Die drei ??? Im Wald der Gefahren (drei Fragezeichen) - André Marx - E-Book
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Die drei ??? Im Wald der Gefahren (drei Fragezeichen) E-Book

André Marx

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Beschreibung

Die drei ??? übernehmen jeden Fall. Justus, Peter und Bob schließen sich einer Survival-Wandertour in der Wildnis der Rocky Mountains an. Auf ihrer Route müssen sie so einige Prüfungen bestehen und machen dabei nicht nur Bekanntschaft mit einem Bären. Der Wald birgt ein Geheimnis!

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Im Wald der Gefahren

erzählt von André Marx

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von der Peter Schmidt Group, Hamburg,

auf der Grundlage der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

weitere Informationen zu unseren Büchern,

Spielen, Experimentierkästen, Autoren und

Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2022, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG,

Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-50484-0

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Montana

»Bobs Reisetagebuch, Montana, dreißigster Mai. Berge, Wälder, Seen und hinter jeder Kurve ein neuer atemberaubender Blick – so präsentiert sich uns der Bundesstaat Montana, seit wir die Interstate 90 vor zwei Stunden verlassen haben. Die drei ??? sind endlich wieder unterwegs.

Es ist eigentlich Peters Reise. Sein Opa wollte mit ihm eine Wanderung in den Bergen von Montana machen, nachdem ihm die Gegend bei unserem gemeinsamen Trip durch die Staaten so gut gefallen hatte. Aber dann hat er sich den Zeh gebrochen. Also Peters Opa. Nicht Peter. Deshalb sind jetzt Justus und ich mit dabei. Just war zwar nur mittelmäßig begeistert, weil er spätestens seit unserer letzten Rucksack-Tour weiß, wie anstrengend so was sein kann, aber ich freue mich drauf. Vier Tage lang wandern in einer kleinen geführten Gruppe weit weg von der Zivilisation. Das wird toll.

Heute Morgen hat Peters Dad uns zum Flughafen Los Angeles gefahren, dann sind wir nach Billings, Montana geflogen und haben unseren Mietwagen abgeholt. Seitdem sitzt Peter am Steuer und fährt ein bisschen halsbrecherisch die Serpentinen rauf und runter. Um sechs Uhr werden wir in einem kleinen Kaff namens Two Creeks erwartet. Justus schläft. Wie kann er das bei diesen Kurven? Mir ist so schon leicht schwummrig.«

»Sag mal, was murmelst du da eigentlich vor dich hin?« Peter Shaw warf seinem Freund Bob Andrews einen fragenden Blick durch den Rückspiegel zu.

»Ach, ich dachte, du könntest mich gar nicht hören, so wie du rast«, gab Bob zurück.

»Ich rase nicht. Ich fahre lediglich sportlich. Also: Mit wem sprichst du?«

»Mit meinem Reisetagebuch.«

»Mit dem kann man sprechen? Ich dachte, da schreibt man rein.«

»Ich wollte das Buch nicht mitschleppen. Also diktiere ich in mein Handy. Vielleicht schreibe ich es zu Hause ab und –«

»Wow, seht euch das an!«, rief Peter, sodass Justus aus dem Schlaf aufschreckte.

Sie hatten die Passhöhe erreicht und der Zweite Detektiv lenkte den Wagen gerade zwischen zwei haushohen Felsen hindurch, die den Berggipfel bildeten. Die letzten Meilen war es stetig aufwärtsgegangen und die Sicht nach Norden war von hohen Felswänden versperrt gewesen. Nun breitete sich vor der Windschutzscheibe ein atemberaubendes Panorama aus. Hinter einem abrupt abfallenden Felssturz erstreckte sich ein weites grünes Tal. Auf der anderen Seite, viele Meilen entfernt, kletterte der Wald den Hang empor, bis die Bäume keinen Halt mehr fanden und vor den steil aufragenden Felswänden kapitulierten. Dahinter erstreckten sich endlose Bergketten. Auf den höchsten Gipfeln lag Schnee. Hier und da hingen Wolkenfelder fest und spielten mit dem Sonnenlicht. In weiter Ferne regnete es sogar. Nirgendwo war ein Haus zu sehen, die Natur schien beinahe unberührt. Lediglich die schmale Straße wand sich hier und da aus den Wäldern hervor.

