Die Ebenen - Gerald Murnane - E-Book

Die Ebenen E-Book

Gerald Murnane

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Beschreibung

In den Ebenen im Outback, auf ihren riesigen Ländereien, leben Familien, die eine eigentümliche, teils fort-, teils rückschrittliche Kultur pflegen. Besessen von der eigenen Überlieferung, heuern sie Maler, Musiker, Schriftsteller und Denker an, um jeden Aspekt ihres Lebens dokumentieren zu lassen. Ein junger Filmemacher kommt in die Region, um ein Porträt jener Ebenen zu realisieren. Doch statt in die Landschaft zu gehen, vergräbt er sich in der labyrinthartigen Bibliothek seines Gönners, durch die, auf verschiedenen Zeit-Ebenen, Projektionen von Frauen geistern. Alles treibt auf »Offenbarungen« hin …

Die Ebenen ist ein moderner Klassiker der australischen Literatur und erzählt – in einer hypnotisierenden Prosa von akrobatischem Bau – die Geschichte einer existenziell aufgeladenen Suche und eines sonderbaren Selbstverlustes.

Mit einem Nachwort von Ben Lerner

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Seitenzahl: 164

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In den Ebenen im Outback, auf ihren riesigen Ländereien, leben Familien, die eine eigentümliche, teils fort-, teils rückschrittliche Kultur pflegen. Besessen von der eigenen Überlieferung, heuern sie Maler, Musiker, Schriftsteller und Denker an, um jeden Aspekt ihres Lebens dokumentieren zu lassen.

 Ein junger Filmemacher kommt in die Region, um ein Porträt jener Ebenen zu realisieren. Doch statt in die Landschaft zu gehen, vergräbt er sich in der labyrinthartigen Bibliothek seines Gönners,durch die, auf verschiedenen Zeit-Ebenen, Projektionen von Frauen geistern. Alles treibt auf »Offenbarungen« hin …

Die Ebenen ist ein moderner Klassiker der australischen Literatur und erzählt – in einer hypnotisierenden Prosa von akrobatischem Bau – die Geschichte einer existenziell aufgeladenen Suche und eines sonderbaren Selbstverlustes.

Gerald Murnane, geboren 1939 in Melbourne, ist der vielfach ausgezeichnete – und u. ‌a. mit Kafka, Calvino, Borges und Thomas Bernhard verglichene – Autor von zwölf Romanen, Erzählungsbänden und Essays. In den vergangenen Jahren war Murnane immer wieder als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt worden. Die Ebenen ist sein erstes Buch in deutscher Übersetzung.

Gerald Murnane

Die Ebenen

Roman

Mit einem Nachwort von Ben Lerner

Die Originalausgabe erschien 1982 unter dem Titel The Plains bei Norstrilia Press, Melbourne.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp 1499.

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2017

© Gerald Murnane 1982

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

»Wir hatten schließlich ein Land entdeckt,bereit für die unverzügliche Aufnahmedes zivilisierten Menschen …«

Thomas Livingstone MitchellThree Expeditions into the Interior

1

Vor zwanzig Jahren, als ich erstmals auf den Ebenen eintraf, hielt ich die Augen offen. Ich suchte in der Landschaft etwas, das auf eine vielfältige Bedeutung hinter den Erscheinungen hinwies.

Meine Reise zu den Ebenen war weit weniger mühsam als danach von mir beschrieben. Und ich kann nicht einmal sagen, zu einer bestimmten Zeit gewusst zu haben, dass ich Australien verlassen hatte. Aber ich erinnere mich deutlich an eine Reihe von Tagen, als das flache Land in meiner Umgebung mir mehr und mehr als eine Stätte erschien, die einzig ich zu deuten vermochte.

Die Ebenen, die ich damals durchquerte, waren einander nicht endlos ähnlich. Mal blickte ich über ein großes flaches Tal mit vereinzelten Bäumen und trägem Vieh und vielleicht einem Rinnsal mittendrin. Mal stieg am Ende eines äußerst wenig verheißungsvollen Landstrichs die Straße zu etwas an, das unzweifelhaft ein Hügel war, bevor ich voraus nur eine weitere Ebene sah, plan und kahl und entmutigend.

