Die Chroniken von Mistle End 3: Der Untergang droht - Benedict Mirow - E-Book

Die Chroniken von Mistle End 3: Der Untergang droht E-Book

Benedict Mirow

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Beschreibung

Die letzte Schlacht um Mistle End - das spannende Finale ist da! Tauche ein letztes Mal ein in das Refugium der magischen Geschöpfe - Heimat für Hexen, Trolle und viele andere übernatürliche Wesen.

Crutch, der dunkle Druide, hat Vampire und Dornhexen vereint. Cedrik und seine Freunde reisen in den Norden, um die Nymphen als Verbündete zu gewinnen. Hilfe erhofft sich er ebenfalls von einem alten Druiden, der am Steinkreis von Callanish leben soll. Doch die Reise offenbart Schreckliches: Dark Oaks, Heimat der Nymphen, steht in Flammen und das Heer der Dornhexen und Vampire ist bereits auf dem Weg nach Mistle End. Gelingt es Cedrik und seinen Freunden, Mistle End vor dem Untergang zu retten?

Ein phantastisches Kinderbuch über einen jungen Druiden und die magischen Kräfte der Natur. Die besonders hochwertige Ausstattung lädt zum Verschenken ein.

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Das Buch

„Heute Nacht, wenn der Mond seine volle Größe erreicht hat und am höchsten Punkt steht, wird Crutch die Tore zur Anderswelt öffnen und eine Armee aus toten Helden gegen uns in die Schlacht führen. Die Morrigan wird ihre Meute auf uns hetzen und wir werden dem Tod in die leeren Augen blicken. Wenn wir die Sonne über den Hügeln aufgehen sehen, werden wir wissen, dass wir es geschafft haben. Aber bis dahin liegt eine lange Nacht vor uns.“

Der Autor

© Matthias Boch

Benedict Mirow wurde 1974 in München geboren. Der Ethnologe und Regisseur schreibt, dreht und produziert seit vielen Jahren Dokumentarfilme aus den Bereichen Kunst und Kultur und erstellt Filmporträts über Künstler wie Daniel Hope, Lang Lang oder Paulo Coelho. Er konnte mit seinen Filmen zahlreiche internationale Preise gewinnen, wie u.a. einen Diapason d’Or, einen International Classical Music Award und einen KLASSIK ECHO; am Erfolg des OSCAR® Gewinners Nirgendwo in Afrika von Caroline Link war er als Ethnologischer Berater maßgeblich beteiligt. Nach Zeiten in Afrika und Wien lebt und arbeitet Benedict Mirow nun mit seiner Tochter und zwei Katzen in München und schreibt phantastische Romane für Kinder.

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Für meine Leserinnen und Leser!Groß und Klein, Jung und Alt.Und für dich!

DER HEILIGE HAIN

Cedrik setzte sich rittlings auf den Ast der knorrigen Eiche und schaute durch die Zweige nach oben. Glühende Funken tanzten durch die Nacht und stiegen mit der heißen Luft des Feuers in den Sternenhimmel. Der heilige Platz war von uralten Bäumen umrahmt, in den Ästen ringsum hatten sich Flirrelfen niedergelassen. Es mussten Hunderte sein, ihm schien, als würden die Sterne am Himmel und die kleinen, funkelnden Lichter der Elfen um die Wette glitzern.

Im Widerschein des gewaltigen Feuers konnte Cedrik die zahlreichen unterschiedlichen Wesen und Gestalten erkennen, die sich unter den ausladenden Blätterkronen versammelt hatten. Cedrik sah Vampire einträchtig neben Hexen sitzen, er entdeckte Waldelben und Nordische Bergtrolle. Ein Zwerg lachte über den Witz eines Gestaltwandlers, der sich vor Begeisterung in einen Pfau verwandelte. Und dort ... war das etwa ein ... konnte das sein?!

»Da drüben! Das ist ja ... ist das ein ...?«, fragte er Elliot verblüfft, der sich eben neben ihn auf den Ast setzte und die Beine baumeln ließ.

»Ein Zentaur, ja!«, erklärte Elliot. »Tiberio, aus dem Geschlecht der Ciaballi. Er kam früher viel öfter ins Dorf, aber Mama sagt, er ist in den Süden gezogen, wo die Nächte milder und die Winter kürzer sind.«

Der Zentaur, mit lässig verschränkten Armen, stampfte unruhig mit seinen schweren Hufen auf den weichen Waldboden. Sein dunkelbrauner Pferdeleib schimmerte wie Bronze im Licht des Feuers. Mr Elderling, der Bücherelf, hatte es sich auf den Schultern des Pferdemannes bequem gemacht und war mit den anderen Fabelwesen in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Sie wirken so ernst, dachte Cedrik.

»Ich habe noch nie so viele Leute hier in Mistle End gesehen. Sind sie alle wegen der Prophezeiung hier?«

Elliot nickte heftig. »Natürlich, Mann! Dieser Drache, der Angriff, das lässt keinen kalt!«

Cedrik dachte an die Vision in der Sternenkuppel und wusste, was Elliot meinte. Das Bild von dem geflügelten Drachen, wie er über das Dorf flog, Feuer spie und alles zerstörte, hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt.

Cedrik blickte nach unten, als er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Erstaunt stellte er fest, dass sich unter ihnen ein prachtvolles Arrangement aus Obst, Blumen und Pfauenfedern langsam hin und her bewegte. Und war das etwa eine Maus, die da zwischen den Äpfeln herumspazierte?

»Was ist das?«, flüsterte er leise.

»Guten Abend, Bertha«, rief Elliot laut und grinste.

Lady Bertha, wie sie eigentlich alle nannten, zuckte zusammen, hielt ihren üppig verzierten Hut fest und sah mit zusammengekniffenen Lippen nach oben. Die Besitzerin des Magischen Mysteriums musterte sie streng, bevor sie ihnen hochnäsig zunickte. Seit Cedriks Besuch in ihrem Theater, bei dem der wertvolle Bühnenvorhang zerrissen war, war sie nicht wirklich gut auf sie zu sprechen.

»Die Alte nutzt wirklich jede Gelegenheit, einen ihrer verrückten Hüte auszuführen.« Elliot kicherte.

Eine Ringeltaube flatterte durch die Nacht und landete zufrieden gurrend auf dem Ast über ihm. Cedrik streckte beunruhigt den Kopf, um zu schauen, ob er Skye irgendwo entdecken konnte, aber von dem Adlerweibchen war keine Spur zu sehen.

»Musst du unbedingt als Zwischenmahlzeit hier rumfliegen?«, murrte er nervös. Er mochte es gar nicht, wenn Emily in der Gestalt einer typischen Beute seines Goldadlerweibchens auftauchte.

Er hörte ein Wirbeln und Sausen und PLOPP! saß Emily elegant im Damensitz in ihrem Baum. »Habt ihr gesehen? Ich kann jetzt auch Taube!«

Elliot verdrehte die Augen und Cedrik lachte.

Die Gestaltwandlerin ließ sich in ihrer guten Laune nicht beirren. »Das war gar nicht so einfach! Und sie ist sehr gut geworden. Aber davon habt ihr natürlich keine Ahnung.« Sie winkte ab und wechselte das Thema. »Habt ihr wenigstens mitbekommen, dass sogar die Werwölfe gekommen sind?«

Cedrik wusste bereits, dass etwas weiter hinten, außerhalb des Lichtkreises, das Werwolfrudel mit hechelnden Zungen sein Lager aufgeschlagen hatte. Sie hatten sich auf den weiten Weg aus ihren Jagdgründen in den Bergen hierher nach Mistle End gemacht, um dabei zu sein. Als er sich mit seinem Vater auf den Weg zu der kurzfristig anberaumten Versammlung gemacht hatte, war er in der Dunkelheit zwischen den Bäumen über einen der jungen Wölfe gestolpert. Der Arme hatte nur einmal kurz aufgejault und war dann in der Nacht verschwunden. Er war beeindruckt von der Disziplin, die die Gruppe um Jonathan aufbrachte. Es war Vollmond, aber sie hatten den wilden Teil ihrer Seele gut im Griff. Seit ihrer Ankunft im Dorf hatte es noch keinen Zwischenfall mit den nicht ungefährlichen Wechselwesen gegeben.

Es krachte und knirschte laut, unmittelbar neben Cedriks Ohr, und als er erschrocken hinübersah, kaute Elliot mit viel Eifer auf einem offensichtlich sehr knusprigen Keks.

Er hielt Cedrik eine kleine Blechdose entgegen. »Hier, von Papa, nimm! Er sagt, die musst du probieren. Die besten ›Golden’s Cruncher‹, die er je gebacken hat.« Er schmatzte glücklich. »Und ich finde, er hat recht.«

Cedrik griff zu und biss in den ganz bestimmt besten Karamell-Krokant-Butterkeks, den er je in seinem Leben gegessen hatte.

»Und ich?«, rief Emily empört. »Bekomm ich keinen?«

Elliot seufzte und gab ihr die Dose.

Die Elben, die gemeinsam mit Ao’Taeras aus dem Steineichenviertel gekommen waren und sich nun unter ihrem Baum sammelten, beäugten missmutig die Gargouillen, die den Nachbarbaum für sich in Anspruch genommen hatten. Cedrik konnte den Unmut der Waldbewohner gut verstehen. Die metallenen Wasserspeier waren seltsame Zeitgenossen. Und irgendwie unheimlich, mit ihren scharfen Krallen und dem ständigen Gesabber.