»Die endlosen Weiten Montanas«, sagte Bob andächtig.

»Hier wohnt wirklich niemand, oder?« Peter war fasziniert von der menschenleeren Landschaft um ihn herum. Zu Hause an der Küste Kaliforniens gab es das nicht. Da sah man immer irgendwo ein Haus oder ein Auto oder einen Strommast herumstehen.

»Das ist natürlich nicht korrekt«, belehrte Justus den Zweiten Detektiv, »aber Montana ist in der Tat einer der am dünnsten besiedelten Bundesstaaten. Mit nur etwa sieben Einwohnern pro Quadratmeile steht er an –«

»So genau wollte ich es nicht wissen«, winkte Peter ab. Es war besser, Justus so früh wie möglich zu unterbrechen, wenn man keinen mehrminütigen Vortrag über ein vollkommen uninteressantes Thema hören wollte. »Außerdem nehme ich alles zurück. Da kommt ein Wagen.«

Von hinten kam ein Buick Cabrio näher, und zwar ziemlich schnell. Am Steuer saß ein Mann mit dunklen Haaren, Sonnenbrille und fingerlosen Lederhandschuhen. In einem riskanten Manöver überholte er die drei ??? kurz vor einer Kurve und brauste davon.

Peter schaute ihm kopfschüttelnd hinterher. »So ein Armleuchter.«

Von nun an ging es nur noch bergab. Zehn Minuten nachdem die Straße in das bewaldete Tal eingetaucht war, wurden sie von einem großen Schild mit den Worten Willkommen in Two Creeks begrüßt. Darunter war ein Bär gemalt, der an einem Berghang zwischen zwei Bächen stand.

Two Creeks bestand aus kaum mehr als einer Straße mit einer Tankstelle und einem kleinen Diner, vor dem ausschließlich Geländewagen und Pick-ups parkten. Zwei bärtige Männer in fleckigen Overalls und mit Cowboyhüten auf dem Kopf schauten dem weißen Mietwagen ausdruckslos hinterher. Dreihundert Meter hinter dem Ortseingangsschild kam bereits das Ortsausgangsschild.

»Das kann nicht richtig sein«, murmelte Peter. »Das Green House, in dem wir uns mit Ralph und den anderen treffen sollen, ist in Two Creeks. Nicht dahinter. Wir müssen eine Abzweigung übersehen haben.« Er wendete das Auto mitten auf der Straße und fuhr zurück.

»Wir sollten jemanden fragen«, schlug Bob vor.

Auf der Veranda eines kleinen grauen Holzhauses unweit des Diners saß ein älterer Mann auf einem abgenutzten Küchenstuhl. Seine Hände waren auf den Knauf eines Gehstocks gestützt, die Basecap hatte er tief ins Gesicht gezogen.

Peter fuhr rechts ran. »Frag den mal«, bat er Justus.

Der Erste Detektiv drehte das Fenster herunter. »Entschuldigen Sie, Sir. Kennen Sie das Green House?«

Der Mann schob die Mütze ein paar Zentimeter aus dem Gesicht und musterte die drei Jungen. »Da seid ihr hier falsch. Ein Green House gibt es hier nicht.«

Die Verandatür wurde aufgestoßen und eine stämmige Frau in Gummistiefeln trat heraus. Ihre Hände steckten in Gartenhandschuhen. »Was redest du denn da, Bill Greyfield? Natürlich gibt es hier ein Green House.«

»Halt dich da raus, Karen«, knurrte der Mann wütend.

»Willst du jetzt etwa auch noch diese unschuldigen Kinder verdächtigen? Mach dich nicht lächerlich.«

»Unschuldige Kinder, pah! Niemand, der in den Bergen seinen Müll durch die Gegend schmeißt und Wildfallen baut, ist unschuldig!«

»Ich bin sicher, diese Jugendlichen haben nichts dergleichen vor, nicht wahr?« Karen nickte den drei ??? lächelnd zu.

