Die drei Ringe - Paul Keller - E-Book

Die drei Ringe E-Book

Paul Keller

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Beschreibung

Die schwer herzkranke Frau Kommerzienrat spürt, dass sie nicht mehr lange leben wird. Seit Wochen ist ihr einziger Trost ein Buch, das "wider alle Mörder von Kindern", der geborenen und der ungeborenen, gerichtet ist. Die sterbende Frau kann die drei Kinder, die sie nicht haben durfte, nicht vergessen. Nach der Geburt des Sohnes Helmut und der Tochter Margot war für den Kommerzienrat der Kindersegen erfüllt: Das Erbe sollte nicht auf noch mehr Kinder aufgeteilt werden. Zwei Söhne und eine Tochter folgten noch. Als Trost für die Beseitigung der noch Ungeborenen schenkte er seiner Frau drei Ringe, den ersten mit einem Brillanten, den zweiten mit einem Smaragd und den dritten mit einem Rubin verziert. Als der Kaiser die Mobilmachung bekanntgibt, muss auch Sohn Helmut in den Krieg. Angesichts der unsicheren Zukunft spricht er mit seinem Vater über seine Liebe zu dem Dienstmädchen des Hauses, Annemarie. Für den Kommerzienrat ist eine Verlobung mit "der Person" undenkbar, ihre Schwangerschaft ein Skandal, den er mit seinem Geld zu beseitigen wünscht. Beide müssen das Haus verlassen. Am nächsten Tag ist seine Frau tot. Es ist der erste Schicksalsschlag! Es folgen der Krieg und die Spanische Grippe, die ihm Sohn und Tochter nehmen. Als der starre Mann nach Jahren gebrochen, ohne Familie und ohne Erben übrig bleibt, erinnert er sich an Annemarie. In seiner Verzweiflung schmiedet er einen Plan, um wenigstens den Enkelsohn zu bekommen ...Ein tief berührender, hochemotionaler Schicksalsroman über falschen Hochmut und Standesdünkel.-

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Seitenzahl: 67

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Paul Keller

Die drei Ringe

Saga

Die drei Ringe

© 1924 Paul Keller

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711517420

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Numerum liberorum finire aut quemquam ex agnatis necare flagitium habetur, plusque ibi boni mores valent, quam alibi bonae leges.

Die Zahl der Kinder zu beschränken oder eines der nachgeborenen zu töten, bringt Schande, und mehr wirken dort (bei den Germanen!) gute Sitten als anderwärts gute Gesetze.

Tacitus, Germania cap. 19.

1. Teil.

Der Julitag verglüht so langsam, wie ein schweres Feuer ausgeht. Zur Veranda herauf, ob sie auch nach Osten gelegen ist, kommt immer noch kein kühler Hauch aus dem grossen Park. Die Frau Kommerzienrat, die im Lehnstuhl liegt, atmet mühsam. Wie soll jemand, der schwer am Herzen leidet, in solcher Luft bestehen?

Die Hände der Frau spielen nervös mit einem Buche. Einmal schlägt sie das Titelblatt auf. Da steht: „Todsünde! Ein Buch wider alle Mörder von Kindern, der geborenen wie der ungeborenen.“ —

Die Frau friert plötzlich. Die schmalen Schultern zucken; die unglücklichen Augen schauen hinunter nach dem hellen Park, ob ihr nicht von da Wärme komme.

Das Buch gleitet auf den Fussboden.

Eine rüstige, etwa vierzigjährige Dienerin erscheint mit einer Giesskanne.

„Gnädige Frau, darf ich jetzt die Blumen begiessen?“

„Ja. Und danach kommen Sie mal her zu mir, Frau Scholz!“

Die Frau begiesst eine Anzahl von Blumentöpfen; dann kommt sie heran.