Elliot, der seinen Blick auf die Wächter des Rates bemerkt hatte, boxte ihn in die Seite. »Weißt du, warum man nicht unter einem Baum mit Gargouillen sitzen sollte?«

Cedrik zuckte ahnungslos mit den Schultern.

»Weil man nie weiß, ob es wirklich Regen ist, der da von oben auf dich runtertropft.«

Cedrik und Emily lachten, dann wurde die junge Gestaltwandlerin schnell wieder ernst. »Alastair besteht seit dem Angriff der Raben darauf, dass sie die Ratsversammlung bewachen. Und das ewige Sabbern kommt von dem vielen Regen, den sie im Lauf ihres Lebens auffangen, sagt Mama.«

Elliot wollte eben etwas erwidern, als das laute Splittern von Holz sie alle zusammenzucken ließ. Eine Familie zottiger Bergtrolle war aus dem Halbdunkel getreten. Mit bloßen Händen brachen sie kleinere und größere Baumstämme, die der letzte Sturm zu Boden geworfen und die sie im Wald gesammelt hatten, in handliche Scheite, als wären es dürre Zweige. Fasziniert beobachtete Cedrik, wie die gutmütigen Riesen die Holzstücke aus respektvollem Abstand auf das lodernde Feuer warfen.

»Ich find’s toll, dass wir mitdürfen«, sagte Emily. Sie wirkte irgendwie aufgedreht.

»Was meinst du?«, fragte Cedrik.

»Na ja, dass wir dich begleiten dürfen«, erwiderte Emily. »Zu deiner Mutter! Und nach Callanish!«

Elliot kicherte leise.

Seine Schwester boxte ihn in die Seite. »Was hast du denn schon wieder?«

»Ich hab mir gerade Cedrik vorgestellt, wie er an jeden Baum in Schottland klopft und höflich fragt, ob vielleicht seine Mutter zu Hause ist.«

Cedrik lachte laut auf und auch Emily konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen. »Ich bin wirklich froh, dass ihr mitkommt. Ohne euch würde ich Dark Oaks niemals finden, das weiß ich.« Er zeigte Elliot dankbar seinen ausgestreckten Daumen.

Dark Oaks, der heilige Wald der Nymphen. Hoffentlich würde er seine Mutter dort finden. In dem Baum, in den sie von ihrem eigenen Vater und Cedriks Großvater, dem Gott Cernunnos, gebannt wurde. Vielleicht konnte sie ihm sagen, was er tun musste. Was von ihm erwartet wurde. Danach wollten sie nach Callanish, auf die Insel der Druiden. Wenn er eine Chance gegen Crutch haben wollte, musste er alles lernen, was es als Druide zu lernen galt. Wo, wenn nicht beim alten Steinkreis von Callanish. Sein Vater, der mithilfe von Mr Elderling tagelang in der Bibliothek von Mistle End nach Hinweisen gesucht hatte, war sich ganz sicher, dass sie dort auf andere Druiden treffen würden.

Erneut kam Bewegung in die Schatten und der Greif betrat die Lichtung. Riesengroß, mit leicht geöffneten Adlerschwingen und stolz erhobenem Haupt trat der magische Wächter in den Schein der Flammen und ließ sich am Waldrand nieder. Den Schwanz anmutig um den gewaltigen Löwenkörper gelegt, wirkte er wie der König der Nacht. Oder zumindest dieser Versammlung.

»Ich vergesse immer, wie riesig der Greif ist«, raunte Cedrik ehrfurchtsvoll seinen beiden Freunden zu.

Emily nickte. »Ich bin froh, dass er hier ist.«

»Irgendwie beruhigend, finde ich auch«, meinte Elliot.

Cedrik hatte den Greif schon lange nicht mehr gesehen, und er stellte erstaunt fest, dass das Fabelwesen sein weißes Winterfellkleid abgelegt hatte und der ganze Körper des Adlerlöwen nun mal dunkelrot, dann wieder dunkelblau schillerte. Nur der Schnabel hatte noch immer seine goldene Farbe. Der Greif sah auf und Cedrik direkt in die Augen. Und für einen kurzen Moment schien es ihm, als hätte der Löwenadler genickt. Ein Schauer lief über Cedriks Rücken.

Alastair, der mächtige Hexenmeister und Anführer der Paladine, trat vor das Feuer und erhob seine Stimme. »Hiermit erkläre ich die Versammlung des großen Rats für eröffnet!« Er wirbelte herum, warf mit einer schnellen Bewegung ein Pulver in das Feuer und die Flammen loderten auf. Und wurden silbrig blau. Ein Raunen ging durch die Menge.

»So ein Angeber«, bemerkte Emily verächtlich.

»Ich danke euch, dass ihr euch auf den Weg gemacht habt, raus aus dem Dorf, in die Hügel, zu unserem heiligen Hain«, fuhr Alastair fort. »Lange waren wir nicht mehr hier, aber die Umstände haben es uns richtig erscheinen lassen.«

Die Wölfe ließen ein kurzes Geheul ertönen. Cedrik hatte von seinem Vater gehört, dass sie den alten Hain oberhalb Mistle Ends gewählt hatten, um wirklich allen und insbesondere den Wölfen Gelegenheit zu geben, an der Versammlung teilzunehmen. Elliot hatte recht. Ihre Entdeckung im Stellarium, dem alten Himmelsprojektor, hatte tatsächlich für mächtig Wirbel in der Dorfgemeinschaft gesorgt. Samhain, der Tag und vor allem die Nacht, in der die schrecklichen Ereignisse mit dem Drachen stattfinden sollten, lag zwar auf der anderen Seite des Sommers, aber es fühlte sich nicht nur für Cedrik so an, als ob die Bedrohung unmittelbar bevorstand.

Esmeralda, die ihre Reise in den Norden unbedingt befürwortete, hatte allerdings darauf bestanden, dass sie vor ihrem Aufbruch erst die Versammlung abwarten sollten. Es schien ihr wichtig, der Mission den offiziellen Segen der Dorfgemeinschaft zu verschaffen. »In solchen Zeiten ist es wichtig, dass wir zusammenhalten. Und wir die Stimmen aller hören! Es geht um die Zukunft unseres Dorfes, das geht alle etwas an«, hatte sie gesagt und die Boten mit den Einladungen rausgeschickt.

Alastair sprach weiter. »Ich nehme an, ihr habt alle von der Vision gehört. Sie ist wild und verstörend und manch einer von euch wird sich selbst ein Bild von dem gemacht haben, was uns alle in der Nacht zu Samhain erwarten wird.« Er holte tief Luft. Es war inzwischen totenstill unter den Anwesenden geworden. »In jener Nacht zwischen den Welten, wenn die Anderswelt und die Welt der Lebenden sich fast berühren, wird ein Drachenreiter unser Dorf angreifen. Sein Drache wird Feuer auf uns regnen lassen und es sieht so aus, als ob ...« Er schluckte. »... als ob er unser Dorf zerstören wird.« Er schloss für einen kurzen Moment die Augen. »Doch was wahrscheinlich nur die wenigsten unter euch wissen: Der Drache, der bei seinem Angriff auf Mistle End in der Vorschau der Himmelskuppel zu sehen ist, ist uralt. Niemand hat ihn mehr gesehen, seit Jahrhunderten nicht mehr. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass es ihn gar nicht mehr gibt. Er ist nicht irgendein Drache, es ist einer der Urväter der Drachen, von ihm stammen alle Drachenwesen ab. Sein Feuer ist allesverzehrend und lässt sich auch durch Magie nicht aufhalten, im Gegenteil: Sein Feuer frisst Magie!« Er sah sich um und wartete, wie um seinen Worten das richtige Gewicht zu verleihen. »Gegen einen Drachen wie ihn haben wir kaum eine Chance.«

Unruhe brandete auf, doch Esmeralda trat rasch einen Schritt nach vorn und zog mit erhobenen Handflächen alle Aufmerksamkeit auf sich. »Hört mir zu! Es ist noch nicht zu spät, es gibt Hoffnung! Das Stellarium ist kein Orakel im eigentlichen Sinne, es zeigt immer nur die möglichste aller Varianten, die wahrscheinlichste!«

Niemand schien auf sie zu achten, die Menschen, Wesen und Hexen sprachen wild und lautstark miteinander.

»Ich bitte euch, hört mir zu«, rief Esmeralda erneut, doch erst als ein Wolf laut und zornig bellte, kehrte wieder Ruhe ein.

