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Stell dir vor, du tappst in das Geheimnis einer abgelegenen Klinik, in der man auf vermeintlich medizinischem Weg schmerzhafte Erinnerungen entfernt. Zunächst klingt es nach einer befreienden Lösung für traumatisierte Menschen. Doch je mehr du gräbst, desto finsterer werden die Gerüchte: Patienten wirken nach ihrer "Heilung" emotional leer, manche verschwinden spurlos, und unter dem makellosen Luxus sträubt sich etwas Unheimliches. Inmitten dieser Kulisse versuchst du herauszufinden, wer wirklich die Fäden zieht. Wieso tauchen immer mehr Hinweise auf, dass hier keineswegs bloß unschädliche Eingriffe stattfinden, sondern dass ganze Persönlichkeiten ausgelöscht werden? Während dir mächtige Gegner nachstellen und die Gefahr wächst, erfährst du die erschütternde Wahrheit: Manchmal kostet es mehr, sich von Erinnerungen zu trennen, als mit ihnen zu leben.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Vorwort
Stell dir vor, du tappst in das Geheimnis einer abgelegenen Klinik, in der man auf vermeintlich medizinischem Weg schmerzhafte Erinnerungen entfernt. Zunächst klingt es nach einer befreienden Lösung für traumatisierte Menschen. Doch je mehr du gräbst, desto finsterer werden die Gerüchte: Patienten wirken nach ihrer „Heilung“ emotional leer, manche verschwinden spurlos, und unter dem makellosen Luxus sträubt sich etwas Unheimliches.
Inmitten dieser Kulisse versuchst du herauszufinden, wer wirklich die Fäden zieht. Wieso tauchen immer mehr Hinweise auf, dass hier keineswegs bloß unschädliche Eingriffe stattfinden, sondern dass ganze Persönlichkeiten ausgelöscht werden? Während dir mächtige Gegner nachstellen und die Gefahr wächst, erfährst du die erschütternde Wahrheit: Manchmal kostet es mehr, sich von Erinnerungen zu trennen, als mit ihnen zu leben.
Über die Autorin / den Autor:
Vanessa Drexen kam in einer Kleinstadt im Süden Deutschlands zur Welt. Bereits als Kind entdeckte sie ihre Begeisterung für das geschriebene Wort, als sie jeden freien Moment mit Büchern verbrachte und kleine Geschichten in ihr Tagebuch schrieb. Während ihrer Jugend vertiefte sich diese Leidenschaft: Sie las alles, was ihr in die Hände fiel – von Abenteuerromanen über poetische Texte bis hin zu wissenschaftlichen Abhandlungen.
Nach dem Abitur zog es Drexen in die Großstadt, wo sie Literaturwissenschaft und Psychologie studierte. Diese Kombination war für sie wegweisend, weil sie ihr einerseits die Welt der Erzähltechniken erschloss und sie andererseits tiefe Einblicke in die menschliche Psyche gewinnen ließ. Parallel zum Studium war sie in der lokalen Kulturszene aktiv, organisierte Lesungen und beteiligte sich an interaktiven Literaturprojekten.
Kurz nach dem Studienabschluss begann sie ernsthaft zu schreiben. Anfangs veröffentlichte sie Erzählungen und Essays in Literaturmagazinen sowie Online-Foren. Ihr Stil, der sich durch eindringliche Emotionen und eine Präzision im Umgang mit Sprache auszeichnet, sorgte schnell für Aufmerksamkeit in der literarischen Szene. Mit der Zeit entwickelte sie Vorlieben für dunkle, psychologisch dichte Themen, in denen sie menschliche Abgründe und Grenzsituationen auslotet.
Drexen setzt sich intensiv mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinander. In ihren Werken thematisiert sie oft Machtmissbrauch, geheime Strukturen und die psychologischen Grenzen des Individuums. Diese Fokussierung auf innere Konflikte und moralische Grauzonen verleiht ihren Texten eine beklemmende Intensität, die Leserinnen und Leser gleichermaßen fasziniert wie erschüttert.
Außerhalb ihrer schriftstellerischen Tätigkeit engagiert sich Vanessa Drexen für Aufklärungskampagnen zu mentaler Gesundheit. Ihr Anliegen ist es, tabuisierte Themen ans Licht zu bringen und Diskussionen anzustoßen. Sie hält Lesungen in kleineren Kulturhäusern, nimmt an Podiumsdiskussionen teil und unterstützt Projekte, die sich für den Abbau von Stigmatisierung einsetzen.
Heute lebt Vanessa Drexen in einer ruhigeren Vorstadtregion. Ihr Arbeitsalltag ist geprägt von intensiver Recherche, langen Schreibphasen und gelegentlichen Rückzügen in entlegene Orte, um ihre Inspiration zu pflegen. Ihr Grundsatz bleibt stets derselbe: Geschichten können ein Mittel sein, um verdrängten Realitäten ins Auge zu sehen und Menschen zum Nachdenken über ihre eigenen Grenzen und Überzeugungen zu bringen.
Titel: Die Chirurgen des Schmerzes
Kapitel 1: Der Blick in den Abgrund
Manchmal fühlt es sich an, als würde das Herz in tausend Splitter brechen, weißt du? So richtig zerschellen, als würdest du mit Vollgas gegen ’ne Betonmauer donnern. Genauso war das Gefühl, das sich in Vivien festsetzte, als sie zum ersten Mal von dieser Klinik hörte. Eine Klinik, irgendwo in den Bergen, weit ab vom Schuss, angeblich hochmodern und diskret – so diskret, dass nur Flüstern und Gerüchte davon in die große weite Welt sickerten. Und die Gerüchte waren verdammt schräg: Man könne sich dort operative Eingriffe verpassen lassen, um schmerzhafte Erinnerungen loszuwerden. So ganz wortwörtlich. Nicht nur mit ’ner Gesprächstherapie oder Hypnose, nein – hier wurde richtig geschnippelt, bis alles Ungewollte aus dem Schädel rausgesaugt war wie Eiter aus ’nem alten Abszess.
