Die Chroniken der Seelenwächter - Band 32: Im Gefüge der Zeit - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 32: Im Gefüge der Zeit E-Book

Nicole Böhm

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Beschreibung

Es ist soweit: Die Konfrontation mit Kedos steht erneut bevor. Während Will und Anna in der Vergangenheit alles daransetzen, die restlichen Essenzen zu entfachen, holt Kedos in der Gegenwart zu einem gigantischen Schlag aus. Mit Jaydee auf seiner Seite kann er tief in die Welt der Seelenwächter eindringen. Auch Jess muss sich ihrer neuen Kraft stellen, die sie fast den Verstand gekostet hätte. Nun muss sie lernen, die Visionen zu kontrollieren, doch zuerst braucht Jaydee ihre Hilfe. Ein Tauziehen beginnt. Die Seelenwächter gegen Kedos. Kedos gegen die Dowanhowee. Welches Schicksal soll sich erfüllen? Dies ist der 32. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel3

2. Kapitel12

3. Kapitel18

4. Kapitel24

5. Kapitel35

6. Kapitel51

7. Kapitel68

8. Kapitel77

9. Kapitel83

10. Kapitel97

11. Kapitel110

12. Kapitel118

13. Kapitel125

14. Kapitel132

15. Kapitel138

16. Kapitel152

17. Kapitel155

18. Kapitel169

Die Lesereihenfolge von der Serie »Die Chroniken der Seelenwächter«190

Die Fortsetzung der Seelenwächter:191

Impressum192

Die Chroniken der Seelenwächter

Im Gefüge der Zeit

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

Akil parierte vor dem Krankenhaus durch und atmete erst einmal auf. Es schneite schon wieder leicht, die Flocken wehten ihm ins Gesicht. Er sog die kalte Luft in seine Lunge und genoss diesen kurzen Moment der Ruhe; den ersten seit einer langen Zeit. In den letzten vierundzwanzig Stunden war er als Ratsmitglied initiiert worden, er hatte eine heftige Verletzung durch das mächtigste Titaniumschwert überstanden, dreimal gegen Kedos gekämpft und zahllose Gräuel miterlebt. Er hatte gesehen, wie einer seiner besten Freunde angeschossen wurde, wie Menschen in Panik aus ihrer Stadt flüchten mussten, wie alles zerbrach, was die Seelenwächter mit Mühe versuchten aufrechtzuerhalten.

Der einzige Triumph bisher war, dass Payden in Sicherheit gebracht werden konnte und nun im Tempel weilte; gemeinsam mit den anderen, die wiederum herausgefunden hatten, dass niemand Kedos töten durfte, wenn man nicht seinen Platz einnehmen wollte.

Das ist alles eine riesengroße Scheiße.

Akil war müde und ausgelaugt. Er wollte weder vor noch zurück.

Was würde er darum geben, sich an seinen Kraftplatz zurückzuziehen und für die nächsten Tage dort zu bleiben. Nur er und sein Element. Aber es ging nicht. Die Pflicht rief. Wie immer.

Er hatte versprochen, nur kurz im Krankenhaus vorbeizuschauen und dann in den Ratstempel zu gehen, wo sie überlegen mussten, wie sie Kedos einsperren konnten. Vermutlich schmiedete der Dämon bereits Pläne, was er als Nächstes anstellen konnte.

Es ging weiter und weiter und weiter.

Akil schüttelte sich, stieg vom Pferd und lief auf die Tür der Notaufnahme zu. Er hielt sich bedeckt und erregte dank seines Amuletts keine Aufmerksamkeit. Geschickt manövrierte er sich durch die Menschen und gelangte schließlich in den Wartebereich, der völlig überlaufen war. Akil sah sich um und ging auf einen Tresen zu, hinter dem eine Angestellte ihr Bestes gab, um dem Chaos entgegenzuwirken.