»Was weißt du denn schon! Ihr trefft euch gleich mit Ralph Sanders, stimmt’s?«

»Äh, ja«, bestätigte Justus. »Mr Sanders ist unser Wanderführer und –«

»Ich kann euch sagen, was Mr Sanders ist! Ein Verbrecher!«

Vorstellungsrunde

»Nun reiß dich aber mal zusammen, Bill Greyfield! Nur, weil Ralph letztes Jahr ein Reh vors Auto gelaufen ist, ist er noch lange kein Verbrecher.«

»Es ist ihm nicht vors Auto gelaufen. Ich glaube ihm kein Wort. Er ist ein Wilderer. Seit drei Wochen ist die Wintersaison vorbei, seit drei Wochen bietet Ralph wieder seine Wandertouren an – und prompt werden auf dem Capricorn Peak Wildtierfallen gebaut. Da!« Anklagend reckte er den drei ??? seinen linken Fuß entgegen, der in einer Art Stützschuh steckte. »Ich habe mir den Knöchel gebrochen, weil ich in so ein Loch gefallen bin. Stundenlang musste ich unter Schmerzen zurück nach Two Creeks humpeln. Das kann nur Ralph gewesen sein. Oder einer seiner sogenannten Naturfreunde. Gören wie ihr.«

»Ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht vorhaben, Tierfallen zu bauen, Sir«, sagte Justus so höflich wie möglich.

Karen schüttelte entschuldigend den Kopf. »Bill meint es nicht so.«

»Bill meint es sehr wohl so.«

»Jetzt ist aber mal gut. Du hast selbst gesagt, dass es bloß ein Loch gewesen ist. Gar keine richtige Falle. Es war wahrscheinlich nichts weiter als ein Kaninchenbau.«

»Blödsinn, Karen! Ich war vierzig Jahre lang Ranger. Ich weiß ja wohl, wie ein Kaninchenbau aussieht.«

»Verzeihen Sie, aber wenn Sie uns vielleicht einfach den Weg zum Green House –«

»Außerdem ist dein Knöchel nur verstaucht«, fuhr Karen fort, als hätte sie Justus gar nicht gehört.

»Konservendosen und Plastikmüll liegen da auch herum. Wer soll die denn in den Wald geworfen haben, wenn nicht Ralph und seine Wandertruppe? Und was ist mit diesem Kerl, der jetzt schon zwei Mal aus dem Wald zum Green House heruntergeschlichen ist, um da im Gartenschuppen herumzumachen? Den habe ich hier noch nie gesehen. Garantiert einer von Ralphs kriminellen Freunden. Der treibt auf dem Berg sein Unwesen, Ralph versorgt ihn mit Dosenravioli und die Dosen fliegen dann in der Gegend herum. Einsperren sollte man solche Leute.«

Karen seufzte. »Es wird immer schlimmer mit dir, Bill Greyfield. Jeder, der nicht dein Freund ist, ist ein Verbrecher.«

»Ich hätte längst Beweise! Aber mit dem Fuß kann ich ja niemanden verfolgen.«

»Und viele Freunde sind dir nicht geblieben.«

»Du hörst mir überhaupt nicht zu.«

Justus räusperte sich. »Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber wir werden in wenigen Minuten im Green House erwartet. Ist es Ihnen lieber, wenn wir jemand anderen nach dem Weg fragen?«

»Ja!«, schnappte Bill.

»Ein Stück geradeaus, dann die erste rechts«, sagte Karen. »Da steht auch ein Schild.«

»Danke, Madam«, sagte Justus.

»Und du komm jetzt rein, Bill Greyfield, anstatt harmlose Besucher unseres schönen Städtchens zu belästigen.« Damit verschwand Karen im Haus. Ein quietschender Federmechanismus ließ die Verandatür zuknallen.

»Harmlos!«, echote Bill. Was er sonst noch von sich gab, bekamen die Jungen nicht mehr mit, denn Peter gab Gas.