Vivien fand diese Story zuerst total irre, so als wäre sie aus ’nem schlechten Sci-Fi-Film geklaut. Doch je öfter sie davon hörte, desto mehr bekam sie diese seltsam beklemmende Gänsehaut, die dich innerlich warnt: Da ist irgendwas nicht in Ordnung. Eine Klinik, in die angeblich reiche Promis oder Businessleute reinkommen wie in einen Wellness-Tempel, nur um danach völlig verändert wieder abzudampfen. Schmerzfreie Köpfe, keine Panikattacken mehr, keine Flashbacks, null Leid – aber auch null Emotionen, so wurde gemunkelt. Wie Zombies in Designeranzügen, ja? Da war was verdammt Fauliges dran.
Vivien hatte in den letzten Monaten sowieso genug von all den oberflächlichen Lifestylescheißereien, die da draußen kursierten. Influencer, die dir Detox-Tees ans Herz legten, während sie selbst im Hintergrund zwei Packungen Kippen wegbafften. Oder diese unsäglichen Magazine, allen voran die viel zu gehypte Vogue, die ständig so tat, als wüssten sie ganz genau, wie man sich heilen, kleiden und selbstverwirklichen sollte. Alles war nur eine Fassade, dachte Vivien. Kein Wunder also, dass sie hellhörig wurde, als sie von einer Stelle hörte, die sich mit echten Abgründen beschäftigte – nur eben auf ziemlich unheimliche Weise.
Eigentlich wollte Vivien das Thema schnell wieder aus ihrem Kopf werfen. Sie war zwar neugierig, doch das Ganze roch nach Ärger. Und hey, Ärger konnte sie grad gar nicht gebrauchen. Ihr eigenes Leben war kompliziert genug: die Wohnung in einer miefigen Ecke der Stadt, ihr Praktikum bei einem Online-Magazin, das mehr Clickbait als Journalismus betrieb, und ihr chronisches Gefühl, irgendwie am Rand des Abgrunds zu balancieren. Da kam man nicht auch noch auf die Idee, sich irgendwelche dubiosen Kliniken anzutun, in denen das Innere deines Kopfes bearbeitet wurde.
Nur leider war es schon zu spät. Die Sache hatte sich bei ihr festgebissen, wie ein räudiger Hund, der nicht mehr locker ließ. Es begann mit diesem Zettel, der eines Morgens in ihrem Briefkasten lag. Keine Werbung, keine Rechnung, nur ein handgeschriebener Hinweis: „Tauch tiefer. Du findest die Chirurgen in den Bergen. Sie nehmen dir alles, was weh tut – aber zu welchem Preis?“ Mehr stand da nicht. Ohne Unterschrift, ohne Kontakt. Aber es jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Die folgenden Tage waren ein bizarrer Mix aus Neugier und Paranoia. Egal, wo Vivien hinging, sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie konnte in ihrem Kopf nicht abschalten, sah ständig Bilder von irgendwelchen Chirurgen in grünen Kitteln, wie sie über einen OP-Tisch gebeugt standen und einer Patientin das Gehirn aufschnitten. Total absurd, natürlich, aber die Vorstellung fraß sich in ihr fest. Wenn das alles nur Scharlatanerie war, warum kroch dieses Gefühl tief in ihre Gedankengänge und ließ sie nicht mehr los?
Sie diskutierte die Story im kleinen Kreis. In ihrem Stammcafé, das einem Kumpel gehörte, der seine Bude „Vogi’s“ nannte – eine ironische Anspielung auf das berühmte Modemagazin. Da wurde vegan gekocht und gebacken, die Leute hingen auf Sofas herum, während aus den Boxen ein Mix aus Elektro und Hip-Hop dudelte. Vivien erzählte ein paar Bekannten flüchtig von diesem mysteriösen Tipp, doch die meisten winkten ab. „Ach, das sind bloß moderne Urban Legends,“ meinten sie. „Oder irgendein Tech-Milliardär, der sich ’ne Privatklinik leistet.“ Trotzdem hatte jeder, der ihren Bericht hörte, diesen komischen Blick in den Augen – so eine Mischung aus Faszination und Grusel. Als würde man spüren: Da steckt mehr dahinter.
Besonders ihre Freundin Yvonne, eine Queer-Aktivistin, die sich leidenschaftlich für Tierrechte einsetzte, runzelte die Stirn und meinte leise: „Weißt du, in der Szene der Superreichen gibt’s nix, was es nicht gibt. Wenn du genug Kohle hast, findest du jemanden, der dir alles verkauft – sogar ’ne OP, die dir Gedanken aus dem Hirn kratzt. Vielleicht ist das ja echt. Aber glaub mir, das ist kein Ort, wo man nur mal aus Versehen vorbeispaziert. Da stehen sicher ganz finstere Typen dahinter, die sich nicht in die Karten gucken lassen.“
Vivien wollte schon kontern, doch sie hielt sich zurück. Yvonne war nicht umsonst ein bisschen verschroben: Sie hatte ein Talent dafür, überall Verschwörungen zu wittern, aber meistens lag sie irgendwie gar nicht so daneben. Und so nahm Vivien den Rat an, vorsichtig zu sein. Nur … Vorsicht reichte ihr nicht. Da war was, das sie tiefer zog. Wie wenn du in ein schwarzes Loch glotzt und einfach wissen musst, was zum Teufel da drin lauert.