Zahlreiche Verletzte warteten in dem Bereich, hielten sich blutende Wunden oder versuchten, ihre Kinder zu trösten. Akil schnürte es die Kehle zu. An diesem Unglück trugen sie Mitschuld. Kedos war ihrer Welt entsprungen und auf die Menschen losgelassen worden. Die Toten heute gingen auf das Konto der Seelenwächter, weil sie es nicht geschafft hatten, das zu tun, wofür sie geboren waren: zu schützen. Akil schluckte gegen die Trockenheit in seinem Mund, er wusste, dass es noch nicht vorbei war.

Er wandte sich der Angestellten zu, räusperte sich, damit sie ihn wahrnahm. Sie zuckte zusammen und starrte ihn erschrocken an.

»Ich hätte gerne Auskunft über Benjamin Walker. Er ist Polizist und heute eingeliefert worden.«

Die Frau brauchte einen Moment, um sich zu fassen. Sie war aufgewühlt und genervt. Der Stress drang ihr aus allen Poren. Akil beugte sich über den Tresen und griff ihre Hand. Sie wollte erst zurückweichen, doch er hielt dagegen und fuhr mit seinen Fingern sanft über ihre Haut.

»Ich weiß, dass dies hier schrecklich ist, du machst einen fantastischen Job und wirst es schaffen. Die Menschen zählen auf dich. Genau wie ich. Bitte sag mir, was mit Benjamin ist. Es ist dringend.«

Sie blinzelte, ihr Mund klappte auf und ein leises Oh kam über ihre Lippen. Akil ließ mehr Energie durch seine Finger in sie fließen. Er schenkte ihr die Ruhe, die sie nicht fand in diesem Tumult. Er schenkte ihr einen Moment des Durchatmens, den sie alle nötig hatten.

»Es ist in Ordnung«, sagte er sanft.

»Ich … Sind Sie … Familie?« Sie entzog sich nicht seinem Griff, blickte auf seine Finger, als wären sie das Faszinierendste, was sie je gesehen hatte.

Akil holte Luft. »Ja. Ben gehört zur Familie.«

Sie verzog das Gesicht, weil sie ihm wohl nicht ganz glaubte, doch netterweise tippte sie mit der freien Hand auf ihrem Computer herum.

»Nanu, was ist denn mit meinem Rechner los?«

Der Bildschirm flackerte. Akil gab die Frau frei, trat einen Schritt nach hinten, damit er das Gerät nicht weiter störte. Kaum hatte er sich entfernt, sprang der Monitor wieder an. Es dauerte dennoch einen Moment, bis sie hatte, wonach sie suchte.

Ihr Atem stockte. Akil hörte, wie ihr Puls sich beschleunigte und das Blut in ihre Wangen schoss. Sie strich sich über den Nacken, überlegte vermutlich, wie sie es Akil am besten sagen konnte, doch er wusste bereits, was Sache war.

Nein.

Er kannte diesen Ausdruck in ihren Augen.

Bitte nicht.

Bitte nicht.

Bitte nicht!

Akils Kehle wurde eng, er blinzelte gegen den Schleier, der seinen Blick auf einmal trübte, und schnappte nach Luft. Sie hätte ihm genauso gut eine weitere Titaniumklinge in den Leib treiben können.

»Ich …«, setzte sie an und räusperte sich. Es waren kleine Gesten, die sie mit ihrer Professionalität zu überspielen versuchte. Jedem anderen wären sie wohl nicht aufgefallen, aber Akil schrien sie ins Gesicht.

Er wusste genau, was passiert war.

Ben.

Schmerz breitete sich in seiner Brust aus. Es war wieder geschehen. Kedos hatte es ein weiteres Mal getan. Er hatte sich abermals jemanden geholt, der Akil wichtig gewesen war.

Und er Volltrottel hatte den Dämon ziehen lassen! Er hatte ihn dort gehabt, wo er ihn hatte haben wollen. Er hätte nur zustechen, ihn erledigen und …

… dann selbst seinen Platz eingenommen.