In der großen Stadt, die ich an einem bestimmten Nachmittag erreichte, bemerkte ich eine Art, zu sprechen und sich zu kleiden, die mich davon überzeugte, dass ich weit genug gekommen war. Die Bewohner waren nicht ganz die unverkennbaren Plainsleute, die ich in den entlegenen Gebieten der Mitte zu finden hoffte, doch war es mir recht, noch mehr Ebenen als die von mir schon durchquerten vor mir zu wissen.

Spät an jenem Abend stand ich an einem Fenster im dritten Stock des größten Hotels in der Stadt. Ich schaute an dem regelmäßigen Muster der Straßenbeleuchtung vorbei in Richtung des dunklen Landes dahinter. Ein Windhauch kam in warmen Böen von Norden her. Ich neigte mich in die vom nahen Grasland aufsteigenden Luftwogen und brachte mein Gesicht in die Stimmung, eine Vielzahl kraftvoller Gefühle zu zeigen. Und ich flüsterte Worte, die eine Filmfigur in dem Moment benutzt haben könnte, als sie erkannte, ihren Ort gefunden zu haben. Dann trat ich ins Zimmer zurück und setzte mich an den eigens für mich aufgestellten Schreibtisch.

Ich hatte meine Koffer schon einige Stunden zuvor ausgepackt. Jetzt stapelten sich auf meinem Schreibtisch Mappen mit Notizpapier und Karteikästen und ein Sortiment von Büchern mit nummerierten Zetteln zwischen den Seiten. Oben auf dem Stapel lag eine mittelgroße Kladde mit der Aufschrift:

DAS INNERE(DREHBUCH)HAUPTSCHLÜSSEL ZUM VERZEICHNIS VONHINTERGRUNDNOTIZEN UND MATERIAL ZUR ANREGUNG

Ich zog eine dicke Mappe mit der Aufschrift Gelegenheitsgedanken – noch nicht katalogisiert heraus und schrieb hinein:

Keine Menschenseele hier weiß, wer ich bin oder was ich in dieser Gegend zu tun plane. Seltsam der Gedanke, dass von allen Plainsleuten, die im Schlaf liegen (in ausgedehnten Häusern mit weißen Schutzbrettern, mit roten Eisendächern und großen, ausgedörrten Gärten, die von Pfefferbäumen und Kurrajongs und Reihen von Tamarisken beherrscht werden), keiner den Anblick der Ebenen gehabt hat, den ich bald enthüllen werde.

Ich verbrachte den nächsten Tag in den Labyrinthen von Bars und Salons im Parterre des Hotels. Den ganzen Morgen saß ich allein in einem tiefen ledernen Lehnsessel und starrte auf die Streifen unerträglichen Sonnenlichts am Rand der verschlossenen Jalousien in Fenstern, die die Hauptstraße überblickten. Es war ein wolkenloser Frühsommertag, und die grelle Morgensonne reichte sogar bis in die höhlenartige Veranda des Hotels hinein.

Manchmal neigte ich mein Gesicht ein wenig, um den kühleren, von einem Deckenventilator kommenden Luftstrom aufzufangen. Und ich beobachtete den sich auf meinem Glas bildenden Tau und dachte zustimmend an die Wetterextreme, die den Ebenen hart zusetzten. Unbehindert durch Hügel oder Berge nahm das Sonnenlicht vom Morgen bis zum Abend die gesamte Weite des Landes ein. Und im Winter fegten die Winde und Schauer über die weiten offenen Räume und wurden durch die geringen Waldbestände, die Mensch oder Tier schützen sollten, kaum ins Stocken gebracht. Ich wusste, dass viele große Ebenen in der Welt monatelang unter Schnee lagen, doch war ich froh, dass mein eigenes Gebiet nicht dazu zählte. Ich sah viel lieber das ganze Jahr über die wahre Gestalt der Erde selbst und nicht die falschen Hügel und Mulden eines anderen Elements. Jedenfalls hielt ich Schnee (den ich nie gesehen hatte) allzu sehr für einen Teil der europäischen und amerikanischen Kultur, als dass er für meine eigene Gegend passend erschien.

