12,99 €
Die Historikerin Gertrude Aretz gibt in diesem Buch eine Sittenschilderung vom Rokoko bis in die 1920er Jahre, also von etwa 1751 bis 1920. Es beginnt mit dem französischen König Ludwig XV. zu Jeanne-Antoinette de Pompadour. Auch das Liebesverhältnis des bayrischen Königs Ludwig I. zu Lola Montez um 1850 wird ausführlich geschildert. Mit der sportlich-eleganten Frau in den 1920ger Jahren enden die Schilderungen dieser Sittengeschichte. Diese Texte werden in diesem Band mit vielen Bildern und weiteren Informationen neu herausgegeben. – Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 333
Veröffentlichungsjahr: 2023
Gertrude Aretz
Die elegante Frau – Eine Sittenschilderung vom Rokoko bis in die 1920er Jahre – bei Jürgen Ruszkowski
Band 234e in der gelben Buchreihe
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Die Autorin Gertrude Aretz
Buchbeginn Teil 1– Gertrude Aretz: Die elegante Frau
Rommeys „göttliche Lady“
Die Koketten des neuzehnten Jahrhunderts – Die neuen Fürstinnen des Empire
Die Romantischen und die Verschämten der Biedermeierzeit
Die „schöne Andalusierin“ mit der Reitpeitsche
Die „Löwinnen“ des Zweiten Kaiserreichs
Demimonde und Demi-Castors
Die Eleganz des zwanzigsten Jahrhunderts – Die Dame des Fin de Siècle
Halbwelt um die Jahrhundertwende
Die moderne Eva
Anhang – Benutzte Quellen
Die maritime gelbe Buchreihe
Weitere Informationen
Impressum neobooks
Vorwort des Herausgebers
Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannesheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuß der Hamburger Michaeliskirche.
Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktionen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannesschicksale“ weitere. 2021 Jürgen Ruszkowski
Ruhestands-Arbeitsplatz
Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers
* * *
Die Autorin Gertrude Aretz
https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/aretz.html
Es war leider kein Bild der Autorin zu finden.
Gertrude Aretz, geborene Gertrude Kuntze-Dolton, * 18. Oktober 1889 in Dresden – † Januar 1938 in Wien, war eine deutsche Historikerin. Gertrude Aretz beschäftigte sich insbesondere mit den Lebensläufen berühmter historischer Persönlichkeiten.
Gertrude Aretz wurde am 18. Oktober 1889 in Dresden geboren und starb im Januar 1938 in Wien. Sie war eine deutsche Historikerin und beschäftigte sich insbesondere mit den Biographien berühmter Persönlichkeiten.
* * *
Buchbeginn Teil 1 – Gertrude Aretz: Die elegante Frau
Eine Sittenschilderung vom Rokoko bis in die 1920er Jahre
Mit 63 Lichtdrucktafeln, davon sechs handkoloriert
* * *
1929 bei Grethlein & Co, GmbH Leipzig erschienen
* * *
Hier beginnt Teil 2
* * *
Rommeys „göttliche Lady“
Wenn man die Sitten des englischen Hochadels im 18. Jahrhundert kennt, kommt einem der fast märchenhafte Aufstieg eines armen Mädchens aus den niedersten Sphären des Volkes, wie ihn Emma Lyon, spätere Lady Hamilton erlebte, nicht mehr ganz so unglaublich und vereinzelt dastehend vor, als es, ohne Kenntnis der Zeit, den Anschein haben könnte.
Emma Lyon, Lady Hamilton, * 26. April 1765 (?) in Ness (Cheshire) als Amy Lyon, getauft 12. Mai 1765 in Great Neston (Cheshire) – † 15. Januar 1815 in Calais, war eine gefeierte Schönheit, Künstlerin und Gesellschaftsdame um 1800.
Und außerdem gibt es Frauen, Virtuosinnen des Lebens, sie schenken und nehmen Genüsse und Glück durch den Reichtum ihres Wesens, ihrer Gaben und Talente, ihrer physischen Reize. Sie tauchen unter in dem Strudel des Lasters, ohne in ihrem Innersten davon berührt zu werden. Sie verkaufen vielleicht ihren Körper, nicht aber ihre Seele. Mit liebenswürdigem Leichtsinn überspringen sie alle Gesetze der bürgerlichen Moral, ihr Leben ist aufgelöst in Skandalaffairen, offiziellen und heimlichen Liebesverhältnissen, sie sinken und steigen mit dem Mann und seinem Milieu. Sie sind Lebenskünstlerinnen im wahren Sinne des Wortes. Ihr Geschick, ihr Instinkt, ihre Anpassungsfähigkeit an alle Lebenslagen und Verhältnisse und die Macht ihrer außerordentlichen Schönheit öffnen ihnen alle Tore. Die Gesellschaft duldet oder übersieht in ihrem Leben Dinge, die sie bei anderen scharf kritisiert oder verachtet. Solche Frauen können nicht mit dem sittlichen Maßstab bürgerlicher Wohlanständigkeit gemessen werden. Sie bleiben, wie sie auch seien, anziehend und reizend. Unter vielen derartigen Frauen hat Emma Lady Hamilton Aufsehen erregt. Sie besaß allerdings auch vor vielen ihresgleichen die größere Liebenswürdigkeit und die bedeutenderen Talente. Ja, sie war, trotzdem ihr Emporkommen durch die freieren Gewohnheiten einer toleranten Gesellschaft erleichtert war, eine der außerordentlichsten Erscheinungen ihres Jahrhunderts. Ihr Leben bestand aus einer Kette galanter Abenteuer. Ihre Schönheit und Talente sind zum Gegenstand allgemeiner Bewunderung geworden. Es werden ihr Glück, Ehren, Reichtum, eine angesehene Stellung in der Welt zuteil, bis ihr abenteuerliches Leben in Armut endet. Ein Schicksal, wie es nur das 18. Jahrhundert hervorbringen konnte. Als Tochter armer Eltern lernte sie Not und Elend früh kennen. Sie wurde in der Welt herumgeworfen: erst als Kindermädchen, dann als Kellnerin in Matrosenkneipen, als Gesellschaftsdame berüchtigter Vergnügungslokale, als Modell von Künstlern, die zum Teil durch ihre Schönheit berühmt wurden, und denen sie für ihre Bilder nicht nur ihr entzückendes Gesicht und die schlanken Linien ihres Körpers zur Verfügung stellte, sondern auch ihre hervorragende mimische Kunst. Sie vermochte alles darzustellen, was der Maler von ihr verlangte: eine Bacchantin, eine Kalypso, eine Circe, eine Spinnerin, eine Kassandra, eine Magdalena, eine heilige Cäcilie, eine Pythia. Kein Gefühl war dem Ausdruck ihrer Züge fremd. Freude, Ausgelassenheit, Wildheit, Schmerz und Leid, Empfindsamkeit, Naivität und Lasterhaftigkeit, kühlen Stolz und leidenschaftliche Hingabe, alles das vermochte sie auszudrücken. Romneys Biograph sagt: „Die Natur beschenkte die schöne Emma mit den bezauberndsten Talenten für die beiden befreundeten Künste: die Musik und die Malerei. In der Musik erwarb sie sich große Fertigkeit und Gewandtheit. Für die Malerei bewies sie einen so ausgesuchten Geschmack und eine solche Kraft des Ausdrucks, dass sie für einen Maler ein begeisterndes Modell sowohl für zarte und sanfte als auch für große Charaktere darstellte.