»Danke, Jonathan Jackelby!« Esmeralda nickte erleichtert. »Wir nehmen an, dass es Crutch ist, der auf dem Drachen reitet. Wir wissen somit Folgendes: Der dunkle Druide und seine Dornhexen werden unser Dorf überfallen und wahrscheinlich werden die Vampire der Blutkrone, die Samariter, ihn dabei unterstützen. Aber es gibt einen Weg, das zu verhindern.«

»Indem wir ihrem Angriff zuvorkommen! Indem wir stärker sind als sie«, unterbrach sie Alastair. »Dann könnten wir den Krieg zu unseren Gunsten entscheiden!«

Esmeralda wurde rot im Gesicht. »Aber ... das ist nicht der Plan, Alastair!« Sie klang wütend. Und verunsichert. »Nicht so! Wir werden unsere Zukunft in die Hand nehmen, aber nicht indem wir es sind, die den Krieg zu unseren Feinden tragen!«

»Wir sind schon mittendrin, Esmeralda! Sieh dich doch um! Wir haben Flüchtlinge in unseren Reihen. Vampire! Und Werwölfe!« Alastair schüttelte den Kopf. »Sie sind vor einem Krieg zu uns geflohen, an dem wir längst teilhaben.«

Shirley, die Vampirprinzessin, trat aus dem Schatten eines Baumes in den Lichtkreis des Feuers. »Alastair hat recht, Esmeralda. Der Kampf hat schon längst begonnen!«

Shirley war mit ihren Getreuen nach einem Putsch der alten Vampirfamilien gegen ihre Mutter, die Königin, zu ihnen nach Mistle End geflohen. Sie war die einzige Überlebende ihrer Familie und somit eigentlich die rechtmäßige Erbin des Vampirthrones von London. »Wir wären nicht hier, wenn wir nicht die erste Schlacht verloren hätten. Wir sind ...« Sie stockte und sah erschrocken nach oben.

Unruhe war unter den Gargouillen ausgebrochen, das metallene Schnarren der Wächter war für alle deutlich zu vernehmen.

»Kann es sein, dass da jemand kommt?« Die blechernen Stimmen kreischten schrill und vielstimmig in ihren Ohren.

»Wieso kommt da einer?«

»Wo kommt er her?«

»Wo will er hin?«

»Kommt er allein?«

Nervös richtete Cedrik seinen Blick auf den Greif. Er wirkte gelassen, einzig sein zuckender Schwanz verriet, dass auch er von einer gewissen Unruhe gepackt schien.

»Nun seht schon endlich nach, wer es wagt, unsere Zusammenkunft zu stören«, fuhr Esmeralda die Gargouillen an und sofort schwang sich einer der mittelgroßen Wasserspeier mit quietschenden Flügeln in den nächtlichen Himmel und verschwand Richtung Dorf. Auf ein stilles Zeichen von Alastair erhoben sich auch die anderen, flogen auf und verteilten sich rings um die Lichtung in den Bäumen.

»Sie bilden einen Verteidigungsring«, rief Elliot und Cedrik verstand die Mischung aus Furcht und Ehrfurcht in der Stimme seines Freundes nur zu gut. Die Gargouillen waren schrecklich und das letzte Mal, als er sie so aufgeregt gesehen hatte, waren sie im Kampf mit dem Rabendämon gewesen. Er schluckte. Außerdem hasste er es, wenn sich Esmeralda und Alastair stritten. Irgendwie hatten beide recht und was auch kommen sollte, was auch immer vor ihnen liegen sollte, es machte ihm Angst. Genauso wie vor der Schlacht in London spürte er auch jetzt einen Druck, tief in seinem Bauch. Was ihn am meisten verunsicherte, war dass er diese Angst auch bei Esmeralda spüren konnte. Und bei Alastair.

Eine fahrende Kiste kommt den Berg hoch, vernahm Cedrik die Stimme seines Adlers in seinem Kopf.

Skye! Du bist da!

Die Anwesenheit des Goldadlerweibchens war für ihn immer noch ein kaum zu glaubendes Glück. Er fühlte sich dem Tier so verbunden, so nah. Sie musste irgendwo weit über ihnen im dunklen Himmel ihre Kreise ziehen.

Natürlich bin ich da. Ich bin immer da, hörte er ihre gleichermaßen raue wie zärtliche Stimme.

Eine Kiste, sagst du?, fragte Cedrik weiter. Mit Pferden oder ohne?

Ohne, kam Skyes Antwort sofort.

»Ein Auto ist auf dem Weg hierher«, rief Cedrik laut über den Platz.

Alles sah zu ihnen in den Baum hoch und nach einem kurzen Moment des Erstaunens verfinsterte sich Esmeraldas Miene. »Ich ahne, wer uns ausgerechnet jetzt einen Besuch abstattet, und das bedeutet nichts Gutes. Cedrik, ich möchte, dass du dich im Hintergrund hältst. Und ihr auch, Kinder. Versteckt euch am besten. Ich will nichts von euch hören oder sehen, verstanden?«

Cedrik drehte sich hastig zu seinen Freunden. »Haltet euch fest!«

Emily und Elliot klammerten sich sofort an Äste und Zweige. Cedrik legte seine Hände auf die raue Rinde und schloss die Augen. Er sah das goldene Spiegelbild des Baumes und nur wenig später kam die Pflanze seiner Bitte nach. Es kostete Cedrik keine Mühen. Raschelnd schob der Baum seine Äste vor die drei und verbarg sie so vor ungebetenen Blicken.

Durch eine kleine Lücke in den Blättern konnte Cedrik sehen, wie Alastair gleichermaßen verblüfft und anerkennend nickte. Für einen kurzen Moment fühlte er so etwas wie Stolz in sich aufsteigen. Er verstand immer besser, was es hieß, ein Druide zu sein. Mit Pflanzen zu reden und sie um Gefallen zu bitten, war eindeutig eine der besten Gaben, die damit verbunden waren.

Esmeralda wandte sich erneut an Alastair und Shirley. »Kein Wort über die Druiden! Kein Wort über die Dornhexen! In Ordnung?«

Der Hexenmeister und die Vampirprinzessin waren sofort einverstanden.

Ein Motor heulte auf, irgendwo unterhalb der kleinen Anhöhe, und nur wenig später blitzten hinter den Bäumen Scheinwerfer auf und warfen ihr gespenstisches Licht durch den Wald. Sie hüpften auf und ab, der schmale Pfad, der vom Dorf hoch auf den Hügel und zu dem Hain führte, war nicht für Autos gemacht. Jedes Mal, wenn das Fahrzeug an einem Felsen oder einer Wurzel hängen zu bleiben drohte, gab der Fahrer Gas und sie hörten Äste brechen und Steine fliegen. Das Auto, der Lärm, all das wirkte so fehl am Platz.

Auf einen Wink von Shirley verschwanden Wölfe und Vampire in der Dunkelheit.

»Aber wenn der Greif nicht reagiert«, flüsterte Cedrik, »dann heißt das doch ...«

»Dass die Typen, die da mit dem Auto kommen, hier sein dürfen«, ergänzte Emily.

»Oh verdammt!«, stöhnte Elliot. »Ich weiß jetzt, wer da kommt. Das ist der Orden! Ganz bestimmt!«

Cedrik zuckte zusammen. Der Distelorden hatte seinen Stammsitz in einer Kapelle im Schatten der Königsburg von Edinburgh und war mitnichten der Verbund aufrechter Ritter und frommer Bürger, als der er sich tarnte. Die Aufgabe des Ordens bestand einzig und allein darin, die Hexen von Mistle End zu überwachen und im Auftrag der schottischen Kirche unbedingt zu verhindern, dass es zu einem zu engen Kontakt zwischen den nichts ahnenden Menschen und den Wesen der magischen Gemeinschaft kam. Es war Teil der Vereinbarung zwischen den Menschen, allen voran der Kirche, und den Hexen gewesen, dass sich die magiebegabten Wesen von den Belangen der Menschen fernzuhalten hatten. Kontakt war nur zu absolut notwendigen Geschäften des täglichen Lebens erlaubt, jedwede weitere Begegnungen galt es unbedingt zu vermeiden oder, wenn es sich partout nicht verhindern ließ, sie so unauffällig und kurz wie möglich zu gestalten.

Der Gebrauch von Magie in der Gegenwart von Nicht-Eingeweihten war ohnehin streng verboten. Ein Pakt, an den sich die Hexen von Mistle End bisher immer mehr oder weniger gehalten hatten.

Zumindest war es bis auf gelegentliche Ausrutscher wie die Auseinandersetzung im Devils Elbow, einer üblen Spelunke, zwischen Cedrik, Crutch und den Geschwistern auf der einen Seite und den rüpelhaften Rockern auf der anderen, im Wesentlichen ruhig geblieben.

Damals haben wir noch gemeinsam gekämpft, schoss es Cedrik in den Sinn. Crutch und ich.

Das Auto brach durch einen Busch und fuhr polternd auf die Lichtung. Die grellen Scheinwerfer des schweren dunklen Geländewagens blendeten die Anwesenden, der Motor heulte noch einmal auf und erstarb dann. Die Fahrertür flog auf und ein schlaksiger junger Mann in schwarzem Anzug sprang aus dem Wagen und musterte kurz die Umgebung, bevor er die hintere Wagentür öffnete. Eine Frau in langem schwarzem Gewand, mit einem schweren Goldkreuz um den Hals und einem kleinen schwarzen Hündchen auf dem Arm stieg aus dem Auto.

»Ich kenne die Frau«, keuchte Cedrik und duckte sich hinter einen dichten Eichenast voller Blätter. »Aus dem Zug, als wir das erste Mal nach Mistle End gefahren sind. Ist die beim Orden? Die ist doch eine Nonne, oder?«

»Du kennst Maria?«, stieß Elliot erstaunt aus.