Nachmittags schloss ich mich einer der Gruppen von Plainsleuten an, die von der Hauptstraße hereinschlenderten und sich auf ihre Stammplätze längs der gewaltigen Bars setzten. Ich entschied mich für eine Gruppe, die Intellektuelle und Hüter der Geschichte und des Wissens dieses Bezirks zu umfassen schien. Aus ihrer Kleidung und ihrem Verhalten schloss ich, dass sie keine Schaf- oder Rinderhirten waren, obwohl sie viel von ihrer Zeit im Freien verbracht haben mochten. Ein paar hatten ihren Lebensweg vielleicht als die jüngeren Söhne der großen Grundbesitzerfamilien begonnen. (Jeder auf den Ebenen verdankte seinen Wohlstand dem Land. Jede Stadt, ob groß oder klein, erhielt Auftrieb durch den bodenlosen Reichtum der latifundia in ihrem Umkreis.) Sie alle trugen die Kleidung der kultivierten und müßiggängerischen Leute auf den Ebenen – einfache graue Hose mit scharfer Bügelfalte und fleckenloses weißes Hemd mit passender Krawattennadel und Armbändern.

Ich wollte unbedingt von diesen Männern akzeptiert werden und war auf jede Prüfung durch sie gefasst. Doch ich erwartete kaum, mich auf irgendetwas berufen zu können, das ich in meinen Büchern über die Ebenen gelesen hatte. Aus Werken der Literatur zu zitieren würde dem Geist der Zusammenkunft widerstreben, obwohl jeder hier jedes von mir genannte Buch gelesen hätte. Vielleicht weil sie sich immer noch von Australien eingekreist fühlten, betrachteten die Plainsleute ihr Lesen lieber als eine private Übung, die sie zwar in ihren öffentlichen Geschäften unterstützte, sie aber nicht von ihrer Verpflichtung entband, eine einvernehmliche Tradition zu pflegen.

Und doch, was war diese Tradition? Wenn ich den Plainsleuten zuhörte, hatte ich den verwirrenden Eindruck, dass sie keine gemeinsame Überzeugung wünschten, auf die sie zurückgreifen konnten: dass jeder von ihnen sich unbehaglich fühlte, wenn ein anderer etwas als selbstverständlich anzusehen schien, das er für die Ebenen als Ganzes behauptete. Als ob jeder Plainsmann lieber als ein einziger Bewohner eines Gebiets erschiene, das nur er erklären konnte. Und selbst wenn ein Mann von seiner ganz persönlichen Ebene redete, schien er seine Worte so zu wählen, als käme das einfachste von diesen nicht aus einem gemeinsamen Bestand, sondern schöpfte seine Bedeutung aus dem eigentümlichen Gebrauch, den der Sprecher von ihm machte.

An jenem ersten Nachmittag sah ich, dass das, was manchmal als der Dünkel der Plainsleute bezeichnet worden war, bloß ihr Widerstreben darstellte, zwischen ihnen und anderen irgendeinen gemeinsamen Boden anzuerkennen. Das war genau das Gegenteil (wie die Plainsleute selbst wohl wussten) des allgemeinen Verlangens der Australier von damals, all das hervorzuheben, was sie mit anderen Kulturen zu teilen schienen. Ein Plainsmann würde nicht nur behaupten, nichts über die Sitten anderer Regionen zu wissen, sondern auch gern als fehlinformiert über sie erscheinen. Am ärgerlichsten für Außenstehende war, dass jener lieber ohne eine unverkennbare Kultur wäre, als zu erlauben, dass sein Land und seine Bräuche als Teil einer größeren Gemeinschaft ansteckender Vorlieben oder Moden betrachtet würden.