Schließlich setzte sie sich eines Abends an ihren ratternden Laptop und begann zu recherchieren. Suchte nach irgendwelchen Hinweisen, Forenbeiträgen, Berichten von Ex-Patienten. Doch je mehr sie suchte, desto weniger fand sie – wie ein Vakuum, aus dem die Informationen einfach weggesaugt worden waren. Ein paar spärliche Einträge deuteten darauf hin, dass diese Klinik das Projekt eines gewissen Dr. Caspari sein könnte, eines genialen, aber ziemlich dubiosen Neurochirurgen, der angeblich mal bei einem Militärprogramm experimentelle Hirn-OPs entwickelt hatte. Aber das war alles unbestätigt, klang nach Internet-Gerüchteküche.
Trotzdem knetete Vivien sich die Schläfen, während sie immer tiefer in die digitalen Untiefen einstieg, zwielichtige Seiten ansurfte und sich zwischen Cookies und Pop-ups wie durch einen Datensumpf kämpfte. Nur spärliche Fetzen tauchten auf. So las sie zum Beispiel, dass manche Patienten nach so einer „Erinnerungs-OP“ völlig emotionslos wirkten, als hätte man ihnen ein Stück Seele rausgelasert. Andere seien kurz nach dem Eingriff gestorben, offiziell an Komplikationen oder Herzversagen. Offizielle Zahlen? Fehlanzeige. Konkrete Beweise? Ebenfalls nicht zu finden.
Dass da was Großes und Gefährliches dahinterstecken könnte, leuchtete ihr ein. Mit genug Geld kannst du fast jeden Schweinkram durchziehen, solange keiner mächtigen Gruppierung auf die Füße tritt. Immerhin, dachte Vivien, leben wir in einer Welt, wo manche Influencer ihre Fans dazu bringen, ’nen Haufen Kohle für billige Produkte auszugeben. Warum also nicht auch für ’ne Hirn-OP, die dich von all deinen Traumata befreit? Gott, was für eine kranke Idee … und dennoch irgendwie verständlich, wenn man echt am Abgrund steht.
Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto unruhiger wurde sie. Irgendwas in ihrem Bauch zog sich zusammen, wie ein kleiner Krampf, der sich in ihre Eingeweide bohrte. Sie begann sich zu fragen, wieso sie so heftig reagierte. War es bloße Angst? Oder war da noch was anderes? Eine ungeahnte Erinnerung, ein Déjà-vu? Das konnte nicht sein. Sie hatte noch nie auch nur von einer Hirn-OP gehört, geschweige denn, dass sie selbst so etwas in Erwägung gezogen hätte.
Trotzdem ließ sie der Gedanke nicht los, dass sie womöglich persönlich in dieser Sache steckte. Und das machte sie verrückt. Sie starrte auf ihren Bildschirm, übermüdet, die Augen brannten, während draußen der Nachtwind an den Fenstern zerrte. Wer hatte diesen Zettel in ihren Briefkasten geworfen? Wieso wusste jemand, dass sie überhaupt interessiert sein könnte?
Es war wie ein Sog, der sie immer tiefer in eine Schattenwelt zog. Und obwohl alles in ihrem Kopf „Hau ab, das ist zu gefährlich“ schrie, machte ihr Herz ein komisches kleines Flattern, das sie nicht deuten konnte. Eine Mischung aus Angst und Neugier – wie dieser Nervenkitzel, wenn man kurz davor ist, in einer Achterbahn loszurattern.
Vivien blickte aus dem Fenster, in die Dunkelheit, in der die Lichter der Stadt verschwammen. Irgendwo da draußen gab es eine Klinik, in der reichlich Kohle investiert wurde, um Menschen ihre beschissenen Erinnerungen zu entreißen. Was musste man erlebt haben, dass man bereit war, sein Innerstes so krass verunstalten zu lassen? War es purer Selbstschutz, purer Wahnsinn oder beides?
Sie dachte an ihr eigenes Leben. Klar, sie hatte auch ihre Narben, seelische wie körperliche. Sie hatte Beziehungen in den Sand gesetzt, war in Jobs gemobbt worden, hatte Familie verloren. Aber would she? Würde sie sich ihre bittersten Erinnerungen einfach so rausschneiden lassen, wenn sie die Chance bekäme? Die Vorstellung war verlockend, keine Frage. Doch gleichzeitig fühlte sie so einen inneren Widerstand, fast wie ein Funke Stolz: Hey, das ist meine Vergangenheit. Ist vielleicht dreckig und hart, aber es ist meine. Ich bin, wer ich bin, weil ich durch diese Scheiße durch bin.
Dennoch … dieses Kribbeln blieb. Vielleicht war es die Angst, dass so eine OP überhaupt möglich war. Vielleicht war es die Erkenntnis, dass man in dieser kaputten Welt für Geld alles kaufen kann, selbst die Löschung seiner eigenen Erinnerungen. Oder vielleicht war da wirklich ein tieferer Zusammenhang, von dem sie noch nichts ahnte. Sie seufzte, klappte den Laptop zu und legte sich ins Bett, nur um ewig wachzuliegen und in die Decke zu starren. Ihre Gedanken rauschten durcheinander wie ein chaotischer Schwarm Mücken, der keine Ruhe gab.
