Die Chroniken der Seelenwächter - Band 6: Spiel mit dem Feuer - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 6: Spiel mit dem Feuer E-Book

Nicole Böhm

5,0

Beschreibung

Joanne hat es geschafft. Sie ist ins Haus der Seelenwächter eingedrungen, um die Pläne ihres Meisters voranzubringen. Jess kämpft um ihr Überleben, denn Joanne scheut vor keiner Grausamkeit zurück, um ihr Ziel zu erreichen. Während sie im Haus der Seelenwächter alles vorbereitet, treibt Ralf grausame Spiele mit seinem Bruder. Auch Jaydee findet sich in einer gefährlichen Situation wieder. Er ist fernab seiner Freunde in einem fremden Ort gestrandet. Um zurück nach Hause zu kehren, muss er sich mit jemandem verbünden, der nicht mit offenen Karten spielt. Das Spiel mit dem Feuer beginnt. Und nicht alle werden diesen Kampf mit den Flammen überleben. Dies ist der 6. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Seitenzahl: 182

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel3

2. Kapitel18

3. Kapitel23

4. Kapitel27

5. Kapitel33

6. Kapitel40

7. Kapitel44

8. Kapitel51

9. Kapitel56

10. Kapitel60

11. Kapitel68

12. Kapitel73

13. Kapitel79

14. Kapitel87

15. Kapitel98

16. Kapitel103

Die Lesereihenfolge von der Serie »Die Chroniken der Seelenwächter«122

Die Fortsetzung der Seelenwächter:123

Impressum124

Die Chroniken der Seelenwächter

Spiel mit dem Feuer

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

Jaydee

Die Landung war hart. Ich überschlug mich ein paar Mal, rutschte auf einem sandigen Boden einige Meter und blieb schließlich auf dem Bauch liegen. Mein Shirt und meine Jacke qualmten, meine Haut brannte vor Kälte. Der plötzliche Rauswurf aus dem Portal hatte die Temperaturen so sehr abgesenkt, dass ich Frostbeulen bekommen hatte. Ich hustete und drehte mich auf den Rücken.

Es war Tag, ich lag irgendwo im Freien. Das Meer rauschte, der Boden war feucht. Ein Strand also. Ein paar Meter weiter rappelte sich Keira in die Höhe. Ihre Hände waren nach wie vor hinter ihrem Rücken gefesselt, doch sie kam erstaunlich gut damit zurecht und torkelte Richtung Promenade davon.

Sofort sprang ich auf und rannte ihr hinterher. Sie hörte mich kommen und beschleunigte ihre Schritte. Ich packte sie an ihren Handgelenken und zerrte sie an mich.

»Was zum Teufel hast du getan? Wo sind wir?«

Auch sie hatte Kälte-Verbrennungen, ein dünner Blutfaden lief aus ihrer Nase, quer über ihren Bauch zog sich ein langer Riss durch den Stoff und ihre Haut hatte Schürfwunden. Sie atmete schwer. »Ich … das wollte ich … ich hab nur …« Auf einmal ging ein Zittern durch ihren Körper, ihre Augen verdrehten sich. »Ich bekomme keine … Luft …«

Keira sackte gegen mich. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie versuchte zu atmen, doch es kam nur ein Röcheln heraus. War das ein Trick? Ich lauschte ihrem Herzen. Es raste in einem wilden Stakkato, als wollte es explodieren. Der Rauswurf hatte ihren Körper überfordert. Ich zog den Dolch aus meinem Stiefel und durchschnitt ihre Fesseln. Sie sank kraftlos in meinen Armen zusammen. Ich blickte mich um. Der Strand war fast menschenleer, doch dem Lärm der vorbeifahrenden Autos nach zu urteilen befand sich hinter der Promenade eine Straße.

Ich pfiff einmal. Wenn sich Amir in der Nähe aufhielt, würde er mich finden. Wahrscheinlicher war allerdings, dass er längst zu Hause war. Bei der Reise im Portal legte man binnen Sekunden Tausende von Meilen zurück. Ein Wimpernschlag, und man hatte den Atlantik überquert.