*

Ich blieb weiter in dem Hotel, zechte aber fast jeden Tag mit einer neuen Gruppe. Trotz all meiner Notizen und Planskizzen war ich noch längst nicht sicher, was mein Film zeigen würde. Ich erwartete, zu einer plötzlichen Entschlusskraft durch die Begegnung mit einem Plainsmann zu gelangen, dessen vollkommene Zuversicht nur daher rühren konnte, dass er gerade heute die letzte Seite seiner Notizen für einen Roman oder einen Film beendet hatte, der mit meinem konkurrieren konnte.

Ich hatte dann begonnen, offen vor den Plainsleuten zu sprechen, die ich traf. Einige wollten meine Geschichte hören, bevor sie ihre eigene ausplauderten. Ich war darauf gefasst. Ich war bereit gewesen, insofern sie bloß davon erfuhren, Monate stillen Studiums in den Bibliotheken und Kunstgalerien ihrer Stadt zu verbringen, um zu beweisen, dass ich kein Tourist war, der Sehenswürdigkeiten abklapperte. Doch nach ein paar Tagen im Hotel hatte ich eine Geschichte ersonnen, die mir nützte.

Ich erzählte den Plainsleuten, ich sei auf einer Reise, was nur zu wahr war. Ich verriet ihnen weder den Weg, den ich zu ihrer Stadt genommen hatte, noch die Richtung, die ich einschlagen könnte, wenn ich sie verließ. Sie würden die Wahrheit erfahren, wenn Das Innere als Film herauskäme. Unterdessen ließ ich sie glauben, ich hätte meine Reise in einem fernen Winkel der Ebenen begonnen. Und wie ich gehofft hatte, zweifelte niemand an mir oder behauptete gar, die von mir genannte Region zu kennen. Die Ebenen waren so unermesslich groß, dass kein Plainsmann je überrascht war zu hören, dass sie ein Gebiet umfassten, das er nie gesehen hatte. Überdies waren viele Orte weit im Innern eine strittige Sache – gehörten sie nun zu den Ebenen oder nicht? Über die wahre Ausdehnung der Ebenen ist man sich nie einig geworden.

Ich erzählte ihnen eine Geschichte, der es fast völlig an Ereignissen oder Taten gebrach. Außenstehende hätten wenig damit anfangen können, aber die Plainsleute begriffen. Solch eine Geschichte fand bei ihren eigenen Romanautoren, Dramatikern und Dichtern Anklang. Leser und Zuhörer auf den Ebenen waren selten von Leidenschaftsausbrüchen oder gewalttätigen Konflikten oder jähen Unglücken beeindruckt. Sie glaubten, dass die Künstler, die Derartiges darboten, durch den Lärm der Massen oder die Überfülle von Formen und Oberflächen in den verknappten Landschaften der Welt jenseits der Ebenen verleitet worden waren. Im Leben wie in der Kunst hatten die Plainsleute solche Helden wie den Mann, der dreißig Jahre lang jeden Nachmittag zu einem ganz unscheinbaren Haus mit tadellosem Rasen und kränkelnden Sträuchern heimkehrte und bis spät in die Nacht dasaß und über die Reiseroute befand, der er dreißig Jahre lang hätte gefolgt sein können, nur um dort anzukommen, wo er saß – oder den Mann, der nicht einmal die einzige Straße nehmen würde, die von seinem abgelegenen Farmhaus wegführte, aus Angst, er würde die Stelle nicht wiedererkennen, wenn er sie von den fernen Blickpunkten aus sah, die andere einnahmen.

Manche Historiker legten nahe, das Phänomen der Ebenen selbst sei verantwortlich für die kulturellen Unterschiede zwischen den Plainsleuten und den Australiern im Allgemeinen. Die Erforschung der Ebenen war das Hauptereignis in ihrer Geschichte gewesen. Was zunächst als äußerst flach und uninteressant erschienen war, gab schließlich unzählige feine Abwandlungen von Landschaft und eine Unmenge im Verborgenen lebender Tiere zu erkennen. Bei dem Versuch, ihre Entdeckungen zu würdigen und zu beschreiben, waren die Plainsleute ungewöhnlich aufmerksam, scharfsinnig und empfänglich für die allmähliche Aufdeckung von Bedeutung geworden. Spätere Generationen reagierten auf Kunst und Leben so, wie ihre Vorfahren dem weiten, im Dunst entschwindenden Grasland begegnet waren. Sie betrachteten die Welt selbst als eine weitere Ebene in einer endlosen Reihe.