GeorgeRomney, * 15. Dezember 1734 in Dalton-in-Furness, Lancashire (heute Cumbria) – † 15. November 1802 in Kendal, war ein britischer Maler des Rokokos und Klassizismus.
Gleich Shakespeare's Sprache vermochten ihre Züge alle Gefühle, alle Abstufungen der Leidenschaften mit hinreißender Wahrheit wiederzugeben. Romney war entzückt, wenn er die wunderbare Gewalt sah, mit welcher sie ihre sprechenden Gesichtszüge zu beherrschen wusste ... und immer belebten und veredelten die Kraft und die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks ihrer Empfindungen die Werke des Künstlers.“ –
Die Natur hatte Emma Lyon wirklich verschwenderisch mit Schönheit und Liebreiz ausgestattet, aber auch hilf- und haltlos in das Leben hinausgestoßen. Es konnte nicht fehlen, dass sie als unerfahrenes, unbehütetes junges Mädchen in einer Stadt wie London Verführern verfiel, die sich ihre Jugend, ihre Sinnlichkeit und ihre unerhört reizvolle Anmut und Schönheit zunutze machten. Sie besaß einen wundervollen Wuchs und etwas unbeschreiblich Liebliches und Anziehendes im Ausdruck ihres sehr schönen Gesichts. Leicht und heiter schritt sie trotz Armut und Abhängigkeit durchs Leben. Ihre Strümpfe waren zerrissen, ihr Kleid schäbig und abgenützt. Darum kümmerte sich Emma Lyon oder „Amy“, wie sie in ihrem heimatlichen Dialekt genannt wurde, wenig. Der Gebrauch einer Stopfnadel und Nähnadel war ihr fremd. Sie lebte heute, um das Morgen machte sie sich keine Gedanken. Da ihre Mutter eine arme Näherin war, musste Amy sich frühzeitig ihren Lebensunterhalt verdienen. Ihre erste Brotherrin, Mrs. Thomas, eine Arztfrau in Hawarden in der Grafschaft Chester, hatte viele Mühe, sie zur Häuslichkeit und Ordnung zu erziehen. Das damals dreizehnjährige Mädchen war indes gut und willig und äußerst leicht zu leiten. Frau Thomas nahm sich seiner mit wahrhaft mütterlicher Sorgfalt an. Lady Hamilton auf dem Zenit ihres Glückes hat darum auch diese Dame niemals vergessen und sich nicht geschämt, sie des Öfteren zu besuchen, deren Kinder sie gewartet und ausgefahren hatte. Noch ein zweites Mal diente sie als Kindermädchen in der Familie eines anderen Arztes, Dr. Budd's. Dann aber lockte die Großstadt, lockte London. Amys Mutter hatte erfahren, dass in der Familie des Komponisten Linley ein Platz frei sei.
Thomas Linley, * 1733 – † 1795
Sie forderte ihre Tochter auf, nach London zu kommen und die Stelle bei den Linleys anzunehmen. Mrs. Linley (Mary Johnson) war Teilhaberin am Drury-Lane Theater und hatte dort ihre Privatloge. Amy oder Emily, wie sie sich jetzt nannte, musste sie zu den Vorstellungen begleiten und des Öfteren Aufträge von der nicht immer gutgelaunten Theaterdirektorin den Schauspielern und Schauspielerinnen hinter die Kulissen bringen. Das Kulissenleben machte Eindruck auf das kleine Mädchen, das selbst in sich bereits alle Gaben eines großen mimischen Talentes vereinigte. In dieser Schauspielerfamilie versuchte Emily zum ersten Mal – vielleicht noch heimlich in ihrer Kammer – die „Attitüden“ oder wie wir heute sagen würden, die lebenden Bilder, die sie später so berühmt machten. Ihre reizende Gestalt begann sich immer vorteilhafter zu entwickeln. „Schon zeigte sie in ihrer Haltung und in ihrem ganzen Wesen“, schreibt einer ihrer Zeitgenossen, „jene Kühnheit und Sicherheit, die ihr vorwaltender Charakterzug blieb.“ Manche Familie der Aristokratie wäre froh gewesen, ein so reizendes Kind als Tochter zu haben. Sie besaß so feine Züge, eine so vornehme Erscheinung, dass sie ohne weiteres mit den aristokratischen Mädchen des englischen High-Life konkurrieren konnte. Bereits als kleines Mädel, wenn sie als Kinderwärterin mit ihren Schützlingen über die Straße ging, erregte sie Aufsehen. Spaziergänger blieben stehen und schauten ihr nach, bis sie außer Sehweite war, und die Bettler Londons segneten sie wegen ihrer sylphenhaften Schönheit mit den Worten: „God bless you, my lovely child.“ Jugend, Leichtsinn, Unerfahrenheit oder einfach das Leben mit seinen lockenden Genüssen mögen dieses hübsche Mädchen veranlasst haben, den ersten folgenschweren Schritt zu tun, der sie auf die schiefe Ebene brachte. Nachdem sie ihre Stelle bei den Linleys plötzlich verlassen hatte, – man sagt, weil sie den Tod des jungen Linley, den sie liebte, nicht in der Umgebung verschmerzen konnte – verdingte sie sich in St. James Market bei einem Obst- und Weinhändler als Kellnerin. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass das zweifelhafte Genre der Kellnerin in England unbekannt war und auch noch ist. Die „waitress“ des 18. Jahrhunderts war nicht ausschließlich zum Bedienen und Unterhalten der Gäste da, sondern verrichtete nebenbei alle Hausarbeiten, war also mehr Magd als Hetäre. Im Lokal des Weinhändlers in St. James' Market verkehrten übrigens auch Damen, wenn auch sicherlich nicht Damen der ersten Kreise. Der Weinhändler wird die junge Schönheit in der Hoffnung engagiert haben, sie werde ihm neue und viele Kunden zuführen, ebenso wie jene „lady of fashion“, von der Emily wenige Monate darauf direkt aus der Obstweinschänke weg als „Gesellschafterin“ gemietet wurde, um „ihre Salons“ für die fashionablen Müßiggänger anziehender zu gestalten. Was diese „Lady“ für eine Dame war, und dass ihre Salons nichts anderes gewesen sein mögen als eines jener Rendezvoushäuser, die es nicht nur in Paris, sondern auch in London gab, ist nicht schwer zu erraten. Sie hieß Mrs. Kelly und hatte den Spitznamen „Die Äbtissin“. Wer die Volkssprache der Engländer versteht, weiß, dass „Abbess“ Kupplerin bedeutet. Ihre „Salons“ befanden sich in einem Haus der Arlington Street. Emily Lyon war außerordentlich gutmütig, sinnlich, liebenswürdig; ihr heiteres Wesen, ihre Jugend und Schönheit und ihre vielseitigen Talente waren wie geschaffen für ein solches Haus. Sie beteiligte sich eifrig an den Theateraufführungen, musste tanzen und singen und die Männer bezaubern, was ihr nicht schwer fiel. Es begann für sie ein Wirbel von Vergnügungen, die ihre leicht erregbaren Sinne berauschten und ihr Herz betörten. Die „Hausfreunde“ der „Lady“ waren alle von dem anmutigen Mädchen begeistert und hingerissen. Emily erlebt ihre ersten Triumphe als Schönheit. Sie ist kaum vierzehn und noch nicht ganz auf der Höhe ihrer berückenden Weiblichkeit, aber der Dämon der Sinnlichkeit ist bereits in ihr. Jeder Mann, der ihr begegnet, fühlt das, und einer wird ihr Verführer.