Und so fiel sie schließlich in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie immer wieder hochschreckte, mit Bildern vor Augen, die sie gar nicht haben wollte: Ein OP-Saal, kaltes Neonlicht, metallische Instrumente, eine Stimme, die sagt: „Wir nehmen nur, was weh tut.“ Doch sie hörte einen anderen Teil dieser Stimme, ganz leise: „Die Seele wird ein bisschen mitschwingen …“
Sie wachte schweißgebadet auf und fragte sich, ob das wirklich bloß ein Traum war. Diese scheiß Bilder fühlten sich so echt an, sie konnte den Desinfektionsmittel-Geruch fast in ihrer Nase spüren. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Glas Wasser auf ihrem Nachttisch und nahm einen Schluck. Irgendwas war verdammt faul. Und Vivien schwante, dass sie die ganze Geschichte nicht einfach so abschütteln konnte. Der Zettel im Briefkasten, die Gerüchte, der Name „Die Chirurgen des Schmerzes“ – das alles zog sie in einen dunklen Strudel, an dessen Ende sie noch nicht mal ahnte, was auf sie wartete.
Aber eins war klar: Sie musste der Sache auf den Grund gehen. Sie würde versuchen, herauszufinden, wer diese Typen waren, was sie genau machten und wie es sein konnte, dass die Welt davon nichts oder nur halbgare Geschichten mitbekam. Und sie hatte eine Ahnung, dass der nächste Schritt sie schon in die Arme dieser Chirurgen führen würde. Eine Klinik voller Versprechen – und voller Geheimnisse. Ja, genau dieses Gefühl, als stünde sie am Abgrund und müsste sich entscheiden: springen oder umkehren.
Nur dass Vivien die Art Mensch war, die der Abgrund mehr reizte als abschreckte. Egal wie heftig das Ganze enden würde – sie spürte, dass sie nicht davon ablassen konnte. Manchmal ist der Sprung in die Tiefe der einzige Weg, die Wahrheit zu finden.
Kapitel 2: Die Gerüchteküche
Vogi’s veganes Café war so ein Ort, an dem sich die Welten vermischten, weißt du? Irgendwo zwischen Hipster-Getränken wie Matcha-Latte und abgewetzten Ledersesseln, die so gar nicht zum „Vegan-Vibe“ passten, hockten Arbeitslose, Partygänger, ewig Studierende und dieser ganze chaotische Mix aus Leuten, die gerne über Weltverbesserung diskutierten. Dass der Besitzer sein Café „Vogi’s“ nannte, war der halbironische Versuch, Vogue ein bisschen auf die Schippe zu nehmen – so nach dem Motto: „Ich bin so verdammt trendy, dass selbst Vogue mich nicht versteht.“
Und genau hier saß Vivien. Sie nippte an ihrem Matcha-Latte, was eigentlich nicht mal so schlimm schmeckte, wie es immer klang, und scrollte mit halbherzigem Interesse durch ihre Nachrichten. Doch die letzten Tage hatten ihren Kopf in ’nen dicken Nebel gehüllt. Irgendjemand hatte Zettel in ihrer Post hinterlassen. Irgendjemand hatte sie wiederholt angerufen, ohne etwas Brauchbares zu sagen. Nur so ein leises, freakiges Flüstern und kurze Atemgeräusche, als wolle er oder sie ihr zeigen, dass man sie im Blick hatte.
Gott, was für ein Wahnsinn. Eigentlich war ihr Alltag schon stressig genug: Redaktionssitzungen bei dem schäbigen Online-Magazin, wo sie Praktikantin war, und Nächte, in denen sie bis in die Puppen wach lag. Aber nun spukte da dieser Gedanke an die Klinik herum. Die Chirurgen des Schmerzes. Genauso bedrohlich, wie es klang. Rausoperierte Erinnerungen, reiche Klientel, irgendwo in den Bergen. Manchmal kam es ihr schon fast surreal vor, als hätte sie den Plot für ’ne neue Netflix-Horror-Serie erfunden.
Während sie also die Getränkekarte studierte, ohne sie wirklich zu lesen, tauchte eine alte Schulfreundin auf. Jemand, den sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Bisschen abgerissener Look, bunte Haare, Tattoos über beide Arme verteilt. Die Schulfreundin – Johanna oder Jo, wie sie sich neuerdings nannte – hatte sich in den letzten Jahren zur waschechten Vegan-Aktivistin gemausert und betrieb momentan wohl irgendeinen Blog, in dem sie Fleischesser täglich anprangerte. Manchmal fand Vivien das ein bisschen übertrieben, aber was soll’s? Jeder hat seine Mission.
Jedenfalls setzte sich Jo einfach zu ihr an den wackeligen Holztisch. „Ey, Vivien, was geht? Lange nicht gesehen, oder?“ Vivien versuchte zu lächeln, aber es fühlte sich an, als wäre ihre Gesichtsmuskulatur eingefroren. Vielleicht, weil sie immer noch diese seltsame Anspannung spürte. Oder weil sie schlicht totmüde war. „Jo, hey … Ja, lang nicht mehr.“
Kaum kam das Thema auf, was Vivien so umtrieb, sah Jo sie mit großen, neugierigen Augen an. Eine komische Mischung aus Sensationslust und echter Sorge, so als wäre sie megaheiß auf eine krasse Story. Vivien, die sich eigentlich vorgenommen hatte, nichts zu verraten, rutschte dennoch mit der Sprache raus – zumindest bruchstückhaft. Sie erzählte von den mysteriösen Zetteln, von den merkwürdigen Anrufen. Und davon, dass alles auf eine Klinik hindeutete, in der … na ja, Leute ihre Erinnerungen loswerden konnten.