»Die ist nicht nur Nonne, Cedrik! Die ist die Oberin vom Orden! Aber nicht nur das, sie ist auch noch eine –«

»Maria!«, rief Esmeralda bemüht herzlich über die Lichtung. »Maria, geliebte Schwester, was verschafft uns die Ehre deines überraschenden Besuchs? Ich hoffe, die Reise war nicht zu ... beschwerlich?«

»Spar dir die süßen Worte, Esmeralda«, erwiderte die Ordensfrau kühl. »Du weißt, warum ich hier bin.«

Esmeralda, die eben ein paar Schritte auf Maria zugemacht hatte, blieb langsam stehen. Die Hände in die Seite gestemmt, hob sie stolz und unnahbar ihr Kinn. »Sag du es mir, Schwester.«

Die Angesprochene brauste auf. »Wag es nicht, mich so zu nennen! Diese Zeiten sind längst vorbei. Gott sei Dank! Aber erklär mir mal, warum wir nicht sofort den Bann über das Dorf legen sollten. Was hattet ihr in London zu suchen? Und warum rieche ich Wölfe? Und was hat dieser Druide damit zu tun, der kürzlich hier eingezogen ist?«

Der Hund auf ihrem Arm zappelte und knurrte gehässig. Maria ließ ihn auf den Boden hüpfen, hielt ihn aber an der kurzen Leine. Esmeralda ging nun hastig auf sie zu, stellte sich dicht vor sie und sprach eindringlich, aber kaum hörbar auf die Ordensvertreterin ein.

»Wer ist diese Frau? Warum nennt Esmeralda sie Schwester?«, murmelte Cedrik verwundert.

»Weil sie eine Hexe ist!«, presste Elliot mit nur mühsam unterdrückter Empörung zwischen seinen Zähnen hervor.

»War!«, korrigierte ihn seine Schwester schnell. »Sie hat vor vielen Jahren das Dorf verlassen und sich dem Orden angeschlossen. Dort hat sie schnell Karriere gemacht. Scheint in der Familie zu liegen.« Ihre Stimme hatte einen harten Klang bekommen.

»Wie meinst du das?«, fragte Cedrik aufgeregt.

»Maria hieß früher Daria. Und sie ist die Cousine von Dandelia«, erwiderte Elliot leise.

»Kräuterhexe Dandelia? Die Dornhexe?!«, stieß Cedrik verblüfft aus.

»Genau die! Die uns genauso verraten hat wie Daria! Oder Maria, wie sie sich jetzt nennt«, grollte Emily.

Maria hatte sich von Esmeralda losgemacht und ging nun, die Umstehenden abschätzig musternd, auf der Lichtung hin und her. Ihr kleiner schwarzer Hund zerrte bedrohlich knurrend an der Leine.

»Warum hat sie denn diesen Hund dabei?!«, flüsterte Cedrik. »Das ist so eine Nervensäge. Der war auch im Zug.«

Elliot sah ihn von der Seite an. »Das ist nicht irgendein Hund, Cedrik. Das ist ein Höllenhund!«

Cedrik sah verwirrt zu seinem Freund. »Wie bitte?«

»Ein Höllenhund! Wenn sie den von der Leine lässt, wird er groß wie ein Pferd, ein Monster, ich sag es dir! Und dann verschlingt der alles, was sich nicht rechtzeitig vor ihm in Sicherheit bringen kann.«

Cedrik warf einen zweifelnden Blick auf Emily, doch als diese ihm mit weit aufgerissenen Augen bestätigend zunickte, lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken.

Einen Höllenhund hatte er sich immer anders vorgestellt. Er beschloss, sich in Zukunft besonders vor den kleinen, nervigen Hunden in Acht zu nehmen.

Jemand zupfte an seinem Hosenbein. Erschrocken sah er nach unten. Sein Vater, hochrot im Gesicht und mit Schweißperlen auf der Stirn, war auf einen Ast unter ihnen geklettert und gestikulierte mit zusammengepressten Lippen, zu ihm herunter zu kommen. Cedrik machte seinen Freunden ein Zeichen und ließ sich kopfüber von seinem Ast nach unten baumeln.

»Was ist denn, Dad?«, flüsterte er leise. »Esmeralda hat gesagt, wir sollen uns still verhalten und ja nicht auffallen! Was machst du hier?« Er hob erstaunt eine Braue. »Bist du allein hochgeklettert?«

»Esmeralda ist es, die mich schickt! Ihr müsst sofort aufbrechen. Ihr drei, jetzt gleich!« Die Stimme seines Vaters zitterte vor Aufregung.

Cedrik sah ihn mit offenem Mund an.

Die Ratshexe selbst war es doch gewesen, die noch vor wenigen Tagen darauf bestanden hatte, dass sie erst nach der Versammlung aufbrechen sollten. Wenn sie ihn und ihre eigenen Kinder nun so plötzlich losschickte, konnte das nichts Gutes bedeuten.

»Aber wir haben nicht einmal ...«

»Sie hat mir auch gesagt, welche Pforte ihr nehmen müsst. Sie haben den richtigen Pfad gefunden, der euch so weit wie möglich in die Nähe von Dark Oaks bringen wird, wie es irgend geht.«

Emily und Elliot ließen sich nun ebenfalls kopfüber von ihren Ästen baumeln und grinsten Vater und Sohn breit an.

»Wann brechen wir auf?«

»Die Sachen sind gepackt!«

»Aber wir müssen noch –«, stotterte Cedrik.

»Elliot und ich haben unser Zeug schon seit Tagen fertig«, unterbrach ihn Emily leichthin. »Du doch auch!« Dann zeigte sie Richtung Feuer, wo Maria noch immer mit ihrem nervtötenden Kläffer auf und ab stolzierte. »Das Problem ist meines Erachtens ein ganz anderes: Wie kommen wir von dem Baum herunter, ohne dass die alte Hexe etwas davon mitbekommt?«

Cedrik hangelte sich nach unten auf den Ast seines Vaters und schielte durch die Blätterwand auf den Platz vor dem Feuer.

Die Oberin des Ordens war nun wieder in eine hitzige Diskussion mit Esmeralda vertieft, die nicht aufgehört hatte, leidenschaftlich auf sie einzureden.

Der junge Fahrer lehnte unterdessen betont lässig an seinem Auto, ließ aber dabei den Greif nicht aus den Augen, der seinerseits den Höllenhund mit starrem Adlerblick fixierte. Die Stimmung schien äußerst angespannt, die Gargouillen flatterten quietschend über der Lichtung hin und her und krächzten heiser.

Mit einem Mal wurde die Ordensfrau laut. Drohend erhob sie den Zeigefinger und stach damit Richtung Esmeralda, als wäre er ein Dolch. »Ich habe euch gewarnt! Immer und immer wieder! Irgendwann ist Schluss!« Sie wandte sich an ihren Fahrer. »Und? Sind sie so weit? Wie lange dauert es denn noch?!«

Der Angesprochene hielt sich lauschend eine Hand ans Ohr, so als ob ...

»Er hat ein Funkgerät!«, keuchte Cedrik. »Sie sind nicht allein!«

Der junge Mann grinste schräg. »Alle auf Position!«

Im Gesicht der Ordenshexe leuchtete Triumph auf. »Hiermit belege ich das Dorf Mistle End samt seiner Bewohner, kraft meines Amtes als Oberin des Distelordens, mit dem Bann. Niemand darf das Dorf verlassen und betreten, meine Ordensbrüder und Schwestern haben jede Zufahrt zum Dorf abgeriegelt, die Bruderschaft hat diese Versammlung umzingelt. Keiner kommt hier rein oder raus, ohne dass wir es mitkriegen. Wir werden ja sehen, ob sich hier ein Druide aufhält.« Ihre Stimme überschlug sich jetzt fast. »Oder jede andere Kreatur aus London, die hier nichts zu suchen hat!«

»Daria!«, rief Esmeralda entsetzt. »Wie kannst du nur?!«

»Ganz genau! Weil ich es kann!«, kreischte die Ordensfrau. Gleichzeitig fing ihr Hund an, wie wild zu bellen. Chaos brach aus. Die Hexen von Mistle End stürmten auf sie ein, die Oberin zerrte an der Leine des Hundes, der schier durchzudrehen schien.

»Zurück! Zurück, oder ich lasse ihn frei!«, brüllte sie mit schriller Stimme. »Kommt mir nicht zu nahe!«

Esmeralda war kreidebleich und ballte die Hände zu Fäusten. Der in ihr brodelnde Zorn schien übermächtig, doch anstatt sich auf die Ordenshexe und ihren Höllenhund zu werfen, hielt sie sich zurück und starrte eindringlich auf den Baum, in dem sich Cedrik und seine Freunde versteckt hielten.

Alastair sprang vor und schleuderte hasserfüllt, aber ungeschickt eine Eislanze auf die Frau mit dem Hund, doch diese wischte den Angriffszauber mit einer wütenden Handbewegung zur Seite.

Natürlich, sie war eine Hexe und damit genauso magiebegabt, wie die meisten anderen auf dieser Lichtung. Sie grinste hämisch.

»Alastair!«, schrie Esmeralda. »Tu das nicht, das ist doch genau das, was sie wollen!«

Esmeraldas Warnung kam zu spät. Einem hastig gegebenen Befehl Alastairs folgend hatte sich bereits eine der Gargouillen auf den Hund gestürzt, doch Daria hatte blitzschnell und teuflisch lachend das Halsband vom Kopf des kleinen Hundes gerissen. Entsetzt sprang Esmeralda zurück. Das Tier wuchs, wurde größer und größer, riesenhaft. Aus den kleinen Pfötchen wurden mächtige Pranken, das schwarze Fell struppig, und innerhalb kürzester Zeit war aus dem Schoßhündchen ein wahres Monster geworden. Pechschwarz, mit geifernden Lefzen und wutglühenden Augen. Der Monsterhund schnappte nach der Gargouille, die sich entsetzt krächzend und mit quietschenden Flügeln gerade noch in Sicherheit bringen konnte. Ein Aufschrei ging durch die Menge, alles wich panisch zurück in die Schatten der Bäume, bis auf den Greif, der seine mächtigen Flügel ausgebreitet hatte und sich nun, dem Höllenhund an Größe zumindest ebenbürtig, brüllend dem Ungeheuer in den Weg stellte. Mit einem Knurren, das Donner glich, warf sich der Höllenhund auf den Greif.