„Gnädige Frau wünschen?“

„Setzen Sie sich auf den Stuhl neben mich, Frau Scholz. Erzählen Sie mir mal etwas von Ihrer Ehe.“

„Ach Gott, gnädige Frau, von der Ehe armer Leute ist nicht viel zu erzählen. Er schindet sich, sie schindet sich; die Kinder wachsen halt so mit auf. Immer von der Hand in den Mund — das ist alles!“

„Wieviel Kinder haben Sie?“

„Fünf, gnädige Frau!“

„Und das war alles? Ich meine, es ist nie, was wir Frauen unter uns so nennen, ‚daneben‘ gegangen?“

Frau Scholz sagt erstaunt: „Nie. Ich war immer ganz gesund.“

„Ja, und so selbst etwas getan, wieder befreit zu werden — ich meine, Sie hatten es doch schwer — Sie konnten sich doch keine weiteren Kinder wünschen —“

„Nie, gnädige Frau! Das hätt’ ich, Gott bewahr mich, nicht gewollt — und mein Mann auch nicht.“ Die Frau Kommerzienrat sagt mit leiser Stimme:

„Ja, ja, das ist freilich schön. — Wieviel verdient denn Ihr Mann am Tage? Er ist Dachdecker, wie ich hörte.“

„Ja, Dachdecker. Im Sommer verdient er manchmal fünf Mark am Tage; aber im Winter ist halt keine Arbeit, höchstens, wenn einmal ein Sturm die Dächer sehr zerreisst.“

„Haben Sie Freude an Ihren Kindern gehabt?“ „Wie’s bei Kindern geht, gnädige Frau — Freude und Sorge und Arbeit, halt so alles durcheinander. Hergeben tät ich keines. Der Kleinste wäre uns beinahe einmal gestorben. Da hat mein Mann geheult, und ich habe gepflegt. In solchen Krankheitsfällen taugen die Männer nichts. Na, der Junge ist jetzt schon acht Jahre. Und die beiden ältesten sind siebzehn und sechszehn und verdienen schon, sind uns schon zur Hälfte von der Tasche; sind brav, halt gerade, dass sie Zigaretten rauchen. Aber mein Mann sagt, ein bisschen was vom Leben wollen sie auch haben. Das Mädel ist dreizehn, dann der andere Junge elf. Ach, gnädige Frau, wenn das Mädel nächstes Jahr aus der Schule kommt und gnädige Frau wollten es als Dienstmädchen aufnehmen —“

„Ich will schon gern ein Kind von einer so guten Frau und einem so braven Manne in mein Haus nehmen.“

„Gnädige Frau —“

Die Frau Kommerzienrat wehrt einen Handkuss ab und sagt in plötzlicher Erregung: „Nein, nein, Frau Scholz, Sie sind ein viel besseres Weib als ich. — Gehen Sie! Schicken Sie Annemarie!“

Die Dienerin sieht die Herrin erschrocken an und eilt davon.

*

Da kommt Annemarie. Sie ist von guter Figur. Ihre Augen sind schön, aber umschattet; die dunkelblonden Haare umrahmen ein blasses, weiches Gesicht.

„Gnädige Frau sind doch nicht wieder unwohl?“

„Bin ich jemals wohl?“

Annemarie hebt das Buch auf, das am Fussboden liegt.

„O, wieder dieses Buch! Wenn gnädige Frau darin lesen, wird es allemal schlimmer. Der Arzt hat es schon dreimal verboten.“

Die Frau lächelt müde.

„Der Arzt! Für mich ist es ganz gleichgültig, ob es überhaupt Ärzte auf der Welt gibt. Helfen kann mir keiner. Und das einzige, was mich noch interessiert, ist dieses Buch.“

Annemarie sitzt beklommen da. Die Frau fragt: „Welches Datum haben wir heute?“

„Den 31. Juli.“

„Den 31. Juli 1914! Wenn ich dieses Jahr noch sterbe, bin ich gerade 49 Jahre alt geworden — “ Annemarie, leise aufschluchzend: „Ich bitte Sie, gnädige Frau —“

Die Frau: „Nein, nicht weinen, Annemarie! Es stimmt! Ich bin 1865 geboren. Wenn ich in diesem Jahre 1914 sterbe, bin ich gerade 49 Jahre alt geworden. Alt genug, Annemarie, alt genug für mich!“

*

Es entsteht Lärm auf der Strasse.