Keira krallte sich in mein Shirt und keuchte dumpf. Sie glühte, während ihre Haut eiskalt war. Ich hob sie auf die Arme und lief mit ihr zur Promenade hoch. Wie weit waren wir vom Kurs abgekommen? Wo waren wir überhaupt? In welchem Land, auf welchem Kontinent? Mit wenigen Schritten erreichte ich die Straße und sah mir die Schilder an. Wir waren in Amerika. Auf den meisten Nummernschildern war ein Delfin oder die Aufschrift »Sunshine State«. Florida also.

Die Straße war zweispurig und mäßig befahren. Ich drehte mich um die eigene Achse. Keiras Herz raste weiter. Auf einmal bohrten ihre Nägel sich schmerzhaft in meinen Oberarm. Sie schnappte nach Luft, verkrampfte ihre Muskeln. Dann erschlaffte sie …

»Hey!«, schrie ich sie an, doch ich erhielt keine Antwort. »Ach verdammt. Komm schon.« Vorsichtig bettete ich sie auf den Gehweg und lauschte erneut in ihren Körper. Ihr Herz schlug nicht mehr und sie hatte aufgehört zu atmen. »Na großartig.«

Ich riss ihre Bluse auf, beugte mich über sie, legte meine Hände zwei fingerbreit über ihr Brustbein und begann mit der Herzmassage. Mikael musste früher regelmäßig an Erste-Hilfe-Kursen teilnehmen. Eigentlich wollte er, dass ich das ebenfalls tat, wobei ich sowieso niemanden hätte wiederbeleben können, wegen meiner Empathie. Also hatte ich mich immer vor den Kursen gedrückt, aber dafür oft genug zugeschaut, um zu wissen, was zu tun war. Wäre Akil hier, hätten wir Keira im Nu wieder fit. Einmal Heilenergie und fertig.

»Oh, mein Gott!«, rief eine Frau plötzlich und hielt neben mir mit ihrem Fahrrad an. »Was ist passiert?«

»Rufen Sie einen Notarzt!«, brüllte ich ihr zu, während ich Keira reanimierte. »Sie lag bewusstlos am Strand.«

»O-Okay«, stammelte sie und zückte ihr Handy.

Die Frau rief um Hilfe und ich kämpfte weiter um Keiras Leben, gab ihr abwechselnd eine Herzmassage und beatmete sie. Auch wenn sie mich ziemlich geärgert hatte, konnte ich sie nicht einfach wegsterben lassen.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis ich die Sirenen hörte. Ich blickte kurz auf. Der Krankenwagen kam die Straße heruntergejagt und bremste vor uns. Dann ging alles sehr schnell: Der Notarzt und ein Sanitäter sprangen aus dem Auto und begannen sofort mit der Untersuchung.

»Wie lange ist sie schon weggetreten?«, fragte der Arzt, während der Sanitäter seinen Notfallkoffer auspackte und die Herzmassage für mich übernahm.

Ich stand auf, damit sie mehr Platz hatten. »Ungefähr zwei Minuten.«

»Was ist passiert? Woher hat sie die Brandwunden?«

»Keine Ahnung. Ich bin am Strand spazieren gegangen, als sie mir entgegengeschwankt kam. Dann ist sie umgekippt und ich habe sie auf die Straße getragen.«

»Sind Sie selbst verletzt? Ihr Shirt ist zerrissen.«

Ich blickte an mir hinab. Meine Klamotten hatten einiges abbekommen, aber sonst war natürlich keine Wunde zu sehen.

»Nein, ich bin nur gestürzt. Es ist nicht schlimm.«

»Sie hat Kammerflimmern«, sagte der Arzt und zog einen Defibrillator aus seinem Koffer. »Alle weg.«

Ich beobachtete den Arzt und den Sanitäter eine Weile und lauschte in Keiras Körper. Ihr Herz reagierte noch nicht auf die Behandlung. Der Arzt spritzte ihr ein Medikament und verpasste ihr einen weiteren Schock. So zog sich das Spektakel eine Weile hin. Ich lief auf und ab und wartete, dass die Behandlung anschlug. Wenn überhaupt.