»Netter Mann«, sagte der Zweite Detektiv. »Reizende Gegend.« Er fuhr bis zum ersten Abzweig. Den kleinen selbst gemalten Wegweiser, auf dem Green House stand, hatten sie vorher nicht bemerkt. Der Weg war ungeteert und matschig und endete nach zwei engen Kurven vor einem großen alten Holzhaus, das im Schatten einer riesigen Tanne stand.

Das Green House war ein ehemaliges Hotel, von dessen Fassade verschiedene Schichten grüner Farbe abblätterten. Da für eine Renovierung anscheinend das Geld fehlte, hatte man es in eine Selbstversorger-Unterkunft ohne die üblichen Hotel-Standards umgewandelt. Das Verandadach war ein wenig schief und am Geländer der Treppe hing ein Schild: Vorsicht! Wackelt! Vor einer Hausecke stapelten sich ausrangierte verwitterte Möbel neben einem kaputten Trampolin. Ein schlapper Basketball lag unter einem zerfetzten Korb.

Peter stellte den Wagen in einer Ecke des Vorplatzes ab, wo schon ein paar andere Autos parkten.

»Seht mal, das ist doch das Cabrio von vorhin«, bemerkte Bob. »Der lebensmüde Fahrer.«

»Na, das geht ja gut los«, murmelte Peter.

Da die Jungen spät dran waren, ließen sie ihr Gepäck zunächst im Kofferraum und betraten das Green House durch eine knarrende Holztür. Dahinter lag ein langer Flur mit einem verlassenen Empfangstresen. Ratlos sahen sie sich um.

»Hallo?«, rief Peter zaghaft.

Am Ende des Flurs öffnete sich eine Tür und ein junger Mann streckte den Kopf heraus. »Seid ihr die drei Jungs aus Kalifornien? Kommt rein, wir sind alle im Gemeinschaftsraum.«

Der Gemeinschaftsraum des Green House war ein uriger Ort, der nach Holz und Kerzenwachs roch. Von der Decke hingen altmodische Messinglampen, die warmes Licht verbreiteten. Der wuchtige Esstisch war voller Risse, Kaffeeränder und Brandflecken. Die Kartons der Gesellschaftsspiele, die sich in einem Regal an der Wand stapelten, fielen schon halb auseinander. Der Geruch eines deftigen Eintopfs drang durch eine Schwingtür, hinter der wohl die Küche lag. Vier Leute drehten gleichzeitig ihre Köpfe zur Tür, als die drei Detektive eintraten.

»Herzlich willkommen«, sagte der junge Mann, der sie hereingerufen hatte. Er hatte einen Drei-Tage-Bart und trug eine Wollmütze auf dem Kopf. »Ich bin Ralph. Ihr kommt genau richtig, es gibt gleich Abendessen und vorher können wir noch eine kleine Vorstellungsrunde machen.«

»Sorry, dass wir ein bisschen zu spät sind«, sagte Peter mit einem schüchternen Blick in die Runde. Die drei ??? waren mit Abstand die jüngsten Tourteilnehmer. Einer von ihnen war der Fahrer des Cabrios. Er war einen Hauch zu braungebrannt, trug eine schwarze Cargo-Hose und ein T-Shirt, das er wohl absichtlich eine Nummer zu klein gekauft hatte. Darunter zeichneten sich seine Muskeln ab. Er ließ sich nicht anmerken, ob er die drei Jungen wiedererkannte oder nicht.

»Kein Problem«, meinte Ralph und warf einen Blick auf eine Liste mit Namen in seiner Hand. »Ihr seid nicht die Letzten, es fehlt noch jemand, aber auf den warten wir jetzt nicht mehr. Setzt euch doch!« Die Aufforderung war an alle gerichtet und die Gruppe kam zusammen. Stuhlbeine schleiften über den Dielenboden und bald saßen alle in einem Kreis.

Ralph nahm auf der Tischkante Platz, legte lässig den Fußknöchel auf seinem Oberschenkel ab und lächelte in die Runde. »Schön, dass ihr alle da seid. Ich werde euch in den nächsten Tagen durch das wilde Montana begleiten.« Er grinste wie ein kleiner Junge, der es kaum erwarten konnte. »Ich bin in Two Creeks aufgewachsen und kenne die Gegend wie meine Westentasche. Wir werden über den Capricorn Peak zum Bear’s Prey Lake wandern und vier Tage miteinander verbringen. Damit wir alle wissen, mit wem wir es zu tun haben, stellt euch doch bitte kurz vor und erzählt den anderen, was euch hergeführt hat.« Ralph zwinkerte der jungen blonden Frau zu seiner Linken zu.