John Willet Payne, * 23. April 1752 – † 17. November 1803
Dem späteren Admiral John Willet Payne führt ein Zufall das junge zur Liebe und zum Genuss geschaffene Wesen in die Arme. Er nimmt ihre Gunst als Dank für einen Dienst, den er ihr für einen ihrer Verwandten leistet. Ein Vetter Emilys aus Flintshire, ihrer Heimat, war im amerikanischen Krieg zum Matrosen gepresst und auf ein Kriegsschiff gebracht worden. Zu Hause lässt er Weib und Kind in Armut zurück. Emilys gutes Herz sucht Mittel und Wege, ihn vom Kriegsdienst zu befreien, und findet sie. Sie eilt selbst zum Kapitän des Schiffes, dem einzigen, der die Freilassung des Matrosen befürworten kann. Es ist John Willet Payne, ein noch junger schöner Mann. Emily übt einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus. Er kann der Versuchung nicht widerstehen, als Preis für sein Entgegenkommen den Besitz dieses jungen Mädchens zu fordern, und Emily wird seine Geliebte, vielleicht nicht nur aus Dankbarkeit, sondern weil auch ihr der hübsche Seeoffizier gefiel. Ehe noch die Fünfzehnjährige einem Kind das Leben schenkte, war Kapitän Payne längst wieder auf See. Einige Monate hat er für ihren Unterhalt gesorgt, sich aber später nicht mehr um sie gekümmert.
Ein wohlhabender, aber skrupelloser Rake, Sir Henry Featherstonehaugh, wird Paynes Nachfolger und führt die schöne Emily auf seinen Landesitz „Up Park“ in Surrey.
Henry Featherstonehaugh, * 22. Dezember 1754 – † 24. Oktober 1846
Hier und in London, wohin er sie bisweilen nach Vauxhall führt, lernt das junge Mädchen zum ersten Mal Luxus und Wohlleben kennen. Featherstonehaugh war freigebig. Er wollte seine Geliebte schön und elegant gekleidet sehen. Er sparte keine Kosten, um ihre Schönheit ins rechte Licht zu setzen. Emily, das Proletarierkind, passte sich dem neuen Lebensstil mit verblüffender Leichtigkeit an. Es war, als hätte sie ihr Leben lang in dieser Umgebung gelebt. Der junge Lebemann steht spät auf. Um drei Uhr nachmittags frühstückt er mit Emma; gallonierte Diener bedienen sie und die jeden Tag anwesenden Gäste. Nach Tisch geht man zum Reitstall. Die Ställe ihres Freundes bergen prächtige Pferde, und sie, die bisher noch nie auf einem Pferd gesessen hat, wird eine vorzügliche Reiterin. Sie hätte sich im Hyde-Park mit den kühnen Aristokratinnen, jenen „pretty horsebreakers“, von denen Rodenberg schwärmt, messen können. Abends beim Diner trägt sie schöne tiefdekolletierte Kleider, Rubinen und Smaragden an Hals, Armen und im Haar. Allerdings ist dieser Schmuck im Vergleich zu den herrlichen Juwelen, die sie als Lady Hamilton später besaß, sehr bescheiden. Aber sie ist glücklich. Ihre vielen Talente und Vorzüge, ihr heiterer und unbefangener Charakter, ihre Lebenslust und ihre Talente erfreuen die lustigen Gesellschaften der jungen Lebemänner und deren Mätressen, die Featherstonehaugh bei sich empfängt. Emily Lyon ist immer der strahlende Mittelpunkt. Dieses Glück währte nur einen Sommer. Featherstonehaugh kehrte nach London zurück. Er konnte oder wollte dort sein Verhältnis zu Emily nicht fortsetzen. Man sagt, er habe in Emily Lyons Gesellschaft ein Vermögen vergeudet. Kurz, er verließ sie, nachdem er ihr eine kleine bescheidene Wohnung gemietet und ihr gerade so viel Geld gelassen hatte, dass sie in der Postkutsche zu ihrer Großmutter Kidd, einer armen Tagelöhnerin, bei der sie ihr Kind gelassen hatte, in ihre Heimat reisen konnte. Sie blieb nicht lange in ihrem Dorf. Das Leben in der Großstadt trat aufs Neue mit seinen Versuchungen an sie heran. Sie war schön. Sie wusste es. Alle hatten es ihr gesagt. Sie war keine Novize in erotischen Dingen. Sie kannte das genießerische, wollüstige Leben junger reicher Wüstlinge und wollte es weiter genießen, skrupellos genießen. Über die Mittel, sich ein solches Genussleben zu verschaffen, grübelte sie nicht nach. Ein Scharlatan kreuzte ihren Weg, und sie verfiel auch ihm.