Die Frau blickte Akil an, ihre Lippen öffneten sich, Wörter kamen aus ihrem Mund, die er kaum noch hörte. Auf einmal wirkte alles dumpf und schal. Die Geräusche im Warteraum wurden wie durch Watte gedämpft, er rückte innerlich weit, weit weg von diesem Ort, denn das war alles, was er tun konnte.

»Es tut mir sehr leid. Benjamin Walker hat es nicht geschafft. Er ist im OP gestorben.«

Akil schloss die Augen, ließ die Tränen zu, die sich einen Weg über seine Wangen bahnten, und nickte der Frau zu.

»Danke«, hauchte er heiser. Er wandte sich ab, fasste sich an die Stirn und hatte das Gefühl, dass ihm ein Raubtier die Eingeweide herausriss.

Es war zu viel.

Es war einfach viel zu viel.

Er würde daran zerbrechen, in tausend Stücke bersten und sich nie mehr zusammenfügen können.

Was noch? Was noch? Was …?

Akil lief ohnmächtig an den Menschen vorbei nach draußen. Er rempelte ein älteres Paar an, entschuldigte sich, irrte weiter.

Raus. Raus. Raus. In den Schnee. In die Natur.

Atmen. Nur noch atmen.

Der kalte Wind umfing ihn, die Erde wandte sich ihm zu, streckte ihre Hände nach ihm aus, um ihn aufzufangen.

Er brauchte es. So sehr. Und noch viel mehr.

Akil machte einen weiteren Schritt hinaus und ließ sich auf die Knie fallen. Er kippte vornüber, seine Finger gruben sich in den eiskalten Schnee, aber auch das war nicht genug. Akil hätte am liebsten die Erde aufgerissen und sich darin vergraben.

Innehalten. Trauern. Fühlen.

Er entließ einen tiefen und verzweifelten Schrei aus seiner Lunge, von dem er gar nicht wusste, dass er in ihm gesteckt hatte.

Einige Menschen drehten sich zu ihm um. Er ignorierte sie. Es war ihm egal, ob sie ihn wahrnahmen oder nicht. Es musste aus ihm raus, sonst würde er implodieren. All der Frust, all die Trauer, all der Schmerz. Es brach einfach so durch. Akil krampfte, weinte um den Mann, den er seinen engen Freund nannte, weinte um all die Momente, die sie nie mehr teilen würden, weinte, weil das alles war, was er noch tun konnte.

Akil blieb hocken, bis er nichts mehr spürte außer Kälte. Innen und außen.

Wie konnte jemand das alles verkraften? Was prasselte noch auf ihn ein, ehe es endlich vorbei war?

Er blickte nach oben in den heller werdenden Himmel. Die Sonne würde bald aufgehen, ein neuer Tag anbrechen, noch mehr Chaos und Schmerz für sie bereithalten.

Weiter. Und weiter. Und weiter.

Er schüttelte sich, schloss die Augen und horchte auf die Geräusche der Natur, die so tröstend wirkten wie nichts anderes auf der Welt. Akils Körper bebte, seine Seele bebte, sein Herz bebte. Die Tränen gefroren auf seinen Wangen, spannten auf seiner Haut, erinnerten ihn daran, dass er am Leben war und fühlte. Viel zu viel.

»Akil?«, sagte jemand leise hinter ihm. Er zuckte zusammen, wischte sich über das Gesicht und blickte zurück. Es war Mark. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er davon gehört, was passiert war. Marks Schultern hingen schwer herab, seine Augen waren rot unterlaufen, sein Atem kam flach. »Ich … Wir haben eben die Nachricht bekommen. Sie haben im Revier angerufen. Ich musste sofort herkommen und ich … Ben.«

»Ist tot.«

»Er ist kurz nach sieben von uns gegangen.« Mark schnappte nach Luft, atmete durch, fuhr sich durch die Haare. »Keine Ahnung, warum ich dir das sage. Als wäre es wichtig, wann er starb.«

War es nicht, aber es musste raus.