»Hi. Ich heiße Zoe. Ich bin Ralphs Freundin und begleite die Tour seit letztem Jahr. Wenn es ums Feuermachen und das Errichten eines Nachtlagers geht, kenne ich mich also mindestens so gut aus wie Ralph.«

Der Cabrio-Fahrer gab ein amüsiertes Schnauben von sich. Als ihn deswegen alle ansahen, räusperte er sich schnell. »Hi. Ich bin Dylan Reid, Sportlehrer aus Iowa und Trainer der Davenport Silver Knights, die letztes Jahr die Footballmeisterschaften in Iowa gewonnen haben.« Den Sportlehrer kaufte Peter ihm sofort ab. Es fehlte eigentlich nur die Trillerpfeife um seinen Hals. »Die Wanderung ist für mich ein kleiner Entspannungsurlaub vor der neuen Trainingssaison. Und da es in Iowa keine Berge gibt, bin ich eben nach Two Creeks gefahren.«

»Eher gerast«, murmelte Peter so leise, dass nur Bob und Justus ihn verstehen konnten.

»Ich hoffe, das wird nicht bloß ein Sonntagsspaziergang.« Dylan streifte den etwas pummeligen Justus mit einem leicht abfälligen Seitenblick.

Neben Dylan saß ein Mann in den Dreißigern. Er war mittelblond, trug eine unscheinbare Brille, einen unscheinbaren lichten Kinnbart und war auch ansonsten ganz und gar unscheinbar. »Mein Name ist Simon«, sagte er leise. »Ich komme aus Wyoming, arbeite in der Buchhaltung und … ja. Das war’s.«

Alle waren irritiert davon, dass Simon nicht mehr preisgab.

»Ich bin die Angela«, sagte die Dame links von Simon schnell, als wollte sie die Situation retten. »Angela Van Limbeek.« Die Frau erinnerte Justus sofort an seine Tante Mathilda. Angela war etwa im gleichen Alter, ein wenig beleibt und hatte etwas sehr Mütterliches, als sie durch ihre orangefarbene Brille in die Runde blickte und allen ein herzliches Lächeln schenkte. Ihr Haar war dunkelrot mit deutlichem grauen Ansatz. »Ich freue mich riesig, euch alle kennenzulernen und gemeinsam mit euch durch die unberührte Natur zu wandern. Nur der Wind und das Wetter und die Vögel … Das wird bestimmt eine ganz tolle Erfahrung.«

Nun war Peter an der Reihe. »Ich bin Peter aus Rocky Beach in Kalifornien. Mein Opa hat mir die Wanderung geschenkt, aber er hat sich verletzt. Da habe ich meine beiden besten Freunde mitgenommen.«

»Bob«, sagte Bob. »Ich bin der eine von den beiden.«

»Und ich der andere«, sagte Justus. »Justus.« Er wollte noch ein paar Worte sagen, doch er kam nicht mehr dazu, denn draußen näherte sich ein Wagen.

»Das wird unser Nachzügler sein«, sagte Ralph mit einem Blick aus dem Fenster. Schon hörte man eine Autotür schlagen und kurz darauf Schritte im Flur. Die Tür zum Gemeinschaftsraum wurde geöffnet und ein hagerer, blasser Mann lugte herein. Er war etwa Ende dreißig und sah in seiner abgewetzten Lederjacke aus wie ein vergessener Rockstar. Sein schwarzes Haar hatte er zu einer stacheligen Frisur hochgegelt. An den leicht nikotingelben Fingern, die den Türrahmen umfassten, prangten große silberne Ringe.

»Sorry, ich suche Ralph Sanders«, murmelte er undeutlich.