»Achtung«, rief der Arzt.

Keira schnappte nach Luft und riss die Augen auf. Sofort fing sie an, um sich zu schlagen.

»Bleiben Sie ruhig, Ma'am.« Der Sanitäter drückte sie wieder nach unten.

»Wie heißen Sie?«

Ich blieb stehen und wand mich ihr zu. Sie blickte umher, als würde sie irgendetwas suchen, und fing meinen Blick ein. Zum ersten Mal flackerte Unsicherheit in ihren Augen auf. Unsicherheit und Angst.

»Ma'am. Antworten Sie, bitte.«

»Keira …«, stammelte sie. »Keira Bennett.«

»Hatten Sie einen Unfall?«

»Ich … ich weiß nicht.«

»Wir fahren Sie jetzt ins Krankenhaus. Bleiben Sie einfach ruhig liegen.«

Der Sanitäter holte eine Trage und hob zusammen mit dem Arzt Keira sachte darauf. Sie ließ mich währenddessen nicht aus den Augen.

Ich rührte mich nicht. Besser wenn alle dachten, ich wäre tatsächlich zufällig vorbeigekommen. Es würde nicht schwer für mich sein herauszufinden, in welches Krankenhaus sie gebracht würde, und dort könnte ich sie abpassen.

Der Sanitäter wollte Keira gerade in den Wagen schieben, als sie ihn am Arm griff, damit er innehielt. »Er soll mit.« Sie deutete mit dem Kopf auf mich.

Der Sanitäter drehte sich herum. »Das geht eigentlich nicht.«

»Bitte«, sagte Keira erneut.

Ich zog die Augenbrauen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Was sollte das?

»Bitte«, sagte sie erneut.

»Also schön«, sagte der Mann schließlich. »Steigen Sie vorne ein.«

Die Fahrt ins Krankenhaus verlief unspektakulär. Ich verhielt mich weiterhin ruhig, damit der Sanitäter mich möglichst schnell wieder vergaß. Schlimm genug, dass er mich noch mal nach meinen zerrissenen Klamotten fragte und ob wirklich alles in Ordnung sei. Nach einer weiteren Versicherung meinerseits gab er es auf, und da ich keine Wunden hatte, gab es an mir auch nichts zu verarzten.

Endlich kamen wir am Krankenhaus an. Keira wurde sofort auf die Intensivstation gebracht und versorgt. Die Schwester am Empfang stellte mir die gleichen Fragen wie der Sanitäter zuvor, ich gab die gleichen Antworten:

Nein, ich weiß nicht, wer die Frau ist.

Ja, ich bin zufällig vorbeigekommen.

Nein, ich bin nicht verletzt.

Diese ganze Aktion ging mir tierisch auf die Nerven, aber ich würde mich benehmen und mitspielen. Solange ich hier war, sollte ich so wenig wie möglich auffallen, und vor allen Dingen musste ich den anderen zu Hause mitteilen, wo ich war. Es kam immer mal wieder vor, dass ein Seelenwächter während des Ritts zwischen den Welten vom Pferd stürzte und irgendwo landete, aber die wussten sich zu helfen. Im Normalfall konnten sie mittels der Elemente andere Seelenwächter verständigen, so wie Akil damals vor dem Club mit Hilfe des Sandes auf dem Spielplatz Ilai kontaktiert hatte. Dummerweise konnte ich das nicht.

Mit diesen Grübeleien hielt ich mich die nächsten zwei Stunden beschäftigt. Ich lief im Wartebereich der Notaufnahme hin und her, trat nach draußen, schnappte frische Luft, ging wieder rein. Mein letzter Besuch in einem Krankenhaus war noch nicht lange her. Damals hatte ich Akil, Will und Anna zurückgeholt. Zum Glück war dieses hier kleiner, nicht so laut und hektisch wie die Notaufnahme in Riverside Springs. Außerdem hatte ich mittlerweile herausfinden können, wo ich war. Der Ort hieß Fort Winston und lag etwa einhundert Kilometer nördlich von Miami. Da ich noch nie von dieser Stadt gehört hatte, bezweifelte ich, dass hier Seelenwächter ansässig waren.

