Die Chroniken der Seelenwächter - Band 18: Der Feind in mir - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 18: Der Feind in mir E-Book

Nicole Böhm

5,0

Beschreibung

Für Akil zählt es: Hat er die richtige Entscheidung getroffen und den Dämon für immer gebannt, oder geht das Chaos erst los? Auch Keira muss sich diese Frage stellen. Gemeinsam mit ihrer Erzfeindin reist sie auf Logans verlassenes Anwesen und sucht nach einer Möglichkeit, Jaydee zu finden. Noch weiß sie nicht, wie sehr ihre Hilfe vonnöten ist, denn Jess ist Anthony mittlerweile hilflos ausgeliefert. Auch Jaydee kann nichts mehr tun, um die Situation zu entschärfen. Gelähmt und unfähig zu handeln, muss er mit ansehen, wie Jess in Lebensgefahr schwebt. Dies ist der 18. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel3

2. Kapitel11

3. Kapitel16

4. Kapitel28

5. Kapitel35

6. Kapitel46

7. Kapitel52

8. Kapitel61

9. Kapitel65

10. Kapitel76

11. Kapitel82

12. Kapitel87

13. Kapitel92

14. Kapitel98

15. Kapitel102

16. Kapitel108

17. Kapitel115

18. Kapitel130

Die Fortsetzung der Seelenwächter:134

Impressum135

Die Chroniken der Seelenwächter

Der Feind in mir

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

War es das gewesen?

Akil stand in dem unterirdischen Tempel vor den beiden versteinerten Körpern von Nawid und seiner Prinzessin und starrte in das Loch, in das er soeben die Münze geworfen hatte.

Plopp.

Weg war sie.

Sie hatte exakt hineingepasst, war in dem dunklen Nichts verschwunden wie ein Stein in einem schwarzen See. Blieb nur die Frage, ob sie die richtigen Wellen schlug – oder alles gleich überschwappen würde.

Das gesamte Netz bricht zusammen, und Agash wird freikommen. Das waren Wills Worte an Akil gewesen.

Nawid und die Prinzessin hatten vor zweitausend Jahren, gemeinsam mit ein paar Mönchen, ein ausgeklügeltes System entworfen, wie sie Agash bannen konnten. Sie hatten alle Münzen eingesammelt, die von den Wanderern unters Volk gebracht worden waren; sie hatten sie in einem Ritual dafür verwendet, ein Netz über Agash zu spannen, um ihn für immer gefangenzuhalten. Eine Münze war aus diesem Netz entfernt worden und die Macht des Dämons an die Oberfläche gesickert. Dummerweise hatte ausgerechnet Anthony sie gefunden, und natürlich hatte er nicht gezögert, sich ihre Magie zunutze zu machen.

Nach langem Hin und Her war Akil schließlich in den unterirdischen Tempel gelangt; an den Ort, zu dem die Münze zurückgebracht werden musste.

Was er soeben getan hatte.

Vermutlich hätte er warten sollen, bis Will mehr darüber herausgefunden hatte, aber er hatte es nicht mehr ausgehalten. Jaydee und Jess befanden sich zu lange in Anthonys Gewalt. Akil hatte handeln müssen.

»Komm schon«, sagte er leise. Er wusste nicht, worauf er wartete, ob es besser war, wenn die Höhle erbebte oder ob dieses Schweigen bedeutete, dass er das passende Loch für die Münze gewählt hatte. »Ich bräuchte ein Zeichen!«

Etwas, das ihm signalisierte, dass er das Richtige getan hatte!

Er ballte die Hände zu Fäusten, hätte am liebsten in der Erde gegraben, um nachzusehen, ob alle Münzen an ihrem Platz waren. Die Haut unter seinem Armband juckte. Er trat einen Schritt nach vorne und ging in die Hocke. Kühle Luft strömte ihm aus dem Loch entgegen, in dem er eben die Münze versenkt hatte. Akil streckte die Hand aus, wollte sie darauflegen, als die Erde grollte.

Steinchen hüpften zu seinen Füßen auf und ab, wie kleine Käfer. Akil blickte sich um. Von den Wänden bröckelte ebenfalls der Putz, Dreck rieselte auf seine Schultern. Er stand auf und fegte ihn weg.