»Das bin ich. Du willst zu uns. Komm rein. Ich habe leider deinen Namen vergessen.«

»Addington.«

»Setz dich doch, Addington.«

»Das ist mein Nachname«, sagte der Mann, Ungeduld in den Augen. »Wir sind verabredet, Mr Sanders.«

»Ja. Zu unserem Kennenlerntreffen. Wir haben gerade erst angefangen.«

»Nein, ich bin mit Ihnen verabredet. Allein.«

Ralph schien ehrlich überrascht. »Es geht um die Gruppenwanderung, richtig?«

»Gruppenwanderung«, wiederholte Addington. »Ganz sicher nicht. Sehe ich aus wie ein Pfadfinder? Ich habe Sie als Führer gebucht.«

Ralph schüttelte den Kopf. »Das tut mir leid, aber das muss ein Missverständnis sein. Ich habe nicht mit Ihnen persönlich telefoniert, stimmt’s? Sondern mit …«

»Mit meinem Assistenten George.« Mr Addington seufzte. »Könnte ich Sie einen Augenblick unter vier Augen sprechen, Mr Sanders?«

»Aber klar. Zoe, machst du weiter?« Die beiden Männer traten auf den Flur.

»Also schön, wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Zoe.

Justus räusperte sich. »Entschuldigung, wo ist denn hier die Toilette?«

»Den Gang runter, an der Rezeption vorbei und dann rechts.«

Justus nickte und erhob sich von seinem Stuhl. Bob und Peter warfen ihm vielsagende Blicke zu. Die beiden kannten ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht wirklich zur Toilette musste.

Ralph und Mr Addington standen ein paar Meter entfernt mitten im engen Flur. Addington kniff die Augen zusammen, als er Justus sah, doch dieser ließ sich nichts anmerken, murmelte eine Entschuldigung, als er sich an den beiden vorbeischob, und suchte die Waschräume auf. Dort ließ er die Tür nicht hinter sich zufallen, sondern stellte einen Fuß dazwischen und spitzte die Ohren. Das Gespräch der beiden war gut zu verstehen.

»Ich mache es kurz. Ich will keine Gruppenwanderung. Was ich brauche, ist lediglich ein Führer, der mich zum Bear’s Prey Lake bringt.«

»Das tut mir sehr leid, Mr Addington, aber in den nächsten vier Tagen wandere ich mit dieser Gruppe zum See. Und gleich danach mit einer weiteren. Ich könnte Ihnen übernächste Woche eine Privatführung anbieten.«

»Das ist viel zu spät.«

»Dann tut es mir leid.«

Addington seufzte genervt. »Wie viel wollen Sie? Ich zahle das, was Ihnen die Gruppentour einbringt, und lege noch was obendrauf.«

»Das geht nicht, Mr Addington. Ich kann diese Leute nicht einfach so nach Hause schicken, das sehen Sie hoffentlich ein. Und würden Sie bitte hier drinnen nicht rauchen?«

»Das Doppelte?«

Ralphs Stimme wurde kühler. »Unser Missverständnis tut mir wirklich sehr leid. Sie können sich der Gruppe anschließen. Das ist das einzige Angebot, das ich Ihnen machen kann.«

»Aber das ist … George hat das doch mit Ihnen geklärt!«

»Ein Missverständnis, wie gesagt.«

Addington gab auf. »Also schön. Es geht ja wohl nicht anders. Gibt es im Ort ein Hotel?«

»Sie können hier übernachten, das tun die anderen auch. Ich hatte sowieso ein Zimmer für Sie vorgesehen.«

»In dieser Bruchbude?«

»Dafür ist es im Preis inbegriffen. Betrachten Sie es als Teil des Abenteuers.«

Mr Addington seufzte. »Ich hole meine Sachen.«

Die Eingangstür knarrte und schlug zu. Justus wartete, bis Ralph in den Gemeinschaftsraum zurückgekehrt war, bevor er die Toilette verließ. Durch die schmutzigen Flurfenster sah er Addington an seinem Wagen stehen und telefonieren, während er mit hektischen Zügen rauchte. Eines der Fenster war ein Stück weit hochgeschoben. Justus ging in die Hocke, hielt sein Ohr so nahe wie möglich an den Spalt und lauschte.