»Mr. Stevens?«, sagte die Schwester auf einmal.

Es war ungewohnt, meinen Nachnamen zu hören. Seit ich mein menschliches Leben mehr oder weniger hinter mir gelassen hatte, musste ich ihn selten benutzen. Ich drehte mich zu ihr um. Es war eine andere Schwester als vorhin. Offenkundig hatte es einen Schichtwechsel gegeben.

»Ja«, sagte ich und lief zu ihr.

Sie war Anfang zwanzig, hatte dunkelblondes langes Haar und recht schöne Gesichtszüge. Außerdem wurde sie rot bis in die Haarspitzen, als sie mir in die Augen blickte. Vielleicht hatte sie gerade ihre Ausbildung beendet oder steckte mittendrin oder was auch immer. Auf alle Fälle hatte sie noch nicht viel Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen.

»Ähm. Miss Bennett hat nach Ihnen gefragt. Sie liegt auf Zimmer 115. Den Gang hinunter und dann rechts. Es ist die Intensivstation.«

»Danke.« Ich lächelte sie an.

Sie strich sich eine Haarsträhne weg. »Sie können einfach durchgehen, ich habe Sie bereits auf der Station angekündigt.«

Wäre Akil hier, hätte er schon längst mit ihr geflirtet, und hätte ich Zeit, wäre ich auch nicht abgeneigt, aber es gab Wichtigeres zu tun. Ich nickte und folgte den Weganweisungen.

Kurz darauf klopfte ich an Keiras Zimmertür.

»Herein.« Ihre Stimme klang wieder kräftig.

Ich trat ein. Sie lag alleine im Raum und war mit einem Monitor verkabelt, der leise und gleichmäßig blinkte. Ihr Herz schlug wieder normal. Sachte schloss ich die Tür hinter mir und stellte mich vor das Bettende. Sie hatte mehr Farbe im Gesicht und ihre Brandwunden waren verbunden. Ihre Augen folgten jeder meiner Bewegungen, als machte sie sich darauf gefasst, sich verteidigen zu müssen.

»Wie geht's denn so?«, fragte ich.

»Besser. Die Ärzte wollen mich noch einigen Kardiotests unterziehen, aber im Großen und Ganzen fühle ich mich wieder fit.«

»Das ging ja ziemlich schnell.«

Sie setzte sich auf und verschränkte die Hände über der Bettdecke. Von ihrer anfänglichen Selbstsicherheit war nichts mehr zu sehen. Es war nicht spurlos an ihr vorbeigegangen, dass der Tod sie bereits in seinen Armen gehalten hatte. »Ich schulde dir mein Leben. Ohne dich wäre ich jetzt nicht mehr hier.«

»So ist es wohl.«

»Ich werde diese Schuld abtragen.«

»Und wie genau stellst du dir das vor?«

»Zunächst einmal wirst du vieles wissen wollen, also frag, was auch immer es ist.«

»Was bist du? Und wie hast du uns erst verprügeln können und dann in Athen auf einmal nicht mehr?«

Sie zog ihr Hemd ein Stück über ihre Schulter und entblößte einen Teil ihrer Tattoos. »Die sind für meine Kraft verantwortlich. Ein Freund von mir hat die Zeichen angefertigt. Sie sind magisch aufgeladen und verleihen mir übermenschliche Kraft, Geschwindigkeit, Ausdauer. Die Verbrennungen, die du bei der Berührung mit mir erhalten hast, kamen ebenfalls durch die Zeichen. Je stärker mein Gegner ist, umso mehr Energie bekomme ich, aber umso schneller brennen die Tattoos auch aus. Ihr beide habt mir ziemlich zugesetzt und ich hätte nicht mehr viel länger durchhalten können, daher bin ich abgehauen. Leider fehlte mir die Zeit, die Zeichen vor meiner Reise nach Athen erneuern zu lassen, so konnte ich dir beim zweiten Mal nicht mit meiner vollen Kraft gegenübertreten.«