Die Frau fragt: „Was ist das? Was schreien diese Leute?“

Annemarie lauscht gespannt nach der Parkmauer hin.

„Gnädige Frau — oh! ‚Krieg‘ schreien sie. — Krieg! — Nieder mit Frankreich und Russland! — Was ist geschehen?“

„O Gott, nun trommeln sie — nun läuten auf einmal die Glocken. Laufen Sie nach der Strasse, Annemarie; sehen Sie nach, was geschehen ist —“

„Ach kann Sie nicht allein lassen, gnädige Frau —“

„Gehen Sie — das drückt mich nicht nieder, das ermuntert mich. Eilen Sie!“

*

So eilt Annemarie durch den Park. Am Toreingang trifft sie mit Helmut Enzenberg zusammen. Der ist der Sohn des Hauses, Reserveleutnant, Doktor der Rechte und was die einzige Hauptsache ist, ein aufrechter, junger Mann.

Helmut fasst Annemarie am Handgelenk.

„Annemarie, es wird Krieg. Krieg mit Russland und dann natürlich auch mit Frankreich und weiss Gott noch mit wem. Morgen muss ich fort.“

Das Mädchen wird sterbensbleich.

„Fort — du? — Helmut, und ich?“

Er steht wie gelähmt da. Schleppend sagt er: „Ja — du! Es ist furchtbar! — Annemarie — das muss heute noch in Ordnung gebracht werden — heute noch mit dem Vater — morgen ist’s zu spät. Komm mit — komm ganz still mit — setz dich in einen Winkel — warte! Ich geh zu ihm und bring’s ihm bei, ihm und der Mutter —“

„Nicht der Mutter — es geht ihr heute wieder sehr schlecht. Sage es nicht der Mutter!“

„Ja, wer soll’s ihr denn sagen?“

Der junge Mann strafft sich.

„Annemarie, es wird Krieg. Glaubst du, ich fürchte mich? Nein! O, ich will den Hunden, die unser Vaterland anbellen, schon ein Ordentliches auf den Pelz hauen helfen. Aber der Vater! Er ist der einzige Mann — Ach was, darf ich mich vor Granaten und Maschinengewehren nicht fürchten, werde ich mich vor seinem Gepoltere auch nicht fürchten. Weine nicht, mein Mädel! Ich heirate dich. Das ist ganz selbstverständlich. Beim ersten Urlaub heirate ich dich. Auch im Kriege wird’s mal Urlaub geben. Und bis dahin wird mich wohl der Schlachtengott beschützen. Man müsste meinen, er tut’s, wenn er weiss, dass einer in der Heimat noch eine so schwere Pflicht zu erfüllen hat.“

Das Mädel klammert sich leidenschaftlich an ihn. „Du — du — es war doch nur Liebe — es war doch alles nur Liebe — nicht Leidenschaft — nur Liebe!“

„Ja, es war nur Liebe! Weine nicht, mein Mädel; es wird noch alles gut werden; setz dich in einen Winkel — warte — ich gehe zu ihm.“

„Ich muss zu deiner Mutter. Sie hat mich ausgeschickt um Nachricht. Sie wartet.“

„So gehe zur Mutter. Beherrsche dich. Tröste sie wegen des Krieges!“

*

Wieder auf der Veranda.

Die Kommerzienrätin: „Nun, was ist?“

Annemarie: „Krieg, gnädige Frau, Krieg mit Russland und Frankreich!“

Die kranke Frau: „Krieg? (Sie lächelt.) Wenn ich dieses Jahr noch sterbe, wird ein Grab für