*

Eines Nachmittags bemerkte ich eine leichte Anspannung in der Hotelbar, die meine liebste geworden war. Einige meiner Mitbewerber sprachen nur im Flüsterton. Andere redeten unangenehm schrill, als hofften sie, auch aus einem fernen Raum gehört zu werden. Ich erkannte, dass es für mich Zeit war, mich als Plainsmann zu erproben. Einige der Großgrundbesitzer waren in die Stadt gekommen, und ein paar von ihnen waren sogar schon im Hotel.

Ich versuchte, nicht aufgeregt zu wirken, und beobachtete meine Mitbewerber genau. Die meisten von ihnen wollten ebenfalls unbedingt in den entfernten inneren Salon gerufen werden, um eine kurze Unterredung mit den Männern zu haben, die sie sich als Gönner wünschten. Aber meine Mitbewerber wussten, dass sie noch bis Sonnenuntergang oder sogar bis Mitternacht zu warten hatten. Die Gutsherren kümmerten sich bei ihren sporadischen Besuchen nicht um die von den Stadtleuten eingehaltenen Zeiten. Sie schlossen ihre Geschäfte gern am frühen Morgen ab und machten es sich dann vor dem Lunch in ihren Lieblingshotelbars bequem. Sie blieben dort so lange, wie es ihnen gefiel, tranken übermäßig und orderten in unvorhersagbaren Abständen Snacks oder ganze Mahlzeiten. Viele blieben bis zum Morgen oder sogar zum Nachmittag des folgenden Tags, wobei nie mehr als einer aus der Gruppe in seinem Sessel döste, während die anderen private Gespräche führten oder sich mit ihren Bittstellern aus der Stadt unterhielten.

Dem Brauch folgend, ließ ich mich von einem der Stadtleute, der zufällig früh gerufen worden war, anmelden. Dann erfuhr ich über die Männer in dem entfernten Salon so viel wie möglich; und ich fragte mich, wer von ihnen auf einen Teil seines Vermögens und vielleicht auf seine eigene Tochter verzichten würde, um dafür seine Besitztümer als Schauplatz des Films zu sehen, der der Welt die Ebenen offenbaren würde.

Den ganzen Nachmittag trank ich maßvoll und überprüfte mein Äußeres in jedem Spiegel, der meinen Blick auf sich zog. Einzig besorgt war ich wegen der Seidenkrawatte mit Paisleymuster, die ich um den offenen Kragen meines weißen Hemds gebunden hatte. Jeder mir bekannten Moderegel zufolge kennzeichnete eine Krawatte am Hals eines Mannes diesen als wohlhabend, vornehm, einfühlsam und über reichlich Muße verfügend. Doch wie mir jäh einfiel, trugen wenige Plainsleute Krawatte. Ich konnte nur hoffen, dass die Grundbesitzer in meiner Kleidung die Art von Paradox sehen würden, an der sich scharfsinnige Plainsleute erfreuten. Ich trug etwas, das zu der verachteten Kultur der Hauptstädte gehörte – aber nur, um mich von meinen Mit-Bittstellern ein wenig zu unterscheiden und um geltend zu machen, dass die Lebensart der Ebenen sogar die korrekte Geste meiden sollte, wenn sie bloß eine Mode zu werden drohte.

Als ich vor dem Toilettenspiegel an meiner karminroten Paisley-Seide herumfingerte, wurde ich durch den Anblick der beiden Gala-Ringe an meiner linken Hand beruhigt. Jeder trug einen auffälligen Halbedelstein – der eine war von einem wolkigen Blaugrün, der andere mattgelb. Ich wusste nicht, wie diese Steine hießen, und die Ringe waren in Melbourne gemacht worden – der Stadt, die ich lieber vergaß –, doch hatte ich diese Farben wegen ihrer besonderen Bedeutung für Plainsleute gewählt.