Kaum sprach sie das aus, zog Jo die Augenbrauen hoch. Fast schon theatralisch flüsterte sie: „Krass! Also, hör zu, ich hab vor Kurzem von so ’nem Ort gehört. Da war so ein Bericht in einem Untergrund-Forum für Tierrechtler. Ging nur kurz um die Klinik, aber alle waren schockiert. Man nannte die sich dort ‘Die Chirurgen des Schmerzes’. Voll psycho, oder?“
Vivien nahm einen langen Schluck von ihrem Matcha-Latte, der ihr plötzlich bitter vorkam. „Und was hieß es da so?“ Sie versuchte, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen, aber in ihrem Kopf klingelten sämtliche Alarmglocken.
Jo sah sich um, als fürchtete sie, jemand könnte lauschen. Dabei war das Café zwar belebt, aber keiner schenkte ihnen wirklich Aufmerksamkeit. Ein paar Typen hatten ihre Laptops vor sich, hingen bei Spotify und Instagram ab, andere unterhielten sich lauthals über die neueste Netflix-Serie. Typischer Vogi’s-Alltag.
„Na ja,“ raunte Jo, „anscheinend ist das so ’ne private Luxuseinrichtung, wo ultraschwere Fälle hinkommen: Traumapatienten, Leute mit echt übler Vergangenheit, reiche Promis, die einfach keinen Bock mehr auf ihre Psycho-Probleme haben. Und diese Klinik verspricht die ultimative Lösung: Raus mit den traumatischen Erinnerungen, reines Gewissen, neuer Lebensstart.“
Ein kalter Schauer lief Vivien über den Rücken. Nicht, weil sie das alles zum ersten Mal hörte, sondern weil dieses Wort – „Raus!“ – bei ihr so deutlich ins Ohr hämmerte. Als würde man den Schmerz einfach wie ’n faules Organ herausschneiden. „Und das geht einfach so? Mit OP und so?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort eigentlich schon kannte.
Jo zuckte die Schultern, nahm sich eine ausgefallene Dinkel-Schoko-Kokos-Kreation vom Nebentisch (wahrscheinlich von jemandem liegen gelassen) und biss rein. „Ja, keine Ahnung, wie genau die das machen. Neurochirurgisch oder was weiß ich. Das Forum meinte, das ist Militärtechnik, ehemaliges Forschungsprojekt oder so. Jedenfalls sagten einige, danach fühlst du dich wie ’n Zombie. Emotionale Zombieapokalypse, Mann! Die Leute kommen raus, und du erkennst sie kaum wieder. Als hätten sie ihren inneren Motor abgestellt. Sie wirken zwar irgendwie zufrieden, aber auch total leer. Und Gerüchte behaupten, manche überleben den Eingriff nicht mal.“
Vivien schluckte. „Nicht alle überleben den Eingriff?“ Ihre Stimme war ein Flüstern. Ihr Magen zog sich zusammen, als hätte jemand ihre Eingeweide in die Hand genommen und kräftig reingekniffen.
Jo nickte, verzog das Gesicht. „Tja, so stand’s zumindest da. Das war natürlich nicht belegt, aber du kennst diese Foren – die Leute haben alle ihre verschwurbelten Insider-Infos, und oft ist doch was dran. Da hat einer sogar behauptet, seine Cousine hätte sich nach so ’ner OP das Leben genommen, weil sie plötzlich keinen Sinn mehr gesehen hat. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, was sie wütend oder traurig machte, aber damit gingen auch alle positiven Gefühle flöten. Komplett entseelt, weißte?“
Ein gequältes Lächeln huschte über Jo’s Lippen. Das Ganze war echt kein Thema, über das man locker plaudert, während man vegane Muffins nascht. Vivien lehnte sich zurück, merkte, dass ihr Herz schneller klopfte, als wäre sie gerade die Treppe hochgerannt. Sachte stellte sie ihre Tasse ab, hoffte, dass nicht allzu sehr auffiel, wie stark ihre Hand zitterte.
Während sie so da saß, schweiften ihre Blicke durch das Café. Ein paar Tische weiter diskutierten zwei Typen über politische Themen, einer mit regenbogenfarbenem Tuch um den Hals, offensichtlich Teil der LGBTQ-Community. Ihr fiel auf, wie normal es in diesem bunten Haufen war, sich frei zu bewegen, sein Ding zu machen. Das Café galt eben als safe space für allerlei Leute, egal ob vegan, queer oder was auch immer. Als Vivien den Blick wieder auf Jo richtete, erkannte sie in deren Augen diese Mischung aus Sorge und sensationsheischender Neugier.
„Und warum ruft jemand bei dir an? Was könnte der von dir wollen?“, fragte Jo und klang dabei fast wie eine Enthüllungsjournalistin.