»Jetzt«, rief sein Vater. »Das ist das Signal, wir müssen hier weg. Rennt!«

Cedrik und die Geschwister sprangen, fielen, kletterten hastig von ihren Ästen nach unten und folgten seinem Vater in den dunklen Wald. O’Connor lief sofort los, nach unten, Richtung Dorf, fort von dem schrecklichen Zweikampf zwischen Greif und Höllenhund, dessen rasendes Geifern sich mit dem wütenden Gebrüll des Adlerlöwen zu einer albtraumhaften Geräuschkulisse verband.

»Signal? Wie meinst du das, Dad?«, fragte Cedrik keuchend, während er einem tiefhängenden Ast auswich.

»Alastair sollte die Leute vom Orden ablenken«, rief sein Vater. »Damit wir den Moment nutzen können, um euch zurück ins Dorf und zur Pforte zu bringen.«

»Wer ist da? Sofort stehen bleiben!« Vor ihnen waren Taschenlampen aufgeflammt und leuchteten ihnen in die Gesichter. Abrupt blieben die vier stehen, der Weg durch den Wald war versperrt. »Wir, äh, wir wollen, äh, runter, äh, ins Dorf«, stammelte O’Connor.

»Das ist verboten!« Eine ältere Frau, mit Dauerwelle, einer hellen Strickjacke und einer schwarzen Armbinde, auf der eine silberne Distel aufgestickt war, fuchtelte mit ihrer Taschenlampe vor ihnen herum. »Strikte Anweisung! Ihr unterliegt dem Bann!«

Sie war nicht allein. Cedrik sah mindestens noch fünf weitere Menschen mit schwarzen Armbinden und Taschenlampen auf sie zugehen. Sie waren umzingelt! »Schön ruhig bleiben!«, schnarrte die Frau. »Niemand darf hier weg, ohne von der Oberin identifiziert worden zu sei... Ourghch!«

Es ging alles furchtbar schnell. Ein Wolf hatte sich aus der Dunkelheit auf die Frau gestürzt und sie zu Boden geworfen. Schwere Pfoten drückten die Häscherin des Ordens auf den Boden.

»Zu Hilfe! Wir werden angegriffen!«, keuchte die Dame und versuchte mit ihrer Taschenlampe, den wild um sich schnappenden Wolf abzuwehren. Als ihr die anderen zu Hilfe kommen wollten, tauchten zwischen den Bäumen um sie herum immer mehr Wölfe auf und verbissen sich knurrend in Jacken und Hosenbeinen der Ordensleute. Taschenlampen flogen in die Luft und zeichneten Lichtbögen in die Nacht, bevor sie zwischen Farnen landeten.

»Das ist Jackelby und sein Rudel. Sie beißen uns den Weg frei«, schrie Emily. »Schnell, wir müssen weg hier! Rennt!«

Eine der Frauen, etwas älter, mit grauen Haaren und einem schräg sitzenden Kopftuch, hatte den Wolf mit einem kräftigen Tritt von sich gestoßen, rappelte sich auf und kramte hektisch in ihrer Handtasche.

Cedrik erschrak. Sollte die Frau etwa ... »Vorsicht! Sie hat eine Waffe!«

Ein Schuss knallte durch die Nacht. Ein Wolf jaulte schmerzerfüllt auf und das ganze Rudel heulte, knurrte und bellte wild durcheinander. Bevor Cedrik sehen konnte, wie schwer der Wolf verletzt war, packte ihn Elliot am Arm und riss ihn vorwärts. Doch er stolperte über eine Wurzel und konnte sich nur auf den Beinen halten, weil er sich an seinem Freund festklammerte.

Sie rannten, was ihre Lungen und das wenige Licht hergaben. Hier, unter den Bäumen, blieb nicht viel vom eigentlich hell scheinenden Vollmond übrig.

»Die haben geschossen! Sind die irre?!« Elliot war außer sich. »Wieso hatte die Alte denn eine Waffe in der Handtasche?!«

Ein paar Wölfe rannten hinter ihnen her und gaben ihnen Geleitschutz. Sie hielten sich neben ihnen, ihre dunklen Körper waren hinter den Bäumen nur schemenhaft zu erkennen. Ihr Hecheln und das Brechen der Zweige, wenn sie durch das Unterholz sprangen, mischte sich mit den Schreien, dem Brüllen und Fauchen vom Festplatz am Hain. Dann waren wieder Schüsse zu hören.

Cedrik versuchte, die Wölfe mit seinen Gedanken zu erreichen, um zu erfahren, was geschehen war, aber es gelang ihm nicht.

»Mistle End ist gleich dort unten, seht ihr?! Wenn wir das kleine Tor beim Steineichenviertel vor den Ordensleuten erreichen, haben wir vielleicht noch eine Chance«, rief Emily.

O’Connor fluchte. »Habt ihr die gesehen?! Das waren ganz normale Leute! Der eine sah aus wie mein ehemaliger Steuerberater! Warum machen die das? Wieso schießen die auf uns! Die jagen uns doch nur, weil sie keine Ahnung haben! Weil sie euch nicht kennen! Das sind doch nur Werwölfe und keine Monster!«

Cedrik konnte nicht umhin festzustellen, dass nur wenige Menschen Werfwölfe nicht für Monster halten würden.

O’Connor sprach wieder mehr mit sich selbst als mit Cedrik und den anderen. »Wahrscheinlich denken die immer noch, dass Hexen Kinder zum Abendessen naschen!«

Der Wald wurde lichter und tatsächlich konnte Cedrik nun die Fackeln der ersten Baumhäuser vor ihnen aufleuchten sehen. Der Weg ging steil bergab, sie mussten die Dorfmauer bald erreicht haben.

»Wenn wir im Dorf sind, wo müssen wir dann hin? Wo ist die Pforte, Mister O’Connor?«, fragte Emily hastig.

»Es gibt ein verwunschenes Tor in der Schule und dort ...«

»In der Schule?«, rief Elliot verblüfft.

»Ja, im obersten Stock, im Kartenzimmer«, antworte Aengus O’Connor konzentriert.

»Dann fliege ich vor und hole unsere Sachen. Wir treffen uns am Aberdeen Square.« Sie hörten ein PLOPP! und ein Waldkauz rauschte auf leisen Schwingen an ihnen vorbei und verschwand zwischen den Bäumen.

Auf einmal schoss Cedrik ein Gedanke in den Sinn. Es gab eine Frage, auf die sein Vater ihm noch immer keine Antwort gegeben hatte.

»Und was ist mit dir, Dad?«, keuchte Cedrik. »Wolltest du nicht mitkommen, in den Wald, zu ... Mama? Dad, die haben geschossen! Komm mit!«

»Nein, Cedrik, das ist nicht ... ich mein, ich möchte nicht ...« Cedrik sah, wie sein Vater heftig den Kopf schüttelte. »Ich werde hier gebraucht. Die Schule soll ...« Zornig trat sein Vater einen morschen Ast aus dem Weg. »Finde deine Mutter ... und sag ihr, wir ... ich vermisse sie!«

Er wirkt so verletzt und unsicher, dachte Cedrik.

»Das werde ich tun, Dad. Versprochen!«

Verlegen warf Cedrik einen hastigen Blick über die Schulter zurück auf seinen Freund hinter ihm. Elliot sprang über die Steine nach unten und wirkte irgendwie so, als hätte er kein Wort gehört. Als er bemerkte, dass Cedrik ihn ansah, lächelte er ernst und zeigte ihm den ausgestreckten Daumen. Cedrik lächelte dankbar zurück, rutschte auf einem nassen Holz aus und konzentrierte sich wieder auf den Weg vor ihnen.

Sie passierten den Wasserfall gleich oberhalb des Dorfes und erreichten den Waldrand. Die Mauer, etwas unterhalb ihrer Position, leuchtete als heller Streifen im Licht des Mondes. Dahinter erhoben sich die hohen Bäume der Waldelben über die Begrenzung des Dorfes, mit den Baumhäusern und Hängebrücken.

Die kleine Pforte in der Mauer war gut verborgen und hinter den Büschen nicht ohne Weiteres zu entdecken. Aengus machte ihnen ein Zeichen und sie duckten sich unter einen verkrüppelten Ahornbaum. Die Wölfe sammelten sich kurz um sie, ein besonders großes, schwarzes Tier rieb seine Schnauze an Cedriks Hand, dann sprang das kleine Rudel wieder fort, bergan, Richtung Hügel. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt.

»Danke euch!«, rief Elliot ihren Rettern leise hinterher.

Cedrik versuchte in seinem Kopf mit dem Goldadlerweibchen Kontakt aufzunehmen. Skye, bist du da? Sind vor uns Menschen? Bei der Mauer? Siehst du irgendjemanden?

Der Adler schwieg für einen kurzen Augenblick, dann vernahm Cedrik seine Stimme klar und deutlich.