»Heißt das, es hat funktioniert?«

Oder würde gleich alles zusammenkrachen? Die Höhle konnte Akil nicht viel anhaben, er war ein Erdwächter, steckte quasi mitten in seinem Element. Selbst wenn sie ihn verschütten sollte, wäre es nicht schlimm.

Für einen Menschen glich es einer Horrorvorstellung, lebendig begraben zu werden, für Akil war es wie Urlaub. Wenn er an seinen Kraftplatz ging, um bei seinem Element zu sein, begab er sich sogar freiwillig unter die Erde.

Das Grollen erklang erneut. Tiefer, bedrohlicher. Als hätte Akil soeben ein Wesen geweckt, das geschlafen hatte ...

Vielleicht hatte er doch die falsche Öffnung erwischt?

Aus den Löchern stieg Rauch auf, brachte den Geruch des Todes mit sich, so beißend und stechend, dass Akil sich die Hand vor die Nase halten musste.

»Bei Ahriman.«

Er wich an die Tür, machte sich bereit abzuhauen. Den Weg durch das Labyrinth kannte er blind. Kein Erdwächter konnte sich je verirren.

Ein großer Steinbrocken löste sich von der Seite und fiel neben Akil zu Boden. Von den Wänden stürzte Geröll, die Adern mit der schwarzen Flüssigkeit platzten auf. Das Zeug tropfte am Gestein herunter. Es roch nach Blut.

»Aaakilll ...«, zischte auf einmal eine tiefe Stimme.

Agash.

Er wusste es, obwohl er selbst nie in Kontakt mit dem Dämon gekommen war. Lediglich bei der Wunscherfüllung hatte er seine Energie gespürt, die seinen Körper geflutet und mit einer tiefen Befriedigung zurückgelassen hatte. Akils Brust zog sich zusammen. Die Stelle, auf der früher Agashs Mal geprangt hatte, juckte. Er presste die Finger flach darauf, fühlte sein Herz, das viel zu schnell schlug.

Ruhig bleiben.

Atmen.

»Wünsch dir wassss ...!«

Akils Nackenhaare stellten sich auf. In zweitausend Jahren Seelenwächterzeit hatte er mehr als genug erlebt und zig Dämonen bekämpft. Aber das hier war anders. Er trat rückwärts aus dem Raum. Weitere Steine stürzten von der Decke, die Erde bebte heftiger. Der Rauch, der aus den Löchern stieg, kroch an den Statuen von Nawid und der Prinzessin nach oben, er schlängelte sich um sie, glitt über ihre Arme, bis er sich in dem Becken, das ihre Hände bildeten, sammelte. Erstaunlicherweise bekamen die beiden nichts von dem herabstürzenden Geröll ab; als steckten sie unter einem Schutzschild.

Der nächste Stein fiel und landete vor Akils Füßen. Ein weiterer folgte eine Sekunde später. Die Wand neben Akil krachte ein, er sprang nach hinten, konnte sich geradeso in Sicherheit bringen.

»Aaakill ...« Ein Gesicht bildete sich aus dem Nebel. Eines, das er nur allzu gut kannte; denn es hatte ihn eine ganze Weile auf seiner Brust begleitet.

»Du gehörst mirrrr ...«

Der katzenartige Skelettkopf des Dämons starrte ihn aus dem Dunst an. Akil bekam kaum noch Luft, musste sich zu jedem Schritt zwingen. Sein Körper fühlte sich klein und schwach an. Er spürte die dreckigen Lumpen an seinem Leib, die er früher getragen hatte, seine mickrigen Glieder, das bohrende Gefühl des Hungers in seinem Bauch.

Ich habe das falsche Loch erwischt. Ich habe das falsche Loch erwischt!

Der Rauch waberte auf ihn zu, ein Stein plumpste von der Decke auf Agashs Kopf, doch natürlich konnte der dem Nebel nichts anhaben. Agash knurrte bedrohlich, riss sein Maul auf und schoss auf Akil zu. Er fuhr herum, wich weiterem Geröll aus und rannte zurück durch die verzweigten Gänge des Labyrinths.

Immer mehr Steine krachten von der Seite und der Decke herunter, machten das Vorankommen schwer. Agash holte auf, er breitete sich hinter Akil aus, erfüllte mit seiner Nebelgestalt den kompletten Gang.

