Die Chroniken der Seelenwächter - Band 40: Luft - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 40: Luft E-Book

Nicole Böhm

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Beschreibung

Auf in den letzten Kampf. Die Seelenwächter müssen noch mal alles aufbringen, um sich Lilija und auch Jaydee entgegenzustellen, der mehr und mehr zu dem allmächtigen Wesen wird, in das Lilija ihn verwandeln wollte. Aber wird sie auch die Kontrolle über ihn behalten? Traue mir zu, dass ich stärker bin als das, was in deinem Inneren wütet ... Nie zuvor musste Jess sich derart beweisen. Was sie erwartet, trägt sie weit über ihre eigenen Grenzen hinaus. Verluste. Kämpfe. Tod. Das letzte Abenteuer der Seelenwächter hat begonnen. Dies ist der 40. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Das Finale. Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Inhaltsverzeichnis

... die Luft beherrscht die Erde.5

Ein Kreislauf. Für ewig.5

1. Kapitel5

2. Kapitel16

3. Kapitel24

4. Kapitel32

5. Kapitel34

6. Kapitel42

7. Kapitel46

8. Kapitel55

9. Kapitel60

10. Kapitel66

11. Kapitel73

12. Kapitel79

13. Kapitel82

14. Kapitel85

15. Kapitel90

16. Kapitel96

17. Kapitel100

18. Kapitel105

19. Kapitel110

20. Kapitel115

21. Kapitel122

22. Kapitel126

23. Kapitel132

24. Kapitel136

25. Kapitel141

26. Kapitel150

27. Kapitel152

28. Kapitel156

29. Kapitel158

30. Kapitel163

31. Kapitel164

32. Kapitel166

33. Kapitel175

34. Kapitel177

35. Kapitel183

36. Kapitel185

37. Kapitel194

38. Kapitel197

39. Kapitel201

40. Kapitel203

41. Kapitel211

42. Kapitel217

43. Kapitel229

44. Kapitel232

45. Kapitel235

46. Kapitel240

47. Kapitel251

48. Kapitel253

49. Kapitel255

50. Kapitel256

51. Kapitel257

52. Kapitel258

53. Kapitel260

54. Kapitel269

55. Kapitel279

56. Kapitel285

Nachwort287

Die Lesereihenfolge von der Serie »Die Chroniken der Seelenwächter«289

Die Fortsetzung der Seelenwächter:290

Impressum291

Die Chroniken der Seelenwächter

Luft

Von Nicole Böhm

... die Luft beherrscht die Erde.

Ein Kreislauf. Für ewig.

1. Kapitel

Der Schicksalsberg.

Da vorne irgendwo war er.

Akil kämpfte noch ein wenig mit den Nachwirkungen der letzten Welle, die Jaydee vor Kurzem losgeschickt hatte, aber der Druck flaute schon wieder ab. Er konnte frei atmen. Er hoffte, dass zu Hause alles in Ordnung war, denn Zac sollte nun hoffentlich die Feder, den Dolch und das Amulett aus Dänemark gestohlen haben. Wenn alles nach Plan lief – was es ja leider selten tat –, käme Akil nachher zurück, würde den Ring mitbringen und alle Gegenstände vereinen, sodass Jess mit ihrer eigenen Magie alles zusammenfügen konnte.

Klang doch eigentlich ganz einfach.

Er schnaubte nur und ritt im Schritt weiter auf die Hügelkette zu, die sich vor ihm erhob. Irgendwo da hinten lag auch das lang verschüttete Seelenwächteranwesen, von dem er Jess erzählt hatte.

Das war Akils erstes Ziel, um nach dem Ring zu suchen.

Er ritt noch bis zum Fuß des Berges und wollte gerade absteigen, als ihn ein Funkspruch erreichte. Das Amulett vibrierte auf Akils Haut. Er hielt an, sprang vom Pferd und klaubte etwas Sand zusammen, um die Verbindung anzunehmen.

Es war Kjell.

»Hey, alles klar daheim?«, fragte Akil.

»Wie man es nimmt. Von Zac hab ich noch nichts gehört, aber diese letzte Welle, die Jaydee losgelassen hat, hat Schaden verursacht.«

»Wie meinst du das?«

»Es hat einige Seelenwächter ins Koma befördert.«

»Bitte was?! Wen?«

»Naél, Christin, Haley, Skyler, Josefa, Maggie und noch einige andere.«

»Aber …« Akil zog die Augenbrauen zusammen und versuchte, das zu sortieren.

»Wir haben versucht, sie zu heilen, doch es ist nichts zu machen. Ihre Körpertemperatur ist stark gefallen, als würden sie in einer Stasis liegen. Die Lebenszeichen sind normal, wir erkennen keine Fremdeinwirkung, keine Verletzungen, nichts.«

»Bei Ahriman.« Was sollte das denn jetzt schon wieder?

»Die Seelenwächter haben nichts miteinander gemein. Die Elemente sind alle unterschiedlich, genau wie die Familien, aus denen sie stammen. Ich weiß nicht, warum es manche erwischt hat und andere nicht. Mir geht es zum Beispiel sehr gut. Auch Raphael, Ikarius, Nomi – sie sind alle wohlauf.«

»Bei mir ist auch alles klar.« Haley und Christin hatten vorher schon über Übelkeit und Kopfschmerzen geklagt, auch Skyler hatte nach der vorletzten Welle von Jaydee zu schaffen gehabt. Akil fuhr sich durchs Gesicht und atmete frustriert ein und aus. »Was soll der Scheiß jetzt?«

»Gute Frage. Ich wollte dir nur Bescheid geben. Ich höre mich jetzt mal wegen Zac und den anderen um, ob da alles klar ist.«

»Danke. Wie kommt denn der Pfeifzauber voran?«

»Mein letzter Stand war, dass er Fortschritte macht. Joanne hat sogar zwei Sender zusammengebaut oder ist noch dabei und passt gerade die Frequenzen an. Auch das werde ich checken.«

»Tu das. Halt mich auf dem Laufenden. Ich bin jetzt am Schicksalsberg und suche nach dem Ring.«

»Willst du wirklich niemanden bei dir haben?«

»Nein, geht erst mal. Danke.« Akil hatte lange darüber nachgedacht, aber sich letztlich dazu entschieden, erst mal alleine herzukommen. Es gab noch so viele andere wichtige Dinge zu erledigen.

»Bis dann«, sagte Kjell und kappte die Verbindung. Auch Akil richtete sich auf und schaute sich um. Er blickte hinauf zum Himmel und schüttelte den Kopf. »Was machst du nur mit uns, Jaydee?«

Natürlich erhielt er keine Antwort, aber sein Handgelenk kribbelte leicht, als wollte es ihm mal wieder sagen, dass es ihm beistand. Akil strich über die Stelle, dann checkte er ein letztes Mal seine Waffen: die beiden Stäbe auf dem Rücken, zwei kleine Messer am Gürtel. Er tätschelte Flosi zum Abschied und lief auf die Bergkette zu. Das Wetter war angenehm mild, die Sonne hatte den Zenit längst überschritten.

Akil ging weiter auf den Felsen zu und bemerkte, wie alte Erinnerungen in ihm hochkamen. Vielleicht lag es daran, weil er wusste, dass Moira hier irgendwo hauste; die dritte der Schwestern, die Akils Leben mehr als einmal beeinflusst hatten.