»Hast du uns auch so aus dem Portal geworfen? Mit deinen Tattoos? Kurz vorher hatte ich das Gefühl, als würde Amir ins Straucheln kommen. Als hätte ihn etwas aus der Bahn geworfen.«

»Nein, das lag nicht an den Zeichen. Der gleiche Freund, der mich tätowierte, hat mir ein Mittel gegeben, das mir kurzzeitig die Fähigkeit verleiht zu teleportieren. Allerdings hält es nur für wenige Stunden und ich brauchte ein bestimmtes Tempo dafür. Ich wollte einfach nur nach Hause. Das mit dem Ort habe ich hinbekommen, alles andere ging leider schief.«

Also wohnte sie hier.

»Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas passieren kann. Dass es so weh tut. Ich dachte, mir zerreißt es den Brustkorb.«

»Vielleicht lässt du dann solche Aktionen in Zukunft bleiben.«

Sie zupfte an der Bettdecke herum und senkte den Blick. »Ja.«

»Warum das alles? Wieso hast du mich verfolgt?«

»Ich arbeite als …« Sie biss sich auf die Lippen. »Ich bin … also es ist schwer zu beschreiben. Ich bin eine Art Kopfgeldjägerin. Man kann mich anheuern und ich erledige spezielle Dienste.«

»Dienste übernatürlicher Art?«

»Ja. Ich habe mir einen ziemlich guten Namen gemacht. Vor eineinhalb Wochen rief mich einer meiner früheren Auftraggeber an. Ich hatte schon öfter Dinge für ihn erledigt, er wusste, dass ich zuverlässig bin. Er gab mir den Auftrag, nach einer Ariadne Lewis zu suchen. Er sagte, sie hatte die Aufgabe, in der alten Kirche die Energie einer Geisterbeschwörung zu neutralisieren, doch seither hatte er nichts mehr von ihr gehört.«

Ariadne? Da sieh mal einer an. »Wer ist dieser Typ? Was wollte er von Ariadne?«

»Das … das kann ich dir nicht sagen, es tut mir leid.«

»Kannst du nicht oder willst du nicht.«

»Du verstehst das nicht. Ich würde meinen Kopf verlieren, wenn das rauskommt. Diese Leute sind mächtig, sie scheuen vor nichts zurück und sie wissen es, sobald man sie verrät. Sie … sie spüren es.«

»Leute. Also sind es mehrere?«

»Hör bitte auf, mich danach zu fragen. Das Leben, das du mir eben gerettet hast, wäre im Nu wieder vorbei.« Sie blickte zum Fenster, als hätte sie Angst, dass sie jemand beobachtete. »Ich weiß nicht, wie sie es machen. Vielleicht mit Magie, aber sie wissen immer, wenn man mehr über sie preisgibt, als man darf. Der letzte, der sie verriet, lag am nächsten Tag mit aufgerissener Brust und ohne Herz auf der Straße.« Keira senkte den Kopf, ihre Finger krampften sich um die Bettdecke. Für eine Ewigkeit sagte sie gar nichts. »Es tut mir leid. Ich würde, wenn ich könnte.«

Ich nickte und musste ihr Schweigen wohl oder übel akzeptieren. »Erzähle weiter. Du hast also Ariadnes Spuren gesucht. Ich nehme an, du warst in der Kirche?«

»Genau. Dort fand ich übrigens auch den Jadestein. Frag nicht, warum ich ihn eingesteckt habe. Es war, als würde er mich rufen. Ich musste ihn mitnehmen, verstehst du?«

»Ja.« Manchmal geschahen solche Dinge, besonders bei Menschen, die sehr feinfühlig waren.