Ich wusste ein wenig über den Streit zwischen den Horizontlern und den Hasenleuten, wie sie schließlich genannt wurden. Ich hatte meine Ringe in dem Wissen gekauft, dass die Farben der beiden Parteien nicht mehr in einem Geist blinder Ergebenheit getragen wurden. Doch hatte ich zu erfahren gehofft, ob die eine oder die andere Farbe manchmal von Plainsleuten bevorzugt wurde, die der Lebhaftigkeit früherer Dispute nachtrauerten. Als ich feststellte, dass gewöhnlich nie eine Farbe allein getragen wurde, sondern immer beide zusammen, wenn möglich ineinander verschlungen, hatte ich die beiden Ringe auf verschiedene Finger gestreift und danach niemals wieder entfernt.

Ich wollte mich den Grundbesitzern als ein Mann vom äußersten Rand der Ebenen vorstellen. Sie mochten sich kritisch darüber äußern, dass ich beide Farben trug, und mich fragen, welche Spuren des berühmten Streits es in meiner fernen Heimat immer noch gab. Wenn sie es taten, könnte ich ihnen etwas von den Geschichten erzählen, die ich gehört hatte und die von dem schleichenden Einfluss des alten Zanks handelten. Denn ich wusste zu jener Zeit, dass die ursprünglichen Streitpunkte in zahlreichen volkstümlichen Varianten fortlebten. Fast jeder der gegensätzlichen Gesichtspunkte, die in öffentlicher oder privater Debatte aufkamen, konnte den Horizontlern oder den Hasenleuten angehängt werden. Fast jeder Dualismus, der einem Plainsmann begegnete, war anscheinend leichter zu fassen, wenn die beiden Elemente mit den beiden Farben, Blaugrün und Mattgold, in Verbindung gebracht wurden. Und jeder auf den Ebenen erinnerte sich an die tagelangen Spiele der Haarlinge und Horrorleute aus seiner Kindheit – an die wilden Verfolgungsjagden bis weit auf die Koppeln hinaus oder in die unsicheren Verstecke im hohen Gras.

Falls die Grundbesitzer mit mir ausführlich über »die Farben« reden wollten (die moderne Bezeichnung für all die vertrackten Rivalitäten des vergangenen Jahrhunderts), könnte mich nichts daran hindern, ihnen meine eigene absonderliche Deutung des berühmten Konflikts darzubieten. Am Spätnachmittag wollte ich ihnen nicht mehr unbedingt zeigen, wie nah ich ihrer eigenen Denkweise war. Es schien einfach ebenso wichtig zu sein, ihnen den Beweis meiner kühnen Phantasie zu liefern.

Und dann wurde die Tür von der Straße her aufgestoßen und eine neue Gruppe von Plainsleuten kam aus dem blendenden Sonnenlicht herein; sie hatten ihre Nachmittagsarbeit getan und ließen sich an der Bar nieder, um sich wieder an ihre lebenslange Aufgabe zu machen, aus den ereignislosen Tagen in einer platten Landschaft die Gestalt des Mythos zu formen. Ich verspürte einen plötzlichen Stolz darüber, nicht zu wissen, was in der Geschichte der Ebenen oder selbst in meiner eigenen Geschichte überprüfbar war. Und ich fragte mich allmählich sogar, ob es den Grundbesitzern lieber wäre, wenn ich vor ihnen als jemand erschiene, der die Ebenen missverstand.

*

Als ich diesen ganzen Tag über in meiner Hotelbar wartete, bekam ich allmählich einen Eindruck von der Launenhaftigkeit der Grundbesitzer. Ein Städter war mit Bündeln von Entwürfen und Proben für eine Reihe von Handpressenbüchern bei ihnen hereingekommen. Er wollte einige der vielen handschriftlichen Tagebücher und Briefsammlungen, die in den großen Häusern immer