Vivien schnaubte leise. „Vielleicht wollen sie mich warnen. Oder bedrohen. Oder mich anwerben? Ich hab keine Ahnung. Letztens kam ein anonymer Anruf, da war nur ein Atmen und dann so ein Flüstern: ‘Hör auf zu graben.’ Ich hab gar nicht gecheckt, wieso die glauben, dass ich irgendwas graben würde. Ich hab ja nicht mal richtig angefangen, mich zu informieren. Keine Ahnung, Mann, das ist alles so …“
Sie merkte, wie ihre Stimme leiser wurde, fast erstickte. Ein beunruhigendes Gefühl stieg in ihr auf, als würde sich eine Klammer um ihren Brustkorb legen. Jo legte ihre Hand auf Viviens Arm. „Ey, pass auf dich auf, ja? Das klingt, als würden da mächtige Leute ihre Finger im Spiel haben. Wenn die sowas ernsthaft durchziehen – Erinnerungen löschen und alles – dann haben die bestimmt auch genug Kohle und Mittel, um Leute umzubringen, die ihnen gefährlich werden könnten.“
„Joa. So weit bin ich auch schon,“ meinte Vivien bitter und stand auf, weil sie spürte, wie ihr der Schweiß auf der Stirn ausbrach. Sie hatte nur ’ne leichte Lederjacke an, aber plötzlich wurde es ihr heiß, als hätte man die Heizung voll aufgedreht. Sie lief rüber zur Theke, bestellte ’ne Flasche Wasser, während Jo noch an dem halben Muffin herumkaute.
Viviens Blick streifte einen Stapel Magazine, der auf der Theke lag. Eigentlich nur irgendwelche Gratis-Hefte über Nachhaltigkeit und ein paar Hochglanz-Kataloge. Aber irgendwie musste sie unwillkürlich an die Vogue denken, an dieses ganze Modezirkus-Getue. Welten, die sich um Perfektion drehten, um Schönheit, um das Ausblenden alles Hässlichen. Und sie dachte: Vielleicht ist das genau das Problem. Die Menschen wollen alles Üble tilgen, sich sauberwaschen von Erinnerungen, die kratzen und beißen. Dabei macht uns doch genau das aus, oder nicht? Wer kein Leid kennt, kann doch auch keine Freude wirklich spüren.
Sie griff die Wasserflasche, ging zurück zu ihrem Tisch und nahm einen großen Schluck. Ihr Magen war ein einziger Knoten. Jo schaute sie fragend an. „Wirst du was unternehmen? Wird schon jemand auf dich aufpassen?“
Vivien zuckte die Schultern, fühlte sich plötzlich müde, als hätte sie drei Tage durchgefeiert. „Weiß nicht. Ich hab vielleicht ’nen Kumpel, Raffael, der ist Journalist. Könnte sein, dass er mir ein paar Tipps gibt. Aber ehrlich? Ich hab Schiss. Je mehr ich darüber nachdenke, desto eher fühlt es sich an, als würde ich in irgendein Riesen-Drecksloch reinfallen. Und gleichzeitig kann ich nicht aufhören, daran zu denken. Ist total bescheuert.“
Jo lehnte sich vor, ihre Stimme war ernst. „Ich sag’s dir noch mal: Pass auf. Diese Klinik, dieses ganze Gerede darüber – das ist kein Klatsch und Tratsch, den man beim fröhlichen Tofu-Braten austauscht. Wenn da Leute sterben oder wenn’s da wirklich ’ne illegale Methode gibt, das Gehirn zu manipulieren … Puh, das könnte richtig hässlich werden.“
„Wurde es doch längst“, murmelte Vivien. Sie merkte, wie ihre Handflächen feucht waren. Dass sie hier in Vogi’s Café saß, eigentlich einem Ort der Gemütlichkeit und ironischen Selbstinszenierung, half wenig gegen ihr Unwohlsein. „Weißt du, ich hab das Gefühl, die wollen, dass ich Angst kriege. Die wollen mich einschüchtern, damit ich die Klappe halte. Aber warum ich? Ich bin nur ’ne Praktikantin in ’nem Online-Magazin, die mal halbe Sachen recherchiert hat. Ich bin doch kein Freak mit krassen Insiderkontakten.“
Jo zuckte nur die Achseln. „Vielleicht hast du irgendwas, wovon du gar nichts weißt. Oder vielleicht hast du schon mal irgendwo rumgestochert, ohne es zu merken. Manchmal reicht schon ein kleines Detail, um bei solchen Psychopathen sämtliche Alarmglocken läuten zu lassen. Wenn du willst, kann ich mal in meinen Netzwerken fragen, ob irgendwer Erfahrungen mit dieser Klinik hat. Die Veganer-Community ist ziemlich vernetzt. Wäre ja nicht das erste Mal, dass wir seltsame Machenschaften aufdecken.“
„Danke,“ sagte Vivien leise. Sie war Jo dankbar. Auch wenn Jo manchmal zu extrem war in ihrer Tierwohl-Aktivisten-Rolle, gab’s da ’ne treue Ader in ihr. Und wer weiß, vielleicht half das wirklich, noch andere Leute ins Boot zu holen.
In diesem Moment klingelte Viviens Handy, ein schrilles Scheppern, das sie im Café vor Schreck zusammenzucken ließ. Als sie aufs Display schaute, sah sie wieder „Unbekannter Anrufer“. Sie tauschte einen kurzen Blick mit Jo, holte tief Luft und nahm ab. „Hallo?“ Keine Antwort. Nur wieder dieses Atmen. Ein Flüstern, ganz kurz. Irgendwas wie „Aufhören“ oder „Lass es sein“. Dann klick, aufgelegt.
Ihr wurde heiß und kalt. Der Typ (oder war’s ’ne Frau?) hatte sie mitten im Café angerufen, während sie über diese Klinik quatschte. Sie schnappte nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Jo starrte sie mit großen Augen an. „Wer war’s?“
„Keine Ahnung. Wieder so ’n verdammter Anruf.“ Vivien atmete flach, zuckte zusammen, als sie merkte, dass einige Umstehende sie neugierig ansahen. Bestimmt dachten die, sie hätte nen Streit mit ’nem Exfreund oder so. Oder hielten das Ganze für ’n Hoax. Wer glaubte schon an geheime Kliniken, in denen man Erinnerungen wegschneidet und Menschen verschwinden lässt?