Akil sprang über Geröll, wurde von einem Stein an der Schulter erwischt. Er strauchelte, fing sich, bog nach rechts ab, dann wieder nach links, stetig dem Ausgang entgegen. Ein Brocken traf ihn an der Stirn, hinterließ eine Platzwunde, die sofort heilte. Akil wischte das getrocknete Blut aus den Augen und rannte durch eine der zahlreichen Türen, die er vorhin gemeinsam mit Coraline geöffnet hatte. Agash brüllte hinter ihm.

Akil kam zur ersten Tür. Sie war von einem großen Steinquader verschlossen gewesen. Akil hatte sie mit Hilfe seines Blutes geöffnet. Kurz überlegte er, ob er sie schließen sollte, aber dazu fehlte ihm die Zeit. Er rannte schneller, eilte durch die Gänge, ohne auch nur einmal über den Weg nachzudenken. Sein Instinkt leitete ihn.

Akil machte Meter gut, Agash fiel zurück, aber er ließ nicht von seiner Verfolgung ab.

Schließlich gelangte Akil zur vorletzten Tür. Nun hielt er doch an und blickte sich um. Vorhin war sie zur Seite geglitten, wie eine Schiebetür.

Er fand den Felsbrocken, der den Durchgang versperrt hatte. Akil zückte das Messer von seinem Gürtel, schnitt sich in die Handfläche und legte die Hand auf den Stein. So hatte er sie geöffnet, womöglich ließ sie sich so auch schließen. Der Felsen ruckelte, aber er bewegte sich nicht.

»Verflucht!« Akil stemmte sich dagegen, versuchte, die Felsentür zurück an ihren Ursprungsplatz zu schieben. Sie rollte nur langsam. Er grub die Füße in den Boden, krallte sich in das Gestein und drückte mit aller Kraft, die er aufbringen konnte.

Die Energie seines Elementes flutete ihn. Akil war unter der Erde, es war überall um ihn herum. Genau wie Agash. Der Nebel bewegte sich unaufhaltsam auf ihn zu. Akil würde es niemals rechtzeitig schaffen, den Durchgang zu verriegeln.

Ein Steinbrocken stürzte von der Seite, traf Akil am Hinterkopf. Weitere folgten und regneten auf ihn herab, als hätte sich diese verfluchte Höhle gegen ihn verschworen!

Er ließ von der Felsentür ab und rannte weiter. Noch eine blieb übrig, vielleicht schaffte er es dort.

Akil bewegte sich in Richtung Ausgang, während Agash ihm unbeirrt folgte. Der Nebel holte auf, erwischte ihn am Fuß. Die Berührung brannte, als wäre er in heißen Wasserdampf getreten. Agash packte Akils Knöchel, riss daran. Er stürzte der Länge nach hin, schüttelte den Dunst ab und zog seinen Fuß zurück.

»Mirrr ... du gehörst mirrr ...«

Die Angst von damals kroch in Akil hoch. Der Moment, als er begriff, dass er verflucht worden war, dass es nichts gab, was er tun konnte, um das Unheil abzuwenden. Und, noch schlimmer: Als Azam – sein bester Freund – ihm voller Stolz die Münze gebracht und sich somit selbst in die Gefahr gestürzt hatte.

Der Nebel kam näher und näher, Akil robbte rückwärts, zwang seinen Körper zum Handeln.

Ich bin kein Kind mehr!

Kein Opfer.

Er drehte herum, sprang auf die Füße und eilte Richtung Ausgang. Lichter flackerten in der Ferne, vermutlich warteten Anna und Coraline auf ihn. Er hatte sie vorhin weggeschickt, weil er nicht wusste, was passieren würde, sobald er die Münze versenkt hatte.

Ich habe das falsche Loch gewählt!

Er war sich so verdammt sicher gewesen, er hatte seiner Intuition vertraut, seinen Instinkten!

Tja, offenkundig konnte er sich nicht darauf verlassen.

»Lauft!«, schrie er, in der Hoffnung, Anna und Coraline könnten ihn hören. »Er ist draußen. Agash ist frei!«

»Akil!«, rief Anna und erschien im Durchgang. Das Licht rahmte sie von hinten ein, ließ ihre hellen Haare wie einen Leuchtkranz um sie schimmern.

