Die Chroniken der Seelenwächter - Band 34: Am Rande des Abgrunds - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 34: Am Rande des Abgrunds E-Book

Nicole Böhm

5,0

Beschreibung

Der Kampf geht weiter. Auch ohne die direkte Bedrohung von Kedos haben die Seelenwächter alle Hände voll zu tun. Während Akil hadert, ob der Pakt mit Joanne vernünftig ist, wird es für Jaydee immer härter, Lilija zu widerstehen. Er kehrt zu seiner Schwester und muss sich entscheiden, welchen Weg er einschlagen soll: ins Helle oder ins Dunkle. Zac taucht ebenfalls tiefer in die Welt der Seelenwächter ein und findet auf dem Anwesen in Arizona etwas, womit er nicht gerechnet hätte. Seine Wandlung ist noch lange nicht abgeschlossen. Nur wenn er stark genug ist, wird er sie überstehen. Dies ist der 34. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Seitenzahl: 178

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel3

2. Kapitel14

3. Kapitel29

4. Kapitel44

5. Kapitel54

6. Kapitel66

7. Kapitel79

8. Kapitel97

9. Kapitel118

10. Kapitel136

11. Kapitel158

Die Lesereihenfolge von der Serie »Die Chroniken der Seelenwächter«178

Die Fortsetzung der Seelenwächter:179

Impressum180

Die Chroniken der Seelenwächter

Am Rande des Abgrunds

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

Jessamine

»Jess! Nicht!«, rief Zac, als ich ins Zimmer sprang, um nach Jaydee zu greifen, doch ich war zu spät. Er hatte mir einen letzten verzweifelten Blick zugeworfen, ehe er sich selbst teleportiert hatte. Ich griff ins Leere, taumelte und stieß gegen die Wand, vor der Jaydee eben noch gekauert hatte. Mein Innerstes zog sich zusammen, ich verlor das Gefühl für meinen Körper, so rasch und intensiv, dass ich glaubte, jemand würde meine Seele aus mir zerren.

Ich stürze wieder in eine Vision!

Ich war zu nah bei meiner Mutter, die völlig aufgelöst auf dem Bett saß und mich entsetzt anstarrte.

Ich suchte nach Halt, sah zur Tür und überlegte, ob ich es noch hinausschaffen konnte, doch der Boden schwankte bereits. Das Zimmer löste sich auf. Ich hörte das Knacken und Ächzen, die ersten Risse zogen sich durch die Decke und ein dunkler Nebel waberte daraus hervor.

»Jess!«, rief Zac und sprang mir entgegen. Der Nebel, der mich das letzte Mal begleitet hatte, hüllte ihn ebenso ein, ich streckte meine Hand nach ihm aus, wollte ihn fassen, aber ich erreichte ihn nicht.

Was hab ich nur schon wieder getan?

Ich wollte Jaydee festhalten, verhindern, dass er sich verliert – und nun glitt ich selbst ab. Meine Eingeweide krampften, ich kämpfte dagegen an, wollte vernünftiger sein und mich nicht wieder auf diesen Tanz einlassen, den ich sowieso nicht gewinnen konnte. Ich schwankte zurück, suchte nach Zac, den ich noch hörte, aber nicht mehr sah. Das Zimmer verschwand, ein anderes baute sich langsam um mich herum auf. Erst war alles undeutlich, ich sah nur Schemen. Die Geräusche drangen dumpf an meine Ohren. Ein neuer Raum baute sich um mich herum auf, er war abgedunkelt, Vorhänge wehten an den Fenstern, eine warme Brise drang ein. Es roch nach Steinen und Sand und Staub. Genauso wie in Arizona an heißen, trockenen Tagen. Ich drehte herum, der Nebel glitt um mich und hielt mich fest, aber es kam mir nicht ganz so intensiv vor wie bei der vorigen Vision. Ich spürte noch die Realität. Ich spürte Zac.

Vorsichtig drehte ich mich in die Richtung, in der ich ihn vermutete, und streckte erneut meine Hand nach vorne aus. Neben mir kam ein neues Bett zum Vorschein, ein Mann lag darin. Ich wollte nicht hinsehen, aber mein Kopf drehte sich fast ohne mein Zutun und musterte ihn. Er hatte die Augen geschlossen und die Hände vor dem Bauch verschränkt. Sein Brustkorb hob und senkte sich sachte.

Auch um seinen Körper waberte der Nebel. Er drang in seine Haut, glitt über ihn. Es sah aus, als wollte der Dunst ihn auffressen.

Wer ist das?

Die Seele des Mannes schien sich im ganzen Raum auszudehnen. Sie war so intensiv, als wäre er überall. Ich bekam Gänsehaut, eine Welle der Vertrautheit flutete mich. Fast so ähnlich wie bei meiner ersten Begegnung mit Jaxon. Ich drehte mich weiter zu dem Mann, wollte mehr von ihm erkennen, doch in dem Moment spürte ich warme Finger an den meinen.

Zac.

Er wollte mich zurück in die Realität holen.

»Hallo?«, fragte der fremde Mann im Bett und richtete sich langsam auf. Seine Stimme klang unsagbar traurig und zerrissen, als trüge er die gesamte Last der Welt auf seinen Schultern, als hätte er alles in sich aufgesaugt, was schwer und unheilvoll war. Er kam zum Sitzen. Ich zuckte zusammen, als ich seine Augen sah, denn auch die erinnerten mich sofort an Jaxon. Dieser Mann war wie eine ältere Version von ihm.

Der Nebel kroch an meinen Beinen hoch, bereit, mir das zu geben, was ich benötigte. Mehr Fragen. Mehr Antworten. Immer weiter. Schritte näherten sich von hinten, jemand trat neben mich. Ein zweiter Mann. Er blieb auf meiner Höhe stehen, ich erkannte ihn nur durch einen Schleier. Er war groß, gut gebaut, hatte dunkelbraune Haare mit einem leichten Rotschimmer und eine Ausstrahlung, die den gesamten Raum erhellte.

»Mein König«, sagte er.

»David«, erwiderte jener im Bett.

Bitte was?

War das etwa …?

»Ich habe etwas für dich gebaut«, sagte David. »Eine Harfe, ich glaube, ich kann dich heilen. Ich muss nur noch die richtige Melodie finden.«

O mein Gott! König Saul und David!

Ich blinzelte, schwankte, wollte gerne bleiben, aber wenn ich das tat, war ich ein weiteres Mal verloren.

Ich kann nicht.

Ich muss zurück.

Ich schnappte nach Luft, suchte nach Zacs Fingern, um mich daran entlangzuhangeln. Der Nebel rauschte durch meine Haare, packte mich im Nacken und wollte mich nach hinten reißen. David fuhr herum und sah in meine Richtung. Für einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke. Es war wie eine Explosion aus Energie. Ich sah einen Teil von mir darin. Meine Gabe, meine Magie. Sophia. Das Wesen, das uns alle erschaffen hatte; das uns mit dieser Fähigkeit ausgestattet hatte, weil es Jaydee hatte helfen wollen.

»Heute ist es besonders schlimm«, sagte Saul. »Ich will sterben.«

»Wir werden deine Dämonen gemeinsam besiegen. Wir vertreiben den Nebel in dir. Ich hole dich zurück ins Licht. Du wirst wieder lachen und genießen können.« David trat näher an Saul heran und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Wir schaffen es.«

Kaum hatte er die Worte gesprochen, verdunkelte sich alles, die Schwärze kroch aus allen Poren.

»Hab dich!«, rief Zac auf einmal. Er packte mich grob und zerrte mich zu sich. Die Vision verblasste. Saul. David. Sie lösten sich genauso auf, wie sie gekommen waren. Ich wehrte mich dieses Mal nicht dagegen, ging auf Zac zu und griff nach der Hand, die mir gereicht wurde, obwohl mein Geist zurückwollte.

Zac zog erneut an mir. Mit aller Kraft umschlang ich seine Arme, klammerte mich an ihn und ließ mich von ihm in die Realtität reißen. Wir flogen gemeinsam zu Boden und schlugen hart auf. Mein Hinterkopf donnerte schmerzhaft auf die Dielen.

Zac keuchte und klappte halb auf mir zusammen. »Verflucht, Jess.«

»Autsch«, sagte ich leise.

Zacs Atem kam schwer, sein Herz wummerte gegen meine Brust. Er gab ein tiefes Stöhnen von sich und stemmte sich nach oben. »Ist alles klar?«

»Ich glaube, das gibt ‘ne Beule, aber sonst ist alles in Ordnung.«

Er rutschte von mir herunter und ich rieb über meinen Hinterkopf, die Stelle fühlte sich bereits warm an.

»Was ist mit Mum?«

»Sie ist ins Bad geflüchtet, um weiter von dir wegzukommen.«

Mein Gott. Was muss sie denn noch alles mitmachen?

Vorsichtig richtete ich mich auf. Der Schwindel ließ zum Glück sofort nach, »Danke, dass du mich gehalten hast.«

»Danke, dass du es zugelassen hast. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, als wolltest du mir entgleiten.«

»Ja, das wollte ich auch, aber es ging leichter als beim ersten Mal.« Oder ich wurde erfahrener damit. Vielleicht konnte ich ja doch noch lernen, mit den Visionen umzugehen und sie bewusst zu steuern, so wie ich es Zac vorgeschlagen hatte?

»Hast du denn wieder was gesehen?«, fragte er.

»Ja. König Saul und David, der ihm angeboten hat, auf der Harfe für ihn zu spielen.«

Zac runzelte die Stirn und sah mich verwundert an. »Wieso ausgerechnet die?«

»Ich weiß es nicht, aber als ich Saul in die Augen geblickt habe, sah er kurz aus wie Jaxon. Nicht vom Äußeren her, vom Inneren. Dieser Ausdruck ging mir durch und durch. Es war, als würde ich in ein tiefes Loch voller Leere und Schwärze blicken. Da war nichts Schönes mehr in ihm, keine Freude, kein Leben. Er war ein lebender Toter, der mit allem abgeschlossen hat.«

»Gruselig.«

»Ja.« Mein Körper fand sich mit jedem Atemzug besser in der Realität zurecht. »Kannst du meiner Mum bitte sagen, dass alles in Ordnung ist?«

»Natürlich.« Zac erhob sich in einer einzigen geschmeidigen Bewegung und lief zurück ins Zimmer. Je öfter er seine Kräfte einsetzte, desto mehr veränderte er sich, so kam es mir vor.

Ich trat an den Türrahmen, spürte bereits beim Annähern, wie mich meine Mum wieder in die Vision ziehen würde und verharrte in sicherem Abstand. Es war der Wahnsinn, was mit uns passierte. Wir wandelten am Rande eines Abgrunds, der uns in den sicheren Tod befördern würde, sollten wir einen falschen Schritt machen. Wir konnten genauso gut versuchen, einen Tsunami mit bloßer Willenskraft zu stoppen.

Da mir nach wie vor schwindelig war, lehnte ich mich an die Wand und versuchte zu verdauen, was ich eben gesehen hatte. David und Saul. Ikonen der Weltgeschichte. So echt und nah, als stünden sie direkt neben mir. Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter, während ich Zacs ruhiger Stimme lauschte, mit der er meiner Mutter alles erklärte. Ich wäre gerne bei ihr gewesen, hätte sie gerne festgehalten, sie getröstet, mich in ihrer Nähe verloren und ihr gesagt, dass alles gut werden würde.

Aber ich hatte keine Ahnung, ob es je so käme.

Was wir taten und erlebten, war der pure Aberwitz. Jaydee war weg, Gott wusste, wohin. Ich rutschte in Visionen. Meine Mum war ein seelisches Wrack. Und Zac wandelte sich in irgendein Wesen, das wir nicht einschätzen konnten.

Nach endlosen Minuten kehrte Zac schließlich zurück und schob mich weiter den Flur hinunter. Er wirkte besorgt, seine Miene war verschlossen.

»Geht es ihr gut?«, fragte ich.

»Sie hat sich gefangen, ja. Und sie hat mir erzählt, was sie eben in der Vision gesehen hat. Ehe Jaydee und du ins Zimmer gestürmt seid.«

»Du klingst besorgt.«

»Sie meinte, es wäre intensiver und echter gewesen als je zuvor. Sie hat Lilija gesprochen. Also richtig mit ihr geredet.«

»Dann verändern sich die Visionen auch bei ihr.«

»Lilija sagte, Cassandra solle etwas für sie tun, dann hat sie sie angefasst und ein grelles Licht schoss durch Cassandra. Die Vision hat sich daraufhin verändert und Jaydee stand vor ihr. Er hat deinen Dolch in den Händen gehalten und gedroht, sich damit umzubringen, wenn du ihm nicht hilfst.«

»Was?«

»Der Rest wäre normal abgelaufen, was man eben unter diesen Umständen als normal bezeichnen kann. Kann Jaydee sich denn töten mit dem Dolch?«

»Ich habe keine Ahnung. Es ist ja nicht so, dass wir es ausprobieren können.« Aber Verletzungen durch einen der vier Gegenstände heilten nicht eigenständig bei ihm. Sie waren das, was für die Seelenwächter Titanium war. Gift.

»Ich will es mir nicht vorstellen.« Wir wussten ja nicht mal, was genau die Visionen meiner Mum waren. Einblicke in die Zukunft? In eine mögliche Zukunft? In das, was geschehen konnte, wenn wir den Weg weiterverfolgten? Oder Ängste und Sorgen von ihr, die sich auf diese Art zeigten?

In meinen Visionen hatte ich in die Vergangenheit geblickt. Ich hatte reale Dinge gesehen, die so passiert waren, also war die Chance groß, dass auch meine Mutter in eine reale Zukunft schaute. Die Frage war nur, ob sie sich auch bewahrheiten musste.

Ich lief ein paar Schritte hin und her und musste das erst mal verdauen. »Weiß Mum, wo Jaydee hin ist?«

»Nein. Aber Lilija sagte wohl, dass er seine Schwester befreien soll.«

»Coco.« Sie war nicht wirklich seine Schwester, aber sie sah in Jaydee noch immer ihren verstorbenen Bruder Kian. »Ich sage sofort Christin Bescheid, damit sie Kjell verständigt. Der Rat muss Coco entweder verlegen oder die Wachen verdreifachen.«

»Gut.«

»Dann werde ich ebenfalls Jaydee folgen und ihn hoffentlich beruhigen können.«

»Hältst du das für eine gute Idee?«

»Ja. Ich kann mit ihm umgehen.«

Zac runzelte die Stirn.

»Ich kann das wirklich.« Ich spürte es. Jaydee hatte vorhin völlig verzweifelt gewirkt. Er wollte Lilija nicht hörig sein, er wollte dagegen ankämpfen, und solang wir an einem Strang zogen, konnten wir es schaffen.

»Ich helfe dir«, sagte Zac, doch ich wiegelte ab.

»Mir wäre es lieber, du würdest nach Arizona gehen und den Dolch und die Feder suchen.« Ich sah zum Zimmer, in dem meine Mutter ruhte. Wir durften uns nicht von allem überwältigen lassen, sondern mussten besonnen vorgehen. Die Gegenstände waren genauso wichtig wie alles andere. Je länger wir warteten, sie zu bergen, desto schlimmer. »Geht das?«, hakte ich nach und blickte Zac an.

»Natürlich.« Ein Funkeln trat in seine Augen, als hätte er nur darauf gewartet, endlich zurückzukönnen. Zac hatte irgendeine Verbindung zu dem Anwesen in Arizona aufgebaut. Ich hatte nur keine Ahnung, was das genau bedeutete.

»Nimm Haley mit, so wie Akil es vorgeschlagen hat, dann bist du nicht allein.«

Er atmete tief ein und aus. »Unterschätze bitte Jaydee nicht, ja? Auch wenn du keine Angst vor ihm hast: Er ist gefährlich.«

»Keine Sorge. Wenn ihn einer in seinen schrecklichsten Facetten kennt, dann ich.«

Zac nickte, griff um meinen Nacken und drückte mir sanft einen Kuss auf die Stirn. »Wir schaffen das.«

»Wir müssen.«

Denn so konnte es auf keinen Fall weitergehen.

2. Kapitel

Joannes Worte rauschten durch Akils Kopf.

»Ein Ja, dann kann ich Ben das geben, was er benötigt, ich kann ihm zeigen, wie er sich ernährt, ohne jemanden zu töten. Und darüber hinaus werde ich euch alles erklären, was ich über das Flügelmal weiß.«

Akil blickte hoch und sah der Frau in die Augen, die Joanne nach wie vor im Klammergriff hielt. Er brauchte keine Seelenwächtersinne, um die Angst der Frau zu wittern. Sie zitterte am ganzen Leib. Tränen rannen über ihre Wangen, ihr Herz pochte rasend schnell.

»Schon gut«, sagte Akil und hob die Hände, als Zeichen, dass er Joanne nicht angreifen würde, sondern alles schlichten wollte. Am Rande seines Wahrnehmungsfeldes hörte er Äste knacken und Schritte, die sich entfernten. Ben eilte durch die Nacht davon. Akil würde die Spur bald verlieren, wenn er nicht handelte.

»Schon gut«, wiederholte er und deutete mit einem Kopfnicken auf Joannes Beute. »Lass sie gehen, wir verhandeln.«

Joanne kniff die Augen zusammen und grinste. »Schwöre es bei deinem Blute.«

»Was?«

»Wer sagt mir, dass du mich nicht sofort aufspießt, sobald ich sie gehen lasse. Schwöre es. Nutze die Kraft deines Elements, um dich an deine Worte zu binden.«

»Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich zu meinem Wort stehe. Ich bin kein Seelenwächter, der nur nach den Regeln handelt. Ich will Leben schützen und ich will Ben schützen.« Er hasste es, das zuzugeben, aber möglicherweise konnte Joanne tatsächlich eine Hilfe sein – wobei sie noch nicht gesagt hatte, was sie im Gegenzug verlangte. »Die Frau brauchst du nicht als Druckmittel.«

Joanne strich ihrer Beute über die Haare, diese schrie vor Schreck und versuchte freizukommen, natürlich ohne Erfolg.

»Also gut«, sagte Akil. Er fasste an einen seiner Stäbe und ritzte sich mit der spitzen Kante in die Handinnenfläche. Die Wunde brannte durch das Titanium. Er ließ das Blut auf den Schnee tropfen, wo es sich mit seinem Element vereinigte. »Ich schwöre dir, bei meinem Blute und meinem Element, dass ich dir nichts tun werde.« Wenn es Joanne beruhigte, diese Worte zu hören, dann sollte es so sein. »Solang du mir hilfst. Mit Ben. Du wirst niemanden umbringen oder quälen oder foltern, ansonsten wird mein Eid ungültig.«

Joanne rollte mit den Augen. »Ihr Seelenwächter versteht echt keinen Spaß.« Sie stieß die Frau von sich, die vor Schreck auf den Boden stürzte. Akil ließ den Stab fallen und half ihr auf. Er nahm sie sachte am Arm, horchte in ihren Körper, ob sie verletzt war, doch es schien ihr gut zu gehen.

»Geh heim«, sagte er. »Dir wird nichts mehr passieren.«

»Ich … Ich rufe die Polizei.«

Akil schickte ihr Wärme und Vertrauen durch seine Berührung. »Das brauchst du nicht. Ich arbeite mit der Polizei zusammen, es wird alles gut. Glaub mir.« Er sah ihr fest in die Augen und verstärkte den Druck um ihren Arm. Akil war kein Luftwächter, der Gedanken beeinflussen konnte, aber er konnte Sicherheit vermitteln – und das war alles, was sie im Moment brauchte. »Geh.«

Die Frau blinzelte, Akil ließ sie los. Sie sah ihn noch mal an, fuhr sich über die Stelle, an der er sie berührt hatte, und suchte schließlich das Weite.

Joanne blickte ihr hinterher und lachte leise. »Nichts weiter als dummes, einfältiges Vieh.«

»Vorsicht«, sagte Akil und hob seinen Stab wieder auf.

Joanne zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück. »Du auch.«

Nie im Leben hatte Akil gedacht, dass es zu einem Moment wie diesem kommen konnte. Er stand Joanne gegenüber und verschonte sie.

Sie lächelte selbstgefällig und überlegen. »Wir finden erst Ben und bringen ihn in Sicherheit, dann reden wir.«

»Ja. Er wird sowieso nicht mehr lange ohne Nahrung auskommen.«

Ben musste vor allen Dingen aus Riverside raus. Wenn ein Kollege ihn aufgriff oder Ben erkannt wurde, bekämen sie Probleme.

»Los«, sagte Joanne.

Akil und sie drehten herum und suchten nach Bens Spuren im Schnee, die wie befürchtet zum Großteil verweht waren. Auch Bens Duft war kaum noch für Akil zu wittern. Er roch völlig anders als zuvor. Nicht wie ein Mensch und nicht wie ein Schattendämon. »Was passiert nur mit ihm?«

»War das eine Frage an mich oder redest du mit dir selbst?«

Akil schnaubte. »Weißt du es denn?«

»Was genau mit ihm passiert? Nein. Aber ich vermute, es hängt mit dem Flügelmal zusammen.« Joanne zeigte nach links, aber Akil war unsicher, ob Ben nicht nach rechts gegangen war. »Ich spüre ihn, vertrau mir.«

»Vertrauen.« Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er ihr das Wort vor die Füße gespuckt.

»Gut, dann glaub mir einfach, musst mich ja nicht ins Herz schließen und zu deiner Busenfreundin machen.«

Akil zögerte kurz, doch dann ging er nach links weiter. Vielleicht musste er ihr wirklich entgegenkommen. »Was weißt du über das Flügelmal?«

»Kommst gleich zur Sache, was?«

»Hat es etwas damit zu tun, dass du degenerierst?«

»Nein, das ging zwei Monate nachdem der Emuxor fort war los. Ich hatte erste Aussetzer, wusste und weiß manchmal nicht mehr, wo ich bin oder wer ich bin. Ich kehre zurück in die Schatten. Ins Nichts. Ich werde wieder ein Dämon, der nur von seinen Instinkten geleitet ist.«

Ralf hatte Joanne ein Bewusstsein verliehen, genau wie den restlichen Dämonen, die er in seine Riege geholt hatte.

»Anderen geht es auch so«, fuhr sie fort.

»Jaydee hat erst neulich mit Anna Schattendämonen in L.A. gejagt, die sich ihrer noch sehr bewusst waren.«

»Die letzten Ausreißer. Wir wandeln uns. Früher oder später erwischt es jeden. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Sie blieb kurz stehen, lauschte und zeigte dann wieder nach links.

Wir bewegen uns auf die Innenstadt zu.

Ben wollte hoffentlich nicht zum Revier, es wäre eine Katastrophe, wenn sie ihn nicht vorher einfingen.

»Ich suchte also nach Ralfs Unterlagen, um den Prozess umzukehren, aber sein altes Zuhause in Schottland ist völlig zerfallen. Da ist nur noch Geröll, das es unmöglich macht, irgendwas zu finden. Daher brach ich in die alte Kirche vom Pfaffen ein, doch jemand war vor mir dort gewesen.«

»Ananka und ihre Leute.« Als sie Ananka nach dem Ritual am See festgenommen und das Haus durchsucht hatten, waren sie auf einen Teil von Ralfs Unterlagen gestoßen. Tobias hatte sie studiert und so auch die Portalkapseln gefunden, die Ananka und ihre Helfer genutzt hatten. Akil wusste, dass alles beim Rat eingeschlossen worden war und Seelenwächter zum Teil noch immer nach Anankas anderen Helfern suchten, aber sie hatten nicht genügend Kapazitäten, um sich darum zu kümmern.

»Ich brauche diese Sachen zurück«, sagte Joanne mit einem Kratzen in der Stimme. »Ich will mich nicht mehr verlieren.«

»Du erwartest hoffentlich kein Mitleid von mir.«

»Ich erwarte von niemandem irgendwas. Den Fehler mache ich kein zweites Mal. Abgesehen davon habe ich Willi-Boy verschont, obwohl ich ihn hätte töten können, kurz nachdem er Ralf besiegt hat. Ich bin gegangen, ich wollte keinen Kampf mehr.«

»Toll. Da hüpft genau ein kleiner Pluspunkt auf die Liste deiner vielen Fehltritte.«

»Dann hasse mich eben weiter, was liegt mir dran.«

»Du willst also im Gegenzug für deine Hilfe Ralfs Unterlagen wieder? Mehr nicht?«

»Ich will natürlich, dass du alles in deiner Macht Stehende tun wirst, um meinen Verfall zu beenden; selbst dann, wenn mir Ralfs Sachen nicht weiterhelfen. Ich habe schließlich keine Ahnung, was davon noch übrig ist. Abgesehen davon hat er mit uns ein Stück aus seinem Herzen geteilt, um das Serum zu entwickeln, das uns zurückholte. Und an das Organ komme ich gewiss nicht mehr ran.«

Ralfs Leiche war mittlerweile eingeäschert. Will hatte das selbst übernommen.

»Was, wenn ich es auch nicht schaffe?«

»Das solltest du besser doch.«

Joanne sprach keine leeren Drohungen aus, das war Akil klar. Sie würde ihm das Leben zur Hölle machen und Ben jedes Mal als Druckmittel verwenden. Er würde sich natürlich an sein Wort halten und alles tun, was er konnte, um ihr zu helfen. Dennoch bestand die Möglichkeit, dass er es nicht schaffte.

Darüber mach ich mir Gedanken, wenn es soweit ist. Erst mal Ben helfen.

»Es war ziemlich riskant von dir, dich zu zeigen«, sagte er.

»Ich weiß. Ich beobachte euch schon eine Weile. Jaydee hätte mich fast erwischt.«

»Hätte er das?«

»Er war mit seiner Schnecke auf einem Date oder so. In Riverside. Er witterte mich sogar, glaub ich zumindest, denn als er aus dem Restaurant kam, hat er Jagd auf einen armen Passanten gemacht. Erst da bemerkte ich, wie verwirrt er ist und dass es wohl nicht die beste Idee wäre, mit ihm zu reden. Dann kam schon Kedos an und brachte gehörig Unruhe in die Stadt.«