Vivien schob ihre Tasse weg, obwohl sie noch halb voll war. „Ich muss weg. Ich kann hier grad nicht mehr sitzen, Mann. Dieser ganze Laden, diese Blicke, ich krieg das nicht auf die Reihe.“
Jo nickte verständnisvoll. „Okay, geh nach Hause. Versuch, ’n klaren Kopf zu kriegen. Ich schau mal in meinen Foren, ob jemand was weiß. Und dann melde ich mich bei dir.“
„Danke,“ murmelte Vivien. Sie griff nach ihrer Jacke, drückte Jo zum Abschied flüchtig die Hand und bahnte sich einen Weg durch das Labyrinth aus Tischen und Sesseln in Richtung Tür. Dabei spürte sie immer noch ein feines Kribbeln im Nacken, als würden unsichtbare Augen sie begleiten.
Draußen schlug ihr der Lärm der Stadt entgegen: Autos, Sirenen, das übliche Großstadtsymphonie-Orchester. Doch sie fühlte sich, als wäre sie in ’nem merkwürdigen Film, in dem alle Menschen um sie herum Statisten waren, die nur so taten, als lebten sie ein normales Leben. Irgendwo in den Bergen, weit entfernt von diesem Lärm, gab es eine Klinik, in der reiche Säcke sich das Elend aus ihrem Verstand operieren ließen – und vielleicht schmeckte diesen Leuten der Matcha-Latte dann noch besser. Ein Scheißgedanke, aber er schoss ihr durch den Kopf.
Während sie durch die Straßen lief, die kalte Luft in ihre Lungen sog und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen, spürte sie eines ganz deutlich: Das alles war kein Zufall. Irgendjemand wollte, dass sie sich raushielt. Und irgendwas zog sie tiefer in diese Story hinein.
Die Gerüchteküche brodelte, von Vogi’s veganem Café bis in die obskuren Online-Foren hinein. Und Vivien spürte, dass diese Klinik nicht einfach nur ein Mythos war. Sie war real. Brutal real. Und sie würde ihr Leben auf den Kopf stellen.
Kapitel 3: Brennende Fragen
Vivien war niemand, der auf jede x-beliebige Theorie ansprang. Sie hatte genug erlebt und gesehen, um zu wissen, dass man in dieser Welt besser zweimal hinschaut, bevor man jemandem Glauben schenkt. Doch diese Klinik-Geschichte – sie kitzelte irgendwas in ihr. Ihr Kopf sagte ihr, dass Gerüchte wie rostige Nägel in einer schmuddeligen Gasse waren: Wenn man nicht aufpasste, rammte man sich so ein Teil in den Fuß. Aber ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass sie hier nicht einfach blind weiterlaufen konnte. Zu viel war schon vorgefallen: die Zettel, die anonymen Anrufe, Jos Erzählungen über Leute, die nach der OP zu Zombies wurden.
Dennoch schwebte da eine Frage, so groß und finster wie ein schwarzes Loch: Warum interessierte sich irgendjemand so dringend dafür, was Vivien wusste oder nicht wusste? Und warum schien es, als hätten sie es persönlich auf sie abgesehen?
Sie verbrachte Stunden, vielleicht sogar Tage, am Laptop. Kalte Pizza, kalter Kaffee, schmerzende Augen von zu viel Bildschirmlicht – alles inklusive. Sie klickte sich durch Foren, von denen sie nicht mal wusste, dass sie existierten. Geheimnisvolle Ecken des Internets, in denen Verschwörungstheoretiker und angebliche Whistleblower miteinander verschmolzen. Da fanden sich Berichte über alles Mögliche: Alien-Entführungen, „reptiloide“ Promis und eben auch diese seltsamen Hinweise auf eine Klinik, in der Erinnerungen gelöscht wurden.
Und immer wieder der Name: Die Chirurgen des Schmerzes. Manche nannten sie eine Sekte, andere behaupteten, es sei ein supergeheimes Militärprojekt, finanziert von Regierungen, um Supersoldaten zu erschaffen. Wieder andere redeten von der Mafia, die sich neue Foltermethoden aneignete. Vivien merkte schnell, dass 90 Prozent davon total abgedrehter Müll war – oder zumindest hörte es sich danach an. Aber die restlichen 10 Prozent klangen erschreckend real.
Da war ein Forenbeitrag, in dem jemand schilderte, dass seine Mutter sich in einer solchen Klinik „behandeln“ ließ, weil sie an extremen posttraumatischen Belastungsstörungen litt. Danach war sie angeblich wie ausgewechselt: kein Schmerz mehr, kein Weinen, aber auch keine Freude. Nur ein starrer Blick, so als hätte jemand ihre ganze Gefühlswelt ausgesaugt. Und als er sie fragte, wie die OP verlaufen sei, sagte sie nur: „Ich erinnere mich nicht.“ Dabei flackerten ihre Augen, als wollte sie weinen, aber es kam nichts. Keine Träne, kein Zittern. Laut des Users habe sie sich wenige Wochen später von einer Brücke gestürzt – ohne einen Abschiedsbrief, ohne irgendeinen Hinweis, warum.
Vivien spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte, während sie solche Berichte las. Klar, es konnte erfunden sein. Aber irgendwas an diesen Geschichten schlug ihr mitten ins Herz. Als würde sie Teil einer Erzählung sein, die sie längst kannte, ohne es zu begreifen. Immer wieder kehrte sie zu dem Gedanken zurück: Habe ich selbst schon mal so eine Klinik betreten?