»Die Ärzte sagen, dass sie ihn schon wiederbelebt hatten. Er war auf dem Weg zurück, aber dann ist er … Sie können es sich nicht erklären. Als hätte er nicht mehr leben wollen.«

Akil stand mühevoll auf, seine Beine fühlten sich unendlich schwer an. Genau wie seine Schultern, auf denen er all die Last der letzten Tage zu tragen schien.

»Das ergibt doch keinen Sinn, oder?«, fuhr Mark fort. »Nicht bei Ben.«

»Nein, das tut es nicht.« Er war ein Kämpfer durch und durch. Ben würde nie freiwillig den Tod wählen, wenn er hätte leben können.

»Sag mir bitte, dass ihr den Mistkerl erwischt habt«, ergänzte Mark.

»Ich …« Akil sah zu Boden und schüttelte den Kopf. »Es ging nicht. Wir können ihn nicht töten, aber wir werden ihn einfangen, ich verspreche es. Wir halten ihn auf, koste es, was es wolle.«

»Es hat schon viel zu viel gekostet.«

»Ich weiß.« Und wie er das wusste. »Ich wünschte, ich könnte«, er machte eine ausladende Handbewegung, »all das verhindern und aufhalten. Wir geben, was uns möglich ist. Ich kann nur nicht …« Er wusste nicht genau, worauf er hinauswollte. Worte waren so überflüssig geworden.

Mark schien zu verstehen. Er atmete tief ein und aus und rieb die Hände wegen der Kälte aneinander. »Ich werde mir Bens Leiche ansehen. Ich … Ich muss. Also nicht nur für mich, sondern fürs Revier. Es ist Vorschrift.« Er schüttelte den Kopf und kickte Schnee weg. »Scheiße.«

»Ich komme mit dir.«

Mark öffnete den Mund, hielt inne und nickte. »Du hast sicher Wichtigeres zu tun.«

Wichtigeres. Akil wiederholte dieses Wort in Gedanken. Er wusste nicht mehr, was wichtig war und was nicht. Wer sollte das beurteilen? Wie sollte jemand das entscheiden?

Sein Freund war tot. Kedos lebte. Diese Fakten lagen vor Akils Füßen und er musste überlegen, wie er damit umgehen wollte.

»Los«, sagte er zu Mark und zeigte auf das Krankenhaus.

Das hier war wichtig.

Und dringend.

2. Kapitel

»Das ist die aktuelle Lage«, endete William und betrachtete die anderen, die im Kreis um ihn versammelt waren.

Nachdem sie aus der Höhle geklettert waren, hatten sie sich sofort auf den Rückweg zum Lager gemacht, wo sie mit allem versorgt worden waren, was sie gebraucht hatten. Oyishas Wunden waren behandelt, der Arm war geschient. Die neuen Dowanhowee, die sich ihnen angeschlossen hatten, durften sich ausruhen, das Blut und den Tod abwaschen, mit dem sie sich besudelt hatten, als sie unter Kedos‘ Gewalt gestanden hatten. Auch Damia wurde freudig begrüßt.

Ein nächster Schritt war getan.

»Wir müssen die anderen Essenzen der Elemente finden. Damia und ich vermuten, dass wir dort weitere Armbänder entdecken.« William konnte es noch immer nicht fassen. Das Armband war aus der Essenz geboren worden und sein Schwert hatte den Anfang dazu gemacht. Hoffentlich brauchten sie für die anderen keine Titaniumwaffen, denn er hatte nur das eine gehabt.

Damia holte das neue Armband aus ihrer Tasche und drehte es in ihren Fingern. Niaka kam näher und betrachtete es interessiert. »Es ist wunderschön.«

»Ja.«

Sie nahm es Damia aus den Händen, begutachtete es aus allen Richtungen. Für einen Moment dachte William, dass sie es sich anlegen wollte, doch sie gab es an Damia zurück. Wärme stieg in William empor. Seit sie das Feuer entfacht hatten, fühlte er sich wieder einen Schritt näher an seiner Seelenwächternatur. Er spürte, wie die Magie in ihm aufwallte, wie Flammen durch seine Adern züngelten. Ab und an sprühten sogar Funken aus seinen Fingern. Es kam zurück zu ihm. Alles kam zurück. Am liebsten wäre er vor Dankbarkeit auf die Knie gesunken.