Lauf, Baumjunge. Sie kommen auf euch zu, von oben. Aus dem Wald. Aber wenn ihr rennt, seid ihr durch das Tor, bevor sie es erreicht haben.

»Wir müssen uns beeilen, sie sind hinter uns. Und gleich da«, rief Cedrik und lief los. Elliot und sein Vater ihm dicht auf den Fersen.

Du musst die anderen im Auge behalten. Aber bleib in meiner Nähe, Skye. Wir brechen heute Nacht auf!

Ein lauter Adlerschrei aus großer Höhe, irgendwo über ihnen, war ihre Antwort. Sie würde bereit sein.

DAS WELTENZIMMER

Sie durchquerten das kleine Tor und das Steineichenviertel ohne weiteren Zwischenfall. Immer wenn sie den Häschern des Ordens zu nahe zu kommen drohten, wurden sie von der wachsamen Skye gewarnt und konnten ausweichen.

Emily wartete am Platz vor ihrem Haus, das ein Teil des Schulgebäudes am Aberdeen Square war, auf sie. Als sie auf den Hof liefen, sahen sie, wie sie unter den Lichtkegel einer der wenigen Laternen trat und ihnen zuwinkte. In der einen Hand hielt sie einen von Elliots Besen und in der anderen ein Bündel Taschen.

Als die drei etwas außer Atem auf sie zustolperten, warf sie Cedrik seine alte Umhängetasche entgegen.

»Du hast meine Sachen geholt?«, bemerkte er verblüfft.

»Ich hab auf dem Weg hierher so viele Ordensleuten gesehen, dass wir besser keine Zeit verlieren. Wollen wir?«

»Hier entlang«, antwortete Cedriks Vater sofort und stürmte die Treppe zum Schulportal nach oben.

Die Schule von Mistle End war ein gotisch anmutendes Gebäude, dessen zahlreichen Erker und Türmchen von saftig-grünem Efeu umrankt wurden. In den hohen Spitzbogenfenstern spiegelte sich das zarte Blau, das der silberne Mond in den ganzen, weiten Himmel zauberte.

Cedrik mochte das stattliche Gebäude, dessen kleinen Seitenflügel er mit seinem Vater bewohnte. Aber jetzt, als er mit seinen Freunden die Treppe nach oben hetzte, spürte er die Angst, die ihn überkam. Das Erscheinen des Ordens hatte alles geändert. Allein die Tatsache, dass Alastair, Esmeralda und all die anderen einen Konflikt mit den Ordensleuten und dieser Höllenbestie riskierten, damit sie fliehen und ihre Reise antreten konnten, wühlte ihn auf. Sie alle legten so viel Hoffnung in das Vorhaben, erwarteten, dass er mit einer Idee zurückkam, die ihnen helfen sollte, den Drachen zu besiegen. Er hatte solche Angst, sie zu enttäuschen.

»Dass ich mich einmal darauf freuen würde, in die Schule zu gehen, hätte ich auch nicht gedacht«, meinte Elliot auf einmal hinter ihm und unterbrach damit seine düsteren Gedanken.

Cedrik wurde bewusst, dass er das Gebäude, seitdem sie nach Mistle End gezogen waren und sein Vater die Stelle als Lehrer angenommen hatte, noch kein einziges Mal betreten hatte. Die Vorstellung, dass er all das, was er so lieben gelernt hatte, und all das, was es noch zu entdecken gab, aus irgendeinem Grund loslassen musste, dass all das in Gefahr war, traf ihn hart. Und sie schmerzte in seiner Brust.

Emily schloss zu ihm auf. »Alles okay, Cedrik?«

Cedrik schluckte, nickte dann aber. Jetzt war nicht die Zeit, Zweifel zu haben. Jetzt mussten sie schauen, dass sie hier wegkamen.

Aengus hatte das Doppeltor der Schule aufgerissen und eilte ihnen nun voraus durch die weite Aula, Richtung Treppe. Das Treppenhaus, das sie in einem Seitenturm des Gebäudes vom Erdgeschoss nach ganz oben führte, war wie das ganze Haus mit Ornamenten und kleinen Statuen versehen. Das Geländer war aus dunklem Holz, über die Jahrhunderte von unzähligen Händen glatt poliert, die geschwungenen Stufen aus Stein von Hufen, Krallen, Pfoten und Schuhen ausgetreten.

»Das Kartenzimmer ist oben, bei den Klassenzimmern für die älteren Jahrgänge«, erklärte O’Connor und trotz der Unruhe, die sie alle gepackt hatte, spürte Cedrik die Begeisterung in der Stimme seines Vaters. »Wenn die Schule losgeht, werde ich ein paar Tage bei den Kollegen zusehen dürfen. Zaubertrankkunde, Sternenlesen und Kristallkugelkunde. Aber auch Heilmagie und Elementezauber. Das ist so ... anders, Cedrik. So ... echt!« Er hielt für einen kurzen Moment inne, schnaufte schwer und sah seinen Sohn aufgewühlt an. Dann drehte er sich abrupt um und eilte weiter die Treppen nach oben. »Ich unterrichte die Kinder unten, im Erdgeschoss, in Menschengeschichte. Regeln und Rituale der nicht-magischen Wesen. Für die ganz jungen Hexen. Und für alle anderen Kinder hier aus Mistle End. Auch die Vampire! Und die Elfen! Verstehst du, Cedrik? Sie brauchen mich hier.«

Cedrik nickte stumm. Er wusste, dass sein Vater hier glücklich war. Das hier war seine Welt. Schon immer gewesen. Irgendwie.

Elliot stieß seine Schwester mit dem Ellenbogen an. »Warst du schon mal hier oben?«

»Nein. Warum sollte ich? Ist doch verboten«, antwortete sie erstaunt. »Aber das hier gilt doch wohl als Ausnahme, oder?«, fügte sie beunruhigt hinzu. Und mit einem Seitenblick auf Aengus O’Connor sagte sie: »Außerdem sind wir ja mit einem Lehrer unterwegs. Das ist sicher in Ordnung. Uns passiert schon nichts. Oder, Elliot?«

»Echt jetzt? Ihr dürft nicht in die oberen Stockwerke?«, warf Cedrik verblüfft ein. »Und was meinst du mit: Uns passiert schon nichts?!«

»Das ist eigentlich supergefährlich«, erwiderte Emily schüchtern. »Mama hat uns ungefähr tausend Mal erklärt, dass wir auf keinen Fall Sprüche lernen dürfen, für die wir noch nicht weit genug sind. Und dass es Zauber gibt, die es jungen Hexen verbieten, sich in den oberen Stockwerken des Schulgebäudes aufzuhalten. Verbotszauber! Hat die Direktorin eingerichtet.«

»Also ich hab nichts gespürt!«, bemerkte Elliot trocken und gluckste dabei seltsam.

»Wie?! Du warst niemals oben, das glaube ich nicht. Die Schutzzauber ...«

»Gibt es gar nicht«, erwiderte Elliot grinsend. »Wollen wir wetten?«

Emily starrte ihren Bruder ungläubig an. Dann riss sie die Augen auf. »Mama hat die Zauber nur erfunden, oder?!«

»Welche Zauber?«, fragte Aengus O’Connor verwirrt. Dann, mit etwas Stolz in der Stimme: »Wir sind da!«

Er hatte sie ins oberste Stockwerk geführt, in einen großen Gang mit reich verzierten Türen auf beiden Seiten. Über den Zimmern standen auf dem Türstock in kunstvollen Lettern die unterschiedlichen Raumbezeichnungen geschrieben. Im Vorbeihasten konnte Cedrik Worte wie »Giftküche« und »Sprungkammer« lesen.

Zielstrebig lief Aengus O’Connor auf die Tür mit der Aufschrift »Weltenzimmer« zu.

»Ist das die Pforte?«, fragte Emily ehrfurchtsvoll.

»Nein, nicht die.« Er drückte die Klinke. »Die Tür ins Kartenarchiv, hat Esmeralda gesagt.«

Zu viert betraten sie das Weltenzimmer der Magischen Schule von Mistle End.

Der Raum war achteckig, mit hohen hölzernen Regalen ringsum. Darin unzählige Atlanten und Landkarten, ein Regal war voller Globen, Cedrik sah aber auch Modelle vom Mond und antike Weltkugeln aus Holz oder Metall. In einem offenen Schrank hingen weitere Karten und vor dem Fenster stand ein großer Tisch, auf dem ein mit Tusche gezeichneter Stadtplan von London ausgerollt und mit schwarz glänzenden Steinen beschwert war. Ansonsten gab es in dem Zimmer keine Tische, sondern ein halbes Dutzend Stehpulte, die ringförmig auf die Mitte ausgerichtet waren. Das Licht, das den ganzen Raum mit einem goldenen Schimmer belegte, kam nicht von den an den Wänden hängenden Laternen, wie Cedrik zuerst vermutet hatte, sondern hatte seinen Ursprung in einer offensichtlich magischen Skulptur im Zentrum des Zimmers. Auf drei oder vier Metern Höhe schwebte ein strahlender, leuchtender Feuerball, um den verschieden große Kugeln langsam konzentrische Kreise zogen.

Das ist die Sonne! Und unser Planetensystem!

Sein Blick fiel auf einen kleinen, grünblauen Ball im inneren Drittel der schwebenden Konstruktion.

Und das muss die Erde sein. Cedrik war tief beeindruckt.