»Verdammt, geh da weg!«

»Schneller!«, rief sie und kam ihm entgegen.

Der Nebel streifte Akils Rücken, verätzte seine Haut. Er hustete, rannte blindlings voran, weiter auf das Licht zu.

»Hau ab, hab’ ich gesagt!«

»Komm!« Sie griff nach seinem Arm und zerrte ihn mit sich. Akil stolperte fast, weil er nicht mithalten konnte. Anna rannte mit ihm in den Tunnel und bog sofort nach rechts ab. »Jetzt, Will!«

Sie drückte sich mit Akil gegen die nächste Wand, der Nebel waberte durch die Tür nach draußen. Erst verstand Akil nicht, was passierte, doch dann erkannte er es.

Will stand in der Mitte des Ganges und hielt ein Buch in einer Hand. Die andere hatte er nach vorne gestreckt, als könnte er den Nebel mit dieser bloßen Geste aufhalten.

Er rezitierte fremde Worte. Akil kamen sie bekannt vor, sie erinnerten ihn an seine Muttersprache, aber er verstand sie nicht.

»Was tut er da?«, fragte er Anna.

»Er vollendet das Ritual.«

»Aber ich habe das falsche Loch erwischt.«

»Hast du nicht.«

Will erhob die Stimme, trat nach vorne, der Nebel blieb vor ihm stehen, wurde ausgebremst, als träfe er auf eine Mauer. Agashs Abbild formte sich in dem Rauch, er riss den Rachen auf, brüllte so laut, dass die Erde bebte.

Gebannt verfolgte Akil das Schauspiel, die Luft biss in seinen Augen, ließ sie tränen. Will lief weiter auf den Nebel zu, während der wie ein verängstigtes Tier zurückwich und im Labyrinth verschwand. Anna nahm Akil an der Hand, führte ihn von der Tür weg.

Der Felsen, der vorhin den Durchgang versperrt hatte, ruckelte zur Seite und verschloss langsam die Öffnung; der Nebel wurde zurückgezogen, als würde ihn jemand einsaugen.

Will schrie die letzten Worte hinaus. Er klappte das Buch zu, ließ es fallen und legte beide Hände flach auf die Tür, die die restlichen Zentimeter überbrückte und Agash mit einem lauten Rumms einschloss.

Der Knall hallte lange in dem Tunnel nach. Das Symbol Agashs, das von außen auf der Tür angebracht war, leuchtete rot auf. Es zischte und stank nach verbranntem Fleisch. Akil fasste an seine Brust, das Brennen schien sich dort fortzusetzen und die Überreste des Dämons aus seinem Körper zu ätzen.

Und dann war es still.

Für Sekunden hörte Akil nur seinen eigenen Herzschlag und den von Will und Anna. Er atmete tief ein, nahm Annas Mandarinenduft wahr und den nach abgebrannter Kohle von Will.

»Was zum Henker ist eben passiert? Und wo ist Coraline?«

»Ich habe das Ritual vollendet«, sagte Will. »Coraline wartet oben, wir müssen sie noch nach Hause bringen.« Er hob das Buch auf. Der Einband war alt und staubig, ein in Pergament geschlagenes Werk, das offenbar einige Jahre auf dem Buckel hatte. »Das habe ich in einer Bibliothek bei Naél gefunden.«

»Du warst in Kairo?« Naél war einer der älteren Seelenwächter, er lebte schon seit zwei Jahrhunderten mit seiner Familie in Ägypten.

Will nickte. »Ich bin den Querverweisen aus unseren Büchern gefolgt und habe mich umgehört. Naél konnte mir schließlich weiterhelfen. Er hatte das Buch in seiner Sammlung und lieh es mir aus.«

»Was hast du denn gesagt, wozu du es brauchst?«

»Ich meinte nur, dass ich dir helfen wollte, einige Dinge aus deiner Vergangenheit zu klären.«

Akil nickte. Naél war ein Luftwächter. Er war konservativ, aber hilfsbereit. »Warum zum Henker ist der Nebel ausgetreten, wenn ich das richtige Loch gewählt habe?«

»Erstens war es nur ein Teil von Agash, der freikam. Und zweitens musste das Netz, das Nawid und die Prinzessin damals gelegt hatten, mit diesen letzten Worten, die ich vorgelesen habe, wieder aktiviert werden. Leider fand ich den Hinweis erst, nachdem wir gesprochen hatten. Ich hatte euch noch angefunkt, dass ihr warten solltet, aber euch nicht mehr erreicht.«

»Die Tunnel ...« Sie schirmten alles ab.