»Bei meinen Untersuchungen in der Kirche habe ich neben Ariadnes Signatur noch eine weitere gefunden, hinter der ich schon ewig lange her bin.«

»Coco.«

»So ist es.«

»Du hast bereits versucht, ihr Phantombild zu klauen. Was willst du von ihr?«

»Mich rächen.« Sie zog die Knie an und schlang die Arme darum, als müsse sie sich selbst festhalten. »Coco hat mein Leben zerstört. Sie hat meinen Vater getötet, als ich noch ein Kind war. Sie brach in unser Haus ein und bedrohte ihn. In dieser Nacht veränderte sich alles für mich. Durch Coco habe ich gelernt, dass es eine übernatürliche Welt gibt, dass Dämonen und Geister existieren und dass sie eine von ihnen war. In dieser Nacht blickte ich zum ersten Mal in die Fratze eines Teufels, und seither konnte ich den Blick nicht mehr abwenden. Coco wird für den Tod meines Vaters bezahlen. Ich will dieses Miststück bluten sehen. Koste es, was es wolle.«

Das konnte ich sehr gut verstehen. Es war so viel leichter, seinen Hass auf jemanden zu projizieren. Als Mikael starb, hatte ich mir manchmal sogar gewünscht, irgendwer hätte das Feuer absichtlich gelegt. Dann hätte ich denjenigen jagen und zur Strecke bringen können. In meiner Vorstellung hätte ich durch diesen Akt Frieden finden können. Heute bezweifelte ich das. Der Tod eines anderen brachte weder Frieden noch Erlösung. »Was hast du aus Athen mitgenommen? Akil sagte, du hättest etwas vom Tatort eingesteckt.«

Sie seufzte und verlagerte ihr Gewicht nach vorne. »Schwarze Haare. Sie klemmten an einer der Statuen. Ich hatte gehofft, dass sie von ihr sind. Da ich das Bild nicht mehr hatte, wollte ich damit einen Suchzauber aufbauen.«

»So, wie du es mit meinem Jadestein gemacht hast?«

»Ja.«

»Das wäre dir mit dem Bild sowieso nicht gelungen.«

»Warum nicht?«

»Es ist kein persönlicher Gegenstand von ihr.«

Sie starrte mich an. »Aber ein Foto. Für einen Suchzauber funktionieren doch Fotografien, oder?«

»Das weiß ich nicht, es ist ja nur das Abbild einer Person und insofern nicht unbedingt etwas, das mit jemandem verbunden ist. Außerdem war das Bild keine Fotografie, sondern eine sehr gute Zeichnung.«

»Oh, Mann … das wusste ich nicht.«

»Du hast uns also umsonst verprügelt.«

Sie schnaubte. »Dafür hast du deinen Jadestein wieder. Warum trägst du ihn eigentlich nicht? Du warst so versessen darauf, ihn wiederzubekommen.«

Ich wandte mich von ihr ab und lief zum Fenster. Die Sonne ging unter und tauchte den Himmel in ein Farbenspektakel aus Rot-, Orange- und Blautönen. Das stimmte, ich trug ihn immer noch nicht. Er lag zu Hause in meiner Kommode bei den Zeichnungen, die ich von ihm angefertigt hatte. Aus irgendeinem Grund schaffte ich es nicht, ihn anzuziehen. Dabei hatte ich es versucht. Jeden Abend nach dem Training mit Jess hatte ich ihn herausgenommen und betrachtet.

Ariadne hatte mir gesagt, der Stein könne mir helfen. Doch wobei? Was sollte er für mich tun können? Ich wusste es einfach nicht, egal, wie lange ich ihn anstarrte.

»Noch mal zurück zu meiner ersten Frage: Wieso warst du hinter mir her? Dein Auftrag galt schließlich Ariadne.«

Keira zögerte mit der Antwort. Es war ihr nicht entgangen, dass ich ihre Frage nach dem Stein nicht beantwortet hatte. »Ich weiß nicht. Nachdem ich den Auftrag erhalten hatte, nach ihr zu suchen, habe ich über die Kirche recherchiert. Das mache ich immer, wenn ich einen Ort betrete, den ich nicht kenne. Ich bin auf den Brand gestoßen und dass der Pfarrer darin getötet wurde. Und auf dich. Der Junge, der seither verschwunden ist.«

Ich starrte weiter zum Fenster hinaus. Das stimmte, ich war verschwunden. Mir war klar, dass man nach mir gesucht hatte, dass vielleicht sogar Auguste, unsere Haushälterin, darauf gehofft hatte, ich würde zurückkehren. Doch ich konnte einfach nicht.