Aengus zeigte auf eine kleine Tür, die sich im Schatten eines der mächtigen Regale verbarg. »Das ist sie! Das muss die Pforte sein, die euch hier wegbringt.«

»Und der Schlüssel?«, fragte Emily aufgeregt.

Der Schlüssel! Daran hatte Cedrik noch gar nicht gedacht. Um die verschollenen Pfade nutzen zu können, brauchte man einen Gegenstand, irgendetwas von dem Ort, an den man reisen wollte. Sonst konnte der Zauber der Pforte nicht aktiviert werden und die Tür hielt ihre magische Kraft verborgen.

»Habt den nicht ihr?«, erwiderte O’Connor und wurde bleich. »Esmeralda meinte, darum müsse ich mir keine Sorgen machen, deswegen dachte ich, den habt sicher ... ihr!«

Emily rang verzweifelt die Hände. »Wir haben nur eine Handvoll Kieselsteine aus unserem Garten, damit wir wieder nach Hause kommen, aber wir haben nichts, um von hier abzuhauen. Wir wissen ja nicht einmal, wohin uns diese Pforte bringen wird.«

Aengus O’Connor sah seinen Sohn mit großen Augen an. »Aber ich habe auch keinen Schlüssel! Ich sollte euch hierherbringen, das war alles, was mir Esmeralda aufgetragen hat.«

Erst zuckte Emily zusammen, dann hörten es auch die anderen.

Hufe auf Stein. Pferdegetrappel! Kamen da etwa die Ritter des Ordens angeritten?!

Cedrik sprang ans Fenster und konnte einen kurzen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken. Im silbernen Licht des Mondes sah er einen Reiter im scharfen Galopp über den Aberdeen Square stürmen. Aber es war kein gewöhnlicher Reiter. Tiberio, der Zentaur, preschte über das Kopfsteinpflaster, blieb jedoch nicht stehen, als er das Schulgebäude erreicht hatte, sondern stieg mit stampfenden Hufen die Steintreppen zum Haupttor der Schule nach oben. Und auf seiner Schulter konnte Cedrik ganz deutlich Mr Elderling erkennen, der sich am Hals des Pferdemannes festklammerte und etwas an seine Brust gepresst hielt.

»Der Zentaur ...« Cedrik drehte sich überrascht zu seinen Freunden um, die ihn fragend ansahen, als sie schon die Hufe durch das Treppenhaus dröhnen hörten.

Sie starrten mit offenen Mündern auf den stattlichen Pferdemann, der mit dampfenden Flanken und Mr Elderling auf der Schulter durch den Gang auf sie zutrabte. Die schweren Hufschläge hallten hart durch die Gewölbe der magischen Schule. Mr Elderling flog auf. An seine Brust hielt er drei Papierrollen gepresst.

»Wie gut, dass ihr schon hier seid.« Der Bücherelf flatterte mit flirrenden Flügeln vor ihnen in der Luft und schwirrte aufgeregt hin und her, während er sprach. »Sie sind überall! Schüsse sind gefallen. Ein Wolf ist verletzt, aber Esmeralda kümmert sich schon. Sie suchen den Druiden! Die meisten dieser Häscher sind zwar im Moment damit beschäftigt, den Wölfen hinterherzujagen und die Teilnehmer der Ratsversammlung zu verhören, aber es sind auch schon welche von ihnen in meine Bibliothek eingedrungen. Unverschämtheit!«

»Mister Elderling, was machen Sie hier? Und Tiberio, wieso ...«

»Tiberio war so freundlich, mich vom Hain ins Dorf zu begleiten. Und hierher, zu euch. Wenn man mit einem Zentaur reitet, achtet niemand mehr auf einen Bücherelf.« Mr Elderling kicherte vergnügt. Dann wurde sein kleines, faltiges Gesicht sofort wieder todernst. »Ihr müsst fort. Und zwar schnell.« Er wedelte mit den vergilbten Papieren in seiner Hand. »Hier sind drei Seiten aus einem Buch, einem überaus wertvollen Buch. Aber da Esmeralda mich dringend darum gebeten hat, und ich ihr vertraue ...« Er seufzte und breitete theatralisch-hilflos seine Arme aus.

»Die Seiten sind der Schlüssel! Wir brauchen diese Seiten, um die magische Pforte zu aktivieren«, rief Cedrik aufgeregt. »Woher stammt das Buch?«

»Aus dem Norden, von der Küste«, erwiderte Mr Elderling stirnrunzelnd. »Aus der Bibliothek eines alten Herrenhauses, an der Mündung des Loch Druichan gelegen.«

»Sie geben uns echt Seiten aus einem Ihrer Bücher mit?« Emily schien schwer beeindruckt.

Auch Cedrik wusste, wie sehr dem Bibliothekar die Unversehrtheit seiner Bücher am Herzen lag.

Mr Elderling zog eine schmerzerfüllte Grimasse. »Nicht aus irgendeinem Buch, oh nein. Es sind Seiten aus der wunderbaren Gedichtsammlung des sagenumwobenen Königs der Inseln. Wollt ihr, dass ich euch eines vorlese?«

Cedrik zuckte zusammen, als der Zentaur leise auf den Boden stampfte und schnaubte. »Ich glaube nicht, dass dafür noch Zeit ist.« Seine Stimme klang tief und voll. »Die Kinder sollten aufbrechen. Schnell.« Das Echo seiner Worte schien sich in der ganzen Schule zu verteilen.

Cedrik betrachtete den Zentaur. Sein markantes Gesicht mit den buschigen Augenbrauen, den blonden Locken und dem geflochtenen Bart wirkte kühn und stolz. Er trug eine Weste über dem muskulösen Oberkörper, der sanft in den Leib eines kraftvollen, dunkelbraunen Hengstes überging.

»Und der Wald der Nymphen liegt in der Nähe dieses Hauses?«, fragte Cedrik hastig, aber leise.

»Das hoffen wir«, erwiderte Mr Elderling. »Wir haben alle gefragt, die es wissen müssten, nicht nur hier im Dorf. Allen voran die Elben, aber auch die meisten anderen sind sich einig, dass ihr, wenn ihr euch, dort am Haus, von der Küste landeinwärts wendet, zum Wald der Nymphen kommen müsstet.« Er lächelte mitleidig. »Viel ist das nicht, ich weiß. Aber wenn ihr dort seid, werdet ihr euren Weg finden. Ganz bestimmt!«

»Dann ist es also nicht sicher, dass der Wald dort wirklich ist?«, fragte Aengus O’Connor besorgt.

Bekümmert schüttelte Mr Elderling den Kopf. »Niemand weiß genau, wo sich Dark Oaks befindet.«

»Weil der Wald reist«, ließ sich erneut die dunkle Stimme des Zentaur vernehmen. »Man sagt, die Bäume bleiben nicht an einem Ort.«

Alle sahen Tiberio mit großen Augen an.

»Die Menschen sind inzwischen überall, es gibt kaum noch Orte, an denen die magische Gemeinschaft ungestört sein kann.« Der Pferdemann schnaubte leise. »Der Wald der Nymphen hält sich im Verborgenen. Er bleibt nicht an einem Ort, er wandert. Er versteckt sich.«

»Die Bäume wandern?«, wiederholte Elliot fassungslos.

Cedrik nickte. Er hatte mit seinem Vater viel über Nymphen und Druiden gelesen, und laut übereinstimmenden Berichten hatten die Hüter des Waldes immer wieder ganze Wälder in die Schlacht geführt. Bäume mussten sich also irgendwie bewegen können.

»Die Ritter des Ordens kommen!«, unterbrach Emily Cedriks Gedanken. Sie alle hörten den Motor eines schweren Geländewagens aufheulen und es klang eindeutig so, als ob das Fahrzeug näher kommen würde.

»Schnell, nehmt die Seiten. Normalerweise würde ich wohl sagen, seht zu, dass ihr sie mir wieder heil zurückbringt, aber in diesem Fall ...« Der kleine Bücherelf flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Das Röhren des Autos klang nun schon erschreckend nahe. »In diesem Fall ist es mir wichtiger, dass ihr heil nach Hause kommt. Ihr müsst gut auf euch aufpassen, da draußen. Beeilt euch!«

»Moment«, rief Aengus. »Wo ist Skye? Cedrik, du musst sie mitnehmen!«

Cedrik lief zurück zum Fenster, riss es auf und spähte in die Nacht. Über dem Platz sah er die Silhouette des Kreise ziehenden Adlerweibchens silbrig aufleuchten.

Skye! Schnell, Skye! Wir müssen uns beeilen!

Sofort legte sie die Flügel an und ließ sich im Sturzflug vom Himmel fallen. Sie fing sich vor dem Fenster ab und landete sanft auf seinem ausgestreckten Arm.

Aengus öffnete die Tür zum Kartenarchiv.

»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mister O’Connor«, sagte Elliot.

»Und Ihnen, Mister Elderling und Tiberio«, rief Emily.

Im gleichen Moment raste der schwarze Geländewagen mit röhrendem Motor auf den Platz.

Cedrik wirbelte herum, rannte mit dem Vogel zu seinem Vater und schlang den freien Arm um ihn. »Ich hab dich lieb, Dad!«

Aengus drückte seinen Sohn fest an sich. »Geht jetzt! Und passt auf euch auf. Hört ihr?«

»Versprochen!«, rief Cedrik, presste Skye an seinen Oberkörper und sprang mit ihr hinter Elliot und Emily durch die verwunschene Tür.