Vor über zweitausend Jahren hatte alles angefangen. Da war er auch, wie jetzt, durch eine Wüste gelaufen. Nicht die gleiche natürlich, aber es fühlte sich ähnlich an. Er war mit seinen Freunden Mihra und Azam unterwegs gewesen, auf der Suche nach einer Lösung gegen einen Fluch, der seinen besten Freund das Leben kosten sollte, falls Akil sich etwas wünschte.

Die Münzen. Der Dämon Agash. Wie lange war das alles her?

Akil hatte unlängst Jess und Jaydee davon erzählt und sie als erste Menschen überhaupt in seine Vergangenheit eingeweiht. Akil hatte zuvor nie jemandem von dieser Zeit berichtet, es immer tief in seiner Seele gehalten, nun kochte das aus irgendeinem Grund wieder in ihm hoch.

Er schaute hinüber zu dem Berg, in dem Moira vielleicht hauste. Akil wusste nicht genau, wo das Spinnenwesen sich aufhielt. Er dachte auch an die Geschichte, die Mihra ihm damals erzählt hatte. Von Ananka, der Heilerin, Tyche, der Quelle, und Moira, der Spinne.

Drei Schwestern, die sich selbst verflucht hatten, weil sie um den Thron ihres Vaters gekämpft und sich, getrieben von Eifersucht, gegenseitig das Leben zur Hölle gemacht hatten. Moira war das Opfer gewesen, sie hatte alle Macht des Königs geerbt. Ananka war daraufhin so bitter geworden, dass sie alles daransetzte, das geradezubiegen. Akil hatte viel gelitten durch sie, auch Tyche hatte sein Leben auf den Kopf gestellt. Nachdem sie ihm mit dem Fluch geholfen hatte, war Akil auf einmal allein gewesen. Mihra war gestorben, Azam hatte sich nicht mehr an ihn erinnert.

Diese Wochen waren die schlimmsten für Akil gewesen. Alleingelassen, hungrig, verstoßen, verletzt. Er wäre gestorben, hätte Safraz ihn nicht gefunden und Callie ihn nicht geheilt. Akil fasste sich ans Herz und ließ bewusst diese Erinnerungen nach oben kommen, denn diese Zeit hatte ihn tief geprägt. Der Dämon Agash war ein Teil von ihm gewesen. Akil trug ein Stück Dunkelheit in sich, mit dem er sogar den Parsumi diesen letzten Funken Magie gegeben hatte, die sie brauchten, um zwischen den Welten zu reisen.

Zweitausend Jahre.

So viel Zeit.

So viel Leben.

Sie kamen und sie gingen und sie wurden ein Teil von Akils Leben. Er hatte viele wundervolle Zeiten erlebt und viele schreckliche. Er hatte Seelenwächter in sein Leben gelassen und sie verabschiedet. Akil dachte selten an die zurück, die vor Will und Anna da gewesen waren. Nicht weil er sie nicht schätzte oder ehren wollte, sondern weil sie weg waren und er nicht in der Vergangenheit lebte. Sie hatten ihren Frieden gefunden – hoffte er zumindest. Es war ein Teil des Kreislaufs, dass Seelen kamen und gingen. Seine jetzige Familie brauchte seine Kraft und seine Liebe, und die verteilte er von Herzen gerne.

Der Felsen verengte sich vor ihm, ließ aber einen kleinen Weg frei, durch den Akil laufen konnte. Die Luft wurde merklich kühler, ein Gefühl der Bedrohung lag in ihr. Akil spürte die Magie und die Macht, die dort im Berg hausten.

Er spürte Moira.

Akil konnte sie nach wie vor nicht einschätzen oder wissen, auf welcher Seite sie stand. Emma hatte die Theorie aufgestellt, dass sie ihnen helfen wollte, weil so viele am Ende hilfreiche Zufälle zusammengekommen waren, aber darauf wollte Akil sich nicht verlassen. Bei den Schwestern musste man mit allem rechnen.

Er folgte dem Weg weiter und strebte in Richtung des Anwesens. Akil blickte sich zu allen Seiten um und hielt die Sinne gespannt, er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden.

Er spähte nach oben auf die Felsen, die sehr gut für einen Hinterhalt geeignet waren, legte eine Hand auf ein Messer und ging weiter. Seine Brust wurde enger, aber er hielt an seinem Plan fest und folgte weiter dem Weg, der ihn jetzt nach oben führte. Akil kletterte ein Stück, bis er auf dem Hügel stand. Von dort aus konnte er sich einen besseren Überblick verschaffen.

Wobei nicht viel zu sehen war.

Vor ihm lag der See, daneben eine freie Fläche aus Sand, Kies und ein paar verdorrten Büschen. Keine Menschenseele. Dennoch wurde Akil das Gefühl nicht los, dass er nicht mehr alleine war.

Er machte sich auf der anderen Seite an den Abstieg und horchte, ob er schon etwas von dem Seelenwächteranwesen fühlen konnte. Der Boden vibrierte sanft unter seinen Füßen, je näher er sich darauf zubewegte. Nach außen hin mochten keine Spuren mehr sichtbar sein, aber die Erde vergaß nie. Überall, wo einst ein Anwesen gestanden hatte, blieb eine Signatur übrig. Eine Energie, die rein und alt war und die Akil durch Mark und Bein fuhr. Besonders wenn die Anwesen vor so langer Zeit vernichtet worden waren, staute sich viel an; als würde es unterirdisch weiterbrodeln, weil es die Kraft der vier Elemente festhalten musste.

Er kam näher zum See, der einige Kilometer breit und lang war. Wenn er ihn umrunden wollte, bräuchte er sicherlich einen halben Tag.

Die alte Kraft des Anwesens trat nun stärker hervor, Akil versuchte sich vorzustellen, wie es vor einigen Tausend Jahren hier ausgesehen hatte. Der Berg wäre der gleiche gewesen, die Luft vermutlich reiner, die Landschaft möglicherweise grüner. Akil hatte zwar viele Epochen gesehen, aber manchmal kam es ihm wie ein einziger Brei aus Erinnerungen vor, die er nicht mehr genau auseinanderhalten konnte. All die Jahre, die an ihm vorübergezogen waren; all die vielen Seelen, die er kennen- und lieben gelernt hatte.

Er schloss die Augen und legte eine Hand auf sein Herz. Obwohl er keine Zeit dafür hatte, horchte er in seinem Herzen nach und gab sich diesem Moment hin. Die Erde streckte sich ihm entgegen. Sein Element griff nach ihm, mit einer Leichtigkeit und Stärke, wie Akil sie brauchte. Er war so dankbar für dieses Geschenk, das Ilai ihm einst gemacht hatte. Dankbar, am Leben zu sein. Dankbar, all diese Jahre gesehen zu haben. Dankbar für jeden dunklen Moment und für jeden hellen. Momentan war die Welt kein guter Ort, aber Akil gab alles, um es wieder zu ändern. Er glaubte so fest an das Gute, dass kommen konnte, was wollte. Akil hatte sich nie beugen lassen, war nie bitter geworden, er würde den Teufel tun und jetzt damit anfangen.

Er würde kämpfen.

Weiter und weiter und weiter, bis er keine Waffe mehr halten konnte und der Atem aus seiner Lunge wich.