»Ich hatte auch Ariadnes Adresse erhalten und bin dann zum See gefahren. Da habe ich gesehen, wie ihr sie beerdigt habt. Du warst auch dort. Erst habe ich dich nicht erkannt, da das Zeitungsbild von dem Brand schon neun Jahre alt war und du nun natürlich älter aussiehst, doch deine Augen sind unverwechselbar, genau wie deine Frisur. Ich habe noch nie jemanden mit derart widerspenstigen Zotteln gesehen.«

Ich strich mir die Haare nach hinten. »Tja, so ist es eben. Weiter.«

»Ich beschloss, dir auf den Fersen zu bleiben und mehr über dich herauszufinden. Ich hoffte einfach, du würdest mir einen weiteren Hinweis auf Coco liefern, und das hast du dann mit dem Bild.«

»Also hatte ich in der Bar doch recht gehabt: Du hast mich beobachtet.«

»Ja, und es hat mich etwas geschockt, dass du mich bemerkt hast. Beim Krankenhaus – als ihr den Polizisten gerettet habt – warst du auch kurz davor. Ab da versuchte ich, vorsichtiger zu sein. Es gelang mir auch, denn die anderen Male hast du mich nicht bemerkt, oder?«

Verdammtes Luder, das hatte ich tatsächlich nicht. Ich drehte mich zu ihr um. »Nein.«

Sie lächelte leicht. »Ich sag ja, dass ich gut bin. Außerdem kamst du mir auch reichlich abgelenkt vor. Als würdest du verbissen nach jemandem suchen.«

»Joanne.« Keira hatte mich also verfolgt, als ich in den vergangenen Wochen versucht hatte, die Dämonin zu finden. »Das ist eine Schattendämonin, die uns ziemlich geärgert hat. Leider versteckt sie sich sehr gut.«

»Kann ich dir dabei behilflich sein? Es ist immerhin mein Job, so etwas zu tun, und auf die Art könnte ich meine Schuld bei dir abtragen.«

Ich lehnte mich gegen die Fensterbank. Die Reststrahlen der untergehenden Sonne wärmten meinen Rücken. Vielleicht könnte sie das tatsächlich, doch war ich bereit, mit ihr zusammenzuarbeiten? »Weißt du, was Coco mit diesen Einbrüchen bezweckt? Was will sie?« Mir war klar, dass sie auf der Suche nach einer Nachfahrin war, doch ich wollte hören, was Keira wusste und was nicht.

»Als mein Vater von Coco getötet wurde, waren seine letzten Worte: ‚Du bekommst die Harfe nicht‘. Ich habe jahrelang darüber nachgedacht, was er gemeint haben könnte. Was für eine Harfe? Was wollte er damit sagen?«

»Eine Harfe …« Das hatte auch Anna gesagt, als sie aus ihrem Flashback aufgewacht war. Ich rief mir unser Gespräch ins Gedächtnis: ‚Andrew sprach von einer Harfe, die er für Coco besorgt hatte, und ich habe Aimee einen Schlüssel gegeben, damit sie das Instrument aus seinem Schlafzimmer holen konnte. Ich weiß nicht, wo sie es hingebracht hat, aber es war wichtig gewesen.‘

»Die Antwort erhielt ich, als ich zwölf war, in einem Fernsehbericht über eine Entdeckung aus König Davids Zeiten.«

»Der Bezwinger von Goliath?« Jetzt war ich gespannt, was der damit zu tun hatte.

»Genau. In dem Bericht zeigten Archäologen ihren neuesten Fund: Überreste eines verschütteten Palastes, und auf diesen Gesteinsbrocken waren auch Zeichnungen erhalten. Eine davon zeigte Coco.«

»Bist du sicher, dass sie es war?«

»Absolut.«

»König David lebte 1000 vor Christus. Das wäre vor fast dreitausend Jahren gewesen.«

»Ich weiß. Es ist nicht unmöglich.«