bedeutung ist die Differenz zwischen Höchst- und Tiefstkurs. Sie gibt die tägliche Handelsspanne an, also die emotionalen Extreme eines Handelstages. Änderungen der Handelsspanne sind ein Indiz dafür, dass sich die Grundstimmung des Marktes hinsichtlich der Aktie geändert hat. Deswegen sollten Änderungen der Handelsspanne nicht nur mit bloßem Auge betrachtet werden – es reicht also nicht, nachzuschauen, ob die Balken länger oder kürzer werden.« An der Tafel erscheint folgende Abbildung:

Abb. 9: (A) Verbreiterung der Handelsspanne und (B) Verengung der Handelsspanne. Zur besseren Übersicht stellt der Balken nur den Eröffnungs- und Schlusskurs dar.

»Stattdessen sollte man den Durchschnitt ermitteln. Wisst ihr, was der Durchschnitt ist?« »Klar!«, erwidert Petra. »Um den Durchschnitt zu ermitteln, muss ich zunächst an z. B. zehn aufeinanderfolgenden Handelstagen die Handelsspanne ermitteln. Anschließend bilde ich die Summe der zehn aufeinanderfolgenden Tage. Nehmen wir an, dass sie 50 Euro beträgt. Abschließend muss ich die Summe von 50 Euro noch durch 10 teilen, dann erhalte ich die durchschnittliche tägliche Handelsspanne für eine 10-Tage-Periode mit 5 Euro.« Rolf hebt die Hand: »Und wozu brauche ich die Handelsspanne?«

Bevor Herr Hinrichs etwas sagen kann, erwidert Petra: »Mal angenommen, du bekommst den Tipp, dass sich mit der Aktie XY im nächsten Monat 250 Euro verdienen lässt. Mithilfe der durchschnittlichen Handelsspanne kannst du abschätzen, ob das realistisch ist. Hätte die Aktie XY in den letzten 30 Handelstagen eine durchschnittliche Handelsspanne von 5 Euro und würde die Aktie XY jetzt jeden Tag um die gesamte durchschnittliche Handelsspanne steigen, so würde dein möglicher Gewinn bei ca. 100 Euro9 liegen. Falls dein Tippgeber nicht über Insiderwissen verfügt, welches die Umstände grundlegend ändern könnte, ist seine Vorhersage töricht.«

»Richtig, Petra«, sagt Herr Hinrichs. »Unter normalen Umständen darf man nämlich erwarten, dass die durchschnittliche Handelsspanne weiterhin gültig bleibt. Dennoch kommt es vor, dass sich die Handelsspanne ändert, besonders wenn eine Trendumkehr ins Haus steht. Schauen wir das an der Tafel genauer an.«

Verbreiterung der Handelsspanne (eng. Range Expansion)

Die Handelsspanne wird breiter. Die Kursbalken werden im Zeitablauf länger. Das ist ein Indiz dafür, dass sich ein Trend fortsetzt.

Höhere Schlusskurse

Die Käufer sind bereit, mehr für die Aktie zu bezahlen. Der Aufwärtstrend setzt sich fort.

Niedrigere Schlusskurse

Die Verkäufer versuchen zunehmend, die Aktie abzustoßen. Der Abwärtstrend setzt sich fort.

Verengung der Handelsspanne (eng. Range Contraction)

Die Handelsspanne wird enger. Die Kursbalken werden im Zeitablauf kürzer. Dies deutet auf eine baldige Trendumkehr hin.

Höhere Schlusskurse

Durch die Verengung der Handelsspanne befallen die Trader Zweifel, dass der Trend sich fortsetzt. Ein Teil der negativen Stimmung wird aber durch die höheren Schlusskurse ausgeglichen. Allerdings ist Vorsicht geboten! Der Trendbruch ist meistens nur aufgeschoben und nicht aufgehoben.

Niedrigere Schlusskurse

Dies ist ein doppelter negativer Indikator. Es ist an der Zeit, aus dem Wertpapier auszusteigen.

»Aus dem Höchst-, Tiefst- und Schlusskurs entsteht etwas Magisches«, sagt Herr Hinrichs.

2.6 Die magischen Punkte im Chart – die Pivot-Punkte

»Schon der legendäre Spekulant Jesse Livermore erkannte, dass es Kurswendepunkte – die Pivot-Punkte – gibt, die aus dem Höchst-, Tiefst- und Schlusskurs der Vorperiode10 berechnet werden«, erklärt Herr Hinrichs. »Hat jemand eine Idee, wie man den Höchst-, Tiefst- und Schlusskurs zu einem Pivot-Punkt zusammenführt?« Peter will zu einer Antwort ansetzen – aber dann ist er doch ratlos. Hans-Jürgen traut sich, noch etwas unsicher: »Vielleicht, indem wir den Mittelwert aus den drei Kursen bilden?«

»Richtig, getippt Hans-Jürgen«, lobt Herr Hinrichs. Er wendet sich zur Tafel und schreibt folgende Formel an.

»Was soll daran denn nun magisch sein? Das ist doch simple Mittelwertbildung«, wundert sich Rolf.

»Genau! Der Pivot-Punkt ist einfach der Durchschnittskurs des Hoch-, Tief- und Schlusskurses des Vortages. Klingt nicht wirklich spannend – aber das Magische ist, dass die Trader am nächsten Morgen die Kurse um den Pivot-Punkt herum erwarten. Am besten sehen wir uns das an einem Beispiel an.«

Herr Hinrichs holt eine Zeitung hervor und liest vor: »Der DAX hatte am 25.01.2018 einen Höchstkurs von 13.443,36 Punkten. Sein Tiefstkurs lag bei 13.222,47 und der Schlusskurs bei 13.298,36 Punkten. Damit können wir den Pivot-Punkt berechnen. Wer möchte?«