»Morgen früh brechen wir auf«, sagte Tiriak. »Wir müssen ruhen. Es wurde viel gekämpft.«

»Ja«, sagte William und spürte, wie die Erschöpfung ihn langsam an sich riss. Seine Seele pochte, genau wie das Mal auf seiner Brust. Es war wirklich an der Zeit, sich hinzulegen.

Tiriak und Kalako halfen Oyisha in eines der Zelte, während sich die Gruppe langsam trennte. Manche setzten sich ans Feuer, andere gingen ebenfalls schlafen. William blickte allen nach, gähnte herzhaft und wandte sich dem Zelt zu, in dem Anna war. Er hatte nach seiner Rückkehr nach ihr gesehen, aber sie hatte noch geruht. Vorsichtig trat er ein, versuchte, so wenig Lärm wie möglich zu machen.

Es war dunkel im Inneren, aber durch die Lagerfeuer, die angezündet waren, flackerte ein sanfter Schein an der Zeltwand und zeichnete die Konturen ab. Anna lag still auf der Seite, ihr Atem kam und ging in einem gleichmäßigen Rhythmus. William gab sich einen Moment dieser Stille hin und schloss die Augen.

So viele Kämpfe.

So viel Leid.

Er hatte viel getötet. Er hatte viele Seelen ausgelöscht und er wusste, dass es ab jetzt an ihm haften würde. William war nicht länger der reine Seelenwächter voller Licht, er war auch ein Teil der Schatten. Schon allein durch das Mal, das auf seiner Brust prangte. Er fuhr mit den Fingerspitzen darüber. Heute war es sehr knapp gewesen. Er wäre fast auf die Seite der Schattendämonen getreten. Hätte Ben das nicht für ihn getan, wäre es vorbei mit ihm gewesen. William wusste nicht einmal ansatzweise, wie er das wiedergutmachen konnte.

Indem ich das Opfer annehme und Kedos einsperre.

Er musste das Beste geben, was er konnte, er musste weitermachen, und dann musste er irgendwie seinen Freunden in der Zukunft erklären, was sie tun könnten, um den Dämon ebenfalls zu fangen.

Langsam streifte er sich die Kleidung vom Leib. Der Kontakt zu seinem Element hatte viele Wunden geschlossen, außerdem schien das Flügelmal ihn robuster zu machen. William hatte in dem kurzen Kampf mit Kedos und den Dowanhowee kaum einen Kratzer abbekommen; als wäre er durch das Mal geschützter. Meda hatte ihm bereits gesagt, dass er von nun an von keinem Schattendämon mehr ausgesaugt werden würde. Er trug einen Teil von ihnen in sich. Es war ein abstruser Gedanke, nachdem William seit über tausend Jahren diese Wesen bekämpft hatte und stets darauf hatte achten müssen, nicht von ihnen angegriffen zu werden. Sollte er je zurück in die Zukunft kommen, würde sich alles für ihn ändern.

Er schüttelte sich und wusch sich mit dem bereitgestellten Wasser. Es tat gut, den Dreck loszuwerden. William ließ sich Zeit, genoss den kühlenden, reinigenden Effekt des Elements. Irgendwie war auch das intensiver geworden. Dieses Land war so vollgepumpt mit Kraft, dass es William fast erdrückte. Als er fertig war, zog er sich frische Kleidung an und schlüpfte vorsichtig zu Anna unter die Decke.

Behutsam legte er einen Arm um ihren Oberkörper, drückte seinen Bauch gegen ihren Rücken und atmete ihren Geruch ein. Sein Körper sank schwer in die Felle, die Erschöpfung riss ihn in die Tiefe. Alles in ihm kam zur Ruhe. Seine Muskelspannung ließ nach, er sackte in sich zusammen und fühlte sich so sicher wie seit Langem nicht mehr. Er lag an der Seite der Frau, die er so sehr liebte, er tat, was er zu tun hatte, er kam seiner Aufgabe als Seelenwächter nach und schützte Menschen. Das war es, was ihn ausmachte; unabhängig von Zeit oder Ort.

Er küsste Anna sachte in den Nacken, sie brummte leise, ihre Hand zuckte. William hielt inne, er wollte sie nicht aufwecken, doch es war zu spät. Sie atmete einmal tief ein und suchte seine Finger mit den ihren.

»Will.«

»Ja. Ich bin wieder da. Geht es dir gut?«

Sie gähnte, streckte sich und drehte sich zu ihm herum. Er gab ihr genügend Freiraum, bis sie Angesicht zu Angesicht lagen, dann schlang er wieder seinen Arm um ihren Körper und drückte sie enger an sich. Ihr Körper entspannte sich gegen seinen, sie hob ein Bein, platzierte es über seiner Hüfte, damit er näher kommen konnte.

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Der Schein der Flammen von draußen ließ sie noch sanfter wirken. Ihre Augen waren dunkel und unergründlich. »Ich habe von dir geträumt.«

»Ach ja?«

»Ich habe dich gesehen. Dich und die anderen. Ihr wart in der Schlucht, oder?«

»Ja.« Er schluckte trocken, denn ihm war nicht bewusst gewesen, dass Anna das miterlebt hatte.

Sie legte eine Hand auf seine Brust.

»Ben«, flüsterte Anna. William nickte nur.

Sie seufzte lange und tief und schloss die Augen.

So lagen sie für eine gefühlte Ewigkeit, unfähig miteinander zu reden, denn Worte reichten nicht aus, um all das auszudrücken, was sie empfanden.

Trauer. Schmerz. Dankbarkeit. Liebe. Es war so viel geworden.

William döste langsam ein, während Annas Hand noch auf seiner Brust lag. Er genoss ihre Nähe mehr als je zuvor. Immer wenn er bei ihr war, wurde ihm bewusst, wie sehr er sie vergötterte.

Ihre Finger zogen träge Kreise auf seiner Haut, glitten mal hierhin, mal dorthin. Sie kam noch näher, ihre Wärme umhüllte ihn wie einen schützenden Mantel. »Ich habe auch das Ritual gesehen, das Kedos einsperren kann und wie du dich wieder mit dem Feuer verbunden hast.«

William brummte nur leise. Er war so müde. »Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber uns fehlt eine Schwester. Wir fanden Sayen. Sie ist tot.« Er wurde noch schwerer, seine Worte kamen kaum noch über seine Lippen.

»Alles wird gut«, sagte Anna leise. Ihr Atem streifte seine Haut.

»Ich würde dich jetzt gerne lieben, aber ich bin zu …«

»Sht.« Ihr Finger legte sich auf seine Lippen. Er spürte sie nur noch, seine Augen waren fest geschlossen und er war unfähig, sie zu öffnen.

»Ruh dich aus. Morgen sehen wir weiter.«

William nickte ein letztes Mal, dann glitt er in einen traumlosen und erholsamen Schlaf.

3. Kapitel

Jaydee

»Wie kann ich dir helfen?«

Die Frage hing zwischen mir und Kedos in der Luft. Mein Herz raste, meine Seele bebte. Mein Atem kam in raschen Zügen, als wäre ich von Australien hierhergesprintet.

Ich nahm die Energie dieses Wesens wahr. Auf einer Ebene, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können. Wir waren verbunden. Lilija hatte einen Teil von ihm in mich gepflanzt, hatte mich aus ihm gezeugt und mich so erschaffen.

Meine dunkle Seite. In Fleisch und Blut.

Kedos reckte das Kinn und lächelte. Keine Ahnung, ob er mich erkannte oder wusste, wer ich war, aber er wirkte sehr zufrieden mit sich.

»Du hast meinen Ruf gehört.«

»Sieht ganz so aus.« Meine Stimme kam eher wie ein Knurren, ich ballte die Hände, spannte die Oberarme.

»Du wirst mich nicht angreifen.«

»Wer weiß.« Ich ließ den Jäger weiter nach oben treten, hatte schon gar keine Wahl mehr, denn er blühte in der Gegenwart dieses Wesens auf. Wenn es einen Kraftplatz für den Jäger gab, dann war ich soeben angekommen. Mein Jadestein pochte dumpf an meinem Hals, ich vernahm Lilijas Präsenz, spürte ihre Nähe, aber sie kam nicht mehr so stark durch wie sonst.

Kedos‘ Nähe übertünchte die ihre.

Ich fühlte mich wie ein Gefangener zwischen den beiden. Sie zog mich in die eine Richtung, Kedos in die andere.

»Ich brauche meine Diener wieder«, fuhr er unbeeindruckt fort. »Sie sind in dem Tempel des Rates auf einer Insel.«

»El Hierro.«

»Dort muss ich hin.«

Ich rümpfte die Nase und spuckte aus. Ein Teil von mir wollte sich wehren und sich gegen den Dämon stellen. Niemand gab mir Befehle, niemand kontrollierte den Jäger. Dennoch wandte ich mich Kedos zu. Meinem Erbe, dem Blut der Dowanhowee, Sangitas Kraft, die auch in mir mitschwang. Kedos hatte das Volk unterdrückt und es sich zu Dienern gemacht, ich unterlag ihm genauso.

Ich umrundete ihn langsam, mein Innerstes bäumte sich auf, ich kam mir vor wie ein wildes Tier, das sich drohend gegen seinen Angreifer stellte, aber genau wusste, dass es keine Chance hatte. Ich konnte nur knurren, nicht beißen.

Kedos wusste das ebenso. Er blieb ganz ruhig, während ich ihn musterte. Er war verwundet, irgendwer hatte ihm übel zugesetzt. Ich biss mir auf die Lippen, bis ich mein Blut spürte. Kedos blickte mich an, seine Augen nährten sich an meiner Seele und bohrten sich bis ganz nach unten.

»Jaydee, geh von ihm weg«, hörte ich Lilija leise in meinem Kopf. »Er tut dir nicht gut.«

Dafür war es längst zu spät. Meine Frage an Kedos war ernst gemeint: »Wie kann ich dir helfen?« Ich würde es tun, auch wenn ich nicht wollte.

Kedos grinste breiter. »Du kannst mir nicht widerstehen.«

Nein, verdammt.

»Der Hass ist zu verlockend für dich. Diese dunkle Seite ist zu betörend. Ich verstehe es.« Er kam näher, seine Präsenz schlang sich um meinen Körper. »Ich bin vollgepumpt mit Hass. Er stärkt mich. Er macht mich fast unverwundbar. Es gibt nichts Mächtigeres als ihn.«

Doch, hallte es in meinem Schädel nach. Die Liebe ist stärker.

Der Gedanke hielt nur ganz kurz in mir. Wie eine Sternschnuppe, die am Nachthimmel aufleuchtete und sofort verglühte. Viel zu schwach. Viel zu flüchtig.

Ich atmete tief durch, konzentrierte mich auf meinen Körper und wer ich war.

»Hör nicht hin«, erklang erneut Lilijas Stimme in mir. Mein Brustkorb schmerzte. Ich war hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Mächten. Lilija als die mütterliche Präsenz, die mich an ihrer Seite wissen wollte. Kedos als der Vernichter, der meine Durchschlagkraft für seine Zwecke instrumentalisieren würde. Er brauchte keine Verbündeten, er brauchte Diener. Willenlos und zu allem bereit.