James Graham, * 23. Juni 1745 in Edinburgh – † 23. Juni 1794 in Edinburgh, war ein schottischer Arzt. In der Literatur wird er oft als Quacksalber und Exzentriker beschrieben. Er behandelte Patienten mit „magnetischen Kuren“, entwickelte unkonventionelle Sexualtherapien.
Als „Vestina“ oder „Göttin der Gesundheit“ diente sie diesem Doktor Graham zur „Erläuterung“ seiner Wunderlehre und stellte allabendlich die verführerischen Reize ihres „göttlichen Körpers“ einem leichtgläubigen neugierigen und lüsternen Publikum zur Schau, das in Massen zu Grahams „Tempel der Gesundheit“ und seinem „himmlischen Bett“ gepilgert kam. Vielleicht hatte sie nie darüber nachgedacht, welchen Zwecken sie mit diesen Schaustellungen diente. In den Lebekreisen, in denen sie bisher ihr Dasein verbracht hatte, wurde nie moralisiert, nie abgewogen, was man tun konnte oder nicht; man gab sich allen Genüssen hin und fragte nicht danach, ob sie unzüchtig oder unmoralisch waren. Emily Lyon diente Graham mit ihrer Schönheit ebenso wie sie den anderen Männern gedient hatte.
Emily Lyon – Emma Hamilton
Vielleicht sah sie sogar bewundernd zu ihm auf. Man darf nicht vergessen: sie war ein Kind des Volkes! Ein Kind des an Scharlatanismus und Quacksalbern so reichen 18. Jahrhunderts! In ihren Augen erschien dieser Scharlatan als ein hochgelehrter Mann. Ließen sich doch sogar Leute aus den höchsten und gebildetsten Kreisen von seiner Wunderkur verblüffen. England scheint im 18. Jahrhundert das Idealland für alle Kurpfuscher und Scharlatane gewesen zu sein, besonders für die Wunderkuren auf sexuellem Gebiet.
Joshua Ward, * 1685 – † 21. November 1761 in London, war ein englischer Pharmazeut (Quacksalber) und Chemiker.
Bereits 1750 „heilte“ der berüchtigte Joshua Ward mit „magischen Tropfen“ die allzu große Leidenschaft alter Lebemänner und machte Mädchen, die einen Fehltritt getan hatten, wieder zu Jungfrauen! Und dieses Pfuschertum blühte noch mehr zur Zeit Emmas, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Jeder Scharlatan nannte sich Doktor, ohne diesen Titel an einer Universität erworben zu haben. Wie Graham hatten diese „Doktoren“ meist ein paar junge hübsche Mädchen zur Hand, mit deren Schönheit und Jugend sie wahrscheinlich am meisten bei ihren „Wunderkuren“ Erfolg hatten. Viele Leute kamen daher auch nur zu Graham, „um dieses neuen Genusses der Wollust teilhaftig zu werden“, wie Archenholtz in richtiger Beobachtung sich ausdrückt. „Junge Leute, die, mit Geld reichlich versehen, aus der Provinz kamen, um sich eine kurze Zeit in London zu vergnügen, Offiziere von der Marine und Kaper, die große Summen für Prisen bezogen haben ... Leute, die, mit Reichtum beladen, aus Ostindien kommen; unterhaltene Mätressen der Grafen, die Lust haben, diese neue Art der Wollust zu versuchen ... diese waren die Hauptkunden unseres Doktors, ohne die Menge anderer Verschwender zu rechnen.“
Diesem Scharlatan, „welcher entschieden am raffiniertesten von allen auf die sexuellen Instinkte seiner Klientel spekuliert hat, dem wahren Cagliostro der Kurpfuscherei“, war Emma Hart also verfallen. Er ist der berühmte Erfinder des „himmlischen Bettes“ und des „Tempels der Gesundheit“ ... Im Mai 1779 eröffnete Graham seinen berühmten „Tempel der Gesundheit“ in den Adelphi, mit dem darin enthaltenen „himmlischen Bett“, das allein 16.000 Pfund Sterling gekostet haben soll. Es sollte die Wirkung haben, „die Unfruchtbarkeit der Frauen zu heben, sie zu Müttern zu machen und dem bejahrten Mann seine ursprüngliche Kraft wiederzugeben“. Jeder, der dieses Bett, das Graham „Magneto Elektric“ nannte, benutzen wollte, musste eine Karte für 50 Pfund Sterling dazu lösen. Und der Zuspruch der Damen und Herren war groß, umso mehr, als Graham betonte, er und seine Leute wollten nicht wissen, wer die Personen sind, die in diesem Bett einige Stunden ruhten. Er nannte daher auch das Zimmer, worin das Bett stand, das „Sanctum Sanctorum“. Das himmlische Bett ruhte nach Archenholtz auf sechs massiven transparenten Säulen. Die Betttücher waren von Purpur und himmelblauem Atlas und lagen über Matratzen, mit arabischen und anderen morgenländischen Essenzen parfümiert im Geschmack des persischen Hofes, wie es in den Gemächern der Lieblingsfrau des Sultans sich befinden sollte. Aus einem Nebengemach hörte man eine sanfte, weiche, sinnliche Musik, wie Graham sich ausdrückt: „die melodischen Töne einer Flöte, Cölestina und Harmonika, angenehmer Stimmen und einer Orgel“. – Aber nicht nur dieses herrliche Bett war die große Anziehungskraft für die neugierigen Engländer. Graham zeigte auch bei seinen Vorlesungen, gleichsam als bekräftigenden Beweis für seine Lehre, die „Vestina, die rosige Göttin der Gesundheit“. Diese „Vestina“ war meist ein sehr schönes, wundervoll gestaltetes junges Mädchen, das er sich unter den Töchtern des Landes wählte. Die sehr schlecht beleumundete Schwester der tugendhaften Schauspielerin Mrs. Siddons, Mrs. Curtis, diente ihm unter anderen als Assistentin und eine Zeitlang, wie erwähnt, auch die entzückende Emily Lyon oder, wie sie sich schon damals nannte, Emma Hart, spätere Lady Hamilton!
Lady Hamilton als „Ambassadress“Farbstich von Appleton nach G. Romney – London – um 1799
Durch diese hüllenlose Schaustellung ihres jungen Körpers wurde Emma als die „englische Venus“ bekannt, von der ganz London schwärmte. Die Zahl ihrer Verehrer ward immer größer. Viele Künstler, darunter manche bedeutende, unter anderen auch der exzentrische George Romney, begehrten sie als Modell. Sie saß ihm unzählige Male zu den verschiedensten Gemälden und berauschte ihn jedes Mal aufs Neue durch ihre unvergleichliche Schönheit. Er nannte sie stets nur seine „göttliche Lady“. Und später noch, als sie längst die gefeierte Lady Hamilton war, gewährte sie ihm Sitzungen zu Gemälden, die ihn unsterblich machten.