Ein leises Brodeln drang aus dem Boden und schien ihm noch mehr Kraft geben zu wollen. Akil nahm es dankbar auf und ging langsam los. Er hatte kein bestimmtes Ziel, er wusste nicht genau, wo das Anwesen gestanden hatte; aber die Erde würde ihn schon leiten. Sie hielt die Geheimnisse verborgen, bis es an der Zeit war, sie zu offenbaren.

Vielleicht jetzt.

Akil lief einen Hang hinunter und zum See hin, er bog ein Stück nach links ab, dann wieder nach rechts. Wenn ihn jemand von außen beobachtete, sah er vermutlich aus, als wäre er ein Besoffener, der den Weg nicht fand, aber er wollte seinem Gefühl gehorchen. Das Brodeln zu seinen Füßen wurde stärker, je näher Akil dem See kam. Vermutlich hatte das Anwesen an seinem Ufer gestanden. Möglicherweise hatten ihn die Wasserwächter sogar als Kraftplatz genutzt. Manchmal integrierten sie die Natur in ihre Häuser, so wie Ilai es mit dem Berg in Arizona getan hatte. Die Trainingshalle war ein Teil davon und der Kraftplatz für die Luft weit oben an seiner Spitze gewesen. Anna hatte gerne auf der Plattform dort gesessen und alles überblickt.

Akil lauschte weiter auf die Natur, ließ Emotionen und Bilder in sich hochkommen. Er konnte sich vorstellen, wie dort vorne ein Haus gestanden hatte oder da rechts ein Garten mit Schatten spendenden Bäumen und einer Bank zum Ausruhen. Auf der freien Fläche weiter vorne waren möglicherweise die Stallungen, wobei sie zu der Zeit noch keine Parsumi gehabt hatten. Er folgte noch einer ganzen Weile diesem Gefühl und schwelgte in den Energien der Vergangenheit, bis er spürte, dass er sich gut mit dem Land verbunden hatte. Dann kniete er sich hin und legte eine Hand auf die Erde. Akil lauschte dem Brodeln nach, suchte nach seinem Element und bat es um Mithilfe.

»Ich suche einen Ring. Es ist wichtig.«

Das Beben breitete sich unter seinen Fingern aus und dehnte sich zu den Seiten weg, als wollte es sich für ihn auf den Weg machen und finden, was er brauchte. Akil ließ dem Element die Zeit, die es benötigte. Es wäre eine Sache, den Ring zu finden, falls er da wäre – eine andere, ihn zu bergen. Wenn es dumm lief, müsste Akil etwas im Gegenzug hierlassen, wie es bei Jaydees Jadestein im See der Fall gewesen war, wo Jess ihre Emotionen hatte aufgeben müssen. Manchmal brauchte das Element einen Ausgleich, vor allen Dingen dann, wenn es vorher etwas hatte geben müssen. Vielleicht hatte Jason den Ring damals in die Obhut der Erde gebettet und es mit einem Zauber versiegeln lassen. Jonathan hatte zu Jess gesagt, dass der Ring im Gefüge der Zeit läge, aber das konnte alles und nichts bedeuten. Es könnte eine kleine Nische sein, die nur mit einem speziellen Spruch geöffnet werden konnte. Oder ein Zauber, wie ihn Ilai mit den Notizen gewirkt hatte, die Akil und Jess in die Vergangenheit gezogen hatten.

Das Beben unter Akil wurde stärker, aber noch konnte er nicht deuten, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Irgendwas Großes war da unten, so viel konnte er schon mal feststellen. Ein Kribbeln rann über seinen Nacken, er hatte schon wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Akil blickte über seine Schulter und sah sich um, aber da war nach wie vor niemand. Er witterte auch keine anderen Menschen oder Seelenwächter in der Nähe.

Das Beben nahm noch mal zu und lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf das, was vor ihm lag. Er fokussierte sich darauf und wartete, was das Element ihm bringen oder zeigen wollte.

Auf einmal wurde es noch lauter, kleine Steine tanzten um ihn herum. Es fühlte sich an, als würde sich etwas Gewaltiges auf ihn zubewegen. Etwas, das von tief unter der Erde kam.

»Was willst du mir zeigen?« Ihm wurde ein wenig mulmig, aber er wollte die Verbindung auch nicht brechen und hielt weiter seine Hand auf den Boden. »Ich bin da.«

Das Beben steigerte sich in ein lautes Grollen. Neben Akil wölbte sich die Erde nach außen. Wie bei einem gigantischen Maulwurfshügel. Das Geröll schob sich von unten heran, stapelte sich neben ihm auf und wurde höher und höher. Akil richtete sich nun doch auf und blickte auf das, was sich neben ihm aus der Erde bewegte.

Plötzlich schoss ein gewaltiger Lichtblitz hoch. Akil musste die Hand vor die Augen halten, um nicht zu sehr geblendet zu werden. Er taumelte einen Schritt nach hinten und legte eine Hand auf seinen Stab, um sich bereit für jeden Angriff zu halten. Das Licht nahm zu, eine Druckwelle entlud sich, etwas schoss daraus hervor. Akil wurde nach hinten geschleudert, fing den Schwung ab und kam sofort auf die Beine. Er zückte beide Stäbe, verschränkte sie vor seinem Körper, um sich zu verteidigen.

Aber das würde wohl nicht nötig werden.

»Bei Ahriman! Zac!«

Der Junge lag hustend und würgend vor ihm. Die Rüstung, die ihn schützte, flackerte und blitzte, als wäre sie beschädigt worden. Zac stemmte sich zitternd auf alle viere hoch, spuckte Dreck aus und röchelte nach Luft. Sein gesamter Körper bebte, als hätte er den gröbsten Gewaltmarsch hinter sich.

»Bin ich … Bin ich draußen?«, stotterte er. Seine Stimme klang wie mit einem Reibeisen abgezogen.

Akil eilte zu ihm und ging neben ihm in die Hocke. Er legte die Stäbe neben sich und fasste Zac vorsichtig an. Die Rüstung verpasste ihm einen Schlag, doch als Zac erkannte, wen er vor sich hatte, ließ er sie sinken.

»Akil«, stammelte er, rollte mit den Augen und kippte zur Seite um.

»Was zum Henker hast du denn angestellt?« Akil legte eine Hand auf Zacs Stirn, um nachzufühlen, was in ihm los war, aber er hatte keine offensichtlichen Verletzungen oder war sonst verwundet. Nur erschöpft. Akil gab ihm ein wenig Heilkraft, wobei es ihm selbst etwas schwindelig wurde und sich schon nach einer Minute alles drehte.

»Würde dir gerne mehr verpassen, aber das muss reichen.«

Zac stöhnte und schlug die Augen flatternd auf. »Wo … Wo bin ich?«

»In Äthiopien. Wo wolltest du denn sein und wie kommst du überhaupt hierher?«

»Ich weiß es nicht.« Zac hustete eine weitere Ladung Dreck aus. Akil half ihm, indem er eine Hand unter seinen Rücken schob und ihn so lange stützte, bis Zac fertig war.

»Was ist passiert?«

»Ich war bei Kjell in Dänemark, lief alles wie abgesprochen.«

»Habt ihr die Sachen bekommen?«

»Ja.« Er hustete noch mal, röchelte, spuckte. Aber Zac bekam langsam wieder Farbe und schien sich zu erholen. Akil betrachtete den Erdhaufen, aus dem er eben gekommen war, und spürte die Energie nachhallen. Müsste er raten, würde er sagen, dass an dieser Stelle früher einer der Kraftplätze gewesen war.