Dieser Gedanke war eigentlich total bekloppt. Warum sollte sie das getan haben? Sie hatte schon ein paar traumatische Erlebnisse in ihrem Leben gehabt, keine Frage, aber nichts, was sie dazu gebracht hätte, sich einer lebensgefährlichen OP zu unterziehen. Sie spürte trotzdem so ein flackerndes Unbehagen, sobald sie an Operationssäle dachte. Sie sah verschwommene Bilder von grellem Licht, von einer metallischen Liege, von kühlen, behandschuhten Fingern, die über ihre Stirn strichen.
Sie konnte dieses diffuse Gefühl nicht loswerden. Je länger sie vor dem Bildschirm saß, desto heftiger klopfte ihr Herz, bis es ihr in den Ohren dröhnte. Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn, ihre Finger tippten wie verrückt. Sie musste zwischendurch Pausen machen, weil ihr schwindelig wurde. „Verdammte Scheiße,“ flüsterte sie vor sich hin, während sie die Laptop-Klappe kurz herunterfuhr. „Spinn ich jetzt komplett?“
Sie holte sich ein Glas Wasser aus der Küche. Der Wasserhahn klemmte, tröpfelte erst, dann kam ein harter Schwall. Fast spritzte ihr das Wasser über die Hand, was sie zusammenfahren ließ. Komisch, in dieser Banalität ihres Alltags – das ratternde Geräusch der kaputten Kühltruhe, das Summen der Neonlampe über ihr – fühlte sie sich trotzdem nicht sicher. Es war, als lebte sie in einem Schattentheater. In jeder dunklen Ecke lauerte irgendwas.
Und dann diese Flashbacks … Diese kurzen, blitzhaften Bilder, die in ihren Gedanken aufploppten. Keine klaren Szenen, eher Bruchstücke. Wie ein dunkler Flur mit krankenhausgrünen Wänden, das Surren medizinischer Geräte, ihre eigene Stimme, die verzweifelt „Nein“ hauchte. Manchmal glaubte sie sogar, noch eine andere Stimme zu hören, ruhig und sachlich, wie von einem Arzt, der sagt: „Du musst dich nicht fürchten, es wird nur einen Moment wehtun.“
Jedes Mal, wenn sie so etwas wahrnahm, pulsierte Panik in ihr hoch, wie Lava in einem brodelnden Vulkan. Sie stieß das Wasser herunter, sodass es ihr die Kehle hinablief, eiskalt und doch nicht erfrischend genug, um das heiße Flammenbündel in ihrem Inneren zu ersticken.
Verdammt, was war das? War es bloß Einbildung, ausgelöst durch diesen gruseligen Forenkram? Oder hatte sie tatsächlich Erinnerungen an etwas, das ihr Geist bisher erfolgreich verdrängt hatte? Nur, wieso tauchte es ausgerechnet jetzt auf – seit sie dem Namen „Die Chirurgen des Schmerzes“ begegnet war?
Vivien setzte sich wieder an den Laptop, atmete einmal tief durch. Vielleicht gab es was Offizielles dazu. Einen Skandal, eine Enthüllungsreportage, einen Blogbeitrag von jemandem, der unabhängig recherchiert hatte. Aber selbst bei Google, mit sämtlichen Tricks, fand sie nichts Handfestes. Nur halbgare Andeutungen, hinter verschlüsselten Servern und in anonymen Chatgruppen. Da stand mal was von „Dr. Caspari“ – einem Neurochirurgen, der angeblich die Koryphäe auf diesem Gebiet sein sollte. Aber ob das echt war oder nur ein Tarnname, konnte sie nicht sagen.
Nach Stunden des Suchens klappte sie den Laptop endgültig zu. Ein dumpfer Druck saß in ihrem Kopf, so als hätte sie Migräne. Ihr wurde übel, so richtig übel, als ob ihr Magen sich auf links drehen würde. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und schwankte zum Bad, in Erwartung, dass sie sich gleich übergeben musste.
Aber es kam nichts. Stattdessen brach sie in ein wildes Zittern aus. Ihr ganzer Körper zitterte, als hätte man die Heizung abgedreht und sie säße in einem Schneesturm. Sie wusste, dass das irgendwas mit ihrer Psyche zu tun hatte. Angst, Panik, eine Art Flashback, der sich in ihre Glieder fraß. In ihrem Kopf hallte ein Satz, den sie in einem der Foren gelesen hatte: „Manche Patienten wachen mitten in der OP auf und spüren, wie ihre Erinnerungen brennen.“
Sie kniff die Augen zusammen, ließ das kalte Wasser im Waschbecken laufen und spritzte sich einen Schwall ins Gesicht. Das half ein wenig, riss sie zumindest aus ihrer Starre. Sie starrte in den Spiegel, sah ihr eigenes Spiegelbild, zerzauste Haare, fahle Haut, tiefe Ränder unter den Augen. Sah sie schon immer so abgekämpft aus? Sie erkannte sich selbst kaum wieder, und das machte sie fertig.
Doch dann war da dieses leise Flüstern in ihr, so eine innere Stimme, die sie nicht ignorieren konnte: Mach weiter. Du musst wissen, was los ist. Vielleicht war es blanker Überlebensinstinkt, vielleicht Neugier, vielleicht ein Drang, sich den Ängsten zu stellen. Eines war klar: Sie konnte nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, als wäre nichts gewesen.