Als Emma Hart den Malern Modell stand, kannte sie einen jüngeren Weltmann, Sir Charles Greville, den Sohn des zweiten Earl of Warwick.
Charles Greville, * 2. April 1794 – † 17. Januar 1865.
Er nahm sie zu jener Zeit zu sich und enthob sie bald aller Sorge um ihren Unterhalt. Übrigens scheint er das schöne Mädchen schon gekannt zu haben, als Lord Featherstonehaugh ihr Geliebter war. Da er Emmas gute Anlagen kannte und Verständnis dafür hatte, sorgte er nicht nur für ihr leibliches Wohl, sondern auch für die weitere Ausbildung ihrer Talente und die Bildung ihres Geistes. Er gab ihr Musik- und Tanzlehrer, unterwies sie in allen Dingen eines guten Lebensstils, las mit ihr Bücher, ließ sie in Französisch und Italienisch unterrichten, kurz, machte aus ihr eine Dame, mit der er sich in der besten Gesellschaft sehen lassen konnte, wenn er das gewünscht hätte. Dass sie nicht orthographisch schrieb, war keine Ausnahme in der damaligen Zeit. Die Damen der höchsten Kreise schrieben nicht besser. Emma lebte einige Jahre sehr glücklich und idyllisch, wenn auch sehr zurückgezogen mit Greville. Es war ihre erste echte Liebe – vielleicht die einzige und größte in ihrem Leben, denn später liebte Nelson sie mehr als sie ihn. Greville riss sie aus dem Schmutz, bewahrte sie vor dem Abgrund, in den sie zu versinken drohte. Er war der erste Mann, der sie anständig behandelte. Sie liebte ihn und war ihm dankbar dafür. Sie war nicht nur eine sehr intelligente und gelehrige Schülerin, sondern auch eine entzückende Geliebte, eine Zauberin in jeder Beziehung, eine Sirene. Sie ist die verkörperte Wollust. Gleichzeitig aber ist etwas Zartes, Feines, etwas unendlich Weibliches und Gütiges in ihr. Sie ist der Prototyp der englischen Schönheit. Ein echtes englisches Mädchen aus dem Volk: freimütig, wenig sentimental, gutmütig und äußerst dankbar gegen ihre alten und neuen Freunde. Ein sweet-heart im besten Sinne des Wortes. Lord Hamilton schrieb später von ihr: „Sie ist besser als sonst ein Wesen, das die Natur hervorgebracht hat. In ihrer Eigenart ist sie feiner als irgendetwas in der antiken Kunst.“ Die Männer, die in ihren Bann geraten, kommen schwer von ihr los und sind ihr, wie Charles Greville, auch nach der Trennung noch Freunde. Selbst wenn sie sie betrügt, sind sie ihr noch zugetan.
Vielleicht hätte Greville sich nie von einer so schönen und reizenden Geliebten getrennt, wenn er nicht durch seine zerrütteten Vermögensverhältnisse dazu gezwungen gewesen wäre. Emma liebte ihn wirklich. Sie waltete vier Jahre lang in seinem Haus als liebenswürdige graziöse Herrin. Unnachahmlich war ihre Anmut, wenn sie am Teetisch hantierte. Seine Freunde nannten sie „The pretty teamaker“. Sie war schön und elegant, temperamentvoll, geistreich, intelligent und talentvoll, kokett und reizvoll, kurz, mit allen Gaben ausgestattet, die einen Mann fesseln können, dabei nicht geldgierig, wie die meisten galanten Frauen. Sie folgte stets ihrem Impuls. Sie nahm das Leben, wie es sich ihr bot. Sie war freigebig, aber nicht verschwenderisch im wahren Sinn des Wortes. Ihr Lebensstil war immer den Umständen angepasst. Reich, großzügig, anspruchsvoll, wenn der Mann die Mittel dazu besaß; bescheiden und einfach, wenn ihr Geliebter nicht im Überfluss lebte. Dem Mann, der sie aus dem Sumpf gerettet hatte, war sie ewig dankbar, und nie hat sie ihre von so außerordentlichem Glück und Reichtum begünstigte Karriere hochmütig gemacht. Immer gedachte sie ihrer armen Herkunft und schämte sich auch nicht als Freundin einer Königin einzugestehen, woher sie gekommen war. Als sie längst die Gattin des englischen Gesandten in Neapel war und bereits viele Jahre am Hof gelebt hatte, schrieb sie von Nelsons Schiff „The Foudroyant“ aus, im Jahr 1799, an ihren alten Freund Greville: „Meine Mutter ist in Palermo (bei der Königin)... Sie können sich nicht vorstellen, wie sie von allen geliebt und geachtet wird. Sie hat sich eine Lebensart angeeignet, die entzückend ist. Sie hat eine schöne Wohnung in unserm Haus, lebt stets bei uns, isst mit uns und so weiter. Nur wenn sie es selbst nicht mag (zum Beispiel zu großen Diners), sagt sie selbst ab und hat dann immer eine Freundin bei sich. Und ‚La Signora Madama dell'Ambasciatora’ ist in ganz Palermo bekannt, geradeso, wie sie es in Neapel war. Die Königin ist in meiner Abwesenheit sehr freundlich zu ihr gewesen. Sie hat sie besucht und ihr gesagt, sie könne sehr stolz auf ihre berühmte Tochter sein, die in den letzten qualvollen Monaten so viel getan hätte. Ich sage Ihnen das, damit Sie sehen, dass ich nicht unwürdig bin, einst Ihre Schülerin gewesen zu sein. Gott segne Sie.“
Greville war, obwohl der Sohn eines Earls und Mitglied des Parlaments, kein sehr reicher Mann. Er konnte seiner Emma weder eine Equipage noch ein eigenes Palais halten, wie es seine Freunde für ihre Mätressen taten. Auch konnte er ihr keine außergewöhnlich kostbaren Toiletten, Brillanten und Schmucksachen kaufen, sie nicht mit Glanz und Luxus umgeben. Er wünschte nur, sie glücklich zu sehen und aus ihr einen guten gebildeten Menschen zu machen. So lebte sie in seinem schönen künstlerischen Haus in Edgware Row wie eine Dame aus seiner eigenen Sphäre, ebenso diskret vornehm und elegant wie eine andere Lady, die einen wohlhabenden, aber nicht reichen Aristokraten geheiratet hatte. Sie war stets wie eine Lady angezogen; einige ihrer Kleider stammten von der besten Schneiderin in London, Mrs. Hackwood, aber ihre Schneiderrechnung durfte, solange sie mit Greville lebte, nicht 20 Pfund im Monat übersteigen. Sie hatte zwei Dienstboten, ein Haus- und ein Stubenmädchen, aber weder Diener noch Kutscher, denn Greville konnte sich keinen Wagen leisten. Hingegen lebte Emmas Mutter in Grevilles Haus und ersetzte ihr eine sehr wichtige Hausangestellte. Mrs. Cadogan – sie hatte inzwischen ebenso wie ihre Tochter mehrmals ihren Namen umgeändert – war eine vorzügliche Köchin und, wie es scheint, ein äußerst verträglicher und gutmütiger Mensch. Denn alle stellen dieser Mutter nur das beste Zeugnis aus. Sie war immer bei ihrer Tochter und stieg mit ihr von Stufe zu Stufe. Sowohl Greville als auch Sir William Hamilton und Lord Nelson achteten Mrs. Cadogan und behandelten sie so ehrfurchtsvoll, als wäre sie eine Dame aus ihren Kreisen.