»Ich bin noch mal zurück, weil ich spürte, dass das Anwesen mir etwas sagen wollte«, sagte Zac. »Und ich fand … Ich fand einen Kasten, in dem sie Nadira eingesperrt hatten. In ihrer Nebelform. Aber sie konnte sich verändern.« Zac erzählte weiter, wie er von Marysol und Jason überrascht und in den Kraftplatz gesperrt worden war. Es dauerte, bis er fertig wurde, denn er musste zwischendrin immer wieder husten.

»Moment, Moment«, meinte Akil: »Du willst mir sagen, dass du es überlebt hast, in einen Kraftplatz gesperrt zu werden?«

»Ja. Sieht wohl so aus. Es sei denn, wir sind beide in der Nachwelt und das ist eine abgefahrene Vision.«

»Ist es nicht. Aber wie machst du das, bei Ahriman?«

»Ich weiß es nicht. Ich sagte doch, dass die Anwesen mit mir sprechen. Erst nur die zerstörten, aber bei Kjell fing es dann auch an. Scheinbar geht es mit jedem, das irgendwie nicht mehr im Gleichgewicht ist. Ich fühle sie. Hier drin.« Er fasste sich ans Herz, klopfte abermals auf seine Lunge, aber dieses Mal spuckte er nicht aus. »Hast du zufällig einen Schluck Wasser?«

»Nein, nur Heilsirup. Weiß nicht, ob das Wasser hier im See genießbar ist für Menschen. Flosi steht etwas abseits, du kannst mit ihr zurück.«

»Gut. Gib mir noch einen Moment, ja?« Zac ließ sich auf die Fersen sinken und rieb sich über den Nacken. Der Junge hatte nicht mal eine Schürfwunde. Er war zwar schmutzig und seine Haare standen wirr ab, aber sonst schien es ihm gut zu gehen.

»Es ist mir dennoch ein Rätsel, wie du das überstehen konntest. Und wie bist du hierhergekommen?«

»Keine Ahnung. Als ich versank, waren da erst mal nur Schwärze und Enge. Ich bekam Panik. Ich dachte, ich müsste ersticken, aber die Rüstung hat einiges von der Erde abgehalten. Und dann, auf einmal, war da nur noch Energie um mich herum. So ähnlich wie in Arizona, als mich dieser Blitz getroffen hat.«

»Ich erinnere mich.« Seither veränderte Zac sich mit jedem Tag und besaß dadurch diese Rüstung.

»Ich verlor mich komplett in diesem Leuchten und der Energie. Ich habe sie alle gespürt. Die vier Elemente. Sie halten die Anwesen zusammen, sie verbinden alles miteinander, es war der reine Wahnsinn. Wie ein einziger großer Organismus, der sich einmal quer über die Erde spannt.«

»So konnte Ralf seinen Zauber auf die vier Anwesen damals wirken.« Er hatte diese Schwachstelle genutzt und Zac nun offensichtlich auch.

»Sie sind wirklich am Leben. Sie nutzen die Kraft der vier Elemente und die der Seelenwächter. Es ist wie eine Symbiose.«

»Ja, ich weiß.«

»Irgendwann spürte ich ein Ziehen. Das muss wohl von dir gekommen sein.«

»Ich suche nach dem Ring und bat die Erde, mir zu zeigen, wo er ist.«

»Hey, du hast mich gefunden.«

Akil schmunzelte und stand auf. Er reichte Zac die Hand, um ihm hoch zu helfen. Als er sich erhob, fiel etwas aus seiner Kleidung und landete klirrend auf dem Boden.

»Was ist das?«, fragte Akil und bückte sich. Sah aus wie ein kleiner grüner Splitter. Er wollte ihn aufheben, doch als er ihn berührte, schoss es wie ein Stromschlag durch ihn. Er wurde von purer und reiner Energie geflutet, wie er sie zuvor gespürt hatte. Stärker als bei seinem Kraftplatz und genauso intensiv wie in der Stunde, als er sich dazu entschlossen hatte, ein Seelenwächter zu werden. Akil japste, umschloss den Splitter fester und ging ein zweites Mal in die Knie.

»Akil?«, fragte Zac. Nun war er es, der ihm helfen musste.

Wobei, nein. Akil brauchte keine Hilfe. Das hier war … Es war gut. Besser als gut. Der reine Wahnsinn sogar. Akil stöhnte, schloss die Finger noch fester, seine Zellen bebten. Die Kraft der Erde rauschte durch seine Adern, füllte jedes noch so kleine Fleckchen in ihm aus. Der Splitter, den er aufgehoben hatte, löste sich in seinen Fingern auf und floss als reine Energie in ihn hinein. Es war wie Heilsirup trinken, nur viel stärker. Wie eine Neugeburt. Ein Innehalten. Ein Auftanken. Alles auf einmal.

»Ist alles klar bei dir?«, fragte Zac.

Akil holte einmal tief Luft, und plötzlich war die Welt tausendmal intensiver. Seine Sinne waren aufgedreht, sein Herz wummerte, seine Seele frohlockte. Seine Muskeln waren gefüllt mit Kraft, er fühlte sich, als könnte er zehn Schattendämonen auf einmal füttern, als könnte sich ihm nichts mehr in den Weg stellen, weil die reine Kraft der Erde in ihrer ursprünglichen Form durch ihn schoss. Er öffnete die Hand, aber der Splitter war weg. Er war geschmolzen und hatte Akil das zurückgegeben, was er seit Wochen gebraucht hatte.

Energie.

Pure, kraftvolle, uralte Energie.

Die Energie der Seelenwächter.

Die Energie seines Elements, der Erde.

»Danke.« Das war alles, was er dazu sagen konnte.

2. Kapitel

Jessamine

Gleich zerreißt es mich.

Das halte ich nicht aus.

Wir werden uns verlieren.

Diese Gedanken schossen mir durchs Hirn, während ich von Storm zwischen die Welten gezogen wurde und sie mich mit sich teleportierte. Erst hatte ich keine Ahnung, wo die Reise hingehen sollte, doch auf einmal war es ganz klar für mich geworden. Normalerweise war das Teleportieren wirr. Voller Farben, Licht und Kälte. Als würde man um die Welt mit Highspeed reisen und alles einfach an einem vorbeifliegen.

Jetzt war es anders.

In meinen Ohren war ein unglaublicher Druck entstanden, ich hörte nur ein Rauschen. Aber die Lichter und Farben, die normalerweise wirr blieben, nahmen Formen an. Ich erkannte in der Ferne ein Ziel. Ich sah ein wunderschönes Anwesen, das mitten in der eisigen Wildnis stand. Umgeben von Schnee, einem zugefrorenen See, einem Wald und einer Bergkette. Ein wenig erinnerte es mich an mein ehemaliges Zuhause, aber das da vorne war Kjells Anwesen. Ich spürte es durch Storms Gedanken und ihre Luftwächterkräfte, die sie entfesselte.

Ich spürte, was sie vorhatte. Erst da dämmerte mir, warum.

Weil wir in meinem Territorium waren.

Die Luftwächter bewegten sich zwischen den Welten, an jenem Ort, den ich betrat, wenn ich in Visionen fiel. Gut, jetzt war ich wirklich hier, also mit meinem richtigen Körper, aber der hatte sich vorübergehend aufgelöst und würde sich erst wieder zusammensetzen, wenn wir ankamen.

Was, wenn ich das verhindern kann?

Ich wusste noch nicht, wie und ob mir das wirklich gelingen konnte, aber ich würde es versuchen.

Ich stemmte mich innerlich gegen den Sog, den Storm erzeugte, und versuchte etwas zu greifen, das mir Halt gab. Etwas Vertrautes, an das ich mich klammern konnte.

»Hör auf damit«, sagte Storm in meinen Gedanken. »Du gefährdest uns beide!«

»Das hättest du dir vorher überlegen sollen.«

Keine Ahnung, ob sie meine Gedanken wahrnahm, es war mir auch egal. Ich konzentrierte mich auf die Macht in mir drinnen, suchte nach diesen Fähigkeiten, die Jonathan mir vererbt hatte, und dehnte mich weiter in alle Richtungen aus.

»Jess! Nicht!«, rief Storm.

Auf einmal gab es einen Schlag und wir wurden in die Höhe gerissen, um kurz darauf wieder zu fallen. Storm schrie, ich verlor den Kontakt zu ihr, ehe sie mich erneut packte und dichter an sich zog. Die Reise wurde ruppiger, als kämen wir in Turbulenzen, aber genau das musste ich nutzen. Ich suchte erneut nach etwas, woran ich mich klammern konnte. Das hier war mein Bereich, es war meine Welt. Ich mochte sie noch nicht so gut kennen, wie Jonathan sie gekannt hatte, aber sie war ein Teil von mir – und Storm würde mich nicht herumkommandieren.

»Schluss!«, brüllte sie und lenkte mehr Energie ins Teleportieren.

Ich ebenfalls. Ich blickte zurück, wo wir hergekommen waren. Ich stellte mir Abes Dorf vor, mein Zimmer, mein Bett, was ich heute zum Frühstück gehabt hatte, wie es dort roch und wie die Vögel klangen. Ich rief alles so lebhaft wie möglich in mir wach, bis ich das Gefühl hatte, wieder dort zu sein.

Storm schrie, ich blickte sie an und erkannte tatsächlich ihr Gesicht vor mir. Das war das erste Mal, dass ich beim Teleportieren irgendetwas lenken konnte. Das erste Mal, dass diese Welt klarer und klarer für mich wurde. Storm riss die Augen auf, ungläubig, was mit uns geschah.

»Wie machst du das?«, fragte sie.

»Magie«, antwortete ich und riss uns beide nach hinten. Sie wollte sich noch einmal dagegen wehren, aber sie hatte keine Chance mehr. Wir stürzten beide in die Tiefe, doch ich hatte keine Angst davor, denn ich konnte sie lenken. Ich wusste genau, wohin wir kämen und steuerte mit vollem Bewusstsein darauf zu.

»Jess!«, schrie Storm – und dann knallten wir auf den Asphalt.

Die Luft war eiskalt, ich schlang die Arme um Storm, hielt sie fest, dass sie nicht sofort wieder abhauen konnte, und rollte mich auf sie. Sie atmete schwer und zitterte heftig. Storm verdrehte die Augen, alles an ihr krampfte. Ich war mir erst nicht sicher, ob sie das nur vortäuschte, doch sie schnappte panisch nach Luft und krallte die Fingernägel in die Erde.

»Hey«, sagte ich und rüttelte sie. »Wir sind wieder da. Komm zurück in deinen Körper.« Einem Instinkt folgend presste ich die Hand auf ihr Herz und konzentrierte mich darauf, ihre Seele mit ihrem Leib zu verbinden. Ich spürte ein leichtes Ziehen unter meinen Fingern und ein Kribbeln, das mir den Arm hochschoss und sich dann in meinem Bauch ausbreitete.

»Ganz ruhig«, sagte ich zu Storm und lehnte mich näher über sie. »Wir haben uns materialisiert. Wir sind wieder auf der Erde.«

Storm japste, riss die Augen auf und starrte mich an. Tränen rannen über ihre Wangen, ihre Haut wirkte noch immer aschig, die dunklen Adern zogen sich darunter durch.

»Es passiert nichts«, sagte ich ruhiger und versuchte mir gleichzeitig einen Überblick zu verschaffen. Es roch heftig nach Rauch, die Luft war neblig. Das Haus, in dem wir eben noch gesessen hatten, schwelte, aber das Feuer war schon eingedämmt. Im Schnee waren lange Schleif- und Brandspuren, als hätten sie sich gegenseitig gejagt. Die Anzeichen des Kampfes zogen sich einmal quer die Straße hinunter und endeten irgendwo hinter einem der Häuser. Weiter konnte ich von hier aus nicht mehr sehen.

Wo waren die anderen? Ich traute mich nicht, nach ihnen zu rufen, abgesehen davon musste ich mich auch erst mal um Storm kümmern. Sie beruhigte sich nur langsam, aber sie wirkte nicht mehr ganz so panisch wie eben noch. Ich nahm meine Hand von ihrem Herzen und sah an ihren Gürtel, wo sie ein Titaniummesser trug. Sie bemerkte meine Bewegung und zuckte zusammen. Wäre sie fit gewesen, hätte sie mich vermutlich aufhalten können, doch als wir beide danach griffen, erreichte ich die Waffe eine Sekunde vor ihr. Ich zog sie aus der Halterung und presste sie sofort an ihre Kehle. Storm hielt noch in der Bewegung inne und verharrte ruhig.

»Nicht …«, stammelte sie. »Bitte …«

Dachte sie etwa, ich würde sie kaltblütig töten oder ihr die Kehle aufschlitzen?

»Du wirst dich benehmen«, sagte ich bestimmt. Sie nickte.

»Ich kann sowieso … nicht …« Sie schloss die Augen und verzog das Gesicht. »Ich kann nicht mehr.«

Ich richtete mich langsam auf, ohne die Waffe richtig sinken zu lassen, und gab ihr so Gelegenheit, ebenfalls aufzustehen. Aber Storm blieb einfach liegen. Die Arme von sich gestreckt, den Blick in den Himmel gerichtet, die Lippen leicht geöffnet. Sie war wirklich am Ende. Ihr Atem pfiff bei jedem Luftholen, sie sah nicht so aus, als könnte sie noch aufstehen. Das konnte unmöglich alles an dieser Teleportation liegen, das musste auch mit ihrem komischen Zustand zu tun haben.

»Jess!«, hörte ich auf einmal Anna rufen und drehte mich herum. Sie kam die Straße hochgerannt, hielt zwei Kurzschwerter in den Händen und wirkte entschlossener und kampfbereiter denn je. Diese letzten Tage hatte ich Anna recht ruhig und in sich gekehrt erlebt. Sie war sanft zu mir und zu Will gewesen, hatte geholfen, wenn sie gebraucht wurde, sich ansonsten zurückgehalten. Aber jetzt erkannte ich wieder die Kriegerin in ihr. Mit gestrafften Schultern und starkem Schritt kam sie auf mich zu. Annas Miene war ernst, ihre Haare wehten um ihren Kopf, als wollten sie ihre Wildheit nur unterstreichen. Sie hatte nicht eine Schramme, dafür war ihre Kleidung an einer Seite angesengt. Anscheinend hatte sie einen Feuerball abbekommen.

»Ist alles klar bei dir?«, fragte sie und sah zu Storm.

»Ja, und bei euch? Geht es allen gut?«

Anna nickte und steckte ein Schwert in den Gürtel. Die freie Hand nutzte sie, um Storm vom Boden aufzuhelfen, sie ließ es mehr oder weniger über sich ergehen. Storm schwankte jedoch ziemlich und musste sich an Annas Schulter festkrallen.

»Wie konntet ihr nur so dumm sein?«, sagte Anna und schüttelte den Kopf.

»Was meinst du damit?«, hakte ich nach und fragte mich, ob wir Storm fesseln mussten, aber sie hatte kaum genügend Kraft, sich auf den Beinen zu halten.

»Sie haben schwarze Magie angewandt«, sagte Anna und legte einen Arm um Storms Taille. Sie zeigte auf das Haus, in dem sie und Will wohnten, und bat mich zu folgen.

»Habt ihr die anderen beiden erwischt?«, fragte ich.

»Ja. Eric habe ich recht gut überwältigen können, um Ameda hat River sich gekümmert.«

»Oh.«

»Die Frau ist der Wahnsinn. Sie bewegt sich so unauffällig, dass ich sie nicht orten konnte, obwohl ich wusste, dass sie da war.«

Storm stöhnte leise, krümmte sich vornüber, aber Anna hielt sie fest, damit sie nicht umkippte. Wir erreichten das Haus, ich ging voran und öffnete die Tür. Der Geruch nach Feuer und Kohle kam mir schon entgegen. Als ich hineinspähte, sah ich, dass Eric und Ameda auf der Couch lagen. Sie trugen Fesseln. River hielt neben ihnen Wache und stützte sich locker auf einem Schwert ab, während meine Mutter neben Ameda kniete und ihr die Stirn mit einem Tuch abtupfte.

»Hier sind sie«, sagte Anna.

Mum sprang sofort auf, als sie mich sah, und rannte mir entgegen. »Gott sei Dank!«, rief sie. »Wir dachten, wir hätten dich verloren.«

»Ja, ich auch. Aber Jonathans Fähigkeit rettet mir in vielerlei Hinsicht das Leben.« Er hatte mir damit einen unglaublichen Dienst erwiesen, den ich mit jedem Tag mehr zu schätzen wusste. Ich wünschte, ich könnte es ihm mitteilen und ihn wissen lassen, dass sein Opfer unsere Leben rettete. Mum umarmte mich rasch, dann half sie Anna mit Storm, die sich einfach auf den Sessel plumpsen ließ und in sich zusammensackte.

»Was ist passiert?«, fragte Anna.

»Was ist passiert?«, fragte ich.

Sie schmunzelte und bat mich, zuerst zu erzählen. Ich gab ihr wieder, was ich während des Teleportierens mit Storm getan und gefühlt hatte und wie ich es auf einmal hatte lenken können. »Es war fast wie ein Nachhausekommen. Ich … Ich habe irgendwie keine Angst mehr vor dieser anderen Welt.« Sie war ein Teil von mir, das erkannte ich mehr und mehr. »Und hier?«

»Wir haben Eric und Ameda recht gut fangen können, was aber auch daran lag, dass sie sich selbst mit Magie verunreinigt haben.«

»Mit schwarzer Magie, das sagtest du eben.«

Anna nickte und betrachtete die drei. »Coco ist tot.«

Ich zuckte zusammen und wusste im ersten Moment nicht, wie ich darauf reagieren sollte.

»Es war schwer, aus den beiden was rauszubekommen, also drang ich in ihre Köpfe ein und habe danach gesucht, was sie getan haben.« Anna schlang die Arme um sich und schüttelte sich. Sie deutete mit einem Kopfnicken rüber zur Küche, ich folgte ihr. River und Mum blieben bei den anderen.

»Brauchst du eigentlich Heilsirup oder irgendwas?«, fragte ich Anna und zeigte auf ihr verrußtes Oberteil.

»Nein, ist nur ein Streifschuss gewesen. Sie haben anscheinend ziemlich ihre Kräfte eingebüßt, nachdem sie diesen Zauber durchgeführt hatten.« Anna nahm sich ein Glas aus dem Schrank und ließ Wasser aus dem Hahn hineinlaufen. Sie trank es erst halb leer, ehe sie weitererzählte. »Diese Idioten, wirklich.«

Ich wartete, denn Anna brauchte offensichtlich selbst einige Momente, um das alles zu verarbeiten.

»Ich habe gesehen, wie sie Cocos Leiche ausgruben und ihr Gewebeproben entnahmen. Die haben dann … Sie haben einen Zauber ausgeführt und sehr dunkle Magie heraufbeschworen. Das Gewebe haben sie verflüssigt und es sich selbst injiziert.«

»Was? Warum das denn?«

»Das ist sehr mächtige Magie. Ich kenne mich natürlich nicht so gut aus wie Will, aber es gibt Zauber, mit denen man Fähigkeiten von einem auf den anderen übertragen kann. Dunkle Blutmagie. Sehr gefährlich, sehr kräftezehrend. Ich habe keine Ahnung, ob sie wieder fit werden.«

»Aber … Was …? Warum?«

»Um uns zu finden.« Sie trank noch einen Schluck und sah mich an. »Coco hatte die Fähigkeit, uns Nachfahren mit der Gabe aufzuspüren, weißt du noch?«

Ich griff an meinen Hals und an die Stelle, an der ich einst das Amulett getragen hatte. Der Rat hatte es für mich angefertigt, um mich vor Coco zu schützen. Irgendwann im Laufe der Kämpfe hatte ich es verloren. Ich konnte nicht mal sagen, wo und wie.

»Aber ich dachte, Will hat Schutzzauber um das Dorf gelegt.«

»Hat er, doch die waren nicht stark genug, unser beider Gabe auszublenden. Abgesehen davon war ich öfter mal draußen und oben auf dem Berg. Ich brauchte mein Element. Das hat Spuren hinterlassen. Sie mussten der Signatur nur folgen und uns finden.«

»Ich glaube es nicht.«

»Lilija hat es ihnen befohlen. Es war ihre Idee. Ich denke, Coco hat ihr irgendwann davon erzählt, dass sie uns Nachfahren aufspüren kann. Das war wirklich raffiniert, aber dass Storm und die zwei sich auf so was einlassen …« Sie schüttelte den Kopf. »Die Angst vor Lilija muss größer sein als die Angst vor den Schäden dieser Magie.«

»Werden sie denn welche davontragen?«

»Keine Ahnung. Wir geben ihnen Heilsirup und bringen sie rüber in unser Quartier am See. Dort können sie besser bewacht werden. Außerdem kann Kjell oder einer der anderen sie befragen. Das ist unsere Chance, mehr über Lilija zu erfahren.«

»Und über Jaydee.« Ich blickte zurück zu den dreien und fröstelte. Sie hatten ihn gesehen. Sie lebten mit ihm unter einem Dach. Er duldete sie in seiner Nähe. Irgendwie fühlte es sich an, als könnte ich durch sie eine direkte Verbindung zu ihm herstellen. »Denkst du, sie können uns auch mit Jaxon und Zac helfen? Wir müssen sie aus Dänemark holen.«

»Ich weiß.« Anna stellte das Glas ab und lief wieder zur Tür. »Ich kümmere mich darum. Aber erst bringen wir dich und alle anderen in Sicherheit. Wir können nicht länger hierbleiben.«

Ich seufzte und ließ die Schultern sinken. Anna hatte natürlich recht, aber ich hatte mich an das Dorf gewöhnt. Wenn Lilija allerdings mitbekam, dass die anderen nicht zurückkehrten, könnte sie weitere Angreifer schicken.

»Außerdem musst du auch mal schlafen«, fuhr Anna fort.

»Ich bin nicht müde.«

»Seit wann bist du wach?«

»Seit gestern … Morgen.«

Sie runzelte die Stirn und fixierte mich mit ihren schönen blauen Augen. »Du bist völlig überdreht.«

Ich rollte nur mit den Augen. »Und wo sollen wir hin? Mein altes Haus am See platzt bald aus allen Nähten, wenn ich das richtig mitbekomme.«

»Das stimmt allerdings. Geh dennoch hin. Ich packe alle Sachen zusammen, die wir brauchen. Wir lassen uns was einfallen. Dort bist du gerade sicherer als hier.«

»Wenn es sein muss.«

Anna runzelte nur die Stirn, was wohl so viel hieß wie: Ja. Muss es! »Wir hatten Glück heute, Jess. Lass uns das nicht aufs Spiel setzen.«

3. Kapitel

Ich bin so dumm. Ich bin so dumm. Ich bin so dumm!

Jaxon konnte nicht glauben, dass er noch immer hier war und nicht die Gelegenheit genutzt hatte, mit Katarina zurückzugehen, so wie er es hätte tun sollen.

Früher hätte er das gemacht. Früher hätte er keine Sekunde gezögert und das Weite gesucht. Sein gesamtes Dasein war nur darauf ausgerichtet gewesen, irgendwie zu überleben. Er war zwar Risiken eingegangen, aber nur wenn er entsprechend bezahlt worden war und es sich für ihn lohnte. Ansonsten war Jaxon ein recht bequemer Mensch gewesen.

Jetzt nicht mehr.

Jetzt kauerte er in diesem leeren Raum und hoffte darauf, nicht erwischt zu werden. Der Schweiß stand ihm im Nacken, sein Atem kam schwer.

Dabei wäre Jaxon fast draußen gewesen!

Er war schon vorne am Tor, sogar auf sein Pferd gestiegen. Er hatte Katarina zugenickt und war mir ihr losgaloppiert, und dann, auf einmal, war es über ihn gekommen.

So plötzlich, dass er es nicht aufhalten konnte.

Die Sorge. Die Angst. Das Bangen um Zac.

Die Flut an Emotionen war einfach so über ihn geschwappt, ohne dass er es hätte abstellen oder verhindern können. Ehe er überhaupt hatte darüber nachdenken können, hatte er schon abgebremst und war zurückgekehrt.

Einfach so.

Natürlich waren in genau dem Moment, als Jaxon das Tor ein zweites Mal passiert hatte, die Wachen zu sich gekommen, weil die Welle durch Jaydee vorüber gewesen war. Jaxon war geflohen, er hatte sich keinen zwei Seelenwächtern ohne Verstärkung stellen wollen. Er war zum Nebenhaus gerannt, hatte den erstbesten Eingang genommen und sich in einem der Zimmer verschanzt.

Leider hatte der Erdwächter ihn wohl gehört, denn als Jaxon kurz gecheckt hatte, ob er verfolgt worden war, waren die beiden auch schon auf ihn zugekommen.

Fluchend blickte Jaxon sich im Zimmer um. Es war ein einfacher Raum, mit einem Bett, einer Kommode, einem kleinen Bad. Eben das, was man so brauchte. Jaxon wünschte sich, er hätte stattdessen die Waffenkammer gefunden, denn alles was er nun besaß, waren die zwei kleinen Messer. Eins der Schwerter, das er einer Wache abgenommen hatte, hing an seinem Sattel – der Parsumi wartete draußen im Wald, weil Jaxon nicht hatte riskieren wollen, entdeckt zu werden.

Ich bin so dumm. Ich bin so dumm. Ich bin so dumm!

Alles nur, weil er vor Sorge nicht mehr hatte klar denken können! Früher hätte er nie vergessen, mehr Waffen mitzunehmen!

»Ich wittere etwas«, sagte der Erdwächter.

Jaxon fluchte leise und lief zum Fenster, das in den Innenhof zeigte.

»Der Mensch ist hier entlanggekommen«, sagte er.

»Warte, ich werde angefunkt«, sagte der Wasserwächter. »Kann sein, dass die anderen zurückkehren. Ich horche kurz nach.«

»Geht klar, ich durchsuche die Zimmer.«

Jaxon öffnete das Fenster leise und kletterte so vorsichtig es ging hinaus. Erdwächter hatten ausgezeichnete Sinne. Zwar konnte der Typ Jaxon nicht orten wie ein Luftwächter, aber er hinterließ mehr als genug Spuren mit seinem eigenen Geruch und den Geräuschen, die er machte. Jaxon kletterte in ein zugeschneites Blumenbeet und blickte sich weiter um. Der Innenhof war sehr gut von allen Seiten einsehbar. Jaxon hockte auf dem Präsentierteller. Er hatte keine Chance, Deckung zu finden, aber er musste quer durch, wenn er zurück zum Ausgang wollte.

Und das wollte er. Er musste.

Zac hin oder her: Jaxon konnte unmöglich hierbleiben, wenn die anderen – und vor allem Jaydee – zurückkämen.

Ich kann ihn aber auch nicht im Stich lassen.

Gott verdammt!

Jaxon raufte sich die Haare und hätte am liebsten auf etwas eingeschlagen, so gefrustet war er hierüber. Das musste er alles so bald wie nur möglich abstellen. Er konnte nicht zulassen, dass seine komischen Gefühle für Zac ihn derart belasteten.

Ich bin so dumm. Ich bin so dumm. Ich bin so dumm!

Wenn er sich das oft genug vorsagte, könnte er beim nächsten Mal vielleicht bessere Entscheidungen treffen.

»Hey!«, hörte er auf einmal hinter sich. Jaxon fuhr herum und bemerkte den Erdwächter, der am Fenster stand und zu ihm sah.

»Scheiße!« Schon wieder hatte Jaxon sich ablenken lassen.

Statt zu fliehen, sprang Jaxon auf und nutzte diese erste Sekunde in einem Kampf, in der noch nicht feststand, wer welchen Hieb setzen würde. Aus diesem kurzen Moment hatte Jaxon schon oft seine Vorteile ziehen können, er zögerte nie mit einem Angriff, womit die meisten Gegner nicht rechneten. Jaxon zückte das erste Messer und zielte auf den Hals des Erdwächters. Der sah die Attacke kommen und wollte sich wegdrehen, aber er reagierte einen Hauch zu spät. Jaxon erwischte ihn noch an der Schulter. Nicht die Stelle, die er hatte treffen wollen, doch es reichte, dass der Erdwächter vor Schmerz brüllte und zurückwich. Jaxon wollte die Waffe zurückziehen, aber der Mann holte aus und donnerte Jaxon die Faust ins Gesicht. Der Hieb war hart und traf ihn voll auf die Nase. Jaxon hustete, als das Blut seinen Rachen hinunterlief. Er taumelte rückwärts, fuhr herum und eilte an der Hauswand entlang. Die Nase war definitiv gebrochen, so wie sie schmerzte, aber das kannte er zum Glück schon. Nicht das erste Mal, dass das geschah.

Jaxon rannte los und durchquerte den Innenhof, was er eigentlich hatte vermeiden wollen, aber der Erdwächter hatte ihn ja sowieso entdeckt. Er eilte über die freie Fläche, erkannte aber schon nach den ersten Metern, dass er so verlieren würde. Der Erdwächter war viel zu schnell für ihn.

Ein Hase kann einem Tiger nicht auf offenem Feld entkommen.

Jaxon musste so lange Haken schlagen, bis er ihn abgehängt hatte. Er fand eine Tür, betete, dass dahinter nicht der Wasserwächter warten würde, und stieß sie auf. Jaxon fand sich in einem langen Gang wieder, blickte nach rechts und hörte Stimmengemurmel zu seiner Linken. Das musste der Wasserwächter sein, der seinen Anruf entgegennahm. Jaxon drehte nach rechts und eilte weiter den Gang entlang. Eine Treppe führte nach oben, zwei weitere Türen vermutlich wieder nach draußen. Jaxon entschied sich für die Treppe, auch wenn er weiterhin auf einem Umweg blieb. Doch auch das war eine seiner Stärken: Er konnte sehr gut improvisieren. Seine Vergangenheit hatte ihn gelehrt, dass seine Chancen auf einen Sieg umso größer waren, je unerwarteter er sich verhielt. Jaxon eilte die Stufen hoch, fegte um eine Ecke und rannte auch die zweite Treppe nach oben. Sein Herz pochte wild, das pure Adrenalin rauschte durch seine Adern. Ein Stück weit genoss er diesen Zustand. Wenn sein Körper und sein Geist eins wurden und seine Sinne sich auf ein Ziel ausrichteten. Dann rückte alles andere in den Hintergrund und Jaxon lebte nur noch in diesem Moment.

Er irrte den nächsten Flur entlang, bog absichtlich, so oft er nur konnte, ab und hoffte so, die Sinne des Erdwächters zu verwirren. Der hatte hoffentlich noch mit der Stichwunde zu kämpfen. Bis er Jaxons Spur aufnehmen konnte, wäre der einmal quer durchs Anwesen geirrt. Immer in der Hoffnung, dass die anderen nicht zurückkämen und er … Es kam so plötzlich, dass er es im ersten Moment gar nicht richtig registrierte.

Jaxon bog um die nächste Ecke und fand sich mitten in einer dichten, schwarzen, undurchschaubaren Nebelwand wieder.

Alles in ihm gefror zu Eis.

Er konnte sich von einer Sekunde auf die andere nicht mehr bewegen. Ihm blieb die Luft weg, es war stockfinster um ihn, er wusste auf einmal nicht mehr, wo oben oder unten war.

Der.

Nebel.

Hat.

Mich.

Wieder.

Das war alles, was er denken konnte. Jaxon japste nach Luft, fasste sich an die Kehle, weil er das Gefühl hatte, daran zu ersticken. Mit einem Mal rauschten seine alten Ängste durch ihn. Er sah sich selbst in seinen schrecklichsten Stunden, in denen er auf dem Bett zusammengekauert gelegen und sich diesem Wahn hingegeben hatte. Er sah die Drogen, die er sich eingeworfen hatte, um dem Nebel zu entkommen, die vielen Stunden im Delirium, die Schmerzen, die Wahnvorstellungen, die Angst, die Dunkelheit.

Sie war ihm vertraut, ja. Aber diese Art der Finsternis war die grausigste, die es für Jaxon gab. Sie raubte ihm alle Hoffnung, alle Energie. Sie quetschte ihn zusammen, entzog ihm seine Lebenskraft und den Willen, überhaupt weiterzumachen. Sie war das Dunkelste, was seine Seele zustande bringen konnte. Sie drückte so sehr auf seine Schultern, dass er sich zusammenkrümmte und in die Knie ging.

Das war es. Ich bin geliefert. Es ist vorbei.

Es würde alles von vorne losgehen. Er würde sich in diesem Mist verlieren, bis er alles von sich aufgegeben hatte. Der Erdwächter würde ihn finden und kurzen Prozess mit ihm machen. Jaxon glaubte nicht, dass sie ihn gefangen nehmen würden, und wenn doch, dann nur, um Informationen aus ihm herauszubekommen.

Er war verloren. So oder so war das hier ein totes Ende.

»Still«, hörte er eine Stimme flüstern. Sie klang weiblich und sanft, aber auch ein wenig gequält.

Jaxon stöhnte, hob die Hände an seine Ohren und krümmte sich weiter zusammen. Nicht das erste Mal, dass er Stimmen im Nebel hörte. An manchen Tagen waren sie so eindringlich gewesen, dass er das Gefühl gehabt hatte, sie würden mitten durch seinen Schädel marschieren.

»Er wird dich hören«, fuhr der Nebel fort, aber Jaxon konnte nicht richtig darauf reagieren. Er wusste nicht, was um ihn herum passierte, ob sein Verfolger ihn schon ausgemacht hatte oder nicht.

»Hier rüber«, sagte die Stimme. Jaxon spürte ein Drängen im Kreuz. Er wollte sich dagegen wehren, aber es fühlte sich an, als würden tausend eiskalte Hände ihn von hinten anschieben. Ein Schauer durchfuhr ihn, er stürzte nach vorne, wo er auf allen vieren landete.

»Komm schon, komm«, erklang es erneut.

Jaxon war sich nicht sicher, ob es immer die gleiche Stimme war oder ob sie wechselte. Es klang eher, als würde sie mal heller, mal tiefer sprechen, mal jünger, mal älter.

Er verzog das Gesicht und machte sich darauf gefasst, gleich von allen möglichen dunklen Emotionen geflutet zu werden. Panik. Angst. Depression. Trauer. Wut. Neid. Hoffnungslosigkeit. Schwärze. Undurchdringbare und niemals enden wollende Schwärze.

»Hierher, los«, hörte er wieder und wurde von Neuem nach vorne geschoben. Jaxon schnappte noch mal nach Luft, inhalierte den eiskalten Dunst und zitterte noch mehr.

»Wir haben es gleich. Hier kann er dich nicht finden.«

»Ich …«, gab Jaxon von sich, mehr kam nicht aus ihm heraus. Ihm war schwindelig und schlecht und er hatte keine Ahnung, wohin er sich bewegte, er wusste nur, dass er es tat und dieser Dunst ihn unnachgiebig irgendwohin dirigierte.

»Lass mich …«, keuchte er, aber der Nebel ließ ihn nicht. Das tat er nie. Das Einzige, was half, war, wenn Jaxon sich im Drogenrausch verlor, doch das wäre im Moment schlecht möglich.

»Wir sind bei dir«, sagte der Nebel. »Es wird alles gut. Alles gut.«

Jaxon blinzelte, aber es war und blieb finster um ihn herum.

Auf einmal hörte er Schritte hinter sich und zuckte zusammen.

»Still jetzt!«, sagte der Nebel. »Er ist da. Ganz ruhig. Rühr dich nicht. Hier kann er dich nicht finden. Sht.«

Die Hände pressten Jaxon noch mehr zusammen. Er konnte sich kaum rühren, so sehr wurde er eingeengt. Erstaunlicherweise kamen noch immer keine wirren Bilder in seinen Geist, wie es üblicherweise der Fall war.

Dafür kamen die Schritte näher.

»Wo bist du, kleiner Scheißer?«, flüsterte der Erdwächter.