»Ich bin so schnell wie möglich hergekommen und traf Anna und Coraline draußen. Sie haben mir gesagt, was du machst.«

»Also ist der Spuk vorüber, bis wieder jemand eine Münze findet.«

»Dieses Mal nicht«, sagte Will. »Ich lege einen zweiten Schutz aus, damit keine der Münzen sich mehr an die Oberfläche graben kann. Agash wird für immer hinter diesen Wänden gefangen bleiben. Ich verspreche es dir.«

Akil atmete tief ein und sah auf das verblasste Symbol an der Wand.

Für immer gefangen.

Das klang wie Musik in seinen Ohren.

»Was ist mit Anthonys Magie?«, fragte Anna. »Hat das einen Effekt darauf?«

»Ich hoffe es«, antwortete Will. »Sobald wir an der Oberfläche sind, starte ich einen zweiten Suchzauber nach Jaydee. Kannst du Coraline in der Zeit heimbegleiten und Ben abholen, Anna? Er ist noch in der Wohnung von Dylan.«

»Natürlich.«

Ein leichtes Lächeln erhellte seine Züge. Der Kerl war so dermaßen verschossen, dass es Akil fast leidtat. Will schwänzelte schon seit Jahrhunderten um Anna herum, ohne ihr näherzukommen. Doch erstaunlicherweise erwiderte sie die Geste. Sogar ihr Herzschlag erhöhte sich.

Interessant.

Sie kam zu Akil und strich mit ihren kühlen Fingern über seine Wange. Der Duft nach Mandarine vertrieb den Staub aus den Tunneln, durch die er eben gehetzt war. »Das hast du gut gemacht.« Ihre Finger glitten an sein Herz und drückten sachte zu.

»Danke.« Er legte seine Hand auf ihre. »Jetzt lasst uns Jaydee und Jess zurückholen.«

2. Kapitel

Jaydee

Anthony hielt Jess‘ Nacken nach hinten gedrückt. Ihr eigenes Messer ruhte an ihrem Hals. Blut tropfte von der Schneide und landete vor ihr auf dem Boden. Sie keuchte vor Anstrengung, konnte nicht eine Bewegung machen, ohne sich dadurch noch mehr zu verletzen.

Anthony hatte uns da, wo er uns haben wollte. Erst hatte er uns über die Tattoos verbunden, hatte alle Emotionen und Gefühle, die wir in den letzten Tagen geteilt hatten, gegen uns verwendet und uns in die Tiefen unseres eigenen Selbst gezerrt.

Jess und ich.

Vereint über Magie, die ihr, wegen des schwarzmagischen Zaubers in ihrem Blut, schaden konnte und es auch getan hatte. Als Anthony sie ein zweites Mal an mich hatte koppeln wollen, hatte sich Jess‘ Haut abgeschält und Blasen geschlagen; so heftig, bis die Tattoos auf ihrem Arm ausgebrannt waren und Anthony sein Vorhaben nicht mehr durchziehen konnte.

Was ihn allerdings nicht stoppte: Er hatte Jess überwältigt und bedrohte sie nun mit dem Messer ihrer Mutter.

Ich lag vor ihr. Nur einen Meter entfernt, unfähig, mich zu rühren, weil Anthony meinen Körper mit Tattoos gelähmt hatte.

Ich starrte auf die Zeichen, die meinen Arm zierten. Das einzige, was ich noch bewegen konnte, waren meine Augen und die Muskeln, die ich zum Atmen brauchte.

Jess keuchte. Ihre Arme zitterten. Ich musste nicht mehr mit ihr verbunden sein, um zu spüren, was sie fühlte. Der Geruch nach Angst und Panik erfüllte den Raum.

Der Jäger brodelte. Gefangen, genau wie ich. Er duldete es nicht, wenn jemand anderes ihr wehtat. Er wollte der einzige sein, der Kontrolle über sie hatte. Sie gehörte ihm.