Im Jahr 1786 trat ein Mann in Emmas Leben, der ihrem Schicksal die entscheidende Richtung gab. Sir William Hamilton, englischer Gesandter am Hof von Neapel, ein noch gut aussehender Weltmann von 60 Jahren, kam in Privatangelegenheiten, vielleicht, um sich eine zweite Frau zu suchen, auf einer Urlaubsreise nach London und besuchte bei dieser Gelegenheit seinen Neffen Sir Charles Greville.
William Hamilton, * 13. Dezember 1730 in London oder Henley-on-Thames –, † 6. April 1803 in London, war ein britischer Diplomat, Kunstsammler und Vulkanologe.
Er sah die schöne vollkommene Geliebte, „the pretty teamaker“ des jungen Grandseigneurs und war sofort von ihren Reizen gefangen. Und als er sie tanzen sah und singen hörte, war er vollends bezaubert. In den edlen Linien ihres Körpers sah er, der Kenner und Sammler antiker Kunst, die wundervollen Konturen griechischer Plastik verwirklicht. Und er beschließt, sie mit nach Neapel zu nehmen, unter dem Vorwand, ihre Talente noch weiter auszubilden, in Wahrheit aber, um diese göttliche Frau zu seiner Geliebten zu machen. Sir Charles Greville willigt ein. Er sieht darin den einzigen Ausweg, sich von Emma zu trennen, ohne sie einer ungewissen und für ihren sinnlichen, leicht zu beeinflussenden Charakter gefährdeten Zukunft auszusetzen. Er selbst ist nicht mehr in der Lage, pekuniär für sie zu sorgen. Schließlich wird alles zur gegenseitigen Zufriedenheit geregelt. Sir William Hamilton übernimmt das schöne Mädchen, das bald darauf im März 1786 in Gesellschaft der Mutter und des Malers Gavin England verlässt und über Deutschland nach Neapel reist. Vorläufig weiß Emma nicht, welcher Pakt zwischen Neffen und Onkel geschlossen wurde. Noch sieht sie in dem alten Herrn nur einen Gönner. Zahllose ihrer Briefe an den ehemaligen Geliebten Greville beweisen es. Sie hängt an ihm, sie sehnt sich nach ihm, bis sie begreift, dass der englische Gesandte nicht ganz uneigennützig gehandelt hat, als er sie zu sich nahm, und dass auch Greville, ihr Geliebter, mit dieser Handlungsweise einverstanden war. Sie ist enttäuscht über den einen und von Bewunderung und Dankbarkeit erfüllt für den anderen, der sie mit galanter Aufmerksamkeit umgibt und ihr mit seinem Herzen seinen Reichtum, sein Haus und seine Stellung in der Welt zu Füßen legt.
Ein neues Leben umgibt sie in Neapel. Sir Hamilton verwöhnt sie, überschüttet sie mit Luxus und Reichtum. Kein Land, keine Stadt war besser als Rahmen für Emmas Schönheit und reiche Gaben geeignet. Neben den großen Vergnügungszentren Paris, London und Wien ist Neapel um diese Zeit die Stadt, die die meisten Zerstreuungen bietet und an Eleganz keiner der größeren Städte Europas nachsteht. Sir Hamilton war einer „jener englischen Epikureer“, wie ihn Dühren nennt, „die sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im sonnigen Italien niedergelassen hatten, um hier in einer milden Natur und umgeben von den herrlichsten Kunstschätzen, im Verkehr mit Gelehrten und Künstlern, die Freuden des Lebens in reichstem Maß zu genießen.“ In seinem Haus lernt Emma ein äußerst vielseitiges Genussleben kennen. Ihre Kunst wird durch die Bekanntschaft mit den berühmten griechischen Kunstwerken veredelt, die ihr Freund und Gönner als Archäologe sammelt. Sie beginnt in der neapolitanischen Gesellschaft, besonders in der englischen Kolonie in Neapel, eine Rolle zu spielen. Man scheut sich nicht, die schöne und liebenswürdige Mätresse Lord Hamiltons als gleichberechtigt anzuerkennen, und die in solchen Dingen sonst strengen Engländer, die nach Neapel kamen oder dort ansässig waren, suchten eifrig Emmas Bekanntschaft zu machen.
Elizabeth Grunning-Argyll, * 1733 – † 1799
Die Herzogin von Argyll, Lord und Lady Elcho und viele andere Mitglieder des hohen englischen Adels hatten dieses Mädchen aus dem Volk so ins Herz geschlossen, dass sie bald ihre engsten Freunde wurden.