DAS HAUS AM MEER

Cedrik fiel hart auf die Knie und schnappte nach Luft. Skye hatte sich noch im Sturz von seinem Arm gelöst und in den pechschwarzen Himmel geschwungen. Regen peitschte ihm eiskalt ins Gesicht. Sie waren mitten in einem Sturm gelandet, der Mond hatte sich hinter einem tobenden Gewitter versteckt und er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden.

»Emily? Elliot? Seid ihr da?«

Die Reise über die verschollenen Pfade war diesmal deutlich wilder ausgefallen als ihr Weg nach London. Zwar waren weniger verlorene Gegenstände unterwegs gewesen, die sie belästigt hatten, aber dafür waren sie wie verrückt hin und her geschleudert worden. Er hatte Skye fest an sich gepresst, weil er irre Angst gehabt hatte, sie in dem Strudel zu verlieren. Ihm war speiübel.

»Wir sind hier«, keuchte Elliot und packte ihn am Ellenbogen. »Hast du meinen Besen gesehen? Ich konnte ihn irgendwann nicht mehr festhalten!«

»Und wo ist Skye?«, fragte Emily, mit Panik in der Stimme. Sie hielt ihre Tasche an ihren Oberkörper gedrückt. »Hast du sie etwa auch ...?«

Cedrik schüttelte den Kopf und zeigte nach oben, in die Nacht. »Nein, sie ist nur gleich abgehauen.«

Es tut mir leid, Skye! Okay?

Sie antwortete nicht. Die Reise musste für den Adler schrecklich sein, dieses Hin und Her auf dem magischen Pfad. Mühsam richtete er sich auf und schaute sich um. Er konnte nicht viel erkennen, Wasser lief ihm in die Augen. Der Wind heulte und zerrte an seinem Parka. Sie waren auf einem kleinen Streifen hohes Gras gelandet. Hinter ihnen, in einer windzerzausten Buschhecke, quietschte ein geschmiedetes, zweiflügliges Gartentor, durch das sie eben gestolpert waren. Vor ihnen, nur wenige Schritte entfernt und gerade noch in der Finsternis zu erkennen, sah Cedrik Sand.

Sand, wie von einem ...

»Wir sind am Meer!«, brüllte Elliot begeistert. »Hört ihr es? Das sind Wellen, die sich am Ufer brechen!«

»Und ich kann es riechen«, rief Cedrik. »Wir sind am Strand!«

»Leute, dreht euch lieber mal um! Dort hinten kommt jemand!« Emily zeigte durch das Gartentor auf das, was sich auf der anderen Seite der Hecke verbarg.

Cedrik trat neben sie und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Er sah nicht viel, aber entdeckte die Umrisse von geschwungenen Buchsbaumhecken, im Wind schwankende Rosenbüsche entlang gerader Kieswege und hinter den Regenschwaden, die ihm immer wieder die Sicht nahmen, zeichneten sich die hell erleuchteten Fenster eines stattlichen Herrenhauses ab.

Ein Mädchen mit gelbem, viel zu großem Regenmantel, triefnassen, roten Haaren und einer flackernden Laterne in der Hand lief auf sie zu. An ihrer Seite ein übermütig durch den Regen springender Hund. Hinter ihr schälte sich ein Mann aus der Dunkelheit der Parklandschaft, mit Schirmmütze, schweren Gummistiefeln und dunkelgrünem Wachsmantel. Über seinen Arm eine Schrotflinte.

»Hab ich’s nicht gesagt, Daddy?«, rief das Mädchen schon von Weitem. Sie rannte die letzten Meter und baute sich auf dem Kiesweg vor ihnen auf, die Lampe hoch erhoben. Sie strahlte. »Sie sind gekommen! Alle drei!«

Der Mann stellte sich neben sie und starrte erst misstrauisch, dann verblüfft auf Cedrik und seine Freunde. »Potzblitz! Was treibt ihr euch in Herrgottsnamen mitten in der Nacht am Strand herum? Und woher ...«

»Papa! Ich sag es dir doch, sie sind nicht von hier. Sie sind durch das Tor gekommen!« Und mit einem Lächeln, das irgendwie ansteckend wirkte, wandte sie sich wieder an die drei Freunde und sagte: »Kommt mit zu uns in Haus! Ich bin Babette, und das ist Bernard, mein Vater. Ihr müsst unbedingt mitkommen! Hier draußen holt ihr euch bei dem Wetter sonst den Tod!«

Der Tee schmeckte vorzüglich. Sie hatten es sich in den weichen Sesseln und auf dem Sofa aus grünem Samt vor dem prasselnden Kamin bequem gemacht, kuschelten sich in die rauen, aber warmen Wolldecken und schlürften heißen Tee mit Milch und Honig. Sie saßen in der großen Halle des Herrenhauses, zu dem sie Vater und Tochter im strömenden Regen durch den kleinen Park geführt hatten. Überall, an den getäfelten Wänden, hingen große Ölgemälde von Damen und Herren aus alten Zeiten, mit kunstvoll gesteckten Perücken und prachtvollen Rüschenkrägen. Auf den Antiquitäten ringsum standen alte Leuchten aus Messing und Glas, die den Raum in ein gemütliches Licht tauchten.

Babette und ein älterer Herr in Livree hatten sie sofort mit dampfendem Tee versorgt, während Bernard ihnen die karierten Decken gegeben und das Feuer wieder in Gang gebracht hatte. Er legte ein weiteres Mal trockene Holzscheite auf die flackernden Flammen, setzte sich etwas abseits in einen Schaukelstuhl und sah die Freunde nachdenklich, aber nicht unfreundlich an.

Der Hund, ein karamellfarbener Retriever, hatte sich pitschnass neben Cedrik auf dem Sofa zusammengerollt, seine Schnauze auf den Oberschenkel des Jungen gelegt und war sofort eingeschlafen. Cedrik wagte kaum, sich zu bewegen, um ihn nicht zu stören. Er liebte Hunde.

»Er ist noch ganz jung.« Babette kicherte und ließ sich auf der anderen Seite von Cedrik auf das Sofa fallen. »Aber als er vorhin wie verrückt angefangen hat zu bellen, wusste ich sofort, es ist so weit. Er ist ein kluges Tier.«

»Was meinst du damit? So weit wofür?«, fragte Cedrik.

»Ich wusste, dass ihr kommt. Ich hab es im Traum gesehen.« Sie lächelte stolz. »Den Sturm. Das Tor. Euch drei. Ich wusste nur nicht, wann.«

Er starrte sie mit aufgerissenen Augen an. Sie war deutlich jünger als sie, vielleicht acht oder neun Jahre, aber sie wirkte auf eine fast schon unheimliche Weise erwachsen. Sie hatte rote Locken und ihr Gesicht war voller Sommersprossen. Sie trug ein hübsches gelbes Sommerkleid, viel zu leicht für den Sturm, und ihre Gummistiefel hatte sie gegen rote Samtschuhe getauscht.

»Du hast von uns geträumt?«, fragte Emily ungläubig.

Sie hatten nicht lange überlegen müssen, als ihnen Babette das Angebot gemacht hatte, zu ihnen ins Trockene zu kommen. Der Sturm hatte sie förmlich in das Haus geweht, sie hatten eigentlich keine andere Wahl gehabt, wenn sie die Nacht irgendwie überstehen wollten, ohne in der Nässe vollständig auszukühlen. Hier an der Küste tobte nicht nur ein heftiger Sturm, es war auch einige Grad kälter als in dem kleinen Dorf in den Highlands.

Bernard, Babettes Vater, räusperte sich. »Es ist spät, und ich denke, wir können morgen darüber sprechen, was euch mitten in der Nacht an unseren Strand verschlagen hat. Doch davor ...« Er biss sich auf die Lippen, schien mit sich zu ringen, dann fasste er einen Entschluss und stand auf. Unruhig stellte er sich vor den Kamin und musterte seine Gäste, einen nach dem anderen. Babette lächelte, irgendwie milde. Angepannt verlagerte er sein Gewicht vor und zurück. »Ich möchte euch bitten, mir nur eine Frage zu beantworten.« Er blinzelte und schien furchtbar aufgeregt. Wie seine Tochter hatte er feuerrote Locken und sein ebenso roter Bart verdeckte nur wenige der zahlreichen Sommersprossen, die sein Gesicht zierten. Er knetete nervös seine Hände.

Cedrik wusste, woher er so ein Verhalten kannte, und es beunruhigte ihn.

»Seid ihr ...«, sagte der Mann und räusperte sich.

Der Zauber des Greifen.

»Seid ihr aus ...« Wieder stockte er, bevor er schließlich heiser flüsterte: »Seid ihr aus Mistle End?«

Cedrik schluckte. Das hatte er befürchtet. Hastig sah er zu seinen Freunden. An ihren Gesichtern konnte er deutlich ablesen, dass auch sie diese Frage mehr als beunruhigte.

»Natürlich sind sie das, Papa«, sagte Babette fröhlich. »Ich möchte wetten, sie sind Hexen!«

Die Geschwister Golden fuhren zusammen. »Was?! Nein, wir ...«, stotterte Emily und Elliot stammelte: »Woher weißt du, ich mein, wie kommst du denn darauf?! Ist ja albern. Hexen. Ähem. Hähä.« Sein Lachen klang dämlich.