Mir.

Uns.

Sie war für mich erschaffen worden!

Anthony lachte leise. Er wartete auf eine Reaktion von mir, beugte sich tiefer und suchte nach der Furcht in meinen Augen, der Trauer, der Hoffnungslosigkeit oder auch dem Hass, den er auf sich zog. Ich erwiderte den Blick, legte alles hinein, was ich an Zorn in mir hatte.

»Du gibst nicht auf, oder?«, fragte er.

Nein. Nicht wenn ich wusste, dass es nichts brachte. Anthony würde sie so oder so umbringen, den Spaß konnte er sich nicht entgehen lassen. Das einzige, was ich noch bei der ganzen Sache kontrollieren konnte, war die Art meiner Reaktion.

Jess gab einen leisen Laut von sich. Kein Wimmern, kein Schluchzen. Sie wollte kämpfen, ich spürte es.

Anthony drückte sein Knie zwischen ihre Schulterblätter, fixierte ihren Kopf und hielt mit einer Hand das Messer an ihre Kehle. Sie konnte nur aus dieser Position kommen, wenn sie schnell und stark genug war, um einen gezielten Hieb gegen ihn zu landen. Aber das war sie nicht mehr. Diese Prozedur hatte sie genauso ausgelaugt wie mich.

»Na schön. Wenn das alles ist, kann ich es auch beenden«, sagte Anthony und drückte die Klinge fester auf.

Ich hielt die Luft an, Jess ebenso. Ich fokussierte mich voll und ganz auf sie, versuchte, die Umgebung auszublenden und sie mit in diesen Raum zwischen uns zu nehmen, in dem nur wir Platz hatten.

»Jaydee ...«, keuchte sie. Ihre Finger ballten sich zur Faust. Sie wollte nicht sterben, hoffte wohl darauf, dass uns irgendein Wunder retten konnte. Vielleicht sogar, dass ich dieses Wunder sein würde, aber ich fürchtete, unser Glück war aufgebraucht.

»Bye-Bye, Lovers«, sagte Anthony und drückte zu.

Ich knurrte, ließ den Zorn zu, den der Jäger mit sich brachte, doch auch das half mir nicht weiter. Mein Körper klebte am Boden fest, als wäre er mit ihm verwachsen. Ich spannte die Muskeln an, schickte alles, was ich aufbringen konnte, in meine Glieder.

Jess keuchte, als die Klinge tiefer in ihre Haut schnitt. Ich wollte nicht hinsehen, musste es aber. Wenn es das tatsächlich gewesen war, wenn das unsere letzte gemeinsame Minute war, musste ich bei ihr bleiben.

Auf einmal ging ein Grollen durch die Höhle.

Es klang bedrohlich und dunkel und kam von tief unter der Erde.

Anthony hielt inne und blickte herum. Ich fühlte die Vibrationen, der Boden bebte, Felsbrocken lösten sich von den Wänden und regneten von der Decke auf uns nieder.

Das Beben erklang erneut. Lauter dieses Mal.

»Verdammt, was ist ...« Auf einmal ließ Anthony von Jess ab und fasste sich an den Hals. Er röchelte, bekam keine Luft. Zeitgleich ging ein Kribbeln durch meinen Körper. Es fühlte sich an, als würde ich mit Brause abgeduscht. Das Leben kehrte in meine Glieder zurück, es prickelte und juckte überall.

Ich atmete tief ein, meine Lunge füllte sich mit Sauerstoff. Mein Arm zuckte, genau wie meine Hand.

Verfluchte Scheiße, ich kann mich bewegen!

Anthony starrte auf seine Haut, seine Tattoos wurden heller.

»Was soll das?« Er ließ das Messer fallen, schüttelte ungläubig den Kopf. Sein Herz beschleunigte. Es dauerte nur zwei Sekunden, bis Jess begriff, was passierte. Sie nutzte ihre Chance, nahm die Klinge und rammte sie ihm in den Fuß.