David Wemyss, Lord Elcho, * 12. August 1721 – † 29. April 1787
Emmas vertrauter Umgang mit der schönen und vornehmen Herzogin von Argyll und Lady Elcho wurde in der ganzen englischen Gesellschaft mit Staunen bemerkt. Allerdings sollen diese englischen Freunde sich selbst eingeredet haben, Emma sei längst Hamiltons heimliche Gattin. Damit beruhigten sie entweder ihr moralisches Empfinden, oder sie wollten wenigstens nach außen hin den Schein wahren. Denn ein Lord konnte, wie gesagt, im 18. Jahrhundert wohl eine Dirne zu seiner Gattin erheben, ohne Anstoß in der Gesellschaft zu erregen, aber die Gesellschaft konnte nicht im Haus einer Frau verkehren, die nur seine Mätresse war. So legten sich also auch die Gäste, die im Haus des Gesandten in Neapel aus- und eingingen, das Verhältnis Sir Williams zu Emma Hart zurecht, wie sie es wünschten. Hamilton widerlegte die Gerüchte über seine heimliche Ehe mit Emma nie, aber in Wahrheit heiratete er sie erst, nachdem sie fünf Jahre seine Mätresse gewesen war. Und nicht nur die englischen durchreisenden Aristokraten und die vornehme neapolitanische Gesellschaft bemühten sich um das junge reizende Mädchen, das Sir Williams Geliebte war. Die Befehlshaber fremder Schiffe, die im Hafen von Neapel vor Anker lagen, luden sie mit dem Gesandten an Bord und veranstalteten zu Ehren der jungen Schönheit Feste und Bälle. Die eleganten Seeoffiziere waren ihre glühendsten Bewunderer. Als der Kommodore Melville von der holländischen Flotte mit zwei anderen holländischen Schiffen im Jahr 1787 vor Neapel lag, veranstaltete er ein Bankett, zu dem er außer Sir William und dessen Freundin auch Emmas Mutter, Mrs. Cadogan, einlud. Der Kommodore, der Kapitän und vier andere Offiziere erwarteten die Gäste, als wären sie die allerhöchsten Persönlichkeiten, am Ufer und brachten sie in ihrer Pinasse zu dem Schiff, auf dem für sie das Bankett stattfand. Emma trug bei solchen Gelegenheiten stets ihr Lieblingskostüm: ein weißes duftiges Mußelinkleid mit einer breiten blauen Seidenschärpe. Ihre goldbraunen Haare waren aufgelöst und fielen in langen Locken bald bis zu den Füßen herab. Als sie die Pinasse bestieg, wurde sie mit den Salutschüssen von 20 Kanonen begrüßt, und während das Boot sich langsam dem Schiff näherte, feuerte die Fregatte der holländischen Schiffe alle ihre Geschütze ab. Die Tafel an Bord des Kommodore-Schiffs war für 50 Personen gedeckt, und Emma Hart hatte daran den Ehrensitz. In ganz Neapel hörte man die Ehrensalven, die um eines jungen, aus den untersten Schichten des Volkes hervorgegangenen Mädchens willen abgegeben wurden. Das Diner verlief glänzend. Abends war der Besuch der Oper vorgesehen. Emmas und Lord Hamiltons Loge befand sich ganz in der Nähe der Hofloge. Die schöne Mätresse des englischen Gesandten gedachte an diesem Abend ganz besonders elegant zu sein, denn sie wusste, dass der ganze Hof erscheinen und sie neugierig betrachten werde. Noch war sie nicht offiziell von der Hofgesellschaft anerkannt. Sie hatte sich zu diesem Zweck ein neues rotes Atlaskleid, einen weißen Atlasüberwurf, der über und über mit Goldflitter bestickt war und eine frisch aus Paris gesandte entzückende weiße Federtoque bereitgelegt. Nach dem Diner an Bord wollte sie in die Gesandtschaft zurückkehren, um große Toilette zu machen. Ihre Enttäuschung war daher groß, als Sir William Hamilton sich nicht von den liebenswürdigen holländischen Gastgebern trennen konnte und mit ihnen eine Flasche nach der anderen auf das Wohl „der entzückendsten Frau der Welt“, wie sie Emma Hart nannten, trank. Als sie dann endlich das Schiff des Kommodore verließen, war es zum Toilettemachen zu spät. Emma hatte gerade noch Zeit, so wie sie war, in ihrem weißen, in weichen Falten herabfallenden Sommerkleid und dem blauen Hut, mit ihrem offenen Haar, in den Wagen zu steigen und mit Sir William und den holländischen Offizieren in die Oper zu fahren. Hier fiel sie durch ihre mädchenhafte Schönheit und Anmut mehr auf, als wenn sie in der elegantesten Abendtoilette gewesen wäre.
Bald erregten Emmas Schönheit, ihre „lebenden Bilder“ und ihr verführerischer Schaltanz so großes Aufsehen, dass sie in Frankreich sowohl wie in Deutschland Nachahmer fand. In Paris sind es die schöne Julie Récamier, die exzentrische Theresia Tallien und Josephine Beauharnais, die diesen berühmten Tanz in Mode bringen, in Deutschland die Schauspielerinnen Händel-Schütz und Sophie Schröder.
Henriette Händel-Schütz, * 13. Februar 1772 in Döbeln (Sachsen) – † 4. März 1849 in Köslin.
Sophie Schröder, * 28. Februar oder 1. März 1782 – † 25. Februar 1868
Aber Emma Hart, die Geliebte des englischen Gesandten in Neapel, ist die Erfinderin. Ganz Europa ist begeistert von ihr. Selbst Goethe erwähnt in der „Italienischen Reise“ (Band 168 in dieser gelben Buchreíhe) ihre Kunst mit den Worten: „... Eine Engländerin von etwa zwanzig Jahren. Sie ist sehr schön und wohlgebaut. Er (Sir Hamilton) hat ihr ein griechisch Gewand machen lassen, das sie trefflich kleidet. Dazu löst sie ihre Haare auf, nimmt ein paar Schals und macht eine Abwechslung von Stellungen, Gebärden, Mienen und so weiter, dass man zuletzt wirklich meint, man träume. Man schaut, was so viele Künstler gerne geleistet hätten, hier ganz fertig in Bewegung und überraschender Abwechslung; stehend, kniend, sitzend, liegend, ernst, traurig, neckisch, ausschweifend, bußfertig, lockend, drohend, ängstlich und so weiter, eins folgt aufs andere und aus dem andern. Sie weiß zu jedem Ausdruck die Falten des Schleiers zu wählen, zu wechseln und macht sich hundert Arten von Kopfputz mit denselben Tüchern. Der alte Ritter (Lord Hamilton) hält das Licht dazu, und hat mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben. Er findet in ihr alle Antiken, alle schönen Profile der sizilianischen Münzen, ja den Belvederschen Apoll selbst.“ Der deutsche Maler Friedrich Rehberg hat die schönsten „Attitüden“ Lady Hamiltons in einem Band von 24 Kupferstichen der Nachwelt überliefert, und auch Tischbein ließ sich von ihr zu einigen Bildern inspirieren. Barbey d'Aurevilly nennt Emma Hamilton den „besten Bildhauer“, den dieses originelle und seltsame Land Italien besitze. Lady Hamilton sei würdig gewesen, Italienerin zu sein.
Friedrich Rehberg, * 22. Oktober 1758 in Hannover – † 20. August 1835 in München, war ein deutscher Porträt- und Historienmaler sowie Lithograf.
Barbey d'Aurevilly, * 2. November 1808 in Saint-Sauveur-le-Vicomte (Département Manche) – † 23. April 1889 in Paris) war ein französischer Schriftsteller und Moralist.
Johann Friedrich August Tischbein, * 9. März 1750 in Maastricht – † 21. Juni 1812 in Heidelberg, der sogenannte „Leipziger Tischbein“, war ein deutscher Maler.
Amor löst den Gürtel der VenusÖlgemälde von Joshua Reynolds – um 1790
Merkwürdig ist es jedoch, dass diese schöne Frau in ihrem reiferen Leben nicht besonders graziös gewesen zu sein scheint; erst wenn sie diese lebenden Bilder stellte, kam alle Grazie in ihren Körper. Viele Zeitgenossen haben das festgestellt; auch dass ihre Füße groß und unschön gestaltet waren. Aber die Gesamterscheinung war so ideal, dass man diese Mängel gern in Kauf nahm. Wenn sie früher, als Sechzehnjährige, mit Greville im Ranelagh erschien, erregten nach der Aussage eines anonymen Zeitgenossen ihre „Nymphengestalt“, ihr entzückendes Gesicht, ihr goldbraunes Haar die allgemeine Aufmerksamkeit und solche Bewunderung, dass sie sich einmal in diesem Vergnügungslokal veranlasst sah, dem um sie versammelten Kreise mehrerer Freunde ihres Geliebten den Genuss „einiger höchst anziehender Proben ihrer musikalischen und mimischen Talente zu geben“. Greville scheint indes diese Art Provokation seiner Geliebten nicht geschätzt zu haben, denn er machte ihr auf dem Nachhausweg Vorwürfe und nahm sie nie wieder in ein derartiges öffentliches Vergnügungslokal mit. Ebenso vermied er es, sie öfter ins Theater zu führen. Er hatte bemerkt, dass die Bühne für sie eine zu große Anziehungskraft hatte. Vielleicht wäre sie ihm eines Tages auf und davon gegangen, um als Stagegirl eine Laufbahn zu beginnen, die für ein Mädchen wie Emma verderbenbringend gewesen wäre. Bei Sir William Hamilton war sie jedenfalls besser aufgehoben. Hier konnte sie, ohne die dornenvolle Künstlerlaufbahn durchmachen zu müssen, ihre mimischen Talente, wie auf der Bühne ausbilden und verwenden. Und vielleicht hat sie sich als Dilettantin größeren Ruhm erworben, als sie es als Berufskünstlerin vermocht hätte.
Für ihre lebenden Bilder brauchte sie wenige Requisiten. Ein Stuhl, einige Schals, ein paar schöne antike Vasen, ein Blumengewinde, ein Tamburin, und für manche Posen ein oder zwei niedliche Kinder – das war ihr ganzer Apparat. Wenn sie mimte, waren alle Fenster geschlossen. Ihre Gestalt wurde nur von einer einzigen hellen Kerze beleuchtet. Sie verstand die türkischen oder indischen Schals so geschickt zu arrangieren, dass sie entweder, je nachdem sie es für ihre „Attitüde“ brauchte, ein griechisches oder orientalisches Gewand darstellten oder auch in den verschiedensten Formen von Turbanen um den Kopf geschlungen wurden. Diese Verwandlungen gingen dermaßen schnell vor sich, dass keine Kostümveränderung länger als fünf Minuten dauerte. Archenholtz ist ganz hingerissen von dieser Schnelligkeit der Verwandlung. Einmal stellte sie das lebende Bild einer Madonna des Guido. „In wenigen Augenblicken, vermöge einer geringen Veränderung im Gewand und äußeren Schmuck, war die Madonna verschwunden und in eine vor Fröhlichkeit taumelnde Bacchantin, in eine jagende Diana und dann wieder in eine mediceische Venus verwandelt.“
Auch als Tänzerin leistet Emma Hervorragendes. Ihr Schaltanz ist, wie bereits erwähnt, wegen seiner überraschend graziösen Bewegungen berühmt. Sie hatte damit so großen Erfolg, dass sie von mehreren großen Bühnen Engagementsanträge erhielt. In Madrid sollte sie in der italienischen Oper „als erste Tänzerin“ für eine Gage von 120.000 Mark für drei Jahre verpflichtet werden, und das Covent-Garden-Theater in London bot ihr 40.000 Schilling für eine Saison. Die ganze Skala der Empfindung wird bei ihrem Tanz zur Geste, zum getanzten Erlebnis. Jeder Schritt, jede Bewegung ihrer Arme und Hände ist eine tänzerische Offenbarung. Nationaltänze tanzt sie mit vollendeter Grazie und immer mit den ihnen zugehörigen volkstümlichen typischen Eigenarten und Temperament. Keine Italienerin tanzte eine so bacchantische, eine so wilde und leidenschaftliche Tarantella wie Lady Hamilton. Und der alte Lord ist zuweilen ihr Partner. Er, der für Sport, Jagd und alle Leibesübungen jederzeit Begeisterte, bleibt an der Seite dieses jungen lebensprühenden Weibes jung und elastisch. Noch als naher Siebziger tanzt er mit Emma – die inzwischen seine Frau geworden ist – auf einem Fest in London diesen Nationaltanz so lebhaft und andauernd, dass er seine um vierzig Jahre jüngere Partnerin ziemlich erschöpfte.
Mit solchen Tänzen, mit ihrer verführerischen Wollust, ihrer reizenden Koketterie und einschmeichelnden Liebenswürdigkeit bezauberte diese englische Sirene auch den Sieger von Abukir und vom Nil, Lord Nelson.
Horatio Nelson, * 9. September 1758 in Burnham Thorpe, Norfolk, England – † 21. Oktober 1805, vor Kap Trafalgar, Spanien, war ein britischer Vizeadmiral.
Er sah sie zum ersten Mal im Jahr 1793. Schon damals schrieb er an seine Frau: „Ich hoffe, Dir eines Tages Lady Hamilton vorstellen zu können. Sie ist eine der außerordentlichsten Frauen in der Welt. Sie ist eine Ehre ihres Geschlechts. Ihre und Lord Hamiltons Liebenswürdigkeit mir gegenüber ist größer, als ich in Worten auszudrücken vermag.“ Aber erst fünf Jahre später, als Lady Hamilton zwar immer noch schön und begehrenswert war, jedoch nicht mehr jene entzückende sylphenhafte Gestalt und Jugendfrische besaß wie ehedem, – sie wurde bereits Anfang Dreißig sehr stark – verliebte er sich wahnsinnig in sie. Sie war eine jener Frauenschönheiten, die jederzeit, ob alt oder jung, den Mann fesseln. Und viele fanden sie auch viel später noch ebenso reizvoll wie zu jener Zeit, da sie Romney seine „göttliche Lady“ nannte.