Anthony schrie. Sie holte mit dem Ellbogen aus, verpasste ihm einen Kinnhaken zum Nachklang. Er zog den Dolch heraus, sprang zur Seite, war aber zu perplex, um sich zu wehren. Jess wollte sich erneut auf ihn stürzen, doch Anthony zog das gesunde Bein an und trat gegen ihren Oberkörper. Sie flog nach hinten. Ich blickte auf meinen Arm. Die frisch gestochenen Zeichen verblassten, ebenso die Markierungen, die rings um mich herum aufgemalt waren und mich in dieser verdammten Barriere hielten.

Der Mistkerl verliert seine Macht.

Die Erkenntnis trieb so viel Energie in meine Zellen, dass ich mich kaum halten konnte. Der Jäger riss sich von seinen Fesseln, schneller und intensiver, als ich es je für möglich gehalten hatte. Ich ließ es zu, konnte nicht anders. Ich stemmte mich auf die Hände und genoss, wie das Leben zurück in meinen Körper floss und gleichzeitig durch das Gift von Jess‘ Dolch behindert wurde. Mein Arm pochte schmerzhaft, wie die entzündete Wunde in meiner Schulter. Aber das interessierte mich nicht. Jetzt zählte nur noch eins: Ich war frei!

Endlich war ich frei!

Die Tattoos auf meiner Brust, die dafür gesorgt hatten, dass Jess und ich uns hatten anfassen können, kribbelten. Ich blickte an mir hinab, sie wurden blasser, aber anscheinend dauerte es länger, bis auch sie versiegten. Ich kratzte darüber, der Jäger wollte sie loshaben. Für immer.

Ich starrte zu Jess, fixierte sie, erst zuckte sie bei meinem Anblick, aber sie fing sich recht schnell, bückte sich nach der Feder, die vor ihr lag, und hielt sie angriffsbereit. Sie zielte abwechselnd auf mich und auf Anthony. Hin und her.

Ein Teil von mir war stolz auf sie, der andere wollte lieber mit ihr spielen. Der Jäger und sie. Beide in einem Raum. Frei und ungeschützt.

Endlich!

Anthony umklammerte den Dolch, sprang auf die Füße. Weitere Tattoos verschwanden von seiner Haut, bei einigen ging es schneller als bei anderen. Das Kreuz, das ich ihm in die Stirn geritzt hatte, stach nach wie vor satt schwarz heraus. Er starrte mich an. Starrte Jess an, dann wirbelte er herum und stürmte hinaus.

Und besiegelte sein Schicksal.

Der Jäger reagierte auf Beute, die vor ihm floh.

Jess musste warten! Ich schloss kurz die Augen, kämpfte die Gier ein letztes Mal hinunter und suchte nach dem Quäntchen Vernunft, das noch in mir war und ihr niemals schaden konnte.

»Lauf davon«, presste ich zwischen den Zähnen heraus. »Lauf und komm nicht für mich zurück.«

»Aber ...«

Ich funkelte sie an. Sie erschrak und trat nach hinten gegen die Wand.

»Tu es, verflucht!« Meine Stimme klang harsch. Beißend. »Ich weiß nicht, was ich ... wie ich mich ...« Bitte, wollte ich nachschieben. Renn einfach weg. Ich brachte es nicht heraus. Sie verstand mich trotzdem.

»Okay«, hauchte sie.

Die Tattoos, die uns zusammengehalten hatten, starben ebenfalls, ich fühlte, wie ihre Wirkung nachließ und die Schutzmauer zwischen uns zerstört wurde.

»Jaydee, ich ...«

Bevor sie mehr sagen konnte, sprintete ich zur Tür hinaus.

Hinter Anthony her.

Der Mistkerl würde büßen.

Für alles.

3. Kapitel

Keira trat mit Coco aus dem Portal und atmete tief ein. Wie bei ihrer ersten Reise spürte sie dieses Kribbeln auf ihrer Haut, als würde sie jemand ganz sanft mit einer Feder abstreichen. Es war die Energie der Seelenwächter, das Wirken ihrer Macht, das so wohltuend und beruhigend wirkte wie ein angenehmer Sommerregen.

»Mh ...«, raunte Coco neben ihr und genoss es genauso. »Wenn es nicht so lästig wäre, jedes Mal einen passenden Menschen zu finden und dieses Ritual abzuhalten, würde ich den ganzen Tag herumreisen. Nur